Compliance-Handbuch Kartellrecht - Jörg-Martin Schultze - E-Book

Compliance-Handbuch Kartellrecht E-Book

Jörg-Martin Schultze

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Beschreibung

Umfassend überarbeitete und aktualisierte 2. Auflage des 2014 als erstes seiner Art erschienenen Handbuchs unter Berücksichtigung der 10. GWB-Novelle. Dieser einzigartige Ratgeber vermittelt die Inhalte von kartellrechtlichen Compliance-Programmen und deren praktische Umsetzung. Dabei liegt der Focus auf den Bereichen: Risiko-Analyse, Compliance-Organisation, Schulungen, Audits, Hinweisgebersysteme, Amnestie-Programme, Abstellen von Verstößen, Krisenmanagement. Der erste Teil stellt die Themen eines kartellrechtlichen Compliance-Programms dar: vertikale und horizontale Vereinbarungen, Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern sowie einseitige Maßnahmen wie Rabattsysteme. Der zweite Teil widmet sich der praktischen Umsetzung und stellt zahlreiche Fall- und Arbeitsbeispiele in Form von Leitfäden, Checklisten, Musterschulungen und Beispieldokumenten zur Verfügung. Ein dritter Teil widmet sich dem Krisenmanagement im Falle von behördlichen Untersuchungen. Der Herausgeber wie auch die Co-Autoren, die Rechtsanwälte Dr. Dominique S. Wagener, Dr. Stephanie Pautke, Dr. Johanna Kübler, Isabel Oest, Christoph Weinert und die Juristin Josefa F. Billinger, sind in der Kanzlei Commeo LLP mit Sitz in Frankfurt am Main ausschließlich im Kartellrecht tätig.

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EPUB

Seitenzahl: 687

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Compliance-Handbuch Kartellrecht

Herausgegeben von

Dr. Jörg-Martin Schultze, LL.M. (SMU Dallas)

Rechtsanwalt, Frankfurt am Main

Bearbeitet von

Josefa Billinger, LL.B./LL.M. (Glasgow); Dr. Johanna Kübler; Isabel Oest, LL.M. (UNSW Sydney); Dr. Stephanie Pautke, LL.M. (Stellenbosch); Dr. Jörg-Martin Schultze, LL.M. (SMU Dallas); Dr. Dominique S. Wagener, LL.M. (NYU); Christoph Weinert, LL.M. (Wellington)

2., umfassend überarbeitete und aktualisierte Auflage 2021

Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-8005-1749-7

© 2021 Deutscher Fachverlag GmbH, Fachmedien Recht und Wirtschaft, Frankfurt am Main www.ruw.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Druckvorstufe: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, 69502 Hemsbach

Druck und Verarbeitung: Beltz Bad Langensalza GmbH, 99947 Bad Langensalza

Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff (TCF-Norm)

Printed in Germany

Vorwort

Seit Erscheinen des Compliance-Handbuchs Kartellrecht Ende 2013 hat sich viel getan, Kartellrechts-Compliance ist erwachsen geworden und wird im allgemeinen Sprachgebrauch bis zum Buchtitel hin schon häufig sinnentstellend zu „Kartell Compliance“ verkürzt.

Die vorliegende 2. Auflage bringt das Handbuch auf den aktuellen Rechtsstand nach der 10. GWB-Novelle, setzt aber trotz einer Vielzahl interessanter Rechtsentwicklungen den Fokus nach wie vor auf vorbeugende praktische Compliance-Tätigkeit. Genau aus diesem Grund wird das Handbuch jetzt mit Ausführungen zur Compliance-Defense eröffnet, durch die insbesondere angemessene und wirksame Vorbeugemaßnahmen entlastend berücksichtigt werden müssen, wenn es dennoch zu einem Kartellrechts-Verstoß gekommen ist. Anschließend werden konzise alle kartellrechtlich relevanten Sachverhalte zusammengefasst, die es im Rahmen der Compliance zu verhindern gilt, bevor detailliert die Compliance-Umsetzung und das Krisenmanagement beschrieben werden.

Mein Dank geht an die Mit-Autoren des Handbuchs, das sind unverändert Dominique Wagener, Stephanie Pautke, Johanna Kübler, Isabel Oest, Christoph Weinert und Josefa Billinger (in der Vorauflage noch Peter), die alle in der ausschließlich auf das Kartellrecht spezialisierten Kanzlei COMMEO tätig sind.

Frankfurt am Main, im Juli 2021

Der Herausgeber

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

Teil A - Die Compliance-Defense

Teil B - Kartellrechtliche Risiken im Unternehmen

I. Einführung in das Kartellrecht

II. Anwendbarkeit von Kartellrecht

1. Auswirkungsprinzip

2. Verhältnis zwischen europäischem und deutschem und sonstigem nationalen Kartellrecht innerhalb der EU

3. Kartellrechtsordnungen anderer Länder außerhalb des EWR

III. Kartellrechtliche Grundbegriffe

1. Wettbewerbsbeschränkung

2. Unternehmen

3. Relevanter Markt und Marktabgrenzung

4. Wettbewerbsverhältnis

5. Vorsatz und Fahrlässigkeit

6. Verjährung

7. Wettbewerbs- und Marktanalyse als zwingender Ausgangspunkt jeder Compliance-Maßnahme

IV. Rechtsfolgen bei Verstößen gegen das Kartellrecht

1. Bußgelder

1.1 Europäische Kommission

1.2 Bundeskartellamt

2. Strafrechtssanktionen gegen Mitarbeiter

3. Zivilrechtliche Nichtigkeit

4. Wettbewerbsregister

5. Schadensersatzrisiken

6. Kommerzielle Risiken durch Reputationsverlust, Kundenreaktionen, langwierige Untersuchungen, personelle Konsequenzen

V. Das Kartellverbot – Einführung

1. Verbot und Ausnahme – grundsätzliche Regelungstechnik

2. Ausnahmen vom Kartellverbot – Legalausnahme

3. Gruppenfreistellungsverordnungen und ihre Systematik

4. Keine Anwendbarkeit des Kartellverbots mangels Wettbewerbsbeschränkung

VI. Verbotene Vereinbarungen und Kontakte mit Wettbewerbern

1. Kartellabsprachen

1.1 Vereinbarungen, abgestimmtes Verhalten, Beschlüsse

1.2 Praxisbeispiele für Kartellabsprachen

1.3 Risikofaktoren für und Aufdeckung von Kartellabsprachen

2. Verbotener Informationsaustausch

3. Gefahrenbereich Verbandstätigkeit

4. Gefahrenbereich Ausschreibungen

5. Risikofaktoren für unzulässige Absprachen zwischen Wettbewerbern – Checkliste Compliance

6. Sonstige Absprachen zwischen Wettbewerbern

6.1 Kooperationen im Rahmen der Gruppenfreistellungsverordnungen

6.2 Kooperationen im Rahmen der Horizontal-Leitlinien

VII. Vertikale Vereinbarungen

1. Typische vertikale Vereinbarungen

1.1 Besonderheit für Handelsvertreter und andere Absatzmittler ohne vertrags- und marktspezifische Risiken

1.2 Vertikale Preisbindung

1.3 Weiterverkaufsverbote

1.4 Beschränkungen des Internetvertriebs

1.5 Nicht freigestellte Beschränkungen

2. Informationsaustausch im Vertikal-Verhältnis

3. Risikofaktoren Vertikal-Verstöße – Checkliste Compliance

VIII. Einseitige Verhaltensweisen/Missbrauch von Marktmacht

1. Praktische Herausforderungen

2. Weitreichendere Eingriffsmöglichkeiten nach deutschem Recht

3. Ermittlung der Normadressatenschaft für das Missbrauchs- und Diskriminierungsverbot

3.1 Einzelmarktbeherrschung

3.2 Gemeinsame oder oligopolistische Marktbeherrschung

3.3 Besonderheit des deutschen Rechts: Erfassung relativer Marktmacht

3.4 Ermittlung von Marktmacht – Checkliste Compliance

4. Missbräuchliche Verhaltensweisen

4.1 Ausgewählte Fallgruppen missbräuchlichen Verhaltens

5. Risikofaktoren Missbrauch von Marktmacht

IX. Transaktionen

1. Fusionskontrolle

1.1 Anmeldepflicht

1.2 Vollzugsverbot

1.3 Sonstige bußgeldbewehrte Pflichten im Rahmen der Fusionskontrolle

2. Sale and Purchase Agreement

3. Post-Closing/Pre-Sale-Compliance

4. Informationsaustausch im Rahmen einer Transaktion

5. Dokumentenmanagement im Rahmen einer Transaktion

Teil C - Praktische Umsetzung von Kartellrechts-Compliance

I. Von oben nach unten: der „top-down“-Ansatz

1. Eigene Verantwortlichkeit des Chefs

1.1 Mission Statement

1.2 Compliance-Klima16

1.3 Compliance-konforme Organisation

2. Delegation der Verantwortung an Jedermann

3. Delegation an den Compliance Officer

3.1 Compliance-Verantwortung bei Juristen

3.2 Rechtsabteilung vs. Compliance-Abteilung

4. Direkte Berichtslinie

5. „Big Bang“

6. Ausweitung auf die Lieferkette

II. Risikoanalyse

III. Präventionsmaßnahmen

1. Kartellrechts-Schulungen

1.1 Schulungsinhalte

1.2 Präsenzschulungen

1.3 Online-Schulungen

2. Compliance Guidelines/Mitarbeiter-Handbuch

3. Compliance-Organisation

3.1 Personal

3.2 Budget und ad-hoc-Finanzierung

3.3 Compliance-geneigte Prozesse

4. Kontrollmechanismen

4.1 Begleitung der Unternehmensprozesse

4.2 (Echtes) Vier-Augen-Prinzip

4.3 Stichproben

4.4 Regelmäßige Vorsorge-Audits

5. Sanktionen

6. Mock Dawn Raids

IV. Compliance-Zertifizierung

V. Aufdeckung von Verstößen

1. Einleitung

2. Legal Privilege – Anwaltsprivileg

2.1 Einleitung

2.2 Unterschiedliche Reichweite des Legal Privilege nach europäischem und deutschem Recht

2.3 Praktische Handhabung

3. Verantwortlichkeit: Compliance Officer

3.1 Grundsatz: Bericht an Geschäftsleitung

3.2 Bericht an das Kontrollgremium des Unternehmens

4. Erkenntnisse aus Schulungen

4.1 Diskussion und Fragen in Präsenzschulungen

4.2 Nacharbeiten durch Unternehmensvertreter

4.3 Gezielte Folgeschulungen zu einzelnen Themen oder für bestimmte Mitarbeiter

4.4 Komplementäre Leitfäden für das Tagesgeschäft

4.5 Vorformulierte Standard-Antworten und Vorlagen für die operativen Kollegen

4.6 Laufende Aktualisierung der Schulungsunterlagen

5. Audits

5.1 Grundlagen

5.2 Vorbereitung: Projektplan

5.3 Bestandteile

5.4 Spezialgesetzliche Grenzen

5.5 Zusammenfassung

6. Ökonomische Methoden – empirisches Screening

7. Hinweisgebersysteme

7.1 Whistleblower-Hotline

7.2 Ombudsstelle

8. Internes Amnestie-Programm

8.1 Abgrenzung zu anderen Hinweisgebersystemen im Unternehmen

8.2 Vereinbarkeit mit einer Zero-Tolerance-Politik

8.3 Gegenleistungen des Unternehmens

8.4 Rein unternehmensinterne Maßnahme

8.5 Mögliche Konsequenzen im Außenverhältnis

8.6 Festlegung des Anwendungsbereichs

8.7 Vorgabe eines Zeitfensters für Meldungen

8.8 Personelle Zuständigkeit

8.9 Vertrauliche Behandlung

8.10 Information der Mitarbeiter

8.11 Vorgaben für die Meldungsempfänger

8.12 Verfahren und Sachverhaltsaufklärung

VI. Abstellung von Verstößen

1. Verstöße zwischen Wettbewerbern

1.1 Notwendige Vorüberlegung: Kronzeugenantrag?

1.2 Änderungen von Verträgen

1.3 Branchenverstoß/Industriepraxis

2. Verstöße im Vertikalverhältnis

3. Missbräuchliches Verhalten

Teil D - Krisenmanagement

I. Einleitung

1. Unterschiedliche Ausgangssituationen für eine Kartellrechtskrise

2. Strategiebestimmung

2.1 Kooperation oder Konfrontation

2.2 Treffen einer bewussten und informierten Entscheidung

2.3 Abwägung der Vor- und Nachteile vor Entscheidungsfindung

II. Kooperation

1. Kronzeugenprogramme für Kartelle im engeren Sinne

1.1 Gemeinsamkeiten der beiden Kronzeugenprogramme

1.2 Unterschiede zwischen den beiden Kronzeugenprogrammen

1.3 Andere Kronzeugenprogramme weltweit

2. Nicht-kodifiziertes Kooperationsprogramm der Kommission betreffend nicht-horizontale Kartellrechtsverstöße

3. Hinweise Dritter über behördliche Hinweisgebersysteme

III. Verteidigung und Settlement

1. Verteidigung

2. Settlement ja oder nein?

IV. Verhalten bei Dawn Raids

1. Einleitung

2. Wichtigste Verhaltensregeln bei einer Dawn Raid

2.1 Beginn der Durchsuchung

2.2 Während der Durchsuchung

2.3 Am Schluss der Durchsuchung

3. Wichtigste Schritte nach der Dawn Raid

4. Weitere Ermittlungsbefugnisse der Kartellbehörden

Teil E - Materialien

I. Beispiele für allgemeine Kartellrechts-Compliance-Leitfäden

1. Leitfaden für den Umgang mit Wettbewerbern

2. Leitfaden für Verbandstreffen

3. Leitfaden zur Vermeidung unzulässiger Preisbindung

II. Muster einer Schulungspräsentation „Kartellrechtliche Compliance“ – Standardinhalte

1. Einführung

2. Umgang mit Wettbewerbern

3. Umgang mit Vertriebspartnern

4. Umgang mit Marktstärke

5. Umgang mit Dokumenten

6. Verhalten bei Durchsuchungen

7. Fazit

III. Beispiel für eine an den konkreten Sachverhalt anzupassende Fragenliste für ein Mitarbeiter-Interview

IV. Beispiele für Dokumente zu Durchsuchungen (Dawn Raids)

1. Praxisbeispiel: Durchsuchungsbeschluss AG Bonn

2. Praxisbeispiel: Durchsuchungsniederschrift Bundeskartellamt inkl. IT-Kurzprotokoll

3. Muster: Nachprüfungsentscheidung der Europäischen Kommission

4. Erläuterungen der Europäischen Kommission zu Nachprüfungen gemäß Art. 20 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003

V. Nützliche Internet-Links zum Thema Compliance

Literaturverzeichnis

Sachregister

Abkürzungsverzeichnis

a.A./A.A.

andere Ansicht

AAC

average available costs

a.a.O.

am angegebenen Ort

a.E.

am Ende

a.F.

alte Fassung

ABA

American Bar Association

ABl.

Amtsblatt

Abs.

Absatz

ACM

The Netherlands Authority for Consumer and Markets

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Konsolidierte Fassung (ABl. EU 2010 C 83/47)

AktG

Aktiengesetz in der Fassung vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089), zuletzt geändert durch Artikel 15 des Gesetzes vom 3. Juni 2021 (BGBl. I S. 1534)

Anh.

Anhang

Anm.

Anmerkung

Antitrust

The Antitrust Magazine (Zeitschrift)

AnwBl

Anwaltsblatt (Zeitschrift)

Art.

Artikel

Art. 81

Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur

Abs. 3-Leitlinien

Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag (ABl. EG 2004 C 101/8)

AT

amtlicher Teil

Aufl.

Auflage

Az.

Aktenzeichen

BAG

Bundesarbeitsgericht

Bagatellbekanntmachung

Bekanntmachung Nr. 18/2007 des Bundeskartellamtes über die Nichtverfolgung von Kooperationsabreden mit geringer wettbewerbsbeschränkender Bedeutung vom 13. März 2007

BAnz

Bundesanzeiger

BB

Betriebs-Berater (Zeitschrift)

Bd.

Band

BDSG

Bundesdatenschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Januar 2003 (BGBl. I S. 66), zuletzt geändert zuletzt durch Artikel 10 des Gesetzes vom 23. Juni 2021 (BGBl. I S. 1858)

BeckOK

Beck’scher Online-Kommentar

Bekanntmachung der Kommission über Nebenabreden

Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind (ABl. EU 2005 C 56/24)

Bekanntmachung Relevanter Markt

Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft (ABl. EG 1997 C 372/5)

BetrVG

in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September 2001 (BGBl. I S. 2518), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 14. Juni 2021 (BGBl. I S. 1762)

Beschl.

Beschluss

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 25. Juni 2021 (BGBl. I S. 2133)

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

BKartA

Bundeskartellamt

BMJV

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz

Bonusregelung des Bundeskartellamtes

Bekanntmachung Nr. 9/2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen – Bonusregelung – vom 7. März 2006

BRAO

Bundesrechtsanwaltsordnung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 303-8, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 7. Juli 2021 (BGBl. I S. 2363)

BRAK

Bundesrechtsantwaltkammer

BT-Drs.

Bundestagsdrucksache

Bußgeldleitlinien BKartA 2006

Bekanntmachung Nr. 38/2006 über die Festsetzung von Geldbußen nach § 81 Abs. 4 Satz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“) gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen vom 15. September 2006

Bußgeldleitlinien BKartA 2013

Leitlinien für die Bußgeldzumessung im Kartellordnungswidrigkeitenverfahren vom 25. Juni 2013

Bußgeldleitlinien Kommission

Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung vonGeldbußen gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchstabe a) der VO Nr. 1/2003 (ABl. EU 2006 C 210/02)

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Bundesverfassungsgericht, Entscheidungssammlung

bzw.

beziehungsweise

CCZ

Corporate Compliance Zeitschrift (Zeitschrift)

CEO

Chief Executive Officer

Charta

Charta der Grundrechte der EU (ABl. EU 2010 C 83/02)

CLPD

Competition Law & Policy Debate (Zeitschrift)

CPI

Competition Policy International (Zeitschrift)

CR

Computer & Recht (Zeitschrift)

DB

Der Betrieb (Zeitschrift)

de-minimis-Bekanntmachung

Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis) (ABl. EG 2001 C 368/13)

ders.

derselbe

d.h.

das heißt

DSGVO

Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (ABl. EU 2016L 119/1)

DuD

Datenschutz und Datensicherheit (Zeitschrift)

E.C.L.R.

European Competition Law Review (Zeitschrift)

ECN

European Competition Network

EFTA

Europäische Freihandelsassoziation

EG

Europäische Gemeinschaft

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ABl. EG 2001 C 80/1)

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

Entsch.

Entscheidung

EStG

Einkommenssteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 2009 (BGBl. I S. 3366, 3862), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 25. Juni 2021 (BGBl. I S. 2056)

etc.

et cetera

EU

Europäische Union

EuG

Gericht der Europäischen Union

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Union

EUR

Euro

EUV

Vertrag über die Europäische Union, Konsolidierte Fassung (ABl. EU 2010 C 83/13)

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWR

Europäischer Wirtschaftsraum

EWS

Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift)

f.

folgende

F&E

Forschung und Entwicklung

F&E-GVO

Verordnung (EU) Nr. 1217/2010 der Kommission vom 14. Dezember 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (ABl. EU 2010 L 335/36)

ff.

fortfolgende

FKVO

Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“) (ABl. EU 2004 L 24/1)

Fn.

Fußnote

FRAND

fair, reasonable and non-discriminatory

GeschGehG

Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vom 18.4.2019 (BGBl. I 2019, 466)

GewO

Gewerbeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Februar 1999 (BGBl. I S. 202), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 25. Juni 2021 (BGBl. I S. 2114)

GD

Generaldirektion

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 und 2 Satz 2 des Gesetzes vom 29. September 2020 (BGBl. I S. 2048)

ggf.

gegebenenfalls

GVO

Gruppenfreistellungsverordnung

GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 9. Juli 2021 (BGBl. I S. 2506)

HGB

Handelsgesetzbuch

h.M.

herrschende Meinung

Horizontal-Leitlinien

Mitteilung der Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (ABl. EU 2011 C 11/1)

HS

Halbsatz

ICC

International Chamber of Commerce

ICN

International Competition Network

IDW

Institut für Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V.

i.V.m.

in Verbindung mit

Kap.

Kapitel

KG

Kammergericht

KMU

kleine und mittlere Unternehmen

Komm.

Kommission der Europäischen Union

Kronzeugenprogramm der Kommission

Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. EU 2006 C 298/11)

LAG

Landesarbeitsgericht

LG

Landgericht

lit.

litera (Buchstabe)

Mio.

Millionen

MMR

Multimedia und Recht (Zeitschrift)

Mrd.

Milliarden

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

n.F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)

NJZO

Neue Juristische Online Zeitschrift (Zeitschrift)

Nr.

Nummer

n. rkr.

nicht rechtskräftig

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht (Zeitschrift)

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift)

NZG

Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Zeitschrift)

NZKart

Neue Zeitschrift für Kartellrecht (Zeitschrift)

OLG

Oberlandesgericht

OWiG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I S. 602), zuletzt geändert durch Artikel 23 des Gesetzes vom 25. Juni 2021 (BGBl. I S. 2099)

Prioritätenmitteilung der Kommission

Mitteilung der Kommission, Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrages auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen (ABl. EU 2009 C 45/7)

RDV

Recht der Datenverarbeitung (Zeitschrift)

rkr.

rechtskräftig

Rn.

Randnummer

Rs.

Rechtssache

Rspr.

Rechtsprechung

S.

Seite

s.o.

siehe oben

SPA

Sale and Purchase Agreement

s.u.

siehe unten

Slg.

Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts der Europäischen Union

SKK

Sonderkommission Kartellbekämpfung des Bundeskartellamtes

Spezialisierungs-GVO/Spez-GVO

Verordnung (EU) Nr. 1218/2010 der Kommission vom 14. Dezember 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen (ABl. EU 2010 L 335/43)

StGB

Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 29 des Gesetzes vom 7. Juli 2021 (BGBl. I S. 2363)

StPO

in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), zuletzt geändert durch Artikel 15 des Gesetzes vom 7. Juli 2021 (BGBl. I S. 2363)

st. Rspr.

ständige Rechtsprechung

TT-GVO

Verordnung (EG) Nr. 772/2004 der Kommission vom 27. April 2004 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen (ABl. EG 2004 L 123/11)

TKG

Telekommunikationsgesetz vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), zuletzt geändert durch Artikel 6 Absatz 2 des Gesetzes vom 5. Juli 2021 (BGBl. I S. 2274)

TMG

Telemediengesetz vom 26. Februar 2007, zuletzt geändert durch Artikel 24 des Gesetzes vom 25. Juli 2021 (BGBl. I S. 2099)

TT-Leitlinien

Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 EG-Vertrag auf Technologietransfer-Vereinbarungen (ABl. EG 2004 C 101/2)

Tz.

Textziffer

Urt.

Urteil

UVP

Unverbindlicher Verkaufspreis/unverbindliche Preisempfehlung

v.

von, vom

verb.

verbunden

Vertikal-GVO

Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. EU 2010 L 102/1)

Vertikal-Leitlinien

Europäische Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen (ABl. EU 2010 C 130/1)

VerSanG(-E)

Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz), enthalten im Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft der Bundesregierung vom 16. Juni 2020

vgl.

vergleiche

VO Nr. 1/2003

Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. EG 2003 L 1/1)

VO

Verordnung

Whistleblower-RL

Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (ABl. EU 2019 L 305/17)

WM

Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (Zeitschrift)

WRegG

Wettbewerbsregistergesetz vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2739), zuletzt geändert durch Artikel 10 des Gesetzes vom 18. Januar 2021 (BGBl. I S. 2)

WRP

Wettbewerb in Recht und Praxis (Zeitschrift)

WuW

Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift)

WuW/E

Wirtschaft und Wettbewerb, Entscheidungssammlung

z.B.

zum Beispiel

Ziff.

Ziffer

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

zit.

zitiert

ZGR

Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (Zeitschrift)

ZRFC

Risk, Fraud & Compliance (Zeitschrift)

ZPO

Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I S. 1781), zuletzt geändert durch Artikel 13 des Gesetzes vom 7. Juli 2021 (BGBl. I S. 2363)

ZWeR

Zeitschrift für Wettbewerbsrecht (Zeitschrift)

Zwischenstaatlichkeits Bekanntmachung

Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages (ABl. EG 2004 C 101/81)

Einleitung

1

Kartellrecht ist ein Rechtsgebiet, das schon seit Jahren einen Spitzenplatz bei den Compliance-Bemühungen von Unternehmen einnimmt. Grund dafür sind vor allem die spektakulär hohen Bußgelder, die national wie international für Kartellrechtsverstöße quer durch alle Branchen verhängt werden. Zudem haben Schadensersatzforderungen vonseiten der Kunden oder Wettbewerber gegen Unternehmen, die in kartellrechtswidrige Praktiken involviert waren, immense Bedeutung erlangt.

2

Neben den hohen finanziellen Belastungen droht Unternehmen, die gegen Kartellrechtsregeln verstoßen, ein erheblicher Reputationsverlust, der sich insbesondere bei börsennotierten Unternehmen unmittelbar im Unternehmenswert niederschlägt. Hinzu kommen nichtige Vertragsbestimmungen, langwierige Behörden- oder Gerichtsverfahren und nicht zuletzt arbeitsrechtliche Konsequenzen für die handelnden Mitarbeiter. Aus Unternehmenssicht lassen sich diese Gefahren auf einen einfachen Nenner bringen: Die Einhaltung kartellrechtlicher Regeln darf nicht dem Zufall überlassen werden. Oder, um es mit dem prägnanten Satz zu sagen, der gerade im Hinblick auf die Einhaltung kartellrechtlicher Regeln nicht treffender formuliert sein könnte:

„You think compliance is expensive – try non-compliance.“

3

Was bedeutet „Compliance“ eigentlich genau? Die juristische Auslegung beginnt mit dem Wortsinn, sodass zunächst einmal auf die wörtliche Übersetzung abzustellen ist. Compliance bedeutet im hier gebrauchten Zusammenhang „Befolgung“, „Einhaltung“, „Erfüllung“ und „Ordnungsmäßigkeit“ von oder im Sinne von gesetzlichen Regelungen.1 Mit Compliance ist die Einhaltung von Rechtsvorschriften gemeint. Wenn wir von Kartellrechts-Compliance sprechen, meinen wir also in einem ersten Schritt die Einhaltung der kartellrechtlichen Vorschriften.

4

Wenn die Einhaltung von kartellrechtlichen Vorschriften jedoch alles wäre, dann würde Compliance nur den allgemeinen Legalitätsgrundsatz beschreiben2 und dann hätten diejenigen Recht, die Compliance nur als modernes Wort für etwas sehen, was es schon immer gab.3 Compliance muss also im Zusammenhang mit der Führung und Organisation von Unternehmen mehr bedeuten als nur den Hinweis auf die Befolgung von Rechtsvorschriften.

5

Warum sprechen wir, wenn wir die Einhaltung der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften meinen, nicht von „Straßenverkehrsrechts-Compliance“? Warum sprechen wir nicht von „Arbeitsrechts-Compliance“, warum nicht von „Steuerrechts-Compliance“, sondern nutzen für den letzteren Bereich immer noch den altertümlichen Begriff von der „Steuerehrlichkeit“? Möglicherweise liegt dies einfach daran, dass es hinsichtlich des Straßenverkehrsrechts, des Arbeitsrechts und des Steuerrechts für jeden selbstverständlich ist, dass es – wie alle Rechtsvorschriften – befolgt werden muss und Verstöße nachteilige Konsequenzen nach sich ziehen. Und es gibt weitere Unterschiede:

6

So müssen wir, bevor wir uns mit einem Kraftfahrzeug im Straßenverkehr bewegen dürfen, einen Führerschein erwerben. Diesen bekommen wir nur nach praktischer und theoretischer Ausbildung. Die Theorie ist geprägt von einer Vermittlung der Rechtsregeln für den Straßenverkehr. Wer am Straßenverkehr teilnimmt, hat sich also (mindestens) einmal im Leben grundlegend mit dessen Regeln und Rechtsvorschriften vertraut gemacht und kann dann auch guten Gewissens für Verstöße in Anspruch genommen werden.4 Mit der Kartellrechts-Compliance ist das völlig anders: Wer am Geschäftsverkehr teilnehmen will, muss dafür keinen Führerschein erwerben und er muss sich auch nicht durch Theorie-Stunden quälen. Trotzdem wird erwartet, dass er sich an die für den Geschäftsverkehr geltenden Regeln hält. Und wenn er sich nicht daran hält, gibt es Bußgelder – wie im Straßenverkehr, nur höher.

7

Im Arbeitsrecht geht es um die Regelung des Verhältnisses des Unternehmens zu seinen Mitarbeitern. Die Einhaltung der entsprechenden Vorschriften kann durch spezialisierte Mitarbeiter sichergestellt werden. Der einzelne ist vom Arbeitsrecht grundsätzlich nur für sich selbst betroffen. Und wenn alles gut läuft, nimmt er es nur geräuschlos im Hintergrund wahr.

8

Das Steuerrecht stellt anders als Straßenverkehrs- und Arbeitsrecht keine Verhaltensanforderungen an Unternehmen oder Individualpersonen. Es ist dem Steuerrecht völlig gleichgültig, wie ich mich verhalte. Das Steuerrecht ist kein Recht, das aus wertbasierten Normen besteht oder das das Zusammenleben in Gemeinschaften oder das Zusammenwirken auf Märkten regeln soll. Es regelt nur, wer wieviel für das, was er getan oder erlangt hat, als Steuern zahlen muss. Mit der Anweisung an die Steuerabteilung oder an die externen Steuerberater, sich im Zweifel für die rechtmäßige Variante zu entscheiden, ist im Hinblick auf die Einhaltung von Rechtsvorschriften (Compliance) alles getan, was man tun kann. Für so wenig brauchte man offensichtlich keinen neuen Begriff.

9

Das Besondere an den Gebieten, die heute wie auch das Kartellrecht im Rahmen der Umsetzung im Unternehmen mit dem Begriff „Compliance“ belegt werden, ist also wohl, dass sie neben der bloßen Einhaltung von Rechtsvorschriften eine unternehmensinterne auf dieses Ziel ausgerichtete Organisation verlangen.5 Compliance betrifft also die Verhaltenssteuerung von Personen im Hinblick auf das Einhalten von Rechtsvorschriften, und dies dann umfassend, also mit allem, was dazugehört. Der Gesetzgeber hat Compliance im Rahmen der 10. GWB-Novelle in § 81d Abs. 1 S. 2 Nrn. 4 und 5 GWB als „Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen“ definiert. Etwas wissenschaftlicher hört sich das so an: „Der Begriff der Kartellrechts-Compliance kann heute ... als ... Oberbegriff für sämtliche Wertentscheidungen, Prinzipien, Vorgaben und Prozesse im Unternehmen verstanden werden, die dem Ziel eines systematischen, unternehmensweit integrierten Kartellrechts-Risikomanagements dienen.“6

10

Kartellrechts-Compliance ist wichtig für alle Unternehmen, ungeachtet der Frage, welche Größe das Unternehmen aufweist, welcher Branche es angehört und ob es regional oder international tätig ist. Der Gesetzgeber erkennt jetzt in § 81d Abs. 1 S. 2 Nr. 4 GWB an, dass die Compliance-Anforderungen „angemessen“ sein, d.h. den unternehmensspezifischen Anforderungen entsprechen müssen.7 Der internationale Großkonzern steht für den Aufbau einer Compliance-Organisation schon rein logistisch vor anderen Herausforderungen als ein regionaler Mittelständler, dennoch haben beide Unternehmen die gleichen Grundaufgaben zu bewältigen, die sich auf drei Kernpunkte herunterbrechen lassen: Wie lässt sich in der konkreten Unternehmensstruktur sicherstellen, dass kartellrechtliche Verstöße (i) identifiziert, (ii) abgestellt und (iii) für die Zukunft verhindert werden können? Wenn diese Frage erfolgreich beantwortet wird, ist das Unternehmen weitgehend gegen hohe Bußgelder gesichert: Entweder werden Zuwiderhandlungen im Vorhinein verhindert oder sie werden zumindest so frühzeitig entdeckt – etwa durch einen Compliance-Audit –, dass sie nicht erst im Rahmen von kartellrechtbehördlichen Ermittlungen aufgedeckt werden. Das ist der Bereich der Compliance-Defense, mit dem dieses Buch beginnt (Teil A).

11

Dieses Buch bietet praktische Hilfestellung bei der Bewältigung der Aufgabe, ein angemessenes und wirksames Compliance-System aufzubauen. Es richtet sich damit an alle, die sich intern im Unternehmen oder extern für ein Unternehmen damit befassen, Strukturen, Richtlinien und Prozesse zu schaffen, um die Einhaltung kartellrechtlicher Regeln dauerhaft sicherzustellen und zu überprüfen.

12

Dieses Buch ist kein Kartellrechts-Handbuch. Materielle kartellrechtliche Vorschriften werden insoweit und nur unter dem Aspekt angesprochen, wie es für Zwecke der Identifizierung kartellrechtlicher Risiken und der Schaffung und Aufrechterhaltung kartellrechtlicher Compliance-Strukturen im Unternehmen notwendig ist. Diese Analyse der im Unternehmen konkret vorhandenen kartellrechtlichen Risiken ist der erste und grundlegende Schritt eines erfolgreichen Compliance-Programms. Je nachdem, welche Geschäftspraktiken ein Unternehmen verfolgt, kann die Darstellung des Kartellrechts in Teil B des Buches eine vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen kartellrechtlichen Normen im Zuge der Compliance-Arbeit jedoch nicht ersetzen.

13

Nach den Grundlagen für die Risikoanalyse folgen dann im dritten Teil (Teil C) des Handbuches aus Anwendersicht geschriebene Ausführungen dazu, wie Kartellrechts-Compliance im Unternehmen praktisch sichergestellt und umgesetzt werden kann.

14

Und schließlich kann es auch bei einem perfekten Compliance-Programm passieren, dass etwas schiefgeht, also die „Kartellrechts-Krise“ eintritt. Wie damit umzugehen ist, erörtern wir im vierten Teil des Buches (Teil D).

15

Abgerundet wird das Handbuch durch Materialien (Teil E), die den Einstieg erleichtern, also besonders bei der erstmaligen Befassung mit der Materie hilfreich sein sollen.

1

Und viele andere Bedeutungen mehr, siehe www.leo.org.

2

Kremer/Klahold

, ZGR 2010, 113, 116.

3

Siehe hierzu die Zitate von

Kasten

, in: Mäger, Europäisches Kartellrecht, 2. Aufl. 2011, 2. Kap. Rn. 2.

4

Dieser Grundsatz der Verantwortlichkeit für eigenes Verhalten gilt – unabhängig davon, ob man die einzuhaltenden Regeln kannte – nicht nur im Straßen-, sondern auch im Geschäftsverkehr: Wer am Wirtschaftsleben teilnimmt, wer auf Märkten operiert, kann sich nicht hinterher seiner Verantwortlichkeit dadurch entziehen, dass er darauf verweist, er habe bestimmte Vorschriften nicht gekannt. Er hätte sie kennen können und müssen.

5

Kremer/Klahold

, ZGR 2010, 113, 117, sehen darin die Übernahme eines amerikanischen Rechtsmodells, dessen unreflektierte Übernahme in die deutsche Unternehmenskultur nur bedingt gelingen könne.

6

Kasten

, in: Mäger, Europäisches Kartellrecht, 2. Aufl. 2011, 2. Kap. Rn. 3 a.E.; Hervorhebung durch die Verfasser.

7

Siehe sogleich zur Compliance-Defense Rn. A 1ff.

Teil A Die Compliance-Defense

1

Nachdem im wahrsten Sinne des Wortes jahrzehntelang darum gekämpft wurde, ist die sog. „Compliance-Defense“ im Bußgeldverfahren im Rahmen der 10. GWB-Novelle („GWB-Digitalisierungsgesetz“)1 mit Wirkung zum 19.1.2021 nun vollständig in das Gesetz geschrieben worden. Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße, die gegen Unternehmen wegen Verstößen gegen das Kartellverbot (§ 1 GWB, Art. 101 AEUV) oder das Missbrauchsverbot (§§ 19–21 GWB, Art. 102 AEUV) festgesetzt werden, kommen jetzt nach § 81d Abs. 1 S. 2 GWB als abzuwägende Umstände insbesondere auch in Betracht:

„4. ... vor der Zuwiderhandlung getroffene, angemessene und wirksame Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen und

5. ... nach der Zuwiderhandlung getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen.“ [Hervorhebungen hinzugefügt]

2

Insbesondere die neue Regelung in § 81d Abs. 1 S. 2 Nr. 4 GWB – das ist die eigentliche Compliance-Defense – ist gegenüber der 1. Auflage ein Grund mehr, in dieses Compliance-Handbuch Kartellrecht nicht nur hineinzuschauen, sondern es auch durchzuarbeiten und die in ihm enthaltenen Empfehlungen umzusetzen. Die jetzt ausdrücklich in § 81d Abs. 1 S. 2 Nr. 5 GWB aufgenommene Regelung zur Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen nach Tatbegehung wurde dagegen schon vor der 10. GWB-Novelle in Ordnungswidrigkeitenverfahren im Rahmen des positiven Nachtatverhaltens berücksichtigt; die Bestimmung ändert also nichts, sie hat nur klarstellende Funktion.

3

Dieses Handbuch fokussiert sich zwar nicht auf die Verteidigung im Bußgeldverfahren des Bundeskartellamtes2, schafft aber für den Anwender des hierin dargestellten Standes der Compliance-Technik die Voraussetzungen, dass ihm die Vorteile der Compliance-Defense im Falle eines Falles zugutekommen. Dadurch lassen sich Ausgaben für Compliance zukünftig besser rechtfertigen3, da sie entweder Verstöße verhindern oder jedenfalls, wenn doch verstoßen wird, das dann zu verhängende Bußgeld mindern.

4

Mit der Anerkennung der Compliance-Defense hat der deutsche Gesetzgeber eine Lücke im System geschlossen, die bisher den einen oder anderen an der Sinnhaftigkeit von Compliance zweifeln ließ. Der bisher von vielen Verfolgungsbehörden einschließlich der Europäischen Kommission4 angewandte Grundsatz „Die zu bebußende Zuwiderhandlung beweist die unzureichenden Compliance-Bemühungen“ ist zwar nach wie vor richtig, aber das nur im Hinblick auf die individuell verstoßende Person, nicht im Hinblick auf das dafür gegebenenfalls haftende Unternehmen. Die Behörden, die den Grundsatz auch heute noch unterschiedslos auf Unternehmen anwenden, denen es schlicht und einfach unmöglich ist, eine 100 %ige Kontrolle über Arbeitnehmer auszuüben, lassen das notwendige Verständnis für die reale Welt vermissen. In dieser gibt es Menschen mit einer „kriminellen Energie“, die sich weder von sanktionsbewehrten Anordnungen abschrecken lassen noch über ansonsten wirksame Überwachungsmechanismen zu fassen sind.

5

Die Compliance-Defense beschreibt die Möglichkeit, in Bußgeldverfahren ein effektives Compliance-System bei der Festsetzung der Bußgeldhöhe zu berücksichtigen. Sie kann eine Reduzierung der Bußgeldhöhe, aber auch das völlige Wegfallen eines Bußgeldes bewirken: Wenn das Unternehmen alles getan hat, was man tun kann, aber ein mit krimineller Energie ausgestatteter Mitarbeiter des Unternehmens eine Zuwiderhandlung begangen hat, ist ein Unternehmensbußgeld nicht mehr gerechtfertigt.5 Für die Haftung eines Betriebsinhabers wegen unterlassener Aufsichtsmaßnahmen nach § 130 OWiG ergibt sich das bereits aus dem Tatbestand dieser Vorschrift, für die Haftung des Unternehmens nach § 30 OWiG aus der Compliance-Defense. Um zu sachgerechten Entscheidungen zu kommen und letztlich auch den Wert von Compliance in Unternehmen zu steigern, ist die Compliance-Defense international auf dem Vormarsch6 und – nicht zuletzt dank einer Erinnerung des BGH im Jahre 20177 – nun im GWB fest verankert. Worum geht es im Detail?

6

Es geht um „Compliance“, die der Gesetzgeber als „Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen“ definiert. Für die Geltendmachung der Compliance-Defense müssen diese Vorkehrungen nach den Gesetzesvorgaben „angemessen und wirksam“ sein. Die Vorkehrungen sind auf jeden Fall dann wirksam, wenn sie zur Vermeidung von Zuwiderhandlungen oder zur Aufdeckung von Zuwiderhandlungen führen. Nur wenn das „und“ im Gesetzestext als „oder“ verstanden wird, macht die Regelung Sinn. Denn bei der Vermeidung gibt es wie bisher kein Kartellverfahren – es ist ja noch mal gut gegangen. Neu ist allerdings die Aufdeckung als Nachweis der Wirksamkeit des Compliance-Programms.

7

Nach der Gesetzesbegründung8 soll durch das Wort „angemessen“ dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Art und der Umfang von Compliance-Maßnahmen typischerweise von der Unternehmensgröße abhängig sind und dass es dabei auf den Einzelfall ankommt. Konkret zu berücksichtigen sind:

– Art des Unternehmens,

– Größe des Unternehmens,

– Organisation des Unternehmens,

– Gefährlichkeit des Unternehmensgegenstandes,

– Anzahl der Mitarbeiter,

– zu beachtende Vorschriften,

– Risiko der Verletzung dieser Vorschriften.

8

Über diese Aufzählung hinaus wird nur noch darauf hingewiesen, dass für kleine und mittlere Unternehmen mit geringem Risiko von Rechtsverletzungen auch wenige einfache Maßnahmen ausreichend sein können; insbesondere der Zukauf eines Compliance-Programms oder von Zertifizierungen sei in diesen Fällen regelmäßig nicht erforderlich.

9

Wie oben ausgeführt, sind Vorkehrungen zur Aufdeckung von Zuwiderhandlungen logischerweise dann „wirksam“, wenn sie zur Aufdeckung der Zuwiderhandlung geführt haben. Das ist genauso richtig, wie Vorkehrungen zur Vermeidung von Zuwiderhandlungen dann wirksam sind, wenn sie eine Zuwiderhandlung vermieden haben. Es spielt also nach der Entdeckung (und Abstellung) des Verstoßes keine Rolle, wie sich das Unternehmen danach verhält, ob es also den entdeckten (und abgestellten) Verstoß zur Anzeige bringt. Das ist auch logisch nachzuvollziehen, weil es sich bei diesem Verhalten nach Entdeckung und Beendigung der Zuwiderhandlung um Nachtatverhalten handeln würde, es bei der „Wirksamkeit“ im Sinne von § 81d Abs. 1 S. 2 Nr. 4 GWB jedoch um die Beurteilung von Compliance-Maßnahmen vor der Tat geht.

10

Hier sorgt nun die Gesetzesbegründung für Verwirrung. Richtigerweise stellt sie zunächst zur Compliance-Defense fest, dass „damit Fälle, in denen der Inhaber eines Unternehmens alle objektiv erforderlichen Vorkehrungen ergriffen hat, um Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen durch Mitarbeiter wirksam zu verhindern, berücksichtigt werdenkönnen“.9 Doch sodann folgt ein Satz, der in die Irre führt und vom Gesetzeswortlaut, der die Grenze zulässiger Auslegung markiert, auch nicht mehr gedeckt ist: „Dies [= Berücksichtigung der im vorhergehenden und soeben zitierten Satz genannten Fälle] ist in der Regel dann anzunehmen, wenn die ergriffenen Maßnahmen zur Aufdeckung und Anzeige der Zuwiderhandlung geführt haben.“10

11

Die Anzeige als Zusatzerfordernis für die Compliance-Defense aufzunehmen ist geradewegs „contra legem“; der Wortlaut gibt ein solches Verständnis nicht mehr her, sodass schon aus diesem Grund der Versuch ausscheidet, mit Sinn und Zweck der Regelung zu argumentieren. Aber auch der Sinn und Zweck, Compliance-Maßnahmen im Sinne einer besseren, kartellrechtlich „sauberen“ Welt zu fördern, gebietet das Zusatzerfordernis der Anzeige nicht. Es hat nichts mit der Wirksamkeit der Maßnahme zu tun, diese ist allein durch die Aufdeckung schon bewiesen. Ob der aufgedeckte Verstoß dann als erster, zweiter oder dritter bei der Behörde angezeigt wird, ob dies mit oder ohne Antrag nach dem Kronzeugenprogramm geschieht oder ob die Behörde durch Hinweis oder Durchsuchung von der aufgedeckten Zuwiderhandlung erfährt, spielt dann keine Rolle mehr.

12

Der schwierigste Bereich der Compliance-Defense ist betroffen, wenn die Kartellbehörden beurteilen müssen, ob das vorhandene Compliance-Programm des Unternehmens, dessen Mitarbeiter die Zuwiderhandlung begangen haben, „angemessen und wirksam“ ist. Die Maßstäbe für die Angemessenheit aus der Gesetzesbegründung sind schon oben genannt, mit Maßstäben für die Wirksamkeit tut sich die Gesetzesbegründung allerdings schwer.

13

Nach der Gesetzesbegründung ist ein Compliance-Programm wirksam, das „alle erforderlichen Vorkehrungen“11 trifft. Richtigerweise wird auch festgehalten, dass es nicht von vorneherein gegen die Ernsthaftigkeit des Bemühens, kartellrechtliche Zuwiderhandlungen zu vermeiden, spricht, wenn es trotz des Compliance-Programms zu einer Zuwiderhandlung gekommen ist. Allerdings heißt es dann, und hier verfällt man in alte Argumentationsmuster zurück, dass bei Nicht-Aufdeckung (und Anzeige – aber der Hinweis ist gesetzeswidrig) der Zuwiderhandlung die trotz Compliance-Programm begangene Zuwiderhandlung darauf hinweise, dass ein Defizit bei der Compliance vorliege. Dieser Schluss ist falsch, genau das ist zu ermitteln. Und wenn das Bundeskartellamt bei seinen Ermittlungen zum Schluss kommt, dass die Zuwiderhandlung durch ordnungsgemäße Compliance verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre, kann – natürlich, möchte man sagen – nur das grundsätzliche Bemühen um Compliance zu einer allenfalls geringen Bußgeldminderung führen.

14

Mit diesem Regelverständnis ergibt sich für die verschiedenen Fallkonstellationen konkret Folgendes:

– Die Compliance-Defense gilt für alle Unternehmen unabhängig davon, ob sie nach § 30 OWiG oder nach § 130 OWiG für eine Zuwiderhandlung durch Mitarbeiter des Unternehmens haften.

– Die Compliance-Defense gilt für alle Unternehmen unabhängig davon, ob sie eine von Mitarbeitern begangene Zuwiderhandlung aufgedeckt haben oder nicht. Wurde die Zuwiderhandlung nicht vom Unternehmen aufgedeckt, bedarf es jedoch positiver Darlegungen zur Angemessenheit und Wirksamkeit des vorhandenen Compliance-Programms.

– Die Compliance-Defense gilt für alle Unternehmen unabhängig davon, ob sie eine aufgedeckte Zuwiderhandlung dem Bundeskartellamt anzeigen oder nicht. Das Erfordernis einer Anzeige ergibt sich aus dem Gesetz nicht.

– Die Compliance-Defense gilt für alle Unternehmen unabhängig davon, ob sie einen Kronzeugenantrag gestellt haben; bei einem erfolgreichen Kronzeugenantrag als erster bedarf es dank der Bußgeldreduzierung auf Null der Compliance-Defense jedoch nicht mehr.

– Ist die Wirksamkeit des Compliance-Programms nicht durch die Aufdeckung der Zuwiderhandlung nachgewiesen, muss das Bundeskartellamt die objektiv erforderlichen Vorkehrungen ermitteln und prüfen, ob diese (i) über das vorhandene Compliance-Programm hinausgehen und sie (ii) die begangene Zuwiderhandlung verhindert oder wesentlich erschwert hätten.12 Ist beides der Fall, kommt nur noch eine Honorierung des generellen Bemühens durch eine wohl allenfalls geringfügige Senkung des Bußgelds in Betracht.

15

Ein Wermutstropfen zum Schluss: Die Compliance-Defense gilt bei Zuwiderhandlungen von Mitarbeitern, nicht bei Zuwiderhandlungen der Geschäftsleitung selbst. Wegen des „top-down“-Grundsatzes13 kann ein Compliance-Programm nicht ordnungsgemäß sein, wenn der „oberste Chef“ selbst der zuwiderhandelnde Mitarbeiter ist. Hierauf weist die Gesetzesbegründung zu Recht hin. Aber auch insoweit verbieten sich vorschnelle Schlussfolgerungen: Wird das Unternehmen durch ein Kollegialorgan geleitet, trifft die „Chef-Regel“ nur auf alleinvertretungsberechtigte Vorsitzende des Kollegialorgans zu, also z.B. auf den Vorstandsvorsitzenden oder den CEO. Wird die Zuwiderhandlung dagegen von einem nicht alleinvertretungsberechtigten Mitglied eines solchen Kollegialorgans begangen – und selbst wenn dieses eine herausgehobene Stellung einnimmt –, beeinträchtigt dies allein die Wirksamkeit des Compliance-Programms nicht. Mit Gesamtvertretung hätte der Vorstand in diesem Beispiel sich ausreichend gegen die kriminelle Energie eines Einzelnen abgesichert.

1

BGBl. I 2021, 2ff.

2

Einige Gedanken zur Verteidigung finden sich in Rn. D 52ff.

3

Darauf weisen auch

Ritz/Weiß

, NZKart 2020, 364, 370 hin.

4

Compliance-Programme werden von der Kommission nach wie vor nicht als mildernder Umstand bei der Bußgeldbemessung berücksichtigt, siehe hierzu

Steger/Schwabach

, WuW 2021, 138, 139f. und Rn. B 46.

5

Holzhäuser/Blome

, BB 2020, 1232, 1233.

6

Es weht ein „Wind of Change“, wie

Ritz/Weiß

, NZKart 2020, 364 feststellen. Siehe auch die Hinweise zu den Ländern Italien, Großbritannien, Frankreich, die USA und Schweiz unter Fn. B 38.

7

BGH, Urt. v. 9.5.2017, Az. 1 StR 265/16, BB 2017, 1931 (mit Anm.

Behr

).

8

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, BT-Drucks. 19/25868, S. 123.

9

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, BT-Drucks. 19/25868, S. 122.

10

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, BT-Drucks. 19/25868, S. 122.

11

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, BT-Drucks. 19/25868, S. 122.

12

Die bisherigen Vorbehalte des Bundeskartellamtes gegen eine Prüfung der Wirksamkeit von Compliance-Programmen (Tätigkeitsbericht 2013/2014, BT-Drucks. 18/5210, S. 13) greifen – worauf

Seeliger/Gürer

, WuW 2020, 634, 635 re.Sp. zu Recht hinweisen – nicht mehr. Schon nach § 8 Abs. 1 S. 1 WRegG muss das Bundeskartellamt sich die entsprechende Expertise aneignen.

13

Siehe unten Rn. C 4ff.

Teil B Kartellrechtliche Risiken im Unternehmen

1

Am Anfang aller Compliance-Bemühungen steht die Bestandsaufnahme: Das Unternehmen muss sich darüber klar werden, mit wem es in welcher Weise im Rahmen seiner Geschäftsprozesse agiert, bei welchen Tätigkeiten Kartellrechts-Verstöße vorkommen (könnten) und welche Bereiche relativ unkritisch sind.

2

Kartellrechts-Compliance hat zum Ziel, Unternehmen vor Kartellrechts-Risiken zu schützen. Wie bei jeder Schutzmaßnahme ist vor Einführung eines kartellrechtlichen Compliance-Programms zu entscheiden, ob

– die Risiken so gering sind, dass sie vom Unternehmen akzeptiert und getragen werden können oder ob

– das Einführen von konkreten Schutzmaßnahmen angezeigt ist.

3

Selbstverständlich kann eine solche Entscheidung nur dann korrekt getroffen werden, wenn Risiken und Konsequenzen zutreffend beurteilt werden. Für die Einhaltung von Kartellrechtsregeln ist das weit weniger intuitiv zu bewerkstelligen als für andere Rechtsbereiche. Dies liegt schlicht daran, dass Kartellrecht nicht abstrakt befolgt werden kann, sondern die Regeln je nach Marktumfeld, Marktposition und Geschäftsmodell eines Unternehmens andere sind. Grundsätzliche Compliance-Maßnahmen, wie insbesondere Kartellrechtsschulungen sind in einem Unternehmen also schon deshalb unverzichtbar, weil sie eine zutreffende Sachverhalts- und Risikoerfassung erst möglich machen.

4

Im Anschluss an das Studium der Grundbegriffe des Kartellrechts in den Abschnitten I. bis IV. kann der Leser unmittelbar in die Analyse der im eigenen Unternehmen vorhandenen Kartellrechts-Risiken anhand der Abschnitte V. bis IX. einsteigen.

I. Einführung in das Kartellrecht

5

Kartellrecht schützt den Wettbewerb und damit das freie Kräftespiel von Unternehmen auf dem Markt. Das System der Marktwirtschaft sieht funktionsfähigen Wettbewerb gleichsam als sein Herzstück oder seinen Motor an: Verbraucher profitieren von diesem System, weil Unternehmen um die Verbrauchergunst konkurrieren müssen. Der Wettbewerbsdruck führt dazu, dass Abnehmer sich aus einer breiten Angebotspalette diejenigen Güter und Leistungen auswählen können, die am ehesten ihren Vorstellungen von guter Qualität zu einem angemessenem Preis-Leistungs-Verhältnis entsprechen. Unternehmen, die im Wettbewerb bestehen, werden mit höheren Gewinnen belohnt. Unternehmen, deren Angebot nicht den Marktanforderungen entspricht, werden mit Verlusten oder gar mit ihrem Ausscheiden aus dem Markt bestraft.1

6

Ein besonders wichtiger Faktor ist dabei der letztlich nur durch ausreichenden Wettbewerb geförderte, ständige Anreiz zur Innovation. Oder mit den Worten des Präsidenten des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, in einem Interview der Funke Mediengruppe am 18.1.2020:

„Neben den überhöhten Preisen ist das Schlimmste an Kartellen und Monopolen, dass die Innovationstätigkeit der Unternehmen erschlafft. Ohne Wettbewerb geben sich die Firmen keine Mühe. Ein Beispiel: Als Microsoft seinen „Internet Explorer“ an den Markt brachte, erfuhr dieser über fünf Jahre kein einziges Update. Warum? Weil die Konkurrenz fehlte. Dann kam der „Mozilla Firefox“. Heute sind wöchentliche Updates bei vielen Apps die Regel. Wettbewerb ist für Fortschritt wichtig – und Kartelle schalten diesen aus.“

7

Das Kartellrecht schützt den Wettbewerb, indem es Handlungsweisen von Unternehmen verbietet oder begrenzt, von denen anzunehmen ist, dass diese wirksamen Wettbewerb behindern oder sogar ganz ausschalten.

8

Das europäische sowie das deutsche Kartellrecht stützen sich – wie viele andere Kartellrechtsordnungen weltweit – dafür im Wesentlichen auf zwei Grundsäulen: Die eine Säule begründet die unternehmerische Verhaltenskontrolle in Form des Kartellverbots2 und des Verbots missbräuchlichen Verhaltens für Unternehmen mit Marktmacht,3 die andere Säule umfasst die Strukturkontrolle für die Übernahme von Unternehmen oder Vermögenswerten in Form der Fusionskontrolle.4

9

Der Fokus von kartellrechtlichen Compliance-Maßnahmen liegt regelmäßig auf der ersten Säule, also der kartellrechtlichen Verhaltenskontrolle. Hier sind die risikorelevanten Sachverhalte des Unternehmensalltags angesiedelt, also Vorgänge, bei denen Unternehmensmitarbeiter das Unternehmen täglich in kartellrechtliche Gefahren bringen können. Transaktionen sind dagegen weit weniger alltäglich und werden im Unternehmen regelmäßig von Anfang an rechtlich begleitet. Die mit einem Transaktionsprozess verbundenen kartellrechtlichen Risiken erfahren damit naturgemäß eine höhere rechtliche Aufmerksamkeit. Auch wenn Compliance-Schulungen in diesem Bereich nicht zu vernachlässigen sind, betreffen sie regelmäßig einen eher kleinen Mitarbeiterkreis, der vor allem dahingehend sensibilisiert werden muss, rechtzeitig an das Kartellrecht und die Einbeziehung kartellrechtlicher Expertise zu denken.

10

Die Regeln zur kartellrechtlichen Verhaltenskontrolle sind direkt im Vertrag zur Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und damit im sog. Primärrecht der Europäischen Union (EU) angesiedelt. Die Europäische Fusionskontrolle findet sich nicht direkt im AEUV, sondern in einer eigenen Verordnung.5Europäisches Kartellrecht ist unmittelbar geltendes Recht in allen Mitgliedstaaten der EU und gilt – über entsprechende Abkommen6 – auch in den EFTA-Staaten Island, Norwegen und Liechtenstein und damit im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Oberste Europäische Kartellbehörde ist die Europäische Kommission (Kommission), die mit der Generaldirektion Wettbewerb über eine Einheit von etwa 800 Mitarbeitern verfügt, die sich mit der Durchsetzung des Kartellrechts befasst. In der EU verfügt zudem jeder Mitgliedstaat über eine eigene nationale Kartellrechtsordnung, die weitgehend an die Kartellrechtsordnung der EU angepasst ist. Das deutsche Kartellrecht ist im seit 1957 geltenden Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verankert. Die deutsche Verfolgungsbehörde ist das Bundeskartellamt mit Sitz in Bonn, mit derzeit ca. 360 Mitarbeitern. Obgleich die Behörde formal dem Bundeswirtschaftsministerium unterstellt ist, agiert sie unabhängig und nicht weisungsgebunden.

11

Derzeit haben weltweit über 120 Länder eigene Regeln zur Durchsetzung des Kartellrechts. Auch wenn es viele Prinzipien gibt, die in allen Rechtsordnungen enthalten sind, weicht die konkrete Ausgestaltung der Kartellrechtsgesetze sowie deren Umsetzung in einigen Punkten signifikant voneinander ab. Die Ausführungen in diesem Buch befassen sich allein mit europäischem und deutschem Kartellrecht, sofern nicht ausdrücklich auf eine andere Rechtsordnung Bezug genommen ist.

1

BKartA, Informationsbroschüre „Offene Märkte – Fairer Wettbewerb“, S. 10.

2

Siehe hierzu ausführlich unter Rn. B 95.

3

Siehe hierzu ausführlich unter Rn. B 202.

4

Siehe hierzu ausführlich unter Rn. B 288.

5

EG-Fusionskontrollverordnung VO Nr. 139/2004, ABl. EU 2004 L 24/1.

6

Art. 53, 54 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, ABl. EG 1994 L 1/3.

II. Anwendbarkeit von Kartellrecht

1.Auswirkungsprinzip

12

Die Anwendbarkeit deutschen und europäischen Kartellrechts bestimmt sich nach dem Auswirkungsprinzip. Dies gilt im Übrigen für die meisten Kartellrechtsordnungen weltweit und bedeutet: Weist eine Vereinbarung oder Verhaltensweise ein Potenzial zur spürbaren Wettbewerbsbeschränkung in der EU/in Deutschland auf, ist das europäische bzw. deutsche Kartellrecht anwendbar. Dies gilt unabhängig vom Willen der Vertragsparteien oder der von diesen getroffenen Rechtswahl. Irrelevant ist ebenfalls, ob ein oder alle an einer beschränkenden Vereinbarung oder einer kartellrechtswidrigen einseitigen Verhaltensweise beteiligten Unternehmen ihren Sitz in Deutschland oder der EU haben, sofern ihr Verhalten den deutschen bzw. den europäischen Markt betrifft. Umgekehrt bedeutet dies auch: Wettbewerbsbeschränkungen, die kein Potenzial haben, sich auf den Wettbewerb in der EU auszuwirken, fallen nicht in den Anwendungsbereich dieser Kartellrechtsordnung, ggf. aber unter die Kartellrechtsregeln eines anderen Landes. Abgrenzungshilfen für die Anwendbarkeit deutschen und europäischen Kartellrechts bieten die entsprechenden Leitlinien der Behörden.7

2.Verhältnis zwischen europäischem und deutschem und sonstigem nationalen Kartellrecht innerhalb der EU

13

Deutsches und europäisches Kartellrecht sind grundsätzlich nebeneinander anwendbar, wobei die Anwendung europäischen Kartellrechts im Konfliktfall vorgeht.8

14

Hat eine Verhaltensweise rein lokale Auswirkungen auf einen Mitgliedstaat der EU, fällt sie mangels Spürbarkeit der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels ggf. nicht unter europäisches, sondern allein unter das nationale Kartellrecht des jeweiligen Mitgliedstaats, bei Auswirkungen in Deutschland also allein in den Zuständigkeitsbereich des Bundeskartellamtes. Die praktischen Auswirkungen sind jedoch vergleichsweise gering: Im Bereich der zweiseitigen Verhaltenskontrolle sind die Kartellrechtsordnungen der Mitgliedstaaten voll an das EU-Kartellrecht angepasst. Im Bereich der einseitigen Missbrauchskontrolle können die Beurteilungsmaßstäbe nur strenger, nicht dagegen milder ausfallen. Das deutsche Kartellgesetz macht von der Möglichkeit einer strengeren einseitigen Verhaltenskontrolle Gebrauch.9

15

Europäisches Kartellrecht ist auf der Ebene der Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbares Recht.10 Dies gilt auch für alle von der Kommission erlassenen Verordnungen, etwa zur Fusionskontrolle, und insbesondere für die sog. Gruppenfreistellungsverordnungen (siehe dazu unter Rn. B 104ff.). Die zur Erläuterung dieser Verordnungen ebenfalls von der Kommission erlassenen Leitlinien und Merkblätter haben dagegen nur für die Kommission selbst unmittelbare rechtliche Bindungswirkung, sofern sie nicht unmittelbar den Verordnungstext erläutern (siehe dazu unter Rn. B 110).

3.Kartellrechtsordnungen anderer Länder außerhalb des EWR

16

Obgleich sich in allen Kartellrechtsordnungen weltweit gewisse gemeinsame Grundkonzepte wiederfinden, weichen die nationalen Kartellrechtsregeln, einschließlich deren Umsetzungen durch nationale Kartellbehörden und Gerichte, durchaus substanziell voneinander ab.

17

Für ein international agierendes Unternehmen bedeutet dies, dass Compliance-Bemühungen alle Absatzmärkte eines Unternehmens im Blick haben müssen. Wie z.B. Bußgeldentscheidungen der chinesischen Kartellbehörde in Höhe von EUR 56 Mio. im sog. LCD-Bildröhrenkartell im Januar 2013,11 der südkoreanischen Kartellbehörde in Höhe von USD 854 Mio. gegen den Chiphersteller Qualcomm im Jahr 201612 oder ein Bußgeld der japanischen Kartellbehörde in Höhe von USD 330 Mio. gegen verschiedene Bauunternehmen im Juli 201913 zeigen, lässt sich die Kartellrechtsverfolgung nicht einem Land oder einer bestimmten Form der Marktwirtschaft zuordnen. So hat Indien seine zunächst nur in der Theorie existente Kartellrechtsordnung schon vor Jahren „scharf gestellt“. Auf dem lateinamerikanischen Kontinent ist Brasilien bei Kartellrechtlern schon seit Langem als ein Land bekannt, in dem die Kartellrechtsverfolgung einen sehr hohen Stellenwert einnimmt. Das Gleiche gilt auf dem afrikanischen Kontinent für Südafrika.14

18

Wenn das Compliance-Konzept grundsätzlich steht, ist es je nach räumlichem Tätigkeitsgebiet des Unternehmens somit unverzichtbar, die Compliance-Maßnahmen, etwa in Form von Schulungen oder Verhaltensrichtlinien, auch im Ausland auszurollen. Hierfür ist die Einschaltung lokaler Anwälte notwendig, auch wenn diese sich gut an einem einmal ausgearbeiteten Konzept orientieren können. Umgekehrt ist stets sicherzustellen, dass im Ausland erarbeitete Compliance-Maßnahmen nicht unreflektiert auf die lokale deutsche Organisation übertragen werden.

7

Leitlinien der Kommission über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels, ABl. EU 2004 C 101/07; Merkblatt des Bundeskartellamtes zur Inlandsauswirkung, Januar 1999.

8

Art. 3 Abs. 2 S. 1 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2008 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. EG 2003 L 1/1 (VO 1/2003); § 22 Abs. 2 GWB.

9

Siehe dazu unter Rn. B 213ff.

10

Für Deutschland siehe § 22 Abs. 1 GWB.

11

Siehe Pressemitteilung der chinesischen Kartellbehörde v. 13.1.2013, abrufbar unter http://english.mofcom.gov.cn.

12

Siehe Pressemitteilung der koreanischen Kartellbehörde v. 28.12.2016, abrufbar unter www.ftc.go.kr.

13

Siehe Pressemitteilung der japanischen Kartellbehörde v. 31.7.2019, abrufbar unter www.jftc.go.jp.

14

Für einen globalen Überblick siehe OECD Competition Trends 2020, abrufbar unter https://www.oecd.org/daf/competition/OECD-Competition-Trends-2020.pdf.

III. Kartellrechtliche Grundbegriffe

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Es gibt Grundbegriffe und -prinzipien, die für die kartellrechtliche Beurteilung jeder unternehmerischen Verhaltensweise relevant sind. Um das Verständnis der unter Rn. B 95ff. kursorisch dargestellten Kartellrechtsvorschriften zu erleichtern, werden einige dieser Grundbegriffe hier „vor die Klammer“ gezogen und erläutert.

1.Wettbewerbsbeschränkung

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Ziel des Kartellrechts ist die Steigerung der Verbraucherwohlfahrt, indem der Wettbewerb vor Beschränkungen durch Unternehmen geschützt wird. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Wettbewerb und Verbraucherwohlfahrt so zusammenhängen, dass mehr Wettbewerb mehr Verbraucherwohlfahrt und weniger Wettbewerb eine geringere Verbraucherwohlfahrt bedeuten. Liegt keine Wettbewerbsbeschränkung vor, bedarf es keines Schutzes des Wettbewerbs und kartellrechtliche Regeln kommen nicht zum Tragen. Das Kartellrecht legt dabei das sog. Selbstständigkeitspostulat zugrunde, wonach jedes Unternehmen eigenständig entscheiden muss, welche Geschäftspolitik es auf dem Markt verfolgt. Wird diese Freiheit beeinflusst – gleich ob diese Beeinflussung Zweck oder Folge des Handelns eines anderen Unternehmens ist –, liegt grundsätzlich eine Wettbewerbsbeschränkung vor.15

21

Das europäische und deutsche Kartellrecht lassen es im Grundsatz ausreichen, dass ein unternehmerisches Verhalten das Potenzial zu einer Wettbewerbsbeschränkung hat. Die Unterscheidung zwischen bezweckter Wettbewerbsbeschränkung (oder im Englischen restriction by object) und bewirkter Wettbewerbsbeschränkung (im Englischen restriction by effect) kommt in der Praxis bei den Nachweiserfordernissen der Auswirkungen von Beschränkungen auf den Wettbewerb durch Behörden und Gerichte zum Tragen. Für bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen, d.h. Beschränkungen, die schon ihrem Wesen nach als schädlich für den Wettbewerb anzusehen sind, wie z.B. Kartellabsprachen, muss kein Nachweis eines wettbewerbsschädlichen Potenzials mehr erbracht werden; er wird vielmehr vermutet.16 Bei der Feststellung bewirkter Wettbewerbsbeschränkungen ist dies anders. Hier kommt es auf Auswirkungen auf die Marktbedingungen an.

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Die Unterscheidung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen wird in der Compliance-Arbeit häufig überschätzt: Geht es bei dieser doch ganz vorrangig darum, die bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen abzustellen, d.h. solche, die aufgrund ihres Inhalts, der verfolgten Ziele und des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs wettbewerbswidrig sind. Diese aufzuspüren, setzt keine Marktanalyse voraus. Oder mit den plastischen Worten des Generalanwalts Bobek in seinen Schlussanträgen in Sachen Budapest Bank et al. zur Frage, wie man bezweckte und bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen voneinander unterscheidet:17

„Wenn es wie ein Fisch aussieht und wie ein Fisch riecht, kann man davon ausgehen, dass es ein Fisch ist. Sofern dieser konkrete Fisch nicht auf den ersten Blick etwas ganz Seltsames an sich hat, wie etwa, dass er keine Flossen hat, in der Luft schwebt oder wie eine Lilie riecht, dann ist kein eingehendes Sezieren dieses Fisches notwendig, um ihn als solchen zu qualifizieren. Wenn der betreffende Fisch jedoch etwas Ungewöhnliches an sich hat, kann er gleichwohl als Fisch eingestuft werden, jedoch erst nachdem das betreffende Wesen eingehend untersucht worden ist.“

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Es gibt dennoch einige Vertragskonstellationen, in denen die Europäische Kommission sowie das Bundeskartellamt bestimmten Beschränkungen eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung gänzlich absprechen, da es sich bei diesen Beschränkungen um sog. Nebenabreden handelt. Dies sind Beschränkungen, die eine Annexfunktion für eine kartellrechtlich neutrale Vereinbarung einer bestimmten Art einnehmen und notwendig sind, um deren Bestehen zu ermöglichen.18

24

Hiervon zu unterscheiden sind Situationen, in denen eine Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, diese aber nicht spürbar ist und das Verhalten deshalb nicht in den Anwendungsbereich der kartellrechtlichen Verbotsnormen fällt. Sowohl die Europäische Kommission als auch das Bundeskartellamt haben Leitlinien herausgegeben, wann es aus Sicht der Verfolgungsbehörde an einer solchen Spürbarkeit fehlt, die Behörden also nicht tätig werden.19

2.Unternehmen

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Kartellrecht richtet sich ausschließlich an Unternehmen. Dabei legen sowohl das europäische als auch das deutsche Kartellrecht einen funktionalen Unternehmensbegriff zugrunde, der „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“20 erfasst. Der Unternehmensbegriff des Kartellrechts setzt damit lediglich eine wirtschaftliche Betätigung voraus und ist damit keineswegs auf Unternehmen im engeren Sinne einer juristischen Person beschränkt. Auch die öffentliche Hand als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist ein Unternehmen, wenn sie sich wirtschaftlich und nicht rein hoheitlich betätigt. Gleiches gilt für natürliche Personen, sofern diese z.B. als Einzelhandelskaufmann, in freien Berufen, als Erfinder, Künstler oder Berufssportler wirtschaftlich tätig sind, d.h. nicht als Arbeitnehmer oder für den eigenen persönlichen Haushalt agieren.21

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Das Kartellrecht versteht unter einem Unternehmen stets die gesamte wirtschaftliche Einheit, also die Unternehmensgruppe oder den Konzern. Aus Unternehmenssicht positiv ist, dass konzerninterne Absprachen und Verhaltensweisen dann dem Beurteilungsmaßstab durch das Kartellrecht entzogen sind, wenn es den einzelnen Konzerntöchtern an Entscheidungsautonomie fehlt, da sie als beherrschte Konzernunternehmen anzusehen sind. Aus Unternehmenssicht negativ ist, dass das Kartellrecht für Umsatz- und Marktanteilsbetrachtungen stets den gesamten Konzern und nicht nur die einzelne agierende Konzerntochter betrachtet. Dies gilt im europäischen Kartellrecht auch für die Zurechnung kartellrechtlich relevanten Verhaltens. Hier sind im deutschen Kartellrecht mit der Schließung der sog. „Wurstlücke“22 durch den neuen § 81 Abs. 3a GWB wichtige Anpassungen erfolgt, um eine bis dato bestehende Haftungslücke zu schließen.23 Auch im deutschen Kartellrecht ist somit der Sache nach eine Konzernhaftung für Kartellrechtsverstöße eingeführt worden.24 Danach sind jetzt bei einheitlich geleiteten Unternehmen Geldbußen nicht nur gegen handelnde Tochtergesellschaften, sondern auch gegen ihre lenkenden Konzernmütter möglich, ohne dass diese durch eigene Organe oder Repräsentanten i.S. § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 GWB tatbeteiligt waren. Zum anderen ist für die Fälle der Rechtsnachfolge und wirtschaftlichen Nachfolge durch § 80 Abs. 3b und c GWB die Haftung für Rechtsnachfolger spürbar verschärft worden. Neben der erweiterten Haftung von Gesamtrechtsnachfolgern sind nunmehr nach deutschem Kartellrecht erstmals auch gewisse Vermögensverschiebungen und Umstrukturierungen haftungsbegründend. Schließlich wurde mit § 81a GWB auch eine Ausfallhaftung für die Muttergesellschaft eingeführt, wenn die konzernangehörige Tätergesellschaft nach der Bekanntgabe der Einleitung des Bußgeldverfahrens erlischt oder ihr Vermögen so verschoben wird, dass ihr gegenüber keine Geldbuße mehr festgelegt werden kann.

3.Relevanter Markt und Marktabgrenzung

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Die Abgrenzung des relevanten Marktes ist für die kartellrechtliche Beurteilung von Sachverhalten in zweifacher Hinsicht relevant: Zum einen folgt daraus die Bestimmung des Wettbewerbsverhältnisses zwischen den handelnden Unternehmen, zum anderen ist der relevante Markt die Bezugsgröße zur Ermittlung der Marktstellung eines Unternehmens. Wettbewerbsverhältnis und Marktanteile wiederum entscheiden darüber, nach welchen Grundsätzen eine kartellrechtliche Verhaltensweise zu beurteilen ist.

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Die kartellrechtliche Marktabgrenzung erfolgt stets in sachlicher sowie in räumlicher, seltener auch in zeitlicher Hinsicht. Der sachlich relevante Markt oder Produktmarkt wird nach dem sog. Bedarfsmarktkonzept ermittelt. Zu einem Markt gehören demnach alle Produkte oder Dienstleistungen, die von der Marktgegenseite im Hinblick auf ihre Eigenschaften, Preise und ihren Verwendungszweck als austauschbar angesehen werden.25 Als Hilfsmittel bedienen sich die Behörden dabei zum Teil des sog. „SSNIP“-Tests. Dieser fragt, ob Abnehmer bei einer kleinen, aber signifikanten und nicht nur vorübergehenden Preiserhöhung (small but significant and non-transitory increase in price) von z.B. angenommenen 5–10 % von einem Produkt zu einem anderen wechseln würden. Ist dies der Fall, ist anzunehmen, dass die Produkte einem Markt angehören. Der SSNIP-Test ist in der Praxis allerdings nur schwer anwendbar.26 Bereits die Frage, ob der Preisfaktor aus Abnehmersicht tatsächlich die entscheidendste Rolle spielt oder ob andere Wettbewerbsparameter mindestens ebenso wichtig sind, ist branchen- und produktspezifisch durchaus unterschiedlich.

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In räumlicher Hinsicht gehört zu einem relevanten Markt das Gebiet, in dem die beteiligten Unternehmen die fraglichen Produkte oder Dienstleistungen anbieten, in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind und das sich von benachbarten Gebieten durch spürbar unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen unterscheidet.27

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In der Praxis führt für eine zutreffende Marktabgrenzung letztlich kein Weg daran vorbei, in einem Gespräch mit einem Produktexperten herauszuarbeiten, welche Produkte oder Dienstleistungen tatsächlich Wettbewerbsdruck auf die unternehmenseigenen Produkte oder Tätigkeiten ausüben. Mit diesem Gespräch geht die Sichtung und Überprüfung der bereits im Unternehmen verwendeten internen Marktüberlegungen, Branchenstatistiken oder sonstigen Materialien voraus, die für die derzeitige Bestimmung der Marktposition verwendet werden. Diese Materialien können dann mit vorhandenen Entscheidungen von Kartellbehörden in der Branche verglichen werden. Regelmäßig bilden Fusionskontrollentscheidungen dabei einen ersten Anhaltspunkt, da hier die umfangreichste Fallpraxis vorhanden ist. Dieser Blickwinkel ist hilfreich, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die dort vorgenommene Marktabgrenzung für die Überprüfung von Verhaltensweisen nach dem Kartell- oder Missbrauchsverbot oft nur einen Ausgangspunkt bildet: Die Marktabgrenzung kann gerade im Zusammenhang mit der Missbrauchsaufsicht in der Praxis oft bedeutend enger ausfallen, als dies für einen im Kartellrecht nicht geschulten Mitarbeiter den Anschein haben mag. Dies hat dann unmittelbare Auswirkungen auf die Bestimmung der Marktposition im relevanten Markt und daran anknüpfender, besonderer Verhaltensregeln für das Unternehmen.

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An dieser Stelle können nur die Grundprinzipien der Marktabgrenzung angerissen werden: Die richtige Marktdefinition ist eine der zentralen Fragen des Kartellrechts und als solche sowohl rechtlich, insbesondere aber auch ökonomisch, nur anhand des konkreten Sachverhalts zu beantworten. Unternehmen sind gut beraten, diese Marktanalysen sorgfältig und unter Einbeziehung anerkannter Kartellrechtsgrundsätze vorzunehmen. Denn ob die Marktabgrenzung eines Unternehmen letztlich von den Behörden nachvollzogen wird, zeigt sich erst im Rahmen eines konkreten Verfahrens: Die Behörden verfügen über weitreichende Ermittlungsbefugnisse, zu denen eine eigene Markterhebung mittels umfassender Befragung von Wettbewerbern und Abnehmern zählt. Entsprechende Daten liegen einem Unternehmen weder selbst vor noch könnten diese Daten unternehmensseitig erhoben werden, ohne gegen Kartellrecht zu verstoßen. Hat ein Unternehmen seine rechtlichen Handlungsmöglichkeiten falsch eingeschätzt, weil es eine falsche Marktabgrenzung zugrunde gelegt hat, gehen die Konsequenzen aus dieser Fehleinschätzung ausschließlich zu Lasten des Unternehmens.

4.Wettbewerbsverhältnis

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Welche kartellrechtlichen Grundsätze für die Beurteilung einer Vereinbarung maßgeblich sind, richtet sich nach der Frage, ob die handelnden Unternehmen in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen oder nicht. Das Kartellrecht behandelt Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern strikter als Vereinbarungen zwischen Nicht-Wettbewerbern.

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Das Wettbewerbsverhältnis ist auf dem nach den obigen Grundsätzen abgegrenzten sachlich und räumlich relevanten Markt zu ermitteln. Deutsches und europäisches Kartellrecht gehen dabei von einem Wettbewerbsverhältnis aus, wenn Unternehmen im Hinblick auf die von der Vereinbarung oder Abrede betroffenen Produkte oder Dienstleistungen auf dem gleichen sachlich und räumlich relevanten Markt aktiv sind (tatsächliche oder aktuelle Wettbewerber) oder nicht nur hypothetisch anzunehmen ist, dass das jeweils andere Unternehmen die notwendigen Investitionen oder Umstellungskosten vornehmen würde, um in Erwiderung auf eine geringfügige, dauerhafte Preiserhöhung zeitnah in diesen Markt einzutreten (potenzielle Wettbewerber). Hier ist zu beachten, dass der Zeitraum, in dem mit einem Marktzutritt zu rechnen ist, je nach Art der zu beurteilenden Abrede abweicht.28

5.Vorsatz und Fahrlässigkeit

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Ein Verstoß gegen das Kartellverbot oder das Verbot des missbräuchlichen Verhaltens für Unternehmen mit Marktmacht erfordert keine besonderen subjektiven Elemente. Bußgelder können verhängt werden, gleich ob der Verstoß gegen das Kartellrecht vorsätzlich oder fahrlässig erfolgt ist.29 Die fahrlässige Begehung hat aber Auswirkungen bei der Bußgeldbemessung.30

6.Verjährung

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Kartellrechtsverstöße verjähren sowohl nach europäischem als auch nach deutschem Recht fünf Jahre nach ihrer Beendigung.31

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In der Praxis besteht die Herausforderung im Nachweis, dass eine Tat wirklich beendet ist. Dies ist nicht der Fall, wenn deren Auswirkungen fortdauern (etwa wenn ein rechtswidrig verabredeter Preis weiterhin gültig bleibt oder eine kartellrechtswidrige Gebietsabrede nach wie vor eingehalten wird). Liegen die Voraussetzungen für eine Tateinheit vor, können somit auch Vereinbarungen, die Jahre – oder in manchen Kartellverfahren mehr als ein Jahrzehnt – zurückliegen, noch verfolgt und geahndet werden.

7.Wettbewerbs- und Marktanalyse als zwingender Ausgangspunkt jeder Compliance-Maßnahme

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Kartellrechtliche Compliance kann nicht im luftleeren Raum stattfinden, wenn sie Unternehmensmitarbeiter erreichen soll. So verlockend „one-sizefits-all“-Angebote, insbesondere im sog. e-Learning, klingen: sie können eine individuelle Compliance-Arbeit, zugeschnitten auf das konkrete Unternehmen nicht ersetzen, sondern allenfalls abrunden. Kartellrechtsregeln und Kartellrechtsrisiken sind immer mit der konkreten Markt- und Wettbewerbssituation eines Unternehmens