Go Ebola Go - Rainer Merkel - E-Book

Go Ebola Go E-Book

Rainer Merkel

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Beschreibung

»Go Ebola Go« singen die Mitarbeiter einer liberianischen NGO auf dem Weg in die Dörfer außerhalb von Monrovia. Sie fahren dorthin, wo sonst niemand hinfährt, und leisten Aufklärungsarbeit. Rainer Merkel hat sie begleitet. Acht Tage verbringt er im November 2014 in Liberia. Er kehrt zurück in das Land, in dem er vor fünf Jahren das einzige psychiatrische Krankenhaus geleitet hat und in dem sein Roman ›Bo‹ spielt. Nur wenigen Menschen erzählt er von seiner Reise, Freunde reagieren alarmiert. Denn Liberia ist das von Ebola am schlimmsten betroffene Land, zu dem Zeitpunkt hat der Virus in Westafrika mehr als 10.000 Todesopfer gefordert. Rainer Merkel erzählt in ›Go Ebola Go‹ von den Vorbereitungen auf die Reise, von der Woche dort und der Rückkehr nach Berlin: Wie wird den Kranken geholfen? Was erzählen die Überlebenden? Wie gehen die Liberianer selbst mit der Bedrohung um? Wie lebt man mit der Angst? Das Buch ist eine literarische Reportage, die von einem Land im humanitären Ausnahmezustand berichtet.

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Seitenzahl: 180

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Rainer Merkel

Go Ebola Go

Eine Reise nach Liberia

FISCHER E-Books

Inhalt

MottoEINSBlumenEin metaphysisches SchlachtfeldNo-Touch-PolicyOutbreakJenewondeDie HäuserDer Hase und der AdlerZWEIIn der KircheFreeman ReserveMedical CowboysLow Cost VillageDREIELWA BeachDie ChinesenDas Grab von Mister MorrisKrankenzimmer Nr. 6Pandora’s BasketVIERPeace IslandQuarantäneDank

Ebola kills

    Comfort

 

 

 

 

Diese in »Zweckformen«

funktionierende, bis auf

die letzten Dinge

beschriftete und

zugleich völlig sprach-

und stimmlose Welt

hatte nicht recht.

 

Peter Handke

EINS

Blumen

In letzter Minute bekomme ich eine Kamera. Per Overnight Express. Um damit Aufnahmen zu machen? Bilder von Kranken und Menschen, die dem Tod geweiht sind? Am Anfang habe ich noch gedacht, ich könnte tatsächlich in Liberia etwas fotografieren. In einer fast religiösen Phantasie stellte ich mir vor, Blumen zu fotografieren. Großaufnahmen von tropischen Blütenkelchen, sich träge erdwärts neigenden Blütenblättern. Schwer, mit Tautropfen benetzt, müde von der Hitze. So etwas in der Art. Nur Blumen. Die ganze Reise Aufnahmen, Großaufnahmen von Blumen. Die Idee nahm immer größere Ausmaße an, und ich begann, Kunstkataloge durchzublättern, suchte nach Vorbildern und Inspiration. Ein aufblitzendes helles Weiß, und ein paar fast obszöne schöne rote Tupfer. Gerhard Richters Orchidee von 1997, deren dunkles schweres Rot wie in Blutlicht aus dem Katalog herausleuchtete. Und dabei war natürlich der Witz, dass es in Liberia so gut wie gar keine Blumen gibt. Jedenfalls keine, die die Natur ohnehin hervorgebracht hätte. Weder an den Straßenrändern noch in den unzugänglichen Gärten, noch in irgendwelchen Blumengeschäften. Die Blumen, die es gibt, befinden sich hinter Mauern auf nicht einsehbaren Privatgrundstücken, aber nicht irgendwo draußen im Park, auf einem Platz oder in einem gut sichtbaren Vorgarten. In meiner Erinnerung von Liberia gibt es überhaupt keine Blumen. So stellte ich mir dann also vor, ich würde sie finden und die wenigen Ausnahmen dokumentieren. Ich würde also mit Blumenbildern zurückkehren und nicht mit Gesichtern, Schicksalen und den Aufnahmen von Krankenhäusern und den Bildern des Leidens. Ich würde mit Blumen zurückkehren, mit Bildern der Schönheit, Fragmenten der Zartheit und Demut. Ein aufblitzendes helles Weiß, und ein paar fast obszön schöne rote Tropfen aus Licht. Blumen aus Liberia. Blumen aus Westafrika. Blumen aus einer Region, in der über 6000 Menschen gestorben sind. Einfach so, mehr oder weniger von heute auf morgen. Ich erinnere mich, wie ich einmal in Monrovia fast verzweifelt nach Blumen gesucht hatte, um sie der deutschen Botschafterin zu ihrem Abschiedsfest zu schenken. Bei anderer Gelegenheit hatte eine Mitarbeiterin von medica mondiale der Botschafterin tatsächlich tropische Blumen mitgebracht. Es gab sie also, man konnte sie käuflich erwerben, man musste nur wissen, wo. Also suchte ich sie, fuhr die Hauptstraße, den Tubman Boulevard, auf und ab, um nach einem Blumengeschäft zu suchen. Aber bald schon schien mir der Aufwand unangemessen hoch, die Idee einfach zu abwegig und beinahe lächerlich. Warum musste ich für die deutsche Botschafterin in Liberia unbedingt Blumen kaufen, während den Liberianern so etwas doch niemals in den Sinn kommt. Und so fuhr ich dann mit leeren Händen zur Botschafterin und kündigte ihr ein Geschenk für einen späteren Zeitpunkt an. Ein Geschenk, das ich ihr irgendwann mal in Deutschland machen würde. Eine Überraschung, wenn wir uns wiedersehen würden. Das Geschenk hat sie natürlich nie bekommen. Später erzählte mir dann jemand, dass es vor dem Krieg in Liberia sehr wohl Blumen gegeben habe und bald auch wieder welche geben werde. Blumen waren also nicht das Problem. Blumen gibt es womöglich in großer Zahl irgendwo im Landesinneren, irgendwo in diesem riesigen tropischen Regenwald, der fast das gesamte Land bedeckt. Man muss nur am richtigen Ort sein oder sich weit genug vorwagen, ins Landesinnere hinein. Dann wird man die Blumen Liberias schon finden. Aber in jenem Jahr, das ich in Liberia verbracht hatte, fand ich keine. Einmal pflanzte ich etwas in den kleinen Garten, der das Haus, in dem ich wohnte, umgab, aber dann kam die Regenzeit, und am nächsten Morgen war die mühsam eingegrabene Pflanze spurlos verschwunden. Die Orchidee von Gerhard Richter ist von betörender Schönheit. Die Schönheit der aus den weißen Orchideenblättern herausblühenden rote Blüten hat etwas Erotisches, Bezauberndes, und ich sehe die Orchidee von 1997 immer wieder vor mir, als ein mögliches Vorbild für meine Liberiabilder, bis es mir schließlich wie Schuppen von den Augen fällt. Die Orchidee von Gerhard Richter ist gar keine Fotografie. Sie ist ein Gemälde, Öl auf Alu-Dibond, 29 × 37 cm, und genauso die anderen Blumenbilder, die ich vor Augen habe, die Tulpen von 1995 und die Rosen von 1994, so gesehen eine Täuschung. Öl auf Leinwand oder eben Öl auf Alu-Dibond. Ein Gemälde, keine Fotografie.

 

Ein paar Tage nach meiner Rückkehr scheint mir diese Idee, die Idee, Blumenbilder vor dem Hintergrund der Ebolakatastrophe zu machen, Ausdruck einer fiebrigen Phantasie zu sein, die mich im Vorfeld der Reise ergriffen hat. Als könnte man sich die Angst wegfotografieren, indem man vor den Schönheiten der Natur in die Knie geht. Sie in seine Kamera bannt, überträgt, abspeichert, katalogisiert. Als dann, fast etwas ungebeten, die Kamera auftaucht, sind die Blumenbilder schon lange kein Thema mehr. Der Gedanke an Blumenbilder ist verdrängt worden von Vorsichtsmaßnahmen, Desinfektionsflüssigkeit, Latexhandschuhen und sogar – fast schamhaft in der Innenseite des Rucksackes versteckt – zwei Exemplaren eines medizinischen Mundschutzes, zwei hauchdünnen Masken. »Um Himmels willen«, sagt Pandora am Telefon, als ich sie zum dritten Mal anrufe. »Jetzt fängst du auch schon damit an. Es ist alles okay. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin nicht krank. Ich habe nur ein bisschen Kopfschmerzen gehabt.« Die Angst vor Ebola. Die Blumenbilder, die Sehnsucht nach Ästhetisierung, der ganze Eskapismus der Reise, der Wunsch nach Erlösung und Erhabenheit. Alles verflogen, spätestens am 7. November 2014, am frühen Nachmittag, als die Maschine der Brussels Airlines als Flug Nummer SN1247 den afrikanischen Luftraum schon erreicht hat und sich Liberia nähert. Zu diesem Zeitpunkt sind die Ängste vorläufig wegrationalisiert, die Blumenphantasien ausgeträumt, und die Kamera ist vollständig aufgeladen und befindet sich nicht unweit der Flaschen mit der Desinfektionsflüssigkeit und den beiden Gesichtsmasken, die dann schon kurz nach meiner Ankunft vergessen sind und später diskret entsorgt werden. »Du wirst schon sehen«, sagt Pandora. »Du bist doch schon mal hier gewesen. Du weißt doch, wie es ist. Was in den Zeitungen steht, das stimmt doch gar nicht.« Sie spricht sehr schnell und benutzt das liberianische Englisch, das ich fast schon wieder verlernt habe, so dass ich immer wieder nachfragen und sie alles, was sie mir erklären will, zweimal sagen muss. »Warte erst mal ab«, sagt sie. »Du wirst schon sehen, wenn du erst mal hier bist, ist die Angst weg.«

Ein metaphysisches Schlachtfeld

Ich bin gut vorbereitet. Ich habe nicht nur Desinfektionsflüssigkeit dabei, Masken, Latexhandschuhe, sondern auch 800 Dollar in bar, ein Aufnahmegerät und zwei leere Notizbücher. Ich sitze auf einem Gangplatz zwischen 250 Mitreisenden und neben einem Mann, von dem ich mir sicher bin, dass er nicht nach Liberia fliegt. Das Flugzeug ist eine lange graue, künstlich beleuchtete Röhre, in der wir mit unglaublicher Geschwindigkeit auf den afrikanischen Kontinent geschossen werden, ohne dass wir ein Wort darüber verlieren. Mit dem Mann, der neben mir sitzt, spreche ich sechs Stunden lang kein Wort. »Ich schicke dir jemanden, der dich abholt«, hatte Pandora am Telefon gesagt. Sie kommt selbst nicht, sie hat zu viel zu tun. Wir haben uns über die Jahre ein bisschen aus den Augen verloren. Trotzdem würde ich die Reise niemals antreten, wenn ich nicht ein paar Wochen zuvor mit ihr telefoniert hätte, als ich die Ungewissheit nicht mehr ausgehalten habe. Ich rief sie an, um in Erfahrung zu bringen, ob es nicht vielleicht eine Möglichkeit gebe, sie wenigstens ein paar Wochen außer Landes und in Sicherheit zu bringen. Ob man nicht zusammen mit Freunden ein Flugticket finanzieren könnte, um sie aus Liberia herauszuholen. Pandora ist die Einzige von meinen Freunden, die mir in Monrovia noch geblieben ist. Alle anderen haben das Land verlassen. Aber Pandora ist so gesehen auch nie nach Liberia gekommen, um zu bleiben, sie war schon immer dort. Sie ist die Einzige, für die sich keine Organisation, kein Ministerium interessiert, um sie mit sanftem Druck zur Rückkehr oder sogar zum Abbruch ihrer Mission aufzufordern. »Du weißt ja, wie es hier aussieht«, sagt sie. »Du kennst dich ja in Liberia aus.« Ich telefoniere mit Gott und der Welt, um herauszubekommen, wie es denn nun wirklich um das Land bestellt ist. Welche Schlussfolgerungen zu ziehen sind. Welche Vorsichtsmaßnahmen nötig sein werden. Und dann hörte ich zu meinem Schrecken, dass Pandora nicht nur nicht außer Landes gebracht werden möchte, sondern zudem auch noch fast täglich aufbricht, um in den Dörfern außerhalb von Monrovia Aufklärungsarbeit zu betreiben und sich also dem Virus direkt auszusetzen und Menschen zu treffen, die erkrankt sind oder zumindest mit Kranken zusammengelebt haben.

Die zwei Wochen zwischen der Buchung des Fluges und dem eigentlichen Aufbruch nach Liberia werden zu einer einzigen Odyssee. Die Odyssee der Reisevorbereitung. Eine Irrfahrt, bei der mich meine Angehörigen verfluchen, Leute mich für verrückt erklären und sich schließlich ein großes Schweigen zwischen mir und meinen Freunden ausbreitet, denen ich gar nichts mehr von meiner Reise erzähle, weil ich fürchte, ihrer Anteilnahme und ihrer Sorge um mein Wohlbefinden nicht standzuhalten.

 

Mein Nachbar im Flugzeug, der mir später, als wir dann doch noch eine Unterhaltung anfangen, Bilder von seinen Reisen ins Landesinnere zeigt, wie er auf dem Weg nach Ganta mit seinem Jeep im Schlamm stecken bleibt, ist ein norwegischer Polizist. Die meiste Zeit schaut er während des Flugs Filme, zum Beispiel zwei Folgen von Planet of the Apes. Er helfe, wie er sagt, die Sicherheit des Landes zu verbessern. Er hat zwei Kinder. Es ist natürlich »undenkbar«, erklärt er, dass sie ihn jetzt in Liberia besuchen. »Das versteht sich von selbst.« Kinder gehören nicht nach Liberia. Für Comfort, die kleine Nichte von Pandora, kaufe ich ein Buch, in dem die Protagonisten im Inneren eines riesigen Pfirsichs gefangen sind. Sie sind eingeschlossen in einer irrealen Zone, während die Welt um sie herum immer mehr zu einem bedeutungslosen Hintergrundrauschen wird. Charles, der jahrelang als Psychologe für die UN in Monrovia gearbeitet hat, erklärt mir, während wir ein paar Tage vor meiner Abreise telefonieren, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauche. Charles wollte selbst nach Liberia reisen, aber seine Freundin hat es ihm verboten. »Ich beneide dich«, sagt er, kurz bevor die Verbindung abreißt, weil der Empfang auf dem Hügel außerhalb von Rom nicht so gut ist. Charles macht einen Sonntagsspaziergang, und manchmal verstehe ich ihn nicht, weil er vielleicht sein Gesicht abwendet, um sich vor der Sonne zu schützen. »Ich habe diese Geschichte gehört, von dieser Frau«, sagt er noch, »die die Spielsachen ihres Kindes versteckt hat, damit es nicht rausgehen und Ball spielen kann.« Vielleicht entspricht es dem Bedürfnis von Kindern, sich in einen möglichst kleinen Raum zurückzuziehen, so wie in dem Buch, das ich Comfort gekauft habe, wo sich die Protagonisten im Inneren eines Pfirsichs befinden, so dass die Welt keine Kenntnis von ihnen nimmt und denken muss, sie existieren nicht mehr.

 

»Es ist ganz einfach«, sagt Pandora, als ich sie einmal am späten Abend anrufe. »Man fährt raus in die Dörfer und macht Aufklärungsarbeit.« Es kann sein, dass es schon dunkel ist, und dann muss man eine Nacht in diesem Dorf bleiben und fährt erst am nächsten Tag zurück. Eine Weile überlege ich, ob ich gemeinsame Freunde anrufen soll, zum Beispiel ihre Freundin in Griechenland, um sie in einer konzertierten Aktion aus dem Land rauszuholen. Meine Sorge gipfelt in der Bemerkung: »Können nicht ANDERE Leute diese Aufklärungsarbeit machen? Warum musst DU das denn tun?« Die Fotokopien der Zeitungsartikel, die ich gelesen habe, sind zum Glück schwarzweiß, diese Gestalten mit Schürzen und Gummistiefeln, die Plastikmonster, erscheinen mir wie Schatten, Abbildungen aus vergessenen Filmen. In meiner entzündeten Phantasie kommen sie mir wie von der Sonne gebleichte Aliens vor, die in Schutzanzügen aus ihren Raumschiffen heruntergeklettert sind und in einem riesigen metaphysischen Schlachtfeld nach Überlebenden suchen. »Aus Gründen, die sicherlich einer genaueren psychologischen Untersuchung bedürfen, scheint der Westen hinsichtlich der Verletzlichkeit seiner eigenen Zivilisation unter einer tiefsitzenden Angst zu leiden und sucht deswegen immer wieder die Bestätigung durch den Vergleich mit Afrika«, schreibt Chinua Achebe. »Afrika ist ein metaphysisches Schlachtfeld, bar jeder Menschlichkeit, das der unstete, umherirrende Europäer auf eigene Gefahr betritt.« Das Schlachtfeld, das Achebe meint, ist das Herz der Finsternis, so wie es Joseph Conrad beschrieben hat, der europäische Tag-Albtraum von Afrika, den auch ich nicht aus dem Kopf kriege, obwohl ich schon ein ganzes Jahr in Liberia gelebt habe. Konzentriere dich auf Ausschnitte, auf Details, Momente der Schönheit. Fotografiere Blumen, sage ich mir. Blumen! Bloß keine Menschen in Schutzanzügen. Wenn man Achebe liest, verliert man gänzlich die Lust und Begeisterung für Joseph Conrad. Was würde Achebe über den Flug SN1247 sagen? Was würde er dazu sagen, dass in Dakar niemand aussteigt, dass das Flugzeug ausgebucht ist und dass die halbe Welt unterwegs ist, um Liberia zu retten. Mein Nachbar hat sich Kopfhörer aufgesetzt. Nachdem ich eine Weile auf seinen Bildschirm geschaut habe und versuche, mir einen Reim zu machen aus den hin und her wogenden Bildern, der Rebellion der Versuchstiere, die ausgebrochen sind, um sich gegen die Menschheit zur Wehr zu setzen und schließlich auf der Golden Gate Bridge einen vorläufigen Sieg davonzutragen, sehe ich draußen im nächtlichen Himmel ein Blitzen. Draußen in der dichten Wolkendecke über Westafrika blitzt und donnert es. Ich brauche eine Weile, um zu merken, dass diese Blitze in den Wolken unter uns sind, dass wir also über dieses Gewitter hinwegschweben. Es blitzt. Lichtblitze zucken aus dem suppigen, dunklen Grau unter uns. Ich bin so begeistert und erschrocken, dass ich den norwegischen Polizisten, der in Ganta an der Südgrenze Liberias Sicherheitskräfte ausbildet, an die Schulter fasse und ihn darauf aufmerksam mache. »Haben Sie das gesehen?«, frage ich aufgeregt. Das Blitzen ist direkt unter uns. Wir sind hier oben, und dort unten ergeht sich die Natur in einem wahnwitzigen Schauspiel. Und wir fliegen einfach darüber hinweg. Der Polizist nickt, schaut kurz in das Lichtgeflimmer unterhalb der Tragfläche und wendet sich dann wieder The Planet of the Apes zu. Aber ich schaue wie gebannt durch die schmale ovale Öffnung. Ich kann nicht genug bekommen von diesem Schauspiel. Als existierte dort irgendwo in der Luft ein Organismus, der sich jetzt mit uns verständigen wollte. Und ich sage mir im Stillen: Da unten ist Afrika. Da unten, das ist Liberia. Das geliebte Liberia, das sich über Nacht wieder in ein Krisengebiet verwandelt hat, was es in unseren Augen ja schon immer gewesen ist. Es hilft alles nichts, auch nicht die Lektüre von Chinua Achebe, der Anblick dieser archaischen Düsternis unter mir, durch die das Blitzen wie ein riesiger Impuls eines interkontinentalen Lebewesens zuckt, hat etwas Berauschendes und Abschreckendes zugleich, worin sich die ganze Angst-Lust, die mich ergriffen hat, in einem Bild zusammenballt. Blumen sind vollkommen überflüssig. Blütenbilder braucht man jetzt überhaupt nicht mehr. Ich muss nur aus dem Fenster schauen, schon sehe ich, was mit mir gerade passiert.

No-Touch-Policy

Auch die beiden Amerikanerinnen, die hinter mir sitzen und für MIT, Medical Teams International, irgendwo im Landesinneren zum Einsatz kommen werden, werfen gelegentlich einen Blick nach draußen. Während sie schlafen, entdecke ich bei der, die direkt hinter mir sitzt, ein wie ein kleines Maskottchen an ihrem Rucksack befestigtes Desinfektionsfläschchen, um das ich sie sofort beneide. Ich habe selbst keine Desinfektionsfläschchen gefunden, die man einfach so unauffällig in der Hosentasche tragen kann und also sofort griffbereit hat. In der Erwartung, ich würde in Liberia jede Bewegung, jeden Handgriff, jede auch noch so beiläufige Berührung immerzu mit einem Griff zur Desinfektionsflasche beantworten. Die Tür in einem Restaurant oder in einem Hotel, die versehentliche Berührung des Türgriffs eines Taxis, das unnötige Abstützen auf einer Mauer in der Nähe eines Krankenhauses oder überhaupt Oberflächen im gesamten Land, ob sie nun trocken sind oder nass, kühl oder sonnenbeschienen. Der sofortige Griff zum Fläschchen wäre die unweigerliche Folge, die notwendige Konsequenz. Schon mit Seife lässt sich das Virus ganz gut bekämpfen. Desinfektionsflüssigkeit aus dem A- und B-Bereich, die ausreichend viruzid sind, überlebt er garantiert nicht. Die Amerikanerinnen sind besser vorbereitet. Schon wenig später im Bus, den es neuerdings gibt und der einen direkt zu dem kleinen Flughafengebäude bringt, greift eine der beiden pummeligen, kleinen Frauen ganz unauffällig, wie eingeübt, nach dem kleinen am Rucksack festgemachten Fläschchen, und blitzschnell sind die kontaminierten Handflächen desinfiziert, wobei der eigentliche Kontakt mit dem Land, mit Liberia, mit dem Virus, ja noch bevorsteht. Desinfiziert sie sich die Hände, weil sie hinter mir gesessen hat? Ich habe zugegebenermaßen fast ununterbrochen gehustet. Schon bei der Zwischenlandung in Brüssel erwartete ich, dass einer der Tropenärzte der Bundeswehr zu mir kommen würde, um mich darauf aufmerksam zu machen, dass sich diese Symptome gar nicht gut anhören und ich doch besser zu Hause bleiben sollte. Tatsächlich ist nach diesen Wochen ständiger und mitunter panischer Angst die Furcht am größten, ich könnte krank werden und die Reise, deren Vorbereitung mich so viel Kraft gekostet hat, gar nicht mehr antreten. Die Amerikanerinnen reinigen sich, desinfizieren sich, die eine reicht das Fläschchen diskret an die andere weiter, es ist mit einem Clip am Rucksack befestigt. Die Amerikanerinnen fassen die Plastikhandschlaufen des Zubringer-Busses nicht an, sondern desinfizieren ihre Hände. Ich fasse die Plastikschlaufen an und desinfiziere meine Hände nicht. Ist das schon der erste Fehler?

 

Es ist stockdunkel und weniger heiß als erwartet, es regnet sogar ein bisschen. Und dann kommt die große Begrüßungsshow. Die fröhlichen Ladies vom Flughafenpersonal. Die Gatekeeperinnen. Liberia will keine Ebolapatienten, es hat schon selbst genug. Also werden wir jetzt alle erst mal kontrolliert. Das kleine bescheidene Flughafengebäude Monrovias, Roberts International Airport, das mich immer an eine Filmkulisse aus einem Agententhriller aus den 50er Jahren erinnert hat, wenn man sich ihm zu Fuß vom Flugzeug aus nähert, hat sich jetzt in ein Kreiskrankenhaus verwandelt. Links und rechts vom Eingang stehen auf Holztischchen erhöht aufgebaut Eimer mit Chlorlösungen, und daneben stehen Frauen, die wie eine Mischung aus Stewardessen, Krankenschwestern und Polizistinnen aussehen, und messen die Temperatur. Welcome to Liberia. Die Stimmung ist angenehm locker, ich wasche mir die Hände, habe also den Desinfektionsvorsprung der Amerikanerinnen wieder eingeholt, und stelle mich in die Schlange zum Fiebermessen an. Davon hat man schon gelesen. Aber es ist trotzdem eine ganz besondere Erfahrung. Richtig gut fühle ich mich nicht. Es ist doch ziemlich heiß, ich bin müde und ich frage mich, ob der Fahrer, den mir Pandora schicken wollte, auch wirklich da ist und was mich dort, jenseits des Flughafengebäudes, in der liberianischen Wirklichkeit erwartet. Ebola?