Chefarzt Dr. Holl 1779 - Katrin Kastell - E-Book

Chefarzt Dr. Holl 1779 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Schon seit längerer Zeit leidet die junge Anwältin Johanna Mosbach unter starken Schmerzen und ständiger Übelkeit. Eines Tages bricht sie mitten im Gerichtssaal zusammen. Erst in der Berling-Klinik erwacht sie aus ihrer Bewusstlosigkeit. Es sind umfangreiche Untersuchungen notwendig, bis der Grund für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen gefunden ist. In der Nebenschilddrüse hat sich ein Tumor gebildet, der schnellstens entfernt werden muss. Natürlich hat Johanna Angst vor der Operation, aber Chefarzt Dr. Stefan Holl und Dr. Simon Kramer kümmern sich rührend um ihre Patientin und versuchen, ihr die Angst zu nehmen. Sie versichern ihr, dass sie wieder ganz gesund wird und nach der Entfernung des Tumors ein normales Leben führen kann.

Was die Ärzte nicht ahnen: Es ist nicht nur die Angst vor der Operation, die Johanna Mosbach quält. Sie spürt auch eine entsetzliche Leere, und ihr wird schlagartig bewusst, dass sie nicht länger mit der Lüge leben kann, die sie seit drei Jahren mit sich herumträgt ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Seine tapfere Schmerzpatientin

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/Poznyakov

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2664-2_front.jpg

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Seine tapfere Schmerzpatientin

Dr. Holl gab ihr die Hoffnung zurück

Von Katrin Kastell

Schon seit längerer Zeit leidet die junge Anwältin Johanna Mosbach unter starken Schmerzen und ständiger Übelkeit. Eines Tages bricht sie mitten im Gerichtssaal zusammen. Erst in der Berling-Klinik erwacht sie aus ihrer Bewusstlosigkeit. Es sind umfangreiche Untersuchungen notwendig, bis der Grund für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen gefunden ist. In der Nebenschilddrüse hat sich ein Tumor gebildet, der schnellstens entfernt werden muss. Natürlich hat Johanna Angst vor der Operation, aber Chefarzt Dr. Stefan Holl und Dr. Simon Kramer kümmern sich rührend um ihre Patientin und versuchen, ihr die Angst zu nehmen. Sie versichern ihr, dass sie wieder ganz gesund wird und nach der Entfernung des Tumors ein normales Leben führen kann.

Was die Ärzte nicht ahnen: Es ist nicht nur die Angst vor der Operation, die Johanna Mosbach quält. Sie spürt auch eine entsetzliche Leere, und ihr wird schlagartig bewusst, dass sie nicht länger mit der Lüge leben kann, die sie seit drei Jahren mit sich herumträgt …

Atme tief durch, ein und aus! Ignoriere die Schmerzen! Sei stark! Reiß dich zusammen! Kipp jetzt bloß nicht um …

Die junge Anwältin starrte blicklos auf die Akte, die vor ihr auf dem Tisch lag. Soeben war der Scheidungsprozess von der Familienrichterin ganz im Sinne ihrer Mandantin entschieden worden. Sie hatte gute Arbeit geleistet, doch Stolz auf ihren Erfolg wollte sich nicht einstellen.

Wie ein Tsunami breiteten sich erneut diese entsetzlichen Qualen, die sie so fürchtete, im ganzen Körper aus. Noch dazu so schnell, dass sie kaum atmen konnte. Ihre Mandantin sagte etwas, das wie „Danke“ klang.

„Ist Ihnen nicht gut, Frau Mosbach?“, fragte sie dann.

Nur gedämpft drangen die Worte zu ihr durch. Wo kam im Gerichtssaal plötzlich der Nebel her? Wieso wurde es so dunkel an diesem sonnigen Frühlingstag?

Johanna versuchte, sich vom Tisch hochzustemmen. Sie musste die Akte noch einpacken. Der Gerichtssaal begann sich um sie zu drehen, schneller, immer schneller. Ihre Knie gaben nach, der Fußboden kam näher, die grauen Schwaden färbten sich so schwarz wie die Anwaltsrobe, die sie trug. Sie stöhnte auf und sackte in sich zusammen.

***

„Wie geht es Ihnen?“

Warm drang die männliche Stimme in ihr Bewusstsein. Vorsichtig öffnete sie die Augen. Noch waren die Schmerzen weit weg, aber sie spürte schon, wie sie schleichend wieder näherkamen, sich in den Knochen, im Bauch und in den Nieren festsetzten und wie eine neue Runde der Qualen begann.

Eine Weile wehrte sie sich noch dagegen, in die Wirklichkeit zurückzukehren. Da, wo sie jetzt herkam, hatte nichts wehgetan. Die Bewusstlosigkeit hatte sie davor geschützt.

„Ich weiß nicht“, flüsterte Johanna.

„Sie sind im Gerichtssaal zusammengebrochen“, sagte der Mann im weißen Kittel freundlich. „Vor wenigen Minuten hat man Sie hergebracht. Ich nehme an, Sie hatten dort zu tun.“

„Ich bin Anwältin. Die Verhandlung war gerade zu Ende, da …“

Johanna schloss die Augen wieder und versuchte, sich an die Entscheidung der Richterin zu erinnern.

„Mein Name ist Stefan Holl. Sie befinden sich in der Berling-Klinik. Bitte versuchen Sie, mir zu schildern, was passiert ist. Geben Sie uns Hinweise. Sie müssen uns helfen, Ihrem Problem auf die Spur zu kommen.“

„Ich hatte fürchterliche Schmerzen, nicht zum ersten Mal …“

„Wo im Körper treten die Schmerzen auf?“

„Eigentlich überall, auch im Kopf, mir war furchtbar übel …“ Johanna bewegte ein wenig den Kopf hin und her. „… Schmerzen im Bauch und im Magen …“ Sie brach ab und runzelte die Stirn. Erst jetzt schienen die ersten Worte des Arztes ihre Wirkung zu entfalten. „Berling-Klinik, sagen Sie?“ Ein wenig kniff sie die Augen zusammen. „Dr. Holl … wirklich?“ In ihren Worten schwang etwas Erleichterung mit. „Was für ein Glück, dass ich bei Ihnen gelandet bin. Ich kenne Sie … ich war schon mal hier …“ Hechelnd brach sie ab.

Noch gab Stefan Holls Gedächtnis keine Rückmeldung, wann er die junge Frau behandelt hatte.

„Versuchen Sie, gleichmäßig zu atmen. Reden Sie langsam.“

Der Chefarzt der Klinik stand in der Notfallambulanz der Berling-Klinik neben der Trage, auf der die junge Frau mit getrübtem Bewusstsein und unklaren Symptomen eingeliefert worden war. Ihre akuten Symptome standen nicht mit einem Unfall in Zusammenhang. Hier lagen offensichtlich internistische Beschwerden vor.

Schwester Gundula hatte der Patientin die Kleidung bis auf die Unterwäsche ausgezogen. Die Vitalparameter wie Blutdruck, Puls und Atemfrequenz wurden gemessen.

Der Kollege Hansen, der in der Notaufnahme Dienst hatte, tippte auf eine Vergiftung, aber Dr. Holl fand die Symptome für diese Annahme nicht ausreichend.

Die Frau konnte selbstständig atmen. Ihre Haut war schweißbedeckt. Das Bewusstsein hellte sich zunehmend auf. Stefan inspizierte den schlanken Körper und begann mit einer routinemäßigen Tastuntersuchung. Die harte Bauchdecke ließ ihn an eine Kolik der unteren Bauchorgane denken.

„Wie heißen Sie?“

„Johanna Mosbach. Mir ist übel“, ächzte sie, bevor sie sich in die von Schwester Gundula bereitgehaltene Schale erbrach. Sie würgte heftig, aber es kam kein Mageninhalt, sondern nur etwas Gallenflüssigkeit. Dr. Holl hielt die Patientin fest.

„Wir finden heraus, was mit Ihnen los ist. Seien Sie ganz ruhig. Welche Symptome hatten Sie in der letzten Zeit? Erzählen Sie mir alles, auch wenn Sie es für unwichtig halten. Leiden Sie unter Müdigkeit oder Depressionen?“

Johanna versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was sie sagen wollte. Noch waren die Schmerzen nicht mit voller Wucht zurückgekehrt, aber sie fürchtete sich schon jetzt vor einer neuen Welle.

„Ja“, murmelte sie. „Mir ist oft schwindelig, und ich leide unter Übelkeit, Gelenkschmerzen …“ Erschöpft brach sie ab und schwieg. Es dauerte eine Weile, bis sie weitersprechen konnte. „Ich bin oft abgeschlagen … kann mich kaum auf meine Arbeit konzentrieren.“

Dr. Holl erkundigte sich nach einer bestehenden Schwangerschaft. Eine Frage, die seine Patientin jedoch verneinte.

„Es war vor drei Jahren … ein Autounfall. Der Bruder meines Verlobten … saß neben mir … er starb … hier in der Berling-Klinik.“

Schlagartig erinnerte sich Stefan Holl an das dramatische Geschehen von damals. Die Frau war mit Prellungen und einigen Weichteilverletzungen eingeliefert worden.

Viel bedrohlicher waren jedoch die Blutungen aus der Gebärmutter. Sie ließen sich nicht mehr stoppen, der acht Wochen alte Embryo wurde bereits ausgetrieben. Stefan selbst hatte anschließend die Kürettage vorgenommen. Der junge Mann, der mit ihr im Fahrzeug gesessen hatte, verstarb während der Notoperation auf dem OP-Tisch. Sein Blut wies einen hohen Alkoholspiegel auf.

Johanna Mosbach hatte ihn damals zum Schweigen verpflichtet. Da Gernot Siebert, der Bruder des Verstorbenen und ihr Verlobter, noch nichts von der Schwangerschaft wusste, wollte sie ihm im Nachhinein mit dieser traurigen Nachricht keinen zusätzlichen Kummer bereiten.

Die Familie hatte schon genug Kummer wegen Michaels Tod. Mit der Fehlgeburt werde sie allein fertig, hatte sie Dr. Holl eindringlich versichert. Er erinnerte sich, dass er diese Entscheidung nicht richtig fand. Aber er hatte sich dem Wunsch der Patientin gefügt.

Und jetzt war sie erneut in seine Klinik eingeliefert worden.

„Sie müssen hierbleiben“, ordnete Dr. Holl an. „Wir werden unverzüglich mit den Untersuchungen beginnen. Ich schreibe Sie krank. Wo arbeiten Sie?“

Trotz ihrer Benommenheit schlich sich jetzt ein winziges Lächeln in ihre Mundwinkel. Sie wusste, dass ihr Chef mit dem Chefarzt der Berling-Klinik verschwägert war.

„In der Kanzlei Lassow“, sagte Johanna.

„Na so was, dann informiere ich ihn persönlich.“

Stefan drückte der blassen Patientin schmunzelnd die Hand. Richtig, sein Schwager Axel Lassow hatte neulich mal seine neue Anwältin erwähnt, die trotz ihrer jungen Jahre außerordentlich erfolgreich sei. Natürlich hatte Stefan nicht wissen können, dass es eine Frau war, die er vor Jahren schon einmal in seiner Klinik behandelt hatte.

„Dann erneuern wir hiermit unsere alte Bekanntschaft“, fuhr Dr. Holl in lockerem Ton fort, da er sie nicht noch mehr beunruhigen wollte. „Ich werde Ihnen helfen. Es kommt alles wieder ins Lot.“

„Bitte tun Sie mir einen Gefallen, rufen Sie meinen Verlobten an. Gernot Siebert. Seine Nummer finden Sie auf meinem Handy.“

Sie wollte sich aufrichten, doch Dr. Holl drückte sie sanft auf die Liege zurück und schaute sich nach ihren Sachen um.

Schwester Gundula hatte alles zusammengelegt. Sie holte die Tasche, öffnete sie vor Johannas Augen, die das Handy herausfischte und es Dr. Holl reichte. Wie zu erwarten, gehörte der Verlobte zu den Favoriten. Stefan brauchte nur kurz auf seinen Namen zu tippen und zu warten.

***

„Johanna ist schon wieder nicht pünktlich“, stellte Annemarie Siebert enttäuscht fest. „Ruf sie noch mal an. Sie arbeitet viel zu viel, das muss sich unbedingt ändern.“

„Sie ist eben sehr gewissenhaft“, meinte Gernot verdrossen. „Außerdem möchte sie in ihrem Beruf Karriere machen. Mach dir keine Sorgen, sie wird schon zurückrufen.“

Seine Mutter stand auf und ging unruhig im großen Wohnraum auf und ab. Nach einer Weile blieb sie plötzlich stehen und fixierte ihren Sohn streng.

„Habt ihr euch gestritten? Sag mir die Wahrheit!“

Gernot Siebert, ein attraktiver Mann, verdrehte die Augen.

„Es ist, wie ich es sage. Ich sollte sie vom Tutzinger Bahnhof abholen, doch sie war nicht in der S-Bahn. Natürlich habe ich sie gleich angerufen, konnte sie aber nicht erreichen. Und nein, wir haben uns nicht gestritten.“

Annemarie trat auf das Fenster zu, um die ersten Frühlingsboten im großen Garten zu betrachten. Tulpen, Narzissen und Hyazinthen, vom Gärtner Toni im Vorjahr gesetzt, blühten schon. Ebenso die beiden Kirschbäume, der Haselstrauch und die Schlehe.

Nervös strich sich Gernots Mutter eine Strähne aus der Stirn.

„Es ist doch sonst nicht ihre Art, einfach abzutauchen, ohne Bescheid zu geben. Vielleicht ist sie in der Kanzlei aufgehalten worden. Ruf doch dort mal an.“

Er folgte dem Ratschlag seiner Mutter. Ein paar Sekunden lauschte er dem Freizeichen, dann sprang der Anrufbeantworter an und teilte mit, dass die Kanzlei zurzeit nicht besetzt sei. Gernot schaute auf die Uhr. Klar, Freitagnachmittag, die Mitarbeiter des Anwaltsbüros waren schon auf dem Weg ins Wochenende.

Jetzt klingelte sein Handy.

„Das ist sie!“, verkündete er nach einem kurzen Blick auf den kleinen Bildschirm. „Na endlich!“ Und sofort darauf sprach er ins Handy: „Was ist denn los? Wir warten schon auf dich.“

Zu seiner Überraschung antwortete ihm eine männliche Stimme.

„Spreche ich mit Herrn Gernot Siebert?“

„Ich verstehe nicht …“

„Ich bin Stefan Holl, Chefarzt der Berling-Klinik. Bitte bleiben Sie ruhig. Frau Mosbach bat mich, mit Ihnen zu sprechen. Sie ist vor Kurzem mit einigen unklaren Symptomen bei uns eingeliefert worden. Soweit wir sehen können, besteht kein Grund zur Sorge. Wir untersuchen sie gerade.“

„Das ist ja schrecklich!“, entfuhr es Gernot. Seine Hand, die das Telefon hielt, begann zu zittern.

„Was ist los?“, wollte seine Mutter wissen und ging auf ihn zu. Gernot forderte sie mit einem Handzeichen zum Schweigen auf.

„Warten Sie, ich gebe Ihnen Frau Mosbach. Sie ist jetzt bereit, Ihnen selbst zu berichten, was passiert ist.“

„Hallo, Gernot …“ Johannas Stimme klang dünn und etwas zögernd. „Dr. Holl hat dir ja schon gesagt, was passiert ist. Mir wurde im Gerichtssaal plötzlich übel. Und dann hab ich auch noch das Bewusstsein verloren.“

„Wieder deine Kopfschmerzen? Du hättest deswegen längst zum Arzt gehen sollen.“

„Jetzt bin ich ja in Behandlung“, gab Johanna zurück. „Dr. Holl wird schon herausfinden, warum es zu diesem Zusammenbruch gekommen ist. Er glaubt nicht, dass meine Kopfschmerzen die Ursache sind. Die sind eher ein Symptom.“

„Weiß man schon etwas Genaueres?“

„Die ersten Untersuchungen haben stattgefunden, aber es liegen noch keine Ergebnisse vor.“

„Ich komme sofort zu dir.“

„Es ist besser, wenn du bis morgen wartest. Es werden noch weitere Tests gemacht, wir hätten also gar keine Zeit für uns.“

„Musst du auch über Nacht in der Klinik bleiben?“

„Man will mich für ein paar Tage zur Beobachtung hierbehalten. Und ich denke, dem werde ich mich fügen. Ich will auch wissen, was mit mir los ist.“

„Ach, mein armer Schatz. Dass ich dir nicht helfen kann, macht mich ganz verrückt. Ich könnte Dr. Hartmann zu dir schicken …“

„Nein, das ist wirklich nicht nötig“, unterbrach sie ihn. „Ich bin hier in den besten Händen.“

„Also gut, wie du meinst, aber wir telefonieren später noch einmal. Hast du dein Handy jetzt bei dir?“

„Ja.“

„Dann bis später, Schatz. Ich denke an dich.“

Gernot legte das Telefon auf den Tisch. Nun, da er mit Johanna gesprochen hatte, war seine Angst nicht mehr so groß, dennoch steckte ihm der Schreck noch in den Gliedern.

„Was hat sie denn gesagt?“, drängte seine Mutter. „In welcher Klinik ist sie überhaupt?“

„In der Klinik, in der Michael gestorben ist.“ Seit diesem dramatischen Ereignis damals wurde der Name Berling bei den Sieberts nicht mehr ausgesprochen.

Mit versteinerter Miene sank Annemarie in ihren Sessel. Nach einer Weile schloss sie die Augen und versank in den Erinnerungen. Doch dann gab sie sich einen Ruck.

„Auch das noch“, presste sie hervor. „Dort kann sie nicht bleiben.“

Gernot ließ sich mit einem schweren Seufzer auf das Sofa fallen.

„Johanna ist im Gerichtssaal bewusstlos geworden …“

„Dann bekommt sie ein Baby!“

Um die bösen Geister der Vergangenheit zu bannen, klammerte sie sich an diesen Gedanken.

„Ich würde mich so sehr freuen. Du weißt doch, dass ich mich nach einem Enkelkind sehne. Allerdings bitte ich mir aus, dass ihr noch vor der Geburt heiratet. Bei uns in der Familie soll alles seine Ordnung haben …“

„Hör auf, Mama!“ Gernot atmete tief durch. „Es steht doch noch gar nicht fest, ob sie schwanger ist. Deine Phantasie geht wieder mal mit dir durch. Warten wir doch erst mal ab, was die Untersuchungen ergeben. Morgen fahre ich zu ihr.“

„Da wir gerade darüber sprechen, also ich finde es nicht gut, dass die Frauen heute ihren Kinderwunsch so lange hinausschieben, bis sie Ende dreißig sind. Immer erst die Karriere und dann erst ein Kind. Das kann auch gewaltig schiefgehen, weil die Fruchtbarkeit der Frau …“

Weiter kam sie nicht. Es klingelte. Das mussten die ersten Gäste sein. Zum Glück, dachte Gernot, der jetzt wenig Lust verspürte, dieses Thema zu vertiefen. Er eilte zur Tür.

***

Annemarie fing sich erstaunlich schnell. Niemand merkte ihr bei der herzlichen Begrüßung an, dass sie vor zwei Minuten noch heftig mit ihrem Schicksal gehadert hatte.

Für heute Abend waren langjährige Freunde der Familie eingeladen. Die Hubers brachten ihre Tochter mit, ein hübsches Mädchen von zwanzig Jahren namens Jasmin, das Kunstgeschichte studierte.

Sie war zehn Jahre jünger als Gernot. Er fand den Altersunterschied zu groß, doch Annemarie behielt die junge Frau immer im Auge, erkundigte sich bei den Eltern nach den Fortschritten im Studium und wollte wissen, ob Jasmin schon in festen Händen war. Eine Frage, die von den Eltern bisher immer verneint wurde.

Heimlich wünschte sich Annemarie eher eine Schwiegertochter wie Jasmin, die keine Karriere anstrebte, sondern nur ein bisschen herumstudierte, bis sie den richtigen Mann kennenlernte.

Eine unbedarfte junge Frau wie Jasmin konnte sich problemlos den familiären Gegebenheiten der Sieberts anpassen, ihrem Mann ein gemütliches Heim bereiten und der Schwiegermutter bei den Repräsentationspflichten zur Hand gehen. Und natürlich musste diese Frau in erster Linie für Annemaries Enkel da sein. Mindestens drei sollten es schon sein.

Ob Johanna diese Wünsche erfüllen würde, stand auf einem ganz anderen Blatt. Sie war gebildet und kannte sich natürlich in allen rechtlichen Dingen bestens aus, was Annemarie aber nicht unbedingt als Vorteil wertete. Frauen mit so viel Wissen neigten eher zum Aufbegehren.