Chili und Schokolade - Lilli Beck - E-Book

Chili und Schokolade E-Book

Lilli Beck

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Beschreibung

Süß! Scharf! Verführerisch! Evelyn hat ihr tristes Hausfrauendasein satt. Die Kinder sind längst ausgezogen, für Ehemann Konrad ist sie quasi Luft, und dann stirbt auch noch ihr geliebter Terrier Oscar. Erst als sie die flippige Ulla kennenlernt, kommt wieder Bewegung in Evelyns grauen Alltag. Die beiden Frauen sind so verschieden wie Chili und Schokolade. Ulla ist alles, was Evelyn nie war: selbstbewusst, aktiv und sexy. Trotzdem freunden sie sich an, denn sie teilen eine große Leidenschaft: das Kochen. Doch gerade als Evelyn aufblüht, macht sie eine bittere Entdeckung: Konrad hat eine Geliebte! Evelyn holt zum Gegenschlag aus. Und hat dafür ein ganz besonderes Rezept. Denn Rache ist ja bekanntlich süß …

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Seitenzahl: 313

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Lilli Beck

Chili und Schokolade

Roman

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel1 Jahr später …Erotische Rezepte von Eve LacombeLachsfilet auf AvocadomusGarnelen auf Mango-CarpaccioHuhn in Chili-Schoko-SauceGebratener Spargel mit TrüffelArtischockenherzen mit Parmesan und PetersilienpestoSellerie-Apfel-CremesuppeUllas Chili-Schoko-PralinenEvelyns-SchokokuchenHoneymoon-FeigenErdbeer-TrifleDanksagung
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1

«Eine Aufbaukur würde bei Ihnen Wunder wirken, Frau Meyer.»

Trixi, meine junge Friseurin, deren flotter Bob rabenschwarz glänzt, steht mit kritischem Blick hinter mir. Und wie bei jedem meiner monatlichen Besuche würde sie gerne meine Haarfarbe verändern.

«Freitag ist bei uns Anti-Aschblond-Tag. Sind Sie bereit für eine neue Haarfarbe?» Ihre professionell manikürten Finger fahren mit schnellen, routinierten Bewegungen durch mein fahles, aschblondes Haar. Spielerisch schiebt sie es vom Hinterkopf nach vorne und täuscht so eine enorme Fülle vor.

Dass die Aufbaukur für mein Fusselhaar sein soll, weiß ich natürlich. Aber ihre Pflegeempfehlung trifft auch auf mich zu. Ich gebe nämlich ein Abendessen für zwölf Leute und bin im Stress. Dennoch habe ich einen Termin bei «New Style» reingequetscht, damit wenigstens meine Frisur gut aussieht. Da legt Konrad besonderen Wert drauf.

«Tut mir wirklich leid, Trixi, aber heute passt es gar nicht. Wir geben nämlich eine Dinnerparty, und ich brauche Zeit für das Buffet», versuche ich mich zu entschuldigen.

«Schönheit braucht auch ihre Zeit», philosophiert Trixi und lächelt geheimnisvoll wie eine Sphinx. Vielleicht summiert sie aber auch nur gedanklich die vielen Stunden, die sie selbst täglich vor dem Spiegel verbringt, um ihr Make-up zu perfektionieren und sich modisch zu stylen. Ich dagegen stehe ja lieber am Herd. Seit ich als Neunjährige meinen ersten Schokopudding gekocht und mit geschlagener Sahne verziert habe, koche ich leidenschaftlich gerne.

«Beim nächsten Mal ganz sicher», verspreche ich. «Heute nur Spitzen schneiden. Ich bin wirklich in Eile.»

Trixi sieht mich verständnislos an, verzieht den hellrosa glänzenden Mund zur Schnute und zupft den Ausschnitt ihres pinkfarbenen Pullis zurecht.

«Und natürlich Waschen und Föhnen», ergänze ich schnell. Dieses Studentenangebot, sich die Haare selbst zu föhnen, würde Trixi als echte Beleidigung empfinden.

«Wirklich schade, Frau Meyer, ein helleres, strahlenderes Blond würde Ihre klassischen Gesichtszüge vorteilhaft betonen», erwidert sie leicht verschnupft und hüllt mich für die Haarwäsche in einen schokobraunen Umhang.

Der dunkle Ton macht auch keine Schönheit aus mir, stelle ich mit ernüchterndem Blick in den Spiegel fest und begebe mich zu den Waschbecken. Ein Azubi mit sauber gezupften Augenbrauen, getuschten Wimpern und dünnen langen Koteletten legt mir noch ein Handtuch in den Nacken. Dann sinke ich in den Liegesessel und bette mein Haupt in der Beckenmulde. Während ringsum die Scheren klappern, Haartrockner surren und mir gefühlvoll das Haar shampooniert wird, meditiere ich in den venezianischen Kronleuchter und gehe die Reihenfolge meiner anstehenden Erledigungen durch: erst zu Feinkost «Käfer», dort habe ich Thai-Spargel und Rinderfilet bestellt … die Fahrt dauert etwa fünfzehn Minuten … auf dem Heimweg am Blumenladen vorbei … Getränke, Champagner und Wein liefert der …

«Ist die Wassertemperatur so angenehm?»

Die sanfte Stimme des Azubis unterbricht meine gedankliche Einkaufsfahrt. Ich murmle ein zufriedenes «Ja, danke» und hoffe, rechtzeitig zu Hause zu sein, um den Weinhändler zu empfangen.

Wenig später sitze ich, einen goldgelben Handtuchturban auf dem Kopf, wieder bei meiner Hairstylistin. Das Mikrofasermaterial passt farblich zwar in die elegante Opulenz des ganz in Schokoladenbraun und Gold gehaltenen Trend-Salons, lässt mich aber kränklich aussehen. Ich frage mich, warum viele Frauen so gerne zum Friseur gehen? Mir gefällt selten, was ich da im Spiegel sehe. Auch jetzt denke ich wieder, dass meine hellblauen Augen müde aussehen, mich der beige Pulli ziemlich blass macht und ich wenigstens Lippenstift tragen sollte.

Geübt löst Trixi den Turban, drückt vorsichtig die Feuchtigkeit aus meinem nassen Haar und legt mir anschließend ein frisches Handtuch um die Schultern.

«Also dann, wie immer?», erkundigt sie sich mit gewohnt professioneller Höflichkeit. Unterschwellig höre ich aber ihre Hoffnung heraus, ich würde wenigstens der aufhellenden Farbspülung zustimmen, die sie mir seit Wochen empfiehlt.

«Ja, bitte. Wie immer», antworte ich und lächele versöhnlich.

Resigniert greift sie zum Kamm und entwirrt vorsichtig mein Haar. «Den Kaffee auch wie immer?»

«Sehr gerne, Trixi.»

Ja, ich bin ein Gewohnheitsmensch. Vor Veränderungen fürchte ich mich. Deshalb empfinde ich Friseurbesuche auch als schwierig. Denn erst, wenn meine geniale Friseurin es geschafft hat, dass ich wie immer aussehe, bin ich zufrieden. Ein neuer Schnitt oder gar eine andere Haarfarbe wären eine zu extreme Veränderung. Auf jeden Fall eine, die sich so schnell nicht rückgängig machen ließe, wenn es Konrad nicht gefällt. Daher bleibt es bei meinem gewohnt klassischen Look: Kinnlang und Seitenscheitel.

Trixi greift zur Schere, dreht mein Haar am Oberkopf partienweise zu kleinen Schnecken hoch, fixiert sie mit Klips und fängt am Hinterkopf an zu schneiden.

«Eines versteh ich aber nicht», sagt sie nachdenklich und unterbricht für einen Moment ihr Werk, um mich im Spiegel anzusehen. «So ein Buffet ist doch kalt. Da brauchen Sie doch nur Aufschnitt und Käse auf Platten zu verteilen. Wo ist denn da der Stress?»

Trixi und ich haben uns schon oft über mein Lieblingsthema Kochen unterhalten, daher weiß ich, dass sie höchstens mal eine Tiefkühlpizza in die Mikrowelle schiebt.

«Nun ja, ich werde auch warme Gerichte reichen. Es gibt unter anderem drei verschiedene Suppen als Vorspeise, ein Spargelgericht und als Hauptspeise in Speckstreifen gewickelte Rinderfilethappen und zum Dessert Schokotörtchen.»

Staunend lässt Trixi Kamm und Schere sinken. «Die Törtchen auch selbstgebacken?»

Ich nicke.

Der Azubi serviert den Kaffee und legt die neuesten Modezeitschriften daneben. Bevor ich anfange zu blättern, erkläre ich ihr: «Diese schokoladige Köstlichkeit können auch Sie zaubern. Das ist wirklich kinderleicht.»

Nachdenklich wuschelt sie in meinen Haaren herum. «Wenn es wirklich so einfach ist, sollte ich es vielleicht mal probieren. Für Schokolade macht mein Freund nämlich alles – vielleicht sogar einen Heiratsantrag!»

 

Eine Stunde später bürstet Trixi mein Haar ein letztes Mal durch, zupft noch einige Strähnen zurecht und verteilt zum Abschluss einen Hauch Glanzspray über ihr Werk.

Beeindruckend: Ich sehe aus wie immer! Vielleicht kann Trixi nicht kochen, aber sie ist eine Weltmeisterin, wenn es um die Erfüllung meiner Frisurwünsche geht.

«Also dann, bis zum nächsten Mal, Frau Meyer.» Zufrieden lächelnd steckt sie die zehn Euro Trinkgeld ein. «Vielleicht probieren wir es erst mal mit einem warmen Honigblond. Das würde Ihnen sicher gut stehen und der Unterschied zu Ihrer Naturfarbe wäre nicht so krass.»

Honigblond klingt wirklich schön, denke ich auf der Fahrt Richtung Feinkostladen. Möglicherweise wage ich beim nächsten Besuch dieses Abenteuer.

 

Bei «Feinkost Käfer» angelangt, dauert die Parkplatzsuche ewig. Nirgendwo eine Lücke, nicht mal eine, in die ich meinen kleinen Smart quer stellen könnte. Das Problem habe ich bei meinem Supermarkt, wo ich normalerweise einkaufe, nicht. Dort gibt es einen riesigen Kundenparkplatz. Aber wenn wir Gäste haben, wünscht Konrad 1a-Qualität, und die wird hier garantiert.

Ich ärgere mich, die Bestellung nicht schon vor dem Friseurtermin abgeholt zu haben. Heute Morgen war hier bestimmt weniger los. Nach diversen Runden um den Block finde ich endlich einen Platz – zehn Minuten von «Käfer» entfernt. Aber mir machen ein paar Schritte mehr oder weniger nichts aus. Ich bin lange Strecken von den Spaziergängen mit meinem Hund gewöhnt.

Wie der kurze Spaziergang sich allerdings auf meine 100-Euro-Frisur ausgewirkt hat, sehe ich in der Gemüseabteilung des Feinkostladens. Dort verdoppeln Spiegelwände das erlesene Angebot aus aller Welt. Ein Blick, hinweg über Flug-Ananas aus Hawaii, sonnengereifte Erdbeeren aus Chile und Avocados aus Israel, und ich stelle frustriert fest: Trixis kunstvolle Arbeit ist vollkommen zusammengefallen. Und das ausgerechnet heute!

Aber Dr. Preysing, dem neuen wichtigen Auftraggeber meines Mannes, wird mein Haar wohl egal sein, wenn ihm das Schokotörtchen auf der Zunge schmilzt. Schließlich lädt Konrad seine Kunden wegen meiner Kochkünste zu uns ein und nicht wegen meiner Frisur.

 

Zu Hause angekommen erkenne ich schon an der Gartentür, dass der Weinhändler die von Konrad ausgewählten Weine und den Champagner bereits geliefert hat. Fünf Kartons stapeln sich vor der Haustür. Dahinter bellt Oscar, als müsse er Einbrecher vertreiben. Mein weißer West-Highland-Terrier ist zwar klein, aber laut wie ein großer Wachhund. Erst als er meine Stimme hört und ich den Schlüssel im Türschloss drehe, verstummt sein Kläffen. Freudig wedelnd springt er dann zur Begrüßung an mir hoch.

«Schon gut, Oscar.» Beruhigend tätschle ich seinen Kopf. «Das war doch nur die Getränkelieferung für unsere Gäste.»

Während ich die Kisten ins Haus schleppe, rennt Oscar raus. Aufgeregt beschnüffelt er die Fußspuren des Störenfrieds, pinkelt demonstrativ gegen das Gartentor und bleibt dann dort sitzen, um für den täglichen Mittagsspaziergang loszustürmen. Leider ist auch dafür keine Zeit. Ich locke ihn mit einem Würstel zurück ins Haus. Heute muss er sich ausnahmsweise mal im Garten austoben. Unser Haus, ein langgestreckter Flachbungalow, steht nämlich in der Nähe des alten Englischen Gartens auf einem idyllischen Grundstück, durch das ein Seitenarm des Eisbachs fließt. Ein Gartenarchitekt hat die neuen Pflanzungen auf den alten Baumbestand abgestimmt und eine kleine Zugbrücke über den Bach bauen lassen, die nur von unserer Seite aus hochgezogen werden kann. So gelangen wir auch von dieser Seite in den öffentlichen Teil des Parks.

Noch während ich meinen Ablaufplan für den Abend durchgehe, erscheint Eulalia Gschwendner, meine Perle. Eulalia ist Mitte fünfzig und eine typische Münchnerin, die sich nie aus der Ruhe bringen lässt. Ihr streichholzkurzes, fast weißes Haar, das runde Gesicht, die klaren blauen Augen und die schlanke Figur entsprechen jedoch nicht der gängigen Vorstellung einer Haushaltshilfe. Als unsere Zwillinge noch zu Hause lebten, kam Eulalia zwei, drei Mal die Woche. Jetzt sind die Jungs aus dem Haus, und sie hilft mir nur noch bei großen Einladungen.

Einen roten Mopp in der Hand, steht sie kurz darauf in einer schneeweißen Kittelschürze parat. «Ich wische nochmal schnell über den Fußboden und kontrolliere dann, ob genug saubere Handtücher, frische Seife und Papier auf der Gästetoilette sind», verkündet sie in gewohnt resolutem Ton. «Danach helfe ich Ihnen.»

«Wunderbar, Eulalia. Ohne Sie würde ich das heute nicht schaffen.» Mein Lob ist keine alberne Herrschaftsfloskel, sondern wirklich ehrlich gemeint. Sie ist nämlich die beste Hilfsköchin, die man sich wünschen kann.

 

Nach fünf Stunden konzentrierter Arbeit sind die kalten Vorspeisen fertig angerichtet. Im Rohr brutzeln die Filethappen bei kleiner Hitze. Um die Schokotörtchen schmiegen sich frische Himbeeren, und im Eisfach steht ein Fruchtsorbet. Die Getränke sind gekühlt, die Zutaten für die trockenen Martinis bereitgestellt, und in der Kristallkaraffe atmet der Rotwein. Überall in unserem durchgängig in Grau-Weiß gestylten modern-puristischen Heim flackern weiße Kerzen, und der zarte Duft weißer Blumensträuße erfüllt das Haus. Ich trage Konrads Lieblingskleid, hellgrau und schlicht geschnitten, dazu gleichfarbige niedrige Wildlederpumps und als einzigen Schmuck mein Hochzeitsgeschenk, eine zweireihige Perlenkette. Meine Fingernägel glänzen frisch poliert, sogar meine ramponierte Frisur konnte ich einigermaßen wieder hinföhnen.

Als ich mir für die letzten Handgriffe noch eine frische weiße Schürze umbinde, höre ich Konrads Auto vorfahren. Er kommt von der Düsseldorfer Großbaustelle zurück, auf der er als leitender Architekt wieder mal die ganze Woche verbracht hat. Auch Oscar erwacht aus seinem Schläfchen auf dem Sofa, springt sofort runter und legt sich brav in sein Körbchen.

Ich eile zur Haustür, um ihn zu begrüßen. Doch Konrad rauscht an mir vorbei. Und noch während er seinen schwarzen Trenchcoat im Garderobenschrank verstaut, höre ich ihn fragen: «Ist alles bereit?»

«Selbstverständlich», versichere ich ihm.

Zufrieden präsentiere ich die angerichteten Speisen auf unserem imposanten Küchenblock. Das schneeweiße skulpturale Stück in Z-Form, mit den milchweißen Glasfronten und der polierten Arbeitsfläche aus hellgrauem Granit stammt, wie unsere gesamte Einrichtung, von einem italienischen Designer. Konrad liebt die klaren, schnörkellosen Formen der Italiener. Es versteht sich von selbst, dass er keine überflüssige Dekoration mag. Auch keine Familienfotos, ja nicht mal unsere Söhne in silbernen Rahmen. Als einzige Auflockerung im Raum gestattet er eine eckige Glasschale, in der immer genau fünf gleich große Äpfel liegen müssen. Vier grüne und ein roter!

Ohne erkennbare Regung wandert Konrads Blick über die kulinarische Pracht. «Bestens, dann gehe ich mich jetzt frisch machen.» Ein kurzes höfliches Nicken in Richtung Eulalia und er ist im Bad verschwunden.

Bei einem alten Ehepaar wie uns ist eine knappe Kommunikation nichts Ungewöhnliches. In letzter Zeit habe ich jedoch das unangenehme Gefühl, dass sich mein Ehemann stark verändert hat. Das betrifft nicht sein ehemals dunkles Haar, das inzwischen durchweg von Grau durchzogen ist, oder seinen Bauchansatz, der trotz des vielen Sports nicht schwinden will, weil Konrad wie sein Vater gerne ein Glas zu viel trinkt. Für Ende fünfzig sieht Konrad immer noch ganz gut aus.

Nein, es ist dieser kühle und distanzierte Blick und die oft kalte Höflichkeit, mit der er mich seit einigen Monaten behandelt. Als wären wir Fremde und nicht seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet. Aber wirklich unangenehm ist seine ständig schlechte Laune.

Ich poliere gerade noch ein paar zusätzliche Weingläser, als Konrad aus dem Bad zurückkommt. Er ist wieder in Architekten-Schwarz gekleidet. Ein Fremder würde vielleicht gar nicht erkennen, dass er sich umgezogen hat. Ich dagegen kenne die verschiedenen Schnitte seiner Hosen, die Revers oder Knöpfe an den Jacketts und die unterschiedlichen Kragenformen seiner Hemden.

«Wolltest du heute nicht zum Friseur?» Abschätzend betrachtet er mein Haar.

«War ich auch. Leider mögen meine Haare keine feuchte Luft. Es gab bei Käfer keinen Parkplatz vor der Tür. Ich musste ein Stück laufen und –»

«Aha.» Konrad greift nach der auf dem Küchenblock bereitstehenden Glaskaraffe und widmet sich dem Mixen des Martinis. Seit vor ein paar Jahren die Küche in den Wohnraum integriert wurde, empfangen wir hier nicht nur unsere Gäste, auch Konrad genießt hier gerne seinen abendlichen Drink. Allerdings ist dieses Ritual selten geworden, seitdem er oft sehr spät oder nur am Wochenende nach Hause kommt.

Mit dem Stilglas in der Hand begibt sich Konrad dann zu unserm Hund. «Na, alter Knabe …» Liebevoll streichelt er Oscars Kopf. «Heute schon die Damen der Umgebung beschnüffelt?»

Oscar antwortet mit einem leisen «Wuff», bleibt aber wohlerzogen liegen. Sobald das Herrchen zu Hause ist, folgt er nur seinen Befehlen. Der Name unseres Hundes hat übrigens nichts mit dem Hollywood-Oscar zu tun. Er ist eine Hommage an Oscar Niemeyer, den großen brasilianischen Architektur-Titan. Dieses Genie bewundert Konrad schon seit seinem Studium. Und Konrads größter Traum wäre, auch eine Stadt wie Brasilia bauen zu dürfen. Wer baut, setzt Zeichen! So lautet sein Motto. Umso wichtiger sind Kontakte zu großen Bauherren. Dr. Preysing nebst Frau, die wir heute zusammen mit einigen anderen Gästen erwarten, gehören unbedingt in diese Kategorie. Früher durfte ich Konrad manchmal auf seine Baustellen begleiten und seinen Vorträgen lauschen. Seine Ideen von innovativer Formensprache, wegweisenden Bauten und wohnlichen Innenstädten klangen so tröstlich. So, als gäbe es Hoffnung auf eine Welt ohne Bausünden und ohne Verschwendung von Steuergeldern, stattdessen großzügigen Wohnraum für Familien.

Alles nur hohle Worte, seufze ich still in mich hinein und merke, dass ich melancholisch werde. Zum Glück summt in diesem Moment unsere Überwachungsanlage.

Konrad eilt an die Tür, Eulalia hinterher.

«Dr. Preysing, wie schön, Sie zu sehen. Gnädige Frau! Bitte kommen Sie doch herein. Eulalia, die Mäntel», höre ich seine strenge Anweisung. Anschließend führt er die Gäste charmant lächelnd an den Küchentresen.

Das Ehepaar Preysing ist erst Ende dreißig. Aber beide sehen nach sehr viel Geld aus. Er trägt einen steingrauen, dezent schimmernden Anzug, der so perfekt sitzt, dass er nur von einem Maßschneider stammen kann. An seiner Krawatte klemmt eine protzige Goldnadel und an den Manschetten seines eisblauen Hemds blitzen Diamanten, so groß wie die Himbeeren an meinen Schokotörtchen. Auch die wuchtige Uhr an seinem rechten Handgelenk sieht nicht aus, als hätte er sie beim Kaffeeröster erstanden.

Frau Preysing könnte eine Kundin von Trixi sein: Ihr Haar glänzt im gleichen Rabenschwarz wie das meiner Friseurin. Die vollen, sinnlichen Lippen und die grünen Augen sind kunstvoll, nach meinem Empfinden aber etwas zu stark betont. Das fließende Material und der Schnitt ihres orangeroten Kleides betonen wirkungsvoll ihre üppigen Kurven, und die hohen lilafarbenen Pumps verlängern ihre schlanken Beine. In unserem grau-weißen Heim wirkt Tina Preysing wie ein bunter Falter. Die weiß-grau gestreifte Krawatte ihres Gatten harmoniert dagegen perfekt.

Freundlich lächelnd überreicht sie mir den mitgebrachten Blumenstrauß und wendet sich dann an Konrad, der sie schon die ganze Zeit bewundernd betrachtet: «Herzlichen Dank für die Einladung, Herr Meyer. Ihre Frau ist nicht zu Hause?»

Konrad fixiert mit strengem Gebieterblick meine Schürze, bevor er stotternd antwortet: «Äh … das ist meine Frau.»

Dr. Preysing entschärft lachend die peinliche Situation: «Schatz, bei nächster Gelegenheit kriegst du auch so eine Schürze. Ich finde, das sieht ganz reizend aus!»

Verlegen reicht mir seine Frau die Hand: «Freut mich sehr, Frau Meyer, ich bin Tina Preysing, und bitte entschuldigen Sie. Das war dumm von mir.»

Auch ihr Mann bedauert den Fauxpas beim Händeschütteln. Die Preysings scheinen eigentlich ganz nett zu sein. Und mittlerweile freue ich mich auch wieder auf den Abend. Mein eben noch schlecht gelaunter Ehemann hat sich in einen charmanten und höflichen Gastgeber verwandelt und will gerade Getränke anbieten, als wieder der Türsummer ertönt.

Diesmal geht Eulalia alleine öffnen. An den Stimmen erkenne ich Carla und Frank Milius, unsere Nachbarn. Frank ist ebenfalls Architekt und hat zusammen mit Konrad studiert. Carla sieht trotz ihrer neunundfünfzig Jahre phantastisch jung aus. Nicht ein Fältchen stört ihr Gesicht, obwohl sie zehn Jahre älter ist als ich. Natürlich ist sie kein Naturwunder. Sie schwört auf teure japanische Kosmetik, ihren Coiffeur in Paris und einen berühmten plastischen Chirurgen vom Bodensee. Dass sie aber auch modisch auf dem neuesten Stand ist, erkennt man deutlich an der knallengen Designer-Jeans in Grün, den Stilettos in einem etwas dunkleren Ton und dem mintgrünen Satinjackett, das sie auf nackter Haut trägt.

«Servus Evelyn, ich hab einen Bärenhunger! Hab extra den ganzen Tag nichts gegessen, damit ich jetzt richtig zuschlagen kann.» Sie küsst mich freundschaftlich auf die Wangen und verkündet dann überschwänglich laut in die Runde: «Diese Frau ist nämlich eine 100-Sterne-Köchin!»

Ich weiß, dass sich Carla keine Sorgen um ihr Gewicht macht und Speckröllchen einfach absaugen lässt, aber über nette Komplimente freue ich mich immer.

Konrad stellt die Ehepaare einander vor und übernimmt auch den Rest der Etikette: Er bietet Getränke an, reicht Blumensträuße und Gastgeschenke an Eulalia weiter. Kurz darauf treffen zwei jüngere Kollegen nebst Freundinnen ein. Etwas verspätet erscheinen schließlich auch Alma und Arwed Meyer, meine Schwiegereltern. Und ich wage zu behaupten, dass sie im Grunde die heutigen Ehrengäste sind.

Konrads Vater ist Architekt, wie alle Meyer-Männer in dieser Familie. Die Söhne ergreifen diesen Beruf aus Tradition, führen die alteingesessene und gutgehende Firma weiter – und heiraten die Chefsekretärin. Und genau wie ich für meinen Schwiegervater Briefe getippt, Termine vereinbart und Telefonate erledigt habe, hat meine Schwiegermutter damals für ihren Schwiegervater dergleichen erledigt.

Unnötig zu erwähnen, dass auch Arwed nur schwarze Anzüge trägt. Heute kombiniert mit weißem Hemd und schwarz-weiß getupfter Krawatte. Meiner schlanken Schwiegermutter sieht man immer noch an, dass sie als junge Frau eine strahlende Schönheit gewesen sein muss. Ihr silbergrauer Abendanzug im Smokingstil wirkt zu den kurz geschnittenen grauen Haaren sehr elegant. Drei große Silberringe an den Fingern, die sie als einzigen Schmuck trägt, vervollständigen das Bild. Alma ist wirklich eine überaus attraktive Erscheinung. Die Neunundsiebzig glaubt ihr niemand.

«Guten Abend, mein Kind, sind wir zu spät?»

Almas Frage ist rein rhetorisch, sie erwartet eigentlich keine Antwort. Jedenfalls nicht von mir. Seit Jens und Timo vor einem Jahr nach London gingen, um dort Modedesign zu studieren, spricht sie zwar noch zu aber nicht mehr mit mir. Ich nehme es meiner Schwiegermutter aber nicht übel, denn es ist letztlich ihr zu verdanken, dass die Zwillinge in England studieren können. Ihren geliebten, einzigen Enkelsöhnen kann sie einfach nichts abschlagen. Und so hat sie Konrad mit klugen Argumenten (in der Mode ginge es schließlich auch um Formen und Gestaltung) überzeugt, das Studium als Orientierungsphase anzusehen und es dennoch zu finanzieren.

«Na, Evelyn, wieder den ganzen Tag am Herd gestanden?», erkundigt sich mein Schwiegervater jovial, als handle es sich um etwas absolut Unzumutbares, und reicht mir die Hand. «Warum kochst du eigentlich immer noch selbst? Nicht mal die Unterschicht steht noch am Herd.»

Auch wenn ich mich gut mit ihm verstehe (ohne meine Anstellung bei ihm hätte ich Konrad vermutlich nie kennengelernt), finde ich, dass er ein echter Snob ist. Widersprechen würde ich aber nie. Auseinandersetzungen gehe ich gerne aus dem Weg. Carla behauptet sogar, ich sei harmoniesüchtig, sonst würde ich meine geliebte Porzellanschnecken-Sammlung nicht vor Konrad in Kartons verstecken.

Nachdem nun alle ihren Begrüßungschampagner geleert haben, eröffne ich das Buffet. «Bitte bedienen Sie sich.»

Dr. Preysing greift ungeniert zu. «Das sieht alles äußerst deliziös aus!», sagt er anerkennend. «Ihre Kochkünste sind ja bekannt, Verehrteste. Ihr Gatte muss sehr stolz auf Sie sein.»

So viel Lob bin ich nicht gewohnt, und die Worte lassen mich erröten. «Sehr freundlich, Dr. Preysing», bedanke ich mich verlegen und hoffe, dass Konrad auch alles gehört hat.

Nach einer weiteren Vorstellungsrunde beginnt Konrad mit einem halbstündigen Weinseminar über die Bedeutung von Hanglagen, Jahrgängen und Bariquefässern. Das ist mir immer etwas peinlich. Aber endlich hat jeder Gast einen edlen Tropfen im Glas sowie einen Teller voller Köstlichkeiten in der Hand. Die Männer machen es sich auf unseren hellgrauen Leinensofas bequem, während wir Frauen auf den hohen Hockern um den Küchenblock Platz nehmen. Wir nennen uns inzwischen alle beim Vornamen und dementsprechend informell und fröhlich verläuft die Unterhaltung. Die Themen wandern von Kindern über Mode und Schönheit zum leidigen Thema Falten. Carlas absolutes Lieblingsthema …

«Also, ich habe den genialsten Schönheitschirurgen der Welt! Wenn der Fett aus den Problemzonen absaugt, um die Lippen damit aufzuspritzen, sieht man anschließend nicht aus, als hätte man den Hintern im Gesicht.» Sie spitzt ihren prallen Mund (soweit das überhaupt möglich ist) und reckt ihn in die Runde. «Möchte jemand die Adresse?»

Die jungen, faltenlosen Freundinnen von Konrads Kollegen unterdrücken sichtlich ihr Lachen und werfen sich verschwörerische Blicke zu, verkneifen sich aber jegliche Bemerkungen.

Carla bietet außerdem noch die Visitenkarte ihres Friseurs an. Bei ihm verbringt sie noch mehr Zeit als unterm Messer. «Ich wechsele mein Styling ja mehrmals im Jahr», erzählt sie und sieht mich dabei streng an.

Alma, die unserer Unterhaltung bisher nur konzentriert gelauscht hat, meint plötzlich gelassen: «Bei mir ist sowieso alles zu spät …»

Wir müssen herzlich lachen. Ich mag den trockenen Humor meiner sonst so strengen Schwiegermutter. Doch dann lässt sie eine kleine Spitze gegen mich los.

«… bei Evelyn dagegen nicht.»

Während die anderen das Für und Wider von neuen Frisuren oder Schönheitsoperationen diskutieren, überlege ich, wie Alma es gemeint hat. Vielleicht war es ja nur ein Scherz.

Ansonsten verläuft der Abend locker und ungezwungen – ganz nach Konrads Wünschen. Eulalia flitzt fast unbemerkt wie die Kommandeurin aller Heinzelmännchen zwischen den Gästen hin und her. Kaum wird ein Teller zur Seite gestellt, hat sie ihn auch schon entfernt. Kein Gast muss aufs Nachschenken warten. Wer sich nicht selbst bedienen möchte, der sendet Eulalia einen kurzen Blick, und schon ist sie zur Stelle. Genauso liebt es Konrad: ein kultivierter Abend mit erlesenen Gästen, an dem viel gelacht, reichlich nachverlangt und fast alles aufgegessen wird.

Beim Abschied bittet mich Tina um das Rezept von der Kürbiscremesuppe mit Garnelen. Während ich es notiere, wendet sich Dr. Preysing mit der ungewöhnlichen Bemerkung an mich: «Sie sollten Ihre Rezepte nicht nur für Freunde notieren, sondern ein Kochbuch schreiben. Das würde bestimmt ein Bestseller, glauben Sie mir. Ich hatte schon lange nicht mehr solche Delikatessen auf meinem Teller. Ein wahrhaft überirdischer Genuss! Herzlichen Dank, es war ein erlesener Abend, Frau Meyer.»

Geschmeichelt bedanke ich mich ebenfalls und blicke zu Konrad, der gerade Alma in den Mantel hilft. Ob er das Lob diesmal wohl gehört hat?

Ein kleines Lächeln umspielt seinen Mund. Er hat es gehört!, denke ich zufrieden und atme auf.

Konrad zieht seinen Mantel an, um seine Eltern zum Taxi zu bringen und noch eine Runde mit dem Hund zu drehen. Mein fünfundachtzigjähriger Schwiegervater fährt nachts nicht mehr gerne, trinkt aber umso lieber Wein. Und Oscar, der den ganzen Abend brav im Körbchen gelegen hat, springt begeistert auf.

In der Zwischenzeit bringe ich mit Eulalias Hilfe alles wieder in Ordnung. Schmutziges Geschirr würde ich nie über Nacht stehen lassen, egal, wie spät es geworden ist. Sogar die Weingläser spülen wir schnell noch von Hand. Die dürfen nämlich nicht in die Spülmaschine wegen drohender Glaskorrosion.

«Heute haben Sie sich Ihren Feierabend aber redlich verdient, Eulalia», verabschiede ich mich nach getaner Arbeit und helfe ihr in den Mantel. An der Tür drücke ich ihr zu der vereinbarten Bezahlung noch einen 20-Euro-Schein in die Hand. «Fürs Taxi, und ein schönes Wochenende!»

Kurz darauf kommt auch Konrad zurück. Der nächtliche Spaziergang von Hund und Herrchen hat etwa vierzig Minuten gedauert.

«War doch wirklich ein schöner Abend, findest du nicht?», frage ich Konrad, als er den Mantel ablegt.

Doch mein eben noch so freundlicher Ehemann schnauft genervt, bevor er mürrisch antwortet: «Das Buffet hätte eigentlich ich eröffnen müssen. Schließlich war ich der Gastgeber.»

Einen Moment lang bin ich sprachlos. Dann erinnere ich mich an die vielen Komplimente und wage es, ihm zu widersprechen. «Entschuldige bitte, ich dachte, du wolltest eine Dinnerparty, weil die eben nicht so förmlich, sondern locker und ungezwungen sind. Alle waren doch sehr zufrieden. Und Dr. Preysing –»

«Ich habe dich nicht gebeten zu denken», unterbricht er mich herablassend und verzieht sich ohne weitere Erklärung ins Bad.

Es ist nicht das erste Mal, dass Konrad weder meine Bemühungen noch meine Kochkünste erwähnenswert findet. Es gab in letzter Zeit sogar Einladungen, bei denen ihm das Essen angeblich überhaupt nicht geschmeckt hat. Doch wozu streiten? Würde ja doch zu nichts führen, denke ich resignierend und schicke Oscar mit einem Kauknochen in sein Körbchen.

Vielleicht war es ja wirklich unangebracht, ihn einfach so zu übergehen. Vielleicht haben sich neue Probleme mit Dr. Preysing aufgetan, von denen wir Frauen am Küchenblock nichts mitbekommen haben. Vielleicht hat seine miese Laune gar nichts mit mir oder dem Dinner zu tun und ich bin nur der Blitzableiter wie so oft in letzter Zeit.

Aber warum lässt du dir das gefallen?, meldet sich plötzlich eine leise Stimme in mir. Ja, warum eigentlich? Vielleicht wäre jetzt der richtige Moment, meiner ständig nörgelnden besseren Hälfte endlich mal die Meinung zu sagen!

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2

Samstage gehörten immer schon zu meinen Lieblingstagen. Als die Kinder noch zur Schule gingen, konnten wir ausschlafen und später gemeinsam frühstücken. Konrad ging, wenn überhaupt, erst gegen Mittag ins Büro.

Ausschlafen kann ich natürlich immer noch. Aber heute werde ich trotz des späten Zu-Bett-Gehens schon um sieben wach. Konrad schläft noch tief und fest. Meinetwegen kann er den ganzen Tag im Bett verbringen, dann muss ich wenigstens seine Launen nicht ertragen.

Leise stehe ich auf. Oscar freut sich über mein frühes Erscheinen. Wie jeden Morgen will er zuerst in den Garten, zur täglichen Revier-Markierung.

«Nachher machen wir einen ganz langen Spaziergang», verspreche ich ihm, als ich ihn rauslasse.

Während Oscar durch den Garten saust, wärme ich etwas Milch auf. Mehr brauche ich heute Morgen nicht. Ich bin nicht hungrig, das Buffet war doch sehr üppig. Mir fällt Dr. Preysings nettes Kompliment wieder ein. Ein Kochbuch schreiben! Ja, das wäre toll. Rezepte hätte ich jede Menge. Schon seit meiner Teenagerzeit kreiere ich eigene Gerichte und schreibe sie auch auf.

Aber wenn ich meine über die Jahre angewachsene Sammlung von Kochbüchern ansehe, frage ich mich: Gibt es nicht mehr als genug davon? In den Buchläden steht doch für jeden Geschmack etwas. Vor allem von berühmten Fernsehköchen. Wer würde da schon ein Kochbuch von einer ganz normalen Hausfrau kaufen? Ganz egal, wie phantastisch sie kochen kann. Was sollte sie dagegen zu bieten haben? Konrads Meinung nach vermutlich gar nichts.

Nachdem ich Oscar wieder ins Haus geholt habe, mache ich es mir mit der heißen Milch auf dem Sofa bequem. Von dort aus kann ich zwischen den Bäumen die Oktobersonne an einem türkis-rosa Himmel aufgehen sehen. Oscar ist mit einem Satz bei mir und legt sich auf meine Füße. Ich mag diese frühe Stunde, wenn der Tag noch unschuldig und voller Möglichkeiten ist. Eine gute Zeit, um nachzudenken.

Ob Konrad überhaupt merken würde, wenn ich alles stehen ließe, der Kühlschrank nicht mehr gefüllt wäre und sich das schmutzige Geschirr stapeln würde? Oder wenn er mich abends mal nicht zu Hause vorfände? Die Vorstellung lässt mich trotz meines warmen Flanellhemds für einen Moment frösteln. Wie komme ich nur auf derart ketzerische Gedanken? Genau wie gestern Abend vor dem Einschlafen. Schließlich führe ich doch das Leben, von dem ich als kleines Mädchen immer geträumt habe. Schon damals wollte ich heiraten, Kinder bekommen und in einem eigenen Haus mit Garten leben.

Plötzlich steht Konrad im Raum und scheucht Oscar mit forscher Stimme vom Sofa. «Los, alter Knabe, wir gehen laufen!»

Mein sportlicher Ehemann trägt einen gutsitzenden Sportanzug und nickt mir beiläufig zu, bevor er zum Kühlschrank marschiert, um seinen täglichen Energiedrink zu sich zu nehmen. Oscar eilt ihm schwanzwedelnd hinterher.

«Guten Morgen», begrüße ich ihn heiter und versuche, seine Unfreundlichkeit von gestern Abend zu vergessen.

«Morgen», kommt die knappe Antwort. Energisch zieht Konrad den Reißverschluss seiner anthrazitfarbenen Jacke hoch, aktiviert den Schrittzähler am Handgelenk, und schon sind beide draußen.

Ich bleibe etwas ratlos zurück. Gedankenversunken falte ich die Kaschmirdecke ordentlich zusammen und schüttle die Kissen auf. Anschließend poliere ich das Silberbesteck, sortiere die weißen Blumen aus den bunten Sträußen unserer Gäste und arrangiere sie zu einem Strauß. Konrad mag keine farbigen Blumen. Die stören angeblich den Gesamteindruck.

Gerade als ich ins Bad will, um zu duschen, höre ich Konrads Schlüssel in der Haustür. Seltsam. Sein Rundlauf dauert doch normalerweise viel länger als dreißig Minuten. Neugierig eile ich zur Tür und bleibe irritiert stehen.

Der verstörte Ausdruck in Konrads verschwitztem Gesicht, dazu sein verschmutzter Sportanzug und das merkwürdige Paket aus Zeitungspapier, das er auf dem Arm trägt, machen mir Angst. Stumm hält er mir das Bündel entgegen.

«Oscar …», flüstere ich mit zittriger Stimme und zwinge mich genauer hinzusehen. An einer Seite blitzt Oscars Nase hervor, an der anderen hängt eine Pfote kraftlos herunter. Er gibt keinen Laut von sich.

«Er wurde angefahren», murmelt Konrad leise.

«Schnell, leg ihn aufs Sofa.» Panisch stürze ich zum Telefon, um unseren Tierarzt anzurufen.

Konrad platziert das eingewickelte Tier auf der weißen Kaschmirdecke, tritt dann zu mir und nimmt mir den Hörer aus der Hand. «Es hat keinen Sinn mehr, Evelyn. Oscar ist tot.»

Verständnislos starre ich ihn an. «Wieso tot? Gerade hast du gesagt, er wäre nur angefahren!»

Schuldbewusst senkt er den Kopf. «Ja … aber er hat es leider nicht überlebt.»

«Du hast nicht aufgepasst!», schreie ich verzweifelt.

Konrad versucht, mich zu beruhigen. «Ich glaube, er hat nichts gespürt.»

Zornig schubse ich ihn weg. Mein armer kleiner Oscar! Er war doch eben noch so quicklebendig.

«Vielleicht tröstet es dich, dass er in seinen letzten Minuten glücklich gewesen ist», erklärt Konrad, als würde so eine banale Bemerkung meinen schmerzlichen Verlust mildern. «Er wollte zu einer läufigen Hündin auf der anderen Straßenseite.»

«Was für eine läufige Hündin?» Meine Stimme erstickt in Tränen.

«Eine kleine schwarze Pudeldame. Ich glaube, sie wohnt im Freesienweg. Oscar hat sich losgerissen und ist über die Straße gerannt. Auf meine Befehle hat er nicht mehr gehört. Er ist einfach losgestürmt.» Konrad lächelt versonnen. «Ja, unser Oscar war zwar nicht mehr der jüngste, aber immer noch ein toller Hund! Ich muss jetzt erst mal unter die Dusche. Und danach möchte ich frühstücken.»

Als wäre es vollkommen normal, einen toten Hund nach Hause zu bringen, bestellt Konrad Frühstück und verschwindet danach im Bad.

Ich weiß nicht, ob ich in einen hysterischen Lachanfall oder in einen Weinkrampf ausbrechen soll. Vorsichtig nehme ich das Zeitungspapier zur Seite. Mein süßer, kleiner Oscar sieht aus, als würde er schlafen. Nur das blutverschmierte Fell passt nicht zu dem Eindruck. Laut schluchzend wickle ich ihn in die weiße Kaschmirdecke ein. Darin werde ich ihn begraben.

Mit einem Spaten aus Konrads kostbarer Sammlung beginne ich wenig später neben Oscars Stammpinkelbaum zu graben. Normalerweise darf man die Geräte nur anschauen. Anfassen ist verboten. Damit graben sowieso. Mindestens zwanzig dieser Dinger hängen in extra dafür angefertigten Schlaufen an den Garagenwänden. Da gibt es eine Kaffeebohnenschaufel aus Guatemala, einen Soldaten-Klappspaten aus irgendeinem Krieg und natürlich die Schaufel vom ersten Spatenstich zu unserem Haus. Den Grund für diese seltsame Passion hat mir mein Mann oft genug erklärt: «Die Schaufel ist das männlichste aller Werkzeuge und selbstverständlich auch für Architekten von elementarer Bedeutung. Mit diesem Handwerksgerät wurden Zivilisationen begründet, und auch Neil Armstrong hatte eine Schaufel in der Hand, als er den Mond betrat.»

Jedes einzelne seiner Exponate wurde nur einmal für den jeweils ersten Spatenstich bei wichtigen Bauvorhaben benutzt – immer in der Hoffnung, das Gebäude und somit auch der Spaten würden eines Tages an Bedeutung gewinnen. Aber ich bin jetzt so entschlossen, dass ich es sogar auf eine Auseinandersetzung mit Konrad ankommen lasse.

Nach einer Stunde bin ich fertig, und es geht mir schon besser. Die ungewohnte körperliche Anstrengung hat mich etwas beruhigt. Zumindest fließen meine Tränen nicht mehr. Doch als ich meinen kleinen Liebling in die Grube lege, fange ich wieder an zu schluchzen. Ich kann überhaupt nicht mehr aufhören. Ich bin einfach zu traurig. Oscar war der Hund, den ich schon als kleines Mädchen immer wollte und nie bekommen habe. Er war der Spielgefährte meiner Söhne und in letzter Zeit meine einzige Gesellschaft, wenn ich tagelang allein zu Hause saß.

Zurück im Haus stolpere ich dann auch noch über das verlassene Körbchen. Mir wird bewusst, dass Oscar nie wieder um meine Beine streichen wird. Unter Tränen starre ich auf den leeren Platz. Der angenagte Kauknochen von gestern Abend liegt noch drin. Die Kraft, alles wegzuräumen, habe ich nicht. Seufzend begebe ich mich in die Küche.

«Vielleicht solltest du dir gleich einen neuen Oscar anschaffen.» Umgeben von frischem Seifenduft und in eine lässige Freizeithose gekleidet, steht Konrad vor dem Kühlschrank.

Fassungslos sehe ich ihn an. Hab ich mich verhört, oder hat er gerade «einen neuen Oscar anschaffen» gesagt? Das kann doch unmöglich sein Ernst sein?

Gelassen zuckt er die Schultern. «Ich wollte dich nur aufmuntern. Und so ein süßer kleiner Welpe könnte das noch viel besser.»

Eben war ich noch tieftraurig. Doch jetzt brodelt es heftig in mir. Erst vor wenigen Minuten habe ich meinen geliebten Hund mit Erde bedeckt. Und jetzt will Konrad ihn schon gegen einen neuen ersetzen. Ist er wirklich so gefühllos?

«Was würdest du eigentlich machen, wenn ich mal sterbe?», frage ich vorwurfsvoll. «Suchst du dir dann nach meiner Beerdigung auch sofort wieder eine neue Frau, damit dein Leben wie gewohnt funktioniert?»

«Bitte, Evelyn, bleib realistisch. Oscar war ein Hund.»

«Ja, und du hast keine Ahnung, wie klug er war», schluchze ich. «Oscar verstand jedes Wort. Er wusste genau, was er wann durfte und wann nicht.» Vor allem, wenn du nicht zu Hause warst, füge ich in Gedanken hinzu.

«Wie dem auch sei, wenn du wieder einen Hund möchtest, habe ich nichts dagegen …»

«Dich kann wohl gar nichts erschüttern?», motze ich ihn an und bin über mich und meine plötzliche Angriffslustigkeit erstaunt. «Da wird ein langjähriges Familienmitglied überfahren, und du gehst einfach zur Tagesordnung über.»

Irritiert blickt er mich an. «Was soll diese Feindseligkeit? Ich habe dir gesagt, dass es nicht meine Schuld war. Im Übrigen hätte dir das auch passieren können. Gegen eine läufige Hündin ist man einfach machtlos. Wie dem auch sei, das Leben geht weiter.»

Typisch Konrad: Er beendet unangenehme Themen gerne mit einem: «Wie-dem-auch-sei». Und damit verschwindet er die Treppe runter im Hobbykeller. Das Thema ist für ihn abgehakt. Er geht tatsächlich zum gewohnten Tagesprogramm über.

Bestürzt starre ich ihm nach. Ist das wirklich der Mann, der geweint hat, als nach fünfjährigem Warten endlich die Zwillinge geboren wurden? Ich fühle mich schrecklich allein gelassen. Anstatt mich zu trösten, wäre es Konrad lieber, ich würde mir ganz schnell einen Ersatzhund kaufen: Er hat nichts dagegen!!!

Ich fühle mich so erschlagen, als würde ich eine schwere Grippe bekommen. Erschöpft schleppe ich mich zum Sofa, ziehe mir die Decke über den Kopf und wäre am liebsten auch tot.

Nach einer Stunde werden meine dunklen Gedanken vom Klingeln des Telefons unterbrochen. Solange Konrad zu Hause ist, wünscht er nicht, dass ich abnehme. Doch es klingelt weiter. Also muss ich rangehen.

«Hallo Mami!», begrüßt mich Jens, der dreißig Minuten ältere Zwilling. Gleich darauf höre ich auch Timos Stimme. «Mamilein, hallooo! Wie geht’s dir denn?»

Sofort fange ich wieder an zu schluchzen und platze mit der schrecklichen Nachricht heraus. «Oscar ist tot!»

«Oh, Mami, wie furchtbar. War er krank?», fragt Jens nach einer Schrecksekunde.

Ich muss mir erst die Nase putzen. «Nein, er wurde überfahren, als er einer läufigen Hündin nachlief.»

Dann trösten mich beide gleichzeitig und einstimmig, wie es typisch für sie ist. «Der arme Oscar, aber bestimmt sitzt er jetzt im Hundehimmel, hat eine große Wurst im Maul und ist happy. Also sei nicht traurig.»

Allein mit meinen Söhnen zu sprechen, hilft mir mehr, als es Konrad je gekonnt hätte. «Ach, erzählt mir lieber, was es bei euch Neues gibt», erkundige ich mich.

«Also, hm … wir rufen eigentlich wegen Weihnachten an …», beginnt Jens, und Timo beendet den Satz. «Wir sind nämlich auf einer superschicken Party eingeladen.»

«Wieso Weihnachten?», frage ich verständnislos. «Es ist Anfang Oktober.»

«Ja, genau», antworten beide wieder gemeinsam, und dann fährt Timo fort. «Wir wollten nur rechtzeitig Bescheid sagen, damit du planen kannst. Wir werden über die Feiertage wohl nicht nach Hause kommen.»

«Und das wisst ihr jetzt schon?» Ich bin wirklich sehr enttäuscht.

Timo erklärt mir, dass sie von wichtigen Modeleuten eingeladen wurden. «Das ist eine super Chance für uns, die Stars der Szene kennenzulernen. Dolce und Gabbana haben ausgedient, jetzt kommen wir: JETI