Dämonenräumdienst - Marcel Beyer - E-Book

Dämonenräumdienst E-Book

Marcel Beyer

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Beschreibung

Auf der Saftbühne wird etwas aufgeführt. Hildegard Knef steigt ins Auto. Rudolph Moshammer trägt seinen Yorkshire Terrier durch München. S. T. Coleridge macht einen Witz über Köln. Kunstwerke verschwinden. Etwas rüttelt am Fenster. Morgens, mittags, nachts. Der Amselpapst. Die Leute fangen an, Sachen zu reden. Am Wertstoffhof läuft Musik. Elvis fegt noch einmal die Einfahrt. Ich lese nur noch Pferdekrimis und suche die Sprache im grauen Bereich. Das Schlaflabor am Potsdamer Platz. Weißdorn, Majoran, Ginster...
Unerhörtes trägt sich zu in den lange erwarteten neuen Gedichten von Marcel Beyer. In jedem einzelnen der exakt vierzig Verszeilen langen Poeme nimmt sich eine andere Figur jede Freiheit, die die strenge Begrenzung ihr lässt, erzählt Geschichten, paraphrasiert Übersetzungen, stellt Reihungen an - kurz: Sie treiben es bunt, manchmal auch wild, so dass am Ende gesagt werden muss: Es wird ernst! Es wird Zeit, den Dämonenräumdienst zu rufen.

Laß deine mürben Knochen. Verharre. Der
Sohn ist der Vater, der Vater
ein Geist. Koste nicht von der Esche,
der Eiche, der Eibe, aber sag mir,

was Buchstaben sind. Löse dich von
deinen Vorlagen. Sprich schneller.
Niemand hier muß verstehen,
was du sagst. Wer würde dir denn eine

Knarre besorgen. Frag nicht, ob du
willkommen bist. Was in dir
singt, geht keinen Menschen etwas an.
Die Buchstaben glotzen. Bleibe.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 80

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Marcel Beyer

Dämonenräumdienst

Gedichte

Suhrkamp

Übersicht

Cover

Titel

Inhalt

Informationen zum Buch

Impressum

Hinweise zum eBook

Inhalt

Cover

Titel

Inhalt

Farn

Farn

Scheinfrucht

Papier

Bambi

In meines Vaters Haus

Benzin

Die Blutbude

Moshammer

Schwermut

Fünf Rezepte gegen Krötigkeit

Modell

Der Tod in den Büschen

Schrot

Englisch

Am See

Sprache im grauen Bereich

Druckstellen

Mulke

Mach

In der Lauschgrube

In Gesellschaft

November

Eternit

Orange

Ginster

Später dann

Haustiere

Panzerband

Orakel

Kältefuchs

In der Lauschgrube

Betet für die dunkle Jahreszeit

Tote Farben

Dämonenräumdienst

Mein Daumenabdruck

Coleridge, In Köhln

Majoran

Robbenträume

Kalk

Der Amselpapst

Schadbild

Der Mann mit dem schiefen Maul

Kosmos

Buchstaben

Bimini

Saftbühne

Weh mir

Dämonenräumdienst

Schlaflabor Potsdamer Platz

Die rote Schnur

Depot

Aus meiner Schamküche

Aus meiner Schamküche

Reno

Eines Tages

Verben

Was meine Feinde singen

Ventile

Rattansofa

Auf niemanden

Las Vegas

Flieder

Steinstaub

Libelle

Folgt mir

DDT

Die Message

Anrichte

Hölderlintage

Grubengedicht

Limbo

Ruh aus in deinem Plural

Meine Tintenstimme

Die Bunkerkönigin

Die Bunkerkönigin

I

II

III

IV

V

VI

Textnachweis

Informationen zum Buch

Impressum

Hinweise zum eBook

Farn

Farn

Ich lebe dort, wo ich verbreitet bin,

bei meiner Farnverwandtschaft,

die sich auf Trockenfeldern

teils über Liebesnestern schließt

und teils seit langem schon zu Torf

geworden ist, also ein Buch,

in unentzifferbarer Schrift verfaßt,

wie jene Fährte, jene Spur eines

fremdartigen Geruchs, dem nur die

Hundenase folgen kann. Doch

immerhin ein Buch. Ich schreibe

das mit nassen Füßen, halber Hand

und einem um den Kopf drapierten

Lappen. Von nun an eine andere

Atemtechnik. Ich mache einen

Schritt und komm voran. Ich mache

einen zweiten Schritt und bin schon

da. Ich bin durch Herkünfte

gestapft, der Moorboden bebt,

das Wasser fiept und zischelt,

da ich Binse und Besenheide unter

mir begrabe, dem Hund gleich,

der seine Erinnerung ans Wildsein

auf der Küchenmatte stellt. Ein

Ritual. Ich schreibe dies mit kalten

Händen, schweren Füßen, mit

einem um den Kopf gewickelten

nassen Lappen. Ich habe die kühle

Stirn, ich knipse was an: Wildsein,

Erinnern, der Versuch einer

Schwarztorflektüre – schwarz auf

schwarz. Das bloße Auge kommt

den Hieroglyphen nicht bei. Fiepen

und Schmatzen. Ich laufe nicht

davon. Ich schreibe dies, um

dich zu grüßen, tief im Adlerfarn,

mit beiden Händen und einem um

den Kopf geschwungenen

Frotteetuch: Saufe den Mond, sauf

ihn doch, wenn du kannst.

Scheinfrucht

Und liegst du weinend unterm

Feigenbaum, und hörst du

eine Kinderstimme sprechen,

dann paß gut auf, nimm dich in

acht, denn nicht mehr lang, und

du wirst lesen. Liegst du dort

weinend unterm Feigenbaum

und hörst, wie oben Kerne sich

im Fruchtfleisch drehen, sternlose

Himmelsgloben im dichten,

leeren Raum, in roter Nacht,

und fragst du dich, wie weit

dein Ohr reicht, in die Nähe, in

die Ferne, da du nicht sagen

kannst, ob du ein Mädchen oder

einen Jungen singen hörst,

während du weinst, dann paß gut

auf, nimm dich in acht, denn

nicht mehr lang, und dir werden

die Feigenkerne zwischen

den Zähnen kleben, und du wirst

lesen. Denn du wirst, liegend,

weinend, Kinderstimmen hörend,

selbst ein Blütenboden, du

wirst ein Himmelsglobus und ein

schwarzer Stern, wirst leeres

Blatt und Buch, wirst Buch oder

auch keins, du wirst ein helles

Auge und ein dunkles Ohr, wirst

weher Zahn und rote Nacht,

wirst selber Scheinfrucht sein.

Denn du, nimm dich in acht,

und paß gut auf, wirst bald schon

an der aufgeschlagenen Stelle,

wirst fortan immer an derselben

Stelle lesen, immerzu den Raum

und immerzu den Kern, und dabei

immerzu die beiden Kinder

hören, die nehmen, lesen, nehmen,

lesen jenseits deiner Welt.

Papier

Wie unzerstört ich bin an diesem

Morgen, und ich kann wieder

liegen, unwissend wie ein

Stück Papier. Und alles an mir

ist ein einziger mattblauer Schein

und ein lässiger Faltenwurf

und ein handbreiter Saum und

alles ganz still und mit kleinen

toten Fliegen geschmückt, wie

es sich für einen echten

Morgenmenschen gehört. Und

ich weiß nichts von den Kriegen,

ich weiß nicht, wie man Hunde

auf Füchse hetzt, ich bin

heute weder der flennende

englische Greis, noch bin ich

jener rachitische Knecht unter

Knechten, der ich sonst

immer bin. Am Gaumen klebt

mir die nächtliche, gräßliche

seltsame Süße. Und mein Auge

trieft, ich seh meine Daumen,

und ich finde mich zurück,

und ich gehe ganz langsam im

Kreis, und der Wasserhahn tropft,

und ich bin wieder hier, wo

der Text stets auch der

Hausmeister ist, der nicht einmal

mit seinem Schlüsselbund grüßt,

und den Kittel im Wind

und den Werkzeugkasten sich

selbst auf die Füße. Ich

bin hier. Ich bin unverletzt. Nur

wenn ich niese, weiß ich

nicht, quiekt da in meinem Kopf

die brennende Mickymaus,

quiekt eine Mickymaus, die

niemals spricht, quiekt da

in meinem Kopf die Mickymaus,

die niemand löschen will.

Bambi

Der Dichter arbeitet als Reh im

Innendienst. Und Innendienst

bedeutet: man stellt den

Tisch, den Gang, man stellt

das Stiegenhaus, man stellt das

Mezzanin, den Mistraum, man

stellt die Welt mit Blumen

aus den österreichischen Alpen

voll. Von Zeit zu Zeit arbeitet

der Dichter auch mit Moos.

Er blutet nicht. Waldränder

steuert er nicht an. Er fürchtet

sich nicht vor dem Fuchs, nicht

vor dem Marder. Gläserner

Gärtner ist er, und der Tisch

des Blumengastes ist zugleich

der Tisch des Blumenwirts. Der

Dichter schläft als Hoch-

und Mittel- und als Niederwild

im Nebenkeller, wo sich das

eingekochte Obst zu roten Zeilen

fügt. Das Sonnenlicht dringt

niemals bis zum Boden. Da

knistert es. Da klirrts. »Zurück

zur Rautenklause«, ruft der Dichter

aus seinem bilderlosen Traum.

Der Hartriegel reibt sich

am Reh, das Reh reibt sich am

Einmachglas, in dichter Reihung

reiben die Einmachgläser

aneinander. Auf jedem Etikett

steht BAMBI, in einer Handschrift,

derart zierlich, derart akkurat –

dem Graphologen gefriert

das Blut in den Adern. So schreibt

ein Mensch nur nach der Tat. So

schreibt kein Reh. Mit Tinte nicht

und nicht mit Moos. Bald ist

hier Schluß. Der Dichter atmet

kaum. Er weiß, daß niemand lügt.

In meines Vaters Haus

In meines Vaters Haus sind viele

Wohnungen. Ich möchte keine

einzige von innen sehn. Parterre

steht man knöcheltief in Marzipan.

Man spürt, dies war die längste Zeit

ein Knochenheim. Man wird mit

abgebrochnen Füßen weitergehn.

Der Läufer auf den Stufen fühlt

sich an – man kanns schwer sagen:

wie ein eingeseifter Labrador,

ein Hüftbruch mit Meerschweinchen

nach Feierabend. Im ersten Stock

greift einem etwas in den Schritt.

Nichts Sichtbares – ein

Temperatursturz, ganz leicht. Hinten

im Gang macht Sylvia Plath sich

jeden Mittag an einen jungen, bleichen

Nazi ran. Im zweiten nur

Etagenbetten, heller Sand. Noch

mehr Etagenbetten. Muschelschalen.

Splitt. Der Knabenchor singt einen

Kanon, Tag und Nacht. Hinter

der Wand. Hinter der Wand. Hinter

der Wand. Auf halber Treppe ein

Verschlag, Dentallabor. Da lagern

Kettenraucherzähne, täuschend

echt. Im dritten die entmietete

Einkaufsmeile, die längste in

der ganzen Stadt. Noch in Betrieb

die Waschanlage für meines Vaters

Wagen, den kleinen Daimler, in

dem Yoko Ono starb. Die beiden

hatten sich gerade frisch verliebt.

Im Dach eine Schnappfalle mit

Belohnungen, für die ein jedes Kind

die rechte Hand hergibt – Muscheln,

Knochen, Zähne, Daimler, Labradore,

Etagenbetten, Meerschweinchen

aus Marzipan. In meines

Vaters Haus sind viele Wohnungen.

Benzin

Wie unter milden Drogen geht

der Tag dahin, Bergluft und

einige gedehnte Wolken, du wüßtest

nicht zu sagen, lebst du von einer

kosmischen Strahlungsvollkost,

lebst du von Morphin, denn

du sitzt da wie Hilde Knef in

Euphorie, wenn sie einmal drei

Wochen still im Zimmer saß. Die

Welt hängt voller Dackelhälften.

Überall Fichten. Über dir Gebälk. Du

liebst Benzin. Sei so gut, laß

die Servietten im Schrank. Und sei

so gut, spiel nicht an der

Slowfox-Taste. Kümmer dich nicht

um die Axt. Wie Hilde Knef

sitzt du am Nachmittag, kein Schnee

liegt drüben auf den Gipfeln,

es muß ein früher Nachmittag im

Sommer 1974 sein, bevor sie

aufsteht und kurz aus dem Fenster

sieht. Wie sie in den dämmrigen

Flur verschwindet, an einem losen

Faden reißt, noch einmal mit

den Schultern zuckt und sich das

Kopftuch bindet, wie sie

den leichten Mantel überstreift,

in der Schublade kramt, eine

passende Sonnenbrille findet und

nach ihren Autoschlüsseln

greift, wie sie das Haus verläßt,

wie sie die Tür zuzieht.

Sie steigt ins Cabriolet und kommt,

da sie den Innenspiegel richtet,

doch aus den Buchstaben

nicht raus, während sie, leise

fluchend, den Motor zündet und nun

endlich, endlich, sie hat einen

Termin, nach Berchtesgaden

zu ihrer Wunderheilerin aufbricht.

Die Blutbude

Geister sind das, hier in deiner

Bude, deren letzte Winkel

die Tchibo-Taschenlampe nicht

erfaßt. Das Paradies aber liegt

am Rückweg aus der Apotheke,

wenn man im Park die erste

Schachtel aufgerissen hat. Blitz

der Erkenntnis, Blisterglück und

Augenüberwältigung in einem,

die Sträucher, die Hecken,

Rabatten. Eine bodenlose, eine

vollkommen wortlose Blutliter-,

ich wollte sagen: eine Butterfly-

Literatur, wie sie vor dir zu

Boden geht. Wie sie sich senkt.

Und wieder hebt. Und dann das

alles noch einmal in Ultraviolett.

Das ist das Eisen, die Ekstase,

sind die Eisenpräparate. Denn

der Mensch lebt von seinem

Wahrnehmungswahnsinn und von

Vitaminen, er lebt von den

Farben dort draußen, er lebt

vom Erbeben, darum trägt er

auswärts gern Weiß oder Grau.

Der Mensch sieht zu Mittag