Die Reisen des Phil - Außergewöhnliche Begegnungen - Marcel Schmickerath - E-Book

Die Reisen des Phil - Außergewöhnliche Begegnungen E-Book

Marcel Schmickerath

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Beschreibung

Noch nie wurde sein Glauben an Weya, Göttin des Lichts, derart hart auf die Probe gestellt, als er das verfluchte Land Tagalans bereiste. Auserkoren das Land von seinem Fluch und den Dämonen zu befreien, trifft er die eigensinnigsten Persönlichkeiten, denen er jemals begegnet ist. Bald schon wird ihm bewusst, es gibt kein Licht, welches keinen Schatten wirft. Doch er ist nicht allein, seine sieben Gefährten begleiten ihn. Unter ihnen die Elfe Penele, die voller Zorn den Mörder ihres Vaters sucht. Während er immer wieder versucht seine Gefährten auf den rechten Weg zu führen, lernt er Hüter und Magie des Landes kennen.

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Seitenzahl: 324

Veröffentlichungsjahr: 2019

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„Möge das Licht deinen Schritten folgen.“
„Dunkelheit kann erleuchtet werden, Licht kann erlöschen.“
„Wenn die Dunkelheit Wellen schlägt, sei mein Licht dir ein Leuchtturm und mein Wort dir ein Anker.“
„Die Grenze zwischen Licht und Schatten ist fließend.“
„Dunkelheit ist dort, wo das Licht fehlt.“
„Bedenke immer, auf jeden hellen Tag folgt eine dunkle Nacht.“
„Und nun geh und denk an meine Worte.“

Die Reisen des Phil - Außergewöhnliche Begegnungen

Von Marcel Schmickerath

Buchbeschreibung:

Der einsame Wanderprediger Phil zieht in das verfluchte Land von Tagalan, wo Schmerzen, Leid und Dämonen die Sterblichen quälen. Er sieht es als seine Mission, den Fluch zu brechen und die Menschen von Tagalan zu retten. Doch es gibt kein Licht, welches keinen Schatten wirft. Sieben Gefährten begleiten ihn bei seiner göttlichen Aufgabe. Unter ihnen die Elfe Penele, die voller Zorn den Mörder ihres Vaters sucht.

In dieser finsteren und düsteren Fantasy begegnet Phil außergewöhnlichen Persönlichkeiten.

Über den Autor:

Marcel Schmickerath, geboren 1988 in Düren, studierte Mathematik und Informatik an der RWTH Aachen. 2014 erschien sein erster Roman "Die Häldengilde" im Laufe seines Studiums. 2021 erschien sein Roman "Zahlen der Magie", in dem die Welt der Zahlen mit der Fantasywelt - genannt Tunuss - verschmolz.

Obwohl man annehmen könnte, sein Hintergrund sei "trocken" und "theoretisch", erschafft Marcel Schmickerath in seinen Büchern außergewöhnliche Charaktere, die in einer fantasievollen und humorvollen Welt leben. Die Reihe "Die Reisen des Phil", basierend auf Theologie, Mythologie und Dämonologie, bildet hier eher eine Ausnahme.

Die Reisen des Phil - Außergewöhnliche Begegnungen

Die Reisen des Phil Band 1

Von Marcel Schmickerath

Marcel Schmickerath

Im Jagdfeld 17

52353 Düren

[email protected]

www.marcelschmickerath.de

9. Version, 2024

© 2019 Alle Rechte vorbehalten.

Marcel Schmickerath

Im Jagdfeld 17

52353 Düren

Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Coverart by Insta: @Schmipsy

[email protected]

www.marcelschmickerath.de

ISBN: 9783750265202

„Möge das Licht deinen Schritten folgen.“

Ein donnernder Blitz schreckte ihn aus dem Schlaf, dann warf ihn die See aus seiner Matte. Ein rollendes Fass schlug ihm in die Seite. Mühselig baute er sich auf, versuchte das schwere Gefäß von seinem schmächtigen Leib zu schieben. Der beißende Geruch von Rum drang in seine Nase. Er verfluchte seinen kraftlosen Körper. Er war mickrig und schlaff. Was nutzten ihm, all die Bücher und der eiserne Wille ihren Worten zu folgen, wenn er nicht einmal imstande war ein Weinfass zu rollen.

Das Schiff kippte, das Fass rollte zurück und er befreite sich. Augenblicklich rannte er unter die Stufen und versteckte sich.

Über ihm peitschte das Meer. Der Wind pfiff durch die Segel. Er hörte den Hagel trommeln, den Himmel erzürnen. Die Mannschaft schrie.

Die Tür sprengte auf, mit ihr stürzte ein tropfender Matrose die Stufen herab. „Wo steckst du, Pfaffe?“, brüllte er, ehe er ihn erblickte. „Der Himmel bricht zusammen und du sitzt hier unten und drehst Däumchen?“

Er kroch halb geduckt aus seinem Versteck. „Ich bin kein Heiliger“, entschuldigte er sich. „Ich kann auch keine Wunder vollbringen…“

Er trat dicht an ihn heran. „Pah! Du versteckst dich wie eine Ratte und behauptest dennoch, auserkoren zu sein? Das Meer und seine Götter sind wütend, weil sie deiner Lügen leid sind!“ Der Matrose sprang zurück an Deck. Ehe er die Tür schloss, rief er:„Wenn du nichts weiter kannst als reden, dann bete um das Wohl unserer Seelen!“

Der Auserkorene? Glaubten sie ihm nicht? Er konnte es selbst nicht recht glauben. Warum ausgerechnet er und warum jetzt? Er wollte doch nur ihre Worte befolgen, mehr nicht. Dennoch fragte er sich, warum ausgerechnet er?

Es waren gute, tapfere Männer, die dort oben ihr Leben riskierten, die ihn voller Stolz und Zuversicht mitgenommen hatten. Sie senkten sogar den Preis, weil sie glaubten mit einem Gesandten an Bord, ständen ihnen die Götter bei. Doch sie hatten sich geirrt. Das Land, welches sie zu erreichen suchten, wurde von einem Fluch heimgesucht. Schenkte er Weyas Worten Glaube, wüteten Geister, Untote und die fürchterlichsten Bestien in ganz Tagalan. In eben dieses von Dunkelheit verzehrte Land, war es seine Aufgabe, das Licht zurückbringen. Das waren die Worte Weyas. Es war zu erwarten, dass die dunklen Mächte es nicht achtlos hinnahmen, doch waren es nicht die Seemänner die ihren Zorn verdienten.

„Weya steh uns bei“, flehte er.

Schwankend begab er sich ans Deck. Das Meer schlug ihm ins Gesicht. Es schmeckte salzig. Er rieb sich die brennende Lake aus den Augen, sah, wie eine der Wellen einen der Männer über Bord riss.

„Steh nicht rum und glotze, Junge!“, schrie ihn jemand an. „Schnapp dir ein Seil und hilf, die Segel einzuholen!“

Der Matrose neben ihm griff nach einem der Taue, der Wind drehte und zog ihn ruckartig aufwärts. Hoch oben verlor er den Halt, klatschte wenige Augenblicke später kopfüber in die tosende See.

Er wusste, er hätte das Seil aufheben sollen, nicht der Junge. Wieder schlug ihm die Lake ins Gesicht. Seine Augen brannten wie Feuer.

Donnernd krachte einer der Blitze ins Holz, setzte den Mast in Brand. Teile des Schiffes stürzten ins Wasser.

Dann fasste er einen Entschluss.

Er schwankte ans andere Ende des Schiffes, reckte beide Arme gen Himmel. „Dämonen der Meere“, schrie er mit aller Kraft der tosenden See entgegen. „Ausgeburten der Tiefe, Schrecken des Meeres! Ich bin es, den ihr wollt! Nehmt mich und verschont diese Männer!“

Wieder schlug ihm die Lake ins Gesicht.

Er setzte für den Sprung an. „Möge Weya meiner Seele gnädig sein!“

Gierig verschlangen ihn die Wellen, drückten Phil hinab in die Tiefe. Es war Dunkel und es herrschte Finsternis. Schatten mit rotglühenden Augen zerrten an ihm. Ihr Griff war fest und eisern. Die Luft wich aus seinen Lungen.

Dann verlor er das Bewusstsein. Die Dunkelheit löste sich in helles Licht auf.

Kerzenlicht blendete seine geschwächten Augen. Seine Lunge brannte wie Feuer, bei dem Versuch Luft zu holen.

Er hustete.

„Ah, du bist wach“, vernahm er eine gedämpfte Stimme. Sie entsprang einer Krähe, die neben seinem Bett stand. Dann rieb er sich die Augen und sah erneut hin.

Es war ein in Schwarz gehüllter Mann mit spitzem Hut, der eine Pestmaske zu tragen schien.

„Wo bin ich?“, fragte er. Sein Hals kratzte beim Versuch zu sprechen.

„In Sicherheit. Zumindest fürs Erste…“, entgegnete der Mann.

„Wo ist der Kapitän? Haben wir den Sturm überstanden?“

„Es gibt hier keinen Sturm. Nur den Tod. Für jeden von uns.“

„Sind sie…?“ Er war gefangen, zwischen der Welt der Lebenden und der Toten. Der Mann mit der Krähenmaske musste der Tod selbst sein oder einer seiner Diener, der gekommen war, um ihn zu holen.

Doch der Mann streifte ihm beruhigend über den Kopf. „Ich weiß nicht, wovon du redest, aber du solltest dich ausruhen.“

„Haben wir Tagalan erreicht?“

„Tagalan?“ Der Mann lachte. „Tagalan ist groß. Du musst eine sehr lange Reise hinter dir haben, wenn du so etwas fragst.“ Er hörte seine Lunge ab, ehe er weitersprach. „Du bist in Zweikiel, eine Hafenstadt im Westen von Tagalan.“

„Dann haben wir es geschafft.“

„Ich weiß nicht, wen du mit wir meinst“, sagte der Mann. „Außer dir ist niemand in der Stadt eingetroffen. Du hattest Glück, dass dich die Fischer gefunden haben. Sehr viel Glück. Doch um hier zu überleben, benötigst du noch viel mehr davon.“ Er tippte sich an die Nase. „Keine Sorge, ich bin nicht krank. Jedenfalls noch nicht. Es ist reine Vorsichtsmaßnahme. Wem nutzt ein Arzt, der sich mit der schwarzen Seuche infiziert hat, nicht wahr?“

Er holte einen Teller Suppe vom Schrank. „Es sind schwere Zeiten. Wer nicht erkrankt, wird verrückt oder von Bestien zerrissen. Das Elend ist groß und ich nur ein einfacher Mann.“

Er reichte ihm den Löffel. „Ich will ehrlich zu dir sein… Hätte ich nicht gesehen, wie wohlhabend du bist, hätte ich dich nicht aufgenommen. Wer interessiert sich für einen sterbenden Mann aus dem Meer, wenn man alltäglich nichts anderes als den Tod sieht?“

„Darum bin ich nach Tagalan gekommen. Weya sandte mich, den Leuten neue Hoffnung zu schenken.“

Der Mann lachte. „Pah! Du hast dir den Kopf gestoßen, mehr nicht. Und nun iss.“

Er verabschiedete sich, blieb dann stehen und drehte sich um. „Wie ist dein Name?“

„Phil. Nenn mich einfach Phil.“

„Also gut, Phil. Ich hoffe, du magst Ingwer. Er wird helfen, deinen Magen zu beruhigen. Ich muss nach den anderen sehen.“

Qualvolle Schreie rissen ihn aus dem Schlaf. Er sah sich um. Er war allein in der Kammer.

Wieder schrie jemand. Es schien vom Zimmer nebenan zu kommen.

Phil stand auf, nahm seine Kleider vom Stuhl und zog sie an. Zufrieden stellte er fest, dass nichts fehlte. Es brachte Unglück, einen Pfaffen auszurauben. Andernfalls war er sich sicher, hätten sie alles genommen. Sein Gebetsbuch, den Mörser, die Verbände und vor allem das Gold.

Er folgte den Schreien über dem Flur bis ins Nachbarzimmer. Anfangs ließen ihn seine Beine im Stich, doch sie gewöhnten sich rasch an sein geringes Gewicht.

Die Tür stand offen, er lugte vorsichtig hinein.

Auf dem Bett wandte sich eine Frau hin und her. Man hatte sie gefesselt, vermutlich damit sie nicht hinausfiel.

Sie schrie. Ungewöhnlich tief für eine Frau wie sie.

Mit aller Kraft versuchte sie, ihre Fesseln zu sprengen.

Als er näher an sie herantrat, riss sie die Augen auf. Sie glühten rot, spürten seine Anwesenheit, drohten ihn zu durchbohren. Eine merkwürdige Aura umgab sie. Schatten flimmerten um sie herum.

Dieser Blick, es war keine Seuche, die die Frau heimsuchte. Es war ein Dämon, der sich in ihr eingenistet hatte.

Seine Brüder im Tempel hatten ihm Geschichten über Dämonen erzählt, die sich in den Verstand der Menschen niederließen. Sie veränderten sie, machten sie krank, gebrechlich, erdrückten sie oder forderten von ihnen Dinge, die sie niemals tun würden.

Er musste das Band von ihr lösen.

Seine Hand streifte über ihre Stirn, sie glühte.

„Was hast du hier drin zu suchen?“, ertönte eine Stimme hinter ihm. Wie aus dem Nichts stand der Arzt in der Tür und ließ eine Schüssel mit Suppe fallen. „Raus mit dir!“

„Du verstehst nicht, ich kann ihr helfen.“

„Niemand kann das.“

„Sie ist besessen. Sie benötigt göttlichen Beistand.“

„Pah! Wusste ich es doch... Ich habe die Schnauze voll von euch Pfaffen. Zum letzten Mal: Raus hier!“

„Vertrau mir, ich benötige nur ein wenig Weihwasser.“

„Glaubst du allen Ernstes, ich hätte das nicht bereits versucht? Mein halbes Vermögen habe ich an euch Pfaffen ausgegeben. Sie wäre alles wert. Doch nichts hat geholfen, es hat nur die Reichen noch reicher gemacht.“

„Ich will kein Geld. Ich will ihr nur helfen“, entgegnete Phil. „Lass es mich in Weyas Namen versuchen.“

„Pah! Mir gleich wie eure Kreationen heißen. Nur die Lebenden können den Lebenden helfen.“

„Dann lass es mich als ein solcher versuchen…“

Der Arzt sah ihm tief in die Augen, es gab nichts Falsches darin, keinen Vorwand, keine Gier. „Tu, was du nicht lassen kannst, aber dann verschwinde.“

Er nahm eine kleine Phiole mit Wasser aus seinem Beutel. Es zischte, als es auf ihre Stirn tropfte. Sie schrie, krümmte sich vor Schmerzen.

„Das reicht! Weg von ihr!“

Es wirkte nicht. Das Glühen blieb in den Augen. Irgendetwas machte er falsch. „Weya, ich bitte dich“, flehte er. „Steh ihr bei!“

„Ich habe dir gesagt, niemand kann ihr helfen.“

Er dachte kurz nach, ehe er sprach: „Lass es mich mit einem stillen Gebet versuchen…“

„Du hast schon genug getan! Du gehst jetzt!“

Stumm bewegten sich seine Lippen. Seine lautlose Stimme übertönte ihre Schreie, brachte sie zum Schweigen. Der Arzt zerrte ihn von seiner Frau weg. Die Kerzen im Zimmer erloschen. „Was geht hier vor?“

Inmitten der Dunkelheit sprach er weiter. Er spürte, dass sie ihm Beistand. Er wusste, er würde es schaffen.

Die Kerzen entzündeten sich wieder. Und sie konnten sie ansehen.

Und sie sahen sie an.

Sie sahen den leblosen Körper und, dass ihr Geist sie verlassen hatte.

Dem Offensichtlichen trotzend hörte er die Lunge seiner Frau ab, ließ dann den Kopf auf sie sinken. „Du solltest gehen“, sagte er nach einer Weile.

Es hätte funktionieren müssen. Sie war da, das hatte er gespürt. Sie wollte, dass er nach Tagalan kam. Sie wollte, dass er die Lebenden rettete. Sie wollte, dass er allem Leid ein Ende setzte. Warum hatte es dann nicht funktioniert?

Ausgestoßen und ohne die leiseste Ahnung wohin er gehen sollte, schritt er durch den Hafen von Zweikiel. Den Geruch von faulem Fisch und die Lobpreisungen der Marktschreier nahm er kaum wahr. Er wollte es unbedingt wissen.

Geistesabwesend rempelte er einen Zwerg an, der ein paar Fässer auf ein Schiff rollte. „Heh! Mach die Augen auf, Schwätzer!“, beschimpfte er ihn.

Er entschuldigte sich, fand sich inmitten des Wochenmarktes wieder. Jetzt erst nahm er den strengen Geruch der Stadt wahr. Eine Mischung aus altem Fisch und schmutzigem Abwasser. Ein wenig Meersalz und eine bunte Gewürzmischung von einem der Marktstände.

Die meisten Leute marschierten an den Ständen vorbei. Nur selten öffnete jemand seinen Beutel. Vermutlich, weil sie kaum etwas besaßen, das von Wert war.

Die Bürger trugen zerlumpte Kleidung in tristen abgewaschenen Farben, ließen den Blick über den Boden schweifen.

Alles wirkte so grau, so trübselig, so lustlos. Es gab keinerlei Gemeinsamkeit zu seiner Heimat. In Sacre, da blühte das Leben. Man sang, scherzte und lachte auf den Straßen. An den Ständen durfte verkostet werden, so viel man wollte. Hier wurden Bürger ermahnt, wenn sie einen Apfel nur ansahen, ohne ihn zu bezahlen.

In Sacre sangen die Barden von wunderschönen Prinzessinnen und Rittern, die Drachen erschlugen. Manche priesen die Götter oder liebkosten mit ihren Worten die Jahreszeit. Doch hier in Zweikiel war das anders. Er hörte, wie ein Barde von verschollenen Händlern und grausigen Bestien mit scharfen Klauen sang. Es klang düster, finster, mutlos. Die Reime klangen schief.

Menschen krümmten sich wehklagend und hustend in den Seitengassen. Passanten ignorierten sie. Sie waren ansteckend.

Während er sich umsah, schnitt ihm ein Elf den Weg ab und stieß ihn zur Seite. „Aus dem Weg, Mensch!“, rief er.

Er entschuldigte sich, er habe nicht auf seine Schritte geachtet, doch der Elf war bereits wieder verschwunden.

Er sah so viele schlechte Dinge. Er hätte sie am liebsten gleich alle behoben. Doch wie und wo sollte er anfangen? Er warf einem der Bettler ein paar Goldstücke zu. Der Alte schien es nicht recht zu verstehen und nickte abwesend.

„Wir brauchen noch einen Gesegneten“, vernahm er eine Stimme unweit von ihm. „Jemanden, der sich ein wenig mit Heilung auskennt und unter dem Schutz der Götter steht.“

Er tat, als habe er es nicht gehört und ging weiter. Er war kein Gesegneter, kein Heiliger. Er hatte die Matrosen verloren, der Frau des Arztes nicht helfen können. Er brachte den Menschen um ihn herum mehr Unglück als Glück. Das unbekannte Land Tagalan war nicht ganz betreten, da begann er an den Worten Weyas zu zweifeln. Wem sollte er so nutzen?

Jemand fasste ihm auf die Schulter. Es war ein fester, entschlossener Griff. Er blieb stehen. „Du mitkommen?“, sagte ein kräftiger Mann in einem Wolfspelz zu ihm. Die Axt auf seinem Rücken blitzte auf.

Er entschuldigte sich, dachte, er habe ihn angerempelt und wollte weiter.

Doch der Mann sagte: „Du Gold bekommen.“

Ein schmächtiger Mann in leichter Robe kam ihm zu Hilfe. „Ihr seht wie ein Mann des Glaubens aus“, sprach er. „Genau das, wonach wir suchen. Die Bezahlung ist gut, macht Euch keine Sorgen.“

Er sah in das grinsende Gesicht und erwiderte: „Ich bin nicht auf der Suche nach Gold.“

„Nicht?“, wunderte sich der Mann. „Aber Ihr seht in Euren Gewändern aus wie ein Priester.“

„Genau deswegen lehne ich das Gold ab.“

Der Mann lachte. „Ah, so einer seid Ihr also. Nun, dann erlaubt mir, mich vorzustellen. Mein Name ist Tharael. Ich kam in diese Stadt, weil ich auf der Suche nach kräftigen Männern bin.“ Tharael sah ihn an und musste grinsen, ehe er fortfuhr. „Und jemandem wie Euch… Jedenfalls suche ich Leute, die bereit sind, mir zu helfen.“

„Ich bin nur ein einfacher Mann, wie könnte jemand wie ich eine Hilfe sein?“

„Ihr seid nicht aus Tagalan, nicht wahr?“

„Ist das so offensichtlich?“

„Ihr stellt zu viele Fragen, als dass Ihr es sein könntet. Sicher habt Ihr davon gehört, dass das Land verflucht ist und von Dämonen heimgesucht wird.“

„Darum bin ich hier.“

„Hoho, dann haben wir etwas gemeinsam. Wie Ihr sicher bemerkt habt, bin ich ein Gelehrter. In gewisser Weise so, wie Ihr einer zu sein scheint. Nur, dass ich mich den Zauberformeln anstelle der Götter verschrieben habe.“

„Jetzt wollt Ihr mir erklären, dass Magie helfen kann, wo der Glaube versagt?“

„In gewisser Weise ja. Es gibt dort draußen mächtige Zauber, mit unvorstellbarer Kraft. So mächtig, dass sie mit nur einem Fingerschnippen das Land erlösen können.“

„Und das soll ich glauben?“

Der Zauberer lachte. „Solche Worte von einem wie Euch…“

„Reden nicht bringen Gold“, meldete sich der Axtträger.

„Das ist übrigens Tjork. Ein Mann mit einfachem Verstand, aber einem Nacken wie ein Ochse. Und unter uns, für ein bisschen Gold scheint er alles zu tun.“

„Der klassische Barbar…“

„Wohl wahr. Aber Recht hat er. Was bringt es uns, wenn wir nur hier stehen und reden. Seid Ihr dabei, wenn es darum geht Tagalan zu retten?“

Phil dachte kurz nach, ehe er antwortete. „Vielleicht ist es kein Zufall, Euch hier anzutreffen. Ihr habt Recht, ich bin nicht aus Tagalan und doch bin ich hier, um das Land von allem Bösen zu befreien.“

„Dann ist das ein ja? Herr…?“

„Nennt mich Phil. Einfach nur Phil.“

„Gut, Phil. Ich besorge uns noch etwas Proviant und dann brechen wir auf. Wir sollten nach Nordosten. Kauf noch etwas ein, wenn du noch etwas brauchst. Aber vergiss dein Wasser oder was auch immer du brauchst nicht. Wir werden es brauchen, glaub mir.“

Außerhalb der Stadt, direkt in der freien Natur, konnte es nur besser sein. Die Natur war wild und voller Überraschungen. Wenn die Frühlingssonne auf die Wiesen fiel und man das Gras riechen konnte, dann war es ein wenig wie in Sacre. Er mochte lange Spaziergänge und vor allem die Botengänge für den Tempel. Am liebsten bestritt er Feldwege, umgeben von Weizen. Nicht zuletzt, weil in dem goldenen Getreide die Liebe Weyas keimte. Man konnte über vieles nachdenken, sich zurückziehen und zugleich ihre Schöpfung bewundern. Es war nicht verwunderlich, dass sie ihm inmitten eines Feldes erschien und zu ihm gesprochen hatte. Er hielt es für leichter. Zumindest hatte er jemanden getroffen, der ihm Hoffnung schenkte. Bald würde der beißende Geruch des Hafens seine Nase verlassen haben.

Er sah zurück. Menschen reihten sich am Tor, warteten darauf, von einer der Wachen abgetastet zu werden.

„Sie müssen vorsichtig sein“, erklärte Tharael, als er seinen Blick sah. „Hier draußen gibt es Vampire, Seuchen und anderes Ungeziefer. Sie müssen streng sein, wenn sie die Bewohner davor schützen wollen.“

„Wir gehen nach Nordosten?“, fragte er.

„Im Dreispitzgebirge gibt es eine alte Zwergenmine. Gerüchten zur Folge sind die kleinen Krabbler dort auf etwas gestoßen.“

„Gerüchten zur Folge…“

„Ich sehe, wir verstehen uns.“

„Tjork will hauen! Gehen durch Wald.“ Er sah den Barbaren an, der ungeduldig seine Axt hin und herschwenkte.

„Was unser Freund damit sagen will, wenn wir der Straße folgen, sind wir sicherer. Auch wenn das nicht sicher bedeutet. Wegelagerer, Banditen und das übliche Gesocks könnten uns dort erwarten. Der Weg durch den Wald hingegen schenkt uns ganze zwei Tagesmärsche. Birgt aber gewisse Nachteile…“

„Die da wären?“

Der Zauberer winkte ab. „Ach, nur das Übliche. Ein paar irre Waldnixen und ein tobender Waldgeist. Also nichts, dem ein bisschen Magie und ein Barbar in Ekstase nicht gewachsen wäre.“

„Dann wäre ich doch lieber für die Straße.“

Der Barbar rannte wie von der Wespe gestochen los. Tharael folgte ihm mit kleinen Schritten, drehte sich um und sagte: „Sieht aus, als hätte er sich entschieden.“

Der Wald duftete, wie man es erwartete. Die Blätter waren saftig grün und das Gras angenehm weich. Kaum zu glauben, dass in einer solchen Idylle Gefahr lauern würde.

Er sah sich um. Irgendetwas fehlte. Etwas, das dazu gehörte.

„Hast du Angst?“, fragte ihn Tharael.

Er strich sich durch das dünner werdende Haar. Dann fiel es ihm ein. Es gab keine Vögel, kein Zwitschern, kein Summen. Eigentlich gab es nichts.

„Die Nixen spüren Angst, du solltest sie verbergen.“

„Tjork hauen!“, pflichtete der Barbar bei.

Er sah zu dem Barbaren rüber, dann aber wieder zurück. „Die Sache mit den Nixen verstehe ich noch nicht ganz. Ich kenne Waldnixen, dort wo ich herkomme, sind sie hilfsbereit, singen und tanzen gerne. Heißen jeden in ihren Wäldern willkommen.“

„Sacre… Ich kenne keinen Lebenden, der eine derart weite Reise hinter sich hat“, entgegnete Tharael. „Man sagt, kein Schiff der Welt kann den Horizont überschreiten. Der Fluch schirme das Land ab. Ein Wunder, dass du es überhaupt herschaffen konntest. Aber du solltest unbedingt lernen umzudenken, sonst wirst du in Tagalan nicht sehr lange leben.“

„Es fehlt mir jetzt schon. Tagalan scheint in jeder Hinsicht ganz anders zu sein …“

„Tagalan ist ganz anders“, unterbrach ihn der Zauberer. „Die Nixen hier waren einst wie die, von denen du erzählst. Doch sie haben sich verändert. Man sagt, die Menschen seien schuld daran. Sie haben ihnen nie genug gedankt und als die ersten Nixen unter unerwiderten Liebschaften geboren wurden, legten sie ihren Garn beiseite und wandten sich von denen ab, die sie einst liebten und schworen Hass auf alles Sterbliche.“

„Und du glaubst diese Geschichte?“

Tharael lachte. „Du lernst es nie.“ Seine Miene wurde wieder ernster. „Ob sie stimmt oder nicht, es ändert nichts daran, dass sie uns belauern.“

„Tjork Ohren!“ Der Barbar nahm seine Axt vom Rücken und hielt sie beidhändig vor sich.

„Was hat er?“

„Pssst. Hörst du nicht diese Melodie? Sie scheinen nicht weit von hier zu sein.“

„Die Melodie ist viel trauriger als die, die ich kenne.“

„So trommeln und singen sie, wenn sie jemanden hinrichten. Wir sollten weitergehen.“

„Nein, wir müssen sie retten!“

Der Barbar rannte wie gestochen los. Die beiden sahen sich kurz an, ehe sie ihm folgten.

Sie sprangen über Büsche und Gräser, bis sie eine Lichtung erreichten, in der eine Schar Frauen in schwarzen Gewändern und mit roten Rosen geschmückt um ein Feuer tanzten und sangen. Zwei Elfen unterschiedlicher Größe waren an einen Scheiterhaufen zwischen ihnen gebunden. Sie riefen um Hilfe.

Aus dem Schwung heraus schlug der Barbar eine der Nixen nieder, ehe sie reagieren konnte.

Die übrigen Nixen wurden aus ihrer Trance gerissen, fletschten die Zähne und wetzten die Krallen. Noch nie hatte er Nixen gesehen, die derart bestialisch aussahen.

Er sah, wie sich eine von ihnen auf den Barbaren stürzte und warnte ihn. Augenblicklich drehte er sich um und schlug die heranschwebende Nixe nieder. In derselben Drehung traf er eine Weitere, die sich von hinten anschlich.

Scharfe Krallen bohrten sich tief in seine Schulter und zerrten an ihm. Spitze Reißzähne machten sich bereit sich in sein Fleisch zu verbeißen. Doch dann zuckte die Nixe und fiel zu Boden. Hinter ihr erblickte er Tharael, der zufrieden nickte.

„Kannst du mit deiner Magie die Flammen löschen?“, fragte er ihn.

„Ha. Ein Kinderspiel.“ Tharael wirbelte mit seinen Händen einen kleinen Luftzug herbei. Die Flammen neigten sich zur Seite, das Holz flimmerte. Schnell machte er sich daran die Fesseln zu lösen. Er hatte die kleine Elfin befreit, da sah er in seinen Augenwinkeln, wie sich der Zauberer an den Kopf fasste und zusammensackte. Augenblick schlugen die Flammen zurück. „Bei Weya!“, entfuhr es ihm. Er warf sich über die Kleine und schützte sie vor dem Feuer. Seine Kutte versengte ein wenig. „Wir müssen springen!“ Er fasste sie fest an der Hand und zog sie mit sich.

„Alles in Ordnung?“, fragte er, nachdem sie sicher gelandet waren.

„Nichts ist in Ordnung und nichts wird es je sein“, schnippte die kleine Elfin.

„Nevina!“, herrschte sie die größere Elfin an. „Sei etwas freundlicher zu ihm. Er hat uns das Leben gerettet.“

„Es war nur die Wahrheit, mehr nicht“, stammelte Nevina.

„Ich danke dir“, richtete sie sich an ihn. „Leider haben wir nichts, was wir dir anbieten könnten.“

„Wir haben nur noch eine Sache, die war noch verlieren können und das werden wir auch. Eines Tages.“

„Sei endlich still! Wegen dir sind wir in diese Lage überhaupt erst geraten. Du solltest Ausschau halten, während ich schlief, nicht herumdösen!“

Nevina verschränkte die Arme. „Wer bereits schläft, wenn er kommt, der verjagt ihn nicht mit seinem Geschrei.“

Wie aus dem nichts gesellte sich Tharael zu ihnen. „Geht es dir gut?“, fragte er ihn. „Es sah aus, als hättest du dich überanstrengt.“

„Niemals!“, entgegnete er und wandte sich strahlend an die Elfin. „Meine Magie hat euch gerettet.“

„Sie hätte uns fast umgebracht!“, fluchte sie.

„Man kann ihm nicht entkommen“, flüsterte Nevina.

„Fang nicht wieder so an!“

„Mein Name ist Phil“, fiel er den beiden ins Wort. „Dankt nicht uns, dankt lieber Weya, dass sie uns hergeführt hat.“

„Penele“, stellte sich die Elfin vor. „Und die kleine Göre hier ist meine Schwester Nevina.“

„Warum sind Elfen wie Ihr alleine in diesen Wäldern unterwegs?“, fragte Tharael.

„Wir sind Erfs“, sagte sie.

„Erfs?“, wunderte er sich. „Leben die nicht im Osten von Tagalan? Ihr habt eine ziemlich weite Reise hinter euch.“

„Und doch haben wir nicht gefunden, was wir suchten…“

„Es ist egal, was man sucht, am Ende findet jeder dasselbe.“

„Nevina! Entschuldigt sie. Sie ist so… eigenartig geworden.“

„Verstehe“, entgegnete Tharael nüchtern.

„Wenn ich Vater gerächt habe, wird sie wieder zur Vernunft kommen! Das weiß ich!“ Die Elfin ballte eine Faust bei den Worten. „Ich werde ihn mit eigenen Händen in Stücke zerreißen! Er soll einen qualvollen Tod sterben!“

Phil sah, wie sich der Barbar über eine der Nixen beugte. „Was macht er da?“, fragte er.

„Er durchsucht sie nach Wertgegenständen“, erklärte Tharael. „Er denkt sicher, sie haben noch etwas von ihren früheren Belohnungen oder etwas in der Art.“

Phil kniete sich neben eine der Leichen.

„Machst du es ihm bereits nach?“

„Nein“, sagte er. „Ich spreche Weyas Segen für sie aus. Möge sie ihre Seelen zurück ins Licht führen.“

„Tu, was immer du nicht lassen kannst. Doch beeile dich. Wir sollten hier nicht lange verbleiben.“

Er betrachtete ihr langes blondes Haar und erntete dafür einen schrägen Blick von ihr. Sie sah aus, wie eine gewöhnliche Elfe, rein, makellos und auf eine elfische Art erhaben. Irgendetwas schien an ihr anders zu sein.

Penele war eine Waldelfe, wie sie ihm erzählte. Sie konnte Spuren lesen, wie Gelehrte in Büchern lesen, doch was in den Köpfen der Nixen vorging, konnte sie nicht sehen. Und doch konnte sie eine gewisse Wut in den Nixen nachvollziehen.

Er sah zu der kleinen Nevina herüber. Sie war ein gutes Stück kleiner als ihre Schwester, hatte pechschwarzes Haar und trug dunkle Kleidung. Sie wirkte auf keine Art und Weise wie eine Elfe. Ihre Bewegungen waren träge, nicht elegant, der Kopf gesenkt, statt leicht angehoben. Das Strahlen im Gesicht fehlte, sie wirkte eher lustlos, schlürfte mit den Füßen über dem Boden.

„War sie dabei?“, fragte er die Elfin.

„Ja“, entgegnete sie. „Ich wünschte, sie wäre es nicht gewesen...“

„Es muss furchtbar gewesen sein.“

„Das war es auch…“

„Habt ihr sie gesehen? Waren es Berserker?“

„Nein, Dämonen“, sagte sie. „Wir waren gerade gemeinsam auf der Jagd, ich wollte ihr den Umgang mit dem Bogen beibringen, als wir den Rauch sahen. Sie brannten alles nieder!“ Ihr Blick wurde eisern. „Wir rannten nach Hause, so schnell wir konnten. Wir hätten es besser nicht getan…. Ich werde nie vergessen, was ich gesehen habe!“ Ihre Fäuste zitterten. „Ihr Anführer reckte den Leichnam meines Vaters triumphierend den Anderen entgegen und lachte. Ich höre ihn noch immer!“ Sie presste die Zähne zusammen, ehe sie weitersprach. „Ich zog sie in eine Seitengasse, wo wir uns versteckten. Wie die Ratten! Pah! Ich hätte sie niederstrecken sollen, diese Ausgeburt!“

„Du hast dich und deine Schwester gerettet.“

„Gerettet… Wir mussten zu sehen, wie sie jeden Einzelnen, den wir kannten und liebten, grausam zerstückelten!“

„Ihr… Ihr seid also die Einzigen, die…?“

„Sie töteten alles und jeden! Einfach so! Nur Mutter nicht, er nahm sie mit sich! Ich wage mir nicht auszumalen, was er mit ihr anstellt!“

„Denkst du, es hilft, wenn ich mit ihr darüber spreche?“ Er nickte zur Kleinen rüber.

„Das habe ich bereits versucht. Sie reagiert nicht, schaltet einfach ab.“

„Ich werde es trotzdem versuchen.“

Penele warf einen flüchtigen Blick zum Zauberer herüber. „Traust du ihm?“

„Was meinst du?“

„Ich meine, was weißt du über diese Schriftrollen, die er sucht?“

„Nichts“, sagte er. „Aber ich weiß, dass ich generell nicht viel von Magie halte. Dennoch glaube ich, dass Weya mich nach Tagalan sandte, um ihn bei seiner Aufgabe zu begleiten. Für mich gibt es keine Zufälle, verstehst du?“

„Du scheinst sehr viel Vertrauen in deine Göttin zu haben, ich hoffe, du wirst es nicht so schnell verlieren. Tagalan ist ein furchtbares Land. Niemand glaubt hier an die Götter. Ich kann es auch niemanden verdenken, warum sollte es so viel Leid geben, wenn sie wirklich über uns wachen?“

„Es gibt Vieles, das wir nicht verstehen. Vielleicht wird der Tag kommen, an dem sie uns die Augen öffnen und uns ihre Motive offenlegen werden.“

„Ha.“ Sie grinste. „Du denkst wie ein Kind.“ Sie blieb stehen und lauschte. Ein lautes Brüllen ertönte. Es war derart laut und tief, dass es das Laub um sie herum rascheln ließ.

Er sah sie fragend an, sie schien dieses Geräusch zu kennen.

„Er ist hier“, sagte sie. „Der Geist des Waldes sucht nach den Mördern seiner Nixen.“

Etwas Großes näherte sich. Der Boden bebte.

„Lauft!“, rief sie, doch Nevina setzte sich entspannt auf den Boden. „Es ist so weit“, sagte sie. Ehe sie es schafften sie aufzurichten, war es zu spät.

Er sah wie ein riesiges Wildschwein Baumstämme wie Streichhölzer zur Seite drückte. Die Augen rot unterlaufen und die Hauer zum Stoßen bereit, hielt es direkt auf die kleine Elfe zu.

Tharael blieb entschlossen stehen, stellte sich dem Schwein, riss beide Arme gen Himmel und konzentrierte sich.

„Er ist wahnsinnig“, hörte er Penele sagen, dann sah er, wie sich in den Händen des Zauberers ein Feuerball formte.

Er schleuderte die brennende Kugel gegen die Kreatur. Die weißen Symbole auf der Haut glühten auf und ließen den Feuerball achtlos abprallen.

Die Angriffe des Zauberers und des Barbaren machten den Geist des Waldes nur wütender, bis Geifer aus seinem Maul schoss und er den Zauberer samt dem Barbaren durch die Luft wirbelte.

„Bei Weya“, entfuhr es Phil und rannte zu ihnen. Er hatte Glück, Tharael hatte nur das Bewusstsein verloren.

Er spürte einen heißen Atem in seinem Nacken und drehte sich um. Er sah den Zorn und die Wut in den Augen des Geistes. Er sah die Verzweiflung und das Irre darin. Er sah die Lust, sie zu töten. Doch er sah auch, wie sich hinter all den dunklen Nebelschwaden, ein wenig Licht erhob.

Das übergroße Schwein hielt plötzlich inne und bewegte sich nicht, als er ihm sanft über die Wange streifte.

Noch in dem Moment, wo er das borstige Fell berührte, hellten sich die Augen auf. Das hastige schnaufende Atmen wurde langsamer, regelmäßiger. Er spürte es. Er spürte, dass es nicht bloß ein wildes Tier war, sondern ein denkendes Wesen mit Herz und Seele. Und sie waren rein, von Zorn und Begierde geblendet und doch rein. Mit seiner Berührung und dem Licht, das er in sich und dem Geist spürte, wich das Irre aus dem Blick. Die Symbole an seinen Flanken leuchteten.

Er spürte, wie das Licht durch seine Hände direkt in den Verstand des Geistes floss und er hörte eine Stimme tief in seinem Inneren. Eine Stimme, die er kannte. Es war eine sanfte Stimme. Sie war so leise, dass er sie nicht verstehen konnte.

Eine Ewigkeit musste er dort so gestanden haben, bis sich der Geist des Waldes von ihm abwandte und gemäßigt zurück in den Wald schritt.

Wie aus dem Nichts sprang der Barbar mit seiner Axt herbei. „Tjork Fell!“, rief er und sprang los.

Er wollte ihn zurückhalten, doch es war zu spät. Ein unerwarteter Hieb, der Geist des Waldes fiel leblos zu Boden.

Er sank auf die Knie, schüttelte immer wieder den Kopf und musste entsetzt mit ansehen, wie sich der Barbar an Fell und Hauer bediente.

„Er war unschuldig“, stammelte er, als die Elfin sich neben ihn stellte. „Sie hat durch ihn mit mir gesprochen. Ich sollte ihn verstehen, ihn heilen, ihn erlösen, nicht ihn töten…“

Vollgepackt mit Fell und Hauern, schleppte sich der Barbar durch den Wald. Phil ließ ihn nicht aus den Augen.

„Kein Wort“, richtete sich Tharael an die Elfin.

Sie sah ihn fragend an.

„Er spricht kein Wort“, sagte er. „Sehr untypisch für ihn.“

„Ach, meine Schwester auch nicht. Darüber zerbreche ich mir schon lange nicht mehr den Kopf.“

„Du sagtest, er habe den Geist gezähmt?“, wunderte sich der Zauberer.

„Ich weiß nicht, was er da getan hat. Ich habe nur gesehen, wie der Geist des Waldes einfach kehrtmachte, nach dem er ihn berührt hatte.“

Tharael grinste. „Ob er auch ein wenig Magie in sich trägt?“

„Du bist der schwächste Zauberer, dem ich je begegnet bin.“

„Was?!“

„Wo hast du deine Magie studiert?“

Er wirkte verlegen. „Ich habe an keiner offiziellen Universität studiert, aber das ist auch nicht wichtig.“

„Aha“, machte sie nur.

„Ein Selbststudium ist ein Werk aus Eifer und erfordert viel Disziplin. Alles, was ich weiß, habe ich mir selbst angelesen.“

„Dann kennst du auch die Risiken?“

„Du meinst das Risiko, der Beste zu sein und alle seine Freunde zu verlieren? Dem bin ich mir bewusst und bereit es darauf ankommen zu lassen.“

„Hör dich nur an. Selbst ich kenne die Gefahren die in Magie lauern.“

„Und du scheinst daran zu glauben“, sagte er. „Ich jedoch nicht. Weil es sie nicht gibt.“

„Und du willst Tagalan retten?“, fragte sie. „Du kommst mir nicht nur so vor, du bist jemand, der keine Ahnung hat, worauf er sich einlässt. Menschen wie dich gibt es wie Sand am Meer. Könnte nur einer von ihnen den Fluch brechen, hätte es schon längst jemand getan.“

„Glaub mir, einen wie mich gibt es kein zweites Mal!“

Der erste Tag auf Tagalan neigte sich dem Ende zu und noch hatten sie ihr Ziel nicht erreicht.

Das Feuer knisterte und wärmte ihn. Das Brot aus Zweikiel schmeckte eigenartig. Man konnte den rohen Teig schmecken. Stumm hielt er ein Stück über die Flamme. Er spürte, wie ihn jemand beobachtete.

„Er frisst wie ein Schwein, nicht wahr?“, sagte Tharael und nickte in Richtung des Barbaren.

Phil sah zum Barbaren herüber. „Er hätte ihn nicht töten sollen.“

„Was genau ist da in dem Wald mit dir und diesem Schwein passiert?“

„Ich weiß es nicht“, sagte er. „Es war… plötzlich alles so klar und deutlich. Der Geist des Waldes war unschuldig, das weiß ich. Sein Verstand war rein, nur ein wenig besudelt. Er war wütend, weil wir die Nixen vernichtet haben, aber es war nicht das, was er wollte.“

„Du meinst uns zu töten? Für mich sah es aber ganz danach aus.“

„Er war verzweifelt, mehr nicht.“

„Phil… Viele sind Unschuldig. Aber nur bis sie es nicht mehr sind. Verstehst du?“

„Du musst mir nicht erklären, was das bedeutet.“

„Du verstehst nicht. In Tagalan ist es anders. Der Fluch kann jeden treffen. Wenn er erst einmal Besitz von einem ergriffen hat, ist man verloren. Verdorben, verstehst du?“

„Wenn alles so aussichtslos ist, warum sind wir dann hier?“

Der Zauberer grinste. „Könntest du deinen Verstand ausschalten, während ich versuche, dich zu trösten? Dagegen kommt ja nichts an.“ Sein Ausdruck wurde wieder ernst, als er sah, dass sein Gegenüber keine Miene verzog. „Du solltest dich ausruhen. Penele und ich übernehmen die erste Wache.“ Er wollte sich abwenden. „Ach und nimm es ihm nicht übel. Er ist nur ein Barbar.“

„Wenn er nur ein Barbar ist, warum ist er dann hier?“

„Weil ich ihn und seine Stärke brauche. Zumindest solange ich noch zu schwach bin.“

Wind brach auf, Blitze zuckten und Wellen schlugen gegen das Schiff. Männer schrien um ihr Leben, stürzten ins Meer und ertranken. Das Schiff zerbrach, dann fiel auch er in das eiskalte Wasser. Er sah die roten Augen auf dem Meeresgrund, wie sie nach ihm gafften. Sie griffen, zerrten und rissen an ihm. Unter ihnen sah er ein riesiges Schwein, das er als Geist des Waldes kannte. Sein wütend schnaubender Blick wurde zu einem klaren grünen paar Augen, die ihn hilflos und vorwurfsvoll ansahen. Unter ihm tat sich der Boden auf, das Wasser verschwand und er fiel. Er stürzte inmitten der endlosen Finsternis. Kein Boden war in Sicht.

Er wachte auf.

Seine Kleidung war nass gebadet vom Schweiß, Perlen sammelten sich auf seiner Stirn. Sein Atem war hastig, das Herz schlug schnell.

Er sah irgendwohin, ohne etwas zu sehen. Dann begriff er, es war nur ein Traum. Beruhigt lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Ein leises Wimmern drang in seine Ohren. Er richtete sich auf, folgte den Lauten. Ein schwarzes Flackern umschloss die kleine Elfe. Es war wie ein Schleier aus Schmerz und Qual, in den sie sich bettete. Er wusste, was es war und er wusste, was er zu tun hatte. Er musste sich beeilen, ehe die Kleine darunter im Schlaf erstickte.

Er eilte zu Penele, schüttelte sie wach und forderte sie auf, ihr zu helfen. „Ein Nachtalb“, erklärte er, mehr musste er nicht sagen, ehe sie verstand.

Sie nahm ihren Dolch zur Hand und kniete sich vor ihre Schwester. „Verfluchte Kreatur“, fluchte sie. „Ich werde dir die Kehle aufschneiden!“

„Wir müssen uns beeilen, ehe er sie erdrückt“, mahnte er sie zur Vernunft.

Sie presste ihre Hand derart fest um den Dolch, dass sie zitterte vor Spannung.

„Er wird versuchen, mein Gebet zu unterbrechen“, erklärte er knapp. „Du musst schnell sein.“

„Maul nicht, mach!“, herrschte sie ihn an. Anspannung und Wut verzerrten das Gesicht der Elfin. Sicher, Nevina schwebte in Gefahr, aber ... Egal er musste handeln.

Die Seite in seinem kleinen braunen Buch, welches er sich geschwind aus der Tasche zog, öffnete sich von selbst. Kniend und mit einer gewissen Unsicherheit, las er die Worte einer längst vergangenen Sprache vor. Es musste funktionieren, dieses Mal musste es das.

Seine Hände wurden warm. Licht umhüllte die Seiten des Buches, umschloss es, strahlte aus und suchte sich seinen Weg durch die dunklen Schwaden, die die kleine Elfe umhüllten. Dann legte es sich sanft auf ihren Körper und breitete sich auf ihr längst nach aus. Ihr Jauchzen verstummte. Sie entspannte sich unter dem liebkosenden Licht.

Er sah es, er fühlte es, riss sich zusammen und betete unaufhaltsam weiter.

Die dunklen Schwaden sammelten sich, setzten sich über ihr zusammen, bis sie zu einer kleinen gehörnten Kreatur auf ihrem Oberkörper wurden. Ein pummeliges geschupptes Wesen mit roten Augen, kugelrund, vollgefressen an der Furcht der kleinen Elfin, sah auf und fauchte sie an.

Penele drängte sich zwischen die Kreatur und den Gesandten. Sie stach zu. Unter einem grässlichen Schrei erlosch das Glühen aus den Augen des Nachtalbs und er erschlaffte. Die Schwaden verschwanden und mit ihnen bettete sich das Licht zur Ruhe.