CityWolf I - Judith M. Brivulet - E-Book

CityWolf I E-Book

Judith M. Brivulet

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Beschreibung

Secretum Cela - Werwölfe, Menschen, Vampire Ein Geheimnis, das um jeden Preis geschützt werden muss. Eine Liebe, die auf eine harte Probe gestellt wird. Eine Entscheidung, die nicht nur ein Leben bedroht. Eine Welt, in der nichts so ist, wie es scheint. Rebecca, Studentin an der Universität Passau, lernt durch Zufall den attraktiven Automechaniker Jack kennen. Er tunt Trucks und versteht sich bestens auf coole Sprüche. Ganz anders ist Nick, der charmante Spross einer französischen Adelsfamilie. Rebecca ahnt nicht, dass beide Männer ein uraltes Geheimnis verbindet. Bald muss sie eine Entscheidung treffen, die nicht nur ihr Leben bedroht. Denn die Welt ist nicht so, wie sie scheint ... CityWolf I ist der Auftakt zur ersten Urban Fantasy Reihe aus Passau. Die Reihe besteht aus vier Bänden und ist abgeschlossen.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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1. Prolog
2. Autos
3. Universität
4. Wolfsschädelberg
5. Einladung
6. Good Bay
7. Domturm
8. Sternschnuppen
9. Heimfahrt
10. Wolves Cry
11. Universität
12. Party
13. Programmierung
14. Burgwies
15. Teufelsfelsen
16. Die schwarze Rose
17. Wiesenkirchen
18. Schlehdorn
19. Schattenmädchen
20. Software
21. Hormone
22. Mommy
23. Das Zarenpendel
24. Zurück
25. Früher
26. Die Neue Residenz
27. Der Heiler
28. Die Alpha von Europa
29. Geschichte
30. Training
31. Die Vertraute
32. Burgruine
33. Ausblick
34. Zum Schluss

 

 

 

 

 

CityWolf

Secretum Cela

 

 

Ein Roman von Judith M. Brivulet

 

 

Copyright © 2018 Judith M. Brivulet

www.brivulet.com

2. überarbeitete Auflage

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme, des Nachdrucks in Zeitungen und Zeitschriften, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung und Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- und Bildteile sowie der Übersetzung in andere Sprachen.

Alle in diesem Roman vorkommenden Personen, Schauplätze, Ereignisse und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder realen Ereignissen sind rein zufällig.

 

Korrektorat: Carolin Olivares

www.olivares-canas.com

 

Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss

www.juliane-schneeweiss.de

Grafiken © Depositphotos.com/joachimopelka, w20er, premiumdesign

Mann © Depositphotos.com/curaphotography

 

Impressum:

Impressumssservice:

Fa. bachinger software

Am Wimhof 20

94034 Passau

www.bachinger-software.de

1. Prolog

Passau, 29. Januar, Anno Domini 1259

Der Böhmerwind trieb Schneeschauer über das Land, heulte um die Wände der Burg und rüttelte an den wenigen Glasfenstern. Fröstelnd zog Fürstbischof Otto von Lonsdorf den hermelinbesetzten Umhang enger.

»Warum nur, Herr?«, flüsterte er. »Welche Kreaturen lässt du auf deiner Erde wandeln?« Die Perlen des Rosenkranzes glitten in stummem Rhythmus durch seine Finger.

Es dämmerte bereits, als ihn ein Klopfen an der Tür aus dem Gebet riss. Gottlob betrat nur der Schreiber den Raum.

»Euer Gnaden, hier ist die Nachricht an den König von Böhmen, wie Ihr es wünschtet.« Unterwürfig näherte sich der Mönch dem wuchtigen Schreibtisch und überreichte das Pergament.

Wortlos nahm Otto das Schreiben entgegen. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie der Diener sich verstohlen umsah. Natürlich wusste er, dass die Gerüchte über den Besuch der drei Fremden vor zwei Tagen nicht enden wollten. Also setzte er eine strenge Miene auf, während er die wenigen Zeilen las.

»Gut gemacht«, lobte er schließlich den Mönch und legte das Pergament vor sich auf den Tisch.

Eilfertig holte sein Diener Siegelwachs aus der Tasche seiner Kutte, entzündete eine Kerze am Kandelaber neben dem Schreibtisch, schmolz einen kleinen Klumpen roten Wachses und tropfte es auf das Pergament.

Versonnen blickte Otto auf das Wachs. Jetzt galt es zu entscheiden: Sollte er heute zum ersten Mal das neue Siegel benutzen oder sich weigern und einen zweiten Besuch der Fremden riskieren?

Das diskrete Hüsteln des Mönchs, der wohl befürchtete, das Wachs würde härten und er müsste das Schreiben erneut abfassen, brachte ihn zurück in die Wirklichkeit. Also straffte sich Fürstbischof Otto von Lonsdorf, zog den Ring vom Finger und drückte ihn in das Wachs.

»Mein Herr!«, rief der Mönch aus, als Otto den Ring zurückzog.

Er verstand die Überraschung seines Untergebenen, denn statt des gewohnten Siegels prangte jetzt feuerrot ein Wolf auf dem Pergament. Angriffslustig fletschte er das Maul, hatte die Krallen ausgefahren. Darunter stand:

 

Secretum cela!

Wahre das Geheimnis!

 

2. Autos

»Das ist kein Auto!« Geballtes männliches Selbstbewusstsein schlenderte näher, die Hände in zugegebenermaßen sehr gut sitzenden Hüftjeans. Das T-Shirt spannte um den Oberarm, als sich der Typ jetzt durch das kurze blonde Haar fuhr.

Hinter ihm traten zwei weitere Prachtexemplare der Gattung Mann aus der Werkstatt. Der eine wischte sich an einem dreckigen Tuch ab. Der andere schob den Mundschutz nach unten, während er die Sprühdose abstellte.

»Tamara sagt, dass du günstig Autos reparierst«, versuchte ich mein Glück ein zweites Mal.

»Sicher, Autos reparieren wir immer.« Er warf seinen Kumpels einen Blick zu. »Aber wir vergreifen uns nicht an Spielzeug.« Er kaute weiter Kaugummi, während sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen verzog.

Lebhaft sah ich den Tagesablauf dieser Typen vor mir. Den ganzen Tag schraubten sie an den Autos rum. So wie sie alle aussahen, gingen sie dann ins Fitnessstudio und überließen ihren Freundinnen die ganze Hausarbeit.

Mit Mühe gelang es mir, ruhig zu bleiben. »Das ist ein echter Mini Cooper. Der hat mich eine Stange Geld gekostet. Aber ich sehe schon, du kannst ein Auto nicht von einem Flugzeug unterscheiden. Also lass es, ciao.«

»Na, na.« Er kam näher, seine Kumpels ebenfalls, mir wurde mulmig zumute. Immerhin befand sich außer mir niemand auf dem Hof und die Kerle waren mindestens einen Kopf größer als ich.

»Was fehlt dem Kleinen denn?«, lenkte er großzügig ein, während er meinen Liebling umrundete.

»Er springt hart an und dann zieht er nicht richtig. Wahrscheinlich die Zündkerzen.« Mit Sachwissen anzugeben konnte nicht schaden.

»Die Zündkerzen – soso. Ist schon ein bisschen in die Jahre gekommen, aber sonst gut in Schuss.« Er fuhr über die bordeauxrote Lackierung, ein abschätzender Seitenblick traf mich. »Hast gut auf ihn aufgepasst.«

»Vielleicht ist es auch eine Sie.« Den Kommentar konnte ich mir nicht verkneifen.

»Die Kurven stimmen schon mal.« Der mit der Sprühdose kam näher.

»Also gut, lass ihn hier. Mal sehen, was ich machen kann. Du hast Tamara erwähnt. Bist du auch im Hüpfverein?«

Meine Freundin hatte mich gewarnt, dass Jack – so hieß der Mechaniker – nicht viel vom Tanzen hielt.

»Ja, ich arbeite bei Best Dancing«, erwiderte ich so ruhig wie möglich.

»Na schön! Ich komme dann und bringe dir den Kleinen. Wir wollen doch nicht, dass er nachts ohne Mutti Angst kriegt.«

Wütend drehte ich mich um und stapfte vom Gelände, vorbei an vier getunten Pick-ups oder wie diese riesigen Karren hießen. Das Gelächter der drei Mechaniker begleitete mich bis zur Straße.

Heute war einfach nicht mein Tag. Zur nächsten Bushaltestelle musste ich mindestens einen Kilometer laufen. Ich war sowieso schon spät dran und der Biomarkt, in dem ich manchmal arbeitete, befand sich am Ende der Stadt – am entgegengesetzten natürlich. Gut, dass Heinz, der Inhaber des Marktes, öfter ein Auge zudrückte.

 

Auch am Abend verfolgte mich das Pech. Der Bus fuhr mir vor der Nase davon, ich kam auch noch zu spät zur Probe. Und die Teamleiterin Kim war nicht so nachsichtig.

»Ah, Rebecca! Schön, dass du auch mal Zeit hast. In sechs Wochen ist der Presseball, die Choreo ist nicht fertig, uns fehlen die Männer und nichts funktioniert.«

In die Tanzschuhe schlüpfte ich im Laufen, die Haare streifte ich während des ersten Durchgangs hinters Ohr.

»Eins, zwei, turn left, fünf, sechs, Cha-Cha-Cha. Arme hoch, Damen vor, kein Flexfuß.«

Wer war das? Ein neuer Tänzer schwebte mit Miriam vorbei. Natürlich hatte sich diese intrigante Schlange wieder den attraktivsten Typen gekrallt. Sein Gesicht musste man einfach als schön bezeichnen. Helle Haut stand in krassem Gegensatz zu den schwarzen Haaren. Die Figur – perfekt für einen Tänzer, geschmeidig und doch athletisch.

Ohne erkennbare Anstrengung legte er sich mit Miriam in die Kurve. Jede Menge schmachtender Blicke folgten ihnen. Tja, die Welt war ungerecht. Aber ich sollte mich nicht beschweren. Tobi, mein Tanzpartner, gab sein Bestes.

Nach der Probe suchte ich Tamara. Sie saß neben Jack an der Bar. Mit großen Gesten erzählte sie etwas, beide lachten. Mist, wahrscheinlich machten sie sich über mein kleines Auto lustig!

Doch als ich näher kam, hörte ich, dass es um den neuen Tänzer ging, dem Miriam zweimal auf die Füße getreten war.

Jack sah hoch, als ich neben Tamara trat. »Jetzt fährt er wieder wie ein Großer.« Er warf mir die Schlüssel zu. »Aber sei vorsichtig. Der Kleine ist erwachsen geworden.« Ein fettes Grinsen, er steckte die fünfzig Euro ein und verschwand.

»Ihr habt euch wohl gut verstanden. So schnell ist er sonst nicht fertig.« Meine Freundin folgte dem Burschen mit sehnsüchtigem Blick.

Na, von mir aus konnte sie den Typen haben. Er passte so gar nicht in mein Beuteschema.

»Kannst du mich mitnehmen?«, fragte sie, nachdem das Sektglas leer war.

»Ja, kein Problem. Mein Auto fährt ja wieder.«

Wir verließen das Gebäude und überquerten den Vorplatz. Um diese Zeit parkten hier nicht mehr viele Autos. Mit der roten Lackierung sollte der Mini eigentlich nicht zu übersehen sein.

»Da!«

Ich folgte ihrem ausgestreckten Arm mit den Augen und stutzte. Das durfte doch nicht wahr sein! Während Tamara neben mir gluckste, stapfte ich wutentbrannt auf meinen armen kleinen Liebling zu.

»Sieht doch gar nicht schlecht aus«, versuchte sie mich zu beruhigen.

Doch das schaffte sie nicht. Ein Drache schlängelte sich um das Auto und richtete sich fauchend über der Kühlerhaube auf. Der mit der Sprühdose hatte wirklich ganze Arbeit geleistet.

»Mein Liebling, was haben sie mit dir gemacht?« Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen. »Na warte! Ich fahre morgen zu dem Mistkerl und dann kann er was erleben. Die sollen ihn wieder so herrichten, wie er war.«

Ich sperrte auf und – traute meinen Augen nicht.

»Verdammt!«, presste ich hervor. Anstelle des normalen Lenkers war ein kleinerer Sportwagenlenker eingebaut.

»Er hat sogar gesaugt. Alle Achtung!«

Ohne sie anzusehen, wusste ich, dass meine Freundin sich mächtig beherrschen musste, um nicht gleich loszulachen.

»Das werden die Typen büßen. Halten die sich für Autogötter?«

Sattes Motorenblubbern ließ mich aufsehen. Einer der Pick-ups fuhr – nein – glitt auf uns zu.

»Ah, ein Dodge Ram«, seufzte Tamara neben mir und ich fragte mich, woher sie so viel über Autos wusste.

»Jetzt bist du sprachlos, was?« Jack lehnte sich aus dem Fenster. Mit sichtlichem Stolz betrachtete er den verunstalteten Mini.

»Bist du bescheuert? Ich wollte nur, dass er anspringt, nicht, dass er aussieht wie ne aufgetakelte Nutte.«

Mein Protest rief lautstarkes Gelächter hervor. Also ging ich zum Gegenangriff über: »Was willst du überhaupt in der Stadt mit dieser Riesenkarre?« Ich deutete auf die Batterie von Lichtern, die am Dach angebracht war. »Bist du Großwildjäger?«

Einen Moment glitt sein Blick hinter mich, dann meinte er: »Du hast es erfasst, in der Stadt wimmelt es von wilden Tieren.«

Der Fahrer, der mit der Sprühdose, winkte Tamara zu und gab Gas.

»Was ist denn hier los?« Miriam stand plötzlich neben uns, Hand in Hand mit dem Neuen.

Sein Blick auf den Mini sprach Bände. »Fantasie haben sie ja, das muss man ihnen lassen.« Seine Stimme klang genauso, wie er aussah. Voll, aber nicht dröhnend; melodisch, sodass man ihm einen ganzen Abend lang einfach nur zuhören wollte.

»Wenn du Hilfe brauchst, sag´s mir. Ich kenne Leute, die das Tuning im Nullkommanix verschwinden lassen.« Grüne Augen glitten vom Auto zu mir.

»Ja, Nick kennt so viele Leute. Wichtige Leute, wisst ihr!« Miriam hing an seinen Lippen.

»Ähm, ja, nein, also danke. Aber ich regle das selbst«, stammelte ich. Das durfte doch nicht wahr sein. Jetzt stand ich genauso da wie Miriam und mein Gehirn fühlte sich an wie matschige Bananen.

Nur Tamara musterte Miriams Begleiter kühl. »Wir kriegen das schon alleine hin, wir sind ja große Mädchen. Einen schönen Abend noch, euch beiden.«

Ohne die Antwort abzuwarten, öffnete sie die Beifahrertür. Nanu, so schroff kannte ich sie gar nicht.

»Danke noch mal und bis morgen.« Wenigstens diesen Satz schaffte ich einigermaßen flüssig und setzte mich hinters Steuer.

Als ich den Zündschlüssel umdrehte, offenbarte sich uns die nächste Überraschung. Dröhnende Bässe, Gitarrensoli, eine kräftige Männerstimme tönte: Without You.

Der Teufel sollte diese blöden Mechaniker holen. Sie hatten auch noch das Radio repariert, eine CD von 3-Doors-Down eingelegt und maximale Lautstärke eingestellt. Mein Mini vibrierte.

Fluchend drehte ich leiser und bog auf die Hauptstraße ein. »Du kannst den Neuen wohl nicht leiden«, meinte ich nach einer Weile.

Tamara und ich kannten uns schon seit der Schulzeit. So richtig befreundet waren wir aber erst seit dem Abitur. Beide hatten wir danach ein Jahr Pause eingelegt und feststellen müssen, dass man vom Tanz allein nicht leben konnte. Jetzt studierten wir in Passau, sie Betriebswirtschaftslehre, ich Informatik.

»Nein, ich kann ihn nicht riechen.« Tamara zog ihre Stupsnase kraus, wir lachten.

Gemächlich fädelte ich mich in den Verkehr Richtung Innenstadt ein. Plötzlich jaulte hinter uns ein Motorrad auf. Mit irrsinniger Geschwindigkeit jagte es über die Kreuzung. Nach rechts, wieder nach links, durchgezogene Linie – egal, bei Rot über die Ampel. Überrascht erkannte ich Miriam in der Beifahrerin. Ihre blonden Haare wehten im Fahrtwind.

3. Universität

 

Neben den anstrengenden Proben standen außerdem die Prüfungen bevor. Und da ich das dritte Semester nur mit Ach und Krach bestanden hatte, war ich gut beraten, mein wohlgeformtes Hinterteil in die Bibliothek zu verfrachten und zu lernen. Tröstlich nur, dass ich nicht alleine mit diesem Problem war. Um mich herum herrschte konzentriertes Schweigen, nur ab und zu unterbrochen vom Rascheln umgeblätterter Seiten und vom Klimpern der Tastaturen.

»Das Drachenmädchen, so eine Überraschung.« Die Stimme riss mich aus den Tiefen der Stochastik. Um mich herum blickten die Studenten hoch, manche runzelten verärgert die Stirn.

»Pst, Ruhe!«

Bevor ich noch etwas sagen konnte, trat Nick hinter mich und schaute auf den Screen. Zwei seiner Freunde, die ihm auffallend ähnlichsahen, blieben gelangweilt neben meinem Tisch stehen.

»Hier – in der dritten Zeile ist der Fehler.« Ein langer, schlanker Finger mit gepflegtem Nagel tippte auf die Mitte des Bildschirms.

Verärgerte Blicke trafen uns, doch seine Freunde schirmten ihn ab.

»Pff! Bist du Experte für Java?«

»Ich bin im sechsten Semester.« Gönnerhaft zog er sich einen Stuhl heran, setzte sich rittlings darauf. Auf ein Kopfnicken gingen seine Kumpel weiter. »Da und da sind noch zwei Fehler, aber das war´s dann auch.«

Sein Aftershave stieg mir in die Nase, sofort kam mir der Orient in den Sinn. Ein Serail; der Duft nach Vanille, Mandelöl und frischer Zitrone. Meine Haut prickelte. Mein Mund wurde trocken, als er mit der rechten Hand durch sein volles schwarzes Haar fuhr.

»Gar nicht übel«, setzte er nach.

»Ein Brotkrumen für die Armen?« Nur mit Mühe brachte ich die paar Worte heraus.

Diese Augen ließen mich nicht los. Grün, genau, aber auch grau – und irgendwie ... War ich völlig verrückt geworden? Silber, ja, silbergrün traf es am besten.

»Nein, keine Brotkrumen. Für das vierte Semester arbeitest du richtig gut.« Er zog den Block zu sich, auf dem ich mir Notizen gemacht hatte.

»Woher weißt du, in welchem Semester ich bin?«

»Ich bin Assistent von Professor Wohlgemut, also kenne ich die Aufgaben. Gehen wir einen Kaffee trinken? So hart, wie du arbeitest, hast du dir sicher eine Pause verdient.«

Ein rasender rot-schwarzer Schatten, Miris Haare im Wind. Warum eigentlich nicht? Die Semesterarbeit konnte warten. Also klappte ich den Laptop zu und wir verließen die Bibliothek.

Um diese Zeit war in der Mensa noch nicht viel los. Wir ergatterten einen Tisch am Fenster, unter uns zog grün der Inn dahin. Es war ein wirklich schöner Frühlingstag.

»Also tanzen und studieren, hm?«

Um seinem neugierigen Blick auszuweichen, rührte ich in der Kaffeetasse.

»Na ja, ist wohl offensichtlich. Und du?« Jetzt musste ich doch hochsehen und bemerkte die kräftigen dunklen Augenbrauen, die sich auf meine Frage hin hoben.

»Hm, tanzen auf alle Fälle; studieren, weil sonst mein alter Herr irgendwann ausflippt.«

Sogar die Art, wie er die Tasse zum Mund führte, musste man als perfekt bezeichnen. Schon öffneten sich die vollen Lippen und schmiegten sich an den Tassenrand … Was dachte ich für ein Zeug? Für gewöhnlich war ich nicht so romantisch veranlagt, aber dieser Kerl weckte eine unbekannte Seite in mir.

»Kommst du aus Passau?«

Beinahe hätte ich mich verschluckt. Sah ich so provinziell aus?

»So war es am praktischsten.« Eilig hob ich die Tasse und verdrängte die Erinnerung an den Streit mit meinen Eltern. »Woher kommst du? Sicher nicht aus der bayerischen Provinz.« Jetzt gelang mir doch ein Grinsen.

Nick lehnte sich zurück, hob die Arme und verschränkte sie hinter dem Kopf. Himmel, er sah zum Anbeißen aus.

»Nein, meine Familie stammt aus Frankreich.« Er bemerkte wohl mein fragendes Gesicht. »Nick ist die Abkürzung für Nicolas de Grabeuil.«

Zwei Mädchen blickten beim Klang des imposanten ausländischen Namens hoch und tuschelten aufgeregt.

»Warum bist du nicht in Frankreich geblieben?«, fragte ich.

Ein Junge kam an den Tisch. Bleiches verschwitztes Gesicht, die Hände tief in den fleckigen, schleißigen Jeans versenkt. »Nick, entschuldige. Ich wollte dich fragen, also ich wollte ...«

»Was?« Nicks Gesicht machte eine interessante Wandlung durch. Eben noch sah er wie der sprichwörtliche Engel aus, jetzt zog eine Wolke auf. Er legte die Stirn in Falten, seine Mundwinkel zeigten nach unten.

»Ich muss dich in einer wichtigen Sache sprechen, also wirklich wichtig.« Der Junge kaute auf der Unterlippe. Ein widerlicher Geruch ging von ihm aus.

»Komm in einer halben Stunde wieder. Du siehst doch, dass die Mademoiselle und ich uns gerade unterhalten.« Ein spitzbübisches Lächeln erhellte Nicks finsteres Gesicht.

Doch der Student blieb hartnäckig. »Tut mir ja auch leid, ehrlich, nur dann hab ich Vorlesung und die steh ich ...«

»Ah, von mir aus.« Nick schob den Stuhl mit lautem Krachen zurück und zog den Jungen mit sich. Hinter seinem Rücken schnitt er eine Grimasse in meine Richtung und erklärte: »Bin gleich wieder da.«

Ich hörte noch, wie er sagte: »Hast du die Kohle? Noch mal schieß ich dir nichts vor.«

Puh, der Junge sah wirklich elend aus. Keine Ahnung, was er von Nick wollte. Jedenfalls hatte ich genügend Zeit, meinen Kaffee in Ruhe zu trinken. Doch im nächsten Moment tauchte Miriam auf.

Ihr Blick schweifte über die Studenten, sie bemerkte mich und kam zu mir. »Hast du Nick gesehen?«

Täuschte ich mich oder sah sie heute anders aus? Die blonden Haare schimmerten nicht so golden wie sonst. Ihre Finger strichen ruhelos über den Tisch.

»Wir haben Kaffee getrunken. Da kam so ein komischer Kerl. Nick will ihm helfen, glaube ich.« Insgeheim weidete ich mich an ihrem Zorn, ihr Hals wurde übergangslos rot wie Tomatensaft.

»Du hast mit Nick Kaffee getrunken?«, fragte sie laut. Um uns herum verstummten die Gespräche.

»Reg dich nicht auf, Miri. Aus Motorrädern und adligen Jungs mache ich mir nichts.« Dann erhob ich mich, schob den Stuhl leise zurück und ließ sie stehen.

 

Den Rest des Tages verbrachte ich brav in der Bibliothek oder absolvierte meine Vorlesungen. Abends nach dem Training erzählte ich Tamara alles. Ich dachte, sie würde mit mir über Miriam lachen. Stattdessen baute sie sich zornig vor mir auf.

»Lass die Finger von dem Typen, der ist gefährlich.« Im Rhythmus ihrer Worte stieß sie den Zeigefinger gegen meine Brust.

»Was hast du auf einmal? Damals in Ibiza waren ganz andere Kaliber hinter uns her. Warum regst du dich über den französischen Schnösel auf?«

»Es ist …, also es gibt …« Tamara stockte, bevor sie tief die Luft einsog, die Arme in die Seiten stemmte und wetterte: »Ich habe ein Gespür für so was und der macht nur Ärger. Glaub mir!«

»Ich fürchte mich eher vor Miriam, die bringt mich beim nächsten Mal bestimmt um«, versuchte ich die Wogen zu glätten.

Für einen Moment starrte mich Tamara an. Dann schüttelte sie die dichten braunen Haare und ging an die Bar.

4. Wolfsschädelberg

 

»Komm mit, allein macht´s keinen Spaß.« Tamara hockte im Schneidersitz auf meinem Bett und zog eine Schnute.

»Was soll ich auf einer Party mit diesen Autoschraubern?« Immer noch suchte ich den Fehler in der blöden Java-Aufgabe. Nächste Woche war Abgabetermin und ich hatte erst die Hälfte geschafft.

»Wo heute ausnahmsweise keine Tanzprobe ist!«, drängte Tamara. »Sie feiern außerhalb. Jack hat dort eine Hütte. Die sind alle okay, ich kenne sie schon lange. Wir grillen, trinken Bier. Wusstest du, dass sie ihre eigene Band haben?«

»Ja, Metallica«, konnte ich mir nicht verkneifen und klappte den Laptop zu. Heute würde ich den Bug sicher nicht mehr finden.

Treuherzig klimperte Tamara mit den dichten Wimpern: »Vielleicht musst du mich vor einem Fehler bewahren.«

»Pff, du bist ein großes Mädchen. Mama kann nicht immer auf dich aufpassen«, murrte ich und schenkte mir Wasser ein. »Ist Jack der Glückliche?«

»Jack?«, prustete sie los. »Nein, ich werde doch dir nicht in die Quere kommen.«

»Was?« Jetzt musste ich auch lachen und der Ärger über die noch nicht fertiggestellte Hausarbeit fiel von mir ab. »Nicht einmal, wenn er mit einem Arm voller Rosen vor mir knien würde.«

»Ach komm, so schlecht ist er auch wieder nicht.«

»Jeden Tag, wenn ich mein Auto ansehe, schwöre ich mir, dass ich ihn umbringe.«

»Na, dann musst du Phil ins Jenseits befördern.« Sie lehnte sich an die Wand, ihr Blick glitt in die Ferne.

Jetzt wusste ich, auf wen sie es heute Abend abgesehen hatte. »Der mit der Sprühdose? Na, von mir aus. Was feiern sie eigentlich?«

»Keine Ahnung. Aber Phil hat gesagt, dass wir nichts mitbringen müssen. Es ist kein Geburtstag oder so.«

Also zog ich mich um. Praktische Kleidung war angesagt, denn um diese Jahreszeit konnte es abends ziemlich frisch werden.

Mittlerweile hatte ich mich an den Sportlenker gewöhnt. Und wenn ich nicht so sauer über die Verunstaltung des Minis gewesen wäre, hätte ich zugegeben, dass der Motor noch nie so gut gearbeitet hatte. Deshalb schafften wir die Strecke in einer halben Stunde. Längst lag die Stadt hinter uns und hatte Platz gemacht für Felder, Wiesen, Hügel – eben den ersten Ausläufern des Bayerischen Waldes. Tamara kannte den Weg.

Jetzt deutete sie auf das Schild für die nächste Abzweigung: Wolfsschädelberg 5 km. »Da musst du raus.«

»Warst du schon öfter dort?«, fragte ich, während ich abbremste, um die Bundesstraße zu verlassen.

»Hm, was heißt öfter?« Sie starrte aus dem Fenster.

Eigentlich wollte ich weiterfragen, so ausweichend kannte ich sie gar nicht. Doch die Fahrbahn verengte sich, wurde kurviger und verlangte meine ganze Aufmerksamkeit.

Schon wenige Kilometer später zeigte Tamara auf einen Schotterweg, der in ein Wäldchen führte. »Hier geht´s ab.«

Ich bog ein und bat in Gedanken meinen Liebling um Verzeihung, weil ich das Schlagloch zu spät bemerkt hatte. Der Mini ächzte. Rasch passierten wir den Waldstreifen und ich beschloss spontan, Automechaniker zu werden.

Denn Hütte, wie Tamara gesagt hatte, traf es nicht einmal im Ansatz. Vor uns erhob sich eine zweigeschossige Lodge aus dunklem Holz. Sie war in den Wald hineingebaut – nein – sie war ein Teil des Waldes, trotz der weiß gestrichenen Wände. Sogar die rotbraunen Dachschindeln passten sich der Farbe der Blätter an. Tief herabgezogen schützte das Dach die Veranda, die sowohl im Erdgeschoss, als auch im ersten Stock das Gebäude umrundete. Raumhohe Glasfronten warfen das Licht der untergehenden Sonne zurück. Kräftige Holzsäulen trugen das Haus, zu dem eine breite Treppe hinaufführte.

Wir waren nicht die ersten Gäste. Trotzdem erregten wir Aufmerksamkeit, und zwar wieder einmal wegen dem Auto. Bei den Leuten hier handelte es sich wohl um eine Pick-up-Fantruppe. Jedenfalls parkten kreuz und quer mindestens zehn der wuchtigen Fahrzeuge und strahlten um die Wette. Wahrscheinlich gab es im Laufe des Abends noch einen Wettbewerb, wer das glänzendste Auto besaß. Oder besser: Es gab eine Showeinlage, in der halb nackte Girls die Autos putzten.

Aber nicht mit uns, dachte ich grimmig. Gerade wollte ich Tamara von der Vermutung bezüglich der Car-Wash-Aktion erzählen, als Phil sich aus der Menge schälte. Er sagte noch etwas zu den anderen Gästen, die sich angesichts meines verunstalteten Lieblings ein Grinsen verkniffen.

»Schön, dass ihr da seid.« Verlegen griff er nach Tamaras Hand. »Hey, Rebecca. Habt ihr Probleme gehabt, herzufinden?« Seine tiefblauen Augen hefteten sich auf mich.

»Warum? Ich dachte, ihr habt ein Navi eingebaut?« Das konnte ich mir nicht verkneifen.

»Wollte ich auch, aber es war einfach kein Platz mehr in dem Spielzeugauto.« Jack bog um die Ecke, im Arm einen Stapel Brennholz.

Er sah aus, als käme er direkt aus den Tiefen der kanadischen Wälder. Über dem grauen T-Shirt flatterte ein rot-schwarz gemustertes Flanellhemd, die Hose hatte schon bessere Tage gesehen. Trotzdem war sein knackiger Hintern gut zu erkennen. Das durfte doch nicht wahr sein. Jetzt betrachtete ich mir auch noch den Typen, der mein Auto so verschandelt hatte!

»Es wäre genug Platz gewesen, wenn du nicht die Soundmaschine eingebaut hättest, nur um die blöden 3-Doors-Down zu hören«, giftete ich zurück.

»Ja, die mag ich auch nicht besonders«, stimmte mir ein Mädchen zu, das an einer der Säulen lehnte.

Es waren tatsächlich junge Frauen anwesend. Doch wenn ich ehrlich sein sollte, sahen sie nicht so aus, als würden sie im nächsten Moment die Hüllen fallen lassen, um in Bikinis die Autos der Typen zu waschen.

Das Mädchen, das mir beigepflichtet hatte, trug normale Jeans, Cowboystiefel, Pulli und eine Daunenjacke. Auch war sie nur mäßig geschminkt. Die junge Frau neben ihr, mit halblangen brünetten Haaren, hielt eine Bierflasche in der Hand und meinte: »Ich finde das Tuning gar nicht schlecht. Aber die Flügel stimmen nicht, Phil.«

»Na, mach du das mal, Helen, in nur einem Tag!«, murrte dieser. »Und außerdem mussten wir Jack helfen, den Motor zu richten. Der Kolben lief nicht rund. Klappte alles nur, weil wir zu dritt dran gewerkelt haben.«

Zustimmendes Murmeln der männlichen Gäste ertönte.

Das Mädchen zuckte mit den Schultern und sagte: »Na gut. Wenn du wirklich nur einen Tag hattest, sag ich nichts mehr.« Dann drehte es sich um, holte ein Fläschchen aus dem Bierkasten und hielt es mir hin. »Übrigens, ich bin Helen, eigentlich Helena. Und du?«

Hellbraune Augen musterten mich, nicht unfreundlich, eher neugierig und abschätzend.

»Rebecca. Aber ein paar Leute sagen neuerdings Drachenmädchen zu mir.« Das hatte ich als Scherz geplant, der allerdings ziemlich schiefging, denn plötzlich erstarben um mich herum alle Gespräche.

»Ja, hab ich gehört.« Helen runzelte die Stirn. »Na, du kannst ja nichts dafür. Also Prost!«

Die Stimmung entspannte sich wieder. Noch bevor ich mich fragen konnte, was das bedeutete, stieß ich mit Helen an, dann mit Andrea, Sabrina, Tom, Ludwig ... Zwei Flaschen später fragte ich mich, wie ich all die Namen behalten sollte.

Tamara hockte mit Phil auf den Treppen, in ein Gespräch vertieft. So entspannt und glücklich hatte ich sie noch nie gesehen.

»Du tanzt also?« Helen trat neben mich, die unvermeidliche Flasche in der Hand. Doch es sah aus, als hätte sie keinen Schluck mehr getrunken.

»Ja, sie und Tamara. Mit Tutu!« Jack, der gerade ein großes Lagerfeuer entzündet hatte, schnappte sich eine Flasche und kam grinsend näher.

»Ich tanze Standard, nicht Ballett. Das ist mindestens so ein Unterschied wie zwischen deiner Rostkarre und einem Porsche.«

»Gut gekontert«, grinste Helen und prostete mir zu.

Tom rief nach ihr. Im nächsten Moment standen Jack und ich allein vor dem Feuer. Schweigen breitete sich aus, mein Hals wurde eng. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

»Hm, wenn du willst, bring am Montag den Kleinen und wir tunen ihn um«, brummte Jack plötzlich.

»Wer hat gesagt, dass es mir nicht gefällt?«, erwiderte ich und nahm hastig einen Schluck. Wie viel hatte ich eigentlich schon getrunken?

»Helen hat recht, die Flügel stimmen nicht.« Er rückte einen Schritt näher, mein Mund wurde trocken.

»Fliegen soll er sowieso nicht, oder? Außerdem fährt er so gut, den gebe ich so schnell nicht wieder in deine Hände.« Ich riskierte einen Blick.

Er lächelte übers ganze Gesicht und setzte die Flasche an, lässig, den linken Arm in die Seite gestemmt. Dann sah er zu mir und ich hätte geschworen, dass seine Augen golden glitzerten.

In diesem Augenblick entspann sich eine hitzige Diskussion am Grill. »Ich hab dir gleich gesagt, ich mag´s nicht, wenn es so verbrannt ist, Tom!«

Wieder war es Helen, die den Ton angab, diesmal eindeutig ernst.

»Ach komm, ist doch nur die eine Seite, Liebes. Ich habe einen Moment nicht aufgepasst. Ist doch nicht so schlimm, oder?«

»Du holst ein neues Stück und passt auf, verdammt!« Mit dem Handy in der Hand stapfte sie davon.

»Hast du Hunger?« Jack deutete auf den exorbitant großen Grill, auf dem nicht nur Fleisch, sondern auch Würstchen, Burger und Spieße vor sich hin brutzelten.

»Kommt drauf an. Leichen esse ich nicht.«

»Was ist los?« Er runzelte die Stirn.

»Ich esse kein Fleisch, ich bin Vegetarierin.«

»Soll das heißen, du isst nur Gemüse und so ein Zeug?«

Immer wieder die gleiche Reaktion, egal, wo ich war.

»Du hast es erfasst. Wenn es einen gegrillten Maiskolben gibt, gefüllte Auberginen oder Gemüsespieße, dann herzlich gern. Wenn du nur totes Fleisch hast, nein danke.« Ich lächelte ihn an.

»Sachen gibt´s!« Er schüttelte den Kopf. »Komm mit, ich muss nachsehen. Das könnte etwas schwierig werden.«

Wir stiegen die breite Holztreppe hoch. Als die wuchtige Eingangstür zufiel, erstarben Gespräche und Gelächter von draußen. Innen blieb ich erst mal stehen. Die Wohnung war so anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Auch hier überwog der rustikale Charakter. Weit herunterreichende Dachbalken, dazwischen weiße Wände. An einer Seite die breite Fensterfront, die den Blick auf den dunklen Wald freigab. Doch die Einrichtung war eindeutig modern. Das Highlight bildete eine hellblaue Edelstahlküche, die genauso glänzte wie die Pick-ups.

Auf einer riesigen Couch, die bestimmt nicht in mein Appartement gepasst hätte, lümmelten zwei picklige Teenies, beide mit Joystick bewaffnet. Über den Bildschirm bretterten Autos, die aussahen wie aus einem Endzeitfilm.

»Du packst das nie, Mike! Gib auf!«

»Ha, deine mickrige Karre schafft´s nicht mal in die Endrunde, Steve!«

»Kannst du nicht schneller? Meine Oma überholt dich auf dem Rad, Alter!«

»Ihr spielt euch noch die Birne weich«, tadelte Jack.

Mike und Steve sahen hoch, blinzelten, als wären sie in diesem Moment in unsere Welt gewechselt, und unterbrachen das Spiel.

»Müssen wir wirklich aufhören, Jack? Nur noch eine Runde, versprochen. Wir machen dann Schluss.«

»Von mir aus, Michael, noch eine Stunde. Sonst krieg ich wieder Ärger.«

Die Jungs strahlten glücklich und im nächsten Moment starteten zwei Monstercars mit kreischenden Motoren auf einer irren Strecke.

»Die Jugend von heute«, grinste Jack und ging um die Theke herum, die den Kochbereich vom Wohnzimmer trennte.

Regale bedeckten die Wände, voll mit Büchern und Modellautos. Alles war sauber und aufgeräumt. Mit einem Stich schlechtem Gewissen dachte ich an mein unordentliches Appartement, das hier sicher dreimal reingepasst hätte.

»Hm.« Er stand vor dem geöffneten Kühlschrank, der fast so groß war wie er selbst.

Die glänzende Edelstahltür warf den roten Schein seines Hemdes zurück. Schon von meinem Platz aus sah ich jede Menge rohe Steaks in Frischhaltedosen, ordentlich aufeinandergestapelt, und in der Tür vier oder fünf Flaschen mit einer roten Flüssigkeit, beschriftet und mit Datum versehen.

»Ist das selbst gemachter Tomatensaft.« Ich trat neben ihn.

»Ah, ja, also nein – es ist ein Experiment von Phil. Frag lieber nicht.« Hastig griff er nach einer Packung Würstchen.

Ich drehte mich weg, um ihn nicht in Verlegenheit zu bringen. Außerdem zog mich ein schmaler Schrank gegenüber an, gehalten in tiefem Braun, mit geschnitzten Jagdszenen. Seltsamen Szenen, nebenbei bemerkt. Viele große Hunde, Monstergestalten, riesige Vögel. Der obere Teil war verglast, vier Gewehre waren zu sehen. Zwar verstand ich nichts von Waffen, aber diese hier sahen aus, als würden sie regelmäßig benutzt.

»Käsewürstchen?« Er warf mir einen fragenden Blick zu. »Da ist wenigstens Käse drin.«

»Nein, tut mir leid.« Ich ging zu dem Regal, um mir die Bücher anzusehen.

Manche Einbände wiesen komische Zeichen auf, Pentagrammen nicht unähnlich. Auf einem Buchdeckel prangte ein Gesicht mit langen Zähnen. Anscheinend las jemand gerne Vampirromane. Und das in dieser Einöde, dachte ich, nein danke, das wäre nichts für mich.

Neben einem Regal hing ein seltsames Bild an der Wand. Die untergehende Sonne tauchte eine Schlacht in blutiges Rot. Mehrere Gestalten lagen bereits am Boden. Riesige Wölfe umzingelten ein Wesen, das halb Mensch, halb Fledermaus war.

»So, hier.« Er winkte mich zu sich. Stolz breitete er seinen Fund auf der blank polierten Edelstahlfläche der Arbeitsplatte aus: ein Glas Gewürzgurken, eingelegte Paprika und eine Dose Fischfilets.

»Gurken und Paprika nehme ich, den Fisch kannst du behalten.«

»Wie willst du davon satt werden?« Ein abschätzender Blick prüfte meine Figur.

Dann wurde er tatsächlich rot, drehte sich weg, um die Fischdose wieder in den Kühlschrank zu legen. Ich ging noch mal zum Regal.

»Mike, pass auf!« »Steven, gib Gas, jetzt!« Die Jungs beachteten uns gar nicht.

Mich zog eines der Bücher magisch an, es war dicker als die anderen. Der dunkelrote Einband sah uralt aus, vorne prangte ein Wolfsgesicht mit gefletschten Zähnen.

»Die sind nichts für kleine Mädchen.« Etwas verlegen zupfte Jack mich am Arm.

»Und du bist ein großer Junge?«, konnte ich mir nicht verkneifen. Trotzdem drehte ich mich weg.

»Jep«, grinste er. »Findest du das etwa nicht?«

Um ihm nicht antworten zu müssen, trat ich als Erste durch die Tür nach draußen. Tamara warf mir einen fragenden Blick zu, den ich ignorierte. Sollte sie mit Phil Spaß haben.

Als Helen erfuhr, dass ich Vegetarierin war, schickte sie den armen Tom los, um in allerletzter Sekunde, bevor der Supermarkt schloss, Gemüse einzukaufen. Was unter den Jungs anscheinend als besonders demütigend galt. Jedenfalls leisteten ihm zwei andere Gesellschaft. Was mir noch peinlicher war. Wie seltsam, dass sie Helen aufs Wort gehorchten.

Mein Eintreten für die Jungs ließ sie nicht gelten. »Sie hätten vorher fragen können. Soll er ruhig noch mal los und einkaufen, das schadet ihm nicht.«

Zu guter Letzt kamen sie mit so viel Gemüse zurück, dass Jack meinte, er müsste drei Hasen kaufen, die die nächsten Monate damit beschäftigt wären, alles aufzufuttern. Worauf Phil, Tom und er sich lebhaft darüber unterhielten, wie man Hasen am besten grillte.

Kopfschüttelnd halfen mir Helen, Andrea und Sabrina, Gemüse zu schnippeln. Gemeinsam machten wir eine große Schüssel Salat an und quatschten. Die Mädels glichen in keinster Weise Car-Wash-Girls, im Gegenteil. Jede hatte einen anstrengenden Beruf. Im Stillen bat ich sie um Verzeihung. Helen arbeitete in einer Bank, Andrea bei der Presse, Sabrina bei einer Versicherung. Und sie kannten sich aus in der Welt. Sie interessierten sich für das Sabbatical, das Tamara und ich uns geleistet hatten, bevor wir mit dem Studium begannen. Die Zeit verging wie im Flug.

Unter größtem Protest verzehrten dann auch Jack und Tom eine gegrillte Zucchini. Tom schwor Stein und Bein, dass ihm sofort schlecht geworden wäre, wenn er nicht die Flasche Pils auf ex ausgetrunken hätte.

Zwischenzeitlich wurde Holz nachgelegt, der Haufen brannte munter vor sich hin und verbreitete angenehme Wärme. Irgendjemand hatte eine Musikanlage angesteckt, die Bässe von Nickelback wummerten. Ohne es zu wollen, wippte ich im Takt mit.

»Hast du Lust zu tanzen?« Ein wenig unbeholfen stand Jack vor mir. Ich nickte und er stellte die Bierflasche auf die Brüstung.

Er hatte eine merkwürdige Art, sich zu bewegen. Als Tänzerin war ich gewohnt, auf den Partner einzugehen. Doch gerade kam es mir so vor, als würde sich Jack nach mir richten, trotz seines Machogehabes und der coolen Sprüche.

»Normalerweise führt der Herr«, lächelte ich.

Zu meinem Erstaunen wurde er rot, murmelte etwas und zog mich dann näher zu sich. Herber Duft fuhr mir in die Nase. Es war nicht direkt ein Aftershave, vielmehr sein persönlicher Geruch, ein Gemisch von Holz, Moos und frischem Apfel. Das nächste Lied war ruhiger. Without you von 3-Doors-Down.

Jack atmete tief durch. Ich wollte ihm schon sagen, dass er nicht mehr zu tanzen brauchte, wenn es so anstrengend für ihn war. Doch er verstärkte die Umarmung, ich spürte harte Brustmuskeln, sein Bart kitzelte mich.

Er schien nur einen Tanzschritt zu kennen: Wiegeschritt und Tipp nach hinten. Aber sobald ich den Dreh raushatte, funktionierte es ganz gut. Einmal stieg er mir auf die Zehen, was nicht so schlimm war, weil meine Dockers einiges abhielten. Man könnte sich fast an so einen riesigen Tanzpartner gewöhnen. Das Hemd war hochgerutscht und gab den Blick frei auf seinen Unterarm, der mit dichtem hellen Haar bedeckt war. Es sah richtig flauschig aus und ich ertappte mich dabei, mir vorzustellen, wie es wäre, darüber zu streichen.

Jetzt, mutig geworden, versuchte er sogar eine Drehung. Ich hatte alle Hände voll zu tun, sie mitzumachen und nicht über die großen Schuhe zu stolpern. Gott sei Dank stützte mich sein starker Arm.

»Dir fehlt nur noch das Tutu.« Tom, der dunkelhaarige Typ mit dem Lappen von gestern, stand feixend neben uns. Jack kam aus dem Takt, stieg mir auf den Fuß, ich schrie auf.

»Rebecca, sorry. Tom, du Blödmann, nimm das zurück!« Blitzschnell – noch nie hatte ich gesehen, wie jemand sich so schnell umdreht – stürzte sich Jack auf den Freund.

»Schluss! Seid ihr vollkommen verrückt geworden?« Helen stand mit in die Seite gestemmten Armen auf der Veranda, das Handy immer noch in der Hand. »Seid leise! Ich muss telefonieren.«

Wie auf Kommando hörten die beiden auf und wandten sich ab. Jack stand einen Moment unschlüssig da und starrte ins Feuer.

Also ging ich zu ihm. »Es ist alles okay. Ich bin´s gewohnt, dass man mir auf die Füße steigt. Mach dir nichts draus.«

»Dafür hast du einmal vegetarisch essen gut«, meinte er verlegen.

»Ich nehme dich beim Wort. Wusstest du, dass es in Passau ein vegetarisches Lokal gibt?« Ich nahm einen Schluck und genoss den ungläubigen Blick.

»Du meinst, ein Restaurant, in dem es kein Stück Fleisch, keine Wurst oder so was gibt?« Verständnisloses Starren.

»Genau. Dafür jede Menge leckere und vor allem gesunde Gemüsegerichte und Obstsachen.«

Ungläubig schüttelte er den Kopf und legte Holz nach. Als Nächstes fragte ich Andrea nach der Toilette. Tamara sah ich nirgends. Der Weg führte mich durch die Fliegentür hinein in die wunderbare Wohn-Essküche, vorbei an den zockenden Jungs. Helen saß auf dem hinteren Ende der karamellfarbenen Couch, ein Tablet auf den Beinen, und telefonierte immer noch.

»Ja, verkaufen, und zwar so schnell wie möglich. Es ist mir egal, was die Analysten sagen. Mein Wort zählt. Wie startet Hongkong? Gut, ich will in einer Viertelstunde ein Update haben. Verstanden? Und trödelt nicht herum.«

Sie sah zu mir und lächelte, während sie auf dem Tablet etwas eingab. Ich nickte ihr nur zu. Wie gesagt, mit Car-Wash hatte das nichts zu tun.

Als ich zurückkam, beendete sie das Gespräch. Dann griff sie nach dem Glas, das vor ihr stand. Der Inhalt ähnelte dem Zeug im Kühlschrank.

»Du musst noch arbeiten?«, fragte ich und setzte mich zu ihr. Die Couch war so unverschämt bequem, wie sie aussah.

»Ja, Arbeit und Vergnügen würde ich sagen.« Genüsslich nippte sie am Glas.

Weil ihr Handy läutete, sagte ich nichts mehr und stand auf.

»War schön, dich kennengelernt zu haben.« Sie nickte mir noch zu, bevor sie den Gesprächspartner auf Französisch begrüßte.

Auf der Veranda blieb ich stehen und genoss den Ausblick. Nebel hob sich über den dunklen Bäumen. Sterne funkelten am Himmel, ab und zu stoben Funken aus dem Scheiterhaufen und geisterten durch die Nacht. Immer noch gaben Rockmusiker ihr Bestes. In diesem Moment verließen Tamara und Phil Hand in Hand den Wald. Sie drückte sich noch einmal an ihn und küsste ihn leidenschaftlich. Phil sah völlig verzückt zu ihr hinunter, mir wurde warm ums Herz. Meine Freundin hatte wirklich Glück.

Als sie nun den Lichtkreis des Feuers betraten, gab es ein paar scherzhafte Bemerkungen. Tamara lachte, sah hoch und winkte mich zu sich.

»Danke für die Einladung.« Irgendwie befangen reichte ich Jack die Hand.

»Gern geschehen. Jeder wollte den Mini sehen«, feixte er. Doch in seinem Blick lag eine Wärme, die meinen Bauch kribbeln ließ. Das durfte doch nicht wahr sein! Ich war im Begriff, mich in einen Automechaniker zu vergucken?

 

Die Heimfahrt absolvierten wir schweigend. Tamara hatte einen entrückten Gesichtsausdruck, ich wollte sie in ihren Träumen nicht stören. Außerdem hatte ich selbst genug nachzudenken.

»Wie findest du ihn?« Wir waren fast schon wieder in Passau, als sie die Stille durchbrach.

»Phil ist wirklich nett, glaube ich.«

»Nein, ich meine Jack.« Sie stupste mich an.

»Pff, Jack, keine Ahnung. Ich denke, er mag keine Vegetarier. Noch nie im Leben habe ich so viel Fleisch in einem Kühlschrank gesehen.«

»Komm schon, wie war´s, als ihr getanzt habt?«

»Er kommt mir wie ein Bernhardiner vor, so groß und knuddelig.«

Tamara gluckste. »Lass ihn das bloß nicht hören. Er wäre ziemlich beleidigt.«

5. Einladung

 

»Schau mal, sieht der nicht gut aus?« »Den hab ich hier noch nie gesehen. Weißt du, was er studiert?«

Zwei Mädels im ersten Semester, die mir schon den ganzen Nachmittag auf die Nerven gegangen waren, tuschelten nicht besonders leise.

»Könnt ihr bitte ruhig sein? Manche wollen ihre Semesterarbeit fertigkriegen«, knurrte ich.

Eine der Studentinnen, knallrote Lippen, Make-up an der Grenze zur Maske, rümpfte nur die Nase und ließ den Vorraum der Bibliothek nicht aus den Augen. Auch ihre Freundin, genauso aufgetakelt, starrte hinauf, als könnte man das siebte Weltwunder in den grauen Räumen bestaunen.

Gottlob hatte ich vor ein paar Minuten gesichert, denn vor Schreck klatschte meine Hand auf die Tastatur. Jack lehnte gegen den Rahmen der zweiten Tür und grinste zu mir herunter. Hinter seinem Rücken, schlecht versteckt, hielt er eine langstielige rote Rose in der linken Hand. Er zeigte mit dem Kinn auf eine Studentin, die mindestens zwei Semester über mir war und jetzt auf mich zusteuerte.

»Er lässt fragen, wie lange du noch arbeiten willst. Ihr wärt zum Essen verabredet.« Sie schenkte ihm einen schmachtenden Augenaufschlag. Als sie wieder zu mir hersah, lag darin die unausgesprochene Frage, was ich an mir hatte, dass so ein toller Typ ausgerechnet mit mir ausgehen wollte.

Was dachte er sich eigentlich dabei, hier so einfach aufzukreuzen? Schon war ich versucht, abzusagen. Doch ein Blick in seine blauen Augen und ich wurde schwach. Ich war ja fleißig gewesen, also durfte ich jetzt feiern.

»Wenn du keine Zeit hast, also ich übernehme ihn gern.« Honigsüß lächelte mich die Aufgetakelte an.

»Keine Chance, stell dich hinten an.« Ich drehte mich um und stieg die Treppen hinauf, plötzlich fühlte ich mich leicht und beschwingt.

»Hey, ich wollte mein Versprechen halten. Hier – Schmerzensgeld.« Er hielt mir die dunkelrote Rose hin und ich hatte das Gefühl, dass alle Studenten zu uns herübersahen.

Als er mich nun am Arm fasste, packte ich die Gelegenheit beim Schopf, trat näher und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Kurz, ganz kurz, spürte ich, wie er sich versteifte, dann legte er die Hand auf meinen Rücken.

»Also los. Wo willst du hin?«, fragte ich und schlüpfte durch die Tür.

»Ich habe einen Tisch im Gänseblümchen reserviert.«

Mitten im Gang blieb ich stehen: »Meinst du den vegetarischen Laden?«

Schmunzelnd fuhr er sich durch die Haare. »Naja, beinahe wäre es schief gegangen. Die Tante am Telefon reagierte ziemlich sauer, als ich fragte, ob sie mir ein Steak braten, wenn ich eins mitbringe. Erst als ich Stein und Bein schwor, dass es ein Scherz war, hat sie sich dazu bequemt, den Tisch zu reservieren.«

Lachend hakte ich mich bei ihm unter und wir marschierten den Gang entlang. Meinen Laptop hatte er sich einfach umgehängt. Die schwere Tasche mit den Büchern baumelte an seiner linken Hand, als würde er eine Clutch tragen. Tja, es hatte Vorteile mit so einem Kerl unterwegs zu sein.

Plötzlich blieb er ruckartig stehen. Nick kam auf uns zu, mit Miriam an der Hand. Sie sah krank aus, war blass, die Haare hingen strähnig auf die Schultern.

»Jack North, sieh an. So weit weg von der Prärie. Pass auf, dass du dich nicht verirrst.« Wie Pfeile bohrten sich Nicks grüne Augen in die von Jack.

»Zieh Leine, Nicolas de Grabeuil«, knurrte mein Begleiter. Es klang tatsächlich wie das tiefe Grollen eines Kampfhundes. »Das hier geht dich nichts an.«

Die Rivalität zwischen ihnen war fast greifbar. Jeden Moment rechnete ich damit, dass sie sich aufeinanderstürzen würden.

»Rebecca, bist du sicher, dass du mit diesem stinkenden, ölverschmierten Mechaniker den Abend verbringen willst?« Nick zwinkerte mir zu, wobei sich die dichten Augenbrauen hoben.

»Du wolltest doch mit mir in die Mensa. Was soll das jetzt?«, zischte Miriam und zog ihn weiter.

Er ließ es geschehen. Aber auch noch nach zehn Schritten starrte er zu uns zurück. Erst als sie um die nächste Ecke gebogen waren, atmete Jack hörbar aus und sein Körper entspannte sich.

»Ihr seid ja beste Freunde«, sagte ich, als wir endlich weitergingen.

»Hm, nein. Gib mir einen Moment, das Arschloch zu vergessen, bitte.«

Also schwieg ich, bis wir das Gebäude verließen. Jack hatte einen Parkplatz direkt an der Straße gefunden. Immer wieder drehten sich Studenten um oder blieben stehen, um das Tuning zu bewundern. Der Truck glänzte eisblau in der Abendsonne. Die Kühlerhaube zierte eine fantastische Szene. An einen See, umgeben von schneebedeckten Bergen, stand ein Wolf, die Schnauze zum silbrigen Mond erhoben. Von der Seite näherte sich ihm ein elfenhaftes Wesen mit langen silbernen Haaren.

Staunend blieb ich stehen. Nie hätte ich gedacht, dass man mit Spray solche Bilder anfertigen konnte.

»Gefällt´s dir?« Der Stolz auf sein Kunstwerk war nicht zu überhören.

»Klar, so was Tolles habe ich wirklich noch nie gesehen. Der Wolf sieht total echt aus.« Ich deutete auf die Fahrertür, aus der ein Wolf in vollem Lauf sprang, die Ohren angelegt, die Zähne gefletscht. Eine Batterie Flutlichter am Dach vervollständigte das martialische Equipment.

»Na dann, bitte einsteigen.« Mit breitem Grinsen hielt er mir die Beifahrertür auf.

Obwohl ich noch nie in einem solchen Auto mitgefahren war, versuchte ich, so lässig wie möglich einzusteigen. Gefühlt der halbe Campus sah mir dabei zu.

Mit einem satten Klon rastete die Tür ein. Sichtlich stolz startete Jack den Motor, der blubbernd seine Arbeit aufnahm. Natürlich begleitete uns Rockmusik von einer mir unbekannten spanischen Band.

Ich sah an mir herunter und beschloss, dass ich in diesem Aufzug nicht in das Gänseblümchen wollte. Vor allem, da Jack sich in Schale geschmissen hatte. Unter dem halblangen cognacfarbenen Ledermantel blitzte ein taubenblaues Hemd hervor. Die dunkle Jeans, die wie eine zweite Haut saß, war sicher teuer gewesen. Cowboystiefel in der Farbe des Mantels vervollständigten sein Outfit.

»Hör mal, ich muss mich noch umziehen. Das geht ja gar nicht, dass du besser angezogen bist als ich.«

»Das Hemd gefällt dir?« Er richtete sich im Sitz auf. »Tom meinte, Frauen stehen auf die Farbe.«

»Tja, dann ist Tom ein Frauenflüsterer. Vielleicht sollte ich mich mit ihm treffen?« Mit der Hand zeigte ich nach links, auf den Weg zu meinem Appartement.

»Das ist nicht dein Ernst, oder? Hast du dir Tom genau angesehen? Er hat einen Bauch und sein Bart … Also, der sieht einfach nur bescheuert aus.« Jack fuhr sich wie zur Bestätigung durch seinen gepflegten Dreitagebart.

»Ist schon gut, du Frauenheld. Erst mal musst du mit mir essen gehen, das wird bestimmt lustig.« Ich zeigte auf das gelb gestrichene Hochhaus. »Dort vorne, Nummer fünf, da wohne ich.«

 

Bevor ich die Tür aufschloss, warnte ich ihn: »Ah, noch etwas, ich war nicht auf Herrenbesuch eingestellt.«

Ohne sichtbare Anstrengung war er mit meinen Sachen in den dritten Stock gelaufen, trainiert war er ja.

»Ja, sehe ich, wenigstens hast du nichts von Aufräumen gesagt«, grinste er und besah sich die CD-Sammlung.

»Bin gleich fertig«, schwindelte ich und verschwand in dem winzigen Bad. Mit Jack wirkte der Wohnraum noch kleiner.

Ich war beim Eyeliner, als ich Stimmen hörte.

»Phil, schalt den Fernseher ein. Ja, Sportkanal, sag ich doch. Die pimpen einen Chevy, mit Soundmaschine und allem.«

Der Prachtkerl saß breitbeinig auf der Couch, die aussah, als würde sie unter seinem Gewicht jeden Moment zusammenbrechen. Meine Sachen hatte er einfach beiseitegeschoben und starrte in den kleinen Fernseher. Dort lief ein Programm, das ich noch nie angesehen hatte. Vier tätowierte Typen werkelten an einem Pick-up herum. Dazwischen durften ab und zu junge Frauen, deren T-Shirts keine Wünsche offenließen, etwas in das Mikrofon hauchen.

»Ja, nimm´s auf, die Idee ist klasse. Ich muss jetzt Schluss machen. Ha, ha sehr lustig.« Er runzelte für einen Moment die Stirn, unterbrach die Verbindung und strahlte mich an.

Mein Outfit schien ihm zu gefallen. Kein Wunder, ein kurzer, glockiger, schwarzer Rock; dunkle Strümpfe und ein schwarzes, glitzerndes Oberteil sind immer eine gute Wahl. Den Pagenschnitt in Form zu föhnen, war nicht schwierig. Der Festiger betonte die rötliche Färbung, die meine braunen Haare aufwiesen. Große silberne Creolen passten gut zu der langen silbernen Kette.

»Voilà, fertig!« Ich kramte hochhakige rote Pumps hervor und warf mir die Lederjacke über. Ja, jetzt fühlte ich mich wohler.

»Du siehst klasse aus!« Hatte ich schon seine blauen Augen erwähnt? Blau wie das Meer, wenn es in der Sonne glitzert. Der Abend konnte beginnen.

6. Good Bay

 

»Du isst das die ganze Zeit?« Verzweifelt stocherte Jack in der Ratatouille herum.

Die Gabel nahm sich in seinen Händen wie ein Spielzeug aus. Er seufzte, setzte das Glas an und fuhr zusammen, als die Flüssigkeit seinen Mund erreichte.

»Root Beer, Scheiße!« Tief holte er Luft. »Tschuldige, aber das ist eine harte Strafe für mich.«

»Ich wusste, dass es Spaß machen würde.« Vergnügt verputzte ich die überbackenen Auberginen. »Aber wenn ich ehrlich sein soll, so heftig bist du mir gar nicht auf die Füße getreten. Also wenn es hier wirklich so schlimm für dich ist, kannst du ja noch ein Lokal für später aussuchen.«

Jetzt kam Leben in den großen Kerl. Die ganze Zeit hatte er wie ein verängstigter Rottweiler auf dem knarrenden Rattanstuhl gesessen. Wahrscheinlich befürchtete er ständig, dass der Stuhl unter ihm zusammenbrechen würde.

»Ja, was machst du so abends?« Mutig schob er sich eine Gabel voll Reis mit Zucchini in den Mund und kaute vorsichtig.

»Du meinst, wenn ich keine Tanzprobe habe, nicht lernen muss oder einen Fleischfresser zum Vegetarier mache?«

»So ungefähr.« Er lehnte sich zurück und schob den halb vollen Teller von sich. Ein klares Statement.

»Die ersten Semester war ich nicht sehr fleißig. Also muss ich wirklich powern, um die Zwischenprüfung zu schaffen. Außerdem bin ich nach dem Training meistens fix und alle«, gab ich zurück.

»Soll heißen, dass du nicht viel aus warst in letzter Zeit?« Gönnerhaft verschränkte er die Arme vor der Brust, wobei der taubenblaue Stoff des Hemdes verdächtig über dem Oberarm spannte.

»Nein, meistens bleiben wir noch ein Weilchen an der Bar in der Tanzschule.«

»Wie wäre es heute Abend mit dem Good Bay?«, schlug er vor.

»Von mir aus. Bekommt man dort ein richtiges Bier?« Das konnte ich mir nicht verkneifen.

»Du hast es erfasst. Richtiges Bier für richtige Männer«, bekräftigte er. Ja, kein Zweifel, allmählich bekam er wieder Oberwasser.

Die Altstadt von Passau liegt eingezwängt zwischen Donau und Inn. Mittelalterliche Gassen, Kopfsteinpflaster, Durchfahrverbot für Autos ab 22.00 Uhr. Keine Chance, so ein kleines Auto wie den Dodge Ram irgendwo zu parken. Also blieb auch dem Gaspedal-Freak nichts anderes übrig, als von der Fußgängerzone bis in die Altstadt zu Fuß zu gehen.

Es war kühl geworden, Wolken zogen auf, ein frischer Wind pfiff um die Häuserecken. Ich war froh über die Lederjacke. Jack hingegen schien die Kälte zu genießen. Die Schöße des Ledermantels flatterten im Wind. Ich bildete mir ein, dass Jack sogar ab und zu die Nase in den Wind streckte.

»Ah, frische Luft. Da drin hatte ich Angst, zu ersticken. Die Gewürze in dem Essen habe ich noch nie gerochen.«

»Tja, sie verwenden viele türkische und orientalische Sachen. Kann schon sein, dass man die für totes Fleisch nicht hernimmt«, erwiderte ich etwas atemlos, denn es war nicht ganz einfach, mit ihm mitzuhalten. Mein Begleiter beherrschte mit weit ausgreifenden Schritten die nächtliche Straße.

Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen, sein Kopf rutschte in den Nacken, er musterte die Dächer. Vor uns erhob sich die beeindruckende Silhouette des Domes in den Himmel, hell angestrahlt. Daran schloss sich die Häuserflucht des Domkapitels.

Jetzt glaubte auch ich, einen Schatten zu sehen, der vor den Kaminen am Rand über das Dach lief. Aber der Eindruck konnte auch durch die schnell vorbeiziehenden Wolken entstehen. Jetzt befreite sich der Halbmond und es wurde wieder hell. Nirgends war eine Menschenseele zu entdecken.

Immer noch stand Jack wie eine Statue, hatte sich keinen Millimeter bewegt. Der Wind frischte auf. Schon glaubte ich, ein fernes Donnern zu hören. Oder kam es gar von meinem Begleiter?

»Was ist los?« Ich zupfte an seinem Mantel.

Erst jetzt kehrte er in die Realität zurück, schüttelte den Kopf, murmelte etwas, was ich nicht verstand, und bemühte sich dann, ein Lächeln zu produzieren.

»Entschuldige. Als Junge war ich öfter auf den Dächern unterwegs. Du weißt schon – Mutproben und so. Und irgendwie ...« Er hob die Arme und sah wirklich wie ein Junge aus, der etwas angestellt hat. »… musste ich grad wieder daran denken.«

Sacht fasste er mich am Arm und zog mich weiter. Da, an der Vorderseite des Domes! Ich zeigte mit dem Finger auf eine große Figur. War das ein Mensch oder ein Vogel?

»Komm, da vorne ist es schon.« Ohne die Brüstung aus den Augen zu lassen, zog mich Jack die Pfaffengasse hinunter.

Aus einem Haus dröhnte Rockmusik, über der Tür blinkte ein Schild: Good Bay. Er stieß die Tür auf. Die Musik wummerte so laut, dass die Bässe in meinem Bauch vibrierten.

»Das gibt´s doch nicht, Scheiße noch mal.«

Ich folgte Jacks Blick. Am Tresen saß ein Typ, vor dem ich mich gefürchtet hätte, wenn ich ihm abends alleine begegnet wäre. Er war sicher zehn Zentimeter größer als Jack. Lange, kräftige Beine steckten in löchrigen Röhrenjeans; ein ausgewaschenes graues T-Shirt zeigte Doc Holliday. Der linke Arm war vollständig tätowiert, die rechte Hand zierten Runen an jedem Finger. Dichtes dunkelblondes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Auf dem Barhocker neben ihm lag ein Ledermantel, ähnlich dem von Jack. Bei unserem Eintreten sah er hoch und grinste Jack an.

»Komm!« Mein Begleiter führte mich in den Raum, ohne den Kerl weiter zu beachten.

Der Geruch von Bier und fettigen Pommes begrüßte uns – und Rockmusik. Außer dem Tresen beherrschten zwei Billardtische den Raum, alte amerikanische Schilder bedeckten die braunen Wände.

»Jack, schön dich zu sehen.« Aus dem Nichts wirbelte eine schwarzhaarige Schönheit heran. Noch bevor er irgendetwas erwidern konnte, hatte sie ihn umarmt und drückte ihn an sich. Warum zog sich mein Herz zusammen?

»Cat.« Jack schloss sie ebenfalls in die Arme und ich fragte mich, wie es sich wohl anfühlte, von ihm umarmt zu werden.

»Wer ist deine Begleitung?« Sie schob ihn von sich und hielt mir lächelnd die Hand hin. »Ich bin Cathleen, hey.«

Sie hatte einen festen Händedruck. Auch sie stand auf Piercings. Zwei zierten die sorgfältig gezupften Augenbrauen, eines glitzerte in der Nase. Sie trug eine ausgebleichte Jeans, martialisch aussehende schwarze Schuhe und ein weit ausgeschnittenes T-Shirt mit glitzerndem Stern. Die Haare reichten bis weit über die Schultern und bildeten einen interessanten Kontrast zu den blauen Augen. Das gleiche helle Blau wie bei Jack – und jetzt wusste ich es.

»Hallo, ich bin Rebecca. Sie sind Jacks Schwester?«

»Ja, nicht zu leugnen, oder?« Sie lächelte, die Piercings an Unterlippe und Augenbraue kamen in Bewegung.

»Jack, ich muss mit dir sprechen.« Der Hüne vom Tresen drängte Cathleen zur Seite. Ein abschätziger eisblauer Blick traf mich. »Dein Häschen hüpft schon mal unter die Dusche, dann geht´s hernach schneller.«

Mir blieb die Spucke weg. Was dachte sich dieser Idiot?

Bevor ich etwas sagen konnte, knurrte Jack: »Reiß dich zusammen, Joe.

---ENDE DER LESEPROBE---