CityWolf II - Judith M. Brivulet - E-Book

CityWolf II E-Book

Judith M. Brivulet

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Beschreibung

Horti pensiles - Werwölfe, Menschen, Vampire Wenn die Vergangenheit wieder lebendig wird Wenn ein Leben voller Geheimnisse steckt Wenn ein Schwur gebrochen wird Wenn die Liebe verboten ist - Wohin führt der Weg? Mit dem Eintritt in den Clan von Bayern beginnen die Schwierigkeiten für Rebecca erst. Statt in Ruhe ihr neues Leben an Jacks Seite genießen zu können, muss sie mit dem Misstrauen und den Intrigen der Wölfinnen fertig werden. Als ob das nicht genug wäre, gibt es immer noch Nick, der auf Rache sinnt und seine eigenen undurchsichtigen Spielchen treibt ... Mit CityWolf II geht das rasante Abenteuer mit Rebecca und Jack in die nächste Runde.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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1. Prolog Horti Pensiles
2. Gerüchte
3. Bernhardiner
4. Bibliothek
5. Fotos von früher
6. Shopping
7. Der Nordwald
8. Allianzen
9. Ein Anruf aus der Vergangenheit
10. Universitätsleben
11. Headhunter
12. Monster Trucks
13. Attersee
14. Die schöne Aussicht
15. Das Versprechen
16. Wolfsspuren
17. Facebook
18. Dance Floor
19. Schärding
20. Steuerung
21. Sekt und Selters
22. Lobos del infierno
23. Ein ungeschickter Wolf
24. Jagd
25. Kontoauszüge
26. Zufälle
27. Kampf
28. Alexej
29. Unerwarteter Besuch
30. Ultimatum
31. Ein Prachtweib
32. Hochzeit
33. Candle Light Dinner
34. Regenwetter
35. Bootsfahrt im Mondschein
36. Konzert
37. Lektionen
38. Theater
39. Neue Erfahrungen
40. Das perfekte Team
41. TrueCrypt
42. Auf der Donau
43. Flug
44. Ein neuer Mini Cooper
45. Die logische Wahl
46. Epilog
47. Zum Schluss

 

 

 

 

 

CityWolf II

Horti Pensiles

 

 

Ein Roman von Judith M. Brivulet

 

 

Copyright © 2018 Judith M. Brivulet

www.brivulet.com

2. überarbeitete Auflage

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme, des Nachdrucks in Zeitungen und Zeitschriften, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung und Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- und Bildteile sowie der Übersetzung in andere Sprachen.

Alle in diesem Roman vorkommenden Personen, Schauplätze, Ereignisse und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder realen Ereignissen sind rein zufällig.

 

Korrektorat: Carolin Olivares

www.olivares-canas.com

 

Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss

www.juliane-schneeweiss.de

Grafiken © Depositphotos.com/joachimopelka, w20er, premiumdesign

Mann © Shutterstock.com/rdrgraphe

 

Impressum:

Impressumsservice:

Fa. bachinger software

Am Wimhof 20

94034 Passau

www.bachinger-software.de

1. Prolog Horti Pensiles

 

Passau, Anno Domini 1740

 

»Das sind also die berühmten hängenden Gärten von Passau.« Hände in weißen Handschuhen stützten sich an dem niedrigen Geländer ab. Um keinen Preis der Welt wollte die hochgewachsene Dame Schwäche zeigen.

»Ja, eine Pracht, nicht wahr, Scarlett?« Bernard de Grabeuil ließ den Blick über die Gartenlandschaft schweifen. Ein Springbrunnen plätscherte nur drei Schritte entfernt. Akkurat geschnittene Buchsbaumhecken zeigten geometrische Figuren, hie und da war ein Ornament mit Kies oder farbigen Glasscherben ausgefüllt.

In der Nähe hörte sie das Klappern von Scheren, doch die Gärtner verstanden es, sich hinter den Rabatten zu verstecken, um keinen der geistlichen Herren in ihrer Andacht oder bei spirituellen Diskussionen zu stören.

»Ich wusste nicht, dass Ihr neuerdings einen Hang zum Religiösen habt.« Ströme von Schweiß sammelten sich unter ihrer Perücke, rannen in wahren Sturzbächen den Rücken hinunter. Wie viele Lagen Stoff hatte dieses vermaledeite Kleid? Es musste eine Tonne wiegen.

»Ja, die Umgebung ist anregend.« Mit einer sparsamen Geste lud er sie zu einem Spaziergang ein.

Widerstrebend löste Scarlett die Hand von der Brüstung. Sofort wollte ihr einer der Wachen zu Hilfe eilen, wissend um ihren wahren Zustand. Doch sie schüttelte sachte den Kopf. Verflucht! Im Schweiß unter der Perücke führten die Läuse Veitstänze auf.

»Was ist der Grund Eurer Einladung? Es geht Euch wohl kaum darum, mit der schönen Aussicht zu prahlen!«

Ihre Blicke schweiften über das Geländer und die vor ihnen liegenden Dächer der Stadt bis zum Dom.

»Eure Maler sind begabt.« Scarlett wies auf die umliegenden Gebäudewände, die eine Weiterführung des Gartens vorgaukelten.

»Sehr freundlich.« Sein Kopf senkte sich ein wenig, das tiefschwarze Haar kam in Bewegung. »Bitte nehmt Platz.« Formvollendet deutete Bernard auf eine Bank, umgeben von Goldpomeranzen, die einen feinen Orangenduft verbreiteten.

Innerlich aufatmend gab Scarlett der Schwäche nach und setzte sich.

»Zunächst mein herzliches Beileid zum Tod Eures geliebten Mannes.« Er lächelte und die Fangzähne traten ein wenig hervor.

Sie winkte ab, hatte nicht vor, auch nur ein Wort zum Tod des Gefährten zu verlieren. »Was wollt Ihr, Bernard?« Ein Lufthauch kühlte ihr Gesicht. Gleichzeitig brachte er den beißenden Geruch der glutheißen, engen Gassen mit. Sie rümpfte die Nase. Die Bauchschmerzen verstärkten sich. Lange würde sie die Fassade nicht aufrechterhalten können.

Bernards Nasenflügel blähten sich, ein feines Lächeln überzog das engelsgleiche Gesicht. »Glaubt Ihr wirklich, eine sehr große Portion Rosenwasser könnte den Geruch von Blut, von frischem Werwolfblut wohlgemerkt, vor mir verbergen?«

»Ich habe mich verletzt«, gab sie äußerlich ungerührt zurück.

»Bitte, spielen wir doch mit offenen Karten.« Das Lächeln verschwand, als er sich nun umdrehte und mit am Rücken verschränkten Armen vor ihr stand. »Ihr habt vor wenigen Woche einen Welpen zur Welt gebracht. Das ist gegen die Regeln oder irre ich mich?«

»Woher wisst Ihr davon?«, gab sie sich geschlagen. Auf einen Wink näherte sich einer ihrer Leibwachen und bot auf einem Tablett eine Karaffe mit gewässertem Wein an.

Bernard wartete, bis sich der Diener entfernt hatte, dann sagte er: »Oh, man hört Gerüchte. Ein Freier, der sich in der Wildnis um den Arbersee ansiedelt. Ein neugeborener Welpe, ohne Mutter. Muss ich noch weitersprechen?« Auch er schenkte sich ein, schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort: »Sehr schlau übrigens. Die Gegend ist wirklich unzugänglich. Niemandem wäre in den nächsten hundert Jahren irgendetwas aufgefallen. Bedauerlicherweise plant der Fürstbischof dort großflächig Rodungen durchzuführen, und da begannen die Gerüchte.«

»Was wollt Ihr?« Scarlett fächerte sich Luft zu.

»Oh, ich will sehr viel. Was ich verlange?« Er tat, als müsse er nachdenken, indem er mit dem Finger gegen die vollen Lippen tippte. »Immer wieder gibt es bedauernswerte Menschenkinder, die ohne passende Eltern in eine Welt hineingeboren werden, die nicht sehr freundlich zu ihnen ist. Ich kenne genug Paare, die mit Freuden diesen Wesen ein gutes und vor allem langes Leben schenken würden. Ein ehrenwertes Ziel, nicht wahr?«

»Das ist absoluter Blödsinn!«, fuhr sie hoch, nur um sofort wieder zurückzusinken. Die heimliche Geburt ohne die Hilfe eines Heilers hatte sie mehr geschwächt, als sie zugeben wollte.

»Ich bin nicht gierig.« Bernard hob abwehrend die Hände.

Scarlett lachte laut auf, woraufhin einige Domherren in ihre Richtung blickten, bevor sie die Wanderung durch die Broderien wieder aufnahmen.

»Ich werde diese Angelegenheit dem Rat vorlegen und ich wünsche mir Eure Unterstützung.« Er sah auf sie hinunter, die grünen Augen verengten sich.

Scarlett presste die Lippen aufeinander.

»Ansonsten, so bedauerlich das auch für mich wäre, müsste ich mich an eine neue Alpha gewöhnen, und das muss doch nicht sein. Meint Ihr nicht auch?«

»Wie viele Kinder?«

»Ah, ich habe schon immer gerne mit Euch verhandelt.« Er rieb sich die Hände. »Sicher kann ich den Fürstbischof dazu überreden, die Rodungen noch eine Weile aufzuschieben. Hier in der Stadt ist noch viel zu tun.«

2. Gerüchte

 

»Wie spät ist es?« Die Sonne schickte ihre ersten Strahlen über die Baumwipfel und brachte die flauschigen Härchen auf seinem Arm zum Leuchten. Wieder einmal war Jack vor mir wach, stützte sich mit dem rechten Arm ab und strich mit dem linken durch meine Haare, die sicher kreuz und quer abstanden. Ein Nachteil des kurzen Haarschnittes.

»Halb sieben. Wir haben noch viel Zeit.«

Er rutschte näher, sein Duft stieg mir in die Nase und vernebelte mein Gehirn.

»Hm. So mag ich es«, schnurrte er und umfasste mein Kinn.

Einen Wolf aufzuhalten, der schmusen wollte, war schon schwierig. Ein ausgewachsenes Prachtexemplar wie Jack North, Leitwolf des Clans von Bayern, stoppen zu wollen, der witterte, dass ich ebenfalls Lust hatte, war so gut wie unmöglich. Kleinigkeiten anzuführen wie: »Ich komme zu spät« oder »Ich muss in die Uni«, war sinnlos. Hatte ich schon versucht. Mehrfach. Ohne Erfolg.

Logischerweise blitzten die blauen Augen, der Bart kitzelte meine Wange, während seine Hand über meinen Unterarm glitt, kurz eine Brust streifte und dann dorthin wanderte, wo die Wölfin, meine Wölfin, sie haben wollte. Sie war mir wahrlich keine Hilfe, im Gegenteil. Ungeniert genoss sie die Zärtlichkeiten ihres Gefährten. Ihre Lust steigerte meine Leidenschaft.

Das Ende vom Spiel: Es war wieder einmal kurz vor acht, als wir nacheinander die Treppe hinunterpolterten.

Tamara, die Alpha des Clans und meine beste Freundin, hielt mir einen Becher hin, auf dem stand Trau keinem Wolf, und eine Brotzeittüte, aus der es nach Butterbrezen roch.

»Hör endlich auf, sie immer in der Früh zu vögeln, Jack.« Tamara schickte meinem Geliebten einen strafenden Blick. »Sie muss sich konzentrieren, Herrgott noch mal!«

»Wem sagst du das!«, keuchte ich, während ich in die Dockers schlüpfte und die Jacke überwarf.

»Bist gut in Form.« Feixend schlug Tom Jack auf die Schulter und hielt ihm die Autoschlüssel hin. »Vor der Reischlkurve steht die Polizei und blitzt.«

»Danke, Kumpel.« Jack schenkte Tamara ein breites Lächeln und lief voraus.

Obwohl er das Gaspedal des Dodge durchdrückte, kamen wir erst um halb neun an der Uni an.

»Bin in der Werkstatt, hol dich dann mittags ab.« Ein letzter Kuss, ich lief die Treppe zum Audimax hoch.

»Ich versteh ja, dass du zu spät kommst, bei dem Typen. Aber allmählich wird er richtig sauer.« Ines nahm den Mantel vom Platz, den sie für mich reserviert hatte.

Ihr Kinn deutete auf den Dozenten. Möglichst leise setzte ich mich und öffnete die Laptoptasche. Doch Ines‘ Sorge war unbegründet. Sean sah nur kurz hoch, die grünen Augen verengten sich. Instinktiv hielt ich den Atem an. Sollte er es nur einmal wagen, etwas zu sagen! Doch nach einem rätselhaften Blick zu mir fuhr der schwarzhaarige Dozent fort, eine komplizierte Formel am Projektor zu erklären.

 

Mittags wartete Jack bereits vor der Tür.

»Wir wollten zu Onkel Fritz und was essen«, klärte ich ihn auf.

»Ah, nein …« Es war nicht nur gespielt, als er jetzt den Kopf hängen ließ.

»Ja, finde ich auch nicht toll. Die Mädels immer mit ihrem vegetarischen Kram.« Fred trat zu uns. »Sollen sie doch alleine gehen und wir holen uns Schnitzelsemmeln.«

»Nein, ist schon gut. Schadet bestimmt nicht, mal Gemüse zu essen«, entgegnete Jack viel zu schnell.

Die Anderen sahen sich wissend an. Ja, es war schwierig gewesen, zu erklären, warum Jack mir nicht von der Seite wich. Warum er immer dabei war, seit ich das Unileben wieder aufgenommen hatte. Die einzige Konstante in meinem neuen Leben als Werwölfin. Denn leider hatte ich das Tanzen aufgegeben. Aber es war die richtige Entscheidung gewesen. Keine Ahnung, was Jack mit dem Tanzstudio angestellt hätte, wenn Nick aufgetaucht wäre.

»Er ist ja mächtig verliebt«, raunte mir Ines zu, als wir uns auf den Weg machten, während Fred und Jack vorausgingen.

Ja, es stimmte, Jack liebte mich über alles. Aber es hatte natürlich noch einen anderen Grund, warum er mich nicht eine Sekunde aus den Augen ließ. Seit der Warnung der Wächterin hatte er sich verändert, war ernster und aggressiver geworden. In den Unterlagen, die Tony mir gegeben hatte, stand, dass Wölfe manchmal so reagierten, wenn sie glaubten, ihrer Gefährtin drohe Gefahr. Nun, die Gefahr war nicht von der Hand zu weisen. Nick, besser Nicolas de Grabeuil, hatte geschworen, sich zu rächen und das Objekt seiner Rache war ich. Deshalb ließ ich Jack auch so sehr über mein Leben bestimmen.

Später im Lokal musste ich lachen. Heldenhaft vertilgte er einen Gemüseteller, ohne die Miene zu verziehen.

»Man gewöhnt sich daran«, sagte er zu Fred, bevor er mit einem großen Schluck Apfelsaftschorle nachspülte.

»Ich weiß nicht.« Mit gefurchter Stirn zerlegte Fred die Gemüselasagne mit der Gabel.

Ines lachte. »Nimm dir ein Beispiel an Jack. Es muss nicht immer Fleisch sein.«

So gelobt, richtete sich mein geliebter Wolf auf und führte noch eine Gabel zum Mund. Das Besteck sah in seinen großen Händen wie Spielzeug aus.

»Du musst einfach schlucken«, erklärte er Fred mit wichtiger Miene, »und dann sofort was trinken.« Verschwörerisch beugte er sich vor. »Am besten Bier. Richtiges Bier.«

»Würde ich gern, Kumpel, aber der Tag ist noch lang heute«, versetzte Fred gequält und spießte eine Scheibe Zucchini auf.

Ines und Fred waren die einzigen Kommilitonen, die mir geblieben waren.

Nick hatte nicht lange gezögert. Nur eine Woche nach der verpatzten Hochzeit - noch jetzt schauderte mich der Gedanke, die Nacht auf dem Dachgarten der Neuen Residenz als Hochzeit zu bezeichnen - begannen die Gerüchte.

Da ich erst drei Wochen danach wieder soweit fit war, das Studium aufzunehmen, verstand ich anfangs das seltsame Verhalten der meisten Mitstudenten nicht. Das Getuschel hinter meinem Rücken, die abfälligen Musterungen; die Tatsache, dass niemand mehr Zeit hatte, einen Kaffee trinken zu gehen. Alle, bis auf Ines und ihren Freund Fred.

Fred war ein Nerd, er lebte in seiner eigenen Welt. Klatsch und Tratsch interessierten ihn nur dann, wenn sie dazu führten, einen Computer aufzurüsten oder den Level seines Charakters bei World of Warcraft zu erhöhen.

Ines hatte die meisten Kurse mit mir zusammen belegt. Als sie am zweiten Tag bemerkte, wie sich zwei Studentinnen mit verächtlichem Blick von mir wegsetzten, nahm sie mich beiseite.

»Die Sache ist die …«, erklärte sie und zog ihren Rock gerade.

»Was ist los, Ines?« Ich drehte mich um. Im Gang vor der Garderobe standen mittlerweile drei elegant gekleidete Studentinnen und flüsterten.

»Es gibt einige Gerüchte und sie hören einfach nicht auf.«

»Gerüchte? Über mich?«

»Ja.« Hellbraune Augen musterten mich, dann nickte sie. »Dachte ich schon, dass nichts dran ist.«

»Dran? Woran?«, rief ich. Mist! Das Temperament der Wölfin konnte ich leider nur schwer kontrollieren.

»Warst du nicht mal eine Zeit lang mit dem heißen Typen zusammen? Der, der Professor Wohlgemut vertreten hat? Er hatte so einen französischen Namen …« Sie runzelte die Stirn.

»Erinnere mich nicht daran«, wehrte ich ab.

»Jedenfalls hat er anscheinend viele Freunde hier, auch am Lehrstuhl.«

»Was sagen sie?«

Ines holte tief Luft. »Ach komm, blödes Zeug eben. Was man halt sagt, wenn eine Beziehung auseinander geht.«

»Ines, bitte! Ich war so lange krank und hab nichts mitbekommen.«

»Also gut. Du wärst ´ne Schlampe und würdest es mit jedem treiben. Dieser Nick hätte dich erwischt, wie du mit einem anderen im Bett warst. Deshalb habt ihr euch getrennt. Er ist todunglücklich und hat sich verkrochen, weil er so leidet. Man weiß gar nicht, ob er das Semester schafft, so viel Liebeskummer hat er.« Mitfühlend nahm sie mich am Arm.

Ich stützte mich an der Wand ab und atmete tief durch. Denn gerade in diesem Augenblick forderte die Wölfin ihr Recht, verlangte, dass ich mich wandelte, um die Zicken vor dem Eingang zum Hörsaal kräftig zu beißen und dann zu laufen, raus in die frische Luft. Laufen und alles vergessen.

»Ruhig weiteratmen. Du bist stärker. Du behältst die Kontrolle.« Jack hatte mir erklärt, was ich tun musste. Aber in der Ruhe des Waldes vor dem Clanhaus was das einfacher als hier.

»Hey, du wirst ganz rot.« Besorgt legte Ines eine Hand auf meine Schulter.

»Geht schon«, quetschte ich hervor und drängte die wütende Wölfin zurück, soweit es nur ging.

»Hör zu, ich glaub es nicht. Du bist nicht der Typ für so was.« Eine weiche Hand legte sich auf meine Schulter.

»Wer sagt denn das?« Nur mühsam formulierte ich die paar Worte. Wenn jemand die Reißzähne sehen würde, wäre mein Leben verwirkt.

»Ein paar aus unserem Semester. Schickimicki-Tanten wie die dort drüben.« Verächtlich zeigte ihr kräftiges Kinn auf die Studentinnen.

Täuschte ich mich oder war eine von denen eine Vampirin? Tatsächlich zwinkerte mir die Blondine im eleganten Kostüm zu, während die anderen kicherten.

»Komm, mach dir nichts draus. Holen wir uns einen Kaffee und ich brauch noch was Süßes.« Ines hakte sich demonstrativ unter.

Nur gut, dass nach der Vorlesung mein geliebter Wolf vor dem Ausgang wartete. Die Sporttasche deutete darauf hin, dass er trainieren gewesen war.

»Ist ja süß. Schau mal. Kommt er vom Training?«

»Du weißt ja, das Sportstudium, da ist er fast die ganze Zeit im Sportzentrum. Deshalb hat er ja auch so viel Zeit«, betete ich die Story herunter, die wir uns ausgedacht hatten, um seine ständige Anwesenheit zu erklären.

»Ja, das sieht man ihm an.« Ines schickte ihm einen schwärmerischen Blick.

Sofort regte sich die Wölfin, die sich mittlerweile wieder beruhigt hatte.

»Dann, bis morgen«, murmelte ich, Jack hinter mir herziehend.

»Tom hat angerufen. Wir müssen noch einkaufen«, teilte er mir, als wir im Wagen saßen.

»Gut, sehen wir bei Heinz vorbei. Ich muss sowieso fragen, wann ich wieder bei ihm arbeiten kann.«

»Ach, komm, wir haben das doch besprochen, Schatz.« Seine Hand umklammerte das Lenkrad fester. »Du sollst doch dort nicht mehr hin. Es … es passt nicht zu einer Vertrauten.«

»Es passt dir nicht«, stellte ich klar.

»Du musst studieren. Mutter will es auch so«, spielte er seinen letzten Trumpf aus. Denn der Anweisung der Alpha von Europa, Jacks Mutter, einer der vier mächtigsten Werwolffrauen der Welt, nicht zu folgen, war undenkbar.

»Jack, ich brauche das Geld. Vorher hat es auch geklappt mit Studieren und Arbeiten.«

Er zuckte zusammen. »Du brauchst doch nichts. Für den Clan ist gesorgt. Du kriegst alles von mir. Wie viel willst du haben?«

Es war eine der ersten Sachen, die ich gelernt hatte, dass es für den Clan ein gemeinsames Konto gab, auf das jeden Monat eine nicht unerhebliche Summe überwiesen wurde und von dem die jeweilige Alpha alle anfallenden Kosten der Gemeinschaft zahlte.

»Jack, ich will mein eigenes Geld verdienen, für Klamotten, für Kosmetik, für … was weiß ich noch alles!« Ich warf die Arme in die Luft und stieß mir dabei den Ellbogen. »Au, verdammt! Du bist so stur, Mann. Wir haben das doch schon x-mal besprochen.«

Er schwieg, bis wir zum Bio-Markt einbogen.

»Du weißt, worüber ich mir Sorgen mache«, murmelte er.

Stille trat ein, als er den Motor abschaltete. Er rutschte tiefer in den Sitz und starrte hinaus, mit einem harten Zug um den Mund.

Eine Schnellstraße rauschte am Markt vorbei, dahinter war ein Recycling Center. Ja, ich sah es jetzt mit anderen Augen. Sicher, hier hätten die Vampire leichtes Spiel, vor allem, da nur wenige Meter weiter unten die Donau vorbeizog. Ideal eigentlich.

»Also gut. Es muss ja nicht sofort sein. Ein bisschen Geld habe ich ja noch.« Damit stieg ich aus, um Jacks Erleichterung nicht mit ansehen zu müssen.

Verdammt! Bevor der ganze Schlamassel passierte, stand ich auf eigenen Füßen, verdiente selbst mein Geld war auf niemanden angewiesen. Der Fond, den meine Eltern noch eingerichtet hatten, bevor sie zu einem Guru nach Indien verschwunden waren, reichte auf jeden Fall für ein Studentenleben. Dann musste es eben jetzt für ein Wolfsleben herhalten.

»Übrigens sollte ich morgen pünktlich sein. Wir schreiben Übungsklausur. Und Sean kocht sowieso schon.«

»Wenn er nur einen Mucks macht, ist er geliefert«, knurrte Jack und trat durch die Schiebetür.

Stolz wallte in mir hoch. Stolz darauf, die Gefährtin dieses Wolfes zu sein, der mich mit seinem Leben beschützen würde, nein, der es bereits getan hatte. Und mir tat weder Nick noch Sean leid. Sie hatten mich drogenabhängig gemacht und beinahe verwandelt, um eine Vampirin aus mir zu machen und Nicks Kind auszutragen. Nein, ich wollte nicht mehr daran denken. Vielleicht war die Wächterin, die uns die Warnung hatte zukommen lassen, einfach übervorsichtig. Vielleicht beruhigte sich Nick wieder und alles würde sich normalisieren.

3. Bernhardiner

 

So anstrengend hatte ich mir das neue Leben nicht vorgestellt. Da war zum einen das Studium, das volle Konzentration erforderte. Dann der Umstand, dass in der Uni außer Ines und Fred keiner etwas mit mir zu tun haben wollte. Was beides zu ertragen gewesen wäre, wenn es wenigstens in meinem Privatleben keine Probleme gegeben hätte. Aber nein – Ich lebte nun in einer Gemeinschaft von Werwölfen, das Wort Rudel brachte ich nicht über die Lippen. Damit nicht genug, fanden nur wenige Mitglieder dieser Gemeinschaft es gut, dass ich nun hier war und nach Tamara den zweitwichtigsten Posten innehatte. Dementsprechend müde saß ich im Probenraum.

Wolves Cry, die Rockband der Wölfe, bestand aus Tom, dem dunkelhaarigen Drummer, Phil, der blonde Heiler der Wölfe, der zwischen Keyboard und Bassgitarre wechselte und Jack, dem Gitarristen und Sänger. Neuerdings durfte Stefan, der jüngste unter den Wölfen, mitspielen, meist am Keyboard. Er war furchtbar stolz darauf. Tamara und ich fanden ihn besonders süß, wenn seine dichten nussbraunen Haare im Takt der Beats wippten. Heute probten sie mehrere neue Stücke, denn sie wollten demnächst wieder ein Konzert geben.

Unwillkürlich reisten meine Gedanken in die Vergangenheit. Wie viel war seit dem letzten Konzert passiert. Eifersucht wallte hoch, wenn ich daran dachte, wie Helen Jack vor meinen Augen geküsst hatte. Wie ich sie dafür hasste! Damals hatte ich noch nichts von Werwölfen und Vampiren gewusst. Auch war mir nicht klar gewesen, dass Nick mich schon längst unter seinen Bann gebracht hatte. Weil ich genau die richtige Blutgruppe und Gene hatte, um ein Kind von ihm auszutragen. Ich schauderte. Tamara sah mich fragend an.

»Schon gut. Musste nur an die letzte Zeit denken.«

Aber nur ein Blick zu meinem Lieblingswolf entschädigte mich für alles. Er stand wenige Schritte entfernt und liebkoste die E-Gitarre, eine Gibson, wie ich nun wusste. In diesen Momenten verschmolz er mit der Musik, sang die Lieder, als würden sie aus seinem Leben erzählen, sah hoch und schickte mir einen jener Blicke, für die ich sofort wieder alles auf mich nehmen würde.

»Ah, hört auf, ihr beiden«, winkte Tamara ab. »Es ist wirklich kaum auszuhalten mit euch.«

Phil fuhr sich durch die kurzen strubbelig blonden Haare und umarmte sie: »Ich sag doch schon die ganze Zeit, wir sollen es ihnen nachmachen.«

»Lass mich, Phil. Es ist alles so anstrengend«, wehrte sie ab. Phil drehte sich mit verschlossener Miene weg.

»Tut mir leid.« Tamara sprang auf und umarmte ihn von hinten. Sofort überzog ein Lächeln sein Gesicht und nach einem dicken Kuss grinste er.

»Willst du den Song hören, den Jack immer gespielt hat, als du mit Nick zusammen warst?«

»Ah, nein. Das halte ich nicht aus. Wie oft haben wir das gespielt?«, maulte Tom hinter den Drums.

»Keine Ahnung.« Phil zwinkerte mir zu. »Irgendwann habe ich sogar schon davon geträumt.«

»War ´ne harte Zeit«, schmunzelte Jack. »Wird dir gefallen, Schatz.«

Angespannt setzte ich mich zurück. Eigentlich wollte ich nicht mehr an diese Zeit denken. Harte schnelle Beats überfielen mich. Seltsam, Punk war sonst nicht ihre Stilrichtung. Schon stieß Jack den Text in Sprechform ins Mikrofon, kalt, abweisend, verletzt. Beklommen umklammerte ich das einzige Kissen auf der Couch.

Den Refrain Ich liebe dich nicht und du liebst mich nicht sangen die Wölfe gemeinsam.

»Gut, dass es nicht stimmt.« Ich sprang auf, umarmte Jack trotz der Gitarre und küsste ihn.

»Aber eines hab ich dir noch gar nicht gesagt, Jack. Vielleicht magst du Rebecca dann gar nicht mehr.« Tamaras Augen blitzten. »Weißt du, wie sie dich nach dem ersten Abend genannt hat?«

»Nein, das wirst du nicht tun!«, rief ich.

Doch Tam stemmte die Arme in die Seiten, sie war fast einen Kopf größer als ich und grinste übers ganze Gesicht. »Bernhardiner. Du wärst ein großer, knuddeliger Bernhardiner.«

Alle bogen sich vor Lachen, nur ich war nicht sicher, wie mein Liebling das aufnehmen würde. Doch zu meiner Erleichterung stellte er ruhig die Gibson ab und kam auf mich zu.

»Soso – ein Bernhardiner. Ah, ha, das wirst du büßen, ganz klar. Den Leitwolf so zu beleidigen, das geht ja gar nicht.«

Konnte nur ich sehen, dass ein goldener Ring seine himmelblaue Iris umschloss? Wie sich jedes Härchen auf seinem Arm einzeln aufstellte, als er die Arme um mich legte und die Nase in meine Haare steckte? Sein Atem streifte meinen Nacken, spätestens jetzt war die Wölfin nur noch sehr schwer zu bändigen. Seit der Transformation kämpfte ich darum, sie im Zaum zu halten. Nicht immer erfolgreich.

Ein Hüsteln beendete den Kuss. Sabrina und Andrea standen in der Tür. »Wolltet ihr nicht raus?«

»Ja, stimmt.« Tom verließ die Drums. »Bevor die beiden wieder im Bett verschwinden ist es besser, wir jagen ein bisschen.«

Die Wölfin horchte auf. Erinnerungsfetzen an die erste Jagd gingen mir durch den Kopf; das herrliche Gefühl, frei und ungehindert im Wald zu laufen; die frische, kühle Nachtluft zu schmecken.

Die anderen lachten. Zu spät bemerkte ich, dass ich mich schon gewandelt hatte, ohne es zu bemerken. Mist! Immer wieder passierten mir solche Fehltritte, die unter den Geborenen einfach nur als peinlich galten.

»Denkst du, sie lernt es noch?«, hörte ich Sabrina zu Andrea flüstern. Die schüttelte den Kopf und folgte ihr nach draußen.

»Bleib besser dicht bei uns, nicht, dass dich noch einer für einen Fuchs hält.«

Ich wusste, Phil hatte es scherzhaft gemeint, denn leider changierte meine Fellfarbe irgendwo zwischen Rotbraun und Braun.

»Du bist einfach mein Füchslein.« Jacks kalte Schnauze fuhr unter mein Fell.

»Danke, danke. Es ist immer wieder schön, mit euch zusammen zu sein«, gab ich beleidigt zurück. Wenigstens hatte ich es geschafft, mich in der Gedankensprache der Wölfe leidlich auszudrücken.

»Hier.« Jack erschnupperte eine Fährte, blies vorsichtig und dann - geschah wieder nichts. Er schickte mir ein mentales Bild: Luftbläschen, silbern, die den Wölfen genau sagten, welches Wesen hier vorbeigekommen war, wann und in welcher Verfassung. Sogar Stefan erkannte auf Anhieb, dass es sich um ein Wildschwein gehandelt hatte.

»Das wird schon.« Tröstend stupste mich Jack an, während wir Tamara und Tom folgten.

»Du solltest neben ihr laufen«, gab ich leise zurück.

Beinahe körperlich spürte ich den Stich im Herzen, als mein Wolf den Platz neben Tamara beanspruchte.

4. Bibliothek

 

Ein paar Tage danach fand ich zwischen der gewaschenen und sauber gefalteten Kleidung einen Umschlag. Für Rebecca, die Liebe meines Lebens, stand da in ungelenker, altertümlicher Schrift. Drinnen zählte ich zehn Hundert-Euro-Scheine. Das durfte doch nicht wahr sein! Was dachte Jack sich dabei? Sofort fühlte ich mich wie eine Nutte. Sicherheitshalber verstaute ich das Geld in der Schublade und verließ das Zimmer.

»Jack?«

Im Esszimmer saßen Tamara, Ludwig und Sabrina beim Frühstück.

»Er ist draußen.« Meine Freundin schmunzelte. »Wie hast du es geschafft, dass heute Ruhe ist?«

»Keine Ahnung.« Schon jetzt spürte ich, wie sehr er mir fehlte.

»Ich soll dich fahren.« Ludwig streckte sich.

Nanu? Wo waren die Scherze und Anzüglichkeiten, mit denen der Wolf aus Oberbayern sonst nie geizte?

»Was macht Jack?«, ließ ich nicht locker.

»Ach, nichts«, wich Ludwig meinem Blick aus.

Tamara stand auf, um etwas im Besteckkasten zu suchen. Nur Sabrina rührte in der Müslischale und sah zu mir hoch.

»Sagt mir jetzt bitte mal jemand, was los ist?« Ich stampfte mit dem Fuß auf.

»Er glaubt, er hat was gewittert. Hier, in der Nähe des Hauses. Heute früh. Deshalb ist er raus. Tom und Phil sind dabei. Damit Ludwig einmal was Gescheites macht, soll er dich fahren.« Sabrina lächelte ihn an und stand auf.

»Bist du so weit?« Ludwig produzierte nun doch so etwas wie ein Grinsen und fuhr fort: »Freu mich schon auf die feschen Hasen, von denen Jack geschwärmt hat.«

»Aha, danach werde ich ihn noch fragen«, murmelte ich und zog mich an.

Man konnte den Wolf aus Oberbayern getrost als Sonnyboy bezeichnen. Seine kinnlangen blonden Haare trug er stets ein wenig verstrubbelt, die blauen Augen blitzten vergnügt unter gepflegten Augenbrauen hervor. Er war nicht ganz so groß wie Jack, glich eher einem Bodybuilder. Ludwig fuhr einen schwarzen Hummer H3. Die Jungs hatten ihn vor ein paar Tagen in der Werkstatt getuned. Tagsüber sah er unspektakulär aus. Die wahre Kunstfertigkeit zeigte sich erst in der Nacht. Ich musste schmunzeln, als ich an die gestrige Probefahrt dachte.

 

Ludwig war vorausgefahren; Jack, Tamara, Phil und ich waren ihm im Dodge gefolgt.

»Jetzt pass auf!« Jack zeigte auf den vor uns fahrenden Hummer und ich keuchte auf.

Die unscheinbaren silbernen Schemen bewegten sich, erhoben ihre Häupter wie ein Heer von Geistern, die aus ihren Gräben krochen.

»Du bist wirklich ein Genie, Phil!«

»Danke, das tut gut.« Der Heiler schickte mir einen warmen Blick.

»Ach so, und ich hab gar nichts getan, oder wie?« Beleidigt hieb Jack auf das Lenkrad.

»Natürlich bist du auch ein Genie. So ein Schwarz hab ich noch nie gesehen.«

Tam gluckste und Phil prustete los.

»Jaja, lacht ihr nur, wenn ich mir den Mini vornehme, wirst du um Gnade betteln«, versetzte Jack und drückte auf das Funkgerät. »Es gefällt ihnen und wir gehen auf ein Bier«, ordnete er an.

»Ich muss noch arbeiten«, protestierte Tamara, wenn auch schwach.

»Meine Semesterarbeit schreibt sich nicht von alleine«, setzte ich nach.

»Ist mir egal«, brummelte mein Schatz. »Hättest du dir vorher überlegen sollen.«

Es war ein schöner Abend geworden, leider auch ein wenig spät.

 

Tja, jetzt bei Tageslicht erkannte man nur schemenhaft eine Hand, die ihre Knochenfinger nach dem Türgriff ausstreckte. Mit gemischten Gefühlen stieg ich ein.

»Was willst du hören?« Ludwig startete den Motor und drehte Heavy Metal leiser.

»Was hat Jack gewittert?«

»Komm schon! Ich soll nichts sagen, damit du dich nicht aufregst.« Er verfolgte im Rückspiegel eine Fahrradfahrerin.

»Ich warte.«

»Er glaubt, dass heute Nacht Vampire hier waren. Ziemlich nah am Haus, vielleicht ist sogar noch einer da«, rückte er zögernd mit der Sprache heraus. »Ich wollte mit. Aber er muss ja unbedingt Tom mitnehmen und Phil, obwohl ich sicher fitter bin als die.« Jetzt klang Ärger aus seiner Stimme.

»Jack ist der Leitwolf. Er entscheidet, wer bei einem Kampf dabei ist«, murmelte ich mehr zu mir selbst, die Seite in Tonys berühmten Ordnern vor Augen, auf denen in einem Diagramm die Rangfolgen aufgezeichnet waren.

Himmel! Noch vor einem halben Jahr hätte ich jeden für verrückt erklärt, der mir erzählt hätte, es gäbe Werwölfe und Vampire in Passau. Und jetzt? War ich selbst die Vertraute der Alpha des Clans von Bayern, quasi ihre Stellvertreterin, trug Verantwortung für die Mitglieder und verteidigte die Kämpferauswahl meines Gefährten. Ich war mir nicht sicher, ob ich lachen oder weinen sollte.

»Ich bin über Mittag in der Bibliothek. Es reicht, wenn du mich abends abholst«, teilte ich dem jungen Wolf mit, bevor ich ausstieg.

Gottlob hatte Ines wieder reserviert. Die neugierigen oder abschätzigen Blicke ignorierend, versuchte ich, mich auf die Vorlesung zu konzentrieren.

In der Mensa das gleiche Spiel. Sobald ich mit dem Tablett in der Hand auf einen Tisch zusteuerte, verstummten die Gespräche und die Blicke wurden distanziert.

»Du solltest nicht immer bei mir sitzen, Ines«, murrte ich und stopfte eine Karotte in den Mund.

»Ich sitze, wo ich sitzen will«, bestimmte sie und rührte in dem Pudding. »Die beruhigen sich schon wieder.«

In diesem Moment spürte ich die Anwesenheit eines anderen Werwolfes. Nur eine Ahnung, ein Hauch, der mich traf. Ich sah nach oben, versuchte in dem Meer aus fremden Gesichtern ein bekanntes herauszufinden. Kurz, ganz kurz, glaubte ich, eine große schwarzhaarige Frau zu sehen. In abenteuerlich zerrissenen Jeans und einem viel zu weiten pinken T-Shirt. Dann betrat eine Gruppe Studenten den Raum und die Sicht war versperrt. Aber Cat, Cathleen North, Jacks Schwester, konnte unmöglich an der Uni sein. Wenn, dann hätte sie sich sicher bei mir gemeldet. Und hatte Jack nicht gesagt, sie würde ihre Mutter begleiten?

Kopfschüttelnd widmete ich mich wieder meinem Salat.

»Was ist mit dir?«

»Ich glaube, ich sehe schon Gespenster«, murmelte ich.

Ines hatte noch eine Vorlesung und ich verzog mich in die Bibliothek. Absichtlich verbrachte ich hier viel Zeit, obwohl ich theoretisch auch im Clanhaus hätte arbeiten können. Aber hier fühlte ich mich einfach wohler.

»Immer noch fleißig?«

Ein kühler Luftzug, ein Hauch von Mandelöl rissen mich aus den Tiefen der Stochastik. Doch als ich hochsah, bemerkte ich nichts Außergewöhnliches. Ruhig lag die Bibliothek im Halbdunkel des Abends. Außer mir waren nur noch vier Plätze belegt. Fred, zwei Reihen weiter, starrte unbewegt auf den Bildschirm.

Wo war Ludwig? Ich sah hoch und bemerkte den Wolf im Gespräch mit zwei Studentinnen. Gerade machte er einen Scherz, den die beiden mit Kichern beantworteten. Die Größere von ihnen streifte in einer eleganten Geste ihre langen, blonden Haare hinter das Ohr. Herzlichen Dank für den Schutz, Ludwig!

Vielleicht hatte ich mir auch nur eingebildet, dass ich Nicks Aftershave gerochen hatte. Wo doch meine Nase eh nicht so toll war. Innerlich schnitt ich eine Grimasse, als ich an letzte Nacht dachte und an Sabrinas Genugtuung. Nein, Schluss mit den trüben Gedanken. Ich musste diese Aufgabe fertig bekommen. Am besten kopierte ich die Seiten aus dem Buch, um sie später zu Hause durchzuarbeiten. Waren die Gänge zwischen den Regalen immer schon so schlecht ausgeleuchtet gewesen? Erschrocken wich ich vor einem Schatten zurück, der sich bei näherem Hinsehen als vergessener Schirm erwies.

Reiß dich zusammen, Becca! Nick würde sich nie in die Bibliothek trauen, wenn Ludwig dort oben Wache hielt. Zwischen zwei Regalen sah ich bereits die Tür zum Kopierraum.

»Ts, ts, ts – so ernst heute?«

Eine Bewegung wie ein Schatten. Plötzlich stand er vor mir: Nicolas de Grabeuil, wie er leibte und lebte - oder vielmehr nicht mehr ganz lebte. Gut genährt augenscheinlich. Mit dem bekannten überheblichen Grinsen lehnte er mit verschränkten Armen am Regal, die grünen Augen glitten ungeniert über meinen Körper.

»Gib´s zu, dass das Leben mit einem dumpfen Wolf nicht annähernd so lustig ist wie mit mir«, erklärte er.

Ein klein bisschen lugten die Fangzähne über seine vollen Lippen. Gegen meinen Willen überflutete mich eine Welle der Erregung, als ich an das orgiastische Gefühl des Trinkens dachte. Doch dann siegte – gottlob - die Wölfin. Ein schneller Blick zeigte mir, dass Ludwig immer noch beschäftigt war.

»Ah, du hast Marie und Valentina gesehen. Sind sie nicht schön?« Seufzend fuhr er durch sein dichtes schwarzes Haar. »Wie gut sie den dummen Wolf ablenken. Ich glaube, sie haben heute Abend eine Belohnung verdient.«

»Was willst du?«, fauchte ich und wollte an ihm vorbei.

»Ah, nicht so schnell, mon amour«, flüsterte er, während mich kalte Arme festhielten. »Hast du nicht Lust auf eine rasante Fahrt mit der Blade? Auf ein gutes Essen in tollem Ambiente? Gib zu, dass es wirklich Spaß gemacht hat mit mir.«

Seine volle Stimme, leicht rauchig, nistete sich in meinem Gehirn ein und entfachte wilde Sehnsucht. Das Bedürfnis danach, einfach abzuhauen, alles hinter mir zu lassen, rauf auf das Motorrad, den Motor spüren und …

»Scheiße, Nick, hör auf!« Fast zu spät entdeckte ich die Manipulation.

Die Studenten sahen neugierig zu uns her. Jetzt bemerkte auch Ludwig, dass hier unten etwas nicht stimmte und stürmte los.

»Adieu, bis bald, ma petite.« Sachte fuhr Nick über meinen Arm, wohlige Schauder auslösend. »Du solltest zu Hause nach dem Rechten sehen«, flüsterte er und verschwand.

Nur Sekunden später stand Ludwig vor mir. »Wo ist er?«

Ein intensives Gefühl zwang mich, hochzusehen. Tatsächlich legte in diesem Moment Nick die Arme um die beiden Mädchen, winkte noch einmal, bevor er mit ihnen nach draußen spazierte.

»Bist du okay? Soll ich ihm nach?« Verlegen fuhr sich Ludwig durch die Haare.

»Hat es wenigstens Spaß gemacht?«, giftete ich und ging zu meinem Platz.

»Ach komm, ich war doch gleich bei dir«, grummelte er.

Stumm gab ich seinen Blick zurück und packte die Sachen. Dann würde ich die Seiten eben morgen kopieren. Es war ja auch schon spät. Seit Tamara das Seminar besuchte, hatte ich ihre Aufgaben zu übernehmen. Seufzend schob ich das Bild von Nick und der Blade beiseite. Rasend schnell, sicher und dann ein Candle-Light Dinner im Restaurant, vielleicht auf der Burg Oberhaus … Himmel! Was dachte ich eigentlich? Fieberhaft versuchte ich, mir Miriam oder ein anderes Schattenmädchen vorzustellen. Junge Menschen, halb transformiert, vollgepumpt mit Ecstasy und Vampirgift, nur dazu da, den Vampiren als Nahrung zu dienen. Bis sie daran starben. Das wirkte, der schön gedeckte Tisch verblasste. Dafür stand Ludwig immer noch vor mir, mit einem komischen Blick. Ich hörte auf, die Sachen wie eine Wahnsinnige in die Tasche zu stopfen.

»Tut mir leid, echt«, baten dunkelblaue Augen.

»Ja, ist schon gut. Fahren wir.« Eigentlich hatte ich sagen wollen: Fahren wir heim. Doch noch immer konnte ich Wolfsschädelberg oder – wie die Wölfe es nannten –, das Clanhaus, nicht als mein neues Zuhause ansehen.

Trotzdem stand der Wolf starr wie die Freiheitsstatue.

»Und?« Ich drückte ihm die Laptoptasche in die Hand.

»Mann, sag Jack nichts davon, bitte. Sonst macht er Hackfleisch aus mir.«

Jetzt musste ich doch schmunzeln. War Jack schon nicht schmächtig, so war Ludwig zwar etwas kleiner, aber auch breiter und muskulöser, eben der typische Bodybuilder-Typ.

Erst als ich die Tür der Bibliothek hinter mir schloss, prustete ich los: »Hackfleisch? Wie soll er das denn anstellen?«

Jetzt erhellte ein Grinsen das verkniffene Gesicht, der Spitzbart hob sich und er meinte: »Du kennst Jack nicht, wenn er mega sauer ist.«

»Ich hab ihn schon mal richtig sauer gemacht, vergiss das nicht«, gab ich zurück und stieg in den Truck.

Doch Jack brauchte nur eine Umarmung, um zu wissen, was los war. Aufgeschreckt durch die Spuren, die er im Wald rund um das Clanhaus gefunden hatte.

»Du sollst auf sie aufpassen! IST DAS SO SCHWIERIG?«, brüllte er übergangslos den jüngeren Wolf an, der sich sofort wegduckte. So wütend hatte ich ihn wirklich noch nie gesehen. Er ballte die Fäuste und schob mich zur Seite.

»Geht´s dir gut?« Wenigstens schrie er mich nicht an.

»Ja, es geht mir gut. Ludwig kann nichts dafür. Nick hat die Mädchen manipuliert, damit sie ihn ablenken. Nick tauchte ganz plötzlich auf.«

Ich drückte mich an ihm vorbei. Mittlerweile hatten sich alle Clanmitglieder im Wohnzimmer versammelt. Und denen wollte ich sicher nicht erklären, dass Nick es fast geschafft hätte, mich unter seinen Bann zu bringen.

»Was hat er gemacht?« Jacks Stimme zitterte.

»Nichts. Er hat mir in der Bib aufgelauert. Zwischen den Regalen. Er versuchte, mich zu provozieren und zum Schluss, kurz bevor Ludwig gekommen ist«, der Wolf schickte mir einen dankbaren Blick. »hat er gesagt, dass ich zu Hause nachsehen soll.«

Verständnislos sah Jack mich an: »Zu Hause? Hier ist dein Zuhause.« Seine Arme zeigten in die Runde.

»Sie meint wahrscheinlich ihr Appartement«, warf Andrea ein.

»Ja, sie meint wirklich die Studentenwohnung, die bisher ihr Zuhause war«, knurrte ich und Andrea wich zurück. »Ich sehe morgen vorbei. Was soll schon sein?« Betont gleichmütig betrat ich die Treppe.

»Auf keinen Fall. Wir fahren zusammen. Wer weiß, was sich sein beschissenes, krankes Hirn ausgedacht hat«, stieß mein Liebling hervor.

5. Fotos von früher

 

Es war ein komisches Gefühl, zwischen Tom und Jack eingezwängt im Dodge zu sitzen. Hinter uns stritten Sabrina und Stefan.

»Ich sag dir ein letztes Mal: Schalt den Lärm dieses verdammten Machotypen aus«, zeterte Sabrina.

»Kollegah ist voll gut und außerdem kannst du es gar nicht hören«, murrte Stefan, die Kopfhörer des iPods fester in die Ohren drückend.

»Denkst du wirklich, ich will mir noch ein Wort des frauenfeindlichsten Rappers aller Zeiten anhören? Schalt es ab!«

»Von mir aus«, murrte der Kleine.

Jack und Tom grinsten.

»Du solltest dir richtige Musik anhören«, meinte Jack.

»Jetzt komm mir nur nicht mit deiner Opa-Musik«, begehrte Stefan auf. »Ihr solltet mal was von K. I. Z. spielen, das wär mal was!«

Jacks Miene verdüsterte sich. Aber da kam Gott sei Dank mein Zuhause in Sicht. Nein – mein früheres Zuhause, korrigierte ich mich in Gedanken. Augenblicklich wurde es still im Truck. Nur die Motorengeräusche und die Bässe von 3 Doors Down gaben den Takt an. Meiner Meinung nach machte Jack viel zu viel Wind um die Sache. Gut, Nick wollte, dass ich hierherkam. Aber eine so offensichtliche Falle passte nicht zu dem Vampir.

Es hätte wirklich gereicht, wenn Jack und ich allein gefahren wären. Denn es gab nicht viel zu packen. Die wenigen Möbel waren mit vermietet. Es blieben nur ein paar persönliche Sachen und die Kleidung. Zur Not hätte ich alles sogar in den Mini gepackt. Aber Jack war stur geblieben.

Jetzt parkte er ein, grinste zwei Mädchen an, die gerade das Haus verließen und ihm kichernd die Tür aufhielten. Ja, auch die Wölfe hatten ihren Charme.

Plötzlich, er hatte erst einen Fuß in den Gang gestellt, Tom direkt hinter ihm, schnellten wie auf ein geheimes Signal beider Köpfe in die Höhe. Auch Stefan und Sabrina sahen alarmiert aus. Die Wölfin witterte.

»Was ist los?«

»Riechst du es denn nicht?«, zischte sie.

Stumm schüttelte ich den Kopf.

»Tom! Du bleibst bei Rebecca im Auto. Stefan, komm mit«, befahl Jack.

»Warum soll ich nicht mitkommen?«, protestierte ich. Aber ein Blick aus harten blauen Augen ließ mich schweigen.

»Sabrina?« Er konnte der Wölfin schlecht einen Befehl erteilen, begriff ich.

»Ich komme mit. Wir wollen doch die Vertraute schützen, oder?« Mit einem honigsüßen Lächeln folgte sie den Wölfen durch die Tür.

»Was willst du hören?«, fragte Tom, nachdem wir die Autotüren wieder geschlossen hatten.

»Ist mir egal. Was ist, Tom? Was habt ihr gerochen?«

Er ließ sich Zeit mit der Antwort, spielte am CD-Wechsler herum.

»Erst vor Kurzem waren Vampire hier, Ausgestoßene. Ob Nick dabei war, kann ich nicht genau sagen. Aber es waren mindestens drei oder vier. In der Nacht, schätze ich.« Eine Weile dudelte das Radio, dann fragte er: »Du siehst es wirklich nicht, oder?«

»Nein. Jetzt kannst du dich freuen«, gab ich bissig zurück.

»Nicht unbedingt«, er strich sich über den kurzen dunklen Kinnbart, »der Clan braucht alle fähigen Wölfinnen, die er kriegen kann, besonders in diesen beschissenen Zeiten«, setzte er nach.

»Woher weißt du, dass es Ausgestoßene waren? Riecht nicht jeder Vampir gleich?«

Tom seufzte und rutschte im Sitz ein wenig tiefer. Beinahe glaubte ich, er würde mir überhaupt nicht antworten, doch dann sagte er: »Sie heißen nicht umsonst Ausgestoßene. Vor allem die großen Familien wollen nichts mit ihnen zu tun haben. Sie halten sich an keine Regeln, die meisten haben es auf Crystal Meth abgesehen. Da sie es nicht selbst nehmen können, machen sie Menschen abhängig.«

Ein kurzer Seitenblick. »Kommt mir bekannt vor. Aber Nick stand auf Ecstasy.«

»Eben. Das ist zwar auch eine beschissene Droge. Aber sie zerstört weder die Menschen noch die Vampire so schnell.«

Bevor ich noch etwas erwidern konnte, quäkte das Funkgerät.

»Tom, ruf Ludwig an«, hörte ich Jack, wenn auch ziemlich verzerrt.

»Wieso? Sie hat gesagt, sie hat nicht viel Zeug.«

Wütend wollte ich sagen, dass sie direkt neben ihm saß, als erneut das Funkgerät zum Leben erwachte.

»Tom, ruf Ludwig an, hab ich gesagt! Er soll mit dem Pritschenwagen kommen. Alles hier ist nur noch Schrott.«

»Schrott? Meine Wohnung?« Ich riss die Tür auf und rannte ins Haus, gefolgt von einem fluchenden Tom.

Drei Stockwerke später – es hatte wirklich Vorteile, eine Wölfin zu sein; so schnell war ich die Treppen noch nie hochgelaufen – prallte ich zurück.

Eine Wolke, gleich einem Nebel, empfing mich. Übelerregend, aufdringlich süß, nach Tod und Verwesung stinkend. Es war fast körperlich greifbar. Tom neben mir knurrte.

Das Einzimmerappartement verdiente diesen Namen nicht mehr. Fassungslos stieg ich über zertrümmerte Holzstücke, die früher das Bett gebildet hatten. Zerfetzte Kleidungsstücke bedeckten den Boden. Nichts, aber auch gar nichts, war heil geblieben. Studienunterlagen existierten nur noch als kleinste Schnipsel. Unter jedem Schritt knirschte es, weil das wenige Geschirr, das ich besessen hatte, in Scherben lag. Aber das Schlimmste waren die Wände.

Schlampe, Bitch, Flittchen, Nutte - du wirst sterben, stand in blutroter Farbe geschrieben. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich, dass es keine Farbe war. Denn unter den Trümmern lag ein toter Hund mit aufgeschlitzter Kehle, sein Blut hatte für die Schmiererei herhalten müssen.

Ich würgte, taumelte zurück und konnte doch den Blick nicht von der Schrift lösen.

»Oh, jetzt riechst du es endlich auch, oder?« Sabrina hielt sich ein mit Parfum bespritztes Tuch vor die Nase. »Ist nicht mehr viel übrig, würde ich sagen. Nicht einmal eine Unterhose.« Sie lächelte spitz und hielt mir ein zerfetztes geblümtes Stoffteil hin. »Aber sei ehrlich, das hier war kein großer Verlust.«

»Verzieh dich«, knurrte ich und schlug ihr den Fetzen aus der Hand.

Sie verließ kichernd den Raum, kramte nach dem Handy. Dann hörte ich, dass sie ein Taxi rief.

»Es tut mir so leid, Becca, Schatz. Du solltest das hier gar nicht sehen.« In Jacks tröstlicher Umarmung kam mir das Ganze unwirklich vor. Erst als er mich losließ, weil Ludwig auf der Bildfläche erschien, stand ich verloren vor den Trümmern meines bisherigen Lebens.

»Hier, Rebecca!« Stefan kam auf mich zu, mit einem Becher in der Hand. »Leider hat sie keinen Henkel mehr, aber ich dachte, die sieht noch ganz gut aus.«

Jetzt konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Denn der junge Wolf hielt mir treuherzig den Becher hin, den mir meine Eltern beim letzten gemeinsamen Urlaub in Venedig gekauft hatten.

»Am besten fährst du mit Sabrina heim.« Jack legte mir den Arm um die Schultern und sah sich um. »Wo ist sie eigentlich?«

»Hat sich ein Taxi gerufen«, schnüffelte ich und schluckte. Immer noch hielt ich die Tasse in der Hand.

Jack unterdrückte einen Fluch. Und ich straffte mich. Die ganze Heulerei brachte nichts.

»Nein, ich will hierbleiben und schauen, ob doch noch was heil geblieben ist. Fotos von früher vielleicht oder ein paar Studiensachen.«

Als ich mir die Augen mit einem Taschentuch abwischte, bemerkte ich, wie Jack und Tom einen langen Blick tauschten. Trotzdem blieb ich.

»Wow, tolle Party, oder?« Die beiden Mädels von vorhin standen in der Tür. Ihr Blick glitt über das Trümmerfeld und blieb an den Wandschmierereien hängen.

»Hey, ich bin der Ludwig.« Mit dem üblichen Wolfsgrinsen baute er sich vor den Mädels auf und verschaffte mir dadurch Ruhe. »Wir räumen gerade auf. Hier waren gestern ein paar Rocker, die hatten wer weiß was eingeschmissen.« Er setzte eine geheimnisvolle Miene auf. »Und dann haben sie gefeiert, bloß das Aufräumen haben sie vergessen.«

»Hoffentlich kriegst du was von der Versicherung«, meinte eines der Mädchen. Das andere sagte: »Die beiden Typen vorhin sahen aber gar nicht wie Rocker aus, eher wie so Versicherer oder Banker.«

»Ja, die haben den Schaden begutachtet.« Ludwig reagierte schnell.

Natürlich war mir klar, wer das gewesen hatte.

»Ah, und Augen hatte der eine – also wirklich …« Schnatternd verschwanden die Mädchen.

»Na gut. Ludwig, wo steht das Auto?« Jack übernahm wieder die Kontrolle.

Die nächsten Stunden packten die Jungs an und hatten binnen kürzester Zeit die größten Trümmer weggeräumt. Als sie den Kadaver des Hundes in einen Müllsack steckten, musste ich mich abwenden. Das arme Tier war wegen Nicks Zorn auf mich gestorben. Aber mit der Zeit wurde ich immer unruhiger, denn so sehr ich auch suchte, ich fand kein einziges Foto. Ich hatte alle Bilder, die ich bei meinem Auszug mitgenommen hatte, in einen bunten Karton gelegt. Ich als Baby, Kommunion, Abitur und die wenigen Bilder, die es von uns als Familie gab. Aber ich sah keine Schnipsel oder dergleichen, die auch nur auf ein zerrissenes Foto hindeuteten. Was wollte Nick mit den Bildern? Ein ungutes Gefühl bemächtigte sich meiner. Eine diffuse Angst, die ich nicht benennen konnte und die mich nicht mehr losließ.

Schließlich hörten wir auf. Es gab schlicht und einfach nichts mehr, was ich mir hätte ansehen können.

»Komm, wir fahren nach Hause.« Aufmunternd lächelte Jack mich an.

Zuhause bedeutete für mich noch nicht unbedingt das Clanhaus, aber ich konnte von Glück sagen, dass ich dort in Sicherheit sein durfte.

Tamara kam mir schon auf der Treppe der Veranda entgegen. Und prallte zurück. So sehr stanken wir.

»Es stimmt also.« Sie schlug die Hände zusammen. »Ich wollte es erst nicht glauben, als Sabrina mich angerufen hat.«

»Hast du vielleicht noch eine Jeans für mich?«, versuchte ich ein Grinsen.

»Und eine Unterhose«, fügte Jack hinzu. »Obwohl – bist du sicher, dass du eine brauchst?«

Tamara und Ludwig schmunzelten.

»Keine Chance, mein Lieber«, murrte ich. »Aber die hol ich mir von Sabrina.«

»Oh, würde ich nicht. Sie liebt ihre Seidenunterwäsche«, lächelte Ludwig.

»Woher weißt du das?«

»Ah, ich geh jetzt besser duschen.« Er duckte sich weg und war ganz schnell verschwunden.

Beim Abendessen gab es nur ein Thema: die verwüstete Wohnung.

»Sie haben alle deine Fotos mitgenommen?«, wunderte sich Andrea.

»Vielleicht hast du sie aber auch nicht mehr erkannt«, gab Sabrina zu bedenken. »Mal ehrlich, es lagen nur noch Fetzen rum, so als hätten sie alles durch den Schredder geschickt und dann noch mal zerrissen. Da fallen Fotos nicht mehr auf.«

»Keine Ahnung. Erst muss ich sowieso sehen, dass ich die wichtigsten Unterlagen wieder bekomme. Aber übers Wochenende kann ich nichts tun.« Hilflos hob ich die Arme.

»Wenn du Hilfe brauchst, sag es.« Andrea schob die langen nussbraunen Locken zurück, stand auf und nickte mir zu.

Dankbar lächelte ich zurück.

»Natürlich helfe ich dir auch gerne. Sieh es positiv: Du kannst ohne schlechtes Gewissen shoppen gehen, denn du brauchst wirklich alles.« Sabrina stand ebenfalls auf, das Handy bereits in der Hand. »Übrigens habe ich noch eine Verabredung, könnte spät werden.« Und schon klappte die Tür hinter ihr zu.

»Trink einen Schluck, leg die Füße hoch.« Fürsorglich legte Jack einen Arm um mich und dirigierte mich zur Couch.

»Ich bin doch keine Oma«, protestierte ich.

»Hast du Lust, eine Runde mit mir zu zocken?« Begeistert ließ sich Stefan neben mir auf die Couch plumpsen.

Das erinnerte mich daran, wie ich ihn kennengelernt hatte. Er und Michael selbstvergessen Playstation spielend. Genau hier, auf dieser Couch. Nur wenig Tage danach war Michael gestorben, tot, weil Nick beschlossen hatte, dass ich ihm gehören sollte. Verdammt! Warum konnte Nick keine Ruhe geben?

Erst jetzt bemerkte ich, dass der junge Wolf mich immer noch ansah und begriff, dass ich seine Frage nicht beantwortet hatte.

»Ähm, ja. Aber ich spiel nicht so oft. kKine Ahnung, ob du da Spaß hast«, meinte ich und blinzelte die Tränen weg.

6. Shopping

 

Nach einer unruhigen Nacht, in der ich von Vampirhunden und blutigen Bildern an der Wand träumte, saß Jack bereits wach neben mir.

»Du hast doch nichts anzuziehen, oder?«

»Nein, der gute Nick hat dafür gesorgt«, murmelte ich und versuchte, die grässlichen Bilder wegzuschieben.

»Eigentlich hab ich ja gar nichts dagegen«, raunte er und rückte näher. Er stützte sich ab, seine Hand umfasste meinen Nacken, zärtliche Küsse wanderten über den Hals zu meinem Mund. Machten mich willenlos. Zuerst hatte es mich erschreckt, wie sehr die Wölfin in mir auf seine Zärtlichkeiten reagierte. Eine Welle, vielmehr ein Tsunami der Erregung jagte durch meinen Körper. Seit unserer ersten Nacht verstand ich, warum wir vor meiner Verwandlung keinen Sex haben durften. Denn einmal in Fahrt stoppten nur sehr, sehr wenige Dinge meinen Liebsten.

»Ich hab von dir geträumt«, knurrte er, seine Hand streifte meine Brüste, sofort wollte ich mehr.

»Was denn?«, schaffte ich gerade so zu sagen.

»Wir waren in der Ruine, wie beim ersten Mal. Du hast so toll ausgesehen.« Sein Duft nach Wald, Moos und grünen Äpfeln machte mich schwindelig.

»Was hatte ich an?« Meine Hände glitten über seinen Rücken und ich genoss, wie seine Muskeln unter meiner Berührung zitterten.

»Gar nichts.« Er grinste und zog mich näher heran.

»Du bist unmöglich!« Ich versuchte, mich aus der Umarmung zu befreien.

»Das liebst du an mir«, flüsterte er und erstickte meinen Protest mit einem wilden Kuss.

Später gingen wir nach unten. Ich ignorierte die grinsenden Gesichter von Ludwig und Tom. Wie immer stand Chai-Tee für mich bereit, frisches Brot und Marmelade. Der Service war wirklich toll.

»Wir gehen einkaufen«, verkündete mein Wolf, nachdem wir fertig gegessen hatten.

»Du gehst shoppen, Jack?« Toms Augen wurden rund.

»Soll ich mitkommen, Rebecca? Er hat doch ´nen Geschmack wie ein alter Opa«, feixte Ludwig, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

»Halt dich zurück, du bist hier nur Gast«, knurrte Jack. Sofort zog der jüngere Wolf den Kopf ein.

»Ich brauche Klamotten, das geht ganz schnell. Am Nachmittag sind wir wieder zurück«, versuchte ich, die angespannte Situation zu beruhigen.

»Da hat dieses neue Geschäft aufgemacht, am Ende der Fuzo - gibt ein paar nette Sachen dort und nicht teuer.« Sabrina kam herein.

Einen Moment glaubte ich, sie wollte sich über mich lustig machen. Aber diesmal meinte sie es ernst.

»Wirklich, ich weiß gerade nicht, wie es heißt. Aber schlepp Jack dorthin, die Sachen sehen toll aus.« Sie nickte mir zu. Bei Klamotten verstand sie anscheinend keinen Spaß.

»Ja, nicht schlecht, wenn wir schon wissen, wohin wir wollen.« Jack klang erleichtert.

Also verkniff ich mir den Kommentar, dass auch ich genau wusste, wo ich einkaufen gehen wollte.

Ausnahmsweise hatte Sabrina recht. In der Boutique fand ich einige sehr schöne, ausgefallene Kleidungsstücke, die ich normalerweise nicht gekauft hätte. Aber angesichts der Umstände gönnte ich sie mir, inklusive eines nachtblauen kurzen Rocks, bei dessen Anblick Jacks Augen glasig wurden.

»Das macht dann vierhundertfünfzig Euro und einundsechzig Cents«, strahlte die Verkäuferin.

»Mit Karte, bitte.« Ich gab ihr die EC-Karte, froh darüber, dass ich die nicht in der Wohnung gelassen hatte.

»Du siehst scharf aus in dem Rock«, flüsterte Jack mir ins Ohr und tätschelte meinen Hintern.

Ich grinste und weil mein Kopf gerade nicht denken konnte, dauerte es einen Moment, bis ich die Verkäuferin verstand.

»Entschuldigung, aber die Karte ist abgelaufen.« Mit einem halben Lächeln gab sie mir die Karte zurück.

»Das kann nicht sein. Hier – sie ist gültig bis Dezember Zweitausendsiebzehn.« Ich deutete auf die eingestanzten Nummern.

Wieder steckte die junge Frau die Karte in das Lesegerät, das erneut ein unwilliges Piepen von sich gab. Hinter mir tuschelten weitere Kunden.

»Tut mir leid, wie gesagt …« Das Lächeln der Verkäuferin gefror zu einer Maske.

Erst jetzt verstand ich, was sie mir eigentlich hatte sagen wollen. Das Konto wies keine Deckung auf. Mein Herz raste, in meinem Gehirn spielten die Gedanken verrückt. Das konnte doch nicht sein! Scham mischte sich mit Ungläubigkeit.

»Ist ja kein Problem.« Jack drängte sich neben mich und hielt ihr eine American Express Karte hin.

Tatsächlich akzeptierte die blöde Maschine seine Karte ohne Murren. Zur Erleichterung der übrigen Kunden verließen wir das Geschäft.

»Das gibt´s doch nicht.« Wütend stapfte ich voraus.

Ich musste zur Bank. Ungeduldig wartete ich vor dem Kontoauszugsdrucker. Was ich dann las, verschlug mir den Atem. Zitternd hielt ich Jack den einzelnen Kontoauszug hin: Ihr Fonds und das Konto wurden auf eigenen Wunsch geschlossen. Das Guthaben beträgt 0,00 €. Vielen Dank, dass Sie bei uns Kunde waren.

»Dieser verfluchte Mistkerl.« Jack ballte die Fäuste.

»Mein ganzes Geld.« Fassungslos starrte ich auf das Stück Papier.

Nur langsam dämmerte die Erkenntnis, dass ich völlig mittellos war. Ein Zittern überfiel mich, steigerte sich zu einem ausgewachsenen Schütteln, das ich nicht kontrollieren konnte. Jack nahm mich in den Arm, murmelte irgendetwas und streichelte ununterbrochen über meinen Rücken. Mir war nichts mehr geblieben! Kein Geld. Keine Kleidung. Keine Studienunterlagen und nicht ein einziges Foto meiner Familie.

»Na, na, Kindchen«, unterbrach die Stimme einer alten Frau das Gedankenkarussell, »wird schon nicht so schlimm sein. Geld ist doch ohne Bedeutung. Solange Sie jemanden haben, der Sie liebt.«

Die Stimme kam mir bekannt vor, gleichzeitig spürte ich, wie sich bei Jack buchstäblich alle Härchen aufstellten. Wegen des Tränenschleiers dauerte es einen Moment, bis ich sie erkannte.

»Mommy!«, rief ich aus.

Die Hexe, die für die Grabeuils arbeitete und Nick abgöttisch liebte, nickte grimmig. Noch jetzt lief mir ein kalter Schauder über den Rücken, wenn ich daran dachte, dass sie mir Vampirgift und Ecstasy in den Kaffee und unter das Essen gemischt hatte. Ohne mein Wissen, nur damit ihr Liebling Nick seinen Spaß hatte, denn Vampire konnten Ecstasy nicht selbst einnehmen. Nur über menschliches Blut war es ihnen möglich, Drogen zu konsumieren. Was Nick reichlich genossen hatte.

»Das kommt davon, wenn man sich für die falsche Seite entscheidet.« Mommy nickte energisch, drehte auf dem Absatz um und hielt auf die Schiebetür zu.

Nur unter Aufbietung aller Kräfte gelang es mir, Jack zurückzuhalten. Draußen grinsten drei junge Vampire durchs Fenster. Es hatte keinen Sinn, jetzt einen Kampf anzuzetteln.

»Ich brauche einen Tee«, bestimmte ich, denn Kaffee schmeckte mir seit jener Zeit nicht mehr. Den Kontoauszug zerknüllte ich und stopfte ihn in die Tüte.

»Wir sollten heimfahren.« Jack sah sich ständig um.

»Himmel noch mal. Jetzt schau dich nicht ständig um, als ob wärst du James Bond, der verfolgt wird.« Meine Nerven lagen blank. »Ich brauche noch Unterwäsche und solches Zeug und vor allem mal einen Moment Ruhe zum Nachdenken.«

Energisch zog ich Jack in mein Lieblingscafé Fränz, das sich im ersten Stock des Stadtturmes befand. Misstrauisch beäugte er die Einrichtung des Cafés.

»Da ist nur ein Ausgang«, knurrte er. Mehrere Gäste sahen hoch.

»Himmel noch mal, es gibt hier keine Sauger!«, zischte ich.

Dafür begrüßte uns Franz, der Inhaber des Cafés mit freundlichem Lächeln: »Hallo Rebecca. Du warst schon lange nicht mehr hier.«

»Ja, leider, viel Arbeit«, nuschelte ich und bestellte den Chai.

»Keinen Milchkaffee? Und wer ist der neue Mann an deiner Seite?« Jack stierte Franz an, als wäre er ein Kaninchen, das er gleich reißen würde.

»Das ist Jack, mein Freund«, sprang ich ein.

»Herzlich willkommen«, lächelte er Jack an, obwohl mein Liebster immer noch grimmig vor sich hinstarrte.

»Er trinkt ein Weizen. Ist Stefan nicht da?«

»Der kommt gleich. Weiß eh, dass du ihn lieber magst als mich.« Franz ignorierte Jacks verbissene Miene und hantierte hinter der Theke.

Wie immer tat mir die gelöste Atmosphäre im Café Fränz gut. Ich fühlte, wie die Wölfin sich entspannte.

»Stefan?«, grummelte Jack.

»Ja, der Lebensgefährte von Franz«, erklärte ich.

Es dauerte noch einen Moment. Dann, endlich, überzog ein Lächeln das Gesicht meines Wolfes. Er atmete auf, streckte die langen Beine aus und erwiderte den freundlichen Blick von Franz.

»Hier war ich sonst immer gern.« Erst als ich mich selbst sprechen hörte, wurde mir klar, dass mein früheres Leben gefühlt Jahrhunderte hinter mir lag.

»Ja, keine schlechte Aussicht.« Jack drehte den Stuhl und genoss den freien Blick durch die Glasfront über die Neue Mitte und die Einkaufspassagen. Geschäftig rannten die Menschen herum, jeder mit Einkaufstüten und Taschen bewaffnet.

Wenn sie nur wüssten, dachte ich. Wenn sie nur wüssten, dass all das nur eine Fassade ist, eine perfekte Bühne. Sie spielen in einem Stück, von dem sie nichts ahnen.

»Da! Ist das Cat?« Er setzte sich auf.

Ich folgte seinem Finger. Tatsächlich hielt Jacks Schwester mit energischen Schritten auf das Einkaufszentrum zu. Ungeachtet der martialischen Schuhe lief sie leichtfüßig die Treppen hinauf. Tarnfarbene Hosen endeten in schwarzen Stiefeln; ein hüftlanges schwarzes Shirt hatte genügend Platz unter einer weißen Jeansjacke. Die langen schwarzen Haare wehten im Wind, als sie nun in gewohnt zackiger Manier die Türe aufriss. In dem kurzen Moment, den die Tür brauchte, um wieder zurückzuschwingen sahen wir, wie sie eine junge blonde Frau begrüßte.

»Die kenn ich gar nicht.« Jack runzelte die Stirn und setzte sich auf, so als wollte er jeden Augenblick aufspringen, um seiner Schwester nachzulaufen.

»Herrschaft! Lass Cat auch ein bisschen Privatsphäre. Du und Joe überwacht sie ja ständig.« Ich sog am Strohhalm.

»Sag ja nur«, grummelte er und bombardierte den Eingang mit finsteren Blicken.

Doch die Wölfin zeigte sich nicht mehr. Eine Zeit lang saßen wir schweigend und starrten durch die hohe Glasfront nach draußen.

Schließlich räusperte sich Jack und meinte: »Du musst dir keine Gedanken um Geld machen. Ich habe genug für uns beide und«, er senkte die Stimme, »für ein langes Leben. Wird sowieso Zeit, dass ich mal ein bisschen was ausgebe.«

Er griff nach meiner Hand, der Daumen strich sacht über meinen Handrücken. Schon begann mein Bauch zu kribbeln. Diese vermaledeite Wölfin!

Natürlich bemerkte es mein Wolf, lehnte sich, ohne meine Hand loszulassen, zurück und grinste: »Wir können auch noch shoppen gehen. Hat mehr Spaß gemacht, als ich dachte.«

»Würde dir so passen«, grummelte ich und entzog ihm die Hand. So ganz traute ich mir selbst nicht über den Weg.

»Hast du nicht gesagt, du brauchst noch Unterwäsche?« Er hob das fast leere Weißbierglas, die blauen Augen blitzten mich über den Rand an.

»Das stimmt. Aber ich muss nichts probieren, die Größe kenne ich.«

»Mal sehen«, erwiderte er und stand auf, um zu zahlen.

7. Der Nordwald

 

Jack war bei Weitem kein einfacher Mechaniker, respektive Werwolf. Als Leitwolf des Clans von Bayern hatte er viele Pflichten. Vor allem die Wächterinnen durften jederzeit auf ihn oder einen Wolf aus seinem Clan zurückgreifen, wenn sie glaubten, bei einem Auftrag Hilfe zu brauchen. Auch heute Abend erreichte ihn ein Anruf von Thora. Zwar beunruhigten ihn die jüngsten Ereignisse, aber er konnte sich der Aufforderung der Wächterin nicht entziehen.

»Ich bin übermorgen wieder da.« Er fuhr durch meine kurzen Haare, ich drückte mich an ihn.

»Schon gut«, murmelte ich und sog seinen Duft ein.

»Bitte, pass auf dich auf.«

»Mach ich.« Niedergeschlagen sah ich zu, wie er das Monstrum von Rucksack packte. Statt Klamotten verschwanden Pumpguns und Munition darin.

»Sogar den Wächterinnen wird es allmählich zu bunt«, knurrte er.

»Wo musst du hin?«

»Im oberen Bayerischen Wald treiben es ein paar Ausgestoßene zu wild. Der Clan dort wird nicht allein mit ihnen fertig. Deshalb will mich Thora dabeihaben.« Sein Mund zuckte.

Natürlich wusste mein verdammter, verfluchter, geliebter Wolf, wie eifersüchtig ich seit der Verwandlung war. Prompt meldete sich die Wölfin.

»Ja, ja, ich weiß«, versuchte ich, ruhig zu bleiben.

»Komm, Schatz. Nur zwei Tage und ich bin wieder zurück.«

Warme, weiche Lippen forderten mich heraus und ich nahm die Herausforderung an, bevor ich dem hellblauen Dodge hinterher sah.