3,99 €
Vade retro satana - Werwölfe, Menschen, Vampire Wenn deine Stadt in Gefahr ist Wenn die Grenzen zwischen Freund und Feind verschwimmen Wenn dein Vertrauen missbraucht wird Ist deine Liebe stark genug? Endlich hat Rebecca als Vertraute im Clan Fuß gefasst. Nichts kann ihr Glück mit Jack trüben. Da überschlagen sich die Ereignisse. Grauenvolle Morde passieren. Bald wird klar: Ein mächtiger Feind ist erwacht und sinnt auf Rache. Im Kampf gegen diese übermächtige Bedrohung verwischen die Grenzen. Wer ist Freund und wer ist Feind? Wieder einmal spürt Rebecca, dass ihr bei all dem eine zentrale Rolle zukommt. Alles ist offen … CityWolf III bildet den atemberaubenden Abschluss der ersten Urban-Fantasy-Reihe aus Passau.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2023
CityWolf III
Vade retro satana
Ein Roman von Judith M. Brivulet
Copyright © 2022 Judith M. Brivulet
www.brivulet.com
1. Auflage
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme, des Nachdrucks in Zeitungen und Zeitschriften, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung und Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- und Bildteile sowie der Übersetzung in andere Sprachen.
Alle in diesem Roman vorkommenden Personen, Schauplätze, Ereignisse und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder realen Ereignissen sind rein zufällig.
Lektorat: Carolin Olivares
www.olivares-canas.com
Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss
www.juliane-schneeweiss.de
Grafiken © Depositphotos.com/joachimopelka, w20er, premiumdesign Frau © Shutterstock.com/Rido
Impressum:
Impressumsservice:
Fa. bachinger software
Am Wimhof 20
94034 Passau
www.bachinger-software.de
1. Prolog: Bürgeraufstand
Passau, September, Anno Domini 1368
Die Stimmung kippte. Er sah sich um. Durch den Bier- und Schweißdunst der Kneipe Zum Felsen bemerkte er feindselige Blicke. Rasch trank er aus. Trat hinaus. Wieder einmal stieg der Nebel aus Donau und Inn, verdichtete sich hier in der Altstadt zu einer zähen Suppe. Nach allen Seiten sichernd eilte er durch die dunklen Gassen von Passau. Mit all seinen Sinnen versuchte André, das bleierne Grau vor ihm zu durchdringen. Schlafende Menschen, viel Blut, seine Mundwinkel zitterten. Gern hätte er sich jetzt gestärkt - wie es ihm zustand als Herrn von Passau. Sollte er untertauchen müssen, wäre eine Wegzehrung nicht schlecht. Aber sein Instinkt warnte ihn. Warum nahm ihn keiner mehr auf? Fast jede Vampirfamilie in der Stadt gab ihm die Schuld für die Toten bei der Schlacht von Erlau.
Alle wussten, dass der Fürstbischof, der Scarletts Vertrauen genoss, mit der Hellebarde fast genau so gut umgehen konnte wie mit dem Bischofsstab. André hatte gehofft, wenn er Obernzell und Untergriesbach schleifte, würde der feine Herr Bischof die Sicherheit von Oberhaus aufgeben. Doch der Hundsfott hatte geduldig auf die Verstärkung aus Österreich gewartet. Erst als er eine bequeme Übermacht um sich geschart hatte, war es zu jener Schlacht an der Erlau gekommen.
In der Zwischenzeit hatte ihm, André, dem Vampir, für einige kurze süße Wochen Passau gehört – mit all seinen Bewohnern. Natürlich hatten er und seine Gefolgsleute das zu schätzen gewusst. Doch nun rückten sie von ihm ab. Tuschelten hinter seinem Rücken. Machten ihn sogar dafür verantwortlich, dass die Gefallenen nicht in geweihter Erde begraben worden waren! Bis Wien war André gereist, um die Unterstützung der österreichischen Herzöge zu gewinnen. Doch es war keine Einigung zustande gekommen. Das war nun wirklich nicht seine Schuld. Vor Ärger knirschte er mit den Zähnen.
Mit einem Mal hielt er inne. Irgendetwas bewegte sich vor ihm. Er lauschte. Ein Windstoß hob den Nebel. Silber blinkte im Schein der wenigen Fackeln. Waren sie wirklich so verrückt, ihn fangen zu wollen? Ihn, André Halder, einen Urvampir! Wie konnten sie nur so dumm sein? Als er lachte, hallte das Geräusch von den Wänden der engen Gasse wider, nur um auf gespenstische Weise vom Nebel verschluckt zu werden.
»Deine Zeit ist vorbei, André!« Eine hochgewachsene, schlanke Gestalt in teurem Gewand trat aus dem Nebel, begleitet von zwei muskulösen Werwölfen.
»Ihr habt Mut, Dame Scarlett.« Mit eleganter Geste zog er das Schwert. »Joseph, geh mir aus dem Weg. Dann wird deiner Mutter nichts passieren.«
Der Tag, an dem er sich drei Werwölfen ergab, unter ihnen eine Frau, musste erst noch kommen. Dieser Tag war nicht heute. Einer der Männer grinste, was eher nach einem Fletschen aussah.
Gerade hob Joseph an, etwas zu erwidern, da ertönte eine männliche Stimme: »Sie ist nicht allein!«
André wirbelte herum. Mehrere bewaffnete Männer, gekleidet wie Bauern, stellten sich ihm in den Weg.
»Ihr dummen Tölpel wollt mich aufhalten?«, rief er. »Mich, den großen André Halder, den wahren Herrn von Passau!«
»Du bist nicht der Herr von Passau.« Joseph sprang vor, der zweite Begleiter von Scarlett folgte.
Ein unbeteiligter Zuschauer hätte sich wohl voll Grauen abgewandt, denn die Bauern verwandelten sich in riesige Fledermäuse und flatterten hoch.
André fluchte, denn nun war es ihm nicht mehr möglich, selbst in die Luft zu steigen. Voller Grimm packte er das Schwert. Wenn sie es so wollten, würden heute viele sterben. Sein Blut geriet in Wallung, sein Blick fokussierte sich. Schon hieb er in unbändiger Wut auf den Nächststehenden ein. Als die Kampflust ihn übermannte, färbte sich die nebelgetränkte Luft für seine Augen rot. Angriff, parieren, zur Seite springen, Hieb, Schritt - beinahe war ihm, als würde er tanzen.
Trotz des Kampfrausches bemerkte er, wie groß die Anzahl der Kämpfer war. Hatten sich alle Vampire der Stadt gegen ihn verschworen? Als ein Hieb ihn traf, ächzte er auf. Gierig fraß sich das Schwertblatt in seinen Körper, überzog ihn mit grellem Schmerz. Er wusste, dass es mit Werwolfblut bestrichen war – mit Wölfinnenblut! Diese hirnlosen Bastarde! Er würde ihnen zeigen, wozu ein Urvampir fähig war.
Tief atmend konzentrierte er sich darauf, dem Schmerz Herr zu werden. Für all das würden mehrere Menschen heute ihr Blut geben - das schwor er sich. Dann lächelte er dünn. Denn in diesem Moment bogen seine beiden Leibwächter ums Eck. Egal, wie viele Vampire und Werwölfe sich ihnen in den Weg stellten - zu dritt trotzten sie jedem Gegner.
Zwei Männer forderten ihn heraus. Nur aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass fünf Wölfe sich zusammen mit zwei Vampiren auf Friedrich und Peter stürzten. Da! War etwa einer seiner Männer gefallen? Ungläubig starrte André für einen winzigen Augenblick dorthin, war abgelenkt, da bohrte sich wieder ein Schwert in seine Seite. Rasend vor Zorn brüllte er seinen Schmerz in den Nachthimmel, seine Knie knickten ein. Fieberhaft versuchte er, sich zu wandeln, doch etwas stimmte nicht.
In diesem Moment rissen klobige, raue Hände seine Arme nach hinten. Scheppernd fiel sein Schwert zu Boden. Eine Frau stand vor ihm, ununterbrochen Beschwörungen murmelnd. Jetzt verstand er, warum er sich nicht verwandeln konnte. Sogar eine Hexe war an dieser Verschwörung beteiligt. Unter Qualen japste er nach Luft.
Scarlett trat vor ihn. »Ich will dich nie mehr wieder in meiner Stadt sehen«, knurrte sie und stieß zu.
Grellroter Schmerz fuhr durch seine Knochen, eine unendliche Pein folterte ihn. Unbarmherzig stach sie wieder zu. Noch nie hatte er solches erdulden müssen. Wenig später fühlte er seine Beine nicht mehr. Kälte fraß sich durch seine Eingeweide. Vor seinen Augen wurde es schwarz.
Ein brutaler Schlag gegen die Schulter weckte ihn. Sofort überfielen ihn wieder quälende Schmerzen. Blinzelnd sah er sich um. Eisblaue Augen über ihm sprühten unverhohlen Hass. Sein Blick wanderte weiter: Engel, Teufelsfratzen, kahle Wände. Kälte. Die Kirche, die uralte Kirche der Innstadt! Geweihte Erde! Panik stieg in ihm auf. Er wollte schreien, doch durch den groben Stofffetzen, getränkt in Eisenkraut, drang nur unverständliches Gurgeln. Angsterfüllt riss er an den Fesseln, eiserne Handschellen bohrten sich tief in sein Fleisch, erlaubten keine Bewegung.
Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte er, wie sich die männlichen Mitglieder der angesehensten Vampirfamilien Passaus vor ihm postierten. Nacheinander rammten sie ihm einen Pflock in die Seite. Traten zurück. Beinahe wie in einem Theaterstück. Er glaubte, wahnsinnig zu werden. In diesem Moment wäre er sich nicht zu schade gewesen, um Gnade zu winseln. Er hätte gebettelt - auf Knien, wenn nötig. Doch er brachte keinen Ton hervor, war der Agonie hilflos ausgeliefert.
Nun schritt Bernard ohne erkennbare Regung an ihn heran, hob den Pflock und rammte ihn in seinen Bauch. Glutrote Wellen überrollten ihn. Zuletzt trat Scarlett zu ihm. Der Dolch, den sie in den Händen hielt, glänzte im Schein der Kerzen. Diese verfluchte Wölfin hatte ihn in eine Flüssigkeit getaucht. Jetzt fletschte sie die Zähne, ein Raubtiergebiss bildete sich. Er roch verschiedene Kräuter und etwas Metallisches, das er nicht zuordnen konnte. Neben der Wölfin stand die Hexe, die ihn verzaubert hatte. Ihm graute. Er fiepte.
»Schmor in der Hölle!«, knurrte Scarlett und rammte den Dolch direkt in sein Herz.
Die rasende Flamme der Pein überstieg jedes Vorstellungsvermögen. Trotz allem schlug sein Herz noch ein, zwei, drei Mal. Voller Grauen musste er mitansehen, wie sich der Sargdeckel über ihm schloss. Dann erst umgab ihn gnädige Finsternis und er spürte nichts mehr.
2. Honeymoon
»Wann kriege ich endlich mein Geschenk?« Quengelnd wie ein kleines Kind lief ich hinter Jack die Treppe hinunter.
»Ich habe dir schon gesagt, dass es eine Überraschung ist. Komm runter und du wirst es sehen.« Mein Wolf grinste über das ganze Gesicht.
Etwas stimmte ganz und gar nicht. Das spürte ich genau. Im Wohnzimmer war niemand, was an sich schon ungewöhnlich war. Von draußen klangen Gespräche und leises Lachen herein. Ich trat durch die Tür und staunte. Alle Clanmitglieder hatten sich versammelt, trotz der frühen Stunde. Tom schmunzelte, Stefan hielt sich die Hand vor den Mund. Phil, der in letzter Zeit sehr ernst gewesen war, verzog das blasse Gesicht. Ludwig lehnte gegen die Wand, Andrea im Arm. Sogar Sabrina kräuselte die Lippen.
Das erste Mal in diesem Jahr hatte es geschneit, nicht ungewöhnlich für Mitte November. Eine dünne weiße Schicht überzog den Boden. Der Wind frischte auf und erzeugte hier mitten im Wald ein tiefes Rauschen.
»Was soll das?«, entfuhr es mir. »Heute ist es echt kalt.« Weil der dünne Pulli nicht wärmte, schlang ich die Arme um mich.
»Komm!« Noch bevor er die letzte Stufe passiert hatte, wandelte Jack sich.
Stattlich stand mein Wolf vor mir. Cremefarben stach das Fell an den Läufen und am Bauch aus der Dunkelheit, ging nahtlos in blau-braunes Fell über, das Nacken und Widerrist bis hin zur langgestreckten Schnauze bedeckte. Am besten gefiel mir aber die weiße Einfärbung unter Schnauze und Brustbein. Kein Wolf sah besser aus! Aufmunternd bellte er kurz, sprang hoch und wirbelte feinen Schnee auf. Im nächsten Moment stand wieder Jack vor mir. Wie schnell er sich wandeln konnte! Wie unfair. Nicht einmal außer Puste war er.
»Wo ist mein Geschenk?«, beharrte ich. Immerhin hatte ich heute Geburtstag.
»Du liebst doch Spaß, Abenteuer, Überraschungen, oder?« Der gut getrimmte Bart um Kinn und Nase verzog sich, als er nun lächelte. Seine Augen sprühten. Was hatte er sich nur ausgedacht? Mir schwante nichts Gutes.
»In letzter Zeit war es doch so langweilig bei uns.« Er drehte sich im Kreis, die Arme erhoben. Das dünne dunkle T-Shirt betonte seine schlanke Taille.
Alle kicherten. Seit meiner Entführung waren nur wenige Monate vergangen.
Da geriet ich ins Stottern: »Ja … nein … ich hatte genug Abenteuer …«
»Ist egal. Komm!« Auffordernd hielt er mir die Hand hin. Zögernd ging ich die Treppe hinunter.
»Und?«
»Wir machen eine Schnitzeljagd.«
Die Wölfe bogen sich vor Lachen. Ich verstand rein gar nichts.
»Tom hat eine Spur gelegt. Immer wenn du sie findest, führt sie dich zu einer Überraschung«, erklärte Jack.
»Das ist nicht dein Ernst.« Missmutig trat ich auf der Stelle, steckte dann die Schuhspitze in den Schnee. »Es ist kalt.«
»Du wolltest doch Abenteuer - bitte, hier ist eines. Wenn du der Spur nicht folgen kannst, werden wir eine gemütliche Nacht im Wald verbringen. Und denk dran, ich hab den Rucksack nicht dabei.« Ja, Jack amüsierte sich prächtig. Vor Vergnügen sprühten seine blauen Augen Funken.
»Du gehst doch sonst nie ohne das hässliche Ungetüm«, murrte ich. »Bald wird es wieder schneien.« Anklagend zeigte ich in den Himmel.
»Pah, sei kein Baby! Los! Außerdem wird es Zeit, dass du wieder mehr läufst. Findet ihr nicht auch, dass sie zugelegt hat?«
Andrea tat, als sähe sie nach meinem Hintern. Sabrina kicherte, die Wölfe begutachteten intensiv die Bäume.
»Das nimmst du sofort zurück.« Wütend sprang ich auf ihn zu, doch er hatte sich bereits gewandelt und lief voraus. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als mich ebenfalls zu wandeln. Das Gelächter und die Ratschläge ignorierend folgte ich ihm.
Siehst du die Spur?, hörte ich nach Kurzem seine Stimme in meinem Gedanken.
Ja, natürlich, sieht ein Blinder mit dem Krückstock, erwiderte ich und knurrte. Schließlich hatten sich meine Wolfssinne in den letzten Wochen deutlich verbessert.
Uh, die Dame des Hauses ist aber heute schlecht gelaunt. Rasch zwickte er mich in die Flanke, bevor er zur Seite auswich.
Sogar in Gedanken spürte ich, wie sehr ihn die Sache erheiterte.
Du musst der Spur nur folgen, sie führt dich in ein luxuriöses Holzhaus. Prasselnder Kamin verbreitet angenehme Wärme und gutes Essen wartet auf dich.
Die Bilder, die er mir schickte, waren wirklich dazu angetan, meine Laune zu bessern.
Tom kocht jedes Mal frisch für dich und bringt es dorthin, versprach er noch.
Einen Moment dachte ich an Phil, der mich ermuntert hatte, mehr auf meine tierische Seite zu vertrauen. Dann überließ ich meiner Wölfin die Führung und trabte los. Wenigstens erkannte ich die Spur zwischenzeitlich ohne Probleme. Jack musste nicht mehr extra pusten, um die hellen Bläschen hochsteigen zu lassen. Wie ein silbernes Band wand sich die Spur zwischen den Bäumen hindurch.
Es roch nach Tofu-Geschnetzeltem und gegrilltem Gemüse in Olivenöl. Wann hatte er das alles zubereitet? Aufgeregt lief ich weiter. Ein neuer Geruch reizte meine Nase. Nur einen Augenblick später blieb ich stehen. Machte den Fehler, mit einem tiefen Atemzug zu wittern. Unwillkürlich heulte ich leise auf. Meine Nase brannte. Ich roch nichts mehr. Missmutig schüttelte ich mich, nieste ein paar Mal.
Jack stoppte ebenfalls, witterte. Fast glaubte ich, ein verräterisches Glitzern in seinen Augen zu sehen. Wieder musste ich niesen und wandelte mich. Der Wind zerrte an meiner Kleidung, ich schauderte.
»Was ist das?«
»Ich dachte, du bist so gut?« Lässig lehnte er am Stamm eines Baumes, verschränkte die Arme. Die Muskeln füllten das T-Shirt aus. Offensichtlich fror er nicht. Genießerisch ließ er seinen Blick über meine Gestalt gleiten.
»Ich rieche nichts mehr.« Frustriert scharrte ich mit den Füßen. »Meine Nase brennt.«
»In dieser Gestalt wirst du auch nichts riechen. Obwohl ich dich gerade in diesem Augenblick vernaschen möchte.« Er grinste übers ganze Gesicht.
Zu meiner Enttäuschung kam er jedoch nicht zu mir. Das durfte doch nicht wahr sein, er wollte mir nicht helfen. Einige Zeit stand ich so, durchbohrte meinen Gefährten mit Blicken, was ihn von Sekunde zu Sekunde mehr erheiterte. Sein T-Shirt bebte, so sehr lachte er.
»Keine Chance, mein Schatz. Entweder du schaffst es oder wir suchen uns eine kuschlige Höhle.«
Wie auf Kommando rieselten die ersten Schneeflocken vom Himmel und der Wind nahm zu. Widerwillig wandelte ich mich wieder, genoss das Gefühl, dem kalten Wetter nicht mehr schutzlos ausgeliefert zu sein.
Wie hatte Phil gesagt: »Lass sie laufen, gib ihr Zeit! Sie weiß, was zu tun ist.«
Vorsichtig trabte ich an, atmete flach, um nicht zu viel von dem ätzenden Zeug einzuatmen, hielt gerade so viel Abstand, dass mich der scharfe Geruch in der Nase nicht schmerzte. Ich lief quasi eine unsichtbare Linie entlang. Endlich begriff ich: Vor mir auf der Lichtung hatte jemand Cayennepfeffer gestreut. Nach und nach umrundete ich die Lichtung und traf auf einen Bach.
Jack war mir gefolgt. Er stupste mich an, sprang dann mit allen vieren in den Bach – obwohl Werwölfe doch gar kein Wasser mochten. Ein paar Mal tauchte er seinen Kopf in das sicherlich eiskalte Nass, bis er niesen musste. Dann übermittelte er mir das Gefühl, wieder problemlos atmen zu können.
Also eilte ich zu ihm, schaffte es gerade, mit den Vorderpfoten ins eiskalte Wasser zu steigen. Obwohl ich das Unbehagen meiner Wölfin deutlich spürte, zwang ich mich dazu, den Kopf einzutauchen. Sofort drang das eiskalte Nass in meine Nase. Ich atmete ein, ruckte hoch, musste niesen. Das Brennen ließ nach. Etwas beruhigter tauchte ich ein weiteres Mal unter, spülte die Nase frei. Anschließend schüttelte ich mich, Wasser perlte am Fell ab. Erleichtert stellte ich fest, dass das brennende Gefühl verschwunden war. Nach einigen Schritten drang endlich der verführerische Duft wieder in meine Nase und es war, als hätte es die Unterbrechung nie gegeben. Zufrieden lief ich weiter.
Ich wusste, du schaffst es, übermittelte mir Jack voller Stolz.
Als mir der Geruch von Feuer in die Nase stieg, blieb die Wölfin kurz stehen. Langsam pirschte sie sich näher. Eine dunkle Blockhütte hob sich vom weißen Wald ab. Der Duft verstärkte sich. Unwillkürlich heulte ich auf, Jack stimmte mit ein. Nur noch wenige Schritte und wir betraten als Menschen die Hütte.
Wie versprochen begrüßte uns ein prasselndes Kaminfeuer. Aus den Töpfen auf einem urtümlichen Holztisch roch es verführerisch. Außerdem gab es eine Kanne Chai-Tee mit Mandelmilch. Tom hatte wirklich an alles gedacht.
»Du warst schneller, als ich dachte.« Ich versank in einer tiefen Umarmung, kräftige Arme drückten mich an einen harten Bauch.
Sein Bart kitzelte mich, als er zu einem gewaltigen Kuss ansetzte. Die Wölfin schnurrte genüsslich, er stöhnte. Immer wieder war es unglaublich, wie sehr er auf meine Wölfin reagierte. Flugs hob er mich hoch, trug mich die wenigen Schritte zu einem großen Bett, warf mich darauf. Hochkonzentriert glitt sein Blick über meinen Körper. Sein Atem vertiefte sich. Mein Puls raste. Nun beugte er sich vor, ein Knie neben meiner Hüfte. Die Matratze ächzte unter seinem Gewicht. Bedächtig umfasste er meine Handgelenke und zog sie über meinen Kopf.
Das gab mir Gelegenheit, seinen muskulösen Oberkörper zu bewundern. Schon wurde mein Mund trocken, das Kribbeln in meinem Bauch weitete sich zu einem wahren Flächenbrand aus. Wissend lächelte er, seine Lippen streiften meine. Nur eine flüchtige Bewegung und doch keuchte ich auf. Ich wurde unruhig, wand mich unter der Berührung seiner Lippen, die jetzt an meinem Schlüsselbein knabberten. Seine Haare streichelten meinen Hals. Tief sog ich seinen Geruch ein. Die Wölfin in mir heulte auf, witterte den Gefährten und wollte sich ihm bedingungslos hingeben. Ein leises Knurren entrang sich Jacks Kehle. Er zwickte mich. Es tat nicht weh, zeigte nur, wie sehr auch sein Wolf mich begehrte.
»Zieh es aus«, verlangte er mit rauer Stimme. Er verlagerte sein Gewicht nach hinten, gab mir Raum, das Shirt und die Jeans abzustreifen. Auch er zog sein Shirt über den Kopf, ließ mir Zeit, das unglaubliche Spiel seiner Muskeln zu genießen.
Wie von selbst glitten meine Hände über seinen harten Oberkörper, neckten die Vertiefung seines Nabels. Er ließ es geschehen, schloss die Augen, genoss meine Berührungen. Dann senkte er sich zu mir herab. Seine Hände streichelten meine Brüste, seine Lippen legten sich auf die meinen, seine Zunge forderte vehement Einlass. Ich streichelte seinen festen Hintern, erschauerte, als ich den Beweis seiner Erregung hart auf mir fühlte. Leidenschaft flutete mich, ließ mich alles um uns herum vergessen.
»So, Frühstück ans Bett.« Mein Wolf balancierte ein Tablett. Unter dem Arm klemmte ein großes Buch.
Welch ein Anblick: Kräftige Beine in kurzen Shorts, freier Oberkörper mit perfekt gestalteten Muskeln und ein Sixpack, das in einer schmalen Taille endete.
»Wenn die Vertraute des Clans von Bayern mit Schauen fertig ist, könnte sie mir freundlicherweise das Buch abnehmen«, schmunzelte er.
»Hm.« Ich tat, als müsste ich nachdenken. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, lehnte ich mich zurück. Sein Grinsen vertiefte sich und ich war sicher, dass in seine Shorts Bewegung kam. »Mir gefällt es, wenn der Leitwolf wehrlos ist?«, erklärte ich.
»Wehrlos … also …« Die weichen hellblonden Härchen an seinen Armen stellten sich auf.
Mit einem lasziven Hüftschwung, den ich ihm niemals zugetraut hätte, kam er auf mich zu. Ich schlug die Decke zurück und krabbelte zu ihm. Das Bett war so himmlisch groß.
»Wenn du ganz lieb zu mir bist, nehme ich das Buch«, gurrte ich und setzte mich vor ihn.
»Ach, wirklich?« Immer noch das Tablett haltend, beugte er sich vor und küsste mich. »Reicht das?«
»Für den Anfang«, bestimmte ich und nahm das Buch.
Es war schwerer als gedacht. Jetzt erkannte ich es wieder. Zusammen mit anderen Wälzern stand es normalerweise im Schrank im Esszimmer des Clanhauses. Unvermittelt erinnerte ich mich an jenen ersten Abend dort. Stefan und Michael, die zockten; die riesige Küche und Jack, der im Kühlschrank nach etwas Vegetarischem zum Grillen suchte. Wie viel war seitdem passiert! Glücklich darüber, dass es uns jetzt so gut ging, kuschelte ich mich an ihn.
»So, hier bitte.« Mein Wolf verteilte Teller und Tassen.
Auf dem Tablett hatte Tom frisches Brot angerichtet, dazu Butter, Frühstückseier und Marmelade. Genüsslich strich Jack Butter auf ein exorbitantes Brot - die Schicht Marmelade war auch nicht von schlechten Eltern -, öffnete den Mund, um abzubeißen.
»Sieht toll aus.« Ich stibitzte das Brot und ließ es mir schmecken.
Seit der Verwandlung war mein Appetit um einiges größer geworden, was ich an den Jeans leider auch bemerkte.
»Ich sehe schon, das Leben im Clan tut meinem Schatz nicht gut. Richtig frech bist du geworden.«
Er biss ebenfalls von dem Brot ab und legte sich auf die Seite, weil er so bequem seine Hand auf meinem Bauch platzieren konnte. Zärtlich fuhr er über den dünnen Stoff, schon schlüpfte seine große Hand darunter, streichelte meinen Bauch.
»Oh, nein, nicht jetzt«, erklärte ich und hob die Teetasse. »Das Buch«, erinnerte ich ihn.
Seufzend setzte er sich auf. Wie ein kleines Kind, das eine Gutenachtgeschichte vorgelesen bekommt, klemmte ich mich zwischen seine Beine und lehnte mich an seine Brust.
»Damit hab auch ich angefangen.« Mit wichtiger Miene schlug er die ersten Seiten auf.
»Diesen Wälzer wollte ich mir schon bei unserer ersten Begegnung ansehen«, erinnerte ich mich.
Doch dann zuckte ich zusammen. Mit einer Gutenachtgeschichte hatte das Buch rein gar nichts gemein.
»Jep!«, bestätigte Jack meine Reaktion und schlürfte hörbar seinen Kaffee. »Konnte dir doch nicht gleich zu Anfang Curusus occidere vampirem, den Grundkurs über das Töten von Vampiren, zeigen.«
»Nein, wohl nicht.« Beklommen betrachtete ich die Zeichnungen, allesamt untertitelt in althochdeutscher Schrift, die ich nicht lesen konnte. Die Darstellungen sprachen jedoch für sich.
»Tom hat es mitgebracht von Alexej.«
»Ich weiß«, rutschte mir heraus.
Einen Moment sah mich Jack verblüfft an. »Tom hat dir von früher erzählt?«
»Ja, vom Stadtbrand und so und wie er zu Alexej kam.«
»Er mag dich wirklich, sonst hätte er dir nie aus seinem Leben erzählt.«
Statt einer Erwiderung trank ich vom Tee. Der Appetit war mir vergangen.
»Gut, dann fangen wir an.« Mein Wolf hörte sich fast wie ein Lehrer an und ich musste an Stefan und Michael denken. Sicher hatte er schon viele Wölfe ausgebildet.
»Ich bin keine Kämpfernatur, Jack. Bin ich nie gewesen.« Beim Anblick der grässlichen Bilder rieselten Eisschauer über meinen Rücken.
»Ach so! Und wer stürzt sich, ohne nachzudenken, auf zwei Vampire, nur um eine Drogenabhängige zu retten?« Immer noch klang er deswegen ein klein wenig genervt.
»Fang nicht wieder mit den alten Geschichten an«, wiegelte ich ab und blätterte weiter.
»Es ist wichtig, dass du´s schon mal theoretisch durchdenkst. In der Praxis«, er holte tief Luft, »da müssen wir üben, viel üben.«
»Mit dir übe ich am liebsten.« Genießerisch fuhr ich über seine Knie, die Oberschenkel und die flauschigen Haare.
Er erzitterte, sein Atem vertiefte sich. Langsam legte er das Buch beiseite. Arme schlossen sich um mich.
Erst am Nachmittag fanden wir Zeit, die ersten Lektionen im Buch durchzuarbeiten.
3. Lektionen
Lange durfte ich das Blockhaus nicht genießen. Jack scheuchte mich am nächsten Morgen wieder hinaus. Die zweite Unterkunft wollte gefunden werden.
Unglücklicherweise verschlechterte sich das Wetter. Es schneite, wenn auch nicht stark. Die Wölfin musste sich anstrengen, um die Spur zu finden. Mit einem Mal blieben wir wie angenagelt stehen. Es roch nach Vampir - und zwar so stark und so abstoßend wie noch nie in meinem zugegebenermaßen recht kurzen Wölfinnen-Leben.
Alarmiert positionierte sich Jack im Wind, witterte. Instinktiv trabte ich an seine Seite, witterte ebenfalls.
Da müssen gleich mehrere Vampire unterwegs sein, übermittelte er mir.
Im frisch gefallenen Schnee waren keine Fußspuren zu erkennen, aber diesen Hinweis brauchten wir gar nicht. Die Fährte, die auch ich als Wolf nun wahrnahm, jene durchsichtigen Blasen, bezeugten zweifelsfrei, dass mindestens zwei, wenn nicht drei Vampire hier entlanggezogen waren.
Wir sollten nach Hause laufen, hörte ich Jacks Stimme in meinem Kopf.
Ach, lass sie doch. Die paar Tage gehören nur uns beiden, gab ich zurück und winselte.
Jacks Wolf reagierte sofort darauf, sprang herum, kniff mich in den Hinterlauf.
Du hast recht, dieses eine Mal helfe ich dir. Siehst du die alte Eiche, da beginnt die Spur wieder. Lass dich nicht von den Vamps ablenken. Und vor allem: Halt dich immer von ihnen fern.
Weil ich spürte, wie ernst er es meinte, bellte ich einmal zur Bestätigung.
Es muss Stunden her sein, dass sie hier langgekommen sind, fügte er noch hinzu. Zur Bestätigung fuhr seine Zunge einmal über meine Schnauze.
Dann trabte er los, ich folgte. Obwohl ich es ihm gegenüber nie zugeben würde, hatte ich mehr Angst, seitdem ich im Frachtraum jenes Schiffes den Ausgestoßenen hilflos ausgeliefert gewesen war. Glücklicherweise forderte die Schnitzeljagd meine ganze Aufmerksamkeit. Nach kurzer Zeit erreichten wir das zweite Ziel.
Dieses Blockhaus war noch schöner als das erste. Das Bad war geräumiger, die Einrichtung in warmen Rot- und Brauntönen gehalten. Beim Essen hatte sich Tom selbst übertroffen, angefangen bei der Kartoffelsuppe, über Gemüse-Couscous und Tiramisu-Creme zum Abschluss.
Glücklich und zufrieden wie lange nicht mehr schlief ich in Jacks Armen ein.
Am nächsten Morgen lehnte mein Liebling am Tresen, eine Hand lässig in der Tasche der Jogginghose, in der anderen hielt er einen Muffin.
»Mm, Tom hat die leckeren Nougat-Muffins gebacken.«
»Bitte, bring mir einen.« Auf keinen Fall würde ich das warme Bett verlassen.
»Hol dir selbst einen.« Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, wurde härter.
»Dein Ernst?«
»Jep. Wenn du einen Muffin willst - und unter uns gesagt, sie schmecken echt gut –, komm her und hol ihn dir.«
Für einen Augenblick betrachtete er das Gebäckstück und schon verschwand es als Ganzes in seinem Mund. Als er nun mit der Hand über die Lippen wischte, sah er selbst zum Anbeißen aus.
»Das wirst du büßen«, drohte ich und schlug die Kuscheldecke zurück. Fröstelnd ging ich auf ihn zu, wollte um ihn herumgreifen.
»Keine Chance.« Spielerisch und doch kräftig stieß er mich weg.
»Hey, was soll das?« Allmählich wurde ich sauer.
»Wenn ich der fieseste Vampir in ganz Europa wäre, was würdest du zu deiner Verteidigung tun?«
Verwundert sah ich ihn an. Wollte er in aller Frühe eine Trainingsstunde abhalten? Da er sich nicht bewegte, mich nur ernst musterte, überlegte ich. Wir hatten schon zusammen trainiert. Dabei hatte er mir ein paar einfache Tricks gezeigt, aber nichts davon würde mir in dieser Situation helfen. Eine Sache war allerdings nicht von der Hand zu weisen: Ich war kleiner und schneller als er.
Mit finsterem Gesichtsausdruck stieß er sich ab. »Stell dir vor, ich wäre einer der Ausgestoßenen, die dich im Schiffsbauch festgehalten haben. Wehr dich!«
Schon packte er mich an der Schulter. Wie im Training geübt, riss ich meine Arme hoch, schlug seine beiseite. Mit gespreizten Fingern stach ich nach seinen Augen, verfehlte sie um Haaresbreite, weil er den Kopf wegdrehte. Jack knurrte, holte erneut aus. Ich duckte mich weg, trat ihm mit dem Fuß gegen das Schienbein, wirbelte herum, brachte mich mit wenigen Schritten in Sicherheit.
»Guter Tritt!« Mit schiefem Lächeln rieb sich mein Wolf das Schienbein.
»Was soll das, Jack? Ich bin keine Kämpferin.« Mit verschränkten Armen musterte ich ihn.
Mein Wolf senkte den Kopf. Ich bemerkte, dass er tief durchatmete.
»Nein, bist du nicht. Ich will auch keine aus dir machen. Aber du solltest vorbereitet sein. Der Gedanke, dass du hilflos in dem Schiff festgebunden warst, lässt mich oft nachts nicht schlafen.« Sein Gesicht glich jetzt einer starren Maske. »Deshalb ist es wichtig, dass wir trainieren. Alles in meiner Macht Stehende werde ich tun, um dich zu schützen. Dazu gehört auch, dir Tricks zur Selbstverteidigung beizubringen. Verstehst du das?«
So viel Kummer lag in seinem Blick, dass mir nichts anderes übrigblieb, als zu nicken. Proteste halfen nicht. Wir trainierten noch eine Stunde weiter, bis Jack für diesen Tag zufrieden war.
Erst dann machten wir uns auf den Weg in eine neue Lodge, malerisch gelegen in der Nähe des kleinen Arber Sees.
4. Dunkle Nacht
Alles verschlingende Schwärze. Fackeln reißen fliehende Menschen aus der Dunkelheit und werfen sie dorthin zurück. Schreie, Flehen, Schweiß und – Hunger. Quälender Hunger. Süßer, unwiderstehlicher Duft umweht mich. Betörendes Aroma. Ein junges Mädchen in abgetragenen, schmutzigen Kleidern steht vor mir, starr vor Angst. Panik in ihren Augen. Bereitwillig legt es den Hals zur Seite. Lange Finger, geschmückt mit einem Siegelring, schieben fast zärtlich blonde Haare nach hinten. Meine spitzen Zähne durchdringen mühelos dünne Haut. Frisches junges Blut sprudelt in meinen Mund, köstlicher als alles, was ich je zu mir genommen habe. Pure Kraft durchflutet mich, füllt mich aus. Das Mädchen sinkt zu Boden. Der Lärm kehrt zurück. Es stinkt nach Rauch. Ein Bursche - kräftig, jung, störrisch - baut sich vor mir auf. Auch er muss sich beugen. Seine Lebenskraft füllt mich aus, bis fast zum Bersten.
Mit einem tiefen Atemzug wachte ich auf und schnappte nach Luft - wie eine Ertrinkende. Was für ein furchtbarer Traum! Jack schlief ruhig neben mir.
Die zarte Sichel des Mondes sandte einen weißen Streifen durch die Holzverstrebungen des Fensters, malte ein Gitter auf den Boden. Mit einem Mal verschwand der Mond. Gleichzeitig verstummte der Wald. Kein Wind, keine Tiergeräusche. Etwas zog an der Hütte vorbei. Majestätisch. Lockend. Tief im Innern berührte es mich, lud mich ein, mit ihm zu gehen. Der Hunger verstärkte sich, meine Kiefer pochten schmerzhaft.
Die Welt gehört uns. Der Gedanke, so flüchtig wie Rauch. Ein amüsiertes Lächeln und ein Versprechen: Wir sehen uns wieder.
Zittern erfasste meinen Körper, so stark, dass ich es nicht schaffte, die Bettdecke hochzuziehen. Es fühlte sich an, als bestünde mein Inneres aus Eis.
Es dauerte einige Sekunden, bis ich begriff. Was ich spürte, war Angst - Angst vor dem gefährlichsten Wesen, das je über die Erde gewandert war. Gleichzeitig lockte eine ungeheure Lust, mich ihm anzuschließen, zu jagen und zu trinken.
Vor meinen Augen drehte sich das Zimmer, Übelkeit überkam mich. Im nächsten Moment fand ich mich am Boden wieder – würgend, außerstande auch nur ein Wort zu sagen, aus Angst, einen Fehler zu machen, mich auf der falschen Seite wiederzufinden.
Allmählich entfernte sich, was auch immer mich so in Panik versetzt hatte. Erst jetzt, als der Druck nachließ, spürte ich, unter welcher Belastung ich gestanden hatte. Mühsam rang ich nach Luft, setzte mich schwerfällig auf, umklammerte meine Beine mit den Armen. Da bemerkte ich, dass ich mir die Haut an einem Finger aufgerissen hatte. Blut sickerte heraus. Mich überflutete der alles beherrschende Drang, das Blut aufzulecken und an der Wunde zu saugen. Ich erschrak vor mir, wimmerte in meiner Hilflosigkeit.
»Was ist los, Schatz?« Schlaftrunken beugte sich Jack zu mir herunter.
»Ich weiß es nicht genau. Da draußen war ein Vampir«, schluchzte ich. »Spürst du nichts?«
Alarmiert sprang mein Wolf aus dem Bett. Sicherte nach allen Seiten, lief zur Tür, öffnete sie, wandelte sich, jagte hinaus.
Für mich fühlte es sich an, als würde sich eine riesige Bedrohung mit jedem Atemzug weiter von mir entfernen, als erlaubte man mir, wieder freier zu atmen. Zitternd stand ich auf und schloss die Tür. Wenigstens stellte mich die kleine Wunde nicht mehr auf die Probe, denn sie hatte sich bereits geschlossen - dank der Werwolfgene. Erleichtert hörte ich wenig später, dass Jack die Treppen herauflief. Als Mensch schlüpfte er durch die Tür.
»Es riecht genauso stark nach Vampir wie gestern«, erklärte er mit ernstem Gesichtsausdruck. »Wir brechen ab und fahren morgen früh nach Hause. Mir wird es hier zu gefährlich.«
»Aber ich will noch nicht«, ich schluckte, »es war gerade so schön.«
Langsam kam er auf mich zu, die Augen dunkel vor Sorge. »Glaub mir, ich hatte noch nie eine schönere Zeit als die vergangenen Tage. Aber ich kann den Geruch nicht zuordnen. Er stammt von einem Vampir, aber es ist keiner der hier ansässigen. Außerdem spüre ich, wie sehr mein Wolf ihn fürchtet, auf eine instinktive Art, die ich nur selten zuvor bei ihm erlebt habe. Womöglich hätte ich keine Chance gegen diesen Vampir. Ich will mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn ich dich nicht schützen kann.«
»Versprich, dass wir es nachholen«, verlangte ich mit leiser Stimme.
»Ich verspreche es hoch und heilig.« So als wollte er schwören, hob er die rechte Hand.
Widerwillig stimmte ich zu. Schon bald schlief ich wieder ein.
Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, fühlte ich sofort, dass Jack wach war. Er lag mit dem Rücken zu mir.
»Was ist mit dir?« Schläfrig fuhr ich über seinen breiten Rücken und genoss das Gefühl, wenn sich unter meiner Hand die Härchen auf seiner Haut aufrichteten.
Er drehte sich um und sagte: »Was wäre, wenn wir nicht mehr zurückfahren würden?« Ein goldener Kranz umgab seine blaue Iris.
»Wie bitte?«
»Was ist schon dabei?« Nun kam er richtig in Fahrt, stützte sich auf, eine Hand lag auf meinem Bauch. Die Wölfin schnurrte.
»Du willst nicht mehr zum Clan zurück?« Fassungslos starrte ich ihn an.
Was redete der Wolf, den ich so sehr liebte? Für den der Clan, nach mir, das Wichtigste auf der Welt war? Eine unbekannte Falte schlich sich in sein Gesicht, zerteilte die Stirn, verschloss die Gesichtszüge.
»Jack, was ist denn?«
Entschlossen richtete er sich auf, setzte sich mit dem Rücken zur Wand, zog die Füße an. Als er die Hand von meinem Bauch nahm, spürte ich eine unangenehme Kälte. Er umfasste seine Knie und stierte auf den Boden.
Schließlich platzte es aus ihm heraus. »Die Vertrauten wollen dich absägen. Dort draußen ist immer noch die Wölfin, die um dein Blut gefeilscht hat. Sie befehligt sogar Wölfe! Jetzt scheint auch noch dieser seltsame Vampir hinter dir her zu sein. Du kannst ihn sogar fühlen. Das sind zu viele Gegner. Allein hast du sowieso keine Chance. Was ist, wenn auch ich dich nicht beschützen kann? Wir sollten untertauchen. Ein Freund von Alexej hat eine Lodge in Kanada. Dort könnte ich jederzeit arbeiten. Kanada wird dir gefallen.«
»Du würdest doch nie den Clan im Stich lassen«, stammelte ich, von der Idee komplett überrumpelt.
»Welchen Clan? Das ist kein Clan, das ist ein Tollhaus. Denk nur an die Wölfinnen, denen wir in letzter Zeit zu gehorchen hatten. Helen, die uns schikaniert und gleichzeitig den Clan um Geld betrogen hat. Tamara, die beste Alpha seit Langem, gibt einfach auf, lässt uns im Stich. Und nun?« Er warf die Hände in die Luft. »Sabrina weiß doch gar nicht, was sie tut, schreit nur rum. Die ganze Arbeit bleibt an Andrea und dir hängen. Wie oft habe ich dich in letzter Zeit gesehen?«
Da ich nicht sofort antwortete, weil ich ehrlich gesagt selbst überlegen musste, brauste er auf.
»Eben! Bald geht es uns wie Phil und Tamara. Du arbeitest so viel, hast keine Zeit mehr. Über kurz oder lang kriegst du ein Angebot von Mum. Sie muss die Lücke, die Cat hinterlassen hat, mit loyalen Frauen schließen. Dann wechselst du nach München. Und ich kann sehen, wo ich bleibe.«
»Jack, das wird nicht passieren«, versuchte ich ihn zu beruhigen. »Was diese, nun ja, diese gefährlichen Gegner betrifft, du hast mich immer beschützt. Ich werde mit dir trainieren, wie du es willst. Alles wird gut!«
Mit weit aufgerissenen Augen fixierte er mich. »Du bist nur noch am Leben, weil Nick dich aus dem verfluchten Schiff rausgeholt hat«, brüllte er. »Verdammt! Er hat dich gerettet, während ich wie ein Blödmann am Ufer stand. Ich, der Leitwolf des Clans von Bayern, Sohn von Scarlett North, der Alpha von Europa, konnte meine Gefährtin nicht retten.«
Die Ader an seinem Hals war kurz vor dem Platzen. Dann sprang er mit einem riesigen Satz aus dem Bett und rannte aus dem Haus. Krachend schlug die Tür zu. Ratlos blieb ich zurück. Da er auch nach zehn Minuten noch draußen war, blieb mir nichts anderes übrig, als mich anzuziehen und ihm zu folgen.
Bei dem Anblick, der sich mir bot, kribbelte mein Bauch. Nur mit Shorts bekleidet hackte mein Lieblingswolf Holz. Mit grimmiger Miene legte er erneut ein Scheit auf, holte aus. Präzise spaltete die Axt das Holz.
In diesem Moment wusste ich, dass es auf der Welt nichts Schöneres gab als diesen Anblick. Ohne auf mich zu achten, legte er ein neues Scheit auf. Wie seine Muskeln unter der bloßen Haut arbeiteten, war eine wahre Augenweide. Pfeifend sauste die Axt herunter, zwei Teile flogen zu Boden. Ich wollte lieber nicht wissen, wen er sich gerade vorstellte. Langsam ging ich auf ihn zu. Der gefrorene Boden unter meinen Füßen knisterte.
»Ich liebe dich«, flüsterte ich und umarmte ihn von hinten.
Ohne zu atmen, stand Jack einen Moment nur da. Dann ließ er die Axt zu Boden gleiten und drehte sich zu mir um. Starke Hände glitten über meine Arme, streichelten meinen Rücken, massierten zärtlich den Nacken.
»Ich liebe dich auch«, murmelte er. Seine warmen Lippen knabberten mein Ohr.
»Dann ist doch alles in Ordnung«, hauchte ich.
»Überleg es dir noch mal.« Ernst blickten mich dunkelblaue Augen an. »Wir hauen ab. Ich habe falsche Pässe. Wir fliegen nach Kanada, schließen uns den Freien dort an. Niemand wird uns finden. Und diese Quälerei hat ein Ende. Willst du noch mal Blut abgeben? Die sollten doch endlich ein Mittel gefunden haben. Wozu brauchen sie immer noch dein Blut?«
Um seinen Mund erschien ein strenger Zug, den ich nicht an ihm kannte.
»Ich weiß es nicht. Beim letzten Mal hieß es, dass sie kurz vor dem Durchbruch stehen. Vielleicht muss ich nicht mehr nach München.«
Auch mich nervten die ständigen Besuche im Labor. Seitdem die Werwölfe wussten, das ich gegen das von den Vampire entwickelte Loupmor - jenes Mittel, bestehend aus Hormonen, um Wölfe auszuknocken – immun war, hatten Scarletts Wissenschaftler mir gefühlt hundertmal Blut abgenommen.
»Aber das ist nicht alles«, vermutete ich.
»Stimmt. Ich habe die Schnauze so voll davon, nach Sabrinas Pfeife zu tanzen. Mann! Ich habe keine Probleme damit, in einem Clan zu leben und den Anweisungen einer Alpha zu folgen. Das muss aber eine Wölfin sein, die den Clan und ihre Mitglieder achtet; die will, dass es allen gut geht. Was bei Sabrina nicht der Fall ist. Nein, dafür habe ich Vater sicher nicht verlassen.«
»Jack, jetzt beruhige dich doch.«
Im nächsten Moment schreckten wir beide hoch. Von Weitem näherten sich Motorengeräusche.
Einen Moment noch lauschte Jack, dann schnaubte er. »Wenn man vom Teufel spricht!«
Verständnislos glotzte ich ihn an. Ein dunkelblauer BMW X6 bog um die Ecke. Noch bevor das Fahrzeug endgültig stand, sprangen zwei Wolfswachen heraus, mit den MPs im Anschlag, und sicherten nach allen Seiten. Erst dann verließ Scarlett den Wagen.
»Was macht ihr hier in dieser Einöde?« Mit gerunzelter Stirn stapfte sie auf uns zu. Kniehohe Stiefel harmonierten mit dem anthrazitfarbenen Mantel, darunter spitzte bei jedem Schritt ein taubenblaues Kostüm hervor.
»Alpha.«
»Mum.« Mit wenig Wärme in der Stimme empfing Jack seine Mutter.
»Egal, womit ihr gerade beschäftigt seid, ich brauche deine Hilfe, Jack.« Ohne stehen zu bleiben, ging sie an uns vorbei und in die Hütte hinein.
Oh nein! Das Bett war natürlich noch nicht gemacht und unsere Sachen lagen kreuz und quer auf dem Boden verstreut. Ich versuchte noch, an ihr vorbeizuschlüpfen, doch vergebens. Mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen sah sich Scarlett um, bevor sie sich auf den einzigen freien Stuhl setzte.
»Reg dich ab, Rebecca. Denkst du, ich hatte noch nie ein Liebesnest?«
Abwartend stand mein Liebling an der Tür.
»Wo ist Tony?«, fragte ich.
»Sie muss andere Dinge erledigen.« Scarlett wirkte müde. Ein Schatten lag auf ihr, ließ sie älter aussehen.
Jack holte die Flasche Semper Vivum, die Phil mitgeschickt hatte.
Dankbar nahm sie das Glas entgegen, schnupperte daran. »Er braut immer noch das beste Zeug.«
Auch ich genoss den fruchtigen Saft, dessen Zusammensetzung jeder Heiler des Clans selbst bestimmte. Mein Wolf schlüpfte derweil in ein T-Shirt.
»Warum brauchst du mich?«, fragte er.
»Muss ich dir haarklein erklären, warum deine Mutter, im Übrigen die Alpha von Europa, deinen Schutz will?«, fauchte sie.
Überrascht wich Jack zurück, doch er gab nicht auf. »Joe kann dich begleiten. Er und seine Männer sind doch sowieso die Elite.« Verächtlich kräuselte er die Lippen.
Langsam wurde es gefährlich. Scarlett ließ Jack einiges durchgehen. Aber so angespannt, wie sie gerade war, würde ihr Geduldsfaden bald reißen. Ich warf ihm einen warnenden Blick zu, doch er drehte sich weg und griff nach einer Wasserflasche.
»Ich sage, dass ich dich will und nicht Joe. Wieso fängst du an zu diskutieren?«
Sie war laut geworden, schon schaute einer der Wachen durch das kleine Fenster.
»Jack meint es nicht so, nicht wahr?«, versuchte ich zu vermitteln.
Mein Liebling schnaubte: »Ist doch eh egal.«
»Es ist nur so, dass Jack mir das hier zum Geburtstag geschenkt hat«, fügte ich schnell hinzu und breitete die Arme aus. »Wir laufen von Blockhaus zu Blockhaus und … verbringen eine schöne Zeit.«
»Eine wundervolle Geste, Jack.« Scarlett lächelte vielsagend. »Nun verstehe ich deinen Unmut besser. Nichtsdestotrotz bitte ich dich, mich zu begleiten. Ich mache es wieder gut. Versprochen.«
Widerstrebend nickte Jack und begann, seine Sachen zusammenzusuchen. Dann verschwand er im Nebenraum; ich hörte, dass er telefonierte.
»Wie läuft es im Clan?«, fragte Scarlett.
»Sabrina führt sich auf, Andrea und Rebecca können die Drecksarbeit machen. So läuft es im Clan«, antwortete Jack, der gerade wieder den Raum betrat.
Wie immer bot sich ein martialisches Bild, wenn er in seinen Jeans, dem dunklen Hemd und dem schweren schwarzen Ledermantel auf einen zukam.
»Wir müssen noch ins Clanhaus, um die Ausrüstung zu holen«, grummelte er.
Trotz allem überzog ein liebevoller Ausdruck Scarletts Gesicht, als sie ihn nun betrachtete. »Es gibt immer schwierige Zeiten …«, setzte sie an.
»Aber Andrea und ich schaffen das schon«, sprang ich ein. Mittlerweile wusste ich, dass man als Wölfin in einer Führungsposition auf keinen Fall Schwäche zeigen durfte.
»Sehr gut, Vertraute!«, entgegnete Scarlett promot. »Nächste Woche ist der Leitwolf wieder zurück.«
»Natürlich, Alpha.«
Damit rauschte Scarlett hinaus. Mir wurde das Herz schwer. Zu gern hätte ich die letzten Tage mit Jack verbracht. Nur zu deutlich sah ich, dass auch mein Lieblingswolf so dachte. Er schloss mich in die Arme und ich spürte, dass er mich am liebsten nie mehr loslassen wollte. Doch draußen wurde bereits das Auto gestartet.
»Pass auf dich auf«, murmelte ich und küsste ihn.
»Du kennst mich ja. Ich habe Tom angerufen, er und Ludwig holen dich in einer Viertelstunde ab. Bleib im Haus. Mir geht der Vampir nicht aus dem Kopf. Und überleg dir meinen Vorschlag. Als Freie in Kanada lebt es sich nicht schlecht.«
»Ist gut.« Es hatte keinen Zweck, ihm zu sagen, dass ich auch alleine nach Hause finden würde.
»Ich liebe dich«, presste er hervor. Ein letzter, beinahe verzweifelter Kuss, dann schob er mich von sich.
»Ich liebe dich auch«, flüsterte ich.
Sein Blick wurde hart, als er das Ungetüm von Rucksack schulterte und das Zimmer verließ. Kurz danach rollte der Mercedes davon.
Mir war, als würden die Wände des Hauses auf mich zukommen. Einsamkeit schlug über mir wie eine Welle zusammen. Heulend ließ ich mich auf das Bett fallen und von Jacks Geruch einhüllen. Irgendwann versiegten die Tränen und ich begann aufzuräumen. Wenig später hörte ich Ludwigs Hummer heranbrausen.
Wenigstens freute Andrea sich, dass ich früher zurückkam. Es wartete, wie sollte es anders sein, eine Menge Arbeit auf uns. Da hatte ich nicht viel Zeit, Jack zu vermissen.
5. Die Gitarre von Jimmy Hendrix
»Mann, Mann, Mann! Ich wäre beinahe gestorben. Wenn dieses Arschloch nur noch einmal gezuckt hätte. Ich schwör´s …«
»Ja, Alter, so was Spannendes hab ich lang nicht mehr erlebt. Nervenkitzel pur!«
Jack polterte die Treppe herunter, dicht gefolgt von Ludwig. Beide hatten gerötete Wangen, ihre Augen glänzten golden. Jack wirkte so gut gelaunt wie selten.
»Hey, ihr zwei, was ist los?« Müde lehnte ich mich zurück. Die Aufstellung für den Steuerberater wollte kein Ende nehmen. Fast der gesamte große Tisch war mit Akten bedeckt.
Jack holte zwei Pils. Dann schenkte er Semper-Saft in ein Glas, füllte mit Sekt auf und hielt es mir hin. Dabei strahlte er wie ein kleiner Junge an Weihnachten. Unwillkürlich lächelte ich zurück.
»Ich habe soeben die Originalgitarre von Jimmy Hendrix ersteigert.« Ludwig gab ihm High Five und beide tranken.
Verständnislos starrte ich Jack an. »Wie hast du das gemacht?«
»Schatz, das muss ich dir doch nicht erklären«, schmunzelte er.
Gleichzeitig prusteten die zwei Wölfe los: »Online!«
»Online«, wiederholte ich. Irgendwie war mit meinem Gehirn etwas nicht in Ordnung. In letzter Zeit arbeitete es viel langsamer.
»Ach komm, Rebecca. Jack ist unter einer anderen Identität schon länger Kunde bei dem Auktionshaus. Die halten ihn für einen alten Knacker, der haufenweise berühmte Instrumente sammelt. Dieses Mal war es eben die Gitarre von Jimmy Hendrix. Mann, so ein Schnäppchen!« Ludwig schüttelte den Kopf, seine blonden Haare wippten mit.
Wieder prosteten sie sich zu, ich nahm ebenfalls einen Schluck. Natürlich wusste ich, dass bei dem Überfall der Ausgestoßenen viele seiner geliebten Gitarren kaputtgegangen waren. Nach und nach wollte er sie ersetzen.
»Und was hat das Schnäppchen gekostet?«, wollte ich wissen. Da ich seit fast zwei Tagen an der Aufstellung der Ausgaben für einen Mietkomplex in der Innenstadt saß, konnte ich an nichts anderes als Geld denken.
»250.000 Euro.« Träumerisch fuhr Jacks Zunge über seine Lippen.
Sofort regte sich die Wölfin. Ah! Immer dann, wenn ich sie überhaupt nicht brauchen konnte. Mein Lieblingswolf hob nur den Kopf und zwinkerte mir zu.
»Weißt du was? Wir gehen feiern! Egal wohin - ich lade euch ein.« Schwungvoll breitete er die Arme aus.
»Wie gerne würde ich mitkommen. Wirklich, Jack. Aber sieh dir das an. Ich sitze bestimmt noch bis Mitternacht, morgen muss alles fertig sein.« Ich warf den Bleistift auf den Tisch und rieb über meine Augen. »Mist!«
»Musst du das wirklich alles noch machen?« Ein dunkler Unterton signalisierte mir, dass er gerade richtig sauer wurde. Doch ich konnte nichts dafür.
Leider war es so, dass Sabrina so ziemlich alles auf ihre Vertrauten abwälzte. Sie redete sich damit raus, dass Andrea und ich ja zu zweit wären, was es sonst in keinem Clan gab. Andrea war jüngst befördert worden, bekam anspruchsvollere Aufgaben übertragen und war manchmal mehrere Tage unterwegs, um Recherchen durchzuführen oder wie dieses Mal die Münchner Sicherheitstage zu begleiten.
Hauptsächlich ging es darum, die Bücher zu führen, denn der Clan von Bayern zählte zu den wohlhabendsten Clans in ganz Deutschland. Ihm gehörten viele Gebäude und Grundstücke, nicht nur in Passau, sondern in ganz Bayern. Die mussten verwaltet, Mietangelegenheiten oder Verkäufe geregelt werden. Außerdem besaßen wir, meistens über Tarnidentitäten, mehrere Firmen. Auch wenn wir einen Steuerberater beschäftigten, natürlich einen Werwolf, mussten wir die Aufstellungen und Zusammenfassungen anfertigen.
Und dann waren da noch die Bittgesuche und Anfragen. Im Einflussbereich des Clans gab es nicht wenige kleinere Rudel oder Werwolf-Familien. Diese wandten sich mit ihren Bitten, Beschwerden oder Fragen an die Vertraute. Außerdem mussten Berichte für die Alpha von Deutschland geschrieben werden, zum Beispiel, wenn Jack oder einer der Wölfe für die Wächterinnen tätig gewesen war. Wie hieß es so schön im dritten Ordner von Tony:
Die Vertraute und ihre Alpha sind das Bindeglied zur nächsthöheren Alpha, in unserem Fall der Alpha von Deutschland. Generell gilt: Die Alpha des Clans von Bayern soll ständig Kontakt zur Alpha von Deutschland halten.
Das alles ging mir in Sekundenbruchteilen durch den Kopf.
»Ich kann nichts dafür und das weißt du genau«, entgegnete ich hitziger als gewollt. »Du selbst schreibst ungern Berichte. Das bedeutet, dass ich aus deinen Erzählungen und Handybildern einen Bericht für Tony oder Klara basteln muss.«
In dem Moment, in dem ich es sagte, wusste ich, dass es ein Fehler gewesen war.
»Also machst du mich jetzt verantwortlich oder wie sehe ich das?«, brauste er auf.
»Nein, das sage ich doch gar nicht. Aber ich habe wirklich viel zu tun. Eigentlich sollte ich noch für die Klausur lernen. Stattdessen sitze ich schon seit geschlagenen vier Stunden an der Abrechnung und werde nicht fertig.« Unwillkürlich sprang ich auf. »Außerdem studiere ich nicht Betriebswirtschaft, sondern Informatik. Herrschaftszeiten!«
»Wo liegt das Problem?« Sabrina kam herein. Gut. Auch sie hatte also lange gearbeitet. Trotzdem konnte ich sie in genau diesem Augenblick nicht riechen.
»Du halst ihr so viel Arbeit auf, dass sie es gar nicht schaffen kann - nur weil du selbst zu faul bist.« Drohend baute sich Jack vor ihr auf, die Arme verschränkt, und fauchte auf die kleinere Wölfin hinunter.
Die schob ihn seelenruhig zur Seite und ich wusste genau, was sie gleich von sich geben würde.
»Sie wollte Vertraute werden. Das ist die Krönung eines ehrenvollen Wölfinnenlebens. Also bitte heul mir nicht die Ohren voll. Ich habe selbst jede Menge zu tun.« Nur kurz bedachte sie den Tisch samt Unterlagen mit einem Blick und verschwand dann in ihrem Zimmer.
»Ich hasse sie«, knurrte Jack.
Sofort schrak ich zusammen. Auch wenn man Schwierigkeiten mit seiner Alpha oder der Vertrauten hatte, sprach man es nicht aus. Das ging zu weit.
»Lass mal«, sagte ich schnell. »Ist ja immer nur zum Quartal. Ich beeile mich. Wenn ich noch vor Mitternacht fertig werde, komme ich nach. Die Uni fängt morgen erst später an.«
Mein Liebling stand mit dem Rücken zu mir. Mit gemischten Gefühlen beobachtete ich das tiefe Heben und Senken seines Brustkorbes. Schließlich, mehrere Atemzüge später, drehte er sich wieder um und kam zu mir.
»Tut mir leid. Aber du arbeitest die ganze Zeit. Es … es macht mich fertig.« Ein schneller Kuss, dann hastete er aus dem Raum, als würde er verfolgt.
»Mach dir keine Gedanken. Ich passe auf ihn auf.« Ludwig lächelte mir aufmunternd zu. »Arbeite ruhig weiter. Vielleicht schaffst du es ja noch. Wäre toll. Er hat sich so gefreut vorhin.«
Auch dieser Wolf verschwand nach draußen und ich widmete mich erneut den Unterlagen. Nach einer Stunde, ich war gut vorangekommen, tauchte Sabrina wieder auf.
»Wie weit bist du?«
»Warum?«, fuhr ich hoch. »Hast du noch was zu tun? Das kannst du wirklich vergessen.«
»Nein, ich habe geschlafen und bin wieder fit. Wenn du willst, übernehme ich den Rest. Dann kannst du zu Jack fahren.«
Erstaunt sah ich sie an. Sabrina holte ein Joghurt aus dem Kühlschrank und schenkte sich Saft ein. Die dicken Augenringe fielen mir auf. Beinahe glaubte ich, sie würde zittern.
»Geht´s dir gut?« Hatte ich das gerade zu Sabrina gesagt?
Sie musterte mich, wohl um zu sehen, ob ich die Frage ernst gemeint hatte. Dann ließ sie den Atem mit einem Zischen entweichen.
»Gut? Ja … nein. Im Büro ist es sehr stressig. Ich bin in einer Abteilung allein unter vielen Menschen. Das belastet meine Wölfin. Manchmal ist es schwer, sie zu bändigen und außerdem …«
»… hängt dir deine Mutter im Nacken«, vermutete ich.
Ein gequältes Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Ja, genau. Mutter weiß, wie reich der Clan ist und verfolgt ihre eigenen Interessen. Allmählich«, jetzt grinste sie mich an, »habe ich keine Lust mehr, alles so zu machen, wie sie es vorgibt, denn ich bin nicht ihr Laufbursche. Ich bin nur deshalb Alpha geworden, weil Tamara den Job hingeschmissen hat und Helen tot ist. Es wäre schwierig für Scarlett gewesen, auf die Schnelle adäquaten Ersatz zu finden. Trotzdem bin ich nun Alpha des reichsten Clans in Deutschland. Ich will mir nicht ständig Vorschriften machen lassen von meiner Mutter. In gewisser Hinsicht bist du mein Vorbild. Du lässt dir nicht alles gefallen. Und ich denke, das kann ich auch.«
»Wow. Das muss ich erst mal verdauen«, meinte ich und trank das Glas leer.
»Ich weiß, dass ihr mit mir nicht zufrieden seid. Aber auch ich stehe unter gewissen Zwängen. Und jetzt geh dich amüsieren, bevor ich es mir anders überlege.« Sie tat, als würde sie mich vom Stuhl schieben.
»Alles klar. Der Anweisung einer Alpha würde ich mich nie widersetzen«, erwiderte ich mit einem Grinsen. »Danke.«
»Nichts zu danken. Du hast gut vorgearbeitet. Der Rest wird ein Kinderspiel. Außerdem möchte ich nicht noch einen weiteren Tag mit einem mies gelaunten Leitwolf verbringen.«
So schnell wie nie zog ich mich um, warf nur einen Pulli über und hockte im Mini, noch bevor Sabrina sich an den großen Tisch gesetzt hatte. Das Radio lief, ich drehte die Nachrichten lauter.
»In einem Weiler in der Nähe von Hauzenberg hat sich ein schreckliches Familiendrama ereignet. Der Postbote machte die furchtbare Entdeckung. Die gesamte Familie, darunter zwei Kinder, wurde ausgelöscht. Auch der Knecht ist ums Leben gekommen. Die Polizei gibt keine Einzelheiten des Verbrechens bekannt. Aus internen Quellen hören wir jedoch, dass der oder die Täter besonders grausam vorgegangen sein sollen. Von einem Blutbad ist die Rede. Sachdienliche Hinweise bitte an die örtliche Polizeistation.«
Ein Schauder lief über meinen Rücken. Beinahe glaubte ich, die Vampirspur wieder zu riechen. Hatte dieser Überfall etwas mit meinem Traum vor einigen Wochen zu tun? Gerade jetzt wollte ich mir aber die gute Laune nicht verderben lassen und wählte einen anderen Sender.
Glücklicherweise ergatterte ich noch einen Parkplatz. Als ich die Tür zum Good Bay aufstieß, wusste ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Jack, Ludwig und Tom standen auf der improvisierten Bühne. Gerade spielten sie einen Klassiker von Uriah Heep. Ich winkte ihnen zu, gesellte mich zu Stefan, bestellte Pommes und ein Bier.
Den Gästen, hauptsächlich Werwölfe und ein paar Menschen, schien es zu gefallen. Ich sah auch zwei Wächterinnen. Eine saß an der Bar, die andere war auf der Tanzfläche. Dann stutzte ich und traute meinen Augen kaum. Der Typ, der innig mit der Wächterin am Rande der Bühne tanzte, sah so aus, wie man sich einen Faun vorstellte.
»Du solltest ihn vielleicht nicht so anstarren, er mag das nicht so gern«, flüsterte mir Stefan zu.
»Ist das ein Faun?«
»Ja, Miles ist echt nett. Heutzutage gibt es in unserer Gegend ja nicht mehr so viele. Die Kirche hat alle vertrieben.«
In diesem Augenblick hörte sich Stefan wie ein weiser alter Mann an. Doch heute wollte ich nicht über Werwolfjahre oder Vampirspuren nachdenken.
»Komm, wir tanzen!« Ich zog an seiner Jacke.
»Mann, das ist vielleicht peinlich.« Widerstrebend setzte sich der junge Wolf in Bewegung.
Runaway Train endete. Jack grinste mich an. Dann wechselte er ein paar Worte mit Ludwig und Tom.
»So, Leute, wir sind zurück aus der Vergangenheit. Jetzt gibt es einen neuen Song: Animals von Nicklback für die schönste und verrückteste Frau, die Passau je gesehen hat.«
Tom begann mit einem Trommelwirbel, Jacks Gitarre stieg mit ein, Ludwig folgte. Nur wenige Takte später stieß Jack in rasender Abfolge die Wörter ins Mikrofon, der Rhythmus ging sofort in meine Beine über. Ich musste tanzen, hatte gar keine andere Wahl. Tom lief zu neuen Höhen auf. Ludwig behandelte seine E-Gitarre wie seine Freundin. Das Lied - es schien wie für uns gemacht.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass Stefan etwas Abstand zu mir hielt. Aber es war mir egal. Hier und heute würde ich tanzen, zu dem Lied tanzen, das Jack für uns spielte. Nach der schlimmen Zeit, die wir durchgemacht hatten, wollte ich einfach nur leben und Spaß haben.
Ludwig und Tom spielten die letzten Takte allein, Jack stellte die Gitarre beiseite. Ich rannte los und sprang in seine weit geöffneten Arme. Der Kuss machte mich schwindelig. So fühlte sich das perfekte Glück an.
Wir feierten noch lange. Der Wirt des Good Bay machte eine Ausnahme. Auch den Wächterinnen war augenscheinlich nach Feiern zumute und so fuhren wir erst im Morgengrauen wieder nach Hause.
6. Wolframs Geschichte
Anfang Dezember wurde ich erneut nach München beordert, um Blut zu spenden – in einem der hoch geheimen Labors der Wölfe.
Nur einen Tag später saßen wir gerade beim Essen, als Sabrinas Handy klingelte. Nach einem Blick aufs Display sprang sie auf und nahm den Anruf entgegen.
Tonys Stimme war deutlich zu hören: »Denkst du noch daran, dass wir Weihnachten bei euch verbringen?«
Sabrina wurde leichenblass. Jeder am Tisch hielt den Atem an.
»Tamara ist doch nicht mehr hier, ich nahm an …«
»Wenn du`s nicht schaffst, Sabrina, kein Problem. Um diese Zeit ist Scarlett sowieso lieber in Stockholm. Die Schweden wissen, wie man Mittwinter feiert.«
»Nein, nein, das kriegen wir locker hin!« Rote Flecken bildeten sich auf Sabrinas Hals.
»In Ordnung, wir kommen am zwanzigsten. Sieh zu, dass alles gerichtet ist.«
Die Verbindung endete. Sabrina drehte sich zu uns um. Fassungslosigkeit machte sich auf ihrem Gesicht breit. Eine Sekunde später zeterte sie los.
»Ich bin erledigt, so was von erledigt. Mutter und Scarlett unter einem Dach. Unter meinem Dach! Im Clan, in dem ich Alpha bin. Mit euch! Wenn ich bloß gestandene Wölfinnen hätte, aber so …« Hektisch marschierte sie auf und ab, bei jedem Wort warf sie die Arme in die Luft. »Ihr habt alle keine Ahnung. Ich soll mit Welpen das Fest organisieren, in so kurzer Zeit. Wo soll ich die Deko herkriegen? Wer kann mir jetzt helfen? Es ist aus, alles ist aus!«
Schließlich wurde es Jack zu bunt. Er baute sich vor ihr auf und sagte in gefährlich leisem Ton: »Noch ein Wort, Sabrina, nur ein einziges Wort, dann nehme ich alle Wölfe und verschwinde bis Neujahr im Wald. Ich wette mit dir, dass du uns nicht findest.«
Daraufhin schwieg sie. Einige Minuten maßen sich die beiden mit Blicken. Am Ende drehte sich Sabrina weg und rannte nach oben. Alle atmeten hörbar aus. Unaufgefordert stand Tom auf, holte zwei wunderschön geschliffene Gläser aus dem alten Wandschrank, stellte sie vor Andrea und mich.
»Gute Idee, Kumpel«, sagte Phil, verließ den Essraum und kam mit einer bauchigen Flasche Semper zurück. »Besondere Anlässe erfordern besondere Getränke«, erklärte er und schenkte ein.
Bläschen stiegen auf, perlten am Goldrand der Gläser ab. Andrea fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, nahm das Glas entgegen und schnupperte daran. »Genieß es Rebecca. Ein altes Familienrezept, nicht wahr Phil?«
Der nickte und holte Schnapsgläser, in die Tom aus einer Flasche einschenkte, die ich noch nie gesehen hatte. »Marillenschnaps, selbstgebrannt.«
Die Ruhe nach Sabrinas Gejammere war wohltuend. Vorsichtig kostete ich den Semper-Saft – es war ein unvergesslicher Genuss. So schmeckte Champagner, zusammen mit Erdbeeren und anderen Köstlichkeiten. Ich dachte dabei an Sonne, Wärme und, so komisch es klang, an Liebe.
»Warum ist Sabrina ausgeflippt?«, wollte ich wissen, nachdem sich die Wölfe schon den dritten Schnaps eingeschenkt hatten.
»Die Sache ist die …« Andrea setzte sich zurück und machte Anstalten, die Beine unterzuschlagen. Da rückte Ludwig näher und legte ihre Beine auf seinen Schoß.
»Das ist wieder so ein Prestigeding zwischen den Wölfinnen«, sprang Tom ein. »Jede Alpha eines Clans will die Beste sein, die tollste Feier ausrichten, das ausgefallenste Essen vorsetzen und überhaupt die absolut perfekte Gastgeberin sein, damit noch Jahre danach über die Mittwinterfeier gesprochen wird.«
»Ich dachte, es ginge um Weihnachten?« Verflucht, der Semper schmeckte wirklich himmlisch.
»Wir feiern nicht Weihnachten, Schatz.« Der Schnaps hatte die Wangen meines Wolfes gerötet. Lächelnd strich er über meine Haare. »Weihnachten ist ein christliches Fest. Was wir feiern, ist die Nacht vom einundzwanzigsten auf den zweiundzwanzigsten Dezember - Wintersonnwende.«
Die Blicke der Wölfe glitten in die Ferne.
»Dass wir Wölfe eine besondere Beziehung zum Mond haben, weißt du ja«, fügte Phil hinzu.
Ich nickte. An Vollmondtagen ließ sich die Wölfin schwerer als sonst unter Kontrolle halten.
»Der Sage nach geschah es an Mittwinter, als ein Jäger - sein Name war Wolfram - sich im Wald verirrte. Es schneite und er war der Spur eines wilden Tieres, das sein Dorf seit Wochen tyrannisierte, gefolgt. Es musste sich um ein besonders gefährliches Monster handeln, denn immer mehr Menschen verschwanden. Wenn überhaupt, fand man nur traurige Überreste.«
Mir fiel auf, dass ausnahmslos alle Toms Stimme lauschten, obwohl sie die Geschichte ganz sicher kannten.
»Wolfram war den ganzen Tag unterwegs. Schon schickte sich die Sonne an, unterzugehen. Völlig unerwartet kam ein heftiger Sturm auf. Er war sicher, dass er in dieser Nacht sterben würde. Und dann hörte er das Heulen.«
Unwillkürlich zuckte ich zusammen, als Tom kraftvoll heulte. Dann fuhr er fort: