Die Schwestern vom See - Neue Wege - Lilli Beck - E-Book

Die Schwestern vom See - Neue Wege E-Book

Lilli Beck

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Beschreibung

Eine malerische Pension am Bodensee und zwei Schwestern, die dieser allen Hürden zum Trotz zu neuem Glanz verhelfen ...

Auerbach am Bodensee: Rose König steckt mitten in den Planungen für ihre Hochzeit. Doch ausgerechnet am Polterabend kommt ein Geheimnis ihres Verlobten Nico ans Licht, das Rose an dessen Ehrlichkeit zweifeln lässt. Auch zwischen ihrer Schwester Iris und deren Ehemann kriselt es gewaltig. Zudem hadert Iris mit ihrer neuen Rolle als Adoptivmutter.
Als wäre das nicht genug, steckt die familieneigene Pension in immer größeren finanziellen Schwierigkeiten. Neue Ideen sollen her, um das Unternehmen zu retten. Und einmal mehr müssen die Schwestern neue Wege gehen, um für ihr Erbe – und um die Menschen, die sie lieben – zu kämpfen.

Bewegende Schicksale, große Gefühle und brisante Verwicklungen vor der Kulisse des idyllischen Bodensees!

Wenn Sie wissen wollen, wie es weitergeht, lesen Sie auch Band 3 der großen Familiensaga um die Pension König.

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Seitenzahl: 376

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Buch

Auerbach am Bodensee: Rose König steckt mitten in den Planungen für ihre Hochzeit. Doch ausgerechnet am Polterabend kommt ein Geheimnis ihres Verlobten Nico ans Licht, das Rose an dessen Ehrlichkeit zweifeln lässt. Auch zwischen ihrer Schwester Iris und deren Ehemann kriselt es gewaltig. Zudem hadert Iris mit ihrer neuen Rolle als Adoptivmutter.

Als wäre das nicht genug, steckt die familieneigene Pension in immer größeren finanziellen Schwierigkeiten. Neue Ideen sollen her, um das Unternehmen zu retten. Und einmal mehr müssen die Schwestern neue Wege gehen, um für ihr Erbe – und für die Menschen, die sie lieben – zu kämpfen.

Autorin

Lilli Beck wurde 1950 in Weiden/Oberpfalz geboren und lebt seit vielen Jahren in München. Nach der Schulzeit begann sie eine Ausbildung zur Großhandelskauffrau. 1968 zog sie nach München, wo sie von einer Modelagentin in der damaligen In-Disko »Blow Up« entdeckt wurde. Das war der Beginn eines Lebens wie aus einem Hollywoodfilm. Sie arbeitete zehn Jahre lang für Zeitschriften wie »Brigitte«, »Burda Moden« und »twen«. Neben »Die Schwestern vom See«, dem fulminanten Auftakt einer zeitgenössischen Reihe um das Erbe dreier Schwestern, hat sie bei Blanvalet mit großem Erfolg historische Romane veröffentlicht.

Weitere Informationen unter: https://lilli-beck.de/

Von Lilli Beck bereits erschienen:

Glück und Glas – Wie der Wind und das Meer – Mehr als tausend Worte – Wenn die Hoffnung erwacht – Die Farben unserer Träume

Die Bodensee-Saga von Lilli Beck:

Band 1: Die Schwestern vom See

Band 2: Die Schwestern vom See – Neue Wege

Lilli Beck

Die Schwestern vom See

Neue Wege

Roman

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Originalausgabe 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © 2023 by Lilli Beck

Redaktion: Gisela Klemt

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Umschlagmotiv: mauritius images / Westend61 / Daniel González; www.buerosued.de

KW · Herstellung: sam

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-28094-9V001

www.blanvalet.de

Familie ist, wo du jederzeit willkommen bist!

Prolog

Auerbach, März 2023

Es war einer dieser Frühlingstage, an denen sich der Himmel mit Federwölkchen geschmückt hatte, die Sonne sich mit aller Kraft daranmachte, den Winter zu vertreiben, und die Fenster weit geöffnet wurden, um frische Luft hereinzulassen. Das milde Bodenseeklima ließ die Knospen in den Obstplantagen sprießen, in den Cafés wurde wieder draußen serviert, und auf den Promenaden flanierten die Menschen. Die Gartenmöbel wurden aus den Schuppen geholt und die Uhren eine Stunde vorgestellt. Die Tristesse der dunklen Monate schien vergessen, neues Leben erblühte, und neue Hoffnung sollte erwachen, dort, wo lange getrauert worden war.

Ein halbes Jahr war seit Viola Königs tragischem Tod vergangen. Die Tränen waren versiegt, das Grab mit Veilchen bepflanzt, doch die Risse in den Herzen der Familienmitglieder würden noch lange schmerzen. Zu frisch war die Erinnerung an den Schicksalstag, an dem die Familie König um die jüngste der drei Schwestern gebangt hatte, als alle Gebete vergeblich waren.

Rose würde niemals die angstvollen Stunden vergessen, als sie und ihre Familie im Wartezimmer der Klinik saßen, hoffend, dass Viola es bald überstanden hatte. Dass sie ihr Baby in die Arme schließen und die Wehenschmerzen vergessen konnte. Stattdessen hatte die behandelnde Ärztin ihnen mit leiser Stimme erklärt, dass es Komplikationen gegeben und nur das Baby überlebt habe.

Die schockierende Nachricht hatte ungläubiges Schweigen und dann verzweifelte Schreie ausgelöst. Es war ein Moment gewesen, in dem Rose glaubte, die Erde habe aufgehört, sich zu drehen. Herbert, der Vater der drei Schwestern, hatte sich mit den Fäusten gegen die Stirn geschlagen, als wollte er sich die grausame Wahrheit aus dem Hirn prügeln. Iris, die Älteste, hatte sich zum Selbstschutz die Arme um ihren Körper geschlungen. Und nur Florence, ihre aus Frankreich stammende Mutter, brachte den Mut auf zu fragen, was genau geschehen war.

Stockend hatte die Medizinerin von einer Fruchtwasserembolie berichtet. Von Fruchtwasser, das über die Venen im Gebärmutterhals in Violas Blutkreislauf gelangt war, was eine lebensbedrohliche Embolie zur Folge gehabt hatte.

Rose hatte, wie alle anderen auch, nicht glauben wollen, Viola verloren zu haben. Die Schwester nie wieder in die Armen schließen, nie wieder mit ihr lachen oder sie zu einer neuen Auszeichnung beglückwünschen zu können. Lange hatte sie jede Nacht von der Todesnachricht im Wartezimmer geträumt. War nach dem Aufwachen in Tränen ausgebrochen, als sie realisierte, dass es nicht nur ein Traum gewesen war.

Doch ein halbes Jahr hatte nicht genügt, um die Familie vergessen zu lassen, wie grausam das Schicksal gewesen war. Die Trauer um die verlorene Tochter, Schwester und Nichte hatte das Lachen im Haus verstummen lassen. Nur Violas kleiner Tochter Jasmin gelang es, die Tristesse zu durchbrechen. Wenn Jasmin lächelte, ihre veilchenblauen Augen glänzten, die denen von Viola so sehr ähnelten, und als schließlich die ersten beiden Zähnchen sichtbar wurden, wollte jeder sie an sich drücken und mit Küssen überschütten. Das runde Gesicht und das blonde Haar hatte Jasmin vermutlich von ihrem Vater, den sie vielleicht niemals kennenlernen würde. Er war spurlos verschwunden, noch ehe Viola festgestellt hatte, dass sie ein Kind von ihm erwartete.

Dennoch war heute ein Freudentag für die Familie. Iris und Jasmin waren per Adoption ganz offiziell Mutter und Tochter geworden. Viola hatte das noch im Kreissaal kurz vor der Geburt festgelegt, als sie merkte, dass ihr Leben in Gefahr war.

Rose würde nie den geschockten Gesichtsausdruck ihrer älteren Schwester Iris vergessen, als die Ärztin im Krankenhaus ihr Violas Wunsch mitteilte. Iris hatte sich jahrelang Kinder gewünscht, doch es hatte nicht geklappt. Irgendwann hatte sich herausgestellt, dass Christian zeugungsunfähig war. Monatelang hatte er sich gegen einen Spermientest gewehrt, sogar behauptet, als junger Mann ein Kind gezeugt zu haben, bis in einem Streit herauskam, dass er im Grunde keine Kinder wollte. Daran war die Ehe schließlich zerbrochen. Dass sich Iris’ Kinderwunsch jetzt ausgerechnet durch den Tod ihrer Schwester Viola erfüllte, war grausam und ungerecht, aber ändern ließ es sich nun mal nicht.

Rose klopfte mit dem Löffel an ihre Kaffeetasse, um etwas zu verkünden. Wie üblich bei wichtigen Anlässen, hatte sich die Familie an der Kaffeetafel im privaten Salon hinter der Rezeption versammelt.

Dieser Raum im Erdgeschoss diente der Familie als Wohnzimmer, wo sie sich zu den Mahlzeiten trafen, wo alle Geburtstage gefeiert wurden und wo auch jedes Jahr der Weihnachtsbaum stand. Die jeweiligen Schlafzimmer mit eigenen Bädern befanden sich unter dem Dach des sonnengelb gestrichenen Gebäudes. Die neunzehn Fremdenzimmer und ein Balkonzimmer, die sogenannte Hochzeitssuite, verteilten sich auf zwei Etagen. Das Herzstück der Pension bildeten der Wintergarten mit Blick auf den Bodensee und die große Terrasse, auf der die Gäste im Sommer unter schattenspendenden Sonnenschirmen saßen. Ein Waschkeller und Vorratsräume verteilten sich auf das Untergeschoss, und die berühmte Konditorei Tortenhimmel befand sich im rechten Seitenflügel.

Jasmin, die seit einigen Tagen allein im Hochstuhl mit am Tisch saß, lauschte dem Geräusch, das Rose machte, und klopfte dann ihrerseits mit ihrem Beißring auf das Tischchen vor ihr. Der Lärm gefiel ihr offensichtlich so gut, dass sie mit sichtbarem Vergnügen weitertrommelte und damit alle zum Lachen brachte.

»Meine Enkelin hat schon richtig viel Kraft in den kleinen Händen.« Herbert strahlte über das ganze Gesicht. Er war frisch rasiert, hatte sich das Haar schneiden lassen und den dunklen Anzug, den er seit Violas Tod ständig getragen hatte, gegen einen hellgrauen getauscht. Jetzt wirkte er nicht mehr wie ein uralter Mann, sondern wie der agile Endfünfziger, der er war.

Rose lächelte ihrem Vater zu. Sie war glücklich zu sehen, dass er immer öfter aus seiner bedrückten Stimmung herausfand. Wie heute Morgen, als er nach langer Zeit mal wieder seinen weißen Kittel angezogen und Viola-Törtchen gebacken hatte – kleine Kuchenstückchen in Kissenform, von kandierten Veilchen gekrönt, mit denen er vor knapp dreißig Jahren Violas Geburt gefeiert hatte. In der Konditorenfamilie König war es Tradition, jedes Kind mit einer neuen Tortenkreation oder einem Gebäckstück zu begrüßen. Zu Jasmins Geburt vor sechs Monaten hatte Herbert Macarons Jasmin, Mandelmacarons gefüllt mit Schokoladenganache, kreiert. Dass Herbert heute die Petit Fours gebacken hatte, rechtfertigte allein eine Feier, denn er hatte die Backstube nach den Macarons für Jasmin nie wieder betreten. Es sei zu schmerzhaft, sich in Violas ehemaliger Wirkungsstätte aufzuhalten, hatte er gesagt. Die Gefühle, die ihn an diesem Ort übermannten, seien so, als stieße ihm jemand ein Messer ins Herz. Dort, wo Viola als jüngste Konditorin der Familie ihre über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Gebäckstücke und Torten geschaffen hatte, werde ihm qualvoll bewusst, dass er seine jüngste Tochter für immer verloren habe.

Auch Rose spürte diesen Schmerz nach sechs Monaten noch sehr deutlich, aber in der Backstube oder in der Konditorei Tortenhimmel fühlte sie sich der toten Schwester sehr nahe. Manchmal meinte sie, Violas Schatten zu sehen, und empfand dies wie einen Gruß aus einer anderen Welt. Iris und ihre Mutter Florence waren der gleichen Meinung. Und ihre kinderlose Tante Annemarie, die eng mit Viola zusammengearbeitet und die Abrechnungen für die Konditorei Tortenhimmel erledigt hatte, »unterhielt« sich sogar mit Viola, wenn niemand in der Nähe war.

Selbstverständlich trauerte auch Florence um die verlorene Tochter, aber ihre anderen beiden Töchter und das Enkelkind gaben ihr die Kraft weiterzumachen. Kraft, nach vorn zu schauen, hoffend, dass der Verlust mit jedem Tag weniger wehtat.

Jasmin kaute wieder an ihrem Beißring, und Rose startete den nächsten Versuch, ihre Neuigkeit zu verkünden. Diesmal klopfte sie nur ganz zart an ihre Tasse und lächelte dabei dem Mann an ihrer rechten Seite zu: Nico Weingold, siebenunddreißig, stämmige Figur, einen halben Kopf kleiner als sie selbst, welliges Haar, das stets etwas zerzaust wirkte, kantiges Gesicht, kräftige Nase, voller Mund, tiefblaue Augen und die schönsten Hände, die sie jemals bei einem Mann gesehen hatte.

Nico war der »Feind«, der vor ungefähr sieben Monaten die Pension König ausspioniert hatte. Rose hatte ihm im Laufe einer heißen Nacht alle Einzelheiten entlockt und Nico dann, trotz des besten Sex ihres Lebens, in die Wüste gejagt. Doch sie hatte ihn nicht vergessen können. Es waren die zärtlichen Blicke aus seinen blauen Augen, mit denen er sich in Roses Herz geschlichen hatte. Und für Nico war die Zurückweisung kein Grund gewesen aufzugeben. Er wollte Rose für sich gewinnen, und das war ihm schließlich gelungen.

Rose holte Luft. »Liebe Familie …«

Nico zwinkerte ihr verschmitzt zu.

Herbert, der sein Enkelkind Jasmin beobachtet hatte, zuckte zusammen. »Willst du etwa eine Rede zur Adoption halten?«

Rose hörte deutlich seine Angst vor rührseligen Worten und wiegelte ab: »Nein, ich wollte noch etwas anderes verkünden.«

»Aber bitte nur frohe Botschaften, und in aller Kürze, sonst wird der Kaffee kalt, und die Sahne schmilzt.« Ungeduldig spielte Herbert mit seiner Kuchengabel.

Florence, die zur Linken ihres Mannes saß, legte ihm wie üblich die Hand auf den Arm und sagte mit sanfter Stimme: »Kein Grund zur Aufregung, ’erbert.« Florence beherrschte auch die Aussprache des H sehr gut, und wie die ganze Familie wusste, pflegte sie diesen kleinen französischen Akzent nur ihrem Herbert zuliebe.

»Mir ist einfach nicht nach Ansprachen, sondern nach Kaffee.« Gierig beäugte Herbert die dreistöckige Etagere, auf der die Petit Fours angerichtet waren.

Nico schob seinen Stuhl zurück und legte beim Aufstehen seinen Arm um Roses Schultern. Noch ehe sie es verhindern konnte, erklärte er mit strahlender Miene: »Wir wollen heiraten!«

Die Familie schien überraschter zu sein, als Rose angenommen hatte, wie sie den entgeisterten Blicken entnehmen konnte. Vor allem ihre Schwester Iris starrte sie derart entsetzt an, als wäre Nico immer noch der Feind, der es auf die Pension abgesehen hatte. Oder war es Iris’ gescheiterte Ehe, die sie zur Gegnerin von Beziehungen hatte werden lassen? Nein, das mochte Rose nicht glauben. Iris traf sich seit Monaten mit Friedrich Kreuzer, einem Journalisten, der die Pension und den Tortenhimmel letztes Jahr bei einer heiklen Angelegenheit unterstützt hatte. Und jeder, der die beiden zusammen beobachtete, erkannte schnell, dass es keine platonische Freundschaft war. Rose hoffte sogar, dass Fritz der Mann war, mit dem Iris endlich glücklich werden würde.

»Jetzt schaut doch nicht alle so geschockt.« Rose zupfte Nico am Saum seines Jacketts, der den Hinweis verstand und sich wieder setzte.

»Wir sind nur verblüfft«, behauptete Tante Annemarie, die nach Violas Tod die Leitung der Konditorei übernommen hatte.

Als Herberts ältere Schwester hatte sie die Pension bis zum Tod ihres Vaters Max König, dem Konditormeister und Gründer des Unternehmens, geleitet. Letztes Jahr im Frühling war er mit sechsundachtzig Jahren friedlich in seinem Bett für immer eingeschlafen. Nach seinem Tod hatte Herbert einen leichten Herzinfarkt erlitten und deshalb den Betrieb an Rose übergeben, damit die Geschäfte in der Familie blieben.

»Ich bitte um Verzeihung«, meldete sich Nico wieder zu Wort und erhob sich noch einmal leicht von seinem Stuhl. »Weil ich versäumt habe, offiziell um Roses Hand anzuhalten.«

»Nicht nötig«, winkte Herbert großzügig ab. »Rose hat noch immer bekommen, was sie wollte, ihr die Verbindung zu verbieten wäre wirkungslos. Also meine Glückwünsche, Kinder, und jetzt würde ich wirklich gern eine Tasse Kaffee trinken. Nebenbei könnt ihr dann erzählen, wann und wie die Hochzeit geplant ist.«

Herberts lässige Reaktion löste die kurzzeitige Anspannung bei allen Anwesenden. Florence schenkte Kaffee ein, Annemarie verteilte das Gebäck, und Iris lächelte wie jedes Mal, wenn sie Jasmin auf den Schoß nahm.

1

Auerbach, November

Rose hatte lange mit Nico über ihren Hochzeitstag diskutiert. Wo wollten sie feiern? Wie viele Gäste einladen? Von der Gästezahl hing es ab, ob der Wintergarten genügte oder sie einen riesigen Tanzsaal anmieten mussten. Nico wünschte sich nämlich eine bombastische Traumhochzeit mit unzähligen Gästen und einer fünfstöckigen Torte, über die in den Tageszeitungen berichtet werden würde. Er wollte die große Sause auch finanzieren. Rose fand so viel Aufwand übertrieben, ihr würde das Jawort auf dem Standesamt und ein freies Wochenende zum Flittern genügen, hielt sie dagegen. Das ganze Brimborium mit Polterabend, unbequemem weißem Sahnetortenkleid aus Tüllbergen, das am Ende nur im Schrank hing, konnte ihr gestohlen bleiben.

Allerdings gab es noch einen anderen Grund für ihren Widerspruch, den sie Nico bisher verheimlicht hatte: Herberts Hang zu Traditionen. Ihr Vater legte nämlich großen Wert auf den ziemlich antiquierten Brauch, der verlangte, dass die Eltern der Braut die Hochzeitsfeier ausrichteten und sie auch bezahlten. Doch der Betrieb hatte während dieser schrecklichen Pan… – Rose hatte es sich selbst verbeten, dieses Wort zu Ende zu denken – große Umsatzverluste verbuchen müssen. Eine kostspielige Hochzeitsfeier war also nicht drin. Es würde eine Weile dauern, bis sich die Pension König gänzlich von diesen ruinösen Zeiten erholt haben würde und wieder schwarze Zahlen schreiben konnte. Im vergangenen Sommer hatten sich die ersten Stammgäste wieder eingefunden, jetzt im Winter aber standen etliche Zimmer leer, und das war eine günstige Gelegenheit, die Hochzeit zu feiern. Wie das letztlich vonstattengehen sollte, wurde wieder einmal bei einem Abendessen im Kreise der Familie besprochen.

Der Esstisch war mit dem Streublümchen-Geschirr gedeckt, im Kamin brannte ein Feuer, und auf zwei antiken Porzellanplatten mit der Aufschrift Haus König, die noch aus den Anfängen der Pension stammten, hatte Florence diverse Sandwiches angerichtet. Dazu gab es frische, in längliche Stücke geschnittene Gurken und Karotten, Mineralwasser, Apfelsaft und eine Kanne Tee.

»Wie wäre es mit einer Minihochzeit im Familienkreis?«, fragte Iris, die Jasmin auf dem Schoß hatte und mit Grießbrei fütterte. »Standesamtliche Trauung, und am Abend vor der Hochzeit veranstalten wir einen Polterabend, zu dem dann auch Freunde eingeladen werden.«

»Eine richtige Polterhochzeit mit Geschirr zerschlagen?« Herberts sonst so traurige blaugrüne Augen begannen regelrecht zu glitzern, als er von dem Lastwagen voller Teller und Tassen erzählte, die er damals für Iris und Christian organisiert hatte. »Und am Vorabend unserer eigenen Hochzeit haben Florence und ich Berge von Scherben aufkehren müssen! Sogar eine zerschlagene Kloschüssel war dabei, natürlich eine unbenutzte, die bei einem Einbau beschädigt worden war.«

Florence nickte ihm mit tränenfeuchten Augen zu. »Das war wunderschön, ’erbert.«

»Ich hätte auch noch einen Vorschlag«, meldete sich Annemarie zu Wort. »Wenn ihr euren Polterabend auf meinen Geburtstag legt, würde mir ein nachmittäglicher Kaffeeklatsch gefallen.«

»Gute Idee«, stimmte Herbert zu. Wenn Nico jetzt noch zustimmte, war es beschlossene Sache.

Am Polternachmittag gegen zwei Uhr, als Iris mit Jasmin von einem Besuch an Violas Grab zurück war, versammelten sich die Familienmitglieder im Terrassencafé, das wegen der privaten Feierlichkeiten für externe Gäste geschlossen war. Rose hatte zwei Vierertische an den Fenstern zusammengeschoben, von wo aus man einen schönen Blick auf den Bodensee hatte. Nach dem Geburtstagskaffee für Tante Annemarie wollten Rose und Nico das Café für den Abend vorbereiten. Hier sollte gegessen, getrunken und getanzt werden.

Annemarie, heute in einem lilafarbenen Strickkleid, gekonnt geschminkt mit knallroten Lippen, thronte an der Stirnseite des Tisches mit direktem Blick auf den heute grautrüben See. Geschenke hatte sie sich verbeten, aber von jedem eine Lilie sei willkommen, hatte sie gesagt. Das ergäbe einen hübschen Strauß ihrer Lieblingsblumen, der ihre private Unterkunft unterm Dach mit betörendem Duft erfüllen würde.

Nachdem also alle brav eine duftende Blume überreicht und Annemarie mit Wangenküssen gratuliert hatten, stellte Herbert eine Anatorte vor seine Schwester. Die Kuppeltorte war die Kreation von Gründer Max König zu Annemaries Geburt gewesen, die noch heute vor allem bei den älteren Kunden sehr beliebt war. Von Schokolade überzogen, mit Buttercreme und Ananas gefüllt, gehörte sie zu den etwas gehaltvolleren und typischen Köstlichkeiten der 1960er.

»Man reiche mir ein Messer«, verlangte Annemarie mit übertrieben nasaler Stimme, nachdem sie die einzige Kerze ausgeblasen hatte.

Sie war strikt gegen einundsechzig Kerzen gewesen. Derart viele Flammen glichen einem Fackelzug, da wäre sie bis Mitternacht mit Ausblasen beschäftigt, hatte sie gemeint.

Herbert reichte seiner Schwester das gewünschte Messer. Florence sammelte die Teller ein und verteilte dann die Tortenstücke. Rose stellte die Lilien in die bereitstehende, mit Wasser gefüllte Vase und brachte sie in ihr Büro hinter der Rezeption. Der intensive Blumenduft war viel zu stark für Baby Jasmin.

»Danke für die tolle Torte, liebes Bruderherz …« Annemarie probierte ein Stück. »Hmm … köstlich wie immer … Übrigens, ich würde gern etwas besprechen.«

Kuchengabeln wurden abgelegt, Kaffeetassen abgestellt, und alle Augen richteten sich auf die Tante.

»Das klingt ja spannend«, sagte Herbert, griff nach der Kaffeekanne und füllte seine Tasse erneut.

»Es betrifft nicht dich, sondern den Tortenhimmel.« Annemarie grinste Herbert frech an, als wäre sie immer noch die Zehnjährige, die es einfach nicht lassen konnte, ihren jüngeren Bruder zu ärgern.

»Na dann …« Herbert stand von seinem Stuhl auf und hielt seinen Kuchenteller unter Annemaries Nase, »… möchte ich noch ein Stück von der Torte.«

Annemarie reichte ihm das Messer. »Nimm dir.«

Herbert schaute schuldbewusst zu Florence, die ihre schön geschwungenen Augenbrauen hob, und schnitt sich nur ein schmales Stück vom Kuchen ab. Offensichtlich wusste er auch ohne mahnende Worte seiner Frau, dass er mit dem ersten Stück bereits genug von der fettreichen Köstlichkeit vertilgt hatte.

»Also, ich mache es kurz«, setzte Annemarie erneut an, nachdem ihr Bruder wieder Platz genommen hatte. »Wir brauchen einen Konditormeister.«

Herbert fiel die Kuchengabel aus der Hand. »Was soll das denn heißen?« Aufgebracht schnappte er nach Luft. »Ich bin Konditormeister, falls ich dich daran erinnern darf.«

»Ich hab’s nicht vergessen, und wie eben festgestellt, hast du dein Handwerk nicht verlernt. Die Kuppeltorte schmeckt wirklich lecker. Aber du arbeitest ja nicht mehr aktiv in der Backstube mit, und ich bin leider keine Konditormeisterin. Deshalb brauche ich Unterstützung …« Sie stockte kurz und lächelte ihren Bruder liebevoll an, wohl wissend, ihn verletzt zu haben. »Der Tortenshop läuft nämlich hervorragend, was aber viel Arbeit bedeutet, die nur mit Alex, dem Gesellen, und einer Auszubildenden nicht zu schaffen ist. Ein Konditormeister ist also längst überfällig.«

Rose hatte das Thema bereits mit ihrer Tante besprochen, denn mit ihrem Vater war momentan tatsächlich nicht zu rechnen, sosehr sie das auch bedauerte. Jetzt ergriff sie das Wort. »Es geht nicht nur um den Tortenhimmel, Papa. Unsere finanzielle Lage hat sich im letzten Jahr nicht gerade rosig entwickelt, wie du ja weißt. Die Pension wird im Sommer sicher wieder voll belegt sein, inzwischen können wir aber den Umsatz mit der Konditorei steigern und somit bald wieder schwarze Zahlen schreiben. Aber dazu ist eine weitere Kraft nötig.«

Herbert starrte schweigend auf das Tortenstück auf seinem Teller, schien sich ganz auf den Genuss zu konzentrieren. Schließlich hob er den Kopf, zuckte mit den Schultern und grummelte: »Macht, wie ihr meint.«

Annemaries rot geschminkter Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Danke, Bruderherz, ein schöneres Geschenk hättest du mir nicht machen können.«

Rose atmete auf. Eine Auseinandersetzung am Tag vor ihrer Hochzeit hätte ihr gerade noch gefehlt. Ihr Vater hatte die Leitung des Betriebs nach seinem Herzinfarkt zwar an sie übergeben, aber hin und wieder erinnerte er sich daran, dass er mit seiner Schwester Annemarie den Betrieb geerbt und somit noch das Sagen hatte. Dann kam er ins Büro, erkundigte sich nach den belegten Zimmern, wie viele Gäste noch erwartet wurden oder wer von den Stammgästen wieder gebucht hatte. War er schlecht gelaunt, suchte er nach Fehlern bei den Warenbestellungen, die Rose zentral für die Konditorei und die Pension erledigte, oder korrigierte die Anzahl von bestellten Backzutaten. Ihren Einwand, dass der Geselle die Liste zusammengestellt hatte und genau wusste, was aufgefüllt werden musste, ließ er dann nicht gelten. Stur bestand er auf seinem erprobten Fachwissen, das er selbstverständlich besaß, das aber für aktuelle Bestellungen keine Rolle spielte.

In solchen Momenten war Rose erleichtert, wenn Florence auftauchte. Nur sie hatte die Gabe, ihren ’erbert zu beschwichtigen oder auf andere Gedanken zu bringen.

»Dann lernen wir heute Abend also endlich deine zukünftigen Schwiegereltern kennen?«, wandte Florence sich jetzt an ihre Tochter.

Rose war dankbar für den Themenwechsel im richtigen Moment. »Ja! Nico holt seine Eltern gerade vom Zug ab. Ich bin schon sehr gespannt.«

»Ziemlich ungewöhnlich«, sagte Annemarie nachdenklich, »dass du ihnen heute zum ersten Mal begegnen wirst. Ich meine, gleich nach eurer Verlobung wäre es doch angebracht gewesen, dass er dich seinen Eltern vorstellt.«

Rose betrachtete den Diamantring an ihrer linken Hand, den Nico ihr zur Verlobung geschenkt hatte. Der Weißgoldring mit dem Stein im Baguetteschliff hatte seiner verstorbenen Großmutter gehört, und sie, Rose, war vom ersten Augenblick an hingerissen gewesen.

»Das war nicht so leicht, sie leben ja in Südengland, und wir konnten einfach keinen Termin finden, der den Eltern und auch uns gepasst hätte. Nico hat mir aber Fotos gezeigt.« Insgeheim musste sie ihrer Tante allerdings zustimmen. Ein Wochenendtrip nach England hätte ihr gefallen, aber Nico hatte nie Zeit dafür. Manchmal hatte sie sich gefragt, ob er eine Begegnung vermeiden wollte, was natürlich Quatsch war, sonst wären sie doch heute nicht angereist.

»Wenn du dich vorher noch einen Moment ausruhen möchtest«, sagte Florence, »unterstütze ich Waltraud bei den letzten Vorbereitungen fürs Büfett.«

»Danke, Mama.« Rose umarmte ihre Mutter, gab ihrer Nichte Jasmin ein Küsschen auf die Wange und verschwand nach oben zu den privaten Räumen. Das Bad, das sie früher mit Iris und Viola geteilt hatte, gehörte nun ihr und Nico allein, dazu hatten sie ein geräumiges Zimmer, das durch die Zusammenlegung von ihrem und Iris’ ehemaligen Stübchen entstanden war. In Eigenregie und mithilfe von Horst, dem »Mädchen für alles«, hatten sie die beiden kleinen Räume zu einem großen umgebaut.

Nico hatte vorher in Stuttgart gelebt und war erst vor zwei Wochen bei ihr eingezogen. Die Stuttgarter Wohnung war gekündigt und musste zum Jahresende geräumt werden. Sie hatten vereinbart, vorerst in Auerbach wohnen zu bleiben, bis Nico einen neuen Job gefunden hatte. Er war nämlich immer noch für den »Krakenkonzern« tätig, wie Rose den gierigen Immobilienkonzern nannte, für den er die Pension ausspioniert hatte. Angeblich war der Verdienst einfach zu gut und etwas Gleichwertiges zu finden nicht so einfach. Nico wollte zudem keine negative Lücke in seinem Lebenslauf riskieren. Ein Argument, das Rose verstand und akzeptierte, nachdem er ihr versprochen hatte, die Pension nie wieder verkaufen zu wollen.

Schnaufend kam Rose im Dachgeschoss an. Seit sie, abgesehen von den Sprints in den Tortenhimmel, keinen Sport mehr trieb, war sie etwas kurzatmig geworden. Ein paar Minuten ausruhen, dann würde sie wieder fit sein.

Übermütig ließ sie sich auf das komfortable Boxspringbett fallen, das Nico spendiert hatte. »Du sollst immer wie auf Wolken gebettet sein«, hatte er beim Probeliegen im Fachgeschäft geflüstert. In beruflichen Angelegenheiten war Nico der nüchterne Kopfmensch, privat ein Romantiker wie aus einer anderen Zeit. Er sank auf die Knie, um ihr seine Liebe zu erklären, oder hinterließ Notizzettel mit Liebeserklärungen.

Rose fühlte ein wohliges Kribbeln, wenn sie an die erste Verabredung mit Nico zurückdachte. Genau genommen war die zweite wichtiger gewesen, denn seine erste Einladung hatte sie nur angenommen, um herauszufinden, warum er sozusagen inkognito in der Pension aufgetaucht war. Mit einem konservativen Hut als Tarnung auf seinen Strubbelhaaren hatte er im Wintergarten gesessen und versucht, Herrn Otto, den altgedienten Oberkellner, auszuhorchen. Nico hatte für diesen Immobilienkonzern nach Objekten gesucht, die in finanziellen Schwierigkeiten waren, um sie aufzukaufen und in luxuriöse Wellnessoasen umzubauen. Die idyllisch gelegene Pension König mit eigenem Seegrundstück erschien ihm ein geeignetes Objekt. Zuerst hatte er Rose zum Essen eingeladen und ihr dabei einen Job in der zukünftigen Wellnessoase angeboten. Während dieser ersten Verabredung war sie für eine heiße Nacht seinem Charme erlegen – und hatte ihn danach zum Teufel gejagt. Sie wollte nicht, dass er nur aus beruflichen Gründen mit ihr anbandelte. Dabei wäre sie einem Verkauf der Pension angesichts der wirtschaftlichen Lage gar nicht abgeneigt gewesen. Doch darüber hatte nicht sie zu entscheiden.

Nico war unbeirrt jeden Tag um die gleiche Zeit in der Pension aufgetaucht, hatte sie mit seinen tiefblauen Augen schmachtend angesehen und ihr einen Umschlag auf den Tresen gelegt. Darin standen auf einer blassgrünen Karte die Worte: »Ich komme so lange wieder, bis du mir eine zweite Chance gibst. Und wenn es hundert Jahre dauert.« Nach ungefähr drei Wochen war ihr aufgefallen, dass sie bereits auf die Uhr schaute, wann er wohl kommen würde.

Nachdem Rose ein Weilchen geschlummert hatte, ließ ein wohlbekanntes Motorengeräusch sie aufhorchen. Sie eilte zum Fenster und öffnete es, um den Parkplatz vor der Pension besser einsehen zu können. Ein Taxi und Nicos Wagen waren vorgefahren. Das Fabrikat konnte Rose sich nicht merken, was daran lag, dass sie zwar einen Führerschein besaß, sich aber nicht für Automobile interessierte. Für sie waren es nichts weiter als Fahruntersätze, die einen von A nach B brachten. Einen eigenen Wagen hatte sie noch nie besessen – wozu auch, vor der Pension stand ein Viertürer, um Gäste vom Bahnhof abzuholen, und ein Lieferwagen, um die Torten auszufahren. Alles andere fand Rose unwichtig, gerade noch die Farbe war ein Detail, das sie sich merkte, um das geparkte Auto in fremder Umgebung wiederzufinden. Nicos Wagen war ein knallrotes Rennauto mit nur zwei Sitzplätzen und einem winzigen Kofferraum. Daher das Taxi für seine Eltern.

Rose schloss das Fenster, eilte ins Badezimmer, fuhr sich kurz mit der Bürste durch ihr langes blondes Haar und fand sich vorzeigbar. Die neuerliche Vorliebe für Süßes war nicht spurlos geblieben. Ihre vorher schmalen Wangen waren runder geworden und ließen sie weicher aussehen. Sie gefiel sich, und Nico mochte Rundungen. Das zurückhaltende Augen-Make-up war noch tadellos, nur den hellen Lippenstift musste sie auffrischen und war dann bereit für den großen Moment.

Sie kam rechtzeitig unten an, als sich die Eingangstür öffnete. Rose erkannte Nicos Mutter an dem naturgelockten dunkelblonden Haar, das auf die Schultern fiel und ihr ein altersloses Aussehen verlieh – wie auf den Fotos, die Nico ihr gezeigt hatte. Sie trug sandfarbene Jeans, rote Sneakers, einen hellen Trenchcoat und ein großes Wolltuch mit Karomuster um die Schultern. Nicos Vater, in schwarzen Jeans, einem schwarzen Hemd mit dunkelbrauner Lederjacke und längeren, zurückgekämmten grau melierten Haaren, wirkte eher wie ein Rockstar und nicht wie ein Geschäftsmann, der an der Börse tätig war.

Noch etwas nervös ging Rose auf Nicos Eltern zu. »Herzlich willkommen!«

Nico stellte sie einander vor, doch schon beim Händeschütteln fiel die anfängliche Unsicherheit von Rose ab. Ihre Bedenken, dass sie Nicos Eltern nicht mögen würde oder sie ihnen unsympathisch sein könnte, waren vollkommen überflüssig gewesen. Amber strahlte eine unkomplizierte Herzlichkeit aus, die jegliche Fremdheit vergessen ließ.

»Endlich lernen wir uns kennen!«, sagte sie mit kaum hörbarem Akzent.

»Das war längst überfällig«, bemerkte Nicos Vater Mark, der Rose aus graublauen Augen anlächelte. »Wir freuen uns wirklich sehr, und ich bin dafür, dass wir uns duzen. Ab morgen sind wir doch eh verwandt.«

»Gern …« Rose blickte sich suchend um. »Wo ist euer Gepäck?«

»Noch im Taxi«, antwortete Nico und fügte scherzend hinzu: »Wir wollten nicht sofort mit den Koffern ins Haus fallen.«

Rose liebte Nicos Humor, ohne den hätte sie sich bestimmt nicht so schnell in ihn verliebt.

»Das Balkonzimmer wartet auf euch«, erklärte sie, und dass Horst sich ums Gepäck kümmern könne.

Mark stieß seinen Sohn Nico leicht in die Seite. »Das erledigen wir doch locker selbst.«

Während die Männer die Koffer holten, führte Rose ihre zukünftige Schwiegermutter in den Wintergarten, in dem nach Annemaries Kaffeeklatsch drei Biergartentische zu einer langen Tafel aneinandergereiht worden waren, worauf ein Büfett angerichtet werden würde.

»Die Aussicht ist einfach zauberhaft, selbst an diesem trüben Novembertag!« Amber blickte durch die bodentiefen Fenster auf den ruhig daliegenden Bodensee. »Ich mag diese neblige, leicht morbide Stimmung sehr gern. Sie fühlt sich so vertraut an.«

»Leider ist die Winterzeit nur bei wenigen Gäste beliebt, im Moment ist das Haus sogar vollkommen leer«, gestand Rose. »Aber es passt ja sehr gut in unsere Pläne. Wir mussten niemandem absagen und können so laut feiern, wie wir wollen. Und ich schätze, dass es heute Abend ziemlich laut werden wird.«

Amber lächelte Rose zu. »Nico hat uns berichtet, was geplant ist, und ich freue mich sehr auf die Polterei. Die Scherben sollen euch Glück bringen.«

»Und der Lärm soll böse Geister vertreiben, damit die Ehe glücklich wird«, ergänzte Rose.

»Ein lustiger Brauch, in England kennen wir das nicht. Bei uns feiert die Braut mit Freundinnen eine Hen-Party. Alle tragen die gleiche Kleidung, die Braut bekommt ein Krönchen, und sie ziehen fröhlich singend durch die Pubs.«

»Da wird sicher jede Menge getrunken«, mutmaßte Rose.

»Oh ja, und nicht nur Wasser!« Amber lachte. »Aber auch der Bräutigam trifft sich mit Freunden zu einem feucht-fröhlichen Junggesellenabschied, zu dem unbedingt eine Stripteasetänzerin gehört. Ein letztes Mal austoben, bevor sie brave Ehemänner werden.«

»Solche Mädchenpartys und Junggesellenabende sind auch bei uns beliebt, doch mein Vater hängt an alten Traditionen und hat sich höchstpersönlich um das Poltergeschirr gekümmert. Ich hoffe, er hat es vor lauter Begeisterung nicht übertrieben und einen Lastwagen voller Bruchgeschirr organisiert.«

Rose hatte zwar gern eingewilligt, zusammen mit Nico Scherben aufzukehren, sie hoffte aber sehr, nicht die ganze Nacht schuften zu müssen.

»Amber und Mark sind mir sehr sympathisch«, sagte Rose zu ihrem Verlobten, nachdem sie seine Eltern im Balkonzimmer untergebracht hatte.

»Und sie sind hingerissen von dir. Mein Vater hat mir gratuliert, als wir die Koffer geholt haben, und meine Mutter hat mir einen vielsagenden Blick zugeworfen, der volles Einverständnis bedeutete.«

Sie hatten sich auf dem Bett ausgestreckt, um Kraft für den Abend zu sammeln, denn bis zum Eintreffen der ersten Gäste war noch eine Stunde Zeit.

»Hast du dich gut mit meiner Mutter unterhalten?« Nico streichelte sanft über Roses Wange.

»Wir haben über Bräuche und Traditionen geredet, und dass sie sehr gespannt ist auf die Polterei, weil sie diesen Brauch nicht kennt.« Rose hielt seine Hand fest, die fast unbemerkt unter ihren Pulli geschlüpft war. »Nicht jetzt, sonst kommen wir zu spät.«

»Och, nicht mal einen Quickie? Das dauert doch höchstens zehn Minuten.« Zärtlich begann er an ihrem Ohr zu knabbern.

»Hör sofort auf …« Rose kicherte. An dieser Stelle war sie besonders empfindlich, und sie spürte bereits ein gefährliches Kribbeln im Bauch.

»Nur so ein gaaanz kleines bisschen, ich beeile mich, versprochen …« Sanft pustete er in ihr Ohr.

»Nein!« Rose blieb unnachgiebig. »Ich will nicht, dass deine Eltern uns hören.«

Nico lachte amüsiert auf. »Mein süßer Schatz, zwischen unseren Zimmern liegt ein ganzes Stockwerk. Wie soll das gehen?«

»Wenn du so richtig in Fahrt kommst, dann wackeln die Wände.« Rose war kurz davor, schwach zu werden. Das Kribbeln lief jetzt durch ihren ganzen Körper, und ihr wurde heiß. Aber sie wollte nicht vollkommen aufgewühlt und mit verschwitztem Gesicht bei der Feier erscheinen, wo jeder ihr ansehen würde, warum sie so aussah.

Nicos Hand hatte sich unter ihren BH gekämpft. »Nico, bitte lass es.« Rose versuchte noch mal, ihn zu bremsen, was ihr schwer genug fiel, denn er kannte all ihre sensiblen Stellen und wusste genau, wie er zum Ziel kommen konnte. »Ich hab auch das Diaphragma gar nicht eingesetzt.«

»Das passt gut, dann machen wir am Tag vor unserer Hochzeit ein Baby.«

»Nein.« Abrupt wand Rose sich aus seiner Umarmung und setzte sich auf den Bettrand. »Wir machen jetzt kein Baby. Und wir waren uns einig, dieses Thema erst einmal zu verschieben, bis sich unsere finanzielle Situation gebessert hat. Wir wissen doch überhaupt nicht, wie es mit der Pension weitergeht.«

In Sekundenschnelle hatte auch Nico sich aufgesetzt, schob Roses Haar zur Seite und hauchte ihr einen Kuss auf den Hals. »Mein süßes kleines Finanzgenie, nie die nüchterne Realität aus den Augen verlieren. Aber es ist doch unwahrscheinlich, dass ich ausgerechnet heute einen Treffer landen würde.«

Rose befreite sich lachend, stand auf und blickte ihn an. »Du würdest garantiert treffen, weil es eben gerade nicht passt, und dann …«

»Wäre ich der glücklichste Mann der Welt«, unterbrach er sie, stellte sich vor sie und schaute ihr tief in die Augen. »Ich liebe dich so sehr, dass es manchmal richtig wehtut.« Er griff nach ihren Händen. »Versprich mir, mich nie zu verlassen, sondern für immer bei mir zu bleiben – wie die Seepferdchen, ein Leben lang. Dass wir nie im Streit einschlafen. Dass wir uns immer einen Gutenachtkuss geben. Dass nichts und niemand uns trennen kann. Egal was geschieht!«

»Egal was geschieht«, wiederholte Rose und versank in seinem Blick. Sie liebte Nico so sehr! Mit ihm war sie so glücklich, wie sie es nie für möglich gehalten hatte. Wie oft hatte er ihr schon seine Liebe erklärt! Jedes Mal wieder lief ein Schauer über ihren Rücken, und nicht selten brachte er sie mit seinen Worten sogar zum Weinen. Mit ihm wollte sie den Rest ihres Lebens verbringen. »Bis dass der Tod uns scheidet. Davon abgesehen – gibt es einen besonderen Grund, warum du ausgerechnet jetzt an meiner Liebe zweifelst?«

»Ich zweifle nicht.« Ungestüm riss er sie wieder an sich. »Aber heute ist unser letzter Tag als Singles, heute ist quasi die letzte Möglichkeit, es sich noch anders zu überlegen. Morgen gibt es kein Zurück, dann gehören wir für alle Zeiten zusammen. In dieser Beziehung bin ich altmodisch. Für mich gilt dieses ›Bis dass der Tod uns scheidet‹.«

Rose sagte lachend: »Amen!«, und zog dann ihre Hände zurück. »Es ist Zeit, nach unten zu gehen. Die ersten Gäste sind sicher schon da.«

2

Rose war ungewöhnlich aufgeregt, als sie mit Nico vor der Tür zum Wintergarten stand. Ziemlich untypisch für sie, hatten doch unter ihrer Leitung schon Events und Partys aller Art in der Pension stattgefunden, und auch diese Feier war gründlich durchgeplant. Es gab also keinen Grund, gestresst zu sein. Oder wollte ihr Bauchgefühl ihr etwas anderes sagen?

»Ich bin bei dir, meine Rose.« Nico drückte heftig ihre Hand, als wäre er genauso nervös wie sie, wirkte aber wie die Ruhe in Person.

»Es ist mein erster Polterabend.«

»Meiner auch.«

»Vielleicht hätten wir uns doch schicker anziehen sollen«, überlegte Rose. In der Gewissheit, in Kürze mit einer Schaufel vor einem Berg Geschirrscherben zu stehen, hatte sie ihre bequemsten Jeans, einen dünnen Baumwollpulli und Sneakers angezogen. Nico trug Jeans, ein kurzärmliges Shirt und darüber ein Jackett.

»Ich in Frack und Fliege und du in Abendrobe mit High Heels – das wäre natürlich die Sensation, aber vollkommen overdressed«, entgegnete Nico ruhig und musterte sie dabei von Kopf bis Fuß. »Klamotten sind doch unwichtig, wichtig ist nur, dass wir heute unsere Liebe feiern.«

Rose seufzte erleichtert. »Dann stürzen wir uns jetzt mal ins Getümmel.«

»Wir zwei gegen eine Wagenladung Geschirr.« Mit theatralisch-ernster Miene legte Nico eine Hand auf seine Brust.

Rose durchströmte eine warme Welle. Nico fand einfach immer die richtigen Worte, um sie zu beruhigen, sie wissen zu lassen, dass alles nicht so tragisch war.

Nachdem er die Tür geöffnet hatte, verharrten sie einen Moment auf der Schwelle.

Knapp einhundert Einladungen hatten sie für den »Fröhlichen Polterabend« verschickt. Ungefähr siebzig Gäste hatten zugesagt, und Rose schätzte die Erschienenen auf ungefähr sechzig.

Sie entdeckte unter den jüngeren Leuten zwei Schulfreundinnen, auf deren Hochzeiten sie getanzt hatte, enge Geschäftsfreunde wie die Familie Müller, die tatsächlich eine Mühle in siebter Generation betrieb und alle Mehlsorten für die Konditorei lieferte. Horst war mit einer befreundeten jungen Gärtnerin gekommen. Antonella und Marcella, die blonden italienischen Zimmermädchen, deren Eltern eine Eisdiele in Meersburg führten, unterhielten sich mit Tante Annemarie. Hoffentlich erteilte sie den Mädchen keine Ratschläge, wie sie die Zimmer zu putzen hatten, dachte Rose. Auch die Handwerker, die letztes Jahr bei den umfassenden Renovierungsarbeiten geholfen hatten, waren gekommen und bedienten sich gerade am Büfett. Und natürlich Friedrich Kreuzer, der seinen Arm um Iris’ Schulter gelegt hatte. Die zwei waren so ein schönes Paar, und Rose hatte gehofft, eine Doppelhochzeit feiern zu können. Fritz kümmerte sich wie ein Vater um die kleine Jasmin und hatte für den heutigen Abend eine Babysitterin engagiert, damit Iris ruhigen Gewissens feiern konnte. Leider hatte es den Anschein, als würde es für Iris keine einvernehmliche Scheidung von ihrem Nochehemann Christian geben, sondern eher eine unschöne Schlammschlacht.

Roses Blick wanderte zu den Biergartentischen, deren unschöne Metallbeine unter den weißen Tischdecken nicht mehr zu sehen waren. Frau Waltraud, die langjährige Küchenchefin und Leiterin des Wintergartencafés, hatte ansehnliche Häppchen zubereitet, die bequem im Stehen mit den Fingern zu verspeisen waren. Dazu gab es ihre berühmten Sandwiches in mundgerechte Stücke geschnitten, Käsewürfel mit Weintrauben, und für die Süßschnäbel standen etliche Platten mit Kuchenstückchen bereit. »Hoffentlich reicht das Essen«, murmelte Rose Nico zu.

»Falls nicht, rufen wir den Pizzaservice«, entgegnete er, als wollten sie den Abend vor dem Fernseher verbringen.

»Eine typische Nico-Idee.« Rose lächelte und wusste nicht erst jetzt, er würde ihr Fels in der Brandung sein. Ihr sicherer Hafen bei jedem Schicksalssturm. Wenn nötig, hätte er den Bodensee für sie ausgeschöpft – genau das hatte er auf eines der kleinen Zettelchen geschrieben, das sie in ihrer Geldbörse verwahrte.

Hand in Hand mischten sie sich unter die Gäste. »Das Brautpaar!«, hörte Rose jemanden rufen, und plötzlich füllte Applaus den von unzähligen Kerzen erleuchteten Wintergarten.

Herr Otto schritt mit einem Tablett voller Gläser auf sie zu. »Schon jetzt ein gelungenes Fest, alle sind in bester Stimmung. Was möchten Sie trinken? Wir hätten Weißwein, Prosecco, O-Saft, Gespritzten oder ›Bodenseewasser‹, vor allem für die Autofahrer.«

Nico nahm zwei Gläser Prosecco, reichte Rose eines und wisperte dem Oberkellner zu: »Herr Otto, lassen Sie das mit dem Bodenseewasser bloß nicht meinen alten Kumpel Roddy hören, der würde glauben, der Laden ist pleite, und wir können uns kein anständiges Mineralwasser mehr leisten.« Mit einer Kopfbewegung wies er auf einen korpulenten Mann in Nicos Alter, der mit seiner Frau erschienen war.

Ganz so unrecht hätte Roddy nicht, dachte Rose, während sie einen Schluck Prosecco trank.

Gleich darauf bemerkte sie Amber und Mark, die am Eingang standen und sich suchend umschauten.

»Wir müssen uns um deine Eltern kümmern.« Rose schob Nico vorwärts.

»Du siehst ganz bezaubernd aus«, begrüßte Mark sie, der seine Lederjacke gegen ein Jackett getauscht hatte.

Rose bedankte sich mit einem Lächeln für das Kompliment, das eine freundliche Übertreibung war. Sie hatte sogar auf Make-up verzichtet, um keine verlaufene Wimperntusche zu riskieren.

»Und wann beginnt die Geisteraustreibung?«, erkundigte sich Amber, die ein schmales Kleid aus dunkelrotem Samt trug und das Haar im Nacken zusammengebunden hatte, sodass die goldenen Kreolen vorteilhaft zur Geltung kamen.

»Leider weiß ich es nicht genau«, musste Rose zugeben. »Mein Vater wollte nicht verraten, zu wann er den Lastwagen bestellt hat, es soll eine Überraschung sein.«

Wie aufs Stichwort übertönte ein donnerndes Geräusch ihre letzten Worte. Die Gespräche verstummten, einige Gäste zuckten erschrocken zusammen, ein Glas fiel klirrend zu Boden.

Aufgeregte Kommentare wurden laut.

»Es geht los!«

»Sollen wir helfen?«

»Auf keinen Fall, das bringt Unglück.«

Doch nicht die erwartete Geschirrladung hatte den Lärm verursacht, er kam aus der zum Wintergarten gehörenden Küche am Ende des lang gestreckten Raumes.

Rose sah Herrn Otto vorbeirennen. Eilig folgte sie ihm und Nico ihr. An der Türschwelle zur Küche, die nicht größer war als ein durchschnittliches Wohnzimmer, hielten sie inne.

Frau Waltraud, in der obligatorischen weißen Kittelschürze, ein weißes Dreiecktuch um ihr Haar gebunden, hatte die Fäuste in die molligen Hüften gestützt und starrte unbeweglich auf das Malheur vor ihr auf dem Fliesenboden. Ein Geschirrregal war aus der Halterung gerissen, auf dem Boden zerschellt und mit ihm unzählige Tassen und Teller, die auf den drei Regalböden gestapelt gewesen waren.

Rose fühlte, wie ihre Hände feucht wurden. Diese Scherben brachten kein Glück, sagte ihr das mulmige Gefühl im Magen. Denn soweit sie das Unglück überblickte, hatten keine einzige Tasse und auch kein Teller den Sturz überlebt. Sie würden neues Geschirr anschaffen müssen, wenn sie je wieder Gäste bewirten wollten.

»Hoffentlich verlangt jetzt niemand nach Kaffee«, murmelte Herr Otto bestürzt.

»Dann einfach in einem Glas servieren, wie in den arabischen Ländern«, schlug Nico vor und stürzte den Rest seines Proseccos in einem Zug hinunter.

Roses Herz schlug ein paar Takte schneller. Sie hatte sich vollkommen unnötig Sorgen gemacht, Nico ließ sich durch so eine Kleinigkeit nicht aus der Ruhe bringen.

Herr Otto krempelte seine Hemdsärmel hoch. »Kaffee im Glas ist auf jeden Fall eine brauchbare Idee.«

Das war ein großes Kompliment, wie Rose wusste. Der Oberkellner war ziemlich eigen, was Ratschläge anging.

Auch Waltraud löste sich aus der Starre und drehte sich um. »Dreißig Jahre lang hat dieses verdammte Teil an der Wand gehangen, und ausgerechnet heute …«, brummte sie. »Was machen wir denn jetzt ohne Geschirr?«

Herr Otto klatschte in die Hände. »Bleib ganz ruhig, Traudelchen, erst mal muss das Zeug weggeschafft werden. Wir brauchen einen großen Mülleimer, Besen und Kehrschaufel.«

Waltraud deutete auf eine schmale Holztür am Stirnende der Küche. »In der Kammer.«

Nico bot an zu helfen.

»Das wäre ja noch schöner«, lehnte Frau Waltraud resolut ab. »Otto und ich schaffen das. Zum Glück haben wir ja momentan keine Pensionsgäste.«

Das nennt man dann wohl Glück im Unglück, dachte Rose, ehe sie dankbar sagte: »Wenn ihr dennoch Hilfe braucht, Horst ist auch da.«

Die Köchin nickte. »Geht ihr zwei nur schön feiern … husch, husch – eure Gäste vermissen euch bestimmt schon.« Resolut scheuchte sie die Verlobten aus dem Weg.

Im nächsten Moment ließen Motorengeräusche Rose aufhorchen. »Ich glaube, jetzt wird es tatsächlich ernst.« Sie griff nach Nicos Hand.

»Das wird bestimmt lustig, mein Seepferdchen.«

»Rooose …!« Herberts Stimme drang zu ihnen.

Rose straffte die Schultern und ergab sich ihrem Schicksal. Der Laster mit dem Bruchgeschirr war wohl angekommen. Und ihrem Vater zuliebe würde sie die Tradition mit einem Lächeln durchziehen. An Nicos Hand schlängelte sie sich durch die Gästeschar, als abermals ein klirrendes, donnerndes Geräusch sie zusammenzucken ließ.

»Na, jetzt bin ich aber gespannt, gegen wie viele Kloschüsseln und Waschbecken wir kämpfen müssen«, witzelte Nico und grinste übermütig, als könnte er es kaum erwarten, sich ins Vergnügen zu stürzen.

Herbert wartete am Ausgang mit zwei nagelneuen Schaufeln in den Händen und strahlte sie an, als präsentierte er die weltbeste Hochzeitstorte, für die er eine Medaille verliehen bekam. »Da seid ihr ja!«

Florence stand neben ihm, ein Tablett mit Gläsern und Mineralwasser in den Händen. Offensichtlich wusste sie, wie durstig Rose und Nico in Kürze sein würden.

»Ich kann es kaum erwarten.« Rose grinste, während sie die Schaufel in Empfang nahm.

Nico schien die verrückte Aktion sportlich zu nehmen. »Her mit der Schippe, Schwiegervater in spe!«, rief er und hielt sie am Stiel in die Höhe, um sie den inzwischen versammelten Gästen zu präsentieren.

Stürmischer Applaus war die motivierende Antwort.

»Bravo!« Nicos Kumpel Roddy hatte sich von der allgemeinen Begeisterung anstecken lassen, klopfte ihm auf die Schulter und zückte dann sofort sein Handy, um diesen denkwürdigen Moment festzuhalten.

Iris und Fritz hatten sich direkt hinter Herbert gestellt und nickten Rose aufmunternd zu.

Entschlossen holte sie Luft und lächelte ihren Vater an. »Also los, mach die Tür auf, Papa.«

Was Rose dann erblickte, ließ sie heftig schlucken. Auf den Eingangsstufen häufte sich ein Berg aus kaputten Tellern, Tassen, Schüsseln, Platten und Saucieren, darunter auch zerbrochenes Porzellan aus ihr bekannten Hotels. Bruchgeschirr gab es offensichtlich überall.

Nico hatte sich den Schaufelstiel unter einen Arm geklemmt, spuckte jetzt in die Hände, rieb sie wie ein hoch motivierter Bauarbeiter und zwinkerte Rose zu. 

Sie seufzte leise. Jetzt gab es kein Zurück mehr, sie mussten diesen Scherbenberg in den bereitstehenden Container befördern, um das Haus wieder auf normalem Wege verlassen zu können.

Hinter ihr ertönten erste Anfeuerungsrufe: »Go, go, go …!«, begleitet von rhythmischem Geklatsche.

Nico setzte die Schaufel an, Rose tat es ihm gleich, und gemeinsam schleuderten sie die erste Ladung halber Tassen, Kuchentellerecken oder Stücke von Suppenschüsseln in den Abfallcontainer.

Handylichter blitzen auf, die unvermeidlichen Fotos wurden geschossen, und Herbert zückte mit sichtlicher Freude einen etwas altmodischen Fotoapparat, um die Aktion festzuhalten.