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Band IV der epischen High Fantasy Saga Mit der Vertreibung der Arsuri aus Gwyneddion haben Esmanté, Loglard und ihre Gefährten lediglich eine Schlacht gewonnen. Während die Gwydd ihr Land wiederaufbauen, organisieren die Marder in Cérnowia den Widerstand. Da erreicht Loglard und Esmanté eine Einladung von König Chulann zu einem geheimen Treffen. Handelt es sich um eine Falle der Arsuri? Eines steht außer Zweifel. Aonghas, der Hochmeister des Ordens der Creydillad, befindet sich auf dem Gipfel seiner Macht. Mit dem Mut der Verzweiflung schmieden die Gefährten einen waghalsigen Plan und rüsten sich zum Kampf Davids gegen Goliath. »Gebt euer Bestes! Nicht weniger verlange ich von euch. Ihr wisst, wofür ihr kämpft. Für Scathach! Für euer Land und die, die ihr liebt! Für die Freiheit!« (Aus der Rede von Esmanté d’Elestre an ihre Krieger) Tiranorg – Schwertmacht ist der fulminante Abschluss der Tiranorg-Saga. »Tiranorg, Schwertmacht« ist der vierte und letzte Band der abgeschlossenen High Fantasy Saga um die Zukunft der Elfenvölker in Tiranorg. Bisher erschienen: Band I Tiranorg, Schwertliebe - Band II Tiranorg, Schwertmagie - Band III Tiranorg, Schwertverrat - Band IV Tiranorg, Schwertmacht
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Tiranorg
Schwertmacht
Ein Roman von Judith M. Brivulet
Atav feal!
Der Schwur des Lebens
© 2021 Judith M. Brivulet
www.brivulet.com
1. Auflage
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme, des Nachdrucks in Zeitungen und Zeitschriften, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung und Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- und Bildteile sowie der Übersetzung in andere Sprachen.
Alle in diesem Roman vorkommenden Personen, Schauplätze, Ereignisse und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder realen Ereignissen sind rein zufällig.
Lektorat: Carolin Olivares
www.olivares-canas.com
Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss, www.juliane-schneeweiss.de
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Impressum:
Impressumssservice:
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Am Wimhof 20
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Für Christoph, die Liebe meines Lebens,
ohne ihn wäre die Geschichte nie entstanden.
Für meine drei Töchter,
die immer an mich glaubten.
Für meine Eltern,
die mich lehrten nie aufzugeben.
Inhaltsverzeichnis
1. Prolog
2. Ein letztes Geschenk
3. Ungeziefer überall
4. Ein interessanter Abend
5. Probleme und Lösungen
6. Neue Posten
7. Zu Ehren Lirs
8. Überraschende Nachricht
9. Neue Verbindungen
10. Verbrannte Erde
11. Zu Ehren Creydillads
12. Neue Drohungen
13. Ein starker Zauber
14. Ein aufregendes Abenteuer
15. Alte Verbündete
16. Glückliche Heimkehr
17. Ein starkes Opfer
18. Die Marder
19. Ein strenger Blick
20. Die einzige Chance
21. Im Dunklen
22. Neue Verbündete
23. Tränen in den Augen
24. Eine unlösbare Bindung
25. Der Tag des Entsetzens
26. Wie ein Storch
27. Die schrecklichsten Bilder
28. Neue Botschaften
29. Versteckter Hinweis
30. Harmlose Dinge
31. Gewissheiten
32. Eine gute Reise
33. Neue Hoffnung
34. Unter Kontrolle
35. Enge Bindungen
36. Ein gutes Angebot
37. Einsame Nächte
38. Militärische Disziplin
39. Wie ein normales Heer
40. Gekränkter Stolz
41. Die Brombeerlichtung
42. Eine Frage der Übung
43. Ein Häufchen Elend
44. Wie feiner Nebel
45. Eiskaltes Wasser
46. Raue Gesellen
47. Kein Erbarmen
48. Taktisches Geschick
49. Ausgeruht
50. Unser Land
51. Die Opfer ehren
52. Heilung
53. Epilog
54. Zum Schluss
»Ich hoffe, es ist wichtig.« König Dvalin gab seinen Zwergen-Wachen zu verstehen, dass sie zurückbleiben und die Tür schließen sollten. Wütend funkelte er Xart an, der gegen einen Tisch gelehnt in seinem Studierzimmer auf ihn wartete.
»Vergesst nicht! Der Hausarrest, der verhängt wurde, kann jederzeit verlängert werden. Mit Jangdril seid Ihr zu weit gegangen.«
»Jaja, das sind alte Geschichten, Mylord.« Der Magier winkte ab. »Bitte, seht her!« Er wies auf den Tisch.
Unter einem Tuch war eine große, offensichtlich runde Gerätschaft verborgen. Mit einer übertriebenen Geste zog Xart den Stoff weg. Dvalin ächzte. War das möglich? Er traute seinen Augen nicht. In dem kreisrunden, durchsichtigen Behältnis schwebten drei golden schimmernde achteckige Edelsteine. In jedem von ihnen drehte sich ein blutroter Faden träge gegen den Uhrzeigersinn.
»Ist das wirklich ...?«, stammelte der König und zeigte mit zittriger Hand auf das Behältnis.
»Ja, genau – die Lebensenergie der Schwertmeisterin.« Xart gab ein zufriedenes Grunzen von sich. »Agrouaz hat genau das getan, was sie sollte. Einige Zeit empfing ich keine Botschaften, Agrouaz schien zu schlafen. Für einen winzigen Moment zweifelte ich.« Der Magier schüttelte den Kopf. »Dabei war die gute Meisterin nur auf der Hut und nutzte ihr Schwert nicht. Vielleicht wurde sie auch gewarnt. Wer weiß ...?« Den letzten Satz ließ er im Raum verklingen.
»Etwa von Meister Ginarr?« Dvalin fuhr hoch.
»Das ist völlig unmöglich. Ich belegte sowohl den Schmied als auch die Elfe mit einem Schlafzauber. Nein, der wackere Eisenflüsterer denkt immer noch, er hätte das Schwert repariert.« Xart hielt sich die geballte Hand vor den Mund und kicherte.
Dvalin war sich nach wie vor nicht sicher, ob im Kopf seines Gegenübers noch alles seine Ordnung hatte. Wie auch immer, Xarts irrsinniger Plan war tatsächlich aufgegangen.
»Es muss ein mörderischer Kampf gewesen sein.« In sich versunken betrachtete der Magier das Glas. »So viel Kraft schon beim ersten Einsatz hätte ich nicht erwartet.«
»Wo ist der Dämon jetzt?« Etwas unbehaglich sah sich Dvalin in dem Zimmer um.
Gelinde gesagt herrschte Chaos. Der Schreibtisch an der Längsseite des Raumes quoll über vor Folianten, verschiedenen Schreibfedern, leeren Tintenfässern und Glasröhrchen. Eine zerwühlte Bettstatt roch unangenehm. Kleidungsstücke stapelten sich auf einer Kommode.
Jetzt erwachte Xart aus seiner Starre und eilte in die einzige Ecke des Zimmers, die leer war. Er stampfte mit dem Fuß auf und rezitierte einige Worte. Nur einen Wimpernschlag später erglühte neben ihm auf dem Boden ein Pentagramm. Eine grellorange leuchtende magische Hülle umschloss das Innere und strahlte bis zur Decke. Dunst füllte das Pentagramm. Grüne Augen leuchteten durch den Nebel. Erschrocken wich Dvalin zurück.
»Stets zu Diensten, Mylord«, schnurrte die Katze.
Der Dunst legte sich und das Monster offenbarte sich in all seiner Herrlichkeit. Der Dämon war doppelt so groß und schwer wie eine Bergkatze. Reißzähne stülpten sich über die Lippen, Stacheln schmückten den Rücken. Der unruhig hin und her pendelnde Schweif endete in einer scharfen Spitze.
»Loglard ist nicht dumm. Irgendwann durchschaut er, was hinter Agrouaz steckt«, gab Dvalin zu bedenken.
»Vielleicht. Aber wie die Zeiten nun mal sind, wird seine Gefährtin sich schon bald erneut in Schwierigkeiten bringen. Die gute Esmanté hat erlebt, wie hilfreich Agrouaz ist und wird sie wiedereinsetzen. So sind Kämpfer nun mal!« Xart kräuselte die Lippen. »Wenn es soweit ist, hilft Agrouaz ihr natürlich und ...« Er gluckste vor Vergnügen. »Ipos bringt uns ihre Kraft – die Kraft einer d‘Elestre.«
»Wie Ihr wünscht, Meister«, raunte Ipos, wobei er Dvalin keinen Moment aus den Augen ließ.
Mit aller Macht unterdrückte er ein Zittern, brach den Blickkontakt ab und wandte sich an den Magier. »Vergesst nicht, wozu dies alles dient!«, mahnte er. »Ihr habt mir versprochen, die Scheibe zurückzubringen. Nur deshalb wurdet Ihr nicht härter bestraft. Wir, die Zwerge, sind die rechtmäßigen Besitzer.«
»Wie Ihr wünscht, Sire«, erwiderte Xart und senkte den Kopf.
Wieder einmal beschlich Dvalin das unangenehme Gefühl, dass der Magier ihm etwas verheimlichte.
Nach allem, was in dem hinter uns liegenden Jahr geschehen war, hatte ich nur einen Wunsch: ein paar ruhige Tage. So viele hatten wir verloren. Vor allem die Trauer um Mira setzte mir zu.
Auch Loglard litt unter all dem, was uns widerfahren war. Perts heldenhafter Opfertod ging keinem von uns aus dem Sinn. Wegen Fiom machte mein Geliebter sich ebenso große Vorwürfe wie ich. Wir hatten Noreias treuen Freund nicht vor Jangdril, dem Schlangenmonster, retten können.
Je mehr ich darüber nachdachte, umso weniger begriff ich, dass wir noch am Leben waren. Baird hatte Loglard eine grauenhafte Verletzung zugefügt. Meinen Ausflug in die Anderswelt tat ich immer noch als Traum ab, um nicht an die Konsequenzen denken zu müssen. Die Erstürmung von Men Dûr! Und am Ende war noch unser schlimmster Albtraum wahr geworden. Aonghas hatte uns die Scheibe der Ewigkeit weggeschnappt.
Der Hochmeister der Arsuri, dieser Hurensohn, verfügte nun über ein magisch verstärktes Wegenetz. Zu behaupten, ich würde verstehen, wie es im Einzelnen funktionierte, wäre die Übertreibung des Jahrhunderts. Nur eines wusste ich mit Bestimmtheit. Mit diesem Wegenetz waren die verdammten Schlangenanbeter in der Lage, ihre Kämpfer und die gefährlichen Riesen in wenigen Augenblicken von Tyr Abath nach Cérnowia oder nach Gwyneddion zu senden. Alle Statuen und Heiligtümer ihrer verfluchten Göttin Creydillad dienten als Anlaufstellen. Dort begann eine magische Reise und dort endete sie. Deshalb hatten die Arsuri in Windeseile an mehreren Stellen in Gwyneddion Bäume gerodet, um Statuen und Heiligtümer zu errichten.
Zeit zum Ausruhen und zum Trauern blieb uns nicht. Immer noch mussten Verletzte versorgt werden. Eilidh, Zerec und Loglard arbeiteten von früh bis spät. Außerdem hatte sich mein Gefährte gezwungen gesehen, schleunigst die Regierungsgeschäfte wieder aufzunehmen. Viel zu viel lastete auf seinen Schultern.
Vor Kurzem hatte uns eine Botschaft von Valdark erreicht. Loglard nahm an, dass der Adler des Fauns gewartet hatte, bis Rhioghain und ihre Krähen aus dem Wald verschwunden waren, denn die Nachricht, die er überbrachte, war schon einige Wochen alt.
Valdark, Londo und Andrah lebten. Wie von Loglard vorgeschlagen, hatten sie den Widerstand organisiert und Anschläge verübt. Die Arsuri hatten jedoch viele getötet und grausam gequält. Ehrlose Brut schleimiger Magier!
Am liebsten hätte ich Akrya umgeschnallt und wäre auf Wolkenwind nach Cérnowia geritten, um meinen Kameraden beizustehen. Dann könnte ich auch herausfinden, wer noch auf unserer Seite stand und wer den Versprechungen der Schwarzmagier nachgegeben hatte.
Mein geliebtes Schwert Akrya! Magier Xart, diese hässliche Ausgeburt einer geschändeten Zwergin, hatte mein Schwert mit einem gefährlichen Zauber versehen, der mir enorme Fähigkeiten verlieh. Deshalb war die Versuchung, es zu nutzen, sehr groß. Sobald ich dem Drängen nachgab, stellte dieser Zauber die Verbindung mit einem Pentagramm her und mir wurde Lebensenergie entzogen. Wohin genau, konnte selbst Loglard bisher nicht feststellen.
Ich durfte nur in Momenten größter Gefahr darauf zurückgreifen. Und solche gab es für mich nicht gerade selten. Die Nornen woben wahrlich einen krummen Schicksalsfaden.
Natürlich war es mir in diesen Tagen nicht möglich, in meine alte Heimat zu reiten. Das lag nicht nur an meinem angegriffenen Gesundheitszustand. Auch für mich gab es in Gwyneddion viel Arbeit.
Zu allem Überfluss hatte uns Elenor vor einigen Tagen verlassen. Sie müsse zu einem wichtigen Treffen, hatte sie uns versichert. Natürlich ließen wir sie ziehen. Schon jetzt fehlte sie mir.
Darüber hinaus fragten die Räte täglich nach, wann der Hohe Lord denn endlich eine Sitzung einberufen wolle, schließlich wären wichtige Entscheidungen zu treffen.
Das ganze schreckliche Ausmaß der Herrschaft der Arsuri in Gwyneddion – war sie auch noch so kurz gewesen – offenbarte sich uns nach und nach. So viele Familien beklagten Verluste. Die Heiler waren Tag und Nacht beschäftigt. Einen großen Teil ihrer Kraft benötigten sie, um die Brandmale auf den Wangen der Elfen zu heilen, die Widerstand geleistet hatten.
Trotz allem – das Leben ging weiter. Heute würde ich mit Loglard einen Rundgang machen, um die Schäden genauer zu besichtigen.
»Bist du bereit?« Mein Liebster stand in der Tür mit diesem unergründlichen Blick, der mir das Herz wärmte.
»Ja«, antwortete ich, obwohl ich liebend gern etwas anderes gemacht hätte.
Besonders schlimm sah es dort aus, wo die Riesen untergebracht gewesen waren. Kein einziges grünes Fleckchen mehr, die Bäume abgestorben, der Boden umgewühlt. Kein Tier traute sich in die Nähe. Zu allem Überfluss hatten die Arsuri den kleinen See als Tränke für die Ramsz verwendet.
Der Platz, an dem wir unsere Hochzeitsnacht verbracht hatten, ähnelte einem Schlachtfeld. Vor dem natürlichen Steinbecken wuchs kein Gras mehr. Stattdessen bedeckten Schlamm und Exkremente den malträtierten Boden. Darauf verteilt lagen die Birken, wahllos und brutal aus dem Boden gerissen, Äste und Blätter verdorrt. Von einigen ragten die ausgetrockneten Wurzelballen gen Himmel.
Keine Ahnung, wie lange wir dort standen und schwiegen. Loglards Gesicht glich einer eisigen Maske.
»Dafür werden sie büßen«, sagte ich schließlich. »Das schwöre ich!«
Die Hand, nach der ich griff, entzog er mir harsch. »Es wird Jahrzehnte dauern, bis die schlimmsten Schäden behoben sind und sich Teile des Waldes erholt haben«, presste er hervor. »Als Nächstes zerstören sie Cérnowia.«
Einen Moment lang starrte ich ihn fassungslos an. So kannte ich ihn gar nicht.
Für diesen Nachmittag hatte Loglard angeordnet, die erste Statue niederzureißen. Da wir den Arsuri wirklich alles zutrauten, wollte er als Hoher Lord unbedingt anwesend sein. Auch Sigrith, Anführer der wenigen überlebenden Gward würde dazukommen.
Gerade hatten wir uns vor der Statue versammelt, da gesellte sich zu meiner Überraschung Vilanga zu uns. Die jüngste Rätin von Gwyneddion hatte sich im letzten Jahr verändert, wirkte wilder und kämpferischer.
Als sie sich nun neben Sigrith stellte, blühte der alte Griesgram auf. Er lächelte sie an. Dann sagte er etwas zu ihr, woraufhin sie laut auflachte.
»Die Schöne und das Biest«, flüsterte Eobar mir zu.
Ich schmunzelte, konnte aber nichts mehr erwidern, denn Loglard trat nun vor und schritt auf das Heiligtum zu. Kurz vor dem Eingang drehte er sich um, musterte die vielen Gwydd und die Handwerker, die helfen sollten, das Bauwerk zu zerstören.
Schließlich sprach der Hohe Lord: »Wir haben eine schlimme Zeit hinter uns. Der ärgste Feind Tiranorgs hat sich bei uns breitgemacht – in unseren Häusern, in unserem Wald. Jeder von uns hat Verluste erlitten, musste Erniedrigung und Schmerz ertragen. Sinnbild dieser Unterdrückung sind diese Heiligtümer. Ich weiß, wie ihr alle darauf brennt, sie zu zerstören. Ich gebe zu, mir geht es nicht anders. Aber ihr kennt die Arsuri.«
Er machte eine Pause und ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen. Dann fuhr er fort:
»Sie sind heimtückisch und grausam, genau wie die Göttin, die sie verehren. Deshalb werde ich gemeinsam mit Lord de Moins prüfen, ob die Schlangenanbeter uns einen Abschiedsgruß hinterlassen haben. Kein Gwydd soll zu Schaden kommen. Also bitte, haltet Abstand! Lasst meine Gefährtin, unsere Gwydd-Krieger und die Gward einen Schutzring bilden. Sobald es sicher ist, dürft ihr alle selbst Hand anlegen. Wir reißen alles nieder, was die Schlangenanbeter errichtet haben, tilgen auch die kleinste Spur von ihnen in unserem geliebten Flüsternden Wald. Wir sind die Sieger!«
Mit jedem Satz war er lauter geworden, bis er die letzten Worte mit erhobener Faust hinausgeschrien hatte. Sein Volk jubelte ihm zu. Schließlich hob er den rechten Arm, sofort kehrte Ruhe ein. Binnen Kurzem legte sich eine eigentümliche Stille über den frühlingshaften Wald.
Zusammen mit Eobar, Variondes Trupp und Sigriths Kampfmagiern bildete ich einen Halbkreis um Loglard. Zwischen uns blieb so viel Abstand, dass die Gwydd sehen konnten, was vor dem Eingang geschah, aber niemand würde dorthin gelangen. Ich warf einen schnellen Blick zur Seite.
Sigrith gesellte sich zu Loglard. Der Gward hatte den Kampfstab ausgefahren, mein Gefährte den Zauberstab erhoben. Die Kampfmagier neben mir spannten sich an. Kharem mahlte mit den Zähnen. Am Vorabend hatte es einen erbitterten Streit gegeben. Sigriths jüngerer Bruder war der Ansicht gewesen, dass er bei der Überprüfung des Heiligtums dabei sein sollte.
Jetzt galt es, genau zu beobachten, was am Heiligtum geschah. Langsam und vorsichtig setzte Loglard den Fuß auf den Absatz. Eine schmale Tür deutete den Eingang an. Sigrith sicherte nach allen Seiten. Uns allen standen die Pförtner noch vor Augen. Als mein Gefährte die Hand auf die Klinke legte, hielt nicht nur ich den Atem an.
»Sigrith!«, brüllte Kharem und stürmte vor.
In diesem Augenblick sah ich es auch. Das Gebäude erwachte buchstäblich zum Leben. Creydillads steinerne Schlangen zischten laut, fauchten und glitten, noch langsam, zu Boden. Sie erinnerten mich fatal an Jangdril.
Die Zuschauer schrien auf. Manche fluchten, einige machten Anstalten, nach vorne zu laufen. Loglard und Sigrith durften jetzt jedoch auf keinen Fall abgelenkt werden. Bei der Lagebesprechung am Vorabend waren wir übereingekommen, den Gward den Vortritt zu lassen. Sie waren nicht nur ausgebildete Kämpfer, sondern auch Magier. Deshalb hielten Eobar, Varionde, seine Männer und ich die Stellung, um die Leute zurückzuhalten.
Dass wir es mit Magie zu tun hatten, stand außer Zweifel. Was sich immer rascher auf Loglard und die Gward zubewegte, waren die Schlangen des Heiligtums – und auch wieder nicht. Ihre Körper schillerten wie Seifenblasen. Irritiert bemerkte ich, dass man durch sie hindurchsehen konnte.
Jetzt trat Vilanga vor, ging an mir vorbei und stellte sich neben Sigrith, der etwas zu ihr sagte.»Lass mich!«, forderte sie kalt.
Für einen Moment zögerte Sigrith, was ihm beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Blitzartig schnellte eine der Schlangen vor, das Maul gebleckt. Von den langen Giftzähnen perlte giftgrüne Flüssigkeit.
Mit einer Kraft, die mich überraschte, stieß Vilanga Sigrith beiseite. Nur mit Mühe unterdrückte ich einen Aufschrei, denn sie griff direkt in das durchsichtige Monster hinein. Ihre Augen färbten sich orange. Das Vieh bäumte sich auf. Ungerührt stieß Vilanga beide Arme in den durchsichtigen Körper und – zog.
Als hinge es an einem durchsichtigen Seil, warf sich das Vieh herum und schüttelte wild den Kopf. Geifer regnete auf uns hernieder, wir stoben auseinander. An Vilangas Schutzhülle prallte der Geifer ab.
Loglard wollte ihr zu Hilfe eilen, da griff das zweite Monster an. Mein Gefährte bannte seine Bewegungen mit einem scharf gesprochenen Wort. Wie lange würde es anhalten?
Nur einen Augenblick später schrie Vilanga triumphierend auf. Goldorangene Lichttaue wanden sich aus der Schlange heraus. Das Wesen, was immer es auch war, sackte in sich zusammen. Die durchsichtige Färbung verblasste, die leere Hülle schrumpfte. Auch das von meinem Gefährten gebannte Monster fiel in sich zusammen und verging. Übrig blieben zwei Häufchen Asche.
Atemlos verfolgte ich, wie Vilanga die Arme in den Himmel reckte. Die Lichttaue kringelten sich in diesem Moment um ihren Arm, im nächsten wanderten sie nach oben und verschwanden im Brustkorb der Magierin, ungefähr da, wo ihr Herz schlug. »Reinste Magie!«, erklärte sie.
Loglard atmete auf, sah sich suchend um. Alle waren unversehrt. Offensichtlich erleichtert nickte er und befahl: »Sigrith, Vilanga, wir gehen hinein! Seid wachsam, wir könnten auf einen Pförtner treffen.« Mit dem Zauberstab tippte er gegen die Tür und rezitierte: »Di~gerin!«
Knarrend öffnete sie sich. Alle hielten die Luft an. Mittlerweile hatten sich die Zuschauer ein Stück zurückgezogen. Obwohl die Gwydd an die Ausübung von Magie gewöhnt waren, schienen sie von dieser schwarzen Magie überfordert. Sie flüsterten miteinander, einige zeigten mit dem Finger auf das Heiligtum.
Sigrith drängte sich an Loglard vorbei, betrat als Erster den Raum. Vilanga und mein Gefährte folgten. Lichtblitze erhellten den schmalen Eingang, Rufe hallten nach draußen zu uns. Alarmiert näherte ich mich, flankiert von Eobar.
In diesem Augenblick kam Loglard wieder heraus. »Wir haben einige Fallen unschädlich gemacht. Jetzt herrscht keine Gefahr mehr.« Er klang wütend. Mit gefurchter Stirn deutete er auf die Gwydd, die beim Abriss helfen sollten: »Macht euch an die Arbeit.«
Die Handwerker hatten sich freiwillig gemeldet. Nun zögerten sie jedoch, berieten sich leise. Mit einem unwirschen Brummen trat Kharem vor, griff nach einer Spitzhacke und drosch auf die Tür ein. Das überzeugte die Arbeiter. Zögerlich zunächst verteilten sie sich um das Gebäude. Geschickt legten zwei kräftige Gwydd Taue um Creydillads hässlichen Kopf. Einige Waldelfen liefen herbei, einer gab das Kommando, schon zogen alle an dem Tau. Zunächst passierte nichts und mich beschlich das vage Gefühl, das Gebäude könnte noch immer magisch verstärkt sein.
Zu meiner Erleichterung hörte ich im nächsten Moment trotz der anfeuernden Rufe der Zuschauer, dass die Skulptur brach. Unter Jubel fiel der steinerne Kopf zu Boden und zersprang. Flink warfen die Elfen das Tau um einen Schlangenleib, der auf die gleiche Weise zerstört wurde. Nun klaffte bereits ein großes Loch in der Decke des Heiligtums. Risse durchzogen die Wände. Kräftige Gwydd traten vor, jeder von ihnen hielt einen gewaltigen Hammer in der Faust. Auf einen Ruf hin, droschen sie auf die Wände ein, die schon bald nachgaben und in einer Staubwolke in sich zusammenbrachen.
Ich hatte erwartet, dass die Leute sich freuen und triumphieren würden. Stattdessen standen sie in Grüppchen um den Schutthaufen herum und diskutierten leise.
Ich ging zu den drei Gwydd, die mir am nächsten standen. »Was ist das Problem?«
»Könnt ihr uns versprechen, dass in diesen Überresten keine schwarze Magie mehr steckt?«, fragte eine ältere Frau. Misstrauisch beäugte sie den Schutthaufen.
»Hinter den Vier Waisen führt ein Stollen in den Berg«, mischte sich ein älterer Mann ein.
»Gut«, ordnete ich an. »Dann wird der Schutt dorthin geräumt.«
Ich erteilte die entsprechenden Befehle. Widerspruchslos packten die Leute mit an. Dann machten wir uns auf zum nächsten Heiligtum.
Am Abend kehrten Loglard und ich in die Große Buche zurück. Mein Gefährte sah müde aus. Auch wenn die Koadeck sein Bein geheilt hatten, wusste ich, dass es gerade nach großer Belastung immer noch schmerzte. Wienot eilte herbei und reichte ihm einen Becher mit einer dunklen Flüssigkeit.
»Holundersaft!«, stöhnte Loglard. Nach einer Weile wandte er sich mir zu. »Jedes einzelne verdammte Heiligtum!«, stieß er hervor.
Ich schauderte. Kalte, nur mühsam unterdrücke Wut sprach aus ihm.
»Aonghas verfügt über so viel Kraft, sie ist beinahe grenzenlos«, fuhr er fort. »Dieser Schutzzauber, den er gewoben hat, gründet sich auf tiefe, unglaublich starke Magie.« Als Loglard nun den Kopf schüttelte, wirkte er völlig mutlos. »Mit jedem Tag wird Aonghas mächtiger, versammelt mehr Leute um sich. Wie sollen wir diesen Orden nur bekämpfen?«
Ich stand auf, schmiegte mich an seinen Rücken, schlang meine Arme um ihn und genoss seine Gegenwart. Die Tatsache, dass wir noch lebten und uns so sehr liebten, grenzte an ein Wunder.
»Scathach wird eine Gelegenheit schaffen«, erwiderte ich mit fester Stimme. »Daran glaube ich ganz fest. Unsere Pflicht ist es, uns darauf vorzubereiten.«
Seufzend drehte er sich um, darauf bedacht, in meiner Umarmung zu bleiben. »Was würde ich nur ohne dich tun?«
Zärtlich fuhr er mir über den Kopf. Seine Hand streichelte meinen Nacken. Seine Lippen knabberten an meinem Ohr, wanderten schließlich über meine Wangen, seine Hand rutschte tiefer.
»Denkst du, Scathach gönnt uns eine kleine Pause?«, flüsterte er heiser.
»Das tut sie ganz sicher«, murmelte ich.
Am nächsten Morgen störte Sigrith unser Frühstück. »Elende Pisser!« Mit diesen Worten polterte er die Treppe herauf.
Stirnrunzelnd sah Loglard hoch. Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Wenn der Gward-Meister sauer war, hielt ihn nichts und niemand auf.
»Prior, wir haben ein Problem.« Sigrith ließ sich in den Stuhl fallen, der nur Augenblicke vorher aus dem Nichts erschienen war. »Esmanté, trinkst du etwa wieder Kaffee?«
Unschuldig blinzelte ich ihn an. »Keine Ahnung, was Ihr meint, Meister aller Gwards.«
Halb ärgerlich schüttelte er den Kopf. »Ich verstehe nicht, wie du es mit ihr aushältst, Prior.«
»Das gelingt mir sehr gut.« Loglard schmunzelte.
Sigrith winkte ab und nahm dankend einen Becher entgegen, den Wienot ihm reichte.
»Also, mein Freund, was verschafft uns die Ehre deines frühen Besuches?«
»Letzte Nacht waren Arsuri in der Nähe des Langhauses. Kharem und ich ...« Sigrith brach ab und sah mich verlegen an.
»Aye, ich weiß Bescheid. Ihr habt im Langhaus gefeiert.« Genüsslich lehnte ich mich zurück mit dem Becher Kaffee in der Hand. »Eobar hat es mir erzählt. Mich wollte ja keiner dabeihaben.«
»Wir hatten eine Besprechung«, erwiderte Sigrith kleinlaut, nachdem er sich wieder gefangen hatte. Loglards fragenden Blick ignorierte er geflissentlich. »Mitten in der Nacht hörten wir Geräusche. Was soll ich sagen? Drei Kampfmagier der Arsuri begannen gerade damit, einen Bannkreis um das Langhaus zu ziehen. Gut, dass Gward anwesend waren.« Er hielt inne und räusperte sich.
»Sigrith!«, mahnte Loglard.
»Vilanga war auch da. Zusammen mit ihr konnten wir sie aufhalten. Wir haben nur einen getötet, die anderen sind entkommen. Verfluchte Sauerei. Es gibt noch drei Heiligtümer auf dem Weg nach Lyn Darwich und die müssen wir so schnell wie möglich zerstören. Sonst tauchen diese Drecksmagier immer wieder hier auf.«
Nachdenklich blickte Loglard ihn an. »Ich verstehe«, sagte er schließlich. Dann stand er auf und wanderte mit hinter dem Rücken verschränkten Armen im Kreis herum. »Wir hatten allerdings besprochen, ein Heiligtum nicht zu zerstören, um irgendwann mit wenig Kraftaufwand das Wegenetz zu nutzen.«
»Warum haben sie versucht, einen Bannkreis zu ziehen?«, wollte ich wissen.
»Ganz einfach«, wetterte Sigrith, »damit keiner mehr rauskommt. Sie hatten Pechfackeln dabei, um das Haus anzuzünden. Wir alle wären verbrannt.« Rau lachte er auf. »Zum Glück war Vilanga bei uns«, fügte er noch hinzu.
Konnte es sein, dass Loglard schmunzelte?
»Ihre magischen Fähigkeiten sind erstaunlich.« Sigriths Gesicht blieb unbewegt. »Leider haben ihre tierischen Späher die Arsuri nicht aufgespürt.«
»Eine der Statuen befindet sich an der Kreuzung der drei Erlen. Bestimmt sind sie von dort zurückgekehrt nach Tyr Abath«, vermutete Loglard.
»Sieht so aus. Ich sage dir, wir müssen sie heute noch niederreißen. Dein Plan funktioniert nicht. Es ist zu gefährlich. Bis wir Bescheid wissen, haben uns die Arsuri wieder überrannt.«
»Ich verstehe«, erwiderte Loglard nach einigem Zögern. »Du hast recht.«
Sigrith gab ein zufriedenes Grunzen von sich, nickte kurz und verließ uns.
»Welcher Plan?«, fragte ich.
»Wie du weißt, funktioniert das Wegenetz in beide Richtungen. Also könnten wir es auch nutzen. Als ich es überprüfte, stellte ich jedoch schnell fest, dass Annwyn das Netz überwacht. Sie hat offensichtlich nicht nur den Auftrag, das Wegenetz zu stärken, sondern soll auch ungebetene Reisende daran hindern, es zu nutzen. Sollte sie einen von uns entdecken, würde sie den Transport sofort beenden, und uns quasi hinauswerfen. Das hätte den Tod zur Folge.«
Er setzte sich wieder und streckte die langen Beine aus.
»Die Dryaden haben mir recht gegeben«, fügte er nach einer Weile hinzu. »Wir müssten nur einen Zugang finden, ohne dass Annwyn es merkt.«
»Deswegen wolltest du ein Heiligtum behalten.« Zweifelnd sah ich ihn an.
»Ja, aber wie wir nun wissen, ist es zu gefährlich«, erwiderte er seufzend. »Wir werden alle Heiligtümer zerstören.«
Gut so! Dann fiel mir etwas anderes ein. »Vilanga war also auch im Langhaus?« Das amüsierte mich.
»Nun, wie es aussieht, hat Master de Moins eine Schwäche für sie.« Es tat mir gut zu sehen, wie er jetzt über das ganze Gesicht lachte. »Sogar Varionde ist bereits aufgefallen, wie zahm er in ihrer Gegenwart wird.«
»Ein zahmer Sigrith! Das ist ja mal etwas ganz anderes.« Ich erhob mich. »Dann machen wir uns also auf, um die letzten Statuen zu zerstören, nicht wahr?«
»So ist es. Wir müssen wieder sicher sein im eigenen Land.«
Mit gemischten Gefühlen verließ Londo die Lichtung der Brombeerbüsche. So nannten sie ihren Versammlungsort. Mit einem Nicken verabschiedeten sich die wenigen Cérn-Krieger und verschwanden in der Dunkelheit.
In drei Wochen würden sie sich wieder treffen, um das weitere Vorgehen abzusprechen. Wie viele würden kommen? Womöglich hatten einige bis dahin den Verlockungen der Arsuri nachgegeben und ihre Sache verraten. Londo seufzte. Noch härtere Zeiten standen ihnen bevor.
Am folgenden Morgen machte Londo sich mit Andrah auf den Weg nach Béara. Kurz vor der Stadt trennte er sich von seiner Gefährtin. Andrah ritt zum Bauernhof ihrer Eltern, er hingegen ritt in die Stadt, um seinen Bruder und dessen Familie zu besuchen. Ranor war beträchtlich älter als er, seine beiden Söhne standen im Dienst der Stadtwache.
Londo wurde herzlich von seinen Verwandten begrüßt. Als sie sich in der Küche zusammensetzten und sich unterhielten, stellte er schnell fest, dass Ranors Familie den Arsuri genauso sehr misstraute wie er selbst. Daraufhin deutete er vorsichtig an, dass es einige Kämpfer gäbe, die sich gegen die Schlangenanbeter wehrten. Dafür erntete er Zustimmung. So ging er das Risiko ein und erzählte ihnen mehr. Seine Neffen waren Feuer und Flamme.
»Wir treffen uns beim nächsten Neumond auf einer Lichtung in der Nähe von Herbenion«, erklärte er daraufhin. »Ich zeichne euch genau auf, wo das ist. Dort besprechen wir unser weiteres Vorgehen. Seid vorsichtig!«
Dankend lehnte er Ranors Angebot ab, bei ihnen zu übernachten. Es war besser, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Nach einem guten Mahl verließ er seine Familie. Ganz wohl fühlte er sich nicht in seiner Haut. Seine Neffen gingen ein großes Risiko ein. Doch wenn sie nun nicht zusammenstanden und gegen die Arsuri kämpften, wäre es bald zu spät.
Auch in Béara traf man alle Nase lang auf Creydillad und ihre Jünger. Auf dem Marktplatz erzählte ein Prediger Geschichten aus dem Leben der Göttin. Viele Leute lauschten ihm geradezu andächtig. An Tafeln hingen Pergamente, in denen zum Dienst für die Göttin aufgerufen wurde. Er belauschte die Gespräche der Leute. Was er so hörte, war äußerst beunruhigend. Viele junge Cérn meldeten sich bei den Schlangenanbetern. Es hieß, der Dienst wäre leicht und der Sold mehr als gut. Dumme Narren, dachte er.
Schließlich reichte es ihm und er ging geradewegs zu der Taverne, die Andrah und er sich ausgesucht hatten. Dort mietete er ein Zimmer.
Als er am Abend im Schankraum auf Andrah wartete, schweiften seine Gedanken ab. Mit eigenen Augen hatte er sich davon überzeugt, dass nicht nur Grianan Aileach fest in der Hand der Arsuri war. Seine Überlegungen wurden jäh unterbrochen, als Andrah in die Schankstube trat. Ihr Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.
»Ein Bier, Wirtin!«, rief sie, unfreundlich wie selten. »Am besten gleich noch ein zweites, nur zur Sicherheit!«
»Was ist passiert?« Londo deutete auf den Platz neben sich.
Sie blieb jedoch noch stehen. Er beobachtete sie. Seine Liebste warf einen Blick in die Runde. Die Taverne war gut besucht, nur drei Bänke weiter ließen sich zwei Prediger das Essen schmecken. Ihm war klar, was sie darüber dachte.
»Das Ungeziefer ist heutzutage überall«, brummte sie und setzte sich endlich.
In zwei Zügen leerte sie einen Humpen, den die Wirtin mit etwas grimmigem Gesicht gerade hingestellt hatte. Tatsächlich griff sie sofort nach dem nächsten.
Ihn überkam ein mulmiges Gefühl. Das roch nach Ärger. »Lass uns kurz nach draußen gehen«, schlug er leise vor.
Vehement schüttelte sie den Kopf. »Auf keinen Fall«, erwiderte sie nicht gerade leise. »Hast du es schon gehört? Es gibt eine neue Ordnung, wenn ich alles richtig verstanden habe.«
Zu seinem Entsetzen drückte sie sich hoch und ging auf die Prediger zu. Die Arsuri, deren Tätowierungen nur bis zur Schulter reichten, hoben die Köpfe und sahen ihr mit hochgezogenen Brauen entgegen.
»Wie können wir Euch helfen, Mastress?«, fragte der etwas Ältere.
»Bin keine Mastress!«, zischte Andrah und stützte sich auf der Lehne des Stuhles an der Stirnseite des Tisches ab. »Mein Leben lang habe ich gegen Ungeziefer gekämpft. Räuber, Abtrünnige, Orks und Trolle. Aber jetzt, wo unser Land in größerer Gefahr ist als jemals zuvor, soll ich stillhalten? Könnt Ihr mir das erklären, edle Prediger?«
Jetzt schwankte sie leicht. Londo stand auf und eilte zu ihr. Sie wehrte ihn ab, als wäre er ein lästiges Insekt.
»Eine Kämpferin – sieh an!«, erwiderte der Ältere. »Es freut mich, dass auch Ihr erkennt, in welcher Gefahr unser Land schwebt.«
Londo bemerkte, dass der Jüngere ihn und Andrah nicht aus den Augen ließ.
»Die große Creydillad selbst ist in Sorge um unser schönes Land«, fuhr der Ältere fort. »So lange wurde sie missachtet. Es bedarf tapferer Männer und Frauen, die sich gegen das Unrecht stemmen. Ihr seid jederzeit bei uns willkommen. Der Hochmeister begrüßt jeden Einzelnen persönlich. Ihr werdet sehen, wie erfüllend der Dienst im Namen Creydillads ist. Dann endlich würdet Ihr auf der richtigen Seite stehen.«
»Auf der richtigen Seite!«, echote Andrah.
»Natürlich, Creydillad ist die einzig wahre Göttin«, mischte sich der Jüngere ein. »Das Land ist zerrüttet, den Leuten geht es schlecht. Missernten und Ungeheuer sind über Tiranorg gekommen, weil ihr die falschen Götter angebetet habt. Doch damit ist es bald vorbei!«
Als der Prediger nun aufstand, blitzte das Amulett der Göttin im Schein der Kerzen. Sofort senkte sich Stille auf den Schankraum.
»Kehrt um und besinnt euch auf eure Wurzeln!«, rief er in die Runde. »Dient Creydillad und ihr werdet sehen, wie schnell Wohlstand und Glück in eure Häuser einziehen.«
Allenthalben setzte Getuschel ein.
»Ha, Wohlstand!« Andrah warf die Arme in die Luft. »Meinen Eltern gehört ein Bauernhof vor den Toren der Stadt. Die Felder wurden von Raupen kahl gefressen. Sie hungern. Ihr kümmert euch einen Scheiß um die Leute!«
Behände zog der Ältere sie zu sich heran und zischte: »Unsere große Göttin kümmert sich um diejenigen, die ihr die gebührende Ehre erweisen. Hätte Euer Vater die Statue aufgestellt, wie Creydillad es wünschte, hätte es keine Raupenplage gegeben. Aber er weigerte sich. Sobald er seine Meinung ändert, wird auch ihm und seiner Familie geholfen. Creydillad ist gütig, wie Ihr wisst.«
Andrah hob die Hand. Bevor sie etwas sehr Dummes anstellen konnte, zog Londo sie weg. »Verzeiht, edle Herren«, presste er hervor. »Meiner Gefährtin geht es nicht gut.«
»Das verstehen wir, Master. Wie gesagt, die Zeiten sind hart. Glaubt und vertraut auf die Göttin. Sie ist eure Zukunft.« Mit einem gönnerhaften Gesichtsausdruck setzte sich der Prediger wieder und trank aus seinem Humpen.
Das Getuschel erstarb. Londo nickte zähneknirschend und zerrte Andrah hinter sich her aus dem Schankraum. Widerwillig folgte sie ihm in die kleine Kammer.
Nachdem er die Tür geschlossen hatte, schimpfte er los: »Bist du vollkommen wahnsinnig geworden?«
»Nein.« Sie warf sich aufs Bett und begann unvermittelt zu schluchzen. »Meine Mutter ist krank. Meine Familie hat kein Gold und nichts, was sie gegen Medizin tauschen könnte. Und weißt du, warum? Mein Vater hat sich geweigert, eine Statue zu bauen. Über Nacht waren alle Felder kahl. Sie wissen nicht, wovon sie leben sollen. Vielleicht verliert meine Mutter das Kind.« Mit geballten Fäusten schlug sie auf das Strohbett ein.
Tief betroffen setzte er sich neben seine Gefährtin, legte einen Arm um sie. »Wir helfen ihnen. Ich habe etwas Gold. Damit bezahlen wir den Heiler.«
»Ich danke dir.« Schluchzend schmiegte sie sich an ihn. »Weißt du, es ist wirklich eine Schande. Der Besitzer des Nachbarhofes hat ein Heiligtum errichtet. Seine Felder wurden von den Raupen verschont und er fährt reiche Ernte ein. Es ist ganz offensichtlich. Die verdammten Schlangenanbeter wenden offen Magie an. Wer sich mit den Arsuri einlässt, dem geht es gut.«
Was sollte er sagen? Genauso verhielt es sich. Ratlos wiegte er sie im Arm, bis sie einschlief.
Am nächsten Morgen beauftragte Londo einen Heiler, der zusammen mit Andrah zum Bauernhof ihrer Eltern ritt. Währenddessen suchte Londo auf dem Marktplatz einen Schreiber. Auch wenn er leidlich lesen und schreiben konnte, wollte er sich mit der Nachricht an Valdark nicht blamieren. Die Sache mit den unterschiedlichen Ernten ging ihm nicht aus dem Kopf. Vielleicht wusste Trachea Rat.
Außerdem zog er in eine andere Taverne um. Die Prediger sollten ihn und Andrah nicht so ohne Weiteres finden, falls die Schlangenanbeter nach ihnen suchen sollten.
Zwei Tage später saß er abends mit Andrah im Schankraum. Seiner Gefährtin ging es besser. Der Heiler hatte ihrer Mutter geholfen und die Frau eines Nachbarn hatte sich bereit erklärt, ab und zu etwas zu essen vorbeizubringen.
Ein Junge rannte knapp an ihrem Tisch vorbei, tat so, als würde er stolpern und ließ etwas in Andrahs Schoß fallen. Dann grinste er und flitzte davon. Ihre Hand schloss sich blitzschnell um den kleinen Stein, während sie weiter plauderten, als wäre nichts passiert. Nach einer Weile griff Andrah in ihr Wams, holte ein Tuch hervor und legte es über den Stein. Londo wusste, dass sie unter dem Tuch ein Stückchen Papier entfernte, das an den Stein gebunden gewesen war. Dabei sah sie ihn unverwandt lächelnd an und er redete belangloses Zeug. In diesen Zeiten konnte man nie wissen, wer zusah.
Schließlich tat Andrah, als griffe sie nach ihrem Humpen, stieß jedoch extra gegen das Brett mit den Essenresten. Klappernd fiel das Besteck auf den Boden.
»Mach ich dich so nervös, Liebste?«, flötete Londo, während sie sich bückte, um das Besteck aufzuheben. Gleichzeitig las sie die Nachricht auf dem Zettel.
»Bilde dir bloß nichts ein«, murrte sie dann besonders laut und orderte einen frischen Humpen.
Die Leute um sie herum grinsten wissend und wandten sich wieder ihren eigenen Gesprächen zu.
»Eine Nachricht von Valdark«, murmelte Andrah, nachdem das Interesse an ihnen vollends abgeklungen war. »Heute Abend um zehn an der unteren Kreuzung.«
Er deutete ein Nicken an. Wegen seines auffälligen Äußeren und seiner Nähe zu Esmanté d‘Elestre ließ sich der Faun nur noch selten in der Öffentlichkeit blicken.
Mit Hilfe von Londos Neffen passierten sie das Stadttor von Béara nach Sonnenuntergang, was normalerweise verboten war. Erst als sich die Dunkelheit bereits auf die Straße senkte, erreichten sie die Kreuzung. Nur wenig später tauchte der Faun auf, mit ihm Irina, die Blumenfee. Für Londo war es schwierig, in Valdarks Gesicht zu lesen. Aber er glaubte, in den Ziegenaugen eine Müdigkeit zu erkennen, die ihm bisher nicht aufgefallen war.
Abseits vom Weg setzten sie sich im Schutz zweier großer Felsbrocken auf Baumstämme. Der Mond schien, ein paar Leuchtkäfer schwirrten. Für ein Feuer war der Abend zu mild.
»Von den großen Städten ist nur noch Trémagord frei«, berichtete der Faun. »Niemand weiß, wie es die Arsuri schaffen, so schnell an allen möglichen Orten aufzutauchen. Sie verbreiten Angst und Schrecken, drohen mit Unbill und die Leute glauben es.«
»Genau wie bei meinen Eltern«, erwiderte Andrah bitter.
Bevor Valdark darauf eingehen konnte, sagte Londo schnell: »Bitte, erzählt weiter!«
»Es gibt auch eine ganz wunderbare Nachricht«, erklärte Irina an seiner Stelle und stupste den so viel größeren Faun in die Seite.
Londo horchte auf.
»Esmanté und der Hohe Lord leben. Sie machen den Arsuri im Flüsternden Wald das Leben schwer. Wie man hört, haben sie den erbitterten Kampf um Men Dûr gewonnen.«
»Ja, so macht man das!«, rief Londo aus. »Scathach liebt ihre Kinder.«
»Geht es allen gut?«, fragte Andrah.
Londo bemerkte den Blick, den der Faun mit der Fee tauschte und sein Herz zog sich zusammen.
»Bisher wissen wir es noch nicht mit Bestimmtheit.« Valdark räusperte sich, der Ziegenbart wippte.
»Spuck’s schon aus!«, forderte Andrah.
»Man sagt, Mira habe den Kampf nicht überlebt.«
Londo stöhnte auf, Andrah sackte in sich zusammen und krümmte sich auf ihrem Platz.
»Wie ... wie ist sie gefallen?«, stotterte er.
In seinem Kopf zogen die Erinnerungen vorbei, während sein Herz sich für einen Moment weigerte, weiter zu schlagen. Mira, Freyda, Eillis – unzertrennlich waren sie gewesen, hatten sich unsterblich gefühlt. So viele Kämpfe hatten sie überlebt. Und jetzt war nur noch er übrig. Wie mochte es Esmanté gehen?
»Leider weiß ich keine Einzelheiten«, fuhr Valdark fort. »Meine Boten interessieren sich nicht sehr für die Details eines Kampfes.«
»Warum ruft Scathach die Besten zu sich?« Verschämt wischte Andrah sich über die Augen.
Londo stand auf und trat ein paar Schritte zur Seite. Er brauchte einen Moment für sich. Wut überkam ihn. Wie viele gute Leute mussten noch sterben im Kampf gegen die Arsuri? War das Ganze am Ende doch aussichtslos? Vielleicht hatten sie keine Chance und sollten den Geschehnissen ihren Lauf lassen. War es das, was ihnen die Nornen sagen wollten? Von dem Gespräch seiner Freunde bekam er nur einige Fetzen mit.
Seine Gefährtin berichtete von ihrer Familie. Irina versprach, die Feen, die in der Nähe von Andrahs Familie lebten, um Hilfe zu bitten. Schon bald sollten ihre Eltern in der Lage sein, zumindest das Notwendigste für sich anzubauen.
Leere breitete sich in ihm aus. Er wusste, dass die kleine Widerstandsgruppe auf ihn angewiesen war. Die Cérn blickten zu ihm auf. Deshalb durfte er sich keine Zweifel erlauben – und keine Trauer. Dafür würde später Zeit sein, wenn die Arsuri geschlagen waren.
Als Valdark zu ihm trat, blickte er auf. »Wart Ihr erfolgreich?«, fragte der Faun.
»Ja – und nein!« Er riss sich zusammen, verdrängte die Trauer und den Zorn. »Leider sind die Schlangenanbeter auch hier in Béara nicht untätig. Es war schwierig, sich umzuhören. Meine Neffen werden zu dem nächsten Treffen kommen, sie wollen Freunde mitbringen. Wir werden sehen, wie viele Leute erscheinen, wenn wir übermorgen die Lichtung betreten.« Mit einem schiefen Lächeln wandte er sich an Irina, die zusammen mit Andrah zu ihnen getreten war. »Wie weit ist Eure Mutter mit dem Zauber gegen die Pförtner?«
»Ach, das dauert«, erwiderte die Fee. Ihre Haut färbte sich grün, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie aufgeregt war. »Es handelt sich um Erdmagie, daran besteht kein Zweifel. Deshalb ist das Weben eines Gegenzaubers schwieriger, als wir zunächst angenommen haben.«
»Verzweifelt nicht!«, sagte Valdark. »In den dunkelsten Stunden ist schon der Keim des Lichtes für den nächsten Tag gesät.«
»Aye.« Londo seufzte. »Das hoffe ich.«
Er zügelte sein Pferd und sah sich nach Andrah um. »Was wird uns erwarten?«, fragte er leise.
Sie stieg ab, führte ihre Stute an einen Baum und band sie fest. »Es hat keinen Zweck, es weiter hinauszuzögern«, erwiderte sie und kam mit federnden Schritten auf ihn zu.
Obwohl die Lage schwierig war und ihm viel im Kopf herumging, dankte er in diesem Moment Caer, der großen Göttin der Liebe. Nie hätte er geglaubt, dass er nach den langen einsamen Jahrhunderten noch einmal so etwas erleben würde. Zuerst war er sich wie ein Verräter vorgekommen, hatte Andrah mehr als einmal abgewiesen, weil er dachte, er würde Freyda, seine frühere Gefährtin, damit entehren.
Dann hatte Mira ihm unmissverständlich etwas klargemacht. »Denkst du, Freyda will, dass du dein Leben als Einsiedler fristest? Sie feiert im Langhaus mit Scathach und all den anderen, wie es sich gehört. Sie will, dass du auch glücklich bist.«
Mira! Gerade der Schmerz gab ihm neue Kraft. Ihr Tod sollte nicht umsonst gewesen sein. Er zwang sich zu einem Lächeln und umarmte die Geliebte. Andrah schmiegte sich an ihn, küsste seinen Hals, direkt unterhalb des Ohres. Sofort breitete sich Lust in ihm aus, der er im Moment leider nicht nachgeben konnte. Er spürte, dass Andrah lächelte.
»Du hast nichts von einem alten Mann, Geliebter«, schnurrte sie ihm ins Ohr.
Jetzt musste er lachen. Nach einem schnellen Kuss schob er sie von sich. »Wir lassen die anderen besser nicht warten.«
In weitem Bogen umrundeten sie die Brombeerlichtung. Wie verabredet warteten seine Neffen an dem alten Haselnussstrauch. Mit einem knappen Nicken begrüßten sie sich. Im letzten Schein der Sonne näherten sie sich dem Versammlungsplatz. Bald schon wehte ihnen der Duft von gebratenem Fleisch und Brot entgegen. Dann vernahmen sie leises Gemurmel.
Als sie schließlich aus dem Gebüsch traten, traute Londo seinen Augen nicht. Die Lichtung war voller Krieger. Männer und Frauen saßen um mehrere Feuer. Nun erhoben sich alle, riefen ihnen Grüße zu und scharten sich um Londo.
Andrah blieb dicht hinter ihm. »Alle sehen in dir den Anführer«, flüsterte sie und er fühlte, dass sie recht hatte.
Er, Londo, ein einfacher Krieger der Stadtwache der Silbernen Burg sollte die Widerstandsgruppe anführen? Kurz überkam ihn Schwindel, aber er fasste sich rasch.
»Wie ich sehe, gibt es doch noch einige unter uns, die einen Feind erkennen«, begann er.
Von allen Seiten kamen zustimmende Rufe. »Aye.«, »Wir kämpfen ehrenhaft!«, »Nieder mit der Schlangenbrut!«
Als er den Arm hob, schwiegen die Krieger. »Sollte einer unter euch sein, der glaubt, er könnte diesen Haufen besser führen als ich – nur zu, der soll sich melden. Bin wirklich nicht scharf drauf.«
Langsam drehte er sich im Kreis. Seinem Blick begegneten nur offene Gesichter. Einige Kameraden wirkten neugierig, andere wiederum müde. Doch niemand begehrte auf.
In das Schweigen hinein tönten leise Geräusche. Alarmiert sahen viele hoch. Die meisten legten die Hand auf den Schwertknauf. Jemand schlich hinter den Büschen auf die Lichtung zu.
Im nächsten Moment trat Brahma hervor. Londo atmete auf.
Der Hüne hielt eine Standarte, auf der, wenig kunstvoll und doch gut erkennbar, ein Marder sein Gebiss fletschte und in ein Schwert biss. Allenthalben wurde Gemurmel laut, als er sich durch die Menge schob.
»Wir sind die Marder!«, erklärte er und reichte Londo die Standarte. »Hier! Hab mit ein paar Männern drüber nachgedacht. Wir brauchen einen Namen. Marder fressen Schlangen, hab’s selbst gesehen. Die Viecher haben ein gutes Gebiss und kämpfen nicht schlecht. Was sagst du dazu?«
Wieder richteten sich alle Augen auf Londo. Für einen Moment zögerte er. Passte das zu ihnen? Schließlich nahm er die Standarte entgegen. »Wenn keiner Einwände hat, bleibt es dabei. Wir sind die Marder! Die Schlangenköpfe sollen sich in Acht nehmen. Wir holen uns unser Land zurück!«
Die Lichtung hallte von Beifall und zustimmenden Rufen.
»Eine Sache noch!« Der Jubel ebbte ab. »Wir haben Nachricht von Esmanté und dem Hohen Lord.« Sofort wurde ihm ungeteilte Aufmerksamkeit zuteil.
»Geht es ihnen gut?«, rief Idena, eine Kämpferin, die eng mit Mira befreundet war.
Er atmete tief ein. »Soweit wir wissen, haben sie Men Dûr zurückerobert und sind zurzeit damit beschäftigt, die Arsuri aus ihrem Wald zu verjagen.«
»Ja, Scathach liebt uns!«, »So kämpft man!«
Ihm war sehr wohl bewusst, dass Idena ihn nicht aus den Augen ließ.
»Wie hoch waren die Verluste?«, fragte ein Krieger.
»Das wissen wir nicht genau. Valdarks Bote ist nicht sehr zuverlässig«, erwiderte er. Dann holte er noch einmal tief Luft und fügte hinzu: »Eines steht fest – Mira ist im Kampf gefallen.«
Idena senkte den Kopf, Tränen liefen über ihre Wangen. Es hagelte Flüche und Beschimpfungen. Er ließ die Leute eine Weile gewähren. Sie mussten ihrer Trauer und ihrem Zorn Luft machen.
»Das ist ein Grund mehr für uns, in diesem Kampf zusammenzustehen«, erklärte er nach einer Weile. »Wir müssen jetzt handeln, bevor die Arsuri noch mächtiger werden.«
Allenthalben erntete er Zustimmung. Er und Andrah setzten sich nacheinander an jedes Feuer. Viele berichteten von ihren eigenen Erfahrungen. Eines wurde immer deutlicher: Anhänger und Spione der Arsuri lauerten überall. Die Händler machten mit den Devotionalien gute Geschäfte und waren den Schlangenanbetern gegenüber sehr aufgeschlossen. Manch einer war bereits angesprochen worden, das spezielle Training der Kampfmagier zu besuchen.
»Mein Cousin, der fette Sack, hat ihr Angebot angenommen«, erzählte einer. »War für ein paar Wochen verschwunden, kam zurück und sah aus, als hätte er sein ganzes Leben lang nichts anderes getan, als zu trainieren. Kämpft jetzt so gut, dass ich Mühe habe, das Training mit ihm durchzustehen.« Der Mann spuckte auf den Boden.
Ein Gefühl der Mutlosigkeit überkam Londo. Er wusste genau, woher die Kräfte der Arsuri rührten. Wie sollten sie dagegen bestehen?
Wie sehr hätte Kyla gerade heute ihren alten Meister gebraucht. Seinen Tod hast du ganz allein verschuldet, dachte sie voller Bitterkeit. Natürlich hatte Cathal in umgebracht, aber sie hatte vorgeschlagen, die Arsuri um Hilfe zu bitten.
Unwillkürlich blieb sie stehen und rang nach Atem. In ihrer Überheblichkeit hatte sie tatsächlich geglaubt, den Magiern überlegen zu sein. Welch eine Fehleinschätzung! Noch heute schauderte sie, wenn sie daran dachte, mit welcher Leichtigkeit Cathal die Fallen in der Sonnenbrücke überwunden und sodann seinen Dämon in die improvisierte Scheibe eingesetzt hatte. Nichts konnte sie ihm entgegensetzen. Welch eine Schmach!
Seitdem liefen die Dinge für sie schlecht. Für die Stadt Nisz allerdings nicht, das musste sie zähneknirschend zugeben. Der Jadebogen hielt zuverlässig. Die einfachen Morinji gingen ungehindert ihrer Arbeit nach. Der Kult um die neue Göttin fand ihre Anhänger, aber es störte das öffentliche Leben nicht. Die Angehörigen einer Kaste allerdings litten zunehmend unter den Arsuri, für den Fall, dass sie sich dem Orden nicht anschlossen: die Zauberer. Nach und nach hatte Dorrell auch dort ihren Einflussbereich erweitert.
Nun hatte man Kyla zu einem Treffen aufgefordert, nicht gebeten oder geladen. Eine bodenlose Frechheit! Sie, Kyla de Kolar, Hochmagierin von Nisz, Vorsteherin der Zaubererkaste, wurde zu einem inoffiziellen Treffen gerufen wie jeder x-beliebige Zauberer. Wieder blieb sie stehen und rang nach Atem. Der Angriff von Dorrells Dämon lag so lange zurück. Trotzdem fühlte sie sich immer noch schwach und kränklich.
Der Gedanke an den Dämon in Schlangengestalt verursachte ihr Übelkeit. Ein Stich durchzuckte ihr Herz, als sie sich daran erinnerte, wie selbstlos Loglard ihr geholfen hatte und wie seine Gefährtin, selbst keine Magierin, gegen die Schattenarmee gekämpft hatte. Ohne diese beiden wäre sie nicht mehr am Leben. Es fühlte sich an, als läge dies alles Jahrzehnte zurück.
Es bringt nichts, in der Vergangenheit zu verweilen, entschied sie, straffte sich und ging weiter. Das knöchellange, seidenweiche weiße Gewand raschelte leise um ihre Beine. Einige neugierige Blicke trafen sie, denn natürlich kannte jeder Morinji die Hochmagierin. Reiß dich zusammen!, befahl sie sich stumm. Ein verstohlenes Zeichen, ausgeführt nur mit Daumen und Ringfinger der linken Hand. Schon spürte sie, wie sich in ihrem Körper Ruhe und Gelassenheit ausbreiteten.
Es machte keinen Sinn, völlig aufgelöst vor die Zauberer zu treten. Mittlerweile gab es nicht nur einen, der sie nur zu gern in ihrem Amt ablösen würde. Wie sich die Zeiten geändert hatten! Als Uisdèan noch lebte, hatte niemand gewagt, sich seiner Autorität zu widersetzen. Heutzutage machten Zauberer wie Meisterin Weara keinen Hehl daraus, wie sehr sie sich für Creydillads Lehren und die magische Macht der Arsuri interessierten.
Seufzend folgte Kyla dem schmalen Hauptweg, der sich hangaufwärts durch das Zaubererviertel zog. Der Kettenturm, Hauptquartier der Morinji-Magier, war ihr Ziel.
Das kreisrunde, fensterlose Gebäude überragte sogar die mehrstöckigen Häuser, die sich links und rechts an die türkis leuchtenden Grabenwände schmiegten. Die Dunkelheit setzte ein und die Glyphen, die sich in nicht enden wollenden komplizierten Mustern über den Turm zogen, glühten kurz rot auf. Einer der Zauberer-Meister hatte den magischen Schutz für die Nacht aktiviert.
Während sie noch darüber nachsann, warum die Einladung von Meisterin Weara ausgesprochen worden war und nicht von Meister Larock, Kylas Stellvertreter, betrat sie eine durchsichtige, in Pastelltönen schimmernde Brücke. Unwillkürlich blieb sie auf der höchsten Stelle der Brücke stehen, lehnte sich über die Brüstung und genoss das Schauspiel.
Sie fühlte sich in ihre Jugend zurückversetzt. Unter ihr lag einer der kleinen Parks der Stadt, der intensive Duft von Jasmin kitzelte sie in der Nase. In den Zweigen einiger Sträucher hingen farbige Lampions. Eine Melodie drang herauf, eine Gruppe jugendliche Musikanten gab ein paar Stücke zum Besten. Nicht wenige Zuhörer hatten sich eingefunden, zumeist jüngere Morinji. Sie tranken, naschten Süßes und genossen die Musik.
»Eine wundervolle Stadt, findet Ihr nicht auch?«
Kyla fuhr hoch und – runzelte die Stirn. Neben ihr stand Dorrell und betrachtete ebenfalls das Spektakel.
»Was macht Ihr hier?«, stieß sie hervor. Bei allen Nornen! Ihr hitziges Temperament würde sie womöglich wieder einmal in Schwierigkeiten bringen.
Doch die Herrscherin über Nisz schmunzelte nur.
»Wir sind zu dem Treffen der Zauberer geladen«, ertönte eine männliche Stimme.
Hinter Dorrell trat Niall hervor. Kylas ehemaliger Schüler hatte es vorgezogen, seine Ausbildung bei den Arsuri zu vollenden.
»Ja, wir sollten weitergehen«, flötete Dorrell. »Wir wollen doch nicht zu spät kommen. Es könnte ein interessanter Abend werden. Bis später, verehrte Hochmagierin.«
Damit drehte sie sich weg. Der leichte Umhang bauschte sich für einen Moment um ihre Beine. Niall folgte ihr auf dem Fuß, ohne seine frühere Meisterin auch nur eines Blickes zu würdigen.
Zornbebend lief Kyla hinter ihnen her. Was heckte Dorrell nun wieder aus? Sie beeilte sich, mit der Komtur Schritt zu halten. So erreichten sie beinahe gleichzeitig den Eingang zum Kettenturm, wobei Eingang wohl nicht das richtige Wort war. Vor ihnen ragte der fensterlose Turm in den dunklen Himmel.
»Soll ich die Tür für euch öffnen?«, fragte Kyla, wobei sie ihre Stimme nur mit Mühe ruhig hielt.
»Nein danke, Niall beherrscht das fehlerlos«, gab Dorrell zurück und fuhr dem jungen Mann über den Kopf.
Kyla traute ihren Augen nicht. Sollte diese von Muränen abstammende Hexe die Grenze überschritten haben, die von jeher Lehrer und Schüler trennte? Das würde sie zur Sprache bringen.
Niall lächelte schüchtern, dann trat er vor. Die Statue des großen Easar überragte sie alle um das Doppelte. Niall reichte ihr gerade bis zu den Knien. Der Künstler hatte den Gott der Magier sehr lebensecht geschaffen. Die Zehen sahen aus, als würden sie sich im nächsten Moment bewegen. Über einem Knie lag ein Stoffwurf, so als hätte Easar vor einem Augenblick den Stoff gerafft. Die Muskeln, besonders an den Armen, waren gekonnt herausgearbeitet.
Aus irgendeinem Grund hatten ihre Vorfahren in Easar von jeher einen kriegerischen Gott gesehen. Obwohl er scheinbar entspannt auf seinem riesigen Marmorthron saß, hielt er den Speer drohend auf die Besucher gerichtet. Mit der linken Hand hingegen presste er einen beachtlichen Folianten an sich.
Genau danach griff Niall nun. Nur einen Wimpernschlag, bevor seine Hand das steinerne Buch berührte, sagte er: »Fin~Val levr!« Dann berührte er den Folianten. Eine Sekunde später duckte er sich. Die steinerne Gestalt beugte sich, der Speer stieß nach vorne. »War~lerc!«, deklamierte Niall in der richtigen Tonlage. »Di~gerin chadenn!«
Knirschend rückte die Figur wieder an ihren angestammten Platz. Nun kam der gesamte Thron in Bewegung, öffnete einen Durchgang, aus dem verbrauchte Luft strömte. Mit einer Handbewegung deutete Kyla an, dass Dorrell vorausgehen sollte.
Auch wenn man es von außen nicht vermutete, so waren die Gänge des Kettenturmes hell erleuchtet. Fackeln wurden nicht gebraucht, denn magische Laternen schwebten im Treppenhaus. Auch an den Wänden waren in regelmäßigen Abständen Lichter in die Wand eingelassen.
Einige Zauberer begegneten ihnen, neugierig musterten sie den seltenen Besuch. Sobald sie Kylas eisigen Gesichtsausdruck bemerkten, verschwanden sie wortlos, als wären sie sehr beschäftigt.
Im dritten Stock befand sich ihr privater Raum, den sie jetzt schleunigst ansteuerte. Ihr schwante nichts Gutes, als sie die Tür öffnete und Magierin Weara sich erhob.
»Was habt Ihr in meinen Räumen zu schaffen?«, herrschte Kyla sie an.
»Wir sollten uns zuerst setzen«, mischte sich Dorrell ein, die zusammen mit Niall zu ihr getreten war.
Die Stimme der Arsuri klang überraschend sanft. Mit einem huldvollen Lächeln und einer etwas theatralischen Geste ließ sie sich auf einen der Stühle vor Kylas Schreibtisch gleiten. Weara und Niall nahmen auf den Stühlen neben ihr Platz. Kyla schnaubte unwillig, setzte sich jedoch hinter ihren Schreibtisch. Wie gut, dass sie den Tisch und die geheimen Schubladen gegen unbefugten Zugriff magisch gesichert hatte.
Es klopfte und Larock betrat den Raum. Kyla kannte ihren Stellvertreter, den sie für außerordentlich fähig hielt, schon lange. Der alte Mann liebte die Magie, hatte bereits zwei Bücher über die Theorien des alten Meisters Polet geschrieben, war offen und liebenswürdig. Sie bemerkte sofort, wie nervös er war. Ein trauriger Ausdruck lag auf seinem Gesicht, als er den Anwesenden kurz zunickte und sich auf die Bank neben ihrem Schreibtisch setzte.
»Warum zitiert Ihr uns mitten in der Nacht hierher, Weara?« Ihren Ärger zu verbergen, versuchte sie erst gar nicht. »Sind wir vollzählig?«
In einer fließenden, eleganten Bewegung erhob sich Weara. »Mir ist neulich zu Ohren gekommen, dass sich die Vorsteher der Zaubererkaste weigern, unsere Art der Magie zu unterrichten«, erklärte sie ohne Umschweife.
»Es ist Blutmagie!« Larock sprang auf. Seine Wangen waren gerötet, als er nun mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Dorrell deutete. »Wir sind friedliche Zauberer. Für uns muss kein Geschöpf sterben. Was wir erstreben, erreichen wir aus eigener Kraft. Der große Easar wird über uns kommen, wenn wir von diesem Pfad abweichen. Schande! Schande über uns und Schande über Euch!« Keuchend stützte er sich an dem Schreibtisch ab und rang nach Atem.
»Da seht Ihr es, Komtur.« Wearas Stimme klang gelangweilt. Sie trat vor, ihre grauen Augen lagen mitleidlos auf dem Magier. »Ihr seid zu alt, Larock, um die Zeichen der Zeit richtig zu deuten. Wir sind umgeben von Feinden. Habt Ihr schon einmal daran gedacht, dass Easar selbst uns die Arsuri gesandt haben könnte? Sie sind die perfekte Antwort auf unsere Gebete. Hat der Jadebogen auch nur einmal geflackert, seitdem Marschall Cathal sein eigenes magisches Tier geopfert hat, um uns zu schützen?«
Sie schüttelte leicht den Kopf. Die glatten weißblonden Haare wippten mit.
»Und ja, ich habe es schon tausendmal gesagt. Beim letzten Angriff konnten wir die Fonoren gerade so zurückdrängen. Wer garantiert uns, dass wir das auch in Zukunft schaffen? Öffnet Eure Augen und seht, wen uns Easar in seiner großen Weisheit gesandt hat. Oberst Tork, ein sehr fähiger Anführer, der sowohl die Ramzs als auch die Kampfmagier befehligt. Habt Ihr jemals in Eurem Leben etwas so grandios Gefährliches gesehen wie diese Riesen? Davon, etwas Derartiges zu erschaffen, könnt Ihr nur träumen. Euch geht es nur um Theorien, um die perfekte Art, Glyphen zu zeichnen. Ihr seid gefangen in Eurem Turm, von der Realität habt Ihr keine Ahnung.« Pure Verachtung troff von ihren Lippen.
Larock starrte sie an, unfähig, auch nur ein Wort zu sagen. Kyla wurde den Verdacht nicht los, dass Gespräche dieser Art bereits mehrfach geführt worden waren – ohne sie. »Warum weiß ich nichts von dieser Diskussion?«, zischte sie.
Immerhin zuckte Weara angesichts ihres eisigen Tons zusammen. Aber sie fing sich schnell wieder.
»Eure Anweisungen waren klar, verehrte Hochmeisterin. Kein Morinji-Zauberer darf sich mit den Lehren Creydillads beschäftigen. Doch ich gebe offen zu, dass mich Meister Cathals Fähigkeiten von Anfang an faszinierten. Einigen anderen Zauberern erging es ähnlich. Also hörten wir Meister Cathal zu. Larock erfuhr davon und stellte uns zur Rede. Er hat Euch nichts gesagt, weil er auf Eure angeschlagene Gesundheit Rücksicht nehmen wollte. Anfangs waren wir nur ein kleiner Kreis Eingeweihter.« Weara lächelte Dorrell an. »Nun gibt es von Tag zu Tag mehr Zauberer, die sich die Magie der Arsuri zumindest einmal ansehen wollen. Nur dieser Sturkopf behindert uns.« Anklagend deutete sie auf Larock.
»Das ist unser Untergang«, wisperte der. Als wäre er geschlagen worden, schlich er zu seinem Platz und sank darauf nieder.
»Interessant! Findet Ihr nicht auch, werte Meisterin?«, mischte sich nun Dorrell mit heiterer Stimme ein. »Eine Revolte in Eurem eigenen Haus und Ihr erfahrt es erst, wenn das Schwert auf Euch niedersaust.« Dieser Gedanke schien ihr zu gefallen, ihre Lippen hoben sich. »Nach Eurer Meinung, werte Kyla, muss ich nicht fragen«, fuhr sie fort. »Ich weiß, Ihr stimmt mit Larock überein. Aber lasst Euch gesagt sein, dass Ihr ziemlich alleine dasteht. Die meisten Magier erkennen, wie sehr ihnen der neue Weg dabei behilflich sein kann, all die Gefahren zu beseitigen, die euch in dieser wunderschönen Stadt drohen. Bedenkt, ihr seid allein in dem eisig kalten Nordmeer. Bisher hat euch der Jadebogen vor allem beschützt. Aber seid gewiss, es leben gefährliche Wesen in der Tiefe des Meeres. Seid ihr wirklich darauf vorbereitet?«
Als sie nun die Lippen schürzte und einen funkelnden Blick in die Runde warf, wappnete sich Kyla auf das, was kommen würde.
»Ab sofort ist Meisterin Weara Eure rechte Hand, also Eure Stellvertreterin«, fuhr Dorrell im Plauderton fort. »So werden wir es jedenfalls verkünden. Um ehrlich zu sein, möchte ich Euch nicht öffentlich absetzen. Das würde die Leute womöglich beunruhigen. Von heute an werdet Ihr jede Entscheidung mit Meisterin Weara absprechen. Ab morgen steht die Vermittlung unserer Kunst fest auf dem Lehrplan. Jeder, ob Schüler oder Meister, der sich gründlicher damit befassen will, kann sich an Magierin Weara wenden.«
Kyla hatte das Gefühl, als würde der Boden unter ihren Füßen weggerissen. Die Wände des Raumes, ihres Raumes, tanzten. Sie umklammerte die Stuhllehne.
»Das Königspaar werde ich selbst informieren. Bemüht Euch nicht!«, fügte Dorrell hinzu. »In Zukunft ist Eure Anwesenheit nur noch bei formellen Angelegenheiten erforderlich. Meisterin Weara wird sich um alles kümmern.« Sie klatschte in die Hände. »Ein Letztes noch: Solltet Ihr erwägen, Nisz zu verlassen, würden wir das als Frevel gegenüber der Göttin ansehen. Sicher wollt Ihr Euch nicht Creydillads Zorn zuziehen. Im Übrigen werden die Ausgänge überwacht.«
Kyla rang nach Worten. Es schien jedoch, als säße ein unsichtbarer Alb auf ihrer Brust. Das musste ein schlechter Traum sein. Diese glattzüngige, grünäugige Schlange hatte sie gerade abgesetzt – hier, in ihren eigenen Räumen! Ihr Pulsschlag dröhnte in den Ohren. Es war so, als hätte Dorrell ihr eigenhändig ins Gesicht geschlagen. Welche Schmach! Und sie schaffte es nicht, sich zu wehren.
»Genießt das Leben in dieser wundervollen Stadt, Hochmagierin!« Dorrells Stimme klang spöttisch. »Jenseits des Jadebogens warten nur Feinde auf Euch.«
»Sind wir Eure Gefangenen?«, fuhr Larock hoch. »Das lasse ich nicht zu! Zeit meines Lebens werde ich vor diesem Irrweg warnen. Ihr führt unser Volk in den Untergang. Ihr müsst mich töten ...«
Er griff sich an die Brust und keuchte auf. Wie ein Fisch auf dem Trockenen schnappte er nach Luft, bevor er zu Boden sank.
»Was tut Ihr?«, schrie Kyla. Mit einem Satz hechtete sie zu ihm.
»Nichts, meine Liebe. Hätte ich eingegriffen, müsste er nicht so leiden.« Wie aus weiter Ferne drangen Dorrells Worte an ihr Ohr.
Dies hatte sie schon einmal erlebt, zuerst Uisdèan, jetzt Larock. »Ruhig, atmet ruhig, Meister Larock!« Sie bettete seinen Kopf auf ihrem Schoß. »Hört auf!«, befahl sie, an Dorrell und Weara gewandt.
»Bleibt standhaft!« Larocks Finger krallten sich in Kylas Bluse. »Weicht nicht zurück!«
»Noch ist es nicht so weit.« Dorrell gab Weara ein knappes Zeichen.
Einen Augenblick später atmete Larock leichter, seine Augenlider flatterten.
»Holt die Heiler!«, rief Kyla.
Weder Weara noch Niall rührten sich von der Stelle.
»Was seid Ihr für Monster?«, schluchzte sie und strich über Larocks Hand.
Leicht erwiderte er den Druck, doch seine Augen blieben geschlossen.
»Wenn Ihr mich entschuldigen wollt, auf mich warten weitere Aufgaben.« Ohne den bewusstlosen Mann eines weiteren Blickes zu würdigen, verließ Dorrell den Raum.
Kyla sah zu Niall auf, der gerade an ihr vorbeiging. »Begreifst du nicht, welch schrecklichen Fehler du begehst?«
»Seht Euch an!«, erwiderte ihr ehemaliger Schüler, die Lippen verächtlich nach unten gezogen. »Wie Meisterin Weara sagte: Ihr erkennt die Zeichen der Zeit nicht und steht dem Fortschritt im Wege. Gehabt Euch wohl.«
In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass Niall kein Schüler mehr war und seine Entscheidung ein für alle Mal getroffen hatte.
»Wir sehen uns morgen«, sagte Weara. »Besser, Ihr haltet Euch an die Abmachung. Um Euch meinen guten Willen zu zeigen, werde ich jetzt die Heiler herbeirufen. Meister Larock wird bald wieder der Alte sein. Lasst es Euch eine Warnung sein, unterschätzt mich nicht.«
Kylas Kopf schnellte nach oben. Ihr Blick fing sich in kalten Augen. Nur einen Atemzug später verließ Weara den Raum. Tiefe Verzweiflung schlug wie eine Welle über ihr zusammen. Was hatte sie den Morinji nur angetan?
Wenig später erschienen zwei Heiler und kümmerten sich um Larock. Sie begleitete die Männer in die Heilstube. Erst als der Trank wirkte, kehrte sie in ihren Raum zurück.