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Noch vor wenigen Jahren war Barbara Neuhaus ein gefragtes Model und eine lebensfrohe, selbstsichere junge Frau. Davon ist nichts mehr zu spüren. Jetzt ist sie gefangen in einer unglücklichen Ehe mit einem Mann, den sie nicht liebt und der sie ständig kritisiert, kontrolliert und bevormundet. Zudem ist ihr kleiner Sohn, der dreijährige David, oft krank und musste schon mehrmals mit Brechdurchfall und Krampfanfällen in die Berling-Klinik gebracht werden.
Die Sorge um ihren Sohn und die Schatten der Vergangenheit hindern Barbara daran, sich aus den Fesseln ihrer Ehe zu lösen. Da erhält sie eine Einladung zum Klassentreffen. Zuerst will sie nicht hingehen, doch dann beschließt sie, die Chance zu ergreifen ...
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Seitenzahl: 128
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Was ist aus Barbara geworden?
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock/Nina Buday
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4679-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Was ist aus Barbara geworden?
Auf dem Klassentreffen kommt es zu einem erschütternden Wiedersehen
Von Katrin Kastell
Noch vor wenigen Jahren war Barbara Neuhaus ein gefragtes Model und eine lebensfrohe, selbstsichere junge Frau. Davon ist nichts mehr zu spüren. Jetzt ist sie gefangen in einer unglücklichen Ehe mit einem Mann, den sie nicht liebt und der sie ständig kritisiert, kontrolliert und bevormundet. Zudem ist ihr kleiner Sohn, der dreijährige David, oft krank und musste schon mehrmals mit Brechdurchfall und Krampfanfällen in die Berling-Klinik gebracht werden.
Die Sorge um ihren Sohn und die Schatten der Vergangenheit hindern Barbara daran, sich aus den Fesseln ihrer Ehe zu lösen. Da erhält sie eine Einladung zum Klassentreffen. Zuerst will sie nicht hingehen, doch dann beschließt sie, die Chance zu ergreifen …
Barbara kniff die Augen so fest zusammen, als könne sie damit alle unangenehmen Eindrücke auf Abstand halten. Sie saß weit zurückgelehnt in einem bequemen Gartenstuhl und genoss den zarten Hauch des Frühlings auf ihren nackten Armen.
Positiv denken!, ermahnte sie sich. Aber die herabsetzenden Bemerkungen ihres Mannes ließen sich nicht so einfach aus ihrem Gedächtnis verbannen.
Obwohl er abwesend war, hörte sie ihn in scharfem Ton sagen, dass sie eine grottenschlechte Mutter sei. Und wie es hier in der Villa ohne die Haushälterin wohl aussehen würde, könne er sich lebhaft ausmalen, natürlich unordentlich und schmutzig. Was für ein Glück, dass Frau Franken so tüchtig zupackte und auch noch täglich was Leckeres auf den Tisch brachte.
Und im Übrigen stünde es mit Barbaras eigenem Aussehen ebenfalls nicht zum Besten.
„Du lässt dich immer mehr gehen“, hatte er mit kaum verhohlener Verachtung konstatiert. „Ist dir das überhaupt bewusst? Schau dich mal im Spiegel an und sag mir, was du dann siehst. Kaum mehr vorstellbar, dass du mal ein gefragtes Model warst.“
Solche Vorwürfe, die er fast täglich äußerte, sickerten in ihre Seele wie ein unsichtbares Gift. Erik meint es nicht so, redete sie sich dann ein. Er ist ein Hitzkopf, ständig reizbar und aufbrausend … Das hängt wohl alles nur mit seinen Problemen in der Firma zusammen.
Tief in ihrem Herzen aber wusste sie, dass sie nur eine Entschuldigung für sein Verhalten suchte, um sich selbst zu schützen. Um ihre Ehe nicht zerbrechen zu lassen. Sie hatte sich vor langer Zeit doch mal mit ihm wohlgefühlt. Oder? Wohin waren diese Gefühle entschwunden?
Als Barbara ihn kennenlernte, hatte sie ihn für temperamentvoll gehalten, doch inzwischen ging sie ihm aus dem Weg, wenn er einen seiner jähzornigen Anfälle bekam. Seine Kälte, seine Unnahbarkeit – wieso hatte sie damals nichts davon bemerkt, sich auf einen Mann eingelassen, für den sie nicht unbedingt tiefe Zuneigung empfand?
Seine Persönlichkeit ist halt vielschichtig, pflegte sie ihre Freundin zu beschwichtigen, wenn die wissen wollte, wie es momentan in ihrer Beziehung zu Erik aussah. Petra Strobel, die sie seit ihrer Schulzeit kannte, regte sich furchtbar darüber auf, dass sich Barbara von „diesem Kerl“, wie sie ihn spöttisch nannte, so viel gefallen ließ.
Bei solchen Gesprächen unter vier Augen nahm Barbara ihn dann wieder in Schutz und wies auf seine positiven Eigenschaften hin, die allerdings auch für sie immer weniger sichtbar wurden.
„Hör endlich auf, ständig nach Entschuldigungen für sein unmögliches Benehmen zu suchen“, schimpfte Petra dann. „Babsi, du bist ein dummes Schaf. Trenn dich von ihm! Du hast es doch gar nicht nötig, dich von ihm so behandeln zu lassen. Soll er sich seine Traumfrau doch woanders suchen.“
Natürlich hatte Barbara schon an Scheidung gedacht, aber vor diesem Schritt schreckte sie immer noch zurück. Das hatte auch mit ihrem kleinen Jungen zu tun, der viel krank war und darum mehr denn je seine Mutter brauchte. Bis jetzt hatte noch kein Arzt herausgefunden, was ihm wirklich fehlte.
Bei einer Scheidung würde Erik darauf bestehen, dass David bei ihm aufwuchs, eine schreckliche Vorstellung für Barbara. Sobald sie mit einigem Unbehagen und einer großen Portion Scham an die unrühmlichen Phasen ihrer Vergangenheit dachte, schien es ihr durchaus möglich, dass er Recht bekam und ihr als Mutter das Sorgerecht entzogen wurde.
Erik hatte also alle Möglichkeiten, sie fertigzumachen. Barbara zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass er diese Möglichkeiten auch nutzen würde. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als auszuharren.
Noch während Barbara im milden Sonnenlicht ihren dunklen Gedanken nachhing, läutete ihr Smartphone. Petra! Mit einem Seufzer der Erleichterung nahm sie das Gespräch entgegen.
„Ich habe gerade an dich gedacht“, sagte sie. „Wollte dich auch schon anrufen.“
„Hallo, Babsi, wie geht es dir?“
„Na ja, wie immer. Nicht schlecht, aber auch nicht besonders gut.“
„Was hat sich dieser Kerl denn jetzt schon wieder geleistet?“
„Rede nicht so von ihm!“, wies Barbara ihre Freundin zurecht. „Er ist mein Mann und der Vater meines Sohnes …“ Sie holte tief Luft. „Ich muss mit ihm klarkommen.“ Ob ich will oder nicht, fügte sie in Gedanken hinzu.
„Das redest du dir ständig ein. Ich verstehe ja, dass es dir schwerfällt, aus deiner Situation auszubrechen. So was will immer gut überlegt sein. Aber irgendwann musst du dich entscheiden, welchen Weg du weitergehen willst. Mensch, Babsi, du bist doch nicht alt. Du kannst doch jederzeit was Neues anfangen. Und vielleicht lernst du noch mal jemanden kennen, der …“
„Bitte, lass uns von was anderem reden“, fiel Barbara der Freundin eine Spur zu heftig ins Wort. Natürlich wusste sie, dass Petra recht hatte, aber sie wollte darüber jetzt nicht diskutieren.
„Okay. Ich habe auch gar nicht angerufen, um über deinen Erik zu schimpfen. Das ist er doch gar nicht wert.“
Petra lachte beschwichtigend.
„Stell dir vor, Jenny hat ein Klassentreffen organisiert“, fuhr sie dann fort. „Ich habe ihr deine Anschrift gegeben. Du bekommst noch eine Einladung. Wollte dich nur schon mal im Voraus informieren.“
„Ein Klassentreffen?“, wiederholte Barbara gedehnt. „Wozu das denn?“
„Wird bestimmt sehr lustig, die anderen aus der Klasse wiederzusehen und zu hören, was aus ihnen geworden ist.“
„Hm, ich weiß nicht mal, ob ich das wirklich wissen will“, wandte Barbara ein. Die Vorstellung, die damaligen Schulfreunde wiederzusehen, gefiel ihr nicht sonderlich. „Du meine Güte, die Schule ist doch schon ewig lange her. Ob wir uns überhaupt noch was zu sagen haben?“
„Aber wir zwei reden doch auch ständig miteinander“, hielt Petra ihr entgegen. „Es kann doch ein ganz interessantes Treffen werden. Wenn nicht, verdrücken wir uns wieder. Du musst mitkommen!“
„Ich weiß noch nicht, ob ich weg kann. David ist krank …“ Barbara war froh, dass ihr diese Ausrede noch einfiel.
„Das tut mir leid. Ist es schlimm?“
„Er klagt über Schmerzen, kann aber nicht genau sagen, wo es ihm wehtut. Nora ist den ganzen Tag um ihn herum.“
„Hm.“ Petra schwieg einen Moment, bevor sie weitersprach. „Das hört sich an, als wenn du auf die Kinderfrau eifersüchtig wärst.“
„Na ja, vielleicht ein bisschen. Aber ich sollte froh sein, dass sie mir viele von den Sorgen abnimmt.“
„Hast du keine Angst, dass der Kleine den Kontakt zu dir verliert?“
„Nein“, sagte Barbara, aber es klang nicht ehrlich.
„Na gut“, meinte Petra mit einem hörbaren Seufzer. „Darüber reden wir noch. Aber jetzt bitte diesen Termin vormerken. Du musst endlich mal was anderes sehen als die Wände deines goldenen Käfigs …“
„Ich will sehen, was sich machen lässt“, versprach Barbara vage, ohne auf Petras Drängen zu reagieren. Vielleicht war ein Klassentreffen doch nicht so übel. Sie käme mal raus, hörte andere Meinungen, und vielleicht machte es ja wirklich Freude, sich wieder einmal auszutauschen.
Andererseits fürchtete sie sich vor dem Wiedersehen mit einem ganz bestimmten Schulfreund. Aber vielleicht kam der ja aus Zeitgründen nicht. Noch hielten sich Angst und Erwartung die Waage. Mal sehen, wie es in einer Woche aussah.
Nach dem Telefonat mit Petra wandte Barbara ihr Gesicht wieder der Sonne zu. Jetzt ging es ihr tatsächlich ein wenig besser. Petra war die einzige Freundin, die ihr während all der Jahre geblieben war. Sie auch noch zu verlieren würde bedeuten, dass sie keinen Menschen mehr hatte, dem sie noch vertrauen konnte.
Petra bot ihr immer wieder an, in der Buchhandlung auszuhelfen, auch stundenweise. Barbara hätte die Arbeit gern gemacht, doch Erik war dagegen. Dass sie als Frau eines Unternehmers einen solchen Job ausübte, kam für ihn nicht infrage.
Barbara war klar, dass er in Wahrheit einen Kontrollverlust fürchtete, wenn sie sich außerhalb des Hauses aufhielt.
***
Auf der Kinderstation der Berling-Klinik war man ratlos. Dr. Renate Sanders und ihr junger Kollege Samuel Wiegand brüteten über den Laborwerten des kleinen Jungen – und fanden nichts. Die Frau, die mit dem Jungen in die Kinderambulanz gekommen war, berichtete von einem Anfall und einer länger anhaltenden Übelkeit.
„Könnte es sich um Epilepsie handeln?“ Der Arzt legte die glatte Stirn in Falten, fuhr sich mit einer Hand durch das braune Haar und blickte die erfahrenere Kollegin ratlos an. Aber auch Renate Sanders konnte nichts Erhellendes beisteuern.
„Epilepsie?“, meinte sie gedehnt. „Gut möglich. Im frühen Kindesalter kommen generalisierte Epilepsien vor. Aber vielleicht war es nur ein harmloser Fieberkrampf. Frau Graupner berichtete ja, dass der Bub vor Kurzem einen Infekt hatte.“
Samuel spielte mit einem Kugelschreiber.
„Es könnte eine Fehldeutung sein. Viele anfallartige Erscheinungen sind epileptischen Anfällen sehr ähnlich. Wir müssten das Kind eine Zeit lang bei uns beobachten. Reflexe, Hirnnervenfunktion, Elektroenzephalografie, Magnetoenzephalografie, Computertomografie, all das würde uns dann schon auf die richtige Spur bringen.“
„Frau Graupner will den Jungen nicht hierlassen.“
„Ist sie die Mutter?“
Renate Sanders schaute auf die Daten.
„Nein, seine Kinderfrau. Das heißt, heute nennt man das wohl Erzieherin. Die Mutter des Jungen soll nicht ganz gesund sein. Der Vater betreibt eine Firma in der Nahrungsmittelbranche. Ich glaube, die stellt hauptsächlich Fertigprodukte her.“
„Vielleicht geben sie dem Kind zu viel davon zu essen“, meine Samuel in einem Anfall von grimmigem Humor.
„Na ja, ich glaube nicht, dass es sich bei David um ein Ernährungsproblem handelt. Gut, der Junge ist ein wenig untergewichtig, aber das kann auch mit dem Erbrechen der letzten Tage zu tun haben.“
„Ich werde noch mal mit ihr reden“, erbot sich der junge Arzt und ging in das Wartezimmer, das jetzt ziemlich leer war. „Frau Graupner?“
Eine dunkelhaarige Frau erhob sich und kam mit besorgter Miene auf ihn zu.
„Was haben Sie herausgefunden, Doktor?“
Da noch zwei weitere Personen in dem Raum saßen, bat er sie, mit ihm ein paar Schritte den Gang hinunterzugehen.
„Wir konnten erst mal nichts feststellen“, sagte er. „Wenn wir herausfinden wollen, was dem Jungen fehlt, müssen wir ihn ein paar Tage zur Beobachtung hierbehalten …“
„Oh, das würde sein Vater nicht erlauben“, wandte die Frau ein und bedachte den attraktiven jungen Arzt mit einem prüfenden Blick.
„Es könnte auch ein Elternteil Tag und Nacht bei ihm bleiben. Wir sind darauf eingestellt.“
„Davids Vater ist ein viel beschäftigter Mann. Er leitet ein bedeutendes Unternehmen …“
„Es könnte auch die Mutter sein“, unterbrach Samuel den Einwand der Frau. „Oder Sie. Hauptsache, der Junge hat eine Bezugsperson bei sich.“
„Gut, ich werde es zu Hause ausrichten. Aber wie gesagt, ich glaube nicht, dass der Vater David noch länger in der Klinik lassen wird. Er vermisst ihn jetzt schon.“
„Er soll mich anrufen“, schlug Samuel vor und fischte aus seiner Kitteltasche eine Karte mit seiner Telefonnummer heraus. „Dann erkläre ich ihm die Notwendigkeit einer umfangreichen Diagnose. Er will doch schließlich auch, dass es seinem Sohn wieder gut geht.“
Nora Graupner warf einen Blick auf die Karte.
„Dr. Samuel Wiegand“, las sie laut. Ein kleines Lächeln hob die leidenden Gesichtszüge auf. „Samuel, was für ein schöner Name …“
Hilfe, sie flirtet, dachte der Arzt.
Die Frau wirkte kurz verlegen, fing sich jedoch schnell wieder.
„Dann kann ich David jetzt mitnehmen“, fasste sie zusammen.
„Ja, natürlich.“ Dr. Wiegand holte tief Luft. „Aber wenn es zu einem erneuten Anfall kommt oder wenn die Übelkeit wieder eintritt, müssen Sie ihn sofort wieder herbringen, damit wir ihn zeitnah untersuchen können.“
„Sie können sich auf mich verlassen“, sagte Nora Graupner. „Wir wollen ja alle, dass es dem Kleinen wieder besser geht. Als seine Betreuerin bin ich den ganzen Tag mit ihm zusammen …“
Sie brach ab, weil ihr Telefon klingelte.
„Entschuldigen Sie, da muss ich rangehen.“ Und dann an den Anrufer gewandt: „Es ist alles in Ordnung. Wir sind gleich da.“
Sie beendete das Gespräch und steckte das Telefon weg.
„Davids Vater. Natürlich ist er besorgt“, erklärte sie Dr. Wiegand.
„Warum haben Sie mich nicht mit ihm sprechen lassen?“
„Er befand sich in einer wichtigen Konferenz und wollte nur schnell hören, wann wir zu Hause eintreffen. Ich werde ihm sagen, dass er sich wegen der Diagnose mit Ihnen in Verbindung setzen soll. Jetzt muss ich aber schnell zu David, sonst fühlt sich mein kleiner Schatz noch vernachlässigt.“
Samuel presste kurz die Lippen zusammen, ersparte sich jedoch einen weiteren Kommentar.
Wenig später kam Chefarzt Dr. Holl auf die Kinderstation, um mit den Kollegen die neuesten Zugänge zu besprechen.
Beim Fall des kleinen David Neuhaus horchte er auf.
„Möglicherweise Epilepsie? Das sollten wir im Auge behalten. Ich möchte mir den Jungen kurz anschauen.“
„Kann sein, dass er schon weggebracht wurde“, meinte Samuel. Gemeinsam gingen die Ärzte zu dem Zimmer, in dem der Kleine betreut worden war.
Schwester Sybille konnte jedoch nur das bestätigen, was Dr. Wiegand schon vermutet hatte.
„Das Kind hat zuletzt einen guten Eindruck gemacht“, berichtete sie. „Frau Graupner ist mit ihm nach Hause gefahren. Der Kleine war ganz fröhlich.“
„Na, dann ist ja alles in Ordnung“, stellte Stefan Holl fest und machte sich beruhigt auf den Heimweg.
***
Zu Hause angekommen, musste er sich erst einmal um seine weinende Jüngste kümmern. Juju, elf Jahre alt und der Sonnenschein der Familie, war kreuzunglücklich, weil sie eine schlechte Note in Englisch bekommen hatte.
„Für unseren Schatz ist heute mal kurz die Welt zusammengebrochen“, informierte Julia Holl ihren Mann im Flur. „Ich habe schon versucht, sie zu trösten, aber jetzt kannst nur noch du zu ihr durchdringen. Wir wollen in einer halben Stunde essen. Ich hoffe, dass du sie bis dahin wieder aufgerichtet hast.“
„Mal sehen, was sich machen lässt“, sagte Dr. Holl und verschwand kurz im Bad, um sich die Hände zu waschen.
Drei Minuten lauschte er an Jujus Zimmertür, doch von drinnen war nichts zu hören. Vielleicht war seine Tochter über ihrem Kummer eingeschlafen, was er für eine gute Selbsttherapie hielt. Schließlich klopfte er behutsam ans Holz.
„Wer ist da?“ Juju klang ziemlich wach.
„Dein Papa. Ich möchte ein bisschen mit dir reden.“
„Es ist nicht abgeschlossen. Und du darfst immer rein.“
Stefan drückte die Tür auf. Juju saß an ihrem Schreibtisch, vor sich ein aufgeklapptes Heft.
„Hallo, mein Schatz.“ Stefan trat zu ihr und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. „Machst du noch Hausaufgaben?“
Juju schüttelte wild den Kopf und hielt ihm anklagend ihr Heft entgegen.
„Ich habe es komplett verbockt!“, rief sie aus.
„Aber das ist doch kein Beinbruch.“ Stefan zog seine Tochter hoch und nahm sie in die Arme. „Jetzt hocken wir uns nach Indianerart auf den Boden und beraten, was zu tun ist.“
„Ich dachte, ich hätte genug gelernt, aber das war ein riesiger Irrtum“, sagte Juju und betonte jede Silbe.
„Vielleicht hast du nur den falschen Stoff vorbereitet.“
Sie lächelte kleinlaut.
„Papa, du willst mich trösten. Ist ja richtig süß von dir, aber ich war einfach nur schlecht … hab mich nicht genug vorbereitet.“
„Weißt du, warum man Fehler macht?“