Serva 5 - Arik Steen - E-Book

Serva 5 E-Book

Arik Steen

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Beschreibung

Johnny hat eine Vorliebe für kleine Jungs und Mädchen. Gut schmecken sie ihm. Denn er ist Kannibale. Doch sein schandhaftes Tun findet jäh ein Ende als man ihn gefangen nimmt. "Serva 5 - Völkerbund" ist die unzensierte Ausgabe von "Völkerbund" der Serva Saga mit einigen expliziteren erotischen Szenen.

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Seitenzahl: 455

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhaltsverzeichnis

Hinweis

Der 29. Tag

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Der 30. Tag

1

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Der 31. Tag

1

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Der 32. Tag

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Der 33. Tag

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Der 34. Tag

1

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Der 35. Tag

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Impressum

Hinweis

Für die Serva Saga und die Serva Chroniken gibt es ein umfangreiches Nachschlagewerk unter https://www.serva-wiki.de. Hier findest du wichtige Informationen rund um die Welt von Ariton, eine Übersicht über wichtige Charaktere, über die Völker, die Städte und vieles mehr.

Der 29. Tag

1

Shivas

Angst. Sie verdirbt das Fleisch. Darum hatte er dafür gesorgt, dass sein Schlachtopfer sich möglichst wohlgefühlt hatte und der Tod schnell eingetreten war. Aber nun war es erledigt, fast schon sanft strich er über die Haut. Er wusste schon genau, wie er es zubereiten würde. Doch noch war es nicht so weit, ein letzter Blick auf sein Opfer, dann ging Johnny hinaus.

Der kräftige, durchaus attraktive Mann mit den schönen blauen Augen und dem streng zu Seite gestrichenen Scheitel ging zum Fluss. Für einen Moment schaute Johnny sich um, ging dann zum Wasser und zog an dem von ihm gefertigten Flaschenzug. Er brachte damit den geflochtenen Korb an die Wasseroberfläche. Geduldig wartete er, bis das Wasser fast vollends aus dem Korb geflossen war, und holte dann sein Konstrukt an Land. Johnny öffnete den Korb und schaute zufrieden hinein. Er war fast randvoll mit Eicheln gefüllt.

Mit dem Korb ging er wieder Richtung Hof. Doch dieses Mal ging er nicht in die Scheune, wo sein Schlachtopfer hing, sondern zu den Ställen.

„Ich hasse diese Dinger!“, meinte ein weiterer Mann, als er den Korb in den Käfig schob. Der andere Mann war gefangen. Um seinen Hals lag eine Kette.

„Ich weiß!“, sagte Johnny trocken. „Es ist auch nur ein Versuch.“

„Ein Versuch?“, spottete der Gefangene ein wenig, doch man sah ihm an, dass er Angst hatte. „Was habt ihr vor?

„Kommt schon!“, murmelte Johnny. „Es ist Fütterungszeit.“

„Wo ist meine Tochter?“, fragte der Gefangene und schlug gegen eine der Gitterstäbe. „Was habt Ihr mit ihr gemacht? Wo habt ihr sie hingebracht?“

„Eure Tochter ist drüben im Schuppen!“, meinte Johnny. Es klang gelangweilt. „Ihr solltet nun fressen. Die Eicheln lagen lange genug im Wasser. Sie haben ihre Bitterkeit verloren.“

„Ich habe keinen Hunger!“, sagte der Gefangene trotzig.

„Nun friss schon!“, Johnny nahm ein paar Eicheln heraus. „Sie sind nicht gerade lecker, aber nahrhaft.“

„Das ist Schweinefraß!“, der Gefangene blickte wütend auf die Eicheln.

„Du bist nicht viel mehr als ein Schwein!“, Johnny nahm eine Handvoll der Baumfrüchte. „Und diese Eicheln machen dein Fleisch schön nussig. Hoffe ich zumindest. Wie gesagt, es ist ein Versuch.“

Der Gefangene erschauderte. So richtig wusste er nicht, was der Mann meinte, der ihn gefangen hielt. Aber er ahnte Schlimmes. Vor allem weil es eine Geschichte gab. Von dem Mann, den alle den Kannibalen nannten. Bislang hatte er geglaubt, dass es nur eine Legende war, um den Kindern Angst zu machen. „Ihr seid ... dieser Kannibale?“

„Du hast von mir gehört!“, meinte dieser lächelnd.

„Bei den Göttern ... wo ist meine Tochter?“, die Stimme des Gefangenen versagte und das letzte Wort kam brüchig herüber.

„Anders als du, wusste sie am Ende nicht, wer ich bin. Sie hat also nicht gelitten!“

„Ihr seid ein Monster!“, schrie der Mann, brach aber dann in Tränen aus und schluchzte laut. „Ihr habt sie ...“

„Warum bin ich ein Monster?“, fragte Johnny. „Was ich tue, ist in keiner Weise fragwürdig in den Augen deiner Götter. Ich töte nicht aus Habgier. Sondern aus Hunger. Ob ich ein Schwein schlachte oder Unseresgleichen, was ändert es? Leben ist Leben. Und das Leben wird genommen, um ein anderes Leben zu erhalten. Fressen und gefressen werden.“

Der Gefangene war in sich zusammengesackt. Sein Körper war plötzlich unendlich schwach. Er hatte seine Tochter nun endgültig verloren, das war ihm bewusst. Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit dem. Sein Kopf fühlte sich leer an. Nein, er wollte es sich nicht vorstellen, was mit ihr geschehen war. Die Aussicht auf seinen möglichen eigenen Tod war ihm in diesem Moment völlig egal. Vielleicht war es sogar besser so. Aber wer wollte schon sterben, im Wissen nachher aufgegessen zu werden?

Draußen, außerhalb der Ställe, hörte man plötzlich Pferde. Sie rissen den Gefangenen jedoch nicht aus seinen Gedanken. Er bekam es nicht einmal mit. Anders jedoch Johnny. Der sofort zur Türe ging.

„Hier muss es sein!“, hörte man eine Stimme auf dem Hof.

„Heute scheint dein Glückstag zu sein!“, scherzte Johnny. Er blickte hinaus. Soldaten des Königs. Sie jagten ihn schon lange.

„Man jagt Euch!“, meinte der Gefangene. In seiner Stimme klang wenig Hoffnung.

„Oh ja. Man jagt den Jäger. Und es ist eine andere Art von Jagd. Man jagt, um eine Trophäe zu bekommen. Und das ist moralisch nicht zu gerecht fertigen.“

„Ihr seid doch irr. Man jagt Euch, um das Volk vor Euch zu schützen und …“, der Gefangene kam nicht weiter. Johnny legte ihm einen Knebel an.

Als die Soldaten in die Ställe kamen, war Johnny schon fort. Sie fanden den Gefangenen. Sofort befreiten sie ihn.

„Wir haben hier jemand gefunden!“, rief einer der Soldaten. „Hauptmann, wir haben hier jemanden!“

„Ist er noch am Leben?“, rief der Vorgesetzte zurück.

„Ja!“, erwiderte der Soldat.

Der Hauptmann kam herein. „Wie geht es ihm?“

„Er wurde hier eingesperrt wie ein Tier!“, murmelte der Soldat. Er starrte in den Käfig.

„Na, auf was warst du? Hol ihn dort raus!“, bellte der Hauptmann unwirsch.

„Wo ... wo ist meine Tochter?“, der Gefangene sah verzweifelt aus. Seine bevorstehende Rettung gab ihm kaum Hoffnung auf ein gutes Ende. Seine Tochter. Dieses ... Monster. Er hatte sie mitgenommen.

„Bei den Göttern!“, schrie auf dem Hof jemand. „Hauptmann. Ihr müsst kommen schnell!“

„Meine Tochter ...“, seufzte der Gefangene. Er sackte zusammen. Die Stimme dort draußen verhieß nichts Gutes.

Der Hauptmann der shivanischen Armee ging hinaus. Er blickte in das kreidebleiche Gesicht einer seiner Soldaten. „Was ist?“

„Es ist ... grausam!“

„Habt ihr die Tochter dieses Bauern gefunden?“

„Ja!“, meinte der Soldat und atmete tief durch.

„Ja und?“

„Nun ... schaut es Euch an, Hauptmann. In jedem Fall ist nun klar, wir sind dem Kannibalen auf der Spur ...“

„Der Kannibale ist mit dem Pferd unterwegs“, meinte einer der Soldaten. „Zumindest hatte er hier ein Pferd gehabt, meint der Bauer.“

„Es sei denn, er hat es gegessen“, grinste einer der Soldatenkameraden.

Keiner lachte.

Der Hauptmann nickte. „Findet heraus, in welche Richtung er geritten ist. Dann nehmen wir die Verfolgung auf.“

Ein Soldat zeigte in Richtung Berge. „In diese Richtung ist geritten. Ich habe die Hufabdrücke gesehen. Er will wohl die Berge erreichen.“

„Dann nichts wie hinterher!“, meinte der Hauptmann.

2

Hingston

In Hingston hisste man zur gleichen Zeit die Segel. Außer der noatischen Mannschaft waren Lord Philipp von Raditon, die Ragni-Königin Varuna, der noatische Krieger Sören, der alte Kauz Gustav, der Veteran Thores, die Hofdame Tamira sowie die drei Götteropfer dabei auf dem Hauptschiff. Zwei weitere Schiffe begleiteten die Reisenden nach Airavata. Auf einem hatte Christoph von Charlston angeheuert. Die restlichen siebzehn noatischen Schiffe blieben vorerst vor Hingston.

„Ich glaube uns erwartet ein großes Abenteuer“, meinte Katharina und schaute aufs Meer.

„Noch mehr Abenteuer?“, Hedda schüttelte den Kopf. „Als hätten wir nicht schon tagelang Abenteuer genug gehabt.“

Ailsa lachte. „Nun ja. Hauptsache wir sind wieder auf dem Wasser. Und fliegen nicht irgendwo durch die Lüfte. Hier auf dem Meer fühle ich mich wohl.“

„Mir ist jetzt schon übel“, sagte Katharina und setzte sich dann hin. „Nichts ist hier ruhig. Alles ist irgendwie in Bewegung.“ Sie schaute hinauf in die Masten.

„Was glaubst du wie mir es ging“, meinte Hedda. Mein erstes Mal auf dem Meer war grausam.“

„Wie schnell hast du dich daran gewöhnt?“, fragte die Prinzessin.

„Gar nicht“, meinte Hedda lachend.

Ailsa grinste. „Man muss auf dem Meer geboren und aufgewachsen sein. So wie ich.“

„Ach, tatsächlich“, Katharina schüttelte ungläubig den Kopf. Aber sie war sich unsicher. Wahrscheinlich hatte Ailsa recht. Die Noaten taten sich auf dem Meer leichter. So natürlich auch das junge Götteropfer des Seefahrervolks.

„Kommt mit. Ich zeige euch, wo wir heute nach schlafen werden“, meinte Ailsa. Sie führte die beiden unter Deck.

Königin Varuna schaute den Götteropfern hinterher.

„Wo gehen sie hin?“, fragte der alte Gustav.

„Unter Deck“, erwiderte der noatische Krieger Sören.

„Was tun sie da?“, der alte Kauz war verwirrt.

„Was Unanständiges“, murmelte der Veteran Thores. „Wer bist du eigentlich, alter Mann?“

„Er sollte uns eigentlich nur von Meraton nach Hingston führen“, meinte Sören lachend. „Nun sitzt er hier mit uns auf dem Schiff in Richtung Airavata.“

„Nach Airavata?“, fragte Gustav irritiert.

„Richtig, alter Mann!“, sagte Thores laut. „Wir segeln zu den Shivas!“

„Er ist vielleicht etwas verwirrt, aber nicht taub“, meinte Sören.

„Und wo sind die Götteropfer nun?“, Gustav schaute sich um. „Haben wir sie verloren?“

„Sie sind unter Deck!“, meinte Thores genervt.

„Ah, das ist gut. Wir müssten bald Hingston erreichen“, sagte der alte Kauz. „Dort wollen wir doch hin.“

Thores schüttelte den Kopf. „Ich fasse es nicht. Der alte Mann ist völlig verwirrt.“

„Welcher alte Mann?“, fragte Gustav und schaute sich um.

Lord Philipp von Raditon kam zu den Männern. „Wir haben gute Bedingungen. Wir werden rasch in Airavata sein.“

„Warum habt Ihr diesen alten Mann mitgenommen?“, fragte Thores.

Philipp schaute ihn irritiert an. „Er ist der Führer der beiden Götteropfer der Ragni und der Noaten. Er kennt den Weg.“

„Meint er mich?“, fragte Gustav.

„Ja, genau. Dich meint er“, sagte Thores. „Du kennst den Weg …“

„Nach Hingston? Sicher doch!“

Thores schaute Lord Philipp an und zog die Stirn kraus. „Er glaubt es geht nach Hingston.“

„Wir kommen von Hingston“, sagte der Lord dem alten Mann erklärend und überdeutlich. „Wir segeln nun nach Airavata.“

„Er ist verwirrt, aber nicht taub“, seufzte Sören ein zweites Mal.

„Er bringt uns gar nichts“, sagte der Veteran. Er schüttelte den Kopf. „Lassen wir das. Hauptsache wir bringen die Götteropfer sicher nach Galava. Ihn lasst ihr am besten in Airavata. Da kann er keinen Schaden anrichten.“

„Mich?“, fragte Gustav.

„Auf ein Wort, Lord Philipp“, sagte plötzlich eine Stimme. Alle drehten sich um. Es war Prinzessin Katharina.

„Eure Hoheit“, meinte der Lord und schaute das manische Götteropfer fragend an.

„Es gibt hier nur Fisch. Nur Fisch. Ich werde verhungern.“

Der noatische Krieger Sören grinste. „Aber in unterschiedlichen Variationen. Frisch, getrocknet, in Salz eingelegt …“

„Ich hasse Fisch!“, sagte Katharina. „Die beiden hingegen sind es gewohnt. Hedda isst fast nur Fisch. Und Ailsa auch. Ich aber hasse Fisch.“

„Ich darf nicht mit nach Galava!“, meinte Gustav plötzlich.

Katharina schaute ihn an. „Was?“

„Sie wollen mich zurücklassen. In Airavata.“

„Keiner wird dich zurücklassen“, sagte Katharina.

„Wen will man zurücklassen?“, fragte nun auch Hedda, die plötzlich ebenfalls auftauchte. Gemeinsam mit Ailsa.

„Sie wollen Gustav zurücklassen“, meinte die Prinzessin.

„Auf keinen Fall“, meinte nun auch die Noatin. „Er ist unser Führer.“

„Er ist ein Spinner“, meinte Thores.

„Wer seid Ihr überhaupt?“, fragte Katharina wütend.

„Thores. Ein Veteran der alten Armee. Ich habe für Euren Großvater gekämpft. Gegen die Shivas.“

„Schön!“, schnaubte die Prinzessin. „Und Ihr habt nun das Kommando hier?“

„Wir sollten aufhören zu streiten“, sagte Lord Philipp. „Königliche Hoheit, ich bitte Euch. Ich weiß, dass das hier alles sehr aufregend ist. Aber wir müssen erst einmal in Airavata ankommen. Dann sehen wir weiter.“

„Gustav kommt mit“, fauchte Katharina. „Und ich möchte was Anderes als Fisch.“

Ailsa lachte. „Wenn wir schnell genug segeln, vielleicht verfangen sich dann Vögel in den Segeln. Und die kannst du dann braten.“

„Es kann doch nicht sein, dass es hier nur Fisch gibt?“, Katharina schaute fragend in die Runde.

„Ich habe etwas Trockenfleisch eingepackt“, sagte Thores. „Ich gebe Euch gerne davon, Prinzessin.“

„Trockenfleisch?“

„Vom Hirsch“, meinte der Veteran. „Gut gewürzt. Mein Bruder Eydir hat eine ganz besondere Gewürzmischung zurückgelassen …“

„Nicht doch!“, wehrte Lord Philipp ab. Nervös blickte er zur Prinzessin. Den Namen zu erwähnen, weckte vielleicht nicht so gute Erinnerungen.

„Was? Mein Bruder ist doch hinüber zu den Shivas gesegelt und hat …“

„Ihr seid der Bruder des Verstoßenen?“, fragte Katharina entsetzt.

„Er wurde begnadigt“, meinte Thores.

„Er hat mit einer List alle zum Narren gehalten“, die Prinzessin war sauer. Sie schaute zu Hedda und Ailsa. „Lasst uns wieder unter Deck gehen.“

„Was ist mit meinem Trockenfleisch?“, fragte der Veteran.

„Behaltet Euer Trockenfleisch. Lieber würge ich diesen Fisch runter als irgendwas zu essen was von Euch kommt.“ Dann ging Katharina mit schnellen Schritten davon.

Ailsa schaute sich in der Runde um, zuckte mit den Achseln und folgte ihr dann. Genauso wie Hedda.

„Bei Regnator und den sieben Göttern. Lord Philipp, was haltet Ihr davon, wenn ich ins Meer springe und zurückschwimme? Sicherlich einfacher als mit dieser Göre auch nur einen Tag auszuhalten.“

„Haltet euch im Zaum. Ihr sprecht von der königlichen Hoheit, Prinzessin Katharina“, seufzte Philipp, aber er wusste, dass der Veteran nicht ganz unrecht hatte. Doch er hatte auch Verständnis für Katharina. Sie hatte ihren Vater verloren und ihren Onkel. Sie machte sich auf die Reise in für sie unbekanntes Land. In eine Zukunft, wo niemand wusste um was es ging und was sie erwarten würde.

„Ich amüsiere mich prächtig“, grinste Sören. „Wo ist eigentlich die Königin der Ragni?"

„Unter Deck“, sagte Lord Philipp. „Und noch mal zur Prinzessin. Wir alle wissen nicht was auf uns zukommt. Aber für die drei jungen Frauen ist es besonders hart. Sie sind die Außerwählten. Sie wissen nicht in welches Schicksal sie da reingeraten. Wir hingegen sind Soldaten oder Krieger. Wir sind bereit für den Kampf, egal wie heftig er wird. Und egal wie viele Kreaturen uns begegnen.“

„Komm her, Sören. Krieger der Noaten“, meinte Thores. Er hatte keine Lust mehr auf derartige Gespräche. „Lasst uns Bier trinken und über alte Zeiten sprechen. Über Kämpfe, die wir ausgefochten haben. Ihr vor allem als Seemann. Ich als Schwertkämpfer.“

Philipp nickte. „Ja, tut das. Ich schaue mal nach der Königin der Ragni.“

3

Shivas

Sie waren ihm auf den Fersen. Sie jagten ihn. Und das war verkehrt. Das durfte nicht sein Meist war er der Jäger. Aber nun war er der Gejagte. Er trieb sein Pferd an und es lief so schnell es konnte. Wie hatten die shivanischen Soldaten es geschafft sein Versteck zu finden? Es war egal. Er ärgerte sich allerdings, dass sein Experiment nun kein Ergebnis mehr liefern würde. Und von dem Fleisch der jungen Frau hatte er auch nicht viel kosten können. Aber sie würden ihn nicht kriegen. Da war er sich sicher. Er trieb sein Pferd an so gut er nur konnte. Eigentlich hatten sie keine Chance. Doch das Glück war Johnny nicht hold. Sein Pferd strauchelte und kam zu Fall. Johnny stürzte von seinem Gaul.

„Verdammt“, schrie er auf. Er richtete sich auf. Ihm war nichts passiert. Das hätte auch anders ausgehen, das wusste er. Aber sein Pferd hatte sich scheinbar das Bein gebrochen. Er schaute sich um. Das war gar nicht gut. Wenn sie ihn verfolgten, dann hatte er keine Chance. Er fluchte, erlöste das Pferd mit seinem Messer und rannte dann los …

Keine zwanzig Minuten später kamen die Verfolger bei dem toten Pferd an.

„Sein Pferd scheint gestürzt zu sein“, meinte einer der Soldaten, der abgestiegen war und sich das Bein des Gauls anschaute.

„Sehr gut. Weit kann er nicht sein“, erwiderte der Hauptmann und stieg ebenfalls ab. Er blickte sich um. Wohin wollte der Kannibale? Vermutlich in Richtung Berge. Ganz gewiss nicht in Richtung Daitya. Vielleicht in Richtung Galava durch das Tal. Oder eben tatsächlich zu den Bergen. „Schaut nach Fußabdrücken.“

Zwei weitere Soldaten stiegen nun ab und schauten sich um. Fußspuren waren deutlich schlechter zu sehen als der Abdruck der Hufen des Pferdes. Doch sie fanden Spuren. „Er ist wohl in diese Richtung gerannt!“

Der Hauptmann nickte. Das machte Sinn. Er blickte in die Richtung. Dort wurde es leicht hügelig und für den Flüchtenden damit die beste Möglichkeit ungesehen davonzukommen. Nach Norden war das Gelände deutlich offener. „Auf die Pferde“, befahl der Offizier. „Wir reiten weiter.“

Johnny wusste, dass er keine Chance hatte. Außer es passierte etwas Unvorhergesehenes. Ein Drache, der vom Himmel auf seine Verfolger stürzte. Einfach weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren und der Drache Hunger. Aber genauso konnte sich ein Drache auch auf ihn stürzen. Nein, er hatte noch nie ein solches Wesen gesehen. Aber man sprach darüber. Sie kamen in der letzten Zeit aus den Bergen. Genauso wie die Chimären. Oder Bergdämonen, wie die einfachen Leute sie nannten. Auch sie hatte er noch nie gesehen. Und er wusste nicht, ob die Geschichten stimmten. Es wurde häufig viel zu viel in irgendwelche Vorfälle hineininterpretiert. Genauso wie sie viel zu viel in ihn hineininterpretierten. Was tat er denn schon? Er stillte seinen Hunger. War es wirklich so ein großer Unterschied, ob man ein Tier oder ein Kind aß? Lebewesen war Lebewesen.

Johnny blieb stehen. Er atmete tief ein und aus. Verdammt. Der letzte Hügel sorgte dafür, dass sie ihn nicht sehen konnten. Aber sobald sie auf der Anhöhe waren, würden sie ihn sehen. Und vor ihm war keine Deckung. Nichts. Nur öde Steppe. Und dann erblickte er sie. Das Sonnenlicht blendete ein wenig und er konnte Schatten sehen. Aber das waren sie. Die Jäger …

Der Hauptmann hielt sein Pferd an und blickte von der Anhöhe hinunter. Dort war er. Der Mörder. Der Kannibale. Der Mann, der Angst und Schrecken verbreitete. Nicht nur rund um Daitya. Auch bei den Nehatanern war er eine Zeitlang. Und bei den Pravin. Vielleicht auch bei den Mani. Es gab viele Geschichten über die schrecklichen Taten. Und auch Lieder, die man den Kindern sang. Um sie vor dem grausamen Mann zu warnen.

„Dieses Mal entwischt er uns nicht“, meinte einer der Soldaten.

Der Hauptmann nickte. Noch nie waren sie ihm so nah. Noch nie so dicht auf den Fersen. „Ihr zwei linksherum, ihr zwei rechts herum. Und du kommst mit mir direkt hinter ihm her. Tötet ihn nicht. Ich will ihn lebend.“

Dann ritten sie los …

Nein, weglaufen brachte ihm nichts. Es würde vermutlich sogar verzweifelt aussehen. Johnny blickte hinauf auf den Hügel und sah, wie sie losritten. Sie teilten sich. Zwei ritten linksherum, zwei rechtsherum und zwei kamen direkt auf ihn zu. Unnötig. Es gab ohnehin keine Möglichkeit zu fliehen. Nicht zu Fuß. Also blieb er stehen. Er lächelte süffisant. Schaute wie sie auf ihn zugeritten kamen. Das Messer in seiner Hand warf er in den Sand. Nein, kämpfen wollte er nicht. Er wusste, dass sie ihn sonst töten würden.

Als sie sahen, dass er nicht floh, verlangsamten sie ihre Geschwindigkeit.

Johnny öffnete seinen Beutel, den er an der Seite hängen hatte. Er nahm etwas heraus und biss hinein.

Zunächst war der Hauptmann mit seinem Soldaten bei ihm.

„Sieh einer an. Die Jagd ist zu Ende“, grinste Johnny. „Ihr habt mich.“

„Ergebt Ihr Euch?“, fragte der Hauptmann.

„Bleibt mir was Anderes übrig?“

„Was habt ihr da in der Hand?“

„Ein Stück der jungen Frau“, meinte der Kannibale. „Wenn ich mich nicht irre werde ich wohl lange auf derartige Genüsse verzichten müssen.“

„Werft es zu Boden“, sagte der Hauptmann und stieg vom Pferd. Mittlerweile waren auch die anderen Soldaten da und umkreisten den Kannibalen.

Johnny gehorchte nicht. Sondern biss ein Stück des Fleisches ab und kaute genüsslich.“

„Nehmt ihn fest!“ Der Hauptmann gab seinen Soldaten einen Wink.

„Bei den Göttern, ist das ekelig. Was ist das?“, ein Soldat schaute auf das Stück Fleisch, dass zu Boden fiel als sie den Kannibalen festnahmen.

„Ein Stück ihres wunderbar zarten Gesäßes“, sagte Johnny. „Er ist wirklich vorzüglich. Vielleicht hat ihr Vater sie öfters gezüchtigt und das Fleisch so schön weichgeklopft.“

„Ihr seid widerlich“, der Hauptmann stellte sich vor seinen Gefangenen. „Man wird Euch zum Tode verurteilen. Der König wird Euch zum Tode verurteilen. Und ich werde dabei zuschauen.“

„Ihr erfreut Euch am Sterbevorgang? Dann sind wir uns nicht ganz unähnlich. Wobei Ihr mich wahrscheinlich nicht aufesst, danach. Nichtsdestotrotz. Eure Überheblichkeit ist wenig angebracht. Ihr seid nicht anders als ich.“

„Macht euch auf einen langen Fußmarsch gefasst.“ Der Hauptmann stieg wieder auf sein Pferd.

Die Soldaten hatten Johnnys Hände gefesselt und mit einem Seil hinter einer der Pferde befestigt. Dann ritten sie los.

„Wohin bringt ihr mich? Nach Daitya?“

Doch niemand antwortete ihm.

4

Meeresenge von Zwirn

Die grünhäutige Lucreze Xilix schaute über das Meer hinüber zu der Insel der Lucrezen. Sie wurde immer kleiner und kleiner. Nie hätte sie gedacht jemals auf das offene Meer hinaus zureisen. Und erst recht nicht als Götteropfer ihres Stammes. Schon jetzt hatte sie Heimweh. Vielleicht wäre es besser gewesen sich fangen zu lassen. Dann hätte sie nun einen Mann an ihrer Seite. Sie würde ihm vielleicht ein Kind schenken. Und für ihn arbeiten. Stattdessen war sie auf dem Meer. Und ihr war schlecht. Dabei war die Meeresenge von Zwirn das wohl ruhigste Gewässer von Ariton.

„Alles in Ordnung?“, fragte Itoia, das Götteropfer der Nehataner.

Xilix zuckte mit den Achseln. „Ich weiß nicht. Ich bin unsicher. Vielleicht wäre es doch besser gewesen mich einem Mann zu ergeben und sein Weib zu werden.“

„Uns erwartet eine große Aufgabe“, sagte Itoia. „Habe keine Angst. Die Götter wachen über uns.“

„Die Götter?“, fragte Xilix. „Sind wir nicht die Opfer für die Götter?“

„Ja, das sind wir wohl. Aber was es bedeutet, das weiß ich nicht.“

„Wer sind die Männer? Den einen kenne ich“, sagte die Lucreze und zeigte auf den Priester Pipione. „Er ist vom Tempel von Deux. Er war einige Male bei uns und hat Fische gekauft. Oder auch mal Heilkräuter. Für die Priester. Wer sind die anderen?“

„Oxomoco, der Bärtige, ist ein Mani“, sagte Itoia.

„Du meinst den mit den Haaren in seinem Gesicht?“

„Ganz genau.“

„Er hat die gleiche seltsame Hautfarbe wie dieser Priester. Ist er einer von ihnen?“

„Er kommt vom gleichen Volk. Aber er hat mit ihnen nichts zu tun.“

„Man nennt ihn Baby?!“ fragte Xilix.

„Ja. Scheinbar wurden seine Eltern getötet als sie durch unser nehatanisches Land fuhren. Vermutlich Händler oder Kaufleute. Der König nahm ihn dann auf als er noch ein Baby war.“

„Dieser König Atladings, von dem du schon sprachst? Dein König?“

„Atlacoya heißt er. Aber nein, dessen Vater. Er hieß Tezcatlipoca. Unser jetziger König wuchs mit diesem Oxomoco auf.“

„Und dieser Itzli?“, fragte Xilix. „Er scheint mir der Netteste und Lustigste.“ Sie zeigte auf den hageren Nehataner.

„Das ist wohl der Freund von dem Baby“, meinte Itoia.

„Aber was haben sie mit uns zu tun?“, Xilix verstand nicht so wirklich was überhaupt passierte.

„Dieser Oxomoco hatte den Auftrag mich zum Tempel von Deux zu bringen. Aber der Tempel ist wohl von jemand eingenommen worden. Die Priester tot oder geflohen. Dieser Priester namens Pipione meinte, dass wir nun nach Galava müssen. Eine Tempelstadt im Lande der Shiva. Dort bringen sie uns nun hin.“

„Aber warum genau diese Leute?“

„Du stellst vielleicht Fragen …“, Itoia seufzte. „Ich weiß es nicht. Vielleicht weil alle anderen im Krieg sind? Vielleicht weil unser König seinem Halbbruder besonders vertraut? Ich weiß es nicht.“

Xilix nickte. Vielleicht wollte sie gar nicht mehr wissen. Vielleicht war es auch gar nicht so wichtig. Sie schaute aufs weite Meer hinaus. Mittlerweile war überall Meer. Die Insel konnte man nicht mehr sehen. Dann zeigte sie verdutzt nach Osten. „Was ist das für ein seltsamer Vogel?“

„Ein Vogel?“ Itoia schaute aufs Meer. Und auch sie sah nun in der Ferne etwas, das wie ein Vogel aussah. Es kam wohl auf sie zugeflogen.“

„Es ist kein Vogel, Dummerchen!“, hörte Xilix eine Stimme.

Sie drehte sich um und sah den Papagei. „Er spricht! Dieser Vogel spricht.“

Itoia lachte. „Ja sicher. Er spricht. Oder besser gesagt, er ahmt uns nach. Er spricht nicht wirklich.“

„Er meinte da käme kein Vogel. Und er nannte mich dumm.“

„Unsinn!“, Itoia grinste die Lucreze an. „Er kann nicht reden. Er ahmt nur Worte nach. Worte, die er gelernt hat.“

„Sie kann mich nicht verstehen“, meinte der Papagei. „Nur du kannst mich verstehen.“

„Er hat wieder geredet!“ Xilix starrte auf den Papagei. „Ernsthaft. Er hat gesagt, dass ich ihn verstehen kann und du nicht.“

Itoia schüttelte ungläubig den Kopf. Sie ging zum Papagei. „Er plappert nur den Seeleuten alles nach.“

„Wieso verstehst du nicht, dass sie mich nicht hören kann?“, sagte der Papagei. „Nur du kannst mich hören. Aber nun schau nach Osten. Das ist kein Vogel. Das ist ein Drache. Warne die anderen.“

„Ein Drache?“, fragte Xilix und blickte den Papagei an. „Was für ein Drache?“

„Er will euch töten“, der Papagei sprach klar und deutlich. Aber tatsächlich konnte ihn nur Xilix hören.

Itoia schaute Xilix irritiert an. Die junge Lucreze war ohnehin seltsam. Mit ihrer grünen Haut, ihren reißerischen Zähnen. Sie war so anders. „Was sagst du da über Drachen?“

„Nicht ich, er. Er meint es käme ein Drache dort am Himmel.“

„Unsinn. Der Papagei spricht nicht. Er kann nichts sagen“, Itoia seufzte und blicke Richtung Osten. Der Vogel dort kam näher. Und tatsächlich sah er nicht aus wie ein Vogel. Er wirkte größer, mächtiger. „Verdammt. Das ist wirklich ein Drache!“ Die letzten Worte sprach sie laut. So laut, dass sie fast jeder auf dem Schiff hörte.

Oxomoco hatte fest geschlafen. Doch das Wort „Drache“ weckte ihn aus seinen tiefsten Träumen. Er schreckte auf. Der bärtige Mani blickte sich um. Und was gerade noch so unglaublich wirkte, wurde langsam Realität. Ein Drache! Er war bereits da. Und er wirkt mehr als bedrohlich. Oxomoco starrte an den Himmel. Sie wurden angegriffen. Von einem Drachen. Konnte das sein? Es gab Geschichten über Drachen. Aber sie waren nicht wahr. Das konnte nicht sein. Drachen? Wirklich? Er hatte nie daran geglaubt. Und selbst jetzt, wo er am Himmel das unheimliche riesige Vieh sah, konnte er es nicht wirklich glauben.

„Regnator steh uns bei!“, schrie Itzli entsetzt.

Auch Itoia bekam Panik. Sie blickte auf das rote Monster, dass immer wieder um das Schiff kreiste. Noch griff es nicht richtig an. Es sah aus, als wollte der Drache sich erst einmal einen Überblick schaffen. Oder auskundschaften, wer auf dem Schiff war. Aber er war eindeutig aggressiv.

Priester Pipione packte Oxomoco am Arm. „Er will die Götteropfer. Er will sie töten.“

„Warum sollte er das wollen?“, fragte der bärtige Mani verwirrt. Er zog sein Schwert. So wie es auch der hagere Nehataner Itzli tat. Beide waren sich allerdings sicher, dass sie nichts ausrichten können. Mit Schwertern gegen einen Drachen, das war ein aussichtsloser Kampf.

Ein Seemann griff zu einem Bogen. Er zielte auf den Drachen und schoss. Es war unklar, ob der Pfeil überhaupt etwas ausrichten konnte. Aber er traf auch sein Ziel nicht und so war die Frage vorerst überflüssig.

Doch wirklich glücklich über den Angriff schien der Drache wohl nicht. Er blickte zu dem Schützen. Ein langgezogenes Fauchen war zu hören. Dann bewegte sich das Ungeheuer mit ein paar kräftigen Flügelschlägen auf das Boot zu. Ein paar Wimpernschläge später packte der Drache den Bogenschützen, in dem er den ganzen Kopf in sein Maul nahm.

„Bei den Göttern“, schrie Itoia auf. Sie packte die Lucreze und zog sie mit sich hinter ein Fass. Kein wirklich guter Schutz, aber es gab zumindest ein wenig das Gefühl von Sicherheit.

Der Schütze hatte anfänglich noch gezappelt. Dann jedoch beendete der Drache den Todeskampf. Er biss kräftig zu. Hart schlug der kopflose Körper auf dem Deck des Schiffs auf. Xilix schrie.

Der Schrei der Lucreze erweckte das Interesse des Drachen. Er verlangsamte seinen Flügelschlag, so dass er direkt vor dem Schiff schwebte. Dann ging er in Sturzflug über …

Oxomoco stürmte los. Das Schwert in der Hand rannte er auf die Götteropfer zu. Sein Ziel war der Drache. Vielleicht konnte er ihm sein Schwert in den Schädel rammen. Vielleicht würde er beim Versuch auch sterben. Doch sein kriegerischer Geist hatte längst jegliches Angstgefühl verdrängt. Es gab nur Flucht oder Angriff. Und Oxomoco floh nie.

„Xilix!“, schrie hinter ihm Itzli als er sah, dass die Lucreze über Bord flog. Der Drache leitete eine Kehrtwende ein und entging damit dem scharfen Schwert des bärtigen Mani.

„Xilix!“, schrie nun auch Itoia. Doch die Lucreze hörte den Schrei nicht mehr. Sie war über Bord gegangen.

Das junge Götteropfer der Lucrezen konnte gut schwimmen. Doch gegen das tosende Meer kämpfte sie verzweifelt. „Hilfe“, schrie sie immer wieder. Doch der Ruf wurde durch die Wellen und den Wind verschluckt. Ohnehin waren die Leute an Bord mehr mit dem Drachen beschäftigt als sich nun um sie zu kümmern. Dennoch schrie sie erneut. „Hilfe!“

„Ich komme“, kam als Antwort.

Die Lucreze ruderte wie wild mit ihren Armen. Schaute sich um. Woher war die Stimme gekommen? Wer hatte ihr geantwortet? Oder war es nur Einbildung? Sie blickte in Richtung Schiff. Und erst jetzt registrierte sie, dass die anderen sich rasant von ihr wegbewegten. Die Segel waren gehisst und der Wind trug sie in Richtung Festland. Weg von der Lucreze, die hilflos im Wasser schwamm …

5

Mittleres Meer

Christoph von Charlston war von adliger Herkunft. Als Offizier hatte er kämpfen gelernt und auch gelernt mal anzupacken. Doch die Arbeit auf dem Schiff der Noaten war schwer. Er bemühte sich redlich, aber er merkte, wie seine Kräfte schwanden. Nein, für die Seefahrt war er nicht gemacht. Dennoch war er froh, dass der Kapitän ihn aufs Schiff gelassen hatte. Christoph musste nach Airavata. Ludwig von Battleton hatte ihm einen klaren Auftrag gegeben. Er sollte den Götteropfern folgen.

„Du! Mani!“, schnauzte ihn einer der Seeleute an. „Halte das Seil. Steh nicht blöd rum, sondern tu was. Pack mit an.“

Christoph antwortete nicht. Er gehorchte. Innerlich fluchte er, ein einfacher Seemann konnte ihm hier Befehle erteilen. Das gefiel ihm ganz und gar nicht. Seine Hände schmerzten schon jetzt, obwohl sie noch nicht lange auf diesem blöden Schiff unterwegs waren. Außerdem zweifelte er. Konnte er Ludwig von Battleton trauen? Er hatte ihm aufgetragen die Götteropfer zu verfolgen. Aber was würde das bringen? Was für eine Bewandtnis hatte es eigentlich mit den jungfräulichen Weibern? Er blickte aufs Meer. Das Schiff, auf dem er angeheuert hatte, nahm an Fahrt auf. Weil es besser im Wind lag, überholte es das Hauptschiff auf dem Lord Philipp und die anderen waren. Er blickte hinüber und glaubte Katharina zu sehen. Ja, das war sie. Gemeinsam mit Hedda und Ailsa war sie an Deck. Sein Blick wanderte weiter übers Meer. Waren dort Drachen zu sehen? Tatsächlich. Gelbe Drachen, wie sie wohl in den Bergen der Mani lebten. Zumindest hatte das Ludwig von Battleton behauptet. War er auch in der Nähe? Es sah so aus, als begleiteten die Drachen die Schiffe. Warum taten sie das?

Auch auf dem anderen Schiff hatte man die Drachen gesehen. Drei Stück flogen neben den Schiffen übers Meer. Mit langsamen Flügelschlägen.

„Sie greifen hoffentlich nicht an!“, meinte Hedda ängstlich.

Ailsa schüttelte den Kopf. „Es sieht nicht so aus.“

„Unheimlich ist es trotzdem“, sagte Katharina wenig überzeugt. Sie blinzelte, geblendet durch die Sonne, die vor ihnen den höchsten Stand erreicht hatte. „Vor allem sind es gleich drei. Was wollen sie? Was tun sie?“

„Sie folgen uns“, meinte Ailsa. „Sie lassen uns nicht aus den Augen. Glaubst du, dass du gleich drei Drachen zu Fall bringen kannst?“

„Ich denke nicht.“ Katharina schüttelt den Kopf. „Meine Kraft muss erst wachsen. Zumindest hat das Sjel gesagt. Und auch seine Kraft wird wachsen, wenn meine Kraft wächst.“

„Wie soll sie wachsen?“

„Die Kräfte von jeder von uns werden wachsen. Allerdings erst dann, wenn wir am Ziel sind. Und unserer Bestimmung gerecht werden.“

„Das hat dir der schwarze Drache verraten?“, fragte Hedda neugierig. Sie hatte die Kraft Ketten zerspringen zu lassen. Erst einmal hatte sie es angewandt und fand es immer noch unglaublich.

„Ja!“ Katharina nickte ein wenig beschämt.

„Vielleicht solltest du ihn rufen.“ Hedda zeigte hinauf in Himmel. „Wegen denen, meine ich.“

Katharina schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass sie angreifen.“

„Aber du weißt es nicht“, meinte Ailsa zweifelnd.

„Das ist richtig.“

Die Noatin schaute sich um. „Auch die Männer sind nervös.“

Lord Philipp und Königin Varuna näherten sich. Auch sie blickten ein wenig unsicher hinauf zu den Drachen.

„Sie verfolgen uns. Warum auch immer. Vielleicht wollen sie wissen, wohin wir gehen“, meinte Philipp. „Aber nun zu etwas anderem. Auf ein Wort Prinzessin Katharina.“

„Was wollt Ihr?“ Katharina war müde. Sie hatte keine Lust auf ernste Themen.

„Ich habe etwas für euch“, meinte der Lord etwas überheblich. In der Hand trug er eine lederne Tasche, die er ihr überreichte. „Das ist für Euch.“

Sie schaute hinein. „Eine Armbrust?“

„Ganz genau. Ich weiß, dass Ihr eine gute Schützin seid. Das ist die Armbrust Eures Vaters. Die Pravin haben sie gemacht. Aus edelstem Holz. Sie gehört nun Euch.“

„Danke, Lord Philipp.“

Nun trat Königin Varuna vor. „Und weil Ailsa ebenfalls eine Waffe hat, nämlich ihr Schwert, sollst auch du eine Waffe bekommen, Hedda!“

Hedda grinste und schaute auf den schönen Bogen, den die Königin der Ragni in der Hand hielt. „Ich kann gut mit dem Bogen umgehen. Mein Vater hat es mich gelehrt.“

„Ja, wie jeder Ragni außerhalb der Stadt“, lächelte Varuna. „Ich weiß, dass ihr dort draußen im Ewigen Eis immer schon gut den Bogen nutzen konntet.“

„Wo sind die Drachen hin?“, fragte Hedda erstaunt. Sie schaute zum Himmel.

„Dort sind sie“, meinte Katharina und zeigte nach Westen. Die Drachen waren nun kleiner, sie flogen mittlerweile mit einem deutlich größeren Abstand zu den Schiffen. Aber immer noch in Reichweite. Ja, sie beobachteten, wo die Schiffe hinfuhren. Da war sich die Prinzessin sicher.

Ludwig von Battleton hatte den Dämon Chéng in sich gerufen und sich auf das Schiff der Götteropfer bringen lassen. Langsam konnte er ziemlich gut damit umgehen. Er musste sich den Ort nur möglichst präzise vorstellen, um dort zu landen, wohin er wollte.

„Bei den Göttern, woher kommt ihr denn plötzlich?“ Gustav starrte den Mann, der auf einmal vor ihm stand, an. Das verbrannte Gesicht war längst jedem bekannt. „Ihr seid … Ihr seid Lord Ludwig von Battleton, richtig?“ Der alte Kauz hatte sich im Frachtraum hingelegt, um ein Nickerchen zu machen.

„Psst …“, machte Ludwig und grinste dann. „Du hast dir den falschen Ort für dein Mittagsschläfchen ausgesucht.“

„Ich werde schreien“, meinte Gustav.

„Nein, wirst du nicht“, sagte Ludwig. Er hielt dem alten Mann den Mund zu. Dann nahm er seinen Dolch, setzte die Spitze direkt an der Brust an und drückte die scharfe Stichwaffe langsam in das Herz des alten Mannes. Dessen Augen waren erfüllt mit Panik. Er war ein verwirrter alter Mann, der vieles nicht mehr verstand. Sehr wohl aber begriff er, dass er nun sterben würde. Angst erfüllte seinen Körper. Doch er war zu schwach, um sich wirklich zu wehren. Und so bekam sein Geist noch mit, wie der Stahl sich tief in sein Herz bohrte. „Tut mir leid, alter Mann. Aber das Leben ist nun mal nicht fair.“ Als der letzte Atemzug gemacht war, verstarb Gustav.

„Manchmal kommen sie mir wie Kinder vor“, seufzte Thores. Er stand neben dem Masten in Begleitung des noatischen Kriegers Sören und beobachtete Katharina und Hedda. Sie hatten mit einem Seil einen Kreis gebildet und warfen nun kleine Steinchen hinein. Wer mit den meisten Kieselsteine in den Kreis traf, der gewann. Ailsa machte zwar nicht mit, aber sie feuerte dennoch an und spielte die Schiedsrichterin.

„Wo haben die überhaupt diese Steinchen her?“, fragte Sören kopfschüttelnd.

„Zehn Kieselsteine aus Mani“, meinte Thores belehrend. „Eine alte Tradition. Man nimmt sie bei einer Seereise mit und wirft sie dann auf den Boden, wenn man ein anderes Land betritt.“

„Und das macht welchen Sinn?“

„Was weiß ich. Man hat ein Stück Heimat mitgenommen. Ich weiß es nicht. Es ist mir auch egal. Ich habe mein Schwert dabei. Und meinen Verstand. Mehr brauche ich nicht.“

„Und eine Menge Bier“, grinste Sören.

Thores nickte und hob seinen Krug. „Ganz genau. In Shivas bekommen wir ja leider nur Wein.“

„Er ist dort besser als der Wein, den sie euch liefern“, meinte Sören.

„Hauptsache er benebelt die Sinne.“ Thores trank einen kräftigen Schluck und zeigte dann auf Gustav. „Was macht der alte Mann denn hier? Hat er seinen Mittagsschlaf schon erledigt?“

Der alte Mann kam näher. Grinste er? Es sah zumindest so aus.

„Du scheinst gut gelaunt?“, fragte Sören.

„Ich habe mich gut erholt. Der Schlaf hat gutgetan.“

„Du bist doch erst gerade hinunter gegangen? Wie auch immer“, Sören zeigte auf Katharina und Hedda. „Vielleicht lassen sie dich mitspielen?“

„Vielleicht!“, meinte Gustav und ging an den beiden Männern vorbei.

„Kommt er dir nicht auch gerade noch seltsamer vor als sonst?“ Sören runzelte die Stirn. „Verrückter alter Mann.“

„Mach dir keinen Kopf“, seufzte Thores und trank einen weiteren kräftigen Schluck.

„Du kannst also mit Drachen sprechen“, fragte Gustav.

Katharina warf ihr Steinchen und schaute den alten Mann irritiert an. „Ja. Das weißt du doch. Wir können alle mit Drachen sprechen …“

„Aber dir hört er zu. Dieser schwarze Drache.“

„Ja, Sjel.“

„Sjel!“, meinte Gustav. Er nickte. Der älteste Drache.

„Nannte man nicht dich einst den Drachenflüsterer?“

„Was?“, fragte der alte Mann überrascht. Dann fasste er sich rasch. „Oh. Das ist lange her.“

„Geht es dir gut?“, fragte nun auch Hedda.

„Ja … ja fantastisch.“ Für einen Moment dachte Gustav nach. Oder besser gesagt, Ludwig dachte nach. Der den Dämon der Wandlung gerufen hatte und nun die Gestalt von Gustav hatte. „Was erwartet man von euch in Galava?“

„Woher sollen wir das wissen?“ Katharina warf ihr Steinchen. „Oh, verdammt. Wieder nichts.“

„Ich bin richtig gut, oder?“ Hedda freute sich.

Katharina war eine schlechte Verliererin. Und sie ärgerte sich bei jedem Gewinn von Hedda tierisch. „Noch mal. Einfach nur Anfängerglück.“

„Ihr spielt jetzt schon eine Ewigkeit“, lachte Ailsa.

„Sei still. Du spielst nicht mit.“

„Vielleicht sollte ich? Dann verlierst du gegen mich und gegen Hedda!“

„Pff …“, Katharina sammelte die Steinchen ein. Sie gab die Hälfte der Ragni. „Hier. Noch mal.“

„Eine Frage hätte ich noch …“ meinte der falsche Gustav.

„Darf ich ehrlich sein?“, Katharina schaute ihn böse an. „Du nervst. Wolltest du nicht schlafen gehen?“

„Ja, wollte ich“, murmelte er. Ludwig kochte innerlich. Diese verwöhnte Göre. Sie wird mir noch die Füße küssen, wenn ich die Herrschaft übernehme …

6

Meeresenge von Zwirn

Xilix merkte, wie die Kraft sie verließ. Sie tauchte unter, kämpfte jedoch dagegen an. Nein, sie wollte nicht sterben. Nein, nicht jetzt und nicht heute. Und vor allem nicht im tiefen Gewässer des Meeres. Sie hustete. Wieviel Salzwasser hatte sie schon verschluckt?

„Halte dich fest!“, hört sie eine Stimme.

Wer war da? Xilix hielt sich mit aller Kraft an der Wasseroberfläche. Und dann sah sie die Flosse, die langsam aus dem Wasser auftauchte. Und schließlich tauchte der Kopf eines Delphins auf.

„Halt dich fest, Xilix. Nun mach schon!“, wieder diese Stimme.

Für einen Moment fragte sich die junge Lucreze, ob sie verrückt war. Sprach der Delphin mit ihr? Wie konnte das sein? Oder bildete sie sich das nur ein? Aber das Tier war da. Xilix hielt sich an der Rückenflosse fest.

„Gut so, kleines Götteropfer. Halte dich gut fest. Das wird jetzt richtig schnell. Wir müssen sie einholen!“

Du kannst reden? Du bist ein sprechender Delphin? Diese Fragen waren in ihrem Kopf. Sie sprach sie nicht laut aus.

„Natürlich nicht“, kam als Antwort. „Ich bin ein Meeressäugetier. Aber du kannst mit mir kommunizieren. Ich verstehe deine Gedanken, so wie du meine. Und wie die jedes anderen Tieres. Du bist ein Götteropfer. Deshalb bist du und kannst du etwas Besonderes.“

Dann schwamm der Delphin los …

Itoia weinte. Sie kannte Xilix nicht wirklich gut. Es war gerade mal der zweite Tag, an dem sie zusammen waren. Aber sie fühlte sich verbunden mit ihr. Sie beide waren Götteropfer. Sie beide hatten die gleiche Bestimmung. Oder hatten. Vermutlich war Xilix tot. Und das machte die Nehatanerin traurig. Verzweifelt blickte sie auf den Drachen, der sich nun bereits den dritten Seemann schnappte und ins Wasser schleuderte oder in der Luft zerriss.

„Dieses gottverdammte Biest“, fluchte Oxomoco. Die beiden Hände hatte er fest um den Griff seines Zweihänders gelegt. Der rote Drache war wieder in die Höhe gestiegen. Doch nicht etwa um das Schiff in Ruhe zu lassen. Er bereitete sich darauf vor ein letztes Mal zuzustoßen. Um auch Itoia zu töten. Oxomoco erkannte das sofort. Er ließ das Biest nicht aus den Augen. Für einen Moment schwebte der Drache hoch oben in der Luft. Er korrigierte seine Position, verschaffte sich scheinbar einen Überblick und fixierte dann die Nehatanerin. Und schließlich begann er mit dem Sturzflug …

Oxomoco starrte auf das heranfliegende Monster. Für einen Moment sah es so aus, als wäre er zur Salzsäule erstarrt. Als wäre er gelähmt. Als wäre er unfähig auch nur einen Schritt zu machen. Doch das war nicht der Fall. Er wartete bewusst. Er behielt den Drachen im Auge. Fünf Schritte waren es bis zu Itoia. Er wollt den richtigen Zeitpunkt abwarten …

Itoia schrie. Sie sah den roten Drachen auf sich zu stürzen. Anders als Oxomoco war sie tatsächlich nicht in der Lage sich zu bewegen. Sie hielt schützend die Hände nach oben. Natürlich würde das nichts bringen. Aber sie wusste nicht, was sie sonst tun sollte. Für einen Moment blieb in ihrem Kopf die Zeit stehen. Für einen Moment sah sie den Kopf des Drachen deutlicher. Sein Maul war aufgerissen, der Drache bleckte die gewaltigen Zähne. Wie groß sie wohl waren? Sie sah seine Augen. Funkelnde grüne Augen. So stellte sie sich den Tod vor …

Eins, zwei, drei, vier, fünf schnelle Schritte. Oxomoco hatte den richtigen Zeitpunkt abgewartet. Der Drache achtete nur auf sie. Auf sein Opfer. Auf seine Beute. Auf sein eigentliches Ziel. Der bärtige Mani rannte los und traf den Zeitpunkt perfekt. Als der Drache direkt über ihr war, knallte Oxomoco gegen das Götteropfer der Nehataner. Unsanft wurde sie weggeschleudert. An ihrer Stelle stand nun dort ein Hüne von einem Mann. Sein Schwert nach oben gerichtet. Bevor der Drache überhaupt wusste, wie ihm geschah, stieß Oxomoco ihm das Schwert in den Rachen und sprang zur Seite. Das Vieh stürzte aufs Schiff. Ein Mast wurde unsanft von seinem Schwanz getroffen. Einige Kisten zerbrachen und auch die Bordwand wurde zerstört. Der Boden knirschte bedrohlich. Doch der Drache war tot.

„Bei den sieben Jungfrauen der Götter“, rief Itzli und rannte zu seinem Freund. Geistesgegenwärtig schlug er mit seinem Schwert dem Drachen den Kopf ab. „Das war knapp!“

„Geht es dir gut?“, fragte Oxomoco das Götteropfer.

Itoia nickte. Langsam stand sie auf. Sie konnte noch immer nicht glauben, was gerade geschehen war. Das war alles so verrückt. Das war alles so unreal. Und doch war es geschehen. „Ist es vorbei?“

„Er ist tot!“, Oxomoco ging zum Drachen. „Wir sollten ihn ins Wasser werfen. Weg mit diesem Vieh.“

„Wieviel ist kaputt?“, Itzli schaute auf den Masten.

Langsam kam die Schiffsbesatzung wieder zur Besinnung. Langsam registrierten sie was passiert war.

„Das bekommen wir hin!“, meinte der Kapitän. Er rappelte sich auf. Rief seine Mannschaft zusammen. „Los Männer, zieht diesen Drachen ins Wasser. Und dann macht euch an die Arbeit. Repariert was zu reparieren möglich ist.“

„Itoia“, erklang plötzlich dumpf eine Stimme.

Das Götteropfer der Nehataner schaute Oxomoco und Itzli an. „Habt Ihr das gehört?“

„War das Xilix?“, Itzli rannte zur Reling. „Bei den Göttern. Da ist sie …“

Auch Oxomoco rannte nun zur Reling und blickte hinunter ins Meer. Da war sie. Xilix. Das Götteropfer der Lucrezen. Vielmehr schwamm sie neben dem Schiff. Aber nicht selbst. „Hält sie sich an einem Delphin fest?“ Oxomoco konnte es kaum glauben.

„Helft mir hoch!“, rief Xilix.

„Schnell ein Seil“, meinte Oxomoco.

Zwei Seeleute beeilten sich. Sie brachten eine Wurfleine.

„Werft dieses Seil runter!“, der schwarzhaarige bärtige Mani wollte, dass es schnell geht.

Doch die Seeleute waren erfahren. Sie hörten nicht auf ihn. Stattdessen banden sie einen ledernen Sack an die Leine. Er war mit Korkrinde gefüllt und ging so schnell nicht unter. Diesen Sack warfen sie ein Stück weiter vorne ins Wasser, so dass er direkt auf Xilix zutrieb.

„Halte dich daran fest!“, rief Oxomoco laut.

Xilix verstand sofort.

Itoia umarmte Xilix als diese endlich erschöpft zurück auf dem Schiff war. „Bei den Göttern. Wie hast du das geschafft?“

„Der Delphin. Er hat mich vor dem Ertrinken gerettet. Er war plötzlich da. Und sprach mit mir.“

„Er sprach mit dir? So wie der Papagei?“, Itoia blickte zu dem Federvieh, das interessiert auf der Reling saß und die ganze Sache beobachtete.

„Ja, so wie der Papagei“, lachte Xilix erschöpft und setzte sich erst einmal hin.

„Du verstehst also was Tiere sagen?“, fragte Pipione. „Das ist verwunderlich.“

„Das ist überhaupt nicht möglich!“ Itoia schüttelte den Kopf. „Das glaubt Ihr doch nicht?“

„Man sagt, dass jedes Götteropfer eine bestimmte Fähigkeit besitzt. Also ja, ich glaube ihr.“

„Und was ist meine Fähigkeit?“ Die Nehatanerin schaute ihn erwartungsvoll an.

Der Priester zuckte mit den Achseln. „Ich weiß es nicht. Du wirst es wohl herausfinden müssen.“

„In jedem Fall gut, dass du lebst.“ Itoia klang erleichtert.

7

Daitya

Daitya war mit 25.000 Einwohnern vor Airavata mit 16.000 und Babruvahana mit 15.400 Einwohnern die größte Stadt der Shiva. Seit ihrer Entstehung war sie der Königssitz des Volkes in Shivas. Der große Vorteil war ihre zentrale Lage. Während man in Airavata vor allem vom Handel mit den Mani und den Noaten lebte und profitierte und deutlich näher an diesen Ländern lag, war Daitya vor allem auch das Tor zu Nehats. Die Seehandelsroute zwischen Daitya und der nehatanischen Stadt Atla Coya, benannt nach dem König der Nehataner, war äußerst wichtig. Vor allem auch wegen des Sklavenhandels.

Die junge Saroja war in Daitya aufgewachsen. Eine andere Stadt hatte sie nie gesehen und war bislang auch nicht wirklich weit außerhalb der Stadt gewesen. Sie war eine typische Shiva mit goldbrauner Haut, braunen Augen und goldblondem Haar. Sie war eine absolute Schönheit mit feinen Gesichtszügen und wachen Augen. Das half ihr durchaus, um den einen oder anderen um den Finger zu wickeln. Doch dieses Mal sah es nicht so gut aus für sie.

„Sie schuldet mir zweihundert Goldtaler“, meinte der Kaufmann namens Vinod. „Zweihundert götterverfluchte Goldtaler. Also findet sie! Bringt sie zu mir!“

Die beiden Söldner nickten. „Ja, Herr. Wir werden sie finden.“

„Sie gehört mir. Alles an ihr gehört mir. Dieses götterverfluchte Weib gehört mir mit Leib und Seele!“, schrie der Kaufmann.

Saroja hatte sich hinter den Strohballen versteckt. Sie waren in einem Lagerhaus direkt am Hafen. Vinod hatte Recht. Sie schuldete ihm zweihundert Goldtaler. Eigentlich nicht ganz. Aber das war nun auch egal. Sieben mal sieben Tage hatte sie Zeit gehabt, um ihre Schulden zurückzuzahlen. Und ja, er hatte Recht. Sie gehörte nun ihm. Nach shivanischem Recht war sie sein Eigentum. Er konnte über ihr Leben verfügen. Töten durfte er sie nicht, aber sie war sein Besitz. Sie musste weg. Sofort. Sich irgendwo verstecken. Und sie wusste auch wohin. Zumindest vorerst …

Der Hafen von Daitya war der größte Hafen auf ganz Ariton. Hierher lieferten die Mani und die Noaten und auch die anderen Städte Shivas nicht nur die Waren für Daitya, sondern auch für Nehats. Umgekehrt wurden die Waren von den Nehatanern von hier weiter verschifft in die Länder im Norden. Außerdem wurde von Daitya aus sehr intensiv Sklavenhandel mit den Nehatanern betrieben.

Jaspal lebte und arbeitete gefühlt seit er stehen konnte am Hafen. Er hatte mit einfachen Hafenarbeiten begonnen. Schiffe beladen, Waren sortieren oder die Seeleute mit frischen Wasserfässern oder Nahrungsmittel versorgen. Später dann hatte er herausgefunden, dass er vor allem für seine Empfehlungen geschätzt wurde. Die Seeleute blieben meist ein, zwei oder mehrere Tage. Für einen kleinen Obolus empfahl er Wirtshäuser, Unterkünfte oder Hurenhäuser. Dafür kassierte er vor allem auch bei den Besitzern der jeweiligen Etablissements ab. Was er empfahl, war stets gut besucht. Bekannt war er vor allem, weil er gerne auch mal etwas tat, das nicht erlaubt war. Wer teuren Schnaps nach Nehats schmuggeln oder Diebesgut an den Mann bringen wollte, der war bei ihm richtig.

„Jaspal!“, rief Saroja leise. Sie stand bei einer großen Ladung mehrerer Fässer auf dem Schiffssteg. Unsicher schaute sie sich um. Außer Jaspal waren nur die Seeleute des Handelsschiffs zu sehen, das gerade beladen wurde.

„Saroja. Hast du wieder mal Ärger?“

„Ja. Verdammt. Ja.“

„Kannst du deine Schulden nicht zahlen?“

„Ja, Jaspal. Du musst mir helfen.“

„Ich kann dir nicht helfen, tut mir leid. Ich habe dir so oft geholfen. Irgendwann ist Schluss. Du musst erwachsen werden. Und aufhören nur Mist zu bauen.“

„Komm schon. Spiel du nicht den Moralapostel. Du brichst täglich das Gesetz.“

„Ich kann dir nicht helfen.“

„Bitte, Jaspal. Ich flehe dich an.“

„Also gut“, seufzte er. „Siehst du das Schiff dort drüben? Es ist bereits beladen. Verstecke dich im Laderaum. Lass dich nicht von der Wache erwischen. Aber so wie ich es vorhin mitbekommen habe, wurde da ganz schön viel getrunken. Und die Besatzung ist noch an Land. Sie wollen morgen die Segel setzen.“

„Wohin segelt das Schiff?“

„Nach Airavata. Das ist doch in Ordnung, oder?“

„Ja, das ist gut“, meinte sie. „Tausendfachen Dank …“

Die zwei Söldner hatten sich längst auf die Suche gemacht. Vom Kaufmann hatten sie auch erfahren, dass die junge Frau öfters mit Jaspal Geschäfte machte. Und so suchten sie ihn auf.

„Hast du sie gesehen oder nicht?“, fragte einer der Söldner. Er wirkte bedrohlich, obwohl das sicherlich nicht seine Absicht war.

„Ja, sie war hier“, meinte Jaspal seufzend. Nein, er war Saroja nichts schuldig. Und im Grunde war ihre Anwesenheit hier im Hafen nicht gut fürs Geschäft. Sie hatte schon einige seiner Geschäftspartner bestohlen. Ja, sie half ihm immer wieder. Bekam von ihm auch mal einen Auftrag, der nicht so einfach zu lösen war. Aber der Kaufmann war wichtiger. Und Jaspal wusste, dass er ihm dann noch was schuldig war, wenn er Saroja auslieferte. Nein, ein schlechtes Gewissen hatte er nicht. Fressen und gefressen werden, war hier die Devise. Das wusste auch Saroja. „Wieviel bekomme ich, wenn ich die Kleine verrate?“

„Dann verprügle ich dich nicht“, meinte einer der beiden Söldner.

Der andere beschwichtige. „Unser Chef wird dir sehr dankbar dafür sein. Und sich erkenntlich zeigen. Wir werden ihm sagen, dass du uns geholfen hast.“

„Sie ist auf dem Schiff dort drüben. Im Laderaum“, meinte Jaspal. Er seufzte. Was hatte er davon, wenn er log?

Auf nach Airavata. Das war der Plan von Saroja und sie war Jaspal dankbar, dass er ihr die Möglichkeit gab. Hier im Laderaum konnte sie die paar Tage, die das Schiff bis zur zweitgrößten shivanischen Stadt benötigt, durchaus durchstehen. Da war sie sich sicher. Sie konnte nicht ahnen, dass ihr die Verfolger auf den Fersen waren. Dass Jaspal sie verraten hatte und sie im Grunde keine Chance hatte.

„Durchsucht den ganzen Laderaum“, hörte sie die Stimme einer der Seeleute. Für sie war es ein Schock. Es gab kein Fluchtweg. Es gab nur diesen einen Ausgang.

„Eine Silbermünze für denjenigen, der sie findet“, meinte jemand Anderes. Saroja erkannte die Stimme einer der beiden Söldner, die für den Kaufmann arbeiteten.

Was sollte sie tun? Kämpfen? Es machte keinen Sinn und das wusste sie. Und dann war es auch schon zu spät sich Gedanken zu machen.

„Na, wenn haben wir denn da?“, grinste einer der Seeleute, als er sie schließlich hinter den Kisten entdeckte.

Das Jaspal sie verraten hatte, glaubte sie nicht. Vermutlich hatte jemand sie gesehen, als sie aufs Schiff gegangen war. Aber es war ohnehin jetzt nicht zu ändern. Sie wehrte sich, so gut sie konnte. Zappelte, schlug um sich, biss zu und kratzte.

„Was für eine Wildkatze“, grinste einer der beiden Söldner. Er packte sie am Arm. „Nach shivanischem Recht gehörst du nun Kaufmann Vinod.

„Bitte. Ich zahle alles zurück“, flehte Saroja.

„Sieben mal sieben Tage hattest du Zeit“, meinte einer der beiden Handlanger des Kaufmanns. „Deine Zeit ist um, Kleines.“

8

Daitya

Es war ein seltsames Gefühl für Ludwig von Battleton. Er saß auf einer Kiste auf dem Deck des Schiffs und steckte dabei im Körper eines alten Mannes. Den er gerade umgebracht hatte. Er schaute hinüber zu Katharina, Hedda und Ailsa. Was sollte er tun? Sie umbringen? Waren sie wirklich eine Gefahr? Vielleicht war es besser, sie Leben zu lassen. Vielleicht halfen sie ihm sogar zur Macht? Er wusste es nicht. Und das machte ihn wütend. Glaubte er an die Götter? Die Dämonen in ihm bewiesen ihm zumindest, dass es Mächte gab, die viel größer waren als er es sich jemals vorgestellt hatte. Welche Macht hatten diese Götteropfer? Oder wen machten sie mächtig? Vermutlich war das größte Problem, dass sie die Völker vereinten. Dass die Völker vielleicht sogar an einen gemeinsamen König hofften. Das war die größere Gefahr. Aber war es dann nicht sinnvoll sie einfach zu töten? Er wusste es nicht. Und er bereute, dass er die Gestalt von diesem alten Mann angenommen hatte. Weil den niemand ernst nahm. Und er so nicht einmal in der Lage war etwas herauszufinden, was wichtig sein könnte.

„Bei den Göttern“, rief einer der Seeleute plötzlich. „Dieser alte Mann ist tot. Er wurde ermordet!“

Lord Philipp von Hingston sprang auf. „Welcher alte Mann?“

„Dieser alte Kauz, der mit Euch reiste, Lord!“

Philipp schaute sich um und erblickte Ludwig, der in der Gestalt von Gustav, der auf einer Kiste. „Gustav? Er?“

Der Seemann erschauderte. „Bei den Göttern. Ja. Er war … ich glaube ich werde verrückt.“

„Zeig ihn mir“, meinte Philipp.

Der Seemann nickte. „Ich verstehe das nicht. Wie kann er…“

„Geht vor, los …“

Ludwig seufzte. Alle starrten ihn an. Wie dämlich er gewesen war. Ja, er hatte Gustav versteckt. Den alten Mann hinter ein paar Säcke Mehl gezogen. Er war davon ausgegangen, dass man ihn nicht so schnell finden würde. Aber er hatte sich getäuscht. Was er nicht wusste, war die Tatsache, dass der Seemann sich gerne genau hinter diese Säcke legte um in Ruhe zu schlafen und sich vor der Arbeit zu drücken. Er war für die Verpflegung zuständig.

„Wartet!“, rief Ludwig alias Gustav.

Philipp drehte sich um. Genauso wie der Seemann.

„Was meinte er?“

„Das er jemand tot dort unten liegen sehen hat“, meinte Philipp. „Und er meinte Euch erkannt zu haben, alter Mann.“

„Das ist doch Unsinn“, sagte Ludwig.

„Das weiß ich“, erwiderte Philipp genervt. „Deshalb werde ich nachschauen.“

Ludwig hatte keine andere Wahl. Er musste einen der Dämonen rufen. Zuòbì, den Gedankenlenker …

„Ich werde nachschauen und dann sehen wer tot ist.“