Christine - Margo Wolf - E-Book

Christine E-Book

Margo Wolf

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Beschreibung

Christine ist eine junge, sehr attraktive Frau, die von Männern umschwärmt wird und dies auch ohne großen Skrupel ausnutzt, aber sie hat eine eiserne Regel für sich aufgestellt: Gehe nie mit einem verheirateten Mann ins Bett, und ich suche mir die Männer aus und nicht umgekehrt! Leider gibt es Männer, die ein Nein nicht akzeptieren können, und als es brenzlig wird, bekommt sie Hilfe von einem Mann, den Christine zwar nett findet, der aber ganz und gar nicht in ihr Beuteschema passt! Einigen Lesern, die das Buch "Man braucht keine Augen, um sehen zu können" gelesen haben, mag Christine bekannt vorkommen, denn sie kreuzt dort für kurze Zeit den Weg der handelnden Personen. Hier ist nun ihre eigene ganze Geschichte...

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Margo Wolf

Christine

Liebesroman

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Christine

 

Christine

 

Teil 1:

Liebe kennt kein Alter

 

1.Kapitel

 

Christine verlangsamte unbewusst ihren Schritt, je näher sie dem hohen Bürogebäude kam, bis sie schließlich ganz stehen blieb. Ihr Blick glitt langsam an der spiegelnden Fassade des Hochhauses bis ganz nach oben. Sollte sie wirklich aufgeben? Die Flinte ins Korn werfen?

Nein!

Sie hatte schon andere Schwierigkeiten gemeistert, sie würde es auch hier schaffen!

Schwierigkeiten, die ihr das Schicksal auferlegt hatte. Sie war knapp vor dem Abitur gestanden, als ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen. Eine Tante nahm sie zwar bei sich auf, aber Christine kam sich immer wie ein Eindringling in deren Familie vor. Sobald sie großjährig war, zog sie aus und stellte sich auf eigene Füße. Sie bekam eine Waisenrente, aber die reichte kaum zum Leben, so arbeitete sie immer nebenbei, schaffte trotzdem das Abitur und anschließend ein Studium und darauf war sie mehr als stolz.

Nun hatte sie nach einigen Praktika eine Stellung in einem großen Konzern gefunden und verdiente endlich genug Geld, um sich nicht mehr alles vom Mund absparen zu müssen.

 

Alles wäre super, wenn nicht…, ja wenn nicht die Männer wären!

Was konnte sie dafür, dass sie aussah, wie sie eben aussah?!

Sie war stolz auf ihre langen schwarzen Haare, ihre großen grünen Augen, ihre perfekt geformten Lippen und wenn sie so manchen Verehrer glauben konnte, dann hatte sie auch eine perfekte Figur.

Sie hatte immer viele Verehrer und sie war bei Gott keine Kostverächterin! Sie hatte es während des Studiums oft ausgenutzt, das ihr die Männer zu Füßen lagen und sich auf deren Kosten richtig satt gegessen, oder sich auch auf ein schönes Wochenende einladen lassen. Und wenn sie vom Arbeiten zu müde zum Lernen gewesen war, hatte sie ohne Skrupel ihre Vorzüge eingesetzt und den Prüfern schöne Augen gemacht, um doch noch eine positive Note zu erhalten. Es war beschämend, aber es hatte immer geklappt, ja manch ein Lehrer oder Professor war nahe daran, wegen ihr seinen Kopf zu verlieren und Dummheiten zu machen. Dabei ließ sie es nie so weit kommen, dass es auch nur zu einem Kuss gekommen wäre oder gar noch mehr.

Nicht, dass sie Sex nicht mochte, im Gegenteil, sie liebte den Sex, genoss diesen auch reichlich, aber die Männer, mit denen sie ins Bett ging, waren in ihrem Alter, ungebunden und wollten genauso wie sie nur Spaß haben, ohne weitere Verpflichtungen. Und vor allem, sie suchte sich die Männer aus und nicht umgekehrt!

Trotz allem ließ sie nie ihr Ziel aus den Augen, Karriere zu machen und zwar aus eigener Kraft und ohne sich hoch zu schlafen, das wäre zwar ein einfacher Weg, aber würde auf Dauer eher mehr schaden, als nützen.

So hatte sie vor drei Monaten voll Euphorie ihre neue Stellung angetreten, in der Absicht, sich voll auf die Arbeit zu konzentrieren und die Männer nicht zu beachten.

Leider beachteten die Männer sie!

Ständig wurde sie in der Kantine angesprochen, mit den dümmsten Ansagen angeflirtet und auch ganz offene Angebote wurden ihr gemacht. Sie versuchte es zu ignorieren, alles abzuwehren, aber selbst als sie immer unhöflicher, ja grob wurde, wurde es nicht viel besser. Leider verschlechterte sich im Gegenzug ihr Verhältnis zu den weiblichen Kollegen, die voller Neid auf sie waren und immer öfters gehässige Bemerkungen losließen.

Sie versuchte sich zu ändern, schminkte sich kaum mehr, frisierte ihre Haare zu einem strengen Knoten, trug nur mehr dunkle Röcke und einfache, weit geschnittene Blusen und setzte sich sogar noch eine Brille auf, die sie wie eine ältliche Lehrerin aussehen ließ. Die Brille hatte zwar nur Fenstergläser, behinderte sie aber bei der Arbeit am Computer, so dass sie sie schon nach wenigen Minuten wieder weglegte.

 

Der schlimmste aller Verehrer war ausgerechnet ihr direkter Chef, in dessen Vorzimmer sie gemeinsam mit einer älteren Kollegin saß.

Helmut Schubert war ein Mann in den Fünfzigern, normal aussehend, leicht übergewichtig, Familienvater und mit Genuss seine Macht ausspielend, die er aufgrund seiner gehobenen Stelle hatte.

Er ließ Christine oft in sein Büro kommen, um ihr etwas zu diktieren, obwohl er über modernste Diktiergeräte verfügte. Er hatte am Anfang gemeint, er mache das nur, um einschätzen zu können, wie tüchtig sie wäre. Christine hatte ihm das auch sofort geglaubt, denn persönlicher Kontakt und gutes Einvernehmen war sicherlich wichtig für ein gutes Betriebsklima. Auch als er dabei ganz nah vor ihr auf der Kante seines Schreibtisches lehnte, oder ihr beim Vorbeigehen wie zufällig über die Schulter strich, dachte sie sich noch nichts dabei. Wenn er so tat, als müsse er kontrollieren, was sie geschrieben hatte, beugte er sich so nahe von hinten über ihre Schulter, dass sie meinte, er krieche ihr in den Halsausschnitt.

Als er allerdings anfing, sie zum Essen einladen zu wollen, wurde sie hellhörig, zu oft hatte in der Vergangenheit eine Bettgeschichte mit einer Einladung zum Essen angefangen.

Sie lehnte ab, ohne unhöflich zu sein, schob eine kranke Tante vor, oder eine Nichte, bei der sie Babysitten musste.

Herr Schubert nahm ihre Ablehnungen ohne Widerspruch hin, ja es spornte ihn sogar noch mehr an, sichtlich glaubte er, dass sie so schüchtern und naiv sei und von seiner Macht, so beeindruckt wäre, dass sie sich nicht wagte, auf seine Einladungen einzugehen.

Wenn es nicht so unangenehm gewesen wäre, hätte Christine fast gelacht, als sie bemerkte, dass sein Ehering eines Tages plötzlich verschwunden war und stattdessen ein weißer Fleck am Finger zu sehen war.

Nun, sie hatte sich bisher noch immer behaupten können und das würde sie auch dieses Mal schaffen!

Entschlossen betrat sie das Gebäude.

 

Der Tag begann wie immer, bis Herr Schubert sie in sein Büro rief.

Christine verdrehte die Augen und stand auf, sie strich ihren Rock glatt, nahm den Schreibblock und ging zu ihrem Chef ins Büro.

Helmut Schubert schlich während des Diktates wieder um sie herum wie ein Kater um seine Beute, dann blieb er hinter ihr stehen.

Als er sich über ihre Schulter beugte, dachte sich Christine noch nichts dabei, denn das tat er fast immer, aber plötzlich hatte er seine Hand da, wo diese überhaupt nicht hingehörte. Seine Finger fuhren über ihren Hals und dann rutschte die ganze Hand in ihren Halsausschnitt in Richtung Brust.

Christine erstarrte kurz, dann packte sie fest seine Hand und zog sie aus ihrer Bluse heraus.

„Ich glaube, das Diktat ist beendet“, sagte sie mit scharfer Stimme und erhob sich.

Mit letzter Kraft ging sie aufrecht aus dem Raum, ohne sich nach ihrem Chef umzusehen.

 

Draußen sank sie in ihren Bürostuhl und schlug die Hände vors Gesicht. Renate, ihre Kollegin, kam näher. Sie war eine ältere mollige Blondine, kurz vor ihrer Rente und eine der ganz Wenigen, die Christine zugetan war und nicht mit den anderen bei deren Gehässigkeiten mitmachte.

„War er wieder unverschämt?“ fragte sie mitfühlend, Christine hatte sich ihr in den letzten Wochen anvertraut und sie hatte Renates vollstes Mitgefühl.

„Diesmal ist er zu weit gegangen“, Christine war wütend, aber auch verstört, Tränen wollten sich an die Oberfläche drängen, aber sie schluckte sie wieder hinunter, „er hat mir in den Ausschnitt gegriffen!“

„Dieses Schwein“, Renates Stimme war voller Empörung, „das solltest du melden.“

Christine schüttelte den Kopf.

„Er würde es ableugnen und wer würde mir dann noch glauben? Ich bin neu hier, während der gute Herr Schubert seit Jahren hier arbeitet. Alle glauben doch, ich würde so Eine sein“, sie sah Renate an, „du weißt schon, wie ich es meine.“

Renate nickte.

„Trotzdem solltest du es nicht auf sich beruhen lassen“, meinte sie, „sonst hast du nie Ruhe.“

„Vielleicht suche ich mir eine andere Stelle“, sagte Christine unsicher.

„Aufgeben?“ Renate sah sie empört an, „du wirst doch wegen diesem Idioten nicht die Flinte ins Korn schmeißen?“

Christine zuckte hilflos mit den Schultern. Natürlich wollte sie ihren Job hier nicht aufgeben, ihr gefiel die Arbeit und sie bekam ein sehr gutes Gehalt dafür. Wenn sie jetzt kündigte, wer weiß, wann und wo sie wieder eine vergleichbare Stelle finden würde?

„Aber was soll ich sonst tun?“ fragte sie hilflos.

„Als erstes wirst nicht mehr du in sein Büro gehen, sondern ich“, erwiderte Renate bestimmt, „sollte er fragen warum, werde ich ihm sagen, dass du indisponiert bist und dann…“, sie überlegte, „ich arbeite hier schon lange und kenne viele der Vorzimmerdamen, ich werde mich umhören, vielleicht kannst du in eine andere Abteilung wechseln.“

Renate tätschelte Christines Schulter.

„Auch wenn es mir leidtäte, wenn du von hier weggehst, aber so kann man ganz einfach nicht arbeiten!“

 

Zu Christines Erleichterung rief ihr Chef sie an diesem Tag nicht mehr in sein Büro, ja er war sogar außergewöhnlich kurz angebunden, wenn sie ihm Anrufer telefonisch weiter vermittelte.

In der Mittagspause ging Christine nicht in die Kantine, sondern spazieren, denn sie wollte weder ihm noch einem der anderen Männer in der Firma begegnen.

Trotzdem zog sich der Tag endlos dahin und Christine überlegte hin und her, ob sie kündigen sollte oder nicht.

Renate war wegen eines Arzttermins früher gegangen, sie hatte den Termin schon absagen wollen, um Christine nicht allein zu lassen, aber diese hatte abgewinkt und gemeint, sie würde sich schon zu wehren wissen.

So musste Christine die letzten zwei Stunden alleine ausharren, immer mit der Angst, Herr Schubert könnte das ausnutzen, aber nichts dergleichen geschah. Erleichtert packte sie zusammen, zog ihre Jacke an und wollte das Büro verlassen, da kam Schubert aus seinem Büro.

„Sie wollen schon gehen?“ fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Ja, ich habe alles erledigt“, erwiderte Christine, ihr wurde unbehaglich zumute und sie öffnete rasch die Tür zum Flur.

„Ich glaube nicht, dass Sie schon fertig sind“, gab ihr Chef zur Antwort.

Nun war Christine verwirrt.

„Wenn Sie noch etwas brauchen…“, meinte sie und machte einen Schritt wieder zurück zu ihrem Schreibtisch.

„Ja, ich brauche etwas“, Helmut Schubert trat näher.

Christine wurde noch unbehaglicher zumute, Panik kroch ihren Rücken hoch, sie wusste, dass kaum noch Menschen in diesem Stockwerk waren.

Schubert stand nun vor ihr.

„Ich brauche dich“, sagte er mit veränderter Stimme, „du machst mich wahnsinnig! Jedes Mal, wenn du in mein Büro kommst und mit deinem Hintern wackelst, würde ich dich am liebsten über meinen Schreibtisch werfen und…“

„Herr Schubert!“ Christine versuchte, besonders scharf zu klingen, aber die Panik ließ ihre Stimme eher schrill klingen.

„Herr Schubert, Herr Schubert“, äffte er ihr nach, „ich heiße Helmut, die Förmlichkeiten können wir vergessen, wenn wir unter uns sind.“

Er war noch näher gekommen und Christine war bis zur Tür zurückgewichen, aber er drängte sie ab, so dass sie nun neben der Tür an der Wand stand.

Er war nun so nahe vor ihr, dass sich ihre Körper beinahe berührten.

„Hab dich doch nicht so“, sagte er und seine Hand strich über Christines Wange, bevor sie weiter in Richtung Brust glitt, „wir wissen doch beide, dass du in Wirklichkeit eine ganz Scharfe bist.“

„Lassen Sie das!“ Christine ließ ihre Tasche fallen, sie versuchte seine Hand abzuwehren, aber er schüttelte sie ab, dann fasste er mit einer Hand an ihren Nacken und zog sie ganz eng an sich.

„Komm schon, es wird nicht zu deinem Schaden sein“, war seine heisere Stimme an ihrem Ohr, „sei ein bisschen lieb zu mir und du wirst in dieser Firma eine steile Karriere machen.“

Seine Hand fuhr in ihren Ausschnitt, die Knöpfe sprangen auf, er drückte ihre Brust und drängte sich so eng an sie, dass sie seine Erregung deutlich spüren konnte. Sie versuchte, ihn von sich zu stemmen, aber erfolglos.

„Komm schon, du brauchst es doch auch“, stöhnte er an ihrem Mund, dann versuchte er, sie zu küssen. „Nein!“ rief Christine, sie riss ihren Kopf zurück und schlug so heftig mit dem Hinterkopf gegen die Wand, dass ihr kurz schummrig wurde.

Plötzlich war Schubert weg.

 

Als Christines Blick wieder klar wurde, sah sie einen Mann, der ihren Chef festhielt, sichtlich hatte er ihn von ihr weggezogen.

„Was soll das? Verschwinden Sie!“ der Mann stieß Schubert von sich und wandte sich an Christine.

„Alles in Ordnung?“ fragte der Fremde.

Christine nickte, aber da durchzuckte ihren Kopf ein scharfer Schmerz.

„Aua“, stieß sie hervor und griff sich an den Kopf.

„Kommen Sie“, der Mann nahm sie am Ellenbogen und führte sie zu einem Stuhl.

„Brauchen Sie einen Arzt?“ klang er besorgt.

Christine schüttelte vorsichtig den Kopf, es tat verdammt weh!

„Es ist nichts“, wehrte sie ab, „ich habe mir nur den Kopf angeschlagen, als ich den Scheiß…, als ich ihn abgewehrt habe.“

Herr Schubert war inzwischen in seinem Büro verschwunden.

Der unbekannte Mann reichte Christine ein Glas Wasser, das er vom Wasserspender geholt hatte.

„Hier, trinken Sie etwas“, sagte er freundlich.

Dankbar nahm es Christine an und während sie trank, betrachtete sie ihren Retter.

Es war ein Mann ca. Mitte fünfzig, groß, schlank, mit kurzgeschnittenen ehemals sichtlich dunklen Haaren, in denen das Grau aber nun überwog und mit ebenso grauen Augen. Er trug einen dunkelgrauen Anzug und eine dezent grau gemusterte Krawatte.

„Danke, es geht schon wieder“, sagte sie zu ihm und wollte aufstehen, aber sofort wurde ihr schwarz vor Augen und sie wankte.

„Vielleicht sollten wir doch einen Arzt rufen“, war der Mann noch immer besorgt, aber Christine winkte ab, sie wollte nur weg von hier. Sie nahm ihre Tasche vom Tisch, sichtlich hatte der nette Mann sie inzwischen aufgehoben, und wandte sich zum Gehen.

„Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe“, sie reichte ihrem Helfer die Hand, in dem Moment kam Helmut Schubert aus seinem Büro.

Er stockte, als er sah, dass Christine mit ihrem Retter noch hier war.

„Frau Jäger, es tut mir leid, ich wollte nicht…“, verlegen brach er ab.

„Was wollten Sie nicht?“ fuhr ihn der Fremde mit schneidend scharfer Stimme an, „ich habe mit eigenen Augen gesehen, was Sie vorhatten!“

„Es war nicht so, wie Sie glauben“, versuchte sich Herr Schubert halbherzig zu entschuldigen.

„Was glaube ich denn?“ der Fremde sah Schubert mit hochgezogenen Augenbrauen an, „dass Sie ein Kerl sind, der keinen Funken von Anstand und Würde besitzt? Der keine Grenzen kennt? Dass Sie ein primitiver, ungehobelter Neandertaler sind, der eine Frau an den Haaren in seine Höhle zieht, um dann mit ihr zu machen, wozu Sie immer Lust haben? Dann sind Sie allerdings kaum des Lesens und Schreibens mächtig und hier in dieser Firma absolut fehl am Platz!“

Schubert wurde blass.

„Das…das…“, sichtlich wusste Christinas Chef nicht, was er sagen sollte.

„Halten Sie den Mund und verschwinden Sie endlich!“ damit wandte sich der Fremde von ihm ab und Christine wieder zu.

Die sah mit Erleichterung, wie der nun leichenblasse Schubert aus dem Raum in Richtung Gang verschwand.

„Dem sind Sie aber jetzt auf den Schlips gestiegen“, stellte sie fest.

„Ich hätte ihm gerne noch etwas ganz anderes gesagt, aber das verhinderte leider meine gute Erziehung“, erwiderte der Fremde ebenfalls lächelnd, „übrigens gute Erziehung, ich bin Robert Aumann“, er hielt Christine seine Hand hin.

Kurz sah er sie forschend an, als würde er eine bestimmte Reaktion von ihr erwarten, aber da sie nicht reagierte, verschwand dieser Ausdruck wieder schnell.

„Christine Jäger“, antwortete Christine und nahm seine Hand, es war ein angenehm warmer Händedruck von einer ausgesprochenen schönen Männerhand mit langen schlanken Fingern.

„Sie sollten ihn anzeigen“, schlug Robert Aumann vor, aber Christine schüttelte den Kopf.

„Es ist ja nichts passiert“, sagte sie abwehrend, „außerdem ist Herr Schubert schon lange in dieser Firma und ich bin ein absoluter Neuling, er würde sich bestimmt rausreden, dass ich ihn verführt hätte, man würde ihm glauben und dann fällt das Ganze noch auf mich zurück.“

„Ich würde bezeugen, was wirklich passiert ist“, sagte Robert Aumann ernst.

Müde winkte Christine ab.

„Das ist sehr nett von Ihnen, aber nicht der Mühe wert“, sie wandte sich nun endgültig zum Gehen.

„Gut, wie Sie wollen“, nickte ihr Retter, „aber erlauben Sie mir wenigstens, Sie bis zu ihrem Auto zu begleiten, damit Ihnen dieser Kerl nicht womöglich noch wo auflauert.“

„Auto?“ Christine musste lachen, „mein Auto ist der öffentliche Bus! Ich bin froh, dass ich mich nun jeden Tag satt essen kann, seit ich hier arbeite, an ein eigenes Auto werde ich erst in ein paar Jahren denken.“

„Jetzt sollten Sie aber nicht mit dem Bus fahren, sondern sich wenigstens ein Taxi nehmen“, meinte ihr Gegenüber wieder besorgt, „Sie sind leichenblass, ich befürchte, dass Ihnen im Getümmel der Menschen übel werden könnte.“

 

Inzwischen waren sie beim Lift angelangt und zu Christines Erleichterung war von ihrem Chef weit und breit nichts zu sehen.

Im Lift lehnte sie sich erschöpft an die Wand, kurz befiel sie Unbehagen, dass sie nach dieser unschönen Sache mit einem Mann allein in der engen Kabine war, aber Robert Aumann hielt respektvollen Abstand zu ihr. Als der Lift losfuhr, wurde Christine wieder schummrig vor Augen und kurz wurde ihr noch dazu übel. Ihr fiel ein, dass sie den ganzen Tag noch keinen Bissen gegessen hatte und ihr Energielabel sich wahrscheinlich auf Höhe ihres kleinen Zehennagels befand.

 

Robert Aumann betrachtete die junge Frau wieder besorgt, sie war erschreckend blass, fast grau im Gesicht, was ihrer Schönheit aber keinen Abbruch tat.

Es war ein Gesicht vollkommener Schönheit, als hätte ein Fotograf stundenlang an einem Foto herumretuschiert, um es perfekt zu machen. Ein ovales Gesicht mit einer glatten Stirn, von schön geschwungenen Augenbrauen begrenzt, eine gerade schmale Nase mit leicht bebenden zarten Nasenflügeln und roten Lippen, die so erotisch lockten, dass er froh war, in einem Alter zu sein, in dem er sich schon immun gegen eine solche Verführungen hielt.

Das Schönste waren aber die Augen der Frau. Groß und von einer Farbe, die an einen grünen Waldsee erinnerte, umrahmt von dichten langen Wimpern. Sein Atem hatte kurz gestockt, als sie ihn vorhin angesehen hatte. Umrahmt wurde das Ganze von schwarzen Haaren, die eigentlich zu einem Knoten im Nacken geschlungen waren, sich aber durch die unschöne Sache von vorhin halb gelöst hatten und nun teilweise in Locken über ihre Schultern fielen.

Leider hatte die junge Frau eine etwas unvorteilhafte weite Bluse an, aber er war überzeugt, dass ihre Figur ebenfalls perfekt war.

„Ich will Sie nicht belehren“, Robert Aumann räusperte sich, „aber vielleicht sollten Sie ihre Bluse in Ordnung bringen und auch ihr Haar. Wir werden gleich vielen Menschen begegnen und Sie wollen bestimmt nicht die Blicke auf sich ziehen.“

Christine tauchte aus ihrer Schummrigkeit auf und sah an sich herab. Sie hatte zwar eine Jacke an, aber die war vorne offen und zeigte ungeniert, dass einige Knöpfe zuviel ihrer Bluse offen waren und diese auch ziemlich ramponiert aussah.

„Oh, entschuldigen Sie“, sagte sie, schloss hastig die Knöpfe, und versuchte die Bluse wieder in Ordnung zu bringen. Dann griff sie in ihr Haar, kurz überlegte sie, ob sie versuchen sollte, ihre Haare wieder zu einem Knoten zu stecken, aber dann zog sie die Kämme heraus und ihr Haar flutete wie schwarzes Wasser über ihren Rücken. Sie bemerkte in ihrer Verfassung nicht, dass ihr Gegenüber angestrengt den Atem einzog.

„Geht es so?“ fragte sie ihren Retter und sah ihn unsicher an.

Robert Aumann betrachtete sie, ihm hatte es fast den Atem verschlagen, als ihre Haare wie Obsidian glänzend über ihren Rücken fielen.

Von wegen, er war zu alt für so etwas! Am liebsten wäre er in ihre grünen Augen eingetaucht, hätte sich am liebsten darin verloren, für immer, alles um sich vergessend!

‚Hör auf, du bist ein alter Mann!‘

Er riss sich zusammen, versuchte ein neutrales freundliches Gesicht zu machen.

„Ja, so geht es“, nickte er, aber dann…

„Darf ich?“ fragte er und als Christine ihn fragend ansah, streckte er seine Hand aus und ohne sich ihr auch nur einen Schritt zu nähern, nahm er eine ihrer seidigen langen Locken in die Hand und legte sie über die Schulter nach vorne, das tat er auf der anderen Seite auch. Nun verdeckten die Haare die verknautschten Stellen.

„Jetzt ist es perfekt“, sagte er lächelnd.

„Danke“, verlegen senkte Christine ihre Augen, sie war sonst nicht so leicht einzuschüchtern, aber an dem Mann war etwas…er strahlte Macht und Selbstbewusstsein aus, trotz seiner Freundlichkeit.

 

Der Lift kam zum Stehen und als Christine hinausgehen wollte, wurde ihr wieder schwindlig und sie wankte.

Robert Aumann ergriff wieder ihren Ellenbogen, ein Verdacht stieg in ihm auf und obwohl er es sich nicht eingestehen wollte, gefiel es ihm, denn das bedeutete, dass er sich mit der jungen Frau noch länger unterhalten konnte.

„So kann ich Sie nicht gehen lassen“, sagte er bestimmt, „kommen Sie.“

Er führte sie durch die Eingangshalle auf die Straße. Christine war zu sehr damit beschäftigt, sich auf den Beinen zu halten, um zu bemerken, dass ihnen einige Personen, die sich Erdgeschoß aufhielten, erstaunt nachsahen und sogar Manche tuschelten.

 

Robert Aumann steuerte ein Café in der nächsten Straße an und führte sie dort zu einem freien Tisch.

„Sie sind leichenblass, ich nehme deshalb an, dass Sie heute auch noch nicht allzu viel gegessen haben?“ sagte er ihr auf den Kopf zu.

„Noch gar nichts“, gestand Christine verlegen.

Bevor Aumann antworten konnte kam eine Kellnerin an ihren Tisch.

„Was möchten Sie?“ fragte Robert Aumann Christine.

„Nur einen Kaffee“, antwortete sie.

„Zwei Kaffee, einen Muffin und ein Mineralwasser mit zwei Gläsern“, bestellte Robert Aumann.

Einen Muffin? Ihr Retter war ein Schleckermaul?

Das konnte sich Christine eigentlich nicht vorstellen, dazu sah er zu schlank aus, zu sportlich. Überhaupt sah Robert Aumann gut aus, er musste in seiner Jugend ein sehr attraktiver Mann gewesen sein und obwohl Christine eigentlich nichts für ältere Männer übrig hatte, fand selbst sie, dass er noch immer sehr gut aussah, nur eines störte sie.

„Sie sollten eine buntere Krawatte tragen“, platzte es aus ihr heraus.

„Was?“ Robert Aumann sah sie irritiert an, „warum sollte ich das tun?“

„Naja“, Christine wand sich verlegen, dass sie auch nicht den Mund halten konnte! „es ist alles so einfarbig an Ihnen…so grau.“

„In meinem Alter ist man eben grau“, erwiderte Robert Aumann etwas unwillig, „da hat man graue Haare und der Anzug ist leider meine Berufskleidung.“

„Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht beleidigen“, sagte Christine hastig, „ich finde nur, dass Sie eben genau dieses Grau unterbrechen sollten. Sie sehen für Ihr Alter sehr gut aus, aber…“, sie stockte und wurde rot.

Robert Aumann fand, dass ihr das bisschen Farbe im Gesicht sehr gut stand.

„Danke für das Kompliment“, lächelte er, „was aber?“

Christine schüttelte den Kopf, sie hätte sich für ihre unbedachte Bemerkung am liebsten die Zunge abgebissen.

 

Die Kellnerin kam mit einem Tablett und stellte die beiden Kaffees und das Mineralwasser samt den Gläsern vor ihnen ab. Den Muffin stellte sie in die Mitte zwischen ihnen auf den Tisch und verschwand wieder.

Robert Aumann schob ihn Christine hin.

„Essen Sie“, sagte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.

Christine beäugte den Muffin misstrauisch. Dass sie eine perfekte Figur hatte, verdankte sie bei Gott nicht nur ihren guten Genen, sondern ebenso einer eisernen Disziplin beim Essen und Zucker stand überhaupt nicht auf ihrem Speiseplan. Höchstens zu den hohen Festtagen wie Weihnachten und Geburtstag gab es ein Fingerhut großes Kuchenstück und vielleicht noch ein winzig kleines Schokoladenei zu Ostern, aber damit war schon auch Schluss!

„Sie können den Feind Namens Muffin ruhig essen“, meinte Robert Aumann und deutete darauf, „das bisschen Zucker wird Ihre Diät schon nicht durcheinander bringen und Sie brauchen dringend Energie.“

„Woher wollen Sie wissen, dass ich Diät halte?“ fragte Christine mit erhobener Augenbraue.

„Weil ich eine Tochter in ungefähr ihrem Alter habe“, Robert Aumann lachte leise, „und die wird schon allein beim Anblick von Süßigkeiten hysterisch.“

Er hatte eine Tochter? Unwillkürlich huschte Christines Blick zu seiner Hand, die gerade die Kaffeetasse in der Hand hielt und wirklich, ein schmaler einfacher Goldring schmückte seinen Ringfinger.

„Ja, ich bin verheiratet und habe zwei erwachsene Kinder“, erklärte er ruhig, denn er hatte ihren Blick bemerkt, „aber deshalb kann ich trotzdem mit einer jungen, sehr schönen Frau in einem Café sitzen und darauf achten, dass sie ihren Energiehaushalt wieder in Ordnung bringt.“

Christine errötete wieder.

Was sollte das? Üblicherweise war sie die Überlegene, jeder Situation gewachsen, spielte mit den Männern nach ihrem Gutdünken, aber nicht, dass sie vor Verlegenheit ständig errötete. Das war ihr noch nie passiert, aber an diesem Tag waren schon mehr unmögliche Dinge passiert!

Immer noch zweifelnd biss sie zögernd vom Muffin ab. Fast hätte sie vor Genuss gestöhnt, als sie die Süße auf ihrer Zunge spürte, sie hatte nicht gewusst, wie herrlich so ein kleiner Kuchen schmecken konnte!

Robert Aumann, der sie genau beobachtet hatte, konnte ein Schmunzeln kaum unterdrücken, so selig war Christines Gesichtsausdruck.

„Sehen Sie, hin wieder zu sündigen macht das Leben doch erst lebenswert“, sagte er.

Christine schluckte und spülte mit Kaffee nach.

„Ja, aber wenn ich zuviel davon sündige, würde das Leben mit der Zeit eher beschwerlich werden“, antwortete sie nun schon besser gelaunt, und deutete mit ihren Händen breite Hüften an.

„Da müssten Sie schon jahrelang sündigen, um so in die Breite zu gehen“, widersprach Robert Aumann schmunzelnd.

„Typisch Mann“, Christine schüttelte den Kopf, „keine Ahnung, was es uns kostet, damit wir so aussehen, wie wir aussehen.“

„Dann kann ich nur sagen, dass sich die Mühe bei Ihnen sehr lohnt“, seine grauen Augen lagen bewundernd auf ihrem Körper.

Verdammt, schon wieder wurde sie rot! Was machte dieser alte…ähem…ältere Mann bloß mit ihr?

Um ihre Verlegenheit zu verbergen, rührte sie in ihrem Kaffee um, obwohl da weder Milch noch Zucker zu verteilen gewesen wären.

 

„Sie haben meine Frage von vorhin noch nicht beantwortet“, erinnerte sie ihr Gegenüber.

„Welche Frage?“ irritiert sah Christine auf und ihr Blick traf genau auf seine grauen Augen.

Es war ein Grau wie Stahl, hart und unnachgiebig und obwohl sie sie jetzt freundlich ansahen, konnte sich Christine sehr gut vorstellen, dass diese Augen auch wie Dolche sein Gegenüber durchbohren konnten. Vielleicht ist ihr Chef deshalb so blass geworden und so schnell verschwunden?

„Sie haben gemeint, dass an mir alles grau ist und ich es ändern soll, aber wie?“ er sah sie neugierig an.

Nun schüttelte Christine lächelnd ihren Kopf, mit dem Muffin und dem Kaffee war ihre Energie wieder zurückgekehrt und es machte ihr nun Spaß, sich mit ihrem Retter zu unterhalten.

„Ich habe gesagt, dass Sie ein gutaussehenden Mann sind“, berichtigte Christine ihn, „und dass es schade ist, dass an Ihnen alles grau ist.“

Nun war Robert Aumann verlegen, es war Jahrzehnte her, dass ihm jemand bescheinigt hatte, dass er gut aussah und noch nie hatte es ihm eine so schöne junge Frau gesagt. Er nahm einen Schluck Kaffee, trank noch Mineralwasser nach, dann hatte er wieder seine innere Ruhe gefunden.

„Und was könnte ich dagegen unternehmen?“ er sah Christine erwartungsvoll an.

Diese ließ sich mit der Antwort Zeit, sie betrachtete Robert Aumann und obwohl sie es nicht wollte, musste sie zugeben, dass er ihr immer mehr gefiel. Sein volles Haar war kurz geschnitten, das glatt rasierte Gesicht edel gezeichnet, eine gerade Nase und ein schmallippiger Mund, der zwar jetzt ein Lächeln zeigte, aber vorhin voller Verachtung verzogen war und vor allem seine Augen, die Christine faszinierend fand.

Ein Gesicht fast ohne Falten, nur feine Linien von der Nase zu den Mundwinkel und auch auf der Stirn waren kaum welche zu sehen, leider auch keine Lachfalten an den Augenwinkel, was Christine schade fand, denn das hieß, dass der Mann entweder ein trauriges Leben führte oder gänzlich humorlos war.

Sie revidierte ihre letzte Meinung sofort, als sie sah, wie seine Augen belustigt aufzublitzen begannen, also doch ein trauriges Leben, der arme Mann!

„Sie sollten zum Beispiel eine buntere Krawatte tragen, in einer anderen Farbe“, meinte sie, „und darauf achten, dass der Anzug nicht die gleiche graue Farbe wie ihre Haare hat, vielleicht auch mal einen blauen oder einen Anzug, der ein bisschen ins Braune geht.“

„Vielleicht sollte ich meine Haare färben“, schlug Robert Aumann vor.

„Nein!“ fast entsetzt klang Christine.

„Nein?“ erstaunt sah er sie an, „aber mit dunklen Haaren könnte ich meine grauen Anzüge weiter anziehen.“

Christine versuchte Zeit zu gewinnen und nahm das letzte Stück des Muffins in den Mund, als sie geschluckt hatte, trank sie noch einen Schluck Kaffee, dann war sie bereit, zu antworten.

„Ich finde, dass Ihnen die grauen Haare sehr gut stehen“, nur nicht wieder rot werden! „es wäre schade, sie zu färben, außerdem schadet das Färben dem Haar.“

„Aber Sie haben Ihre Haare doch bestimmt auch gefärbt“, Robert Aumann sah auf ihre Haarsträhnen, mit denen er im Lift ihre Bluse verdeckt hatte.

„Meine Haare?“ Christine sah selbst darauf, dann lachte sie und ließ eine der Locken durch ihr Finger gleiten, wieder entging ihr, dass ihr Gegenüber scharf einatmete, „nein, ich muss Sie enttäuschen, das Schwarz ist echt. Mein Vater war Spanier, das ist sein Verdienst.“

„Dann sind Ihre schönen Augen von Ihrer Mutter?“

„Danke für das Kompliment“, bedankte sich Christine artig, „ja, meine Mutter hatte zwar blaugrüne Augen, aber mit den braunen Augen meines Vaters kam eben bei mir grün heraus.“

„Ihr Vater ist bestimmt stolz auf seine schöne Tochter.“

„Das kann er nicht mehr“, Christines Stimme wurde leise, „ich war noch ein Schulkind, als meine Eltern bei einen Unfall ums Leben kamen.“

„Oh, das tut mir aber leid“, spontan legte Robert Aumann seine Hand auf die von Christine, mit der sie ihre Serviette zerknüllte, aber dann zog er seine Hand ganz schnell wieder zurück. Christine fand seine Reaktion sehr schön und vor allem tröstlich.

„Es ist lange her“, wehrte sie dann ab, „ich kam bei einer Schwester meiner Mutter unter und es ging mir ganz gut, ich konnte zumindest meine Ausbildung durchziehen.“

„Welche Ausbildung haben Sie denn?“ Robert Aumann schien wirklich interessiert und Christine war froh über die Ablenkung.

„Fremdsprachenkorrespondentin“, antwortete Christine nicht ohne Stolz und nun ließ sich Robert Aumann ausführlich schildern, wie sie es ganz allein geschafft hatte, ihr Studium zu finanzieren, er fragte einiges sogar noch genauer nach, selbst eigentlich unwichtige Sachen schienen ihm wichtig zu sein.

So erzählte sie ihm, dass sie an den Wochenenden als Kellnerin gearbeitet hatte und auch Handyverkäuferin war und noch etliches anderes gemacht hatte, um sich durchzubringen.

„Ja, und nun habe ich es endlich geschafft“, schloss Christine ab, „nach einigen kaum bezahlten Praktika, verdiene ich endlich gutes Geld.“

„Wollen Sie Karriere machen?“

„Ja“, Christines Augen leuchteten auf, „ich will es so weit wie möglich nach oben schaffen. Jetzt will ich erst einmal eine zeitlang Geld verdienen und dann möchte ich mich noch weiter ausbilden, noch Sprachen dazulernen.“

„Für welche Sprachen haben Sie sich in ihrer Ausbildung entschieden?“

„Das Übliche, Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch“, über Christines Gesicht zog ein schmerzlicher Zug, „Englisch kann ich schon seit meiner Kindheit, denn meine Mutter war der Ansicht, dass man heutzutage ohne Englisch keinen Schritt mehr in der Arbeitswelt machen kann und Spanisch ist für mich so etwas wie meine zweite Muttersprache, denn mein Vater sprach fast nur spanisch mit mir. Er war der Meinung, dass ich mit meinen Großeltern reden können muss, wenn wir sie in Spanien besuchten.“

„Ein kluger Mann“, nickte ihr Gegenüber.

„Ja und der beste aller Väter“, Christines Stimme zitterte leicht, nie würde sie das liebevolle Gesicht ihres Vaters vergessen, wenn er mit ihr spielte, ihr Geschichten erzählte, sie in die Arme nahm. Schnell trank sie ein paar Schluck Wasser.

„Und ein bisschen Chinesisch kann ich auch“, das sagte Christine fast verlegen, „das heißt, mündlich geht es so einigermaßen, nur schriftlich hapert es noch, die haben aber auch eine unmögliche Schrift!“ Sie verdrehte ihre Augen.

„Chinesisch? Sie können Russisch und Chinesisch?“ ungläubig sah Robert Aumann sie an.

„Warum nicht? Chinesisch können hier nicht so viele und ich dachte mir, dass das meine Berufschancen erhöht“, erklärte Christine achselzuckend.

„Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch und Chinesisch“, Robert Aumann schüttelte den Kopf, „das sind fünf Sprachen! Und Sie wollen noch welche lernen?“

„Chinesisch will ich noch vertiefen“, nickte Christine und als sie Robert Aumanns immer ungläubigeres Gesicht sah, musste sie lachen, „die Chinesen sind sehr auf ihre Ehre bedacht und es erfreut sie bestimmt, wenn sich jemand die Mühe gemacht hat, ihre schwere Sprache zu erlernen. Das kann in der Geschäftswelt durchaus Vorteile gegenüber Konkurrenten bringen.“

Robert Aumann sah sein Gegenüber mit neuen Augen an, da saß eine vollkommene Schönheit vor ihm, von der man glauben würde, dass sie sich nur für Mode und dergleichen Firlefanz interessiere und dann erzählte sie ganz locker, dass sie fünf Sprachen spricht und damit noch nicht genug hat!

 

„Sie sind für ihre momentane Arbeit absolut überqualifiziert“, sagte er dann langsam.

„Das weiß ich selbst“, zuckte Christine mit den Schultern, „aber leider brauchte ich dringend Geld und konnte daher nicht sehr wählerisch sein.“

„Aber in mei…, dem Konzern gibt es eine eigene Auslandsabteilung, haben Sie es dort nicht versucht?“

„Doch, aber es war nichts frei, es wurde mir aber zugesagt, dass ich berücksichtigt werde, sobald eine Stelle frei wird. Deshalb habe ich die andere Stelle angenommen, denn ich hoffe, leichter dorthin zu kommen, wenn ich schon in der Firma bin, aber jetzt…“, sie hob resignierend ihre Hände, „ich weiß nicht, ob ich morgen überhaupt noch hingehen werde.“

„Doch, das müssen Sie“, sagte Robert Aumann eindringlich, „lassen Sie den Kerl nicht gewinnen. Ich bin ja noch immer der Meinung, dass Sie ihn anzeigen sollten.“

„Ich weiß es nicht, vielleicht überlege ich es mir noch“, sie sah auf ihre Armbanduhr.

„Um Himmels Willen“, sagte sie erschrocken, „jetzt habe ich Sie aber lange aufgehalten, das tut mir leid.“

„Mir tut es nicht leid“, erwiderte Robert Aumann lächelnd, „es war doch nett, zumindest für mich.“

„Für mich auch“, gestand Christine und errötete wieder.

 

Robert Aumann bezahlte und beide standen auf und verließen das Lokal. Direkt davor war ein Taxistand.

„Auch wenn Sie jetzt wieder gesünder aussehen, sollten Sie trotzdem mit einem Taxi nach Hause fahren“, meinte Robert Aumann.

„Ich weiß nicht…“, unschlüssig sah Christine die wartenden Taxis an.

„Ich bezahle die Fahrt, wenn Sie es nicht können“, bot er an.

„Nein, das geht schon“, wehrte Christine ab, „so klamm bin ich zum Glück nicht mehr.“

Sie sah in das nun wieder sorgenvolle Gesicht ihres Retters.

„Gut, Sie haben mich überredet“, lächelte sie und ging auf ein Taxi zu.

Robert Aumann öffnete ihr die Autotür.

„Versprechen Sie mir, dass Sie morgen in die Arbeit kommen?“ fast eindringlich klang seine Stimme.

„Ich verspreche, dass ich es mir überlegen werde“, gab Christine zur Antwort, sie reichte Robert Aumann ihre Hand, „danke noch einmal für Ihre Hilfe.“

„Gern geschehen“, er ergriff ihre Hand, „wenn Sie den Kerl doch noch anzeigen wollen, können Sie jederzeit mit meiner Hilfe rechnen.“

„Danke“, schon wieder errötete sie!

Schnell stieg sie ein und nachdem sie dem Fahrer ihre Adresse genannt hatte, fuhr das Taxi los.

Christine ließ sich in die Polster sinken, was für ein Tag!

Zuerst der Horror mit ihrem Chef und dann die nette Unterhaltung mit dem faszinierenden Mann.

Faszinierend?

Christine schüttelte über sich selbst den Kopf, er war ein netter älterer Herr, sonst nichts und total uninteressant für sie. Sie schloss ihre Augen, aber sofort sah sie graue Augen vor sich, die sie sorgenvoll, aber auch bewundernd ansahen.

 

2. Kapitel

Auch als sie zu Hause in ihrer winzigen Wohnung war, sich duschte und ihr Abendessen (ein ganzes Joghurt!) löffelte, ging ihr der Anblick dieses Mannes nicht mehr aus dem Kopf.

Um sich abzulenken, rief sie Andrea, ihre alte Schulfreundin an. Andrea hatte ebenso wie sie ihre Eltern schon früh verloren und war bei ihrer Großmutter aufgewachsen, aber nun war diese auch gestorben und Andrea schlug sich auch allein durchs Leben. Allerdings hatte diese zum Unterschied zu ihr keine großen Ambitionen, Karriere zu machen und war mit ihrem Bürojob voll zufrieden, Andrea träumte von einem netten Mann, Kindern und einem Häuschen im Grünen.

Aber trotz ihrer unterschiedlichen Lebensweisen hatte sie ihr Schicksal zu sehr engen Freundinnen werden lassen, die sich alles erzählten.

Andrea hörte ihr voll Entsetzen zu und war auch der Ansicht, den feinen Herrn Schubert anzuzeigen.

„Das hat dieser Robert auch gesagt“, sagte Christine noch immer unschlüssig.

„Robert, welcher Robert?“ Andrea wurde hellhörig.

„So heißt der Mann, der mich vor dem Ekel gerettet hat und mit dem ich dann noch Kaffee getrunken habe“, erklärte Christine unwillig.

„Und? Ist er attraktiv?“

Jetzt musste Christine lachen.

„Er ist ein alter Kerl, er könnte mein Vater sein“, sie wurde wieder ernst, „aber ja, er sieht für sein Alter noch immer sehr gut aus.“

„Oh, oh!“

„Nichts oh, oh“, äffte Christine nach, „ich war in schlechter Verfassung und er war nur nett. Außerdem ist er verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.“

„Das hat er dir gleich alles erzählt?“ war Andrea erstaunt, „hast du so schamlos mit ihm geflirtet?“

„Nein, das habe ich nicht“, widersprach Christine ärgerlich, „ich habe seinen Ehering gesehen und dass er Kinder hat, hat er mir erzählt, weil ich den Muffin nicht essen wollte.“

„Muffin? Wie schrecklich!“ Andreas Stimme sollte entsetzt klingen, aber Christine hörte sehr gut, dass sie sich das Lachen verbeißen musste.

„Lach nicht, du bist nicht besser als ich“, beschwerte sich Christine, „er hat nur gemeint, dass seine Tochter, die übrigens so alt sein muss wie ich“, setzte sie nachdrücklich hinzu, „also, er hat gesagt, dass seine Tochter beim Anblick von Süßigkeiten hysterisch wird.“

„Er weiß zumindest, wie wir jungen Dinger ticken“, lachte Andrea, „das kann für dich von Vorteil sein.“

„Er ist verheiratet und du weißt genau, dass er damit für mich absolut tabu ist. Und er ist alt, so um die fünfzig.“

„Ja und? Wäre doch mal eine Abwechslung.“

„So notwendig habe ich es auch wieder nicht“, wehrte Christine ab, „aber darum geht es gar nicht, ich überlege, ob ich nicht kündigen soll.“

„Du sollst nicht kündigen, sondern den Scheißkerl anzeigen, Chris“, widersprach Andrea, „du hast so lange gesucht, bis du diese Arbeitsstelle bekommen hast, da wirst du doch nicht gleich wieder aufgeben, noch dazu, wo du einen Zeugen hast.“

„Du hast recht“, pflichtete Christine ihr bei, „ich werde morgen diesen Robert anrufen und ihm sagen, dass ich…, oh, verdammt!“

„Was ist los?“ war Andrea alarmiert.

„Er hat mir keine Telefonnummer gegeben, gar nichts“, stöhnte Christine.

„Er hat dir seine Visitenkarte nicht aufgedrängt?“ Andreas Stimme war voller Erstaunen, „aber das machen gewöhnlich doch alle Männer bei dir?!“

„Ich dir doch gesagt, dass er nicht wie die anderen ist“, sagte Christine unwillig, „er ist…außergewöhnlich.“

„Aha“, kam es Christine nur so vor, oder musste sich Andrea wirklich ein Grinsen verbeißen? Zumindest hörte sich ihre Stimme so an.

„Aber du kennst wenigsten den Namen dieses außergewöhnlichen Exemplars?“ fuhr Andrea indes fort.

„Natürlich! Robert…äh…irgendwas mit Au…“, Christine grübelte und grübelte, dann seufzte sie, „es fällt mir nicht ein.“

„Alzheimer?“ scherzte Andrea, „dann passt er ja doch zu dir.“

„Dass ich etwas außer mir war, kannst du dir nicht vorstellen?“ gab Christine etwas bissig zurück.

„Entschuldige Chris, ich wollte dich nur aufheitern, tut mir leid.“

„Schon gut, ich bin dir nicht böse“, kurz dachte Christine nach, „ich werde morgen Renate fragen, die arbeitet schon so lange dort, die kennt jedes Gesicht. Wenn ich ihn ihr beschreibe, dann weiß sie bestimmt, wen ich meine.“

„Wenn er dort überhaupt angestellt ist.“

„Das muss er sein, denn in dem Bereich, wo ich arbeite, kommt man nur mit dem Sicherungscode der Angestellten rein. Aber ich habe dich lange genug mit meinem Quatsch gequält. Wie geht es denn dir so?“

Nun zögerte Andrea.

„Ich habe einen ganz netten Jusstudenten kennengelernt“, sagte sie dann verlegen, „er ist wirklich sehr nett.“

„Wenn du das von einem Jungen sagst, dann musst du schwer verliebt sein“, lachte Christine, „wie sieht er aus?“

„Ich werde ihn dir auf keinen Fall vorstellen!“

„Du weißt, dass deine Freunde für mich tabu sind“, wehrte sich Christine, „ebenso wie verheiratete Männer.“

„Ich weiß, aber du bist zu attraktiv! Und dass nicht nur für ungebundene Männer“, gab Andrea nun lachend zur Antwort, „das ist mir noch zu gefährlich, aber wenn es ernster wird und ich mir seiner sicher bin, dann können wir wieder darüber reden.“

„Stell dich nicht unter einen Scheffel Andrea, du bist selbst sehr hübsch und hast auch immer viele Verehrer!“

„Ja, ja“, wieder musste Andrea lachen.

Eine Weile ging das lockere Geplänkel zwischen ihnen weiter und als Christine das Gespräch beendete, fühlte sie sich wirklich besser.

Es war schön, so eine gute Freundin zu haben und sie konnten sich ohne Rücksicht alles sagen, ohne dass einer von ihnen böse wurde.

*****

Nach einer schlaflosen Nacht voller Überlegungen ging Christine entschlossen in das Bürogebäude. Andrea und auch dieser Robert, beide hatten recht, sie sollte ihren Chef anzeigen!

Als erstes wird sie ihn zur Rede stellen und ihm androhen, ihn anzuzeigen, wenn er nicht aufhört, sie zu belästigen. Als zweitens wird sie Renate diesen Robert, >ich weiß seinen Namen noch immer nicht<, beschreiben und sich mit ihm in Verbindung setzen, damit sie notfalls auf seine Zeugenaussage zurückgreifen konnte.

Als sie das Büro betrat, war Renate bereits anwesend. Diese sah Christine sofort an, dass etwas passiert war. Auf ihre besorgte Frage erzählte ihr Christine, was am Vortag vorgefallen war und Renate war genauso empört wie es Andrea gewesen war.

„Wenn du ihn schon nicht anzeigen willst, musst du ihn unbedingt beim Betriebsrat melden“, sagte Renate aufgebracht, „mir ist er ja nie zu nahe getreten“, sie verzog das Gesicht, „ich bin ihm höchst wahrscheinlich zu alt dafür, aber es gibt Gerüchte. Unser guter Chef soll einen geradezu beängstigten Verbrauch an Sekretärinnen haben. Ich kam ja selbst erst kurz vor dir zu ihm und ich gab bisher nichts auf diese Gerüchte. Aber jetzt halte ich es für deine Pflicht, ihn zu melden, vielleicht verhinderst du damit, dass er noch andere Frauen bedrängt.“

„Das werde ich“, nickte Christine, „aber vorher werde ich es ihm selbst sagen. Ist er schon da?“

„Er war da und ist schon wieder weg“, antwortete Renate, „ich habe ihm die Post hineingelegt und gleich darauf ist er davongestürmt.“

„Vielleicht will er mir zuvorkommen und schwärzt mich beim Betriebsrat an, behauptet, dass ich ihn verführt habe“, wurde Christine wieder unsicher.

„Du hast doch gesagt, dass du einen Zeugen hast“, beruhigte Renate sie, „der wird dir bestimmt helfen, damit es bei der Wahrheit bleibt.“

„Hoffentlich, leider ist mir sein Name in dieser ganzen Aufregung entfallen. Ich wollte dich ohnehin fragen, ob…“, das Läuten des Telefons unterbrach Christine.

Eine Frauenstimme forderte Christine zwar freundlich, aber bestimmt auf, sofort in die Personalabteilung zu kommen.

„Jetzt hat er es doch geschafft“, sagte Christine blass werdend, „ich soll in die Personalabteilung kommen.“

„Lass dich nicht entmutigen“, versuchte Renate ihr Mut zu machen, „du kannst mich auch als Zeugin anführen, schließlich habe ich mitbekommen, wie er dich die ganze Zeit bedrängt hat.“

Mit bangem Herzen machte sich Christine auf den Weg in die Personalabteilung. Sie wollte diese Arbeit nicht verlieren, sie hatte lange gebraucht, um sie zu finden und nun wollte sie sie auf jeden Fall behalten.

Und sie würde darum kämpfen, jawohl!

Mit neuem Mut und hoch erhobenen Hauptes betrat sie das Personalbüro. Nachdem sie ihren Namen genannt hatte, wurde sie zum Büro der Personalchefin geführt. Christines mühsam eingeredeter Mut schwand wieder dahin, die Chefin selbst wollte ihr also den Kopf waschen, ihr wahrscheinlich vorwerfen, dass sie sich zu freizügig anziehen würde, zu aufreizend sei. Christine ging ihre Erscheinung in Gedanken durch: dunkler Rock, eine einfache, fast hochgeschlossene weiße Bluse, kaum geschminkt und bequeme Laufschuhe.

Nein, aufreizend war das bestimmt nicht, schon eher etwas für eine ältliche Lehrerin!

Als sie das Büro betrat, begrüßte die Personalchefin, eine sehr elegant gekleidete Blondine, sie freundlich und deutete auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch.

Sie blätterte in Unterlagen, die Christine als ihre erkannte und sah dann Christine an.

„Frau Jäger, Sie haben sich eigentlich für einen Job bei unserer Auslandsabteilung beworben?“ fragte sie.

„Ja?“ Christine war vorsichtig.

„Sie haben dann aber einen anderen Job angenommen, Sie sind jetzt im Vorzimmer von Herrn Schubert“, die Personalchefin hob eine Augenbraue.

Aha, also doch! Gleich würde es Vorbehalte geben, ungerechtfertigte Vorwürfe.

„Ich brauchte Geld“, antwortete Christine wahrheitsgemäß, „ich konnte nicht länger warten.“

„Nun, dann kann ich Ihnen eine erfreuliche Mitteilung machen“, die Personalchefin begann zu lächeln, „dass nun eine Stelle in der Auslandsabteilung frei wäre.“

„Was?“ Christine war so damit beschäftigt gewesen, sich im Stillen Argumente gegen Herrn Schuberts Anschuldigungen zurecht zu legen, dass sie zuerst gar nicht mitbekam, was die Frau gesagt hatte.

„Sie könnten sofort in der Auslandsabteilung anfangen, außer, Sie wollen die Stelle nicht mehr.“

„Oh doch, sehr gerne!“ fast überhaspelte sich Christine und die Personalchefin lächelte, wurde dann aber wieder ernst.

„Die Sache hat allerdings einen Haken“, sie sah Christine forschend an, „vielmehr zwei.“

Oje, was kam jetzt? Vielleicht musste sie ein Stillschweigeabkommen unterzeichnen, dass sie nie ein Wort über die Sache mit Herrn Schubert sagte, oder dergleichen.

„Welche Haken?“ fragte sie vorsichtig.

„Sind Sie ungebunden?“ fragte die Personalchefin, ohne auf ihre Frage einzugehen.

„Ja?“ warum wollte sie das wissen?

„Und reisen Sie gerne?“

„Oh ja!“ das konnte Christine aus vollstem Herzen beantworten, sie war zwar noch nicht viel herumgekommen, aber sie hatte vor, sich die Welt anzusehen, sobald sie es sich leisten konnte.

„Wie gut ist Ihr Russisch?“

„Fließend in Wort und Schrift.“

Die Personalchefin nickte zufrieden, sie blätterte wieder in den Unterlagen.

„Ihr Englisch und Französisch ist für uns nicht weiter von Bedeutung, denn das kann jeder in der Auslandsabteilung“, erklärte sie, „aber Russisch haben wir noch nicht dabei und das wäre eine große Hilfe, denn wir haben nach Russland viele Geschäftsverbindungen und es ist sehr mühsam, immer einen Dolmetscher bemühen zu müssen.“

Sie sah Christine ernst an.

„Sie haben in Ihren Unterlagen erwähnt, dass Sie etwas Chinesisch können“, fuhr sie mit den Fragen fort.

So, hatte sie das? Christine war sich nicht sicher, ob sie das überhaupt reingeschrieben hatte, nur ihrem Retter gegenüber hatte sie es erwähnt, ob der vielleicht…

Christine konnte ihren Verdacht nicht weiter verfolgen, denn die Personalchefin sprach weiter.

„Wie gut ist Ihr Chinesisch?“

„Um etwas zu kaufen, nach dem Weg zu fragen, solch leichte Sachen, da reicht es“, antwortete Christine ehrlich, „für geschäftliche Besprechungen bestimmt nicht und schriftlich bin ich erst am Anfang.“

Christine hatte sich selbst mittels Onlinekursen beigebracht, was sie bis jetzt an Chinesisch beherrschte, denn einen dementsprechenden Kurs hatte sie sich bisher nicht leisten können.

„Würden Sie einen dementsprechenden Sprachkurs absolvieren?“ die Personalchefin hob wieder eine Augenbraue, „natürlich würde es die Firma bezahlen und Sie müssten auch Ihre Freizeit dafür nicht opfern.“

Sie könnte einen Kurs besuchen, der von der Firma noch dazu bezahlt werden würde?

„Ja, ich würde gerne Chinesisch weiter lernen“, antwortete Christine, hatte die Frau nicht von Haken gesprochen? Bis jetzt waren das aber eher Belohnungen, also was kam noch?

„Gut“, nickte die Personalchefin, „wenn Sie mit diesen Punkten einverstanden sind, dann wären wir uns einig und ich könnte Ihren Vertrag aufsetzen lassen, natürlich wird ihr Gehalt dementsprechend angepasst.“

„Das heißt?“ fragte Christine vorsichtig, wurden ihr vom Lohn die Kosten für den Kurs abgezogen?

„Das heißt, dass Sie ca. ein Drittel mehr Gehalt bekommen als jetzt“, antwortete ihr Gegenüber lächelnd, „wobei es nach erfolgreicher Abschlussprüfung ihres Kurses, noch einmal einen Aufschlag gibt und die Grenzen nach oben offen sind, je nachdem wie tüchtig Sie sind. Außerdem werden natürlich alle Spesen für anfallende Reisen von der Firma getragen.“

Christine wurde ganz schummrig von den ganzen Angeboten.

„Ich werde den Kurs bestimmt schaffen“, sie wusste nicht recht, was sie sonst antworten sollte.

„Davon bin ich überzeugt“, gab die Blondine lächelnd zur Antwort, „ihr bisheriger Lebenslauf lässt keinen anderen Schluss zu.“

Die Personalchefin stand auf und auch Christine erhob sich.

„Wenn es Ihnen recht ist, dann können Sie sofort in die Auslandsabteilung wechseln“, sagte sie zum Abschluss zu Christine, „ich werde Ihnen jemand vom Dienstpersonal schicken, damit er Ihre Sachen holt.“

„Das ist nicht nötig“, musste Christine nun lächeln, „ich habe nicht mehr als meine Handtasche und meine Jacke, die mit mir umziehen müssen.“

Die Personalchefin reichte ihr ihre Hand, zögerte dann etwas.

„Darf ich noch etwas anbringen?“ fragte sie und als Christine nickte, fuhr sie fort, „die Geschäftsführung legt Wert darauf, dass ihre Angestellten gut gekleidet sind“, sie ließ den Blick über Christine gleiten, „Sie müssten ihren Stil etwas ändern, überhaupt, wenn Sie für uns ins Ausland reisen, denn Sie werden dort schließlich unseren Konzern vertreten. Wenn Sie nicht über die nötigen Mittel verfügen, dementsprechende Kleidung zu kaufen, kann man das mit der Firma als Geschäftsspesen abrechnen.“

Das konnte Christine nicht auf sich sitzen lassen.

„Das ist nicht mein Kleidungsstil“, wehrte sie sich, „ich hielt es für notwendig, mich so zu kleiden, denn ich hatte mit meinem Vorgesetzten einige Probleme und wollte ihm keine Gelegenheit mehr…“

Die Personalchefin hob ihre Hand.

„Die Geschäftsführung weiß bereits davon und ich kann Ihnen versichern, dass Herr Schubert Ihnen nicht mehr zu nahe treten wird“, sagte sie ernst.

„Aber ich wollte nicht, dass er…“,

„Das ist edel von Ihnen gedacht“, wurde Christine unterbrochen, „aber so ein Verhalten wird in unserem Konzern nicht geduldet. Von Niemanden!“

Die Stimme der Personalchefin wurde wieder freundlich und sie lächelte.

„Ich wünsche Ihnen viel Glück für die Zukunft und eines kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung versichern, wenn Sie tüchtig sind, können Sie es sehr weit bis nach oben schaffen.“

Wie betäubt verließ Christine das Personalbüro. Sie war mit der Befürchtung hingegangen, ihren Job zu verlieren und nun hatte sie stattdessen ihren Traumjob bekommen!

„Wie ist es gelaufen?“ wurde sie von Renate empfangen, „hat er versucht, dich schlecht zu machen?“

Christine setzte sich nieder, bevor sie antwortete.

„Du wirst es nicht glauben“, sagte sie noch immer fassungslos, „ich bekomme den Job in der Auslandsabteilung!“

„Das ist toll!“ freute sich Renate ehrlich, „und was ist mit ihm?“ sie deutete mit dem Daumen in Richtung des Büros ihres Chefs.

„Das war irgendwie komisch“, Christine schüttelte den Kopf, „kein Wort über ihn, nur am Schluss, als die Personalchefin mich bat, in Zukunft eine etwas schickere Kleidung zu tragen und ich andeutete, dass es einen Grund hatte, warum ich so…, naja, altmodisch angezogen bin, meinte sie, dass die Geschäftsleitung bereits informiert sei und Herr Schubert keine Gefahr mehr für mich oder andere darstelle.“

„Dann verstehe ich, warum er vorhin mit so einem Gesicht durchgerauscht ist“, Renate deutete mit der Hand einen Bart vom Kinn bis zum Boden an, „er wütet jetzt in seinem Büro.“

Und wirklich, es waren aus dem Büro ihres Chefs Geräusche zu hören, als wüte eine Horde Elefanten durch den Raum.

„Wenn du nichts gesagt hast, dann muss es dein Retter gemeldet haben“, mutmaßte Renate.

„Ja, und das war nicht recht von ihm“, erwiderte Christine verärgert, „er hätte es mir überlassen sollen, ob ich Schubert anzeige oder nicht.“

„Ach was, so hat er es dir aus der Hand genommen und du brauchst nun kein schlechtes Gewissen zu haben“, zuckte Renate mit den Schultern, sie sah Christine neugierig an, „ist dir sein Name wieder eingefallen?“

„Nein, leider“, schüttelte Christine ihren Kopf, „aber ich dachte mir, wenn ich ihn dir beschreibe, dann kennst du ihn bestimmt.“

„Ich arbeite schon so lange hier, dass mir fast jedes Gesicht bekannt ist“, nickte Renate.

„Also, er ist…“, aber Christine wurde schon wieder unterbrochen.

Die Tür zum Büro von Herrn Schubert wurde aufgestoßen und der Genannte trat mit einem Karton voller Sachen aus dem Raum.

Als er Christine sah, lief sein bleiches Gesicht rot an. Er trat ganz nahe an sie heran.

„Das hätte ich mir denken können“, zischte er wütend, „wenn man ganz oben ins Bett kriechen kann, dann ist man auf meines natürlich nicht angewiesen, du Schlampe!“

Christine war entsetzt zurückgewichen und starrte dem davoneilenden Schubert nach.

„Was war denn das?“ fragte Renate ebenso entgeistert.

„Ich habe keine Ahnung“, stammelte Christine und es stimmte, sie hatte keinen blassen Schimmer, was ihr Chef, ihr ehemaliger Chef, gemeint hatte.

Renate machte ein nachdenkliches Gesicht.

„Vielleicht kennt Schubert den Mann, der dir geholfen hat“, überlegte sie, „und dieser steht wahrscheinlich in der Hierarchie dieses Konzerns über ihm und nun glaubt er, dass du…“

„Aber ich kenne den Mann doch überhaupt nicht!“ empörte sich Christine, sie griff sich an den Kopf, „wenn mir nur der Name einfallen würde…“, sie sah Renate erfreut an, „aber ich weiß seinen Vornamen noch!“

„Gut, dann können wir zumindest in der Liste der Angestellten alle raussuchen, die den gleichen Vornamen haben“, schlug Renate vor.

„Du willst die persönlichen Daten durchgehen?“ fragte Christine entgeistert.

„Ich habe eine Freundin in der Lohnverrechnungsabteilung“, zuckte Renate mit den Schultern, „ich will ja nur die Namen und sonst nichts“, sie grinste, „zumindest von denen, die nicht in Frage kommen.“

„Ich weiß nicht…“, Christine war unsicher, sie wollte einerseits nicht schnüffeln, aber andererseits hätte sie schon gerne gewusst, wer ihr Retter war und vor allem wollte sie ihm sagen, dass er ohne ihr Einverständnis nicht hätte handeln dürfen.

Bevor sie weiter überlegen konnte, wurden sie schon wieder gestört.

Ein Mann in einem Overall und einem Karton in der Hand betrat den Raum.

„Frau Jäger?“ fragte er und sah beide Frauen an.

„Ich bin Frau Jäger“, antwortete Christine.

„Ich soll Ihnen helfen, Ihre Sachen in die Auslandsabteilung zu bringen“, sagte der Mann freundlich.

„Aber ich habe nicht so viel, dass ich einen Träger brauche“, wehrte Christine ab.

„Gut“, zuckte der Mann mit den Achseln, „dann zeige ich Ihnen zumindest, wo Sie hinmüssen.“

Christine verabschiedete sich von Renate und nachdem sich beide Frauen ausgemacht hatten, in Verbindung zu bleiben, folgte Christine dem Mann. Es ging mit dem Lift einige Stockwerke höher, was Christine innerlich schmunzeln ließ, weiter oben in der Hierarchie schien hier auch räumlich zu stimmen. Ob sie wohl jemals das oberste Stockwerk erreichen würde?

Ihr Gedankengang wurde unterbrochen, als der Mann für sie eine Glastür öffnete. Dahinter war ein Gang, von dem einige Türen in eigene Büros führten. Wieder öffnete er eine Tür und trat zur Seite, damit Christine eintreten konnte. Nach einem freundlichen Nicken, wandte er sich um und verschwand in die Richtung, aus der sie gerade gekommen waren.

Ein freundlicher, heller Raum empfing Christine. Vier Schreibtische standen in der Mitte, getrennt von einer kreuzförmig angebrachten Trennwand, so dass jeder für sich, ungestört von den anderen, arbeiten konnte.

An den Wänden reihten sich Regale mit allerlei Büchern, Ordnern und dem üblichen Bürokram. Die leeren Plätze dazwischen quollen vor Bildern und Postkarten von Spanien, Portugal und Südamerika über. Auf einem kleinen Kühlschrank stand eine Kaffeemaschine mit vier Tassen und vor einem der zwei Fenster stand eine kleine Couch mit einem Kaffeetischchen.

Zwei Schreibtische waren besetzt, eine schwarzhaarige und eine blonde Frau sahen Christine erwartungsvoll an.

„Bist du unsere langersehnte Entlastung?“ fragte die blonde Frau auf Spanisch.

„Du nur Deutsch sprechen, Claudi“, beschwerte sich die andere junge Frau, dem Aussehen nach eine typisch Südamerikanerin, „wie ich sollen ordentlich Deutsch lernen, wenn du nicht sprichst?“

„Ich kann mit euch spanisch, englisch oder deutsch sprechen, ganz wie ihr wollt“, sagte Christine zu Begrüßung, „ich bin Christine Jäger.“

„Ich bin Claudia Reiter“, die blonde Frau stand auf und reichte Christine die Hand.

„Ich bin Maria Alves“, kam auch die Zweite hinzu, „ich kommen aus Brasilien.“

Die beiden wiesen Christine ihren Schreibtisch zu und erklärten ihr in kurzen Worten, was ihr Aufgabengebiet war.

„Aber bevor wir uns wieder auf die Arbeit stürzen, trinken wir noch eine Tasse Kaffee“, meinte Claudia und gleich darauf blubberte der Kaffee in die Tassen.

„Gibt es hier keine Kaffeeküche?“ wunderte sich Christine und deutete auf die Kaffeemaschine.

„Oh doch“, die beiden Frauen grinsten verschmitzt, „sogar eine ganz gemütliche, mit dem üblichen Kapselkaffee“, Claudia verdrehte die Augen, „aber unseren Kaffee bekommen wir direkt aus Brasilien geschickt.“

Sie legte einen Arm um Marias Schulter.

„Ja, Mama schickt mir immer“, erklärte diese, „ich mich beschwert, dass in Deutschland Kaffee nicht gut schmeckt.“

„Das ist natürlich ein Vorteil“, gab Christine zu, „aber dazu gleich eine Kaffeeecke?“

„Wir haben einen eher anstrengenden Job“, erklärte Claudia weiter, „und brauchen hin und wieder eine Pause. Eine Pause in Ruhe und ohne mit den Kollegen zu plauschen. Wenn sich eine von uns dahin zurückzieht“, sie deutete auf besagte Couch, „dann wissen die anderen, dass sie, oder auch er, nicht angesprochen werden möchte.“

„Das wird von der Geschäftsleitung geduldet?“ wunderte sich Christine.

„Nicht nur geduldet, sondern sogar noch gefördert. So eine Ruheecke gibt es hier in jedem Büro und die Anordnung kommt von ganz oben. Die Geschäftsleitung ist der Ansicht, besser mit voller Konzentration zu arbeiten und wenn nötig Pausen zu machen, als sich über den ganzen Tag hinzuschleppen“, Claudia verzog den Mund, „und unsere Tage können oft sehr lange werden.“

Nachdem sie noch ein wenig geplaudert hatten, kehrte jede an ihren Schreibtisch zurück und Christine richtete sich ein.

*****

Nach ein paar Tagen schien es ihr, als wäre sie schon seit Wochen hier. Nachdem Claudia von ihr erfahren hatte, dass Spanisch ihre zweite Muttersprache war, schob sie komplizierte Textübersetzungen, oder auch schwierige Anrufer gerne Christine zu.

Auch ihre Russischkenntnisse wurden öfters benötigt, zwar konnten viele der Anrufer englisch, waren aber sehr erfreut, in ihrer Muttersprache begrüßt zu werden und ihr fiel auch die gesamte Korrespondenz nach und von Russland zu, sie erfuhr so, dass sich da große Geschäfte anbahnten.

Und sie konnte sich jetzt auch wieder kleiden, wie es ihrem Stil entsprach, elegant, ohne auffällig zu wirken, auch mit dem Schminken hielt sie es so. Ihre Haare trug sie entweder offen, oder wenn es dem Anlass entsprechend war, kunstvoll aufgesteckt.

Nebenbei, oder besser gesagt, als Hauptaufgabe, besuchte sie allerdings den gewünschten Chinesisch Kurs. Sie hatte geglaubt, sie würde in irgendeinen Kurs an einer der vielen Sprachschulen geschickt, aber das war ein Irrtum. Sie bekam mehr oder weniger Privatunterricht zusammen mit drei Managern aus anderen Firmen, was den Unterricht zwar angenehmer, aber noch anstrengender machte, da es ein schleifen lassen nicht gab.

Alles zusammen war sie mit so viel Arbeit konfrontiert, dass sie bald alles andere um

sich vergaß, selbst mit Andrea hatte sie kaum noch Kontakt und die Sache mit ihrem ehemaligen Chef wurde in ihren Gedanken ganz nach hinten gedrängt.

3. Kapitel

Christine kam gerade von ihrem vormittäglichen Chinesisch Unterricht und eilte durch die Eingangshalle des Bürogebäudes, als ihr einige Männer entgegen kamen

Und mitten unter ihnen, in einer angeregten Unterhaltung vertieft, ihr Retter.

Die Männer nickten ihr höflich zu, was sie mit einem ebenso freundlichen Kopfnicken erwiderte. Ihr Retter sah auf und als er sie sah, zog ein erfreutes Lächeln über sein soeben noch ernstes Gesicht.

Plötzlich drehte er sich halb zu ihr und zeigte verstohlen auf sich selbst, eine dunkelrot gemusterte Krawatte hatte die graue verdrängt und auch der Anzug war kein fades Grau, sondern einem dunklen Taubenblau gewichen. Christine konnte nicht anders, sie hob einen Daumen zum Siegeszeichen hoch und erwiderte das Lächeln.

Dann verschwand die Gruppe nach draußen und Christine ging in die Kantine im Erdgeschoß, sie hatte es sich angewöhnt, nach dem anstrengenden Unterricht noch rasch ein paar Bissen zu essen, bevor sie sich in die Arbeit stürzte.

„Darf ich Sie wieder zu einem Kaffee einladen, Frau Jäger?“

Christine, die gedanklich noch ganz bei ihrem Sprachkurs gewesen war, sah erschrocken auf und geradewegs in graue Augen.

Sie deutete auf den leeren Stuhl an ihrem Tisch und nickte. Sie war verwirrt und beschämt gleichzeitig, denn sie hatte nach wie vor keinen blassen Schimmer mehr, wie er hieß und er begrüßte sie wie selbstverständlich mit ihrem Namen!

Er setzte sich und sah auf ihren Salat mit Hähnchenstreifen.

„Das ist doch hoffentlich nur Ihre Vorspeise?“ fragte er und deutete auf ihren Teller.

„Ich glaube, das hatten wir schon einmal“, erwiderte sie unwillig, sie aß ein paar Bissen, dann sah sie ihn wieder an.

„So ist es viel besser“, sagte sie lächelnd.

Nun sah ihr Gegenüber verwirrt aus.

„Ihr neues Outfit“, erklärte sie und machte eine Handbewegung in seine Richtung.

„Oh, danke, ich nehme gerne Vorschläge von schönen Frauen an“, die grauen Augen begannen zu glitzern, „Sie sehen übrigens auch viel hübscher als das letzte Mal aus.“

Das letzte Mal? Das ließ in Christine Unwillen hochsteigen.

„Sie hatten kein Recht, ohne mein Einverständnis zu handeln“, warf sie ihm an den Kopf und als er sie nur wieder erstaunt ansah, fuhr sie fort, „Sie haben meinen ehemaligen Chef ohne meine Einwilligung beim Betriebsrat gemeldet, oder wie sonst hätte die Geschäftsführung davon wissen können?“

„Ich vermutete zu Recht, dass Sie nichts unternehmen würden und hielt es für meine Pflicht, einzugreifen“, zuckte er mit den Schultern, „es gab schon länger Gerüchte. Sein Angriff gegen Sie gab nur den letzten Ausschlag zu handeln. Solche Leute haben in einer seriösen Firma nichts verloren.“

„Aber musste man ihn deshalb gleich entlassen?“ sorgte sich Christine, „in seinem Alter wird er kaum wieder eine dementsprechende Anstellung finden. Man hätte es auch bei einer Verwarnung lassen können.“

„Keine Angst, er ist mit einem Golden Handshake gegangen und befindet sich im sogenannten Vorruhestand“, die grauen Augen blitzten und über seinen Mund zog sich ein spöttisches Lächeln „er kann bis zu seinem hoffentlich noch in weiter Ferne befindlichen Ableben Rasen mähen, oder sonstigen Hobbys nachgehen, ohne hungern zu müssen.“

„Hoffentlich beschränken sich seine Hobbys aufs Rasenmähen“, setzte Christine ironisch hinzu.

„Auch das steht im Vertrag“, gab ihr Retter zu, „sollte mir…, ich meine, der Geschäftsführung, irgendetwas dergleichen zu Ohren kommen, muss er seine Abfindung zurückzahlen.“

„Woher wissen Sie das alles?“ misstrauisch zog Christine eine Augenbraue hoch.

„Naja, ich sitze einige Stockwerke über dieser Kantine und habe in so manche Geschäftspapiere Einsicht“, wieder glitzerten seine Augen, machte er sich lustig über sie?

„Gehören Sie zur Geschäftsleitung?“ war Christine nun neugierig, verdammt, noch immer fiel ihr sein Name nicht ein, sie konnte ihn doch nicht so direkt fragen, er musste ja glauben, sie hätte nicht mehr alle beisammen!

„Nicht so direkt“, wehrte er ab.

Christine fiel noch etwas ein.

„Hatten Sie bei meiner Versetzung in die Auslandsabteilung womöglich auch Ihre Finger im Spiel?“

„Ich habe nur gesagt, dass so eine hochgebildete Frau auf diesem Bürojob eine Ressourcenverschwendung sei und wir uns diese Verschwendung nicht leisten könnten“, zuckte er wieder mit den Schultern.

„Aha“, mehr fiel Christine als Antwort dazu nicht ein, sie war verwirrt, was für ein Spiel spielte er?

Dass er nicht zu der Masse der kleinen Büroangestellten gehörte, wurde ihr mit jedem Wort, dass er von sich gab, immer klarer, aber wo stand er in der Firma dann? Christine kam zu dem Schluss, dass er im niedrigen Management tätig sein musste, vielleicht auch in der Personalabteilung? Damit wäre auch erklärt, warum er sie das letzte Mal so ausgefragt hatte und ihr den neuen Posten verschaffen konnte.

„Und? Gefällt Ihnen Ihr neuer Arbeitsplatz?“ holte er sie aus ihren Gedanken.

„Ja, sehr gut, danke auch dafür“, sie kniff die Augen zusammen, „dann wissen Sie bestimmt auch, dass ich nun ganz intensiv Chinesisch lerne?“

„Die Personalchefin erwähnte so etwas“, erwiderte er beiläufig, er sah sie an, „was ist, darf ich Sie nun zu einem Kaffee einladen?“

Christine sah auf die Uhr.

„Das ist sehr nett, aber nein danke“, sie stand auf, „ich bin schon spät dran und auch wenn ich eigenartigerweise in dieser Firma so etwas wie Narrenfreiheit zu genießen scheine, will ich die Gutmütigkeit der Geschäftsführung doch nicht überstrapazieren und werde mich jetzt schleunigst an die Arbeit machen.“

Ein Gedanke blitzte in ihr auf.

„Aber wenn Sie wollen und noch Zeit haben, kann ich Sie auf einen Kaffee einladen“, sagte sie lächelnd, „und zwar auf den besten im ganzen Haus.“

„Sie machen mich neugierig“, auch er stand auf.