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Immer wieder kommt es zu Angriffen durch die Bergdämonen. Wie lange können die Völker die Angriffe abwehren? Während Hedda, Ailsa und Katharina sich aus dem Norden aufmachen, gibt es weit im Süden die nächsten Götteropfer, die sich auf die Reise machen. Die Fantasy Reihe mit insgesamt sieben Teilen.
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Seitenzahl: 420
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Für die Serva Saga und die Serva Chroniken gibt es ein umfangreiches Nachschlagewerk unter https://www.serva-wiki.de. Hier findest du wichtige Informationen rund um die Welt von Ariton, eine Übersicht über wichtige Charaktere, über die Völker, die Städte und vieles mehr.
Insel der Lucrezen
Der Tempel von Deux war vermutlich eines der ältesten Bauwerke auf ganz Ariton. Er bestand aus einem pyramidalen Unterbau, der sich von unten nach oben verjüngte, aus einem darauf gesetzten viereckigen Tempelgebäude und einem spitzen Dachkamm. Der pyramidenförmige untere Teil des gesamten Baukomplexes barg viele geheime Gänge und Räume. Erreichbar waren sie jedoch nur über das oben aufgesetzte viereckige Gebäude. Eine breite steinerne Treppe führte auf einer der vier Seiten nach oben. Der Weg hinauf war steil.
William, der Barbar, war ein großer, kräftiger Mani. Zum ersten Mal stand er unterhalb des Tempels und blickte nach oben. Er war einer der zwölf Ritter des Lichts. Viele Jahre war er nun in den Bergen südlich der Wüste Gory gewesen und hatte dort eine große Armee von Chimären aufgebaut. Auf ganz Ariton gab es insgesamt sechs sogenannte „Nester“. Schließlich war von Medjanagardaz der Auftrag gekommen hinüber zur Insel der Lucrezen zu fahren. Sofort hatte er sich auf den Weg gemacht. Endlich. Nach so langer Zeit gab es etwas zu tun.
„Herr, wir sind bereit!“, sagte eine Chimäre. „Was sind Eure Befehle?“
„Bleibt dicht hinter mir!“, sagte William. Er schaute zurück. Fast hundert Chimären standen hinter ihm. Es waren flügellose Chimären. Sie konnten deshalb nicht fliegen, waren aber deutlich kräftiger und konnten gut mit dem Schwert umgehen. Drei Jahre züchtete er sie nun in den Bergen, nicht allzu weit weg von der Stadt Thalos. Viele Pravinfrauen hatte er dafür entführen lassen. Er wusste gar nicht mehr wie viele. Als Leihmütter für die ungewöhnlichen Kreaturen. Natürlich hatten die Pravin sich gewundert, dass Frauen verschwunden waren. Vor allem Jüngere. Man erzählte sich Geschichten. Aber keiner konnte ahnen, dass sie in den Bergen gefangen gehalten wurden, um Woche für Woche neue Chimären zu gebären. Ein schreckliches Schicksal, das die meisten dieser Frauen nur wenige Monate überlebten. Viele brachten sich selbst um, stürzten sich von den Felsen. Oder aber sie starben an der enormen körperlichen Belastung. Doch meist war Zeit genug, um fast schon im Akkord zahlreiche dieser Monster zu gebären.
Nun hatte William diesen Auftrag und war froh darüber. So lange hatte er darauf gewartet. Drei Jahre hatte er in den götterverdammten Bergen verbracht und auf einen Augenblick wie diesen gewartet. Und nun stand er vor dem Tempel. Bereit ihn einzunehmen. Bereit jeden Priester zu töten, der sich darin verschanzte.
Es würde dem Glauben der Völker eine tiefe Wunde hinzufügen. Das war William klar. Rund zwanzig Priester lebten hier dauerhaft. Ein verschwindend geringer Teil im Vergleich zu den zahlreichen Priestern, die in den Städten ihren Dienst verrichteten. Und doch waren die Priester hier im Tempel das Fundament des Glaubens. Die Hüter der Lybri Deux, der Glaubenslehre aller Völker. Sie fühlten sich hier sicher. Und im Grunde hatte auch noch nie eine Gefahr für den Tempel bestanden.
„Folgt mir!“, sagte William und ging dann die Treppen hinauf. Es waren nicht nur die zwanzig Priester, die er erwartete, sondern auch zahlreiche Tempeldiener. Darunter sicherlich auch einige Bewaffnete. „Und keine Gnade. Tötet sie alle!“
Es dauerte nicht allzu lange, bis William und seine Chimären auf die ersten Tempeldiener stießen. Der Schock bei diesen war groß.
Es begann ein Gemetzel, wie es der Tempel von Deux noch nie erlebt hatte.
Pipione war einer der Priester in diesem Tempel. Er starrte auf die Angreifer, die ohne Gnade in den Tempelvorraum eindrangen. Seine Leute verteidigten so gut, wie sie konnten. Doch sie hatten keine Chance. Und Priester Pipione machte das einzig richtige, das er tun konnte. Er rannte zurück in den sakralen Teil des Gebäudes, das eigentliche Herzstück des Tempels. Rasch griff er an einen Hebel. Ein Mechanismus verriegelte den Eingang mit einer großen steinernen Türe. Er wusste, dass er damit seine Priesterbrüder dem Tod geweiht hatte. Aber es gab Wichtigeres. Er musste das Heiligste retten, das es gab.
Schnell rannte er die Säulenhalle entlang und hinauf zum Altar. Er blickte um sich, aber es war niemand zu sehen. Seine Hand zitterte und Schweiß brach auf seiner Stirn aus. Dann schließlich griff er zu und nahm das Amulett. Dieses Schmuckstück konnte alles verändern. Eine fein geschmiedete Sonne aus einem Metall, das wertvoller war als Gold. Der Legende nach kam es von einem anderen Planeten. Einige mutmaßten es kam direkt aus der Sonne.
Im Eingangsbereich hörte man bereits, wie die seltsamen Kreaturen versuchten die verschlossene Türe einzureißen. Mit wuchtigen Schlägen bearbeiteten sie den Stein. Noch nie hatte er Chimären gesehen und so war der anfängliche Schock natürlich groß gewesen. Bei ihm und allen anderen. Er hatte Glück gehabt, dass sein Körper sich aus der Starre befreit hatte.
Er konnte nicht mehr warten. Und deshalb beschloss Pipione zu fliehen. Das Amulett musste in Sicherheit gebracht werden. Von ihm hing so viel ab. Die Zukunft aller Völker. Glaubte man zumindest den Legenden.
Rasch ging er zum hinteren Bereich des Tempelraumes. In der Steinwand war ein Abbild genau der gleichen Sonne, wie sie das Amulett darstellte. Der Priester nahm das Amulett und drückte es in das Abbild. Eine geheime Tür öffnete sich.
Die Hand des Priesters zitterte immer noch, als er das Amulett sorgfältig mitsamt der Kette in einen Beutel tat. Diesen hängte er sich um den Hals und verschwand dann rasch im geheimen Gang.
William, der Barbar, ließ sie alle töten. Mann für Mann fielen. Der Boden der vorderen Tempelräume, wo die Priester und ihre Gefolgsleute lebten, färbte sich rot. Die Chimären gingen brutal vor. Es schien ihnen fast schon Spaß zu machen zu töten. Dafür waren sie gedrillt worden, dafür waren sie erschaffen und erzogen. Schreie hallten durch den Tempel. Schreie der Angst und des Schmerzes.
„Einen brauche ich lebend!“, sagte William laut. Eigentlich war es ein Befehl, der seinen Chimären galt. Aber die waren so im Blutrausch, dass er sich selbst einen Priester schnappte. Er hielt ihn am Hals. „Wo ist das Amulett?“
„Fahrt in die Ewige Verdammnis“, fluchte der Priester.
William grinste. „Wir werden das Amulett ohnehin finden. Aber Euch brauche ich dennoch. Ihr habt Tauben aus jedem Königreich, richtig?“
Der Priester wollte nicht antworten, aber der Barbar zog sein Messer und ging mit der Spitze direkt an einen der Augäpfel des Geistlichen. „Ihr braucht nur ein Auge, um mir nützlich zu sein. Also sprecht lieber und so behaltet ihr beide!“
„Ja, wir haben Tauben aus jeder Hauptstadt!“
„Gut. Dann schickt an jeden König eine Nachricht. Schreibt ihnen, dass der Tempel von Deux gefallen ist. Und das Amulett in den Händen der Ritter des Lichts!“
„Der Ritter des Lichts?“, fragte der Priester entsetzt.
William grinste. „Ja. Und du weißt, was das bedeutet. Die dunkle Zeit beginnt! Aber nicht für uns, sondern für die Völker!“
Xipe Totec
Vier Jahrzehnte zuvor ...
Als Regnator die Welt erschaffen hatte und seine Untergötter die Völker erschaffen ließ, da gab es nichts Böses. Ja, der Wolf riss das Lamm, aber nur um seinen Hunger zu stillen. Und der Fuchs jagte das Kaninchen und tötete es, um selbst zu überleben. Aber nicht, weil es ihm Spaß bereitete. Kein Jäger war Böse. Es gehörte zum Leben dazu. Regnator hatte das so gewollt und so war es auch. Man fraß oder wurde gefressen. Wurde man gefressen dann nur um anderes Leben zu erhalten. Und dafür hatte man einen Platz in der Ewigen Sonne verdient. An der Seite von Regnator. Aber wo war das Böse entstanden? Sieben Götter gab es und es gab Regnator den Göttervater. Keiner von ihnen war Böse. Niemand von ihnen war im Zwist mit dem anderen. Es gab keine Macht, die auch nur annähernd Böse war. So glaubten zumindest die Mani, die Shiva, die Nehataner und Pravin, die Ragni und Lucrezen und auch die Noaten. Und doch war es da, das Böse. Wenn ein Nehataner aus Wut jemand tötete oder ein Mani einen anderen bestahl. Wenn ein Noate einen Ragni übers Ohr haute oder irgendein König einen Krieg anfing. Es gab das Böse und seit eh und je fragten sich die Priester, woher es kam. Die Lybri Deux, das Glaubensbuch aller Völker, gab darauf keine Antwort.
Der manische Händler, der den weiten Weg von Mani über das Mittlere Meer, vorbei an der Küste der Shiva, weiter an den Western Inseln vorbei bis zum Land der Nehataner genommen hatte und schließlich beim dunkelsten Volk gelandet war, starrte verzweifelt auf die vier Männer. Sie bedienten sich nicht an seiner Ware, sondern an etwas viel Kostbarerem. An seiner Frau. Er hörte ihre Schreie, aber er konnte ihr nicht helfen.
„Bitte!“, flehte er. „Ich muss zur Hauptstadt. Der König erwartet mich dort! Lasst mich und meine Frau weiterziehen ...“
„Der König?“, lachte einer der nehatanischen Männer. „Was redest du da?“ Er war genervt von dem Händler. Rasch nahm er seinen Säbel und schnitt damit geschickt dem Mani den Hals auf. Das Blut färbte den Boden rot.
Der Nehataner war ein Söldner. Wie viele dieser käuflichen Krieger nahm er sich, was er wollte. Und einen manischen Händler würde keiner vermissen. So glaubte er zumindest.
Sie vergewaltigten die manische Frau. Und als sie mit der schreienden und kreischenden Frau fertig waren, wurde auch sie getötet. Damit sie ihrem Mann in die Ewigkeit folgen konnte. Nein, dies hier war kein Töten, um ein anderes Leben zu erhalten. Es war ein böses Töten. Aus Lust und aus Gier.
„Was ist mit dem Baby?“, fragte einer der Söldner. Er hatte ein Glasauge und ein ziemlich vernarbtes Gesicht.
Der Anführer zuckte mit den Achseln und wischte sich das Messer an der zerrissenen Kleidung der Mani ab. „Was soll mit ihm schon sein?“
„Lassen wir es liegen?“
„Willst du es etwa mitnehmen?“
„Keine Ahnung. Wir könnten es verkaufen!“, Glasauge schaut sich den schreienden Zwerg an. „Es gibt in der Stadt so einen Perversen. Der steht auf sowas!“
Der Anführer verzog das Gesicht. „Nicht dein Ernst, oder?“
„Es gibt einen ganzen Markt dafür. Man findet dort alles. Kleine Jungs, Mädchen. Und auch Babys. Das hier ist ein weißes Baby und bringt sicherlich einen guten Preis!“
Ein anderer Söldner durchforstete die Ware auf dem Fuhrwagen. „Allerlei Zeugs. Vermutlich wertlos!“
„Wir nehmen es dennoch mit. Mitsamt dem Karren und den Ochsen!“, sagte der Anführer. „Auch der bringt uns ein wenig Silber ein. Wenn auch nicht viel. Schmeiß den Säugling hinten auf den Wagen und los geht´s!“
Das Baby, seiner Mutter entrissen, schrie aus voller Kehle. Es hatte Hunger. Die nächsten Stunden würde es allerdings nichts geben. Einsam und verlassen lag es hinten auf dem Fuhrwerk.
Der 22. Tag
Die Taverne direkt am Marktplatz der nehatanischen Hauptstadt Xipe Totec war gut gefüllt. Anders als in Hauptstädten wie Hingston in Manis oder Daitya in Shivas waren Gasthäuser hier bei den Nehatanern eher Mangelware. Das Volk der Nehataner war ohnehin nicht allzu fortschrittlich. Völlig volksfremde Regelungen und Ordnungen dienten vor allem dazu die Macht des Königs zu untermauern. Der Genuss von Alkohol war dem Adel und den Soldaten vorbehalten. Allerdings durften ausgewählte Tavernen Alkohol ausschenken. Die Lizenz hierfür kam vom König höchstpersönlich. In Xipe Totec hatte er gerade mal eine Taverne mit Schankerlaubnis ausgestattet. Allen anderen Gasthäusern war der Ausschank von Alkohol verboten.
Die Taverne war ein recht offen gestaltetes Gebäude. Im Grunde bestand sie aus einem großen Innenhof auf dem Tische und Stühle standen. An den Seiten waren zudem weitere überdachte Sitzgelegenheiten. Es regnete in Nehats relativ selten und so war die offen gestaltete Variante einer Gaststätte durchaus sinnvoll.
Die Tische waren gut gefüllt. Zahlreiche männliche Nehataner, bekleidet nur mit ihren typischen Lendenschurzen, saßen auf den Stühlen und tranken ein aus Mais hergestelltes alkoholisches Getränk oder den typischen nehatanischen Wein, dessen dafür notwendige Trauben ausschließlich an der Westküste nahe der Stadt Atla Coya angebaut werden konnte. Die Stadt Atla Coya, deren Name nicht vom jetzigen König Atlacoya stammte, sondern von dessen Urgroßvater Atlacoya, war deshalb die einzige Stadt, die Wein herstellen konnte. Und der wurde dann im ganzen Land verkauft. So auch in Xipe Totec, der Hauptstadt.
An einem der hinteren Tische saßen zwei Gestalten, die so irgendwie gar nicht in das Bild passten. Es waren zwei Männer. Der eine davon war ein Nehataner. Ein für nehatanische Verhältnisse äußerst hagerer Mann mit dem typisch kahlgeschorenen Kopf. Ein sehniger, knöcherner Typ mit eingefallenen Wangen und einem stechenden aufmerksamen Blick. Anders als die anderen anwesenden Nehataner hatte er jedoch nicht nur einen Lendenschurz an, sondern trug eine lederne Hose und ein braunes Hemd. Ungewöhnlich war dies allerdings nicht. In den letzten Jahren hatten sich durchaus auch andere Kleidungsstücke durchgesetzt. Vor allem Kaufleute, Seeleute und Bergleute bedienten sich gerne einer praktischeren und schützenden Kleidung. Gerade weit reisende Nehataner hatten sich von den traditionellen Lendenschurzen verabschiedet. Die überwiegende Mehrheit der Stadtbürger trug jedoch nur den Lendenschurz. Die Frauen lederne Kleider.
Neben dem hageren Nehataner saß ein Mann, der ebenso wenig in das Bild passte. Auch wenn seine Haut durch die Sonne braungebrannt und fast schon gegerbt aussah, so war doch deutlich zu sehen, dass er ein Mani war. Was ihn besonders außergewöhnlich machte, war seine Haartracht. Er trug langes schwarzes Haar und hatte einen langen Bart. Sein kräftiger Körper steckte in einem Jagdanzug aus Leder. Die Weste war vorne offen, so dass man sein außergewöhnliches Brusthaar sehen konnte. Außergewöhnlich, da im Laufe der Jahrhunderte, wenn nicht sogar Jahrtausenden die Körperbehaarung auf Ariton deutlich zurückgegangen war.
Es war schwer einzuschätzen, wie alt der Mani war. Das Leben hatte ihn gezeichnet. Das war in jedem Fall zu sehen.
Der Nehataner neben dem Mani stand auf. Sie wurden nicht bedient und so entschied der hagere Mann sich selbst an die Theke zu begeben um dort nach zwei Bechern Wein zu fragen.
Als er diese schließlich bekam und zurück an den Tisch wollte, stellte sich ihm ein Nehataner in den Weg. Ein großer kräftiger Kerl, der bereits zu viel getrunken hatte. Es war noch recht früh am Morgen, aber der hohe Alkoholkonsum an diesem Tag war nichts Ungewöhnliches. König Atlacoya feierte seinen Geburtstag. Ein Festtag für alle Nehataner. Jegliche Arbeit auf dem Felde, in den Bergwerken oder auch der Handel auf dem Markt war an diesem Tag verboten.
„Zwei Becher Wein nur für dich?“, fragte der hünenhafte Nehataner, der sich dem hageren Mann in den Weg stellte.
„Nein!“, meinte dieser. „Für mich und meinen Kameraden!“
„Er sieht aus wie ein Mani!“
„Vielleicht deshalb, weil er Mani ist!“, sagte der hagere Mann.
„Was wollt ihr hier?“, der nehatanische Hüne war ein Söldner. Er war in keiner regulären Armee, sondern heuerte bei Händlern an um Schulden einzutreiben oder sie auf den gefährlichen Fahrten in andere Länder zu begleiten. Fehlte es an Aufträgen, überfielen sie jedoch auch gerne mal den einen oder anderen Händler. Sie schlugen damit zwei Fliegen mit einer Klappe. machten Beute und die Händler überlegten sich zukünftig zweimal, ob sie nicht lieber die Söldner für ihren Schutz bezahlten.
„Wir wollen nur einen Wein trinken. Dann sind wir wieder weg!“
„Einen Wein trinken?“, der Hüne lachte und nahm einen der Becher dem hageren Mann ab um ihn in einem Zug zu leeren. „Es reicht, wenn ihr euch einen Becher teilt. Oder etwa nicht?“
„Findest du das fair?“, fragte der Hagere.
Der Söldner grinste, beugte sich vor und spuckte in den anderen Becher. „Vielleicht ist es so fairer? Dann bleibt euch beiden mehr!“
Die Kameraden rundherum lachten laut.
„Hört zu!“, der Hagere sprach mit ruhigem Ton. „Wir beide möchten keinen Ärger. Wirklich nicht. Ich würde vorschlagen, du gehst zur Theke und holst uns zwei neue Weinbecher. Wäre das nicht eine gute Idee?“
„Sonst was?“
„Wir möchten wirklich keinen Ärger!“, meinte der hagere Mann.
„Okay. Du wirkst wie ein Klappergestell. Bist dürr als hättest du tagelang nichts gegessen. Und du drohst mir?“
„Ich mache dir lediglich einen Vorschlag!“
„Bevor ich dich zerquetsche wie ein Insekt, sag mir wie heißt du? Damit ich weiß, wen ich in die Ewige Verdammnis schicke!“, meinte der Söldner wütend und baute sich vor dem hageren Mann wie ein Berg auf.
„Man nennt mich den Schakal!“, sage der Mann.
„Den Schakal?“, der Hüne lachte laut. „Ja, ein räudiger Wüstenhund, das passt zu dir!“
Ein anderer Mann am Tisch daneben sprang auf. „Bei den Göttern. Ihr seid der Schakal?“
„Ja, das bin ich!“, meinte der hagere Mann.
Der Nehataner, der gerade aufgesprungen war, ging einen Meter zurück. „Vergebt Ihm, er weiß nicht, was er redet!“
Der Hüne schaute ihn an. Es war klar, dass sie zusammengehörten. Sie waren beide Söldner. Wie auch alle anderen an diesem Tisch. „Du hast Angst vor diesem Kerl?“
„Das ist der Schakal. Weißt du nicht, wer das ist, bei den Göttern?“
„Was interessiert mich das? Er steht im Weg. Und es ist in unserer Taverne. Gäste von außerhalb haben hier nichts verloren. Er und sein manischer Freund sollen verschwinden!“
„Wir sind keine Freunde!“, murmelte der Mani im Hintergrund.
„Was?“, der Hüne drehte sich um. „Hast du was gesagt, Mani?“
„Ich sagte, wir sind keine Freunde. Der Schakal und ich, wir sind wie Brüder!“
„Toll. Herzlichen Glückwunsch!“, der Hüne schüttelte den Kopf.
„Dann seid Ihr ...“, der andere Söldner zeigt auf den Mani. „Bei den Göttern, Ihr seid es!“
Doch der Hüne ließ sich davon nicht beeindrucken. Er ging an den Tisch, wo der Mani saß. „Wie ist dein Name?“
„Fick dick!“
„Was? Dein Name ist „Fick dich“?“
„Tu mir den Gefallen und geh mir aus der Sonne!“
„Oh, du möchtest Regnator in der Ewigen Sonne sehen, wenn ich dir das Leben aus dem Leib prügle?“, der Hüne grinste. „Das ist kein Problem. Und jetzt nenne mir deinen götterverdammten Namen!“
„Man nennt ihn „Baby“!“, sagte der Kamerad des Hünen. Man sah Schweißperlen auf seiner Stirn. Er hatte Angst, das war deutlich zu sehen.
„Ernsthaft? Baby? Warum? Weil er gerne Babys frisst?“, der Hüne lachte laut und ging dann noch einen Schritt näher an den Tisch, an dem der Mani saß. Dann wollte er zupacken. Seine kräftigen Arme schnellten nach vorne. Doch keinen Wimpernschlag später hatte der Mani die Hand des Nehataners gepackt. Er drückte die Finger nach hinten. „Mit welcher Hand führst du dein Schwert und besorgst es den Weibern?“
„Fick dich! Verdammt! Fick dich!“, sagte der Hüne schmerzverzerrt.
„Ich sagte doch, so heiß ich nicht!“, meinte der Mani und brach die Finger mit einer geschickten Bewegung, ohne dabei aufzustehen. Es machte ein grausames, deutlich hörbares Geräusch, denn mittlerweile war es still um die beiden herum.
Der Hüne heulte auf und stützte sich mit der anderen Hand auf dem Tisch auf.
„Töte ihn nicht. Bitte!“, meinte der Schakal. Es klang müde und so als wüsste er, dass seine Worte ohnehin nicht gehört wurden.
„Du weißt, dass ich gerne töte. Und ich habe es im Griff. Dank dir, mein Bruder!“, sagte der Mani leise. „Aber du sagtest selbst, dass ich mein inneres Verlangen nach Blut steuern muss. In die richtigen Bahnen lenken muss, oder nicht?“
„Schon, aber ...“
„Und er ist Böse, oder?“, fragte der Mani. „Warum soll ich ihn dann nicht töten?“
„Du verfluchtes Arschloch!“, zischte der Hüne unter Schmerzen.
Noch immer saß der Mani, den alle Baby nannten, auf seinem Stuhl. „Siehst du? Ich habe ihm die Finger gebrochen und er beleidigt mich noch immer!“
„Tu es nicht!“, sagte der Schakal. Es wirkte müde.
„Herrje, was ist nur los mit dir? Was ist dein Problem, götterverdammt?“, der Mani ließ den Hünen los und stand auf. Er ging auf den Schakal zu. „Er vergreift sich an unserem Wein, beleidigt dich, beleidigt mich. Und er beleidigt die Götter!“
„Ich habe die Götter nicht beleidigt!“, sagte der Hüne mit schmerzverzerrtem Gesicht. Seine Finger waren tatsächlich gebrochen und standen nach hinten ab. Es war kein schöner Anblick.
„Deine ganze Erscheinung ist eine Beleidigung für die Götter!“, sagte Baby.
Der Hüne zog seine Waffe. Ein schmaler Degen, der für die Söldner nicht ungewöhnlich war und stets an einem ledernen Gürtel am Lendenschurz getragen wurde.
„Oh, tu das nicht!“, sagte der Schakal. „Das nimmt kein gutes Ende!“
„Der Vorteil ist, dass ich mit beiden Händen kämpfen kann! Links oder rechts, scheißegal.“, sagte der nehatanische Söldner.
„Siehst du, Itzli!“, meinte der Mani zu seinem Partner, den alle den Schakal nannten. „Ich habe ihm nur die Finger gebrochen. Und das ist der Dank!“
Die Söldner griffen nun allesamt zu den Waffen. Einige von ihnen hatten schon von dem Schakal und dem Baby gehört. Aber der Ehrenkodex verlangte, dass sie zusammen kämpften und siegten. Oder eben starben.
„Okay, mein Bruder. Was nun?“, fragte der Mani. „Darf ich töten?“
„Versuche ihn doch einfach nur kampfunfähig zu machen!“, seufzte der hager Mann, dessen eigentlicher Name Itzli war.
Baby zog sein Schwert.
„Du brauchst seine Erlaubnis? Ist er deine Mutter?“, fragte der Hüne. Sein Gesicht verriet nicht nur Wut, sondern auch Schmerz. Seine Hand tat ihm höllisch weh, was durchaus verständlich war. „Deshalb die Bezeichnung Baby, oder?“
Der Mani grinste spöttisch. „Nein. Aber wir sind im Moment in so einer Phase, wo ich lernen muss meine Gefühle zu beherrschen. Und vielleicht hat er recht. Vielleicht sollte ich dich nicht töten.“
„Nun. Dazu wird es auch nicht kommen. Weil ich dich töten werde!“, sagte der Hüne und stürmte los. Von den anderen Männern griff keiner ein. Sie schauten zu.
Der Mani wehrte fast schon mühelos den Angriff ab und ging dann zur Seite. Durch die Wucht des eigenen Körpers stürzte der nehatanische Söldner nach vorne. Er fing sich mit der gebrochenen Hand auf und jaulte wie kleines Kind. Seine gebrochenen Finger schmerzten durch den Aufprall nun noch mehr.
„Glaube mir, ich heiße nicht Baby, weil ich gerne meine Gegner wie ein Baby heulen höre!“, sagte der Mani. „Also, bei den Göttern, steh auf und jammere nicht!“
„Im Namen des Königs!“, meinte plötzlich eine Stimme. Einige der Söldner verschwanden sofort. Soldaten erschienen und umstellten die kleine private Kampfarena.
„Ernsthaft?“, als würde er sich fragen, warum man ihn ausgerechnet jetzt stören musste. „Wer seid Ihr?“
„Ich bin Texcoco der II., Offizier der königlichen Garde, Wächter der Ordnung und des Friedens in Xipe Totec. Bezwinger der Aufständischen bei Oxom Oco. Mein Vater ist der ehrwürdige Onkel von König Atlacoya, dem Herrscher über Nehats!“
„Verpiss dich!“, meinte der Mann mit dem Spitznamen Baby.
„Im Namen des Königs befehle ich Euch die Waffen niederzulegen!“, meinte der Offizier.
„Und ich sagte „verpiss dich“. Hast du was an den Ohren?“
„Soldaten!“, befahl Texcoco. „Anlegen!“
Vier Bogenschützen legten an.
„Es wäre vielleicht günstiger aufzugeben!“, meinte der Schakal. „Nur für alle Fälle, dass er vielleicht ernst macht!“
„Ach, du glaubst, er macht ernst? Schau ihn dir doch an. Er sieht aus wie ein Penis mit Ohren. Und will mir sagen, dass ich die Waffen niederlegen soll. Komm schon.“
„Ähem. Sie zielen mit Bögen auf uns!“
„Nein. Sie zielen mit Pfeilen auf uns. Die Bögen dienen nur dazu sie auf uns abzufeuern!“
„Man zielt mit den Bögen!“
„Nein, mit den Pfeilen!“
„Wie auch immer!“, meinte der Schakal ein wenig ungeduldig und legte sein Schwert ab. „Wir sollten gehorchen!“
„Einem Peniskopf sollen wir gehorchen? Ernsthaft?“
„Ja, diesem Peniskopf. Und sie zielen dennoch mit den Bögen!“
„Hört auf zu diskutieren!“, befahl der Offizier laut und ziemlich angepisst. „Herrgott. Das ist ja schlimm. Legt die Waffen nieder und folgt uns!“
„Hört mal zu, Eure Heiligkeit und Hochwürden von Oxom Oco. Oder woher auch immer du kommst oder welchem Loch gekrochen bist. Wir gehen mit. Aber sag deinen Zahnstocherschützen, sie sollen die Bögen senken. Sie könnten damit noch jemand wehtun!“
„Du gibst also zu, dass sie mit den Bögen auf uns zielen!“, meinte der Schakal.
Der Mani hob seine Hand, als wolle er seinem Kameraden eine Ohrfeige verpassen, aber er besann sich eines Besseren. „Nun gut. Lassen wir das!“
„Nehmt sie fest!“, befahl der Offizier.
Insel der Lucrezen
Der geheime Gang hinter der Tempelhalle führte weit hinunter in den pyramidalen Bereich des gesamten Gebäudekomplexes. Er musste sich konzentrieren um den richtigen Weg zu finden. Denn die zahlreichen Gänge führten wie Adern tief hinab. Und nur ein einziger Weg führte tatsächlich hinaus in die Freiheit. Ein geheimer Gang, der irgendwo im Dschungel endete. Der Priester beeilte sich, auch wenn er wusste, dass ihm so schnell keiner folgen konnte. Es war fast schon unmöglich die geheime Türe zu finden. Noch viel unwahrscheinlicher war es, dass seine Verfolger sich schnell in diesem Labyrinth zurechtfinden würde.
Es dauerte eine Weile, bis er in einer großen Halle direkt unterhalb der Tempelhalle ankam. Ein gewaltiger Raum, der gut und gerne fünfhundert Meter breit und lang war. Und ganze fünfzig Meter hoch. Hier wurde einem das Ausmaß des gesamten Tempels erst wirklich bewusst. Hier musste der Priester durch. Der Weg hinaus führte durch einen Gang auf der anderen Seite.
Ehrfürchtig blieb Pipione vor dem riesigen Monstrum in der Mitte stehen. Ein großes Schiff. Zumindest glaubten die Priester das. Auch wenn es nicht so aussah. Ein riesiger fünfzig Meter breiter und neunzig Meter langer Koloss aus Stahl. Ja, vielleicht hatten die Hüter des alten Wissens recht. Vielleicht waren die Völker einst von einem anderen Planeten hierhergekommen. Mit diesem Schiff. Falls es ein Schiff war. Niemand hatte es öffnen können. Man hatte es versucht. Aber die Außenwand des Monstrums war härter als jeder Stahl, den man auf Ariton kannte. Nein, in das Innere konnte man nicht gelangen. Und so blieb es wohl auch ein Geheimnis, ob es tatsächlich ein Schiff war.
„Stellt Euch nur vor, wir könnten damit tatsächlich Ariton verlassen. Wir könnten zu der Sonne fliegen um unsere Ahnen zu besuchen und Gott Regnator zu huldigen!“, hatte der Völkerpriester, der höchste Priester von ganz Ariton damals gesagt, als er Pipione und anderen Priesteranwärtern dieses Geheimnis gezeigt hatte!“
„Wieso erzählen wir nicht den Völkern von diesem riesigen Teil?“, hatte der damals noch junge Pipione gefragt.
„Um die Grundfesten unseres Glaubens zu erschüttern? Nein, Pipione. Das ist unser Geheimnis. Wir wissen ja nicht einmal, was das hier ist und woher es kommt!“
Pipione hatte es damals in Frage gestellt und stellte es auch heute noch in Frage. Warum sollte das Volk nicht erfahren, was hier lag? Weil es bestätigte, was die Hüter des alten Wissens behaupteten? Es stand doch nicht im Widerspruch zum Glauben. Hier auf Ariton gab es andere Götter. Ja, es stimmte, in der Lybri Deux stand, dass die Götter unter Regnator die Völker erschaffen hatten. Aber vielleicht gab es eine andere Erklärung. Dass die Götter Völker mit diesem Schiff hierhergebracht hatten. War es so schwer das Ganze ein wenig offener zu betrachten?
Pipione ging an dem stählernen Kolos vorbei. Ja, er war zwiegespalten. Und damit stand er alleine unter den Priestern. Er war eben nicht einer von denen, die alle Überlegungen der Hüter des alten Wissens als Unsinn und Gotteslästerung verdammten. Vielleicht gab es eine Wahrheit die dazwischen lag.
Er öffnete die Türe, die zum letzten Gang führten, der ihn schließlich in den Dschungel brachte. Mit schnellen Schritten ging er diesen entlang. Bis er schließlich tatsächlich draußen war. Er schaute sich um. Draußen war niemand zu sehen. Sein Blick ging hinauf zum Tempel. Er musste fliehen, das war ihm klar. Er musste weg. Seinen Priesterkollegen konnte er nicht mehr helfen. Jetzt war es wichtig das Amulett in Sicherheit zu bringen. Ein langer Weg erwartete ihn. Sein Ziel war das Festland. Von dort musste es ihm irgendwie gelingen die Könige zu informieren. Alle sieben. Der Tempel von Deux musste gerettet werden.
Xipe Totec
König Atlacoya schaute mit strenger Miene drein. Recht grob wurde sowohl der Mani als auch der nehatanische Söldner vor den Thron gestoßen.
„Auf die Knie!“, befahl der Soldat. „Auf die Knie vor eurem König!“
„Er ist nicht mein König, Arschloch!“, sagte der Mani.
„Wie kannst du es wagen?“, herrschte ihn der Soldat an und zog sein Schwert.
König Atlacoya stand von seinem Thron auf. Er hob die Hand und gab dem Soldaten zu verstehen, dass er schweigen soll.
„Aber, mein König. Er hat Euch ...“
„Was war los?“, fragte Atlacoya ohne auf den Soldaten einzugehen.
„Dieser dreckige manische Verräter hat mich angegriffen!“, meinte der nehatanische Hüne, der allerdings vor dem großen, massigen König fast schon schmächtig aussah.
„So, hat er das?“, fragte Atlacoya. „Und er wollte dich töten?“
„Ganz genau!“, meinte der Söldner.
„Aber er hat es nicht!“
„Nein, aber ...“
Atlacoya hob die Hand. „Schweig! Du bist ein Söldner, richtig?“
„Ja, mein König. Das bin ich. Aber ich bin königstreu!“
„Ich hätte so einen Mann wie dich brauchen können. Im Krieg gegen die Pravin. Stattdessen bist du hier in der Hauptstadt. Zahlt der König an seine Soldaten nicht genug?“
Der Söldner schaute irritiert drein. „Nun ja, ich ...“
Erneut hob der König die Hand und ging dann die Stufen vom Thron hinunter zur Mitte des Saals. Er gab einem Soldaten ein Zeichen und dieser legte einen Hebel um. Sowohl der Mani als auch der nehatanische Söldner starrten auf das Loch, das sich vor ihnen auftat. Zwei Platten schoben sich auseinander.
„Kommt näher. Kommt näher!“, sagte der König und winkte die beiden Streithähne her. „Lasst uns ein Spiel spielen!“
Auch Itzli, den Schakal, brachte man nun in den Thronsaal des Königs. Genauso wie die fünf verbündeten Söldner, die man aufgegriffen hatte.
Itzli starrte hinunter in das Loch. Es war in etwa drei Meter tief. Unten befand sich Wasser. Und darin schwammen ... Alligatoren. Der Schakal wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Ein Spiel?“, der Mani grinste. „Ich spiele nicht gerne Spiele.“
„Ach tatsächlich?“, König Atlacoya seufzte. „Nun. Ihr spielt beide mit. Euer Einsatz sind eure Männer. Du hast deinen ... schmächtigen, hageren Kameraden. Und du ... du hast deine fünf Söldner! Wer die Frage falsch beantwortet, dessen Männer fallen in die Grube.“
„Was für eine Frage soll das sein?“, fragte der Söldner irritiert.
„Eine Frage über mich. Über deinen König. Du bist doch königstreu, oder nicht?“
„Natürlich, mein König!“, stotterte der Söldner und starrte hinunter in das Loch. Die Alligatoren schwammen aufgeregt hin und her. Sie wussten, dass Fütterungszeit war. Wer auch immer hier das Spiel verlor, er war nicht der erste, der hier diesen Kreaturen zum Opfer fiel.
König Atlacoya ging um das Loch herum und blieb bei Itzli stehen. Er grinste ihn an. „Du bist also der Kamerad dieses Mani?“
„Nun ja ...“, stotterte dieser. „Wir sind Gefährten, aber ...“
„Aber was? Du würdest für ihn nicht sterben wollen?“
„Ganz ehrlich, mein König!“, meinte der Schakal kleinlaut. „Wer will schon sterben? Und ist er nicht für seine Taten selbst verantwortlich?“
„Itzli, was ist los mit dir?“, fragte der Mani. „Wir stehen seit Jahren Seite an Seite und nun kneifst du?“
„Ja, Herrgott. Wir standen Seite an Seite. Und wir haben gekämpft. Aber würdest du für mich da reinspringen?“, er zeigte auf das Loch, wo die Alligatoren wie verrückt hin und herschwammen.
„Nein!“, meinte der Mani trocken.
„Siehst du!“, schrie der Schakal laut und deutlich. Also entschuldige, wenn ich nicht vor Freude einen Furz fahren lasse im Angesicht des Todes!“
„Ihr beide seid so putzig!“, sagte König Atlacoya und zeigte dann auf die fünf Söldner. Hinter ihnen standen zehn Soldaten. „Schmeißt sie rein!“
Die Worte kamen so plötzlich.
Ohne viel Zögern schoben die Soldaten die fünf Söldner nach vorne. Der erste stürzte sofort ins Loch. Gierig stürzten sich die Alligatoren auf ihn. Kurz sah man ihn panisch schwimmen, aber lange hielt er sich nicht über Wasser. Dann stürzte der nächste und auch ihn traf das Schicksal.
„Bei den Göttern!“, schrie der Söldner neben dem Mani. „Was tut Ihr, mein König?“
Die anderen drei Söldner fielen auf die Knie. Flehten um ihr Leben. Einer hielt sich krampfhaft am Bein eines Soldaten fest. Aber sie hatten keine Chance. Auch sie flogen hinab.
Es war ein grausames Spektakel. Die letzten drei waren nicht mehr ganz so sehr den gierigen Attacken ausgesetzt. Die Alligatoren waren noch mit den anderen beiden Söldnern beschäftigt. Und so schwammen sie um ihr Leben. Sie schrien, paddelten, versuchten an den Wänden irgendwie hochzuklettern. Und schließlich wurden auch sie Opfer der echsenartigen Monster.
Itzli schluckte. Das hatte er nicht erwartet. Angewidert schaute er zur Seite.
„Bei den Göttern, mein König. Ihr hattet keine Frage gestellt!“, der Söldner schwitzte. Panik erfasste ihn. Er schaute sich um, sah die beiden Soldaten hinter ihm, die ihn drohend anschauten.
„Nun ja, mein Spiel, meine Regeln!“, meinte Atlacoya, ging um das Loch herum und blieb dann neben dem Söldner stehen.
„Aber ... aber das ist nicht gerecht!“
„Nun ja. Was gerecht ist und was nicht gerecht ist, das entscheidet in diesem Land der König. Habe ich recht?“, fragte Atlacoya.
„Gewiss, mein König!“, sagte der Söldner demütig.
„Es ist schon viele Jahre her!“, meinte der König und ging dann hinauf zu seinem Thron. Er setzte sich. „Vor vielen Jahren als mein Vater noch König war. Da gab es eine Gruppe von Söldnern, die überfielen einen manischen Kaufmann. Sie schlitzten ihn auf und vergewaltigen seine Frau!“
Der Söldner stand wie angewurzelt da. Er hörte einfach nur zu.
„Nun!“, erzählte der König. „Meinem Vater wäre es vermutlich ganz egal gewesen. Es waren Mani und mein Vater war nie ein Freund dieses bleichen Volkes. Aber dieser Kaufmann war auf dem Weg zum König, zu meinem Vater. Um ihm eine Medizin zu bringen. Denn sein Sohn lag im Sterben! Und nur diese eine Medizin konnte ihm helfen. Und nun rate mal, wer dieser Sohn war ...“
„Ihr, mein König?“, fragte der Söldner mit zittriger Stimme.
Atlacoya grinste. „Du bist gar nicht so dumm! Wie auch immer. Mein Vater schickte Männer los um den Mani zu finden. Sie fanden ihn tot. Den Mann ermordet, die Frau geschändet und dann ebenfalls getötet. Die Medizin war weg. Sofort machte man Jagd auf die Mörder. Und man fand sie schließlich. In der Hauptstadt. Sie waren schnell aufgefallen. Denn sie hatten ein Baby dabei. Einen kleinen manischen Säugling, den sie verschachern wollten.“
„Ich verstehe nicht ganz, warum ihr diese Geschichte erzählt, mein König?“, fragte der Söldner. „Auch ich bin Söldner, das stimmt. Aber mit diesen feigen Mördern habe ich nichts zu tun. Ihr sagt selbst, es ist viele Jahre her ...“
„Lasst mich doch die Geschichte erzählen!“, meinte Atlacoya. „In jedem Fall wurden die Männer hingerichtet. Die Medizin wurde bei ihnen gefunden und ich konnte geheilt werden. Das kleine Baby aber brachte man ebenfalls in den Palast. Und das kleine hilflose Manikind wuchs bei uns in der königlichen Familie auf. Und auch wenn er nun ein kräftiger, kluger und vor allem bärtiger Kerl ist. Den Namen, den wir ihm gaben ist Oxomoco. Aber man nennt ihn immer noch Baby.“
Der Söldner erbleichte und blickte hinüber zu dem Mani. „Er? Er ist dieses ... dieses Kind?“
„Ganz genau!“, meinte Atlacoya und stand wieder auf. „Ich habe dir diese Geschichte erzählt, damit du in der Ewigen Verdammnis etwas hast um darüber nachzudenken!“
„Ich flehe Euch an!“, sagte der Söldner. „Ich ...“
König Atlacoya packte den eigentlich sehr kräftigen Nehataner am Hals und drängte ihn rückwärts zum Loch. Er schaute hinüber zu dem Mani. „ Oxomoco! Willst du ihm noch irgendwas sagen?“
„Ehrlich gesagt würde ich jetzt irgendwann gerne einen Wein trinken und mich nicht über euch schwarze Männer ärgern!“, meinte dieser. „Es ist dein Geburtstag. Und ein Nationalfeiertag. Aber was tust du? Du fütterst deine Viecher!“
„Herrgott, Bruder! Du bist in die Stadt gekommen und kommst nicht auf die Idee mich zu besuchen?“, die Worte von Atlacoya klangen zornig. Noch immer hielt er den Nehataner fest. Dieser stand bedrohlich nah am Abgrund.
„Nenn mich nicht Bruder, Atlacoya. Wir sind keine Brüder. Wir waren nie Brüder und wir werden nie Brüder sein! Ich habe einen neuen Bruder. Den deine Männer auch verhaften lassen haben. Der Mann dort drüben. Ein Bruder im Geiste.“
„Du bist und bleibst ein wütender Mani, ich weiß! Dabei hat mein Vater doch alles für dich getan!“, Atlacoyas Hand klammerte sich noch mehr um den Hals, so dass der Söldner nach Luft schnappte.
„Dein Vater fand es lustig mich wie einen Hund vorzuführen. Ein kleiner Junge aus dem Land der Mani. Ich war ein Sklavenjunge, nicht mehr und nicht weniger!“
„Du tust meinem Vater unrecht. Du saßt bei uns am Tisch, du hast alles bekommen. Du warst mir und Chantico stets ebenbürtig!“
„Das war ich nicht und das weißt du!“
„Chantico hat dich immer geliebt!“
„Ach, verfickte Scheiße. Chantico ist schwach. Er war schon immer schwach. Wo ist er überhaupt? Eine Familienzusammenführung ohne ihn?“
„Er ist im Krieg gegen die Pravin!“, sagte Atlacoya. „Herrgott, in welchem Loch hast du dich verkrochen, das du nichts mitbekommen hast?“
„Im Krieg gegen die Pravin?“, Baby lachte. „Das war deine glorreiche Idee. Entsprungen aus deiner Machtgier, oder?“
Niemand anderes konnte so mit Atlacoya sprechen. Der Herrscher, der niemals Gnade zeigte. Der König störte sich nicht einmal an den Worten. Er respektierte den Mani. Ja, es stimmte, als Kind hatte er Probleme mit dem weißhäutigen Jungen gehabt. Aber das war vorbei. Sie waren erwachsen. Atlacoya ging in Richtung Ausgang und sprach dabei in ruhigem Ton. „Du hast recht, Baby. Den Krieg habe ich angefangen!“
Er ließ den Söldner los. Dieser stürzte auf die Knie und rang nach Luft.
„Ich wäre schon vorbeigekommen!“, meinte Oxomoco. „Ich bin auf der Durchreise!“
„Du gehörst zu unserer Familie, bei den Göttern. Aber wir reden später weiter. Ich habe eine Zeremonie durchzuführen. Das Volk möchte mich feiern. Wenn die Sonne den höchsten Stand hat, dann wollen sie mich sehen!“
„Was wird mit ihm?“, fragte der Mani und schaute auf den Söldner.
„Nun. Die Alligatoren scheinen satt. Vielleicht sollte ich ihn zu Ehren meines Geburtstages hinrichten lassen. Das Volk freut sich. Immerhin hat er die königliche Familie beleidigt!“
„Hat er nicht. Und wenn, dann wusste er ja nicht einmal, wer ich bin!“
„Versöhnliche Worte von dir?“, Atlacoya lachte. „Du hast nie Gnade gekannt!“
„Er ist auf einem guten Weg!“, meinte nun Itzli, den die Soldaten freigelassen hatten.
„Halt die Schnauze!“, meinte das Baby.
„Nein, ernsthaft. Er hat seine Gefühle besser im Griff, mein König! Ich habe viele Gespräche mit ihm geführt und ...“
Atlacoya schaute den Mani an. „Soll ich ihn den Alligatoren zum Fraß vorwerfen!“
„Sinnvoll wäre es vielleicht!“, meinte der Mani. „Er nervt. Ständig kommt er mit seiner Moral. Ständig redet er von Gefühlen!“
„Moment!“, wehrte Itzli ab.
„Nun. Diesen Gefallen werde ich dir nicht tun, Bruder!“, sagte Atlacoya und winkte einen Soldaten her. „Bringt sie zu meinem Weib. Sie soll ihnen Wein und etwas zu essen geben. Sie sind meine Gäste!“
„Was ist mit ihm?“, fragte der Soldat und zeigte mit dem Schwert auf den Söldner.
„Ach ja, er. Hackt ihm beide Hände ab, schneidet ihm seine verräterische Zunge raus!“
„Und dann?“, fragte der Soldat ein wenig irritiert.
„Na dann hoffen wir, dass meine kleinen schuppigen Kinder dort unten wieder genug hungrig sind. Dann soll er seinen Söldnerkameraden folgen!“
Stadt Hingston
In der großen Welt von Ariton passierte Tag für Tag so viel. Und dies war an diesem einen Tag nicht anders. Männer und Frauen starben, Babys wurden geboren, Händler wurden betrogen, Schwerter gekauft, Wölfe jagten Schafe, mancherorts regnete es, irgendwo schien die Sonne, in Xipe Totec feierte ein König seinen Tag der Geburt, der Tempel von Deux war gefallen und in Hingston erwachte eine Prinzessin zur Mittagszeit.
Katharina blinzelte und schaute zum Fenster. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Sie hatte lange geschlafen. Aber das war kein Wunder nach den aufregenden Ereignissen des letzten Tages. Sie war das Götteropfer der Mani und würde auf eine lange Reise gehen. Auch wenn sie es noch nicht so richtig glauben konnte.
Prinzessin Katharina hatte darauf bestanden, dass die beiden Götteropfer Hedda und Ailsa bei ihr unterkamen. Sie würden ohnehin auf der Reise ständig beieinander sein. So konnten sie sich vielleicht vorab ein wenig besser kennenlernen. Zudem waren sie in den Gemächern der Prinzessin am besten geschützt.
Man hatte für die beiden jeweils ein Bett aufgestellt.
Katharina stand auf und schaute zuerst zu Ailsa. Sie schlief noch. Hedda hingegen war wach. Gedankenversunken schaute sie ins Leere. Als sie sah, dass Katharina aufgewacht war, lächelte sie und nickte ihr zu.
„Gut geschlafen?“, flüsterte die Prinzessin.
Die Ragni nickte. „Ja. Allerdings bin ich schon eine Weile wach. Und ich langweile mich!“
„Nun, sei doch froh. So viel Aufregung. Da tut dir eine Woche Erholung bestimmt gut!“
„Eine Woche hier in der Stadt?“, Hedda seufzte. „Nun, vielleicht hast du recht. Die letzten Tage waren schon heftig. Ein wenig Ruhe tut gut!“
„Heute ist schönes Wetter. Ich könnte euch den Strand zeigen!“, meinte Katharina.“
„Den Strand?“
„Ja, wir könnten baden gehen!“, meinte die Prinzessin.
„Baden, wirklich? Im Meer?“
„Ich vergaß. Du kommst ja aus dem Eis und Schnee im Norden! Kannst du überhaupt schwimmen?“
Hedda schüttelte den Kopf. „Nein, kann ich nicht!“
„Dann solltest du es lernen!“
„Du willst mir das Schwimmen beibringen?“
Katharina kam nicht mehr dazu die Frage zu beantworten. Es klopfte an der Türe.
„Wer mag das sein?“, fragte Ailsa. Sie war gerade aufgewacht. Noch ein wenig müde rieb sie sich die Augen.
„Du bist wach, endlich!“, meinte Katharina und ging zur Türe. Lord Lenningten stand davor. Er schaute weg, als er Katharina im Nachthemd sah.
„Königliche Hoheit!“, sagte er.
„Onkelchen, warum so förmlich?“, fragte sie überrascht.
„Du hast Gäste, oder?“, Lord Lenningten vermied es einen Blick in die Gemächer zu wagen.
„Ja, natürlich. Die beiden anderen Götteropfer!“
„Nun. Ihr sollt zum Obersten Priester. Alle drei!“
„Wirklich?“
Er nickte. „Ja. So bald wie möglich. Man erwartet euch drei im Tempel!“
Katharina war nicht wirklich begeistert. Ihr Verhältnis zu Priestern war nicht mehr das Beste. Das hatte sich auch nach dem Tod von Priester Zacharias nicht geändert. Doch was sollte sie schon sagen? Deshalb nickte sie einfach nur.
„Der Oberste Priester ist, wie gesagt, im Tempel. Lasst euch Zeit. Macht euch erst einmal frisch und zieht euch an. Die Priester laufen ja nicht davon!“
„Ach, tatsächlich?“, grinste Katharina. „Nun ja. Wir gehen natürlich hin, sobald wir fertig sind!“
„Nehmt Wachen mit. Mindestens zwei!“, sagte Lenningten. „Nach den Vorkommnissen gestern sind wir gar nicht mehr so sicher, ob Hingston genug geschützt ist. Diese Kreaturen, die aus dem Himmel kamen. Mögen die Götter uns vor ihnen bewahren. So etwas Gespenstisches habe ich noch nie gesehen! Und dann erst diese Drachen. Bei den Göttern, Hingston hat gestern mehr als genug Unheil erlebt!“
Katharina nickte. Die Ereignisse am gestrigen Tag hatten sich überschlagen. Sie dachte an Sjel, den schwarzen Drachen. Anfänglich hatte sie panische Angst gehabt. Wie auch alle anderen. Und dann hatte er sie direkt angesprochen. Sie, die Prinzessin. Und noch immer verstand sie nicht, woher er gekommen war und was er eigentlich wollte.
Lenningten nickte nun ebenfalls und zog sich dann zurück.
„Was wollte er?“, fragte Hedda.
„Wir müssen zu den Priestern. Oder dem Obersten Priester. In jedem Fall müssen wir zum Tempel!“
„Okay, das klingt spannend!“, die Ragni grinste.
„Nein, das ist nicht spannend. Lauter alte Männer, die ...“, Katharina sprach nicht weiter. „Die einen nur lüstern anschauen“, hatte sie sagen wollen. Aber sie sprach es nicht aus. Sie hatte Angst, das vor allem Ailsa über sie lachte.
Die Noatin war nun vollends aufgestanden und hatte sich ihr Nachthemd ausgezogen. Nackt stand sie nun im Raum. „Wir sollten uns frisch machen. Können wir baden?“
„Sicher!“, nickte Katharina. „Ich kann Tamara holen lassen, damit sie uns ein Bad einlässt!“
„Ist das dein Ernst? Hilft sie dir dann auch beim Ankleiden?“
Katharina wurde rot. „Na ja. Eigentlich schon!“
„Eine Prinzessin, eine verwöhnte Prinzessin!“, grinste Ailsa spöttisch und ging dann in die Badestube nebenan. „Erkläre mir lieber, wie das funktioniert.“
„Gerne!“, antwortete Katharina ein wenig unsicher. Sie ging der nackten Noatin hinterher. Dann erklärte sie, wie man das Wasser heißbekam.
Xipe Totec
„Du hast mir nie erzählt, dass du im Königshaus aufgewachsen bist!“, sagte der Schakal.
„Es schien mir nicht wichtig!“, murmelte Baby.
„Nicht wichtig?“ fragte Itzli. „Du machst wohl Scherze. Es ist sehr wohl wichtig. Vor allem hast du mich Blut und Wasser schwitzen lassen, als wir vor dem König standen. Herrje, du wusstest von Anfang an, dass der König dir nichts tut!“
„Nein, wusste ich nicht. Atlacoya ist ein jähzorniger und unberechenbarer Mann!“
„Das ist er!“, sagte eine Stimme aus dem Hintergrund. Es war Shada, die Königin.
„Königliche Hoheit!“, sagte Itzli ehrfürchtig und wollte aufstehen.
Doch sie winkte ab. „Bleibt sitzen. Ihr seid unsere Gäste. Habt ihr Hunger?“
„Oh ja, königliche Hoheit! Ich habe wirklich Hunger!“, meinte Itzli. „Und ihn braucht Ihr nicht fragen. Er könnte jede Stunde ein Schwein verputzen! Hätte ich Haare auf dem Kopf, dann würde er mir sie runterfressen!“
Die Königin gab einen Wink und einige leichtbekleidete Frauen brachten Speisen herein. Sie trugen alle lediglich einen recht kurzen weißen Rock.
„Herrje, eine schöner als die Andere!“, grinste Itzli beim Anblick der nackten Brüste.
„Da hast du recht!“, murmelte Oxomoco mit Blick auf die kross gebratenen Enten.
„Ich spreche von den Titten der Weiber!“, sagte sein Begleiter.
„Mein Gemahl wünscht sich nur die schönsten Nehatanerinnen um sich herum!“, erklärte die dunkelhäutige Schönheit Shada. „Ihr könnt jede heute Nacht haben. Ihr müsst es nur sagen!“
„Was ich vor allem jetzt will, ist Ruhe!“, meinte Baby und riss einer Ente den gebratenen Flügel aus. „Ich mag es nicht, wenn man beim Essen quatscht!“
„Er ist immer noch der gleiche griesgrämige Junge!“, seufzte die Königin.
„Er war schon als Kind so?“ Itzli grinste. Seine Augen jedoch waren immer noch bei den Brüsten der Frauen.
„Oh ja. Ich lernte ihn kennen, da war er ein kleiner hellhäutiger Junge, der immer wieder seine beiden Brüder verdrosch. Vor allem Atlacoya bekam es immer wieder ab! Und erstaunlicherweise erinnert er sich gerne daran zurück. An den einzigen Mann, der ihm jemals contra geben konnte.“
„Hatte Baby damals schon einen Bart?“, witzelte der Schakal.
Shada lächelte. „Er war schon immer ein prächtiger Junge!“ Sie ging zu Oxomoco und strich ihm sanft durch die Haare. „Und ein verdammt guter Liebhaber!“
„Er? Tatsächlich?“, Itzli bekam große Augen. „Das wusste ich nicht!“
Baby reagierte darauf überhaupt nicht, sondern biss herzhaft in das saftige Fleisch.
„Oh ja. Und er war meine erste Wahl. Wir waren noch jung. Aber er entschied sich schon früh dafür als Vagabund durch das Land zu ziehen statt mich als Frau zu nehmen!“
„Was für ein Narr bist du doch!“, Itzli schüttete den Kopf.
„Derjenige, der dem Narren folgt, ist ein noch viel größerer Narr. Vergiss das nicht!“, murmelte Baby. „Also halt keine Volksreden, sondern iss! Oder meinetwegen nimm dir eine der Weiber. Aber lass mich mit meiner Ente in Ruhe!“
„Oh ja, die warmen Schenkel, dann diese Brüste ...“, schwärmte der hagere Nehataner.
„Redest du jetzt von den Weibern oder meiner Ente?“, der bärtige Mann schob sich ein Stück der Entenbrust in den Mund.
„Meine Königin, verzeiht mir die Störung!“, sagte ein Diener plötzlich.
„Was gibt es, Bursche?“
„Der König verlangt nach Euch!“
„Gut. Sag ihm, ich komme sofort!“, sagte die Königin und meinte dann zu ihren beiden Gästen. „Habt ihr noch einen Wunsch!“
„Nein, wir sind glücklich!“, grinste Itzli. Er konnte seinen Blick gar nicht von den Brüsten der Weiber lassen.
„Warum nennt man dich eigentlich den Schakal?“, fragte die Königin.
„Weil er ein hinterfotziger, dreister und zudringlicher Halunke ist!“, murmelte Baby.
Hingston
Der Tempel in Hingston war eigentlich mehr eine Kirche. Vergleichbar mit dem Tempel von Deux oder der Tempelanlage in Galava war er auf jeden Fall nicht.
Katharina war unglaublich nervös. Sie hatte keine gute Meinung mehr über die Priester. Mit Schrecken erinnerte sie sich an den verstorbenen Zacharias. Vielleicht war es eine Art Prüfung der Götter. In jedem Fall hatte sie noch keinen einzigen Priester erlebt, dem sie wirklich vertraute. Priester Johannes hatte das am vergangenen Tag bei der Wahl des Götteropfers auch nicht geändert. Und nun mussten sie alle drei zu ihm. Auch Hedda und Ailsa. Die Macht der Priester war volksübergreifend. Denn es war die Stimme der Götter, die durch sie sprach.
„Ich habe ein bisschen Panik!“, meinte Katharina.
„Wieso?“, Hedda schaute sie an.
„Ich weiß nicht. Die Priester, sie sind alle irgendwie seltsam!“
Ailsa nickte und gab ihr überraschenderweise recht. „Da hast du es allerdings auf den Punkt gebracht. Aber was hilft es schon? Sie sind die Stimme der Götter. Und wir drei sind die Opfergaben!“
Ein Tempeldiener stand am Eingang und führte sie dann in den Vorraum. „Wartet hier!“
Katharina schaute die anderen beiden an. Sie war nun noch nervöser als vor dem Tempel. Den anderen beiden schien es aber ähnlich zu gehen. Vor allem Hedda. Ailsa konnte ihre Nervosität ganz gut überspielen. Oder aber besser damit umgehen.
Es dauerte nicht allzu lange, bis die Türe aufging und einer der Priester erschien. Er schaute die drei Götteropfer von oben bis unten an. „Zieht Euch aus. Tretet vor den Altar von Regnator, wie er Euch erschaffen ließ.“
Katharina wagte kaum zu atmen. Sie wollte nicht, dass die anderen ihre Nervosität spüren konnten.
Aber das war unnötig. Hedda bekam davon ohnehin nichts mit. Sie war mit sich beschäftigt.
Und Ailsa bekam es ebenfalls nicht mit. Weil sie schon dabei war sich zu entkleiden.
Katharina und Hedda taten es ihr schließlich gleich.
Und dann war es so weit.
„Was ist nun?“, fragte der Priester. Erneut ging sein Blick über die Körper der jungen Frauen. Dieses Mal war er intensiver.
„Wir sind so weit!“, sagte Ailsa.
„Gut, dann tretet vor! Die Stufen hinauf bis zum Altar!“
Ailsa ging voran. Hedda folgte und schließlich, ganz hinten, ging Katharina.
„Regnator. Gott der Götter!“, murmelte der Oberste Priester. „Sie treten nun vor deinen Altar. Die drei auserwählten Götteropfer aus den Ländern der Mani, der Ragni und der Noaten! Sei uns aritonischen Seelen gnädig!“
Alle drei waren sie nun oben angekommen und stellten sich nebeneinander. Links stand Hedda, rechts Katharina und in der Mitte die Noatin. Zur linken stand der Oberste Priester, rechts davon vier weitere Geistliche.
„Kniet nieder vor dem Altar Regnators!“, befahl der Oberste Priester.
Alle drei gehorchten sie.
Katharina zitterte leicht. Nicht weil es kalt war, sondern weil es demütigend war. Sie spürte die Blicke der Priester auf ihrer nackten Haut.
„Ich werde Euch auf Eurer Reise begleiten!“, sagte Johannes mit brüchiger Stimme. Und dann geschah etwas, das weder Katharina, noch Hedda oder Ailsa jemals geglaubt hätten.
Katharina bemerkte es als erstes. Und sie konnte es gar nicht fassen. Aber es war tatsächlich wahr. Der Oberste Priester war zum Altar gegangen, hatte dort in einen Topf gegriffen, anschließend seinen Rock gehoben und dann onanierte er.
Auch Hedda bemerkte es. Ihre Wangen wurden rot vor Scham. Nein, das hatte sie genauso wenig erwartet wie Katharina.