Brauchen wir die Liebe noch? - Frank Natho - E-Book

Brauchen wir die Liebe noch? E-Book

Frank Natho

4,7

Beschreibung

Die Liebe – in vielen Partnerschaften und Ehen ist sie die wichtigste Grundlage des Zusammenseins und einer erfüllten Sexualität. Sie soll ein ganz besonderes Gefühl sein, welches Menschen zueinander führt, aneinander bindet und die Partnerschaftszufriedenheit erhöht. Viele Paare glauben an dieses Gefühl, an dessen Kraft und magische Wirkung: Die Liebe wird zum Ideal. Doch Ideale haben auch Nachteile, sie setzen Maßstäbe, erhöhen die Erwartungen und verstärken die Sensibilität für das Vorhandensein von Liebe. Fehlt die Liebe, dann ist das oft ein Grund für Trennung, die wiederum emotionalen Stress bei allen Beteiligten, auch bei den Kindern eines Paares, auslöst. Wenn es die Liebe als Beziehungsideal nicht gäbe, könnten Paare sehr viel entspannter mit dem Verlust oder der zeitweisen Abwesenheit der Liebe umgehen. Der Ansatz, Liebe mehr als Konstrukt zu verstehen, hilft, dieses Gefühl in der Partnerschaft nicht zu überschätzen und andere beziehungsstiftende Elemente stärker wertzuschätzen.Frank Natho nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise und diskutiert die Entstehung, die Hintergründe der Liebe in verschiedenen kulturellen Epochen: Antike, Mittelalter, Romantik und Moderne sind einige Stationen, die unsere Vorstellung von Liebe prägten. Er wirft die Frage auf, ob die romantische Liebe noch in die Gegenwart passt und ob sie nicht vielleicht mehr Paare unglücklich als glücklich macht. Warum Freundschaft ein nützlicheres Ideal für die Paarbeziehung ist, verrät Frank Natho am Schluss seines Buches über die Erfindung der Liebe.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 262

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,7 (18 Bewertungen)
13
5
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Frank Natho

Brauchen wir die Liebe noch?

Die Entzauberung eines Beziehungsideals

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-525-99641-7 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de

Umschlagabbildung: .marqs/photocase.com

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt

Vorwort

Dank

Das kann man ja auch mal so sehen

Liebe: Ein modernes Märchen?

Liebe: Plug and play?

Liebe: Auf- und Abwertung der Partnerschaft

Liebe: Grundgefühl versus Konstruktion

Liebe: Ein frühkindliches Bindungsmuster

Verliebtheit: Die Vorstufe zur Liebe?

Verliebtheit: Risiken und Nebenwirkungen einer Stressreaktion

Liebe im Jugendalter: Schmetterlinge im Bauch

Liebe im Lebensverlauf: Vertrautheit und Bindung

Kleine Kulturgeschichte der Liebe

Wie wir uns die Welt erklären: Wissenschaft, Kultur und Werte

Liebesgötter und Liebeskulte in der Antike

Paulus: Wegbereiter eines christlichen Verständnisses von Liebe

Die Liebe ist die Größte

Zucht und Ordnung

Liebe im Kontext von Endzeitstimmung

Kirche, Sexualität und Liebe im Mittelalter

Die Macht des Mönchtums

Die reine Liebe

Die Erfindung der Minne

Die Idealisierung der Minne

Vom Brauchtum zur Verschärfung des Sakraments

Die sexuelle Wende: Luthers Verständnis von Liebe und Ehe

Liebe, bis dass der Tod

Liebe: Eine Frage des Erkennens

Die Erfindung der romantischen Liebe im 18. Jahrhundert

Das Anliegen der Romantik

Liebe zwischen Schicksal und Kontrolle

Romantik im Übergang zum Frühkapitalismus

Die Konstruktion der Liebe im 19. und 20. Jahrhundert

Konsumgut Liebe und Sexualität

Liebe im industriellen Frühkapitalismus

Liebe im fordistischen Kapitalismus

Liebe im neoliberalen Kapitalismus

Liebe im Sozialismus

Gefühlsstau oder eine Frage des Stils? Liebesdiskurse in Ost- und Westdeutschland

Neuzeitliche Konstruktionen der Liebe

Die Liebe im Visier der Humanisten: Sind Ganzheitlichkeit und Authentizität Auslaufmodelle?

Niklas Luhmann: Liebe ist Kommunikation und Erwartung

Erich Fromm: Die Kunst des Liebens

Reife: Die Voraussetzung aktiver Liebe

Die höchste Form der Reife: Die »offene Ehe«

Beziehungsgütekriterien: Zu hohe Erwartungen?

Peter Lauster: Liebe krönt die Sexualität

Richard David Precht: Liebe, nur ein angenehmes Zufallsprodukt?

Gerald Hüther: Liebe und die zwei Hälften eines Ganzen

Arnold Retzer: Mehr Realismus in der Liebe

Wolfgang Schmidbauer: Die komische Seite der Liebe

Paul Bloom: Liebe und die Anbetung des Besonderen

Liebe heute: (Er-)Klärungsversuche

Liebe als überholte Vorstellung? Begehren, Verschmelzung, Selbstlosigkeit und Transzendenz

Liebe als Exklusivverhältnis? Treue und Treue zu sich selbst

Liebe als biologische Konstante? Bindung in kindlichen und Partnerschaftsbeziehungen

Liebe als Suche nach Anschluss?

Körperliche Anschlussfähigkeit: Sexuelle Kommunikation ohne Liebe?

Anschlussfähigkeit auf der Persönlichkeitsebene: Wann stimmt die Chemie?

Liebe: Vielleicht »nur« Freundschaft?

Freundschaft: Ein kinderleichtes Konzept

Was macht freundschaftliche Beziehungen erfolgreich?

Fazit: Vollkommene Freundschaft oder unvollkommene Liebe?

Literatur

Vorwort

Die Liebe – für viele Partnerschaften und Ehen ist sie die wichtigste Grundlage des Zusammenlebens und einer erfüllten gemeinsamen Sexualität. Sie soll ein ganz besonderes Gefühl sein, welches Menschen zueinander führt, aneinander bindet und die Partnerschaftszufriedenheit erhöht. Viele Paare glauben an dieses Gefühl, an dessen Kraft und magische Wirkung – und so wird die Liebe zum Ideal für Ehe und Partnerschaft. Doch Ideale haben auch Nachteile, sie setzen Maßstäbe, intensivieren den Druck, erhöhen die Erwartungen an die Beziehung und verstärken die Sensibilität für das Vorhandensein oder das Fehlen von Liebe.

Fehlt die Liebe, dann ist das oft ein Grund für Trennung. Trennungen führen wiederum zu emotionalem Stress bei allen Beteiligten, insbesondere bei den Kindern eines Paares. Inzwischen hat sich zwar gezeigt, dass Kinder durch die Trennung der Eltern nicht zwangsläufig Schaden davontragen, doch bedarf es nach wie vor einer erheblichen Anpassungsleistung an die veränderte Beziehungssituation der Eltern. Je nach Alter und Entwicklungsstand des Kindes ist das Risiko für längerfristige Beeinträchtigungen unterschiedlich hoch: Jüngere Kinder, die noch in der Bindungsphase sind, haben meist mehr mit den Folgen der Scheidung ihrer Eltern zu kämpfen als ältere.

Dabei steht am Anfang einer Beziehung zwischen Mann und Frau meist die Liebe bzw. die Verliebtheit ineinander. Wie kommt es eigentlich dazu und ist das für das Zustandekommen und die Dauer einer Partnerschaft tatsächlich wichtig? Hat einer der Partner nach einiger Zeit den Eindruck, vom anderen nicht mehr so geliebt zu werden wie am Anfang der Beziehung, fängt er an, nach Liebesbeweisen zu suchen. Doch was beweist die Liebe des anderen? Sind es die Blumen, die der Partner abends mit nach Hause bringt, oder weisen sie im Gegenteil auf das Fehlen der Liebe, auf ein schlechtes Gewissen hin? Ist erst einmal der Eindruck entstanden, dass sich die Liebe aus der Beziehung stiehlt, beobachten die Partner einander genau und suchen nach Anzeichen, die ihre Annahme bestätigen. Misstrauen schleicht sich ein, das nicht selten den Anfang vom Ende darstellt.

Welche Rolle spielt dabei die Eifersucht? Ist sie tatsächlich die Schwester der Liebe? Hat sie die Funktion, den Partner als Objekt der Liebe zu binden, zu kontrollieren? Für viele gehört die Treue zur Liebe. Doch wie passt die Tatsache dazu, dass Partner fremdgehen und dass die Sexualität aus der Beziehung herausvagabundiert? Ist die Liebe als Gefühl, als soziales und emotionales Ritual vielleicht doch ein Auslaufmodell? Könnten Paare möglicherweise viel entspannter mit dem Verlust oder der zeitweisen Abwesenheit der Liebe umgehen, wenn es die Liebe als Beziehungsideal nicht gäbe? Vielleicht wäre es dann auch leichter zu akzeptieren, dass ein Partner außerhalb der eigenen Paarbeziehung oder Ehe nach sexuellen Abenteuern sucht?

In meiner jahrelangen Arbeit als systemischer Paartherapeut habe ich erfahren, dass gerade das Fehlen von Liebe in der Beziehung zu großen Problemen und Missverständnissen führt. Kann man diesen Paaren die Aussage zumuten, dass es auch ohne Liebe eine erfüllte und glückliche Partnerschaft und Ehe geben kann? Dass die Freundschaft zwischen Mann und Frau mit einem gemeinsamen Lebensmittelpunkt, einer gemeinsamen Familie und gemeinsamen Freizeitunternehmungen möglicherweise ein viel natürlicheres und zeitgemäßeres Beziehungsverständnis ist? Vielleicht hilft der Ansatz, Liebe mehr als Konstrukt, als kulturelles Ritual zu verstehen, dabei, das Gefühl von Zuneigung und zeitweiligem sexuellen Begehren in der Partnerschaft nicht zu überschätzen und andere beziehungsstiftende Elemente in der Paarbeziehung mehr wertzuschätzen.

Eine Grundhaltung von Systemikern, zu denen ich mich zähle, ist Neugier. Ich werde nicht alle Fragen, die ich aufwerfe, beantworten können. Die wissenschaftliche Betrachtung der Liebe als facettenreiches partnerschaftliches Beziehungsphänomen kann noch nicht auf eine so lange Forschungsgeschichte zurückblicken. Zwar ist schon viel über die Liebe geschrieben worden, doch die begriffliche Unschärfe und Komplexität des Forschungsgegenstandes selbst machen es äußerst schwierig, Aussagen und Theorien darüber miteinander zu vergleichen. In diesem Buch will ich mir erlauben, neugierig zu sein und querzudenken. Das Infragestellen, die Dekonstruktion, das Spiel mit den Unterschieden und Ambivalenzen, das Erfinden neuer Möglichkeiten kommt auch in folgendem Satz zum Ausdruck, der Niklas Luhmann zugeschrieben wird: »Wie es ist, ist es gut – nur dass es auch ganz anders sein könnte.«

Ich bin gespannt, welche Perspektivwechsel die Infragestellung des Phänomens Liebe zutage fördern. Ich will zu der Frage, wie die Liebe überhaupt in die Paarbeziehung kam, Ideen und Hypothesen sammeln und eigene entwerfen. Ich versuche darzulegen, wie ein ursprünglich religiöses, philosophisches Konstrukt zu einem Ideal für jedermann werden konnte: Welche sozialen Umstände führten dazu, dass sich die Liebe von einem göttlichen Prinzip zu einem alltäglich erwarteten Beziehungsfaktor zwischen Mann und Frau entwickelte? Oder ist die Liebe, wie wir sie jetzt glauben zu erleben, lediglich eine marktwirtschaftliche Werbestrategie, in der Produkte geschickt mit Gefühlen und Sehnsüchten verkoppelt und dem Konsumenten glauben gemacht wird, diese tatsächlich zu erleben? Vielleicht ist die Liebe nicht mehr als eine beträchtliche Manipulationsleistung?

Ich werde versuchen, verschiedene Facetten der Konstruktion Liebe durch die Geschichte hindurch zu skizzieren. Ich möchte aufzeigen, warum Liebe kein Grundgefühl, sondern ein Produkt des jeweiligen Zeitgeistes in unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen und Epochen ist. Liebe ist vielleicht allenfalls eine Form des Glaubens und dabei sehr individuell. Mich interessiert die Antwort auf die Frage, warum viele Menschen, Paare an diesem Glauben, an dieser Konstruktion festhalten, obwohl die Liebe eines der flüchtigsten Erlebniszustände überhaupt ist. Wie glaubt man an etwas, das nicht greifbar ist, und welche Vor- und Nachteile hat es, wenn man den Glauben an die Liebe aufgibt?

Im Gegensatz zu einigen anderen Autoren habe ich keine Lösungen anzubieten. Ich weiß nicht, wie man die Liebe wiederbelebt, wenn sie einem Paar verloren geht. Das Buch ist also kein Ratgeber – oder vielleicht doch? Ich weiß nicht, ob es überhaupt nötig ist, zu partnerschaftlicher Liebe zu raten. Im Wesentlichen will ich mich auf das Stellen von Fragen, das Sammeln von Ideen, das Entwerfen von Hypothesen und deren Weiterentwicklung bescheiden.

Dank

Mein Dank gilt wie immer meiner Familie, insbesondere meiner Partnerin, die mir auch bei diesem Buchprojekt wieder mit ihren Ideen und Erfahrungen zur Seite stand. Ich bin froh, dass auch sie, mit der ich derzeit zwanzig Jahre in Familie mit nunmehr drei Kindern zusammenlebe, nicht an die romantische Liebe glaubt. So kann ich die Liebe hier in Frage stellen, ohne eine eigene Beziehungskrise befürchten zu müssen. Außerdem bedanke ich mich bei ihr für die jahrelange Freundschaft, die sie mit mir lebt und die uns Höhen und Tiefen in der Partnerschaft meistern und genießen ließ.

Das kann man ja auch mal so sehen

Als eher konstruktivistisch denkender Familien- und Paartherapeut hatte ich schon immer leise Zweifel an dem, was wir allgemein in Paarbeziehungen und auch psychologisch unter Liebe zwischen erwachsenen Menschen verstehen und scheinbar verbindlich miteinander kommunizieren. Dabei nehmen wir insbesondere in der Partnerschaft und Ehe an, dass der Partner unter dem Begriff Liebe Ähnliches oder sogar das Gleiche versteht wie wir selbst. Diese kommunikative Anschlussfähigkeit eines Begriffs ist Voraussetzung, um sich gegenseitig die Liebe zu beteuern und die Frage »Liebst du mich?« seines Partners beantworten zu können.

Die Verwendung des Begriffs Liebe in Zusammenhang mit Paarbeziehungen ist so selbstverständlich, dass kaum jemand auf die Idee kommt, es könne sich dabei nur um ein Konstrukt, ein partnerschaftliches Gespinst oder eine gemeinsam entworfene Idee handeln. Auch scheint es abwegig, dass die Liebe als christliches Postulat lediglich erfunden wurde, um die Gläubigen zu mehr Keuschheit, Monogamie und zum Gebet zu bewegen, statt sich ungezügelt sexuellen Leidenschaften hinzugeben. Noch weniger können wir uns wohl vorstellen, dass sich die Wirtschaftsordnung der Liebe bediente, um uns Menschen zu disziplinieren und uns zu emsigen Arbeitern und Konsumenten zu entwickeln.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!