Das Auge der Sahara - Eire Rautenberg - E-Book

Das Auge der Sahara E-Book

Eire Rautenberg

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Beschreibung

Ägypten, Mauretanien und das deutsche Dorf Seth sind die Schauplätze dieses mysteriösen und unterhaltsamen Romans. Unbeantwortete archäologische Fragen werden Sie ebenso faszinieren wie die zwei Liebespaare, um die sich die Geschichte dreht. Zwei Wissenschaftlerinnen machen gemeinsam mit der thelemitischen Hexe Knut an einer ägyptischen Ausgrabungsstätte eine unglaubliche Entdeckung und brechen schließlich nach Westen auf, um die im Wasser versunkene Zivilisation von Atlantis zu finden und den Mythos von Isis und Osiris zu entschlüsseln. Im Nordwesten Afrikas begleitet sie ein Tuareg vom blauen Volk. Es folgt eine Reise ins Auge der Sahara, die niemand vorhersehen kann. In der Wüste liegt die Urkultur der Menschheit unter dem Sand verborgen. Die Götter flüstern es!

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Seitenzahl: 240

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Eire Rautenberg

Das Auge der Sahara

Das Auge der Sahara

Roman

Eire Rautenberg

Impressum

Texte: © Copyright by Eire RautenbergCovergestaltung: © Copyright by Eire Rautenberg

Cover Vorderseite: Enrique Meseguer/darksouls1/woman-5551326.jpg by pixabayCover Rückseite: Geralt by pixabay/Papyrus-4750377.jpgKurmos Verlag Eire Rautenberg

Am Ufer 658239 Schwerte

[email protected]

Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin

ISBN: siehe Cover-RückseitePublished in Germany 2023

Dieses Buch, inklusive aller Texte und Bilder, ist geschützt durch Copyright.Die Texte aus diesem Buch dürfen nicht digitalisiert werden. Kopien auf PC’s oder CDs oder anderen Datenträgern sind untersagt. Die Texte und alle hier verwendeten Bilder dürfen nicht digital verwendet oder manipuliert oder in Auszügen veröffentlicht werden, mit Ausnahme der schriftlichen Genehmigung durch die Autorin. Alle Rechte vorbehalten.

Für die Frau, die ich auch hätte sein können

Protagonisten

Knut König

Barbara Blumberg

Heluise Harnischfeger

Utas, der Tuareg

Nebenfiguren

Omar und Tula

Chenani, Vater des Tuareg

Sakina, Mutter des Tuareg

Die Kinder Delou und Nils

Der Arzt

Die Haushälterin

Amenena

Inhalt

Knut • Der Indigomann

Baba • Die Scharlachrote Frau

Baba • Das Treffen der Dreckspatzen

Baba • Schrecken in der Königskammer

Knut • Die siegreiche Stadt

Knut • Wiedersehen im alten Winterpalast

Knut • Im Tempel der Liebesgöttin

Knut • Die Einweihung

Baba • Kryptische Glühlampen

Knut • Tagebuch des Königs

Baba • Schutzengel

Knut • Haus des Lebens

Baba • Tochter des Sonnenuntergangs

Knut • Im Gewölbe des Jenseits

Hel • Die Heilsbringerin

Baba • Königsgrab und Mondwasser

Hel • Schrift des verborgenen Raumes

Knut • Auf der Suche nach dem blauen Volk

Hel • Der Schleierträger

Baba • Los geht’s!

Baba • Vernichtung der Menschheit

Hel • Im Zentrum des Sturms

Baba • Alles hat seinen Preis!

Knut • Der Kastenhügel

Knut • Unterwelt

Baba • Die Stele der Offenbarung

Hel • Ein neues Leben

Knut • Die Federgrube

Baba • Sorgen und Kräutertee

Hel • In Atar

Baba • Herz des RA

Hel • Yallah! Yallah!

Hel • Alltag im Nomadenlager

Knut • Der Erbe des Orion

Utas • Der Cheikh

Baba • Seth

Hel • Mysteriöse Felszeichnungen

Knut • Amenena

Knut • Horus kommt!

Hel • Stein des ersten Wesens

Hel • Letzte Begegnungen

Amenena • Das Ende!?

Epilog

Bildnachweise in der Reihenfolge

Einzelwerke ohne Anthologien

Meine Zahl ist 11, wie die Zahl all jener, die zu uns gehören. Der Fünfzackige Stern mit einem Kreis in der Mitte & und der Kreis ist Rot. Für die Blinden ist meine Farbe Schwarz, aber das Blau & Gold werden von den Sehenden gesehen. Auch habe ich einen geheimen Glorienschein für die, die mich lieben.

I. Nuit, 60: Liber Al vel Legis

Der Indigomann

Eigentlich bin ich ein Zimmermann, also ein Stubenhocker oder Raumsitzer. Als freiheitsliebender Mensch reicht es mir, mit einer Frau zusammen zu wohnen, die ewig und drei Tage unterwegs ist, beruflich oder zu Freunden oder zum Shoppen von Sachen, die unnötig sind und unsere Wohnung allmählich zumüllen. Es ist immer enger geworden, in der Wohnung und in unseren Herzen, die keine tolerante Weite für den anderen mehr zulassen. Das war einmal anders, aber ich lebe in der Gegenwart. Und so geht sie meistens und ich bleibe, hocke mich entspannt mit Campari-O-Saft in die schöne Stube, um wertvollen Gedanken nachzuhängen. Das kann ich mir leisten, denn ich habe kürzlich den Job aufgegeben, weil ich soviel geerbt habe, dass die aneinandergereihten Scheinchen bis zum Mond reichen würden. Deshalb muss ich gut überlegen, wie ich die Papiere am besten für die Weltrettung und für meine eigene einsetzen kann.

Sie wollte immer ein Kind, aber das habe ich ihr vor fünf Jahren ausgeredet. Deswegen fasse ich es nicht, was gerade geschieht: Sie, deren Namen ich ab morgen vergessen werde, kommt rein und hält mir den bepissten Streifen vors Gesicht. Nun soll es vorbei sein mit meiner Freiheit. Nein! Notgedrungen packe ich die Koffer, nachdem sie heulend und frustriert über meinen fehlenden seelischen Schmerz verschwindet. Mit wehenden Fahnen und Haaren schmeißt sie mir ihren Mittelfinger entgegen, bekanntlich ein altes Abwehrzeichen für Dämonen. Ich lache nur dreckig hinter ihr her.

Ein paar Tage später fasse ich einen Entschluss: Mit dem Geld will ich mir für längere Zeit ein bequemes Leben in Ägypten ermöglichen. Zuerst schaue ich in Kairo vorbei. Untätig am Roten Meer zu sitzen, zu schnorcheln oder nach Weibern Ausschau zu halten, ist nicht mein Ding. Seit ich denken kann, verändere ich alle paar Jahre mein Leben, sonst würde ich mich zu Tode langweilen. Bereits diese letzte Beziehung hat mir die Luft zum Atmen genommen, denn die Ex wollte meine Freiheit einschränken, um die Kontrolle zu behalten. Da ist sie an den Falschen geraten. Faszinierende Landschaften vor dem Fenster wollen betrachtet, leere Stuben in neuen Ländern bewohnt werden. Mir sind Erinnerungen wichtiger als ein genussreiches Verweilen in immer gleichen Bildern. Goethe, mein adoptierter Geistesvater, pflegte zu sagen, dass jeder Genuss vergänglich sei, aber die Erinnerung daran bliebe. Besonders nach Reisen bleibt das der Fall. Meine Freunde, sofern sie mir noch die Treue halten, kennen meine innere Unruhe. Das Kopfschütteln über mich gehört zu ihren täglichen Körperübungen. Mein Kopfschütteln über sie könnte ich denen nie erklären, denn die Monotonie ihres Daseins finde ich unsagbar traurig und einfach dumm. Das Leben ist zu kurz dafür.

Ein Freund erklärt mir am Abend vor dem Abflug, wie das mit den ägyptischen Göttern ist und wie alles mit allem zusammenhängt. Da geht mir ein Licht auf, das möchte ich auf den Scheffel stellen. 13 Monate im Land der Pharaonen und Skorpione: das scheint mir die richtige Dauer für einen Aufenthalt. Oma sagte immer, 13 wäre eine Glückszahl für Hex und Heid. Nur die Geschichte über die Hinrichtung der Tempelritter durch die Katholiken hätte die Unglückszahl hervorgebracht, die seitdem als satanisch gilt, besonders Freitag, der 13.! Tragisch, was sich Christen seit über 2000 Jahren geleistet haben. Ich erwäge ernsthaft, zu dem ägyptischen Gott Osiris zu konvertieren, denn die Christen kopieren im Grunde seinen Totenkult. Wenn man sich die christliche Opferstory mit dem Wiederauferstandenen genau ansehen würde, wäre die Fluchtwelle groß und alle würden zu Osiris überlaufen, denn das ist die ältere Version der ergreifenden Geschichte. Auch die Story von Maria und Jesus ist nur ein Plagiat von Isis und Horus. Ich nehme das Original, nicht die Kopie. Same procedure as every Age!

Osiris hat einen bösen Bruder mit Namen Seth. Auch das hat mich beflügelt, mein Heil in Ägypten zu suchen. Denn ich wurde geboren im gleichnamigen Örtchen in Niedersachsen, im Dorf Seth. Das liegt irgendwo im Niemandsland. Dort gibt es die Straße Schwarzer Saal. Im Haus Nr. 11 erlitt Mutter eine schwere Hausgeburt mit dem Pfundskerl, der ich war. Abgespeckt habe ich erst in der Pubertät. Als kleiner Junge konnte ich kaum laufen, so dick waren meine Schenkel. Darum versank ich, fett und unbeweglich, fast im Sether Hochmoor. Doch zum endgültigen Blackout kam es nicht, weil ich mich geistesgegenwärtig an einer Pflanzenwurzel raushangeln konnte. Wahrscheinlich lenken die Götter meine Schritte, denn an Zufall glaube ich nicht! Ein bisschen stolz bin ich doch auf Seth, denn wenige werden hier geboren. Als der geografische Mittelpunkt des Nordens ist es besonders: Nomen est Omen. Deswegen scheint es der Gott Seth zu sein, der meine Füße nach Afrika lenkt. Oder eben Osiris, wenn ich zu den Guten gehöre. Das ist noch nicht endgültig entschieden! Wie ich die letzte Partnerin behandelt habe, gibt mir zu denken. Aber verarschen kann ich mich allein. Keine Ahnung, wie viele Männer jedes Jahr ihren fruchtbaren Weibern in diese ausgelegte Venusfalle tappen! Schnapp! Falle zu. Pure Naivität.

Einen Monat nach der Trennung sitze ich im Flieger und lese langweilige Prospekte. „Wollen Sie Ferien machen?“, fragt mich die hellblonde Zwanziger-Jahre-Frau auf dem Nebensitz. Ihre Augenbrauen sind für meinen Geschmack zu steil nach oben gezupft und der Mund mit der falschen Farbe geschminkt: knalllila. Ein roter Farbton hätte besser gepasst, auch zum Kleid. Aber vielleicht ist sie in der psychischen Menopause, denn körperlich kann sie nicht drin sein. In der psychischen Menopause gleichen manche Frauen abschreckenden Monstern oder Vampiren, die willensschwache Opfer für ihre unstillbare Blutsucht suchen. Abschätzend schaue ich sie an. Das rote Kleid, ihre glatten Haare und die sagenhafte Figur gefallen mir. „Nein, ich will bleiben und mir eine ägyptische Frau suchen.“ „Wieso das denn?“ „Weil ich Lust darauf habe!“ Spontan dreht sich die Frau von mir weg als hätte ich asoziale Tendenzen. Dumme Kuh! Genervt schnippe ich nach der Stewardess für Gin Tonic. Der wird mich aufhellen, denn neben so einer Schrulle zu sitzen, hat mir gerade noch gefehlt. So abgeneigt, wie ihre Körperhaltung ausdrückt, will die Frau wohl doch nicht bleiben. „Ich heiße Barbara Blumberg und komme aus dem Wendland“, flüstert sie wie eine Spionin, mit abgewandtem Gesicht, „aber alle Welt nennt mich nur Baba!“ „Ach ja?“ Ich verziehe das Gesicht. Der Name Baba erinnert mich an Babysprache. Das Wendland kenne ich nicht, glaube aber, dass da radikale Kernkraftgegner wohnen, die den deutschen Freistaat ausgerufen haben. Unhöflicherweise enthülle ich dem Nebenan-Weib nicht meinen Namen oder den Geburtsort. Das würde sicher Diskussionen auslösen, denn sie liest gerade ein Buch über ägyptische Religionsgeschichte, wie ich aus den Augenwinkeln bemerke. Endlich kommt der Gin Tonic. Als wäre Baba telepathisch begabt, kommt eine verblüffend gleichartige Frage aus ihrem Mund. „Sind Sie schon in der männlichen Menopause? Oder warum brauchen Sie zu früher Stunde einen Drink?“ Ich bin ziemlich konsterniert. Was geht die Schnepfe das an? „Ich trinke zu jeder Tages- und Nachtzeit. Übrigens, das nennt man Andropause“, belehre ich sie und grinse, „nein, ich bin noch nicht drin. Ich trinke gern Gin Tonic, wenn ich Frauen wie Sie treffe!“ Das sitzt. Nun schweigt die Dame endlich. Ich wühle wieder in den langweiligen Bordzeitschriften. Dann doch lieber ihr Gesülze zur Unterhaltung, denke ich und verlagere mein arschiges Schwergewicht in ihre Sitzrichtung. Sie schlägt empört das Buch zu. „Sie sind wie alle Männer“, beschwert sie sich nach der Körperwende, „nach meiner Erfahrung ist die Liebe eines Mannes nur die Anerkennung für das ihm bereitete sexuelle Vergnügen.“ „Da könnten Sie Recht haben“, antworte ich und neige mich ihr noch mehr zu, in absoluter Opferbereitschaft. Inzwischen finde ich die Dame beeindruckend. Aber möglicherweise ist der bessere Eindruck der Attraktivität geschuldet und nicht der geistigen Übereinstimmung.

Der Sinkflug beginnt, kurz darauf landen wir in Kairo. Beim Verlassen der Maschine trage ich als Gentleman Babas Handgepäck und mache der kessen Frau galant den Hof bzw. den Packesel. Sie lacht darüber mit perlenden Gurrlauten, wie die Tauben im Hof meiner Kindheit. „Das rote Kleid steht Ihnen ausgezeichnet“, versuche ich es mit profanen Schmeicheleien, „und die ausgefallenen Tattoos sind sehr attraktive Hingucker.“ Prompt gibt sie das Kompliment zurück, aber ausgewählter, individueller. „Mir gefallen ihre Augen. Eigentlich sind die blau und zu hell für Indigo, aber Blau mit Violett wirkt geheimnisvoller. Flunkern ist erlaubt. Da Sie mir den Vornamen nicht verraten wollen, nenne ich Sie einfach Indigomann. Einverstanden?“ „Tun Sie das. Mir ist es egal, wie mich jemand nennt.“ Sollte ich der entzückenden Bekannten nicht doch den Vornamen verraten? Das wäre ein Akt der emotionalen Zuwendung, zumal wir schon fast intim sind. „Ich heiße Knut“, sage ich rasch, „Knut König. Aber alle Welt sagt Knut zu mir.“ Ich grinse hämisch. Baba schreckt kurz zurück, eine Haaresbreite mehr Abstand bildet sich zwischen uns. Sie räuspert sich wie ein kleines Tier. „Krass! Knut nannte man früher den Tod. Ich weiß das, weil mein Opa ebenfalls Knut hieß. Komisch, dieser Zufall. Er sagte immer, der Tod sei ein Meister aus Deutschland.“ Ich bemerke eine winzige Einschüchterung bei meinem Gegenüber. „Deshalb nannten mich die Eltern so. Die beiden besaßen extremen Sinn für schwarzen Humor und haben mir den vererbt. Übrigens komme ich aus der Nähe von Hamburg“, flüstere ich an ihrem Hals, um den leckeren Duft des Parfüms einzuatmen. „Ein Traum, nicht wahr?“, gurrt Baba, „mein Lieblingsparfüm, Un Jardin sur le Nil von Hermes: ein Garten am Nil. Der erwartet mich auch praktisch, denn ich wohne in einem Hotel nahe am Fluss. Wer weiß, vielleicht sehen wir uns einmal wieder?“ Ich schwelge in Duftwolken, die mich einfangen. Dann verlieren sich unsere gemeinsamen Wege auf dem turbulenten Flughafengelände, denn Baba ist schneller verschwunden, als ich ihr hinterherlaufen kann.

Alle Anstrengungen, sie in Hotels mit Garten am Nil ausfindig zu machen, scheitern kläglich. So beginnen die ersten Tage in Kairo mit sinnlosen Suchen und depressiven Verstimmungen, die ich im Gastzimmer aussitze. Die Bibel, die ich im Nachtschrank finde, ist eine willkommene Ratgeberin. Ich mache Orakel aus Büchern so, dass mein Zeigefinger auf einen bestimmten Absatz fällt, den ich mir vorlese. Irgendwas dabei stimmt immer. Intuitiv öffne ich die Heilige Schrift und zeige auf die Offenbarung 17, 4-5:

Die Frau trug purpurne und scharlachrote Kleidung und Schmuck aus Gold und kostbaren Edelsteinen und Perlen. In ihrer Hand hielt sie einen goldenen Becher, der mit Abscheulichkeiten und dem Schmutz ihrer Unzucht gefüllt war. Ein geheimnisvoller Name stand auf ihrer Stirn geschrieben…

Es braucht 2 Wochen, bis ich die scharlachrote Frau vergessen kann. So habe ich sie genannt, wegen dem Orakel und dem bekannten Magier Aleister Crowley, der seine sexualmagischen Partnerinnen so nannte. Erst der Einzug in das langfristig gemietete Stubenhocker-Apartment, mitten in der brüllenden Stadt, dem Moloch Nordafrikas, mit Blick auf den sagenhaften Fluss, lässt meine schwarze Laune wieder sonniger werden. Kein Wunder bei dem ewigen Licht.

Die scharlachrote Frau

Es ist schwierig, sich psychisch als Totgeburt zu empfinden und trotzdem, wenn man es wissenschaftlich betrachtet, eine real existierende Lichtverdichtung zu sein. Oma sagte bei jeder Gelegenheit: „Kind, du bist hartgesotten wie ein Neunminutenei!“ Das meinte sie wohl, weil ich kleine, erdige Gruben aushob, im Garten des Hauses bei Bergen im Wendland. Leidenschaftlich begrub ich darin diejenigen Puppen, die ich nicht mehr leiden konnte, aufgrund ihres zickigen Verhaltens. Zicken konnte ich nicht leiden. Sie töten Nerven. Deshalb konnte ich mit vielen Mädchen wenig anfangen. Wegen meiner Schönheit waren sie neidisch…

Meine Mutter mochte ich auch nicht. Es gab jedoch Zwischenzeiten, in denen ich sie liebhatte. Aber sie sagte mir schon mit 4 Jahren: Wenn du nicht artig bist, sage ich den Leuten unten Bescheid. Das Mietshaus hatte 3 Etagen, und mit Unten meinte sie die Sargbauer, die in der Schreinerei nebenan jeden Tag die Holzkästen für die Toten zimmerten. Niemals wollte ich in so einem Kasten liegen. Morgens beim Frühstück hörte ich die schrillen Sägen, die den ganzen Tag meinen kleinen Ohren wehtaten. Kein Wunder, dass ich mich später für den Tod interessierte. Für Leichen. Mumien.

Mit 14 befasste ich mich folgerichtig mit untergegangenen Zivilisationen. Unterwelten zogen mich magisch an. Höhlen. Keller. Gruselige Räume. In Opas geräumigem Keller ging ich ungestört meinen dunklen Interessen nach. Dort sah ich seltsame, skurrile Dinge und bildete mir ein, es seien echte, archäologische Artefakte. Opa sprach oft von den Deutschrittern, die nach den Kreuzzügen im Heiligen Land als Belohnung für den tapferen Kampf große Ländereien in Ostpreußen erhielten. Unsere Familie gehörte auch dazu, wanderte jedoch später nach Südwesten aus. An seinem Todestag, als ich 16 war und er sich sterbenskrank von mir verabschiedete, erzählte er mir von bunten Tropenvögeln, die in seinem Zimmer in den letzten Tagen herumgeflogen wären. Es hörte sich paradiesisch an. Er nannte mich immer Dreckspatz, weil ich gern in der Erde herumwühlte. Das passt nicht zu meinem Äußeren, sagten die Eltern, denn eigentlich sollte ich nur hübsch und sauber aussehen. Die Leute sagten Ah und Oh, wenn sie mich auf der Straße trafen und lobten das Aussehen, als wenn das ein Leistungsverdienst ist. Ich selbst fand die anhimmelnde Schleimspur zum Kotzen, weil sie ein Klassensystem schafft, aufgrund dessen ich zufällig in der Oberliga spielen durfte. Andere Mädchen hatten nicht so viel Glück mit den Genen.

Meine Eltern drehten sich als anstrengendes Paar hauptsächlich um sich selbst. Als Kind war ich ein gewünschtes Anhängsel, wurde aber wenig beachtet oder befragt. Jedenfalls gaben sie mir wenig Anlass, ein geselliger Mensch zu werden. Obwohl hübsch, war ich auch extrem allein. Einzelgängerin. Klar, sie versorgten mich leiblich mit Essen und Trinken und waren freundlich und fürsorglich. Für das seelische und geistige Heil musste ich allerdings selbst sorgen.

Aus dem Dreckspatz ist eine Erwachsene geworden, keine schlicht gekleidete, sondern eine Granate in schrillen Farben: türkis, knallrot, gichtgrün oder zitronengelb. Tattoos auf der Haut sind mein schönster Schmuck. Männer denken deshalb eher an eine Verführerin als an eine ernsthafte Wissenschaftlerin. Pustekuchen! Sex interessiert mich weniger als eine gute Bettlektüre. Obwohl man mir den Sex ständig anbietet und sich die gute Lektüre selten findet. Bücher zum Thema Religion, Geschichte und Archäologie verschlinge ich mit dem Appetit einer Riesin. Tod und Grusel lässt mich erfreut lachen. Die morbiden Vorlieben sowie die akademischen Ausbildungen schüchtern die Freier um meine Gunst ein, so dass sie schnell das Interesse verlieren, mich für Heim, Herd und Kinder einzutüten. Letztlich suchen wohl die meisten intelligenten Männer eine dümmere Frau, die ihnen im Alltag den Rücken freihält für ihre eigenen, wichtigen Lebensaufgaben. Das sagen Studien zum Thema. Als Objekt der Begierde stelle ich mich für so ein Arrangement nicht zur Verfügung! Ist mir zu dumm und zu wenig.

Anstatt nach dem Abitur sofort ein Studium zu beginnen, gründe ich mit 21 eine Fachbuchhandlung in Lüchow. Man fühlt sich niemals allein in einem Buchladen. Das war der tiefere Grund für das Ausweichmanöver vor der eigentlichen Berufung, die ich damals noch nicht erkannte. Alleinsein ist ein Elixier der Zufriedenheit. Mit gebildeten Kunden und den klugen Geistern aller Buchzeiten kann ich die Welt aushalten. Denn ein Mensch zu sein ist ein Zustand, den man wahlweise nur durch Kunst oder in Narkose erträgt!

Dies ist also die geheimnisvolle Welt, in der ich leben will. Die einsame und harte Realität bleibt draußen, was mir einen gewissen Trost verschafft. Wahrscheinlich wäre ich ohne Lesen in der Klapsmühle gelandet. Eine gute Lektüre bringt Klarheit in die Birne. Bücher beruhigen Emotionen, zuweilen mit einer guten Tasse Tee dazu. Das will ich auch anderen ermöglichen. Im Buchladen Isis sollen gestresste Menschen eine Oase der Ruhe und Inspiration finden. Das Konzept kommt an. Für viele orientierungslose Menschen, die in den nächsten 7 Jahren den Laden betreten, bin ich ein ausgestreckter Zeigefinger, der in die 4 Himmelsrichtungen weist. Der gezeigten Richtung folgen sie gläubig, was sich meistens als richtig erweist. Auf dem eigenen Weg habe ich allerdings große Mühe und ein Brett vor dem Kopf, zumal ich fast immer bei den falschen Männern hängenbleibe, pathologisch psychisch Kranken. Das ist ein Kreuz, aber auch die Chance, letztlich ein Original zu werden. Nach 7 Jahren verkaufe ich die Isis für einen guten Preis und beginne ein Studium der klassischen Archäologie in Halle an der Saale.

Rund um den Fluss Saale mache ich den Frieden mit mir selbst. Der Beruf schenkt mir einen Mordsspaß und führt mich viele aufregende Jahre um den Planeten. Ich wühle wieder in der Erde, suche nach Leichen oder anderen Dingen. Das ist eben meine Welt. Männer interessieren mich nur als Randfiguren im allgemeinen Horror des Lebens. Obwohl sie mich umschwärmen wie die Motten das Licht. Sollte sich das eines Tages ändern, so würde es mich wundern. Im Alter. Möglicherweise lasse ich mich dann endlich mit Mister Right ein. Hoffentlich ist der Auserwählte geistig gesund, denn das merkt man nicht immer sofort, zumal, wenn der Kerl intelligent ist. Bis dahin gibt es genug Idioten, die mich nur ficken wollen. Mir soll’s recht sein.

In den letzten Jahren habe ich mich als Ägyptologin qualifiziert und werde jetzt in die Wüste geschickt, um den berühmten Hathor-Tempel in Dendera zu erforschen, dessen Hieroglyphen in unterirdischen Kammern teilweise nicht übersetzt werden können. Am 11. April 2028 buche ich den Flieger nach Kairo, um dort Kollegen und Kolleginnen zu treffen, von denen ich weiterführende Informationen erhalten werde. Wie konnte ich ahnen, dass neben mir dieser unverschämte König hocken würde? Nach ein paar charmanten, abwehrenden Schachzügen mache ich mich nach dem Auschecken aus dem Staub und erwische gerade noch ein Taxi ins Hotel. Glücklicherweise habe ich den Hotelnamen nicht verraten. Knut. Als Jenseitsengel sollte er mir eigentlich gefallen, aber ich habe Wichtigeres im Kopf. Erstmal schnaube ich mir den Dreck aus der Nase, nehme eine heiße Dusche und lausche auf den Straßenlärm. Das Fenster ist undicht. Der Hotelmanager meint, nein, wäre es nicht. Das wäre ein normales Fenster, wie überall. Man könne den Lärm von Kairo keinesfalls aussperren, jedenfalls nicht mitten in der Stadt. Wahrscheinlich hat er Recht. Wenigstens der Blick auf den Nil bietet mir Entspannung. Übermorgen, nach dem beruflichen Meeting, geht es weiter nach Luxor. Luxor. Schon der Name zerfließt auf der Zunge wie eine Designermarke. Inspiriert nehme ich den Roman von Agatha Christie aus dem Handgepäck und die altägyptische Religionsgeschichte. Mit den Papierfreunden verbringe ich einen unterhaltsamen Abend. Der König ist weit weg.

Das Treffen der Dreckspatzen

Von den Kolleginnen mag ich besonders eine Frau, die hat fast keine Haare auf dem Kopf. Ich traue mich nicht zu fragen warum, weil das ziemlich intim ist. Sie macht den Eindruck, als wenn persönliche Konversationen von ihrer Seite nicht gewünscht sind. Kein Problem für mich. Emotionen gehören zu Familienhäusern, lauschigen Gärten und betrunkenen Leuten. Sie heißt Heluise und hat Haare auf den Zähnen. Das mag ich, bin ich doch ähnlich gestrickt. „Frau Blumberg“, fängt sie an, „nun werden wir bald zusammenarbeiten. Ich freue mich, Sie hier zu treffen.“ „Barbara“, sage ich und schüttele kräftig ihre Hand, wobei sie merklich zusammenzuckt, „ich bin ein bisschen barbarisch, wie alle von unserem Fach!“ „Das merke ich. Aua, Hand!“, meint die fast Glatzköpfige und grinst mich an, als hätte sie Lachpulver im Kopf. Gute Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit. „Wenn wir demnächst gemeinsam die Gruften der Alten erforschen“, sage ich, „sollten wir uns duzen. Das macht man so in der Unterwelt…“ „Sie haben Humor, also ausnahmsweise“, erwidert Heluise, „wenn ich jemanden nicht kenne, ist es mir normalerweise unangenehm, ihn zu duzen. Das ist für mich eher eine freundschaftliche Angelegenheit.“ „Ach, findest du?“ „Ja“, sagt sie, „aber meinetwegen kannst du mich Heluise nennen. Obwohl Heluise als Name zu lang ist, wenn man es eilig hat. Viele nennen mich deshalb Hel, wie die germanische Unterweltsgöttin.“

Wir sitzen im Tagungsraum eines baufälligen Gebäudes, in angenehmer Nähe zum Gizeh-Plateau, nicht weit entfernt vom Grand Egyptian Museum, dem Palast für die Überreste der Pharaonen. Es ist schon ziemlich heiß zu dieser Jahreszeit. Ich trage ein ärmelloses, zitronengelbes Shirt, braune Shorts und feste Lederschuhe. Hel hat sich ein kurzes Hängerchen übergeworfen. Schweißperlen rinnen von ihrem glatten Kopf, die sie verlegen abwischt. „Hast du auch einen kurzen Rufnamen?“ „Ja. Baba“, erwidere ich, „Freunde nennen mich nur Baba. „Hm, klingt niedlich.“ „Liebe Hel, ich sehe vielleicht niedlich aus, aber ich bin es nicht!“ „Verstanden, Baba“, sagt sie erstaunt. Seufzend schaut sie nach draußen. „Wäre die weiße Verkleidung der Pyramiden noch vorhanden, so würden wir hier, mit der Sicht von nur 2 Kilometern auf die Bauwerke, einen Lichttod durch die starke Reflektion sterben.“ Schwitzend warten wir auf die Herren Kollegen.

3 maßgeschneiderte Koryphäen des Fachs betreten den Raum und nicken uns zu. Irgendwie sehen sie wie Beamte aus, aber nicht wie Entdecker und Ausgräber. Adrett gekleidet, strammer Schritt, gut gekämmte Haare. Bleiche Gesichter, von der Sonne verschont. Den Winter haben die XY-Menschen sicher mit der Nase in dicken Wälzern verbracht. Einer hat Heluises letzten Satz aufgeschnappt, denn er bemerkt arrogant: „Verkleidung? Das interessiert die Damen?“ Ich schaue ihn abschätzend an. „Guten Tag! Ich heiße Barbara Blumberg. Und Ja! Aus den alten Texten, die heute im British Museum liegen, geht hervor, dass die 3 Pyramiden von Gizeh damals mit Mar-Mar, großen Platten aus weißem Tura-Kalkstein verkleidet waren. Der Kalkstein ließ die Bauwerke über eine große Distanz leuchten.“ „Ich weiß natürlich, was Sie meinen, bin bestens informiert“, versucht der Kollege abzuwehren, „aber ist denn das so wichtig?“ „Ja, ist es“, wage ich zu sagen, „die Verkleidung wird in einigen Schriften aus dem Altertum erwähnt.“ Mein Aggressionspegel steigt. „Bei Herodot kann man lesen, dass auf den Pyramiden völlig unbekannte und für ihn unleserliche Texte standen, von Völkern und Menschen, deren Namen und Existenz lange vergessen sind. Auch Cäsar erwähnt die Texte. Unglücklicherweise sind die Textplatten verschwunden. Die nachfolgenden Ägypter haben diese wohl als Baumaterial verwendet. Und König Saladin benutzte die Pyramiden im 12. Jahrhundert als muslimischen Steinbruch. Leider sind dadurch wertvolle Informationen verlorengegangen.“ „Unsinn. Antike Quellen. Herodot. Cäsar. Überlieferungen.“ Der Kollege ist genervt. „Ich dachte, wir forschen ernsthaft und hängen keinen fantastischen Mythen nach“, blafft er. „Bitte, Herr Kollege“, beschwere ich mich, „die antiken Geschichtsschreiber sind genauso ernst zu nehmen wie die heutigen Journalisten. Sie waren antike Journalisten. Deshalb sollten wir ihnen ebenso unsere Aufmerksamkeit schenken wie den modernen Schreibern!“ Heluise räuspert sich, mischt sich ein. „Vielleicht war die ägyptische Zivilisation höher entwickelt, als es der Schulverstand zulassen will?“ Kritisch tippt sie an ihre Schläfe. „Bei der Sphinx vermute ich ein deutlich höheres Alter. Ruti, derLöwe oder Hul, derEwige, wie ihn die Pharaonen nannten, ist nicht leicht zu analysieren. Wie sie wissen, Herr Kollege, war das Gesicht ursprünglich mit rotem Lack leuchtend angemalt. Durch eine Öffnung im Kopf sollen die Priester zum Volk gesprochen haben, wie Johannes Helffrich schon 1579 erwähnte.“ Der Mann schmunzelt überheblich. „Wie soll das denn möglich gewesen sein?“ „Indem die Priester vom weiter entfernt liegenden Eingang in das Bauwerk eindrangen“, antwortet Heluise. „Das sind unwissenschaftliche Spekulationen!“, ruft der wütende Kollege. Ich setze noch einen drauf, während er seine Nase schnäuzt. „Ich habe noch eine Provokation für Sie: Im Sethos-Tempel von Abydos deuten die Hinweise in der ersten Säulenhalle auf eine fortschrittliche, uralte Technik. Betrachten Sie dort einmal den Panzer, den obskuren Helikopter und das U-Boot zwischen den Hieroglyphen. Entstanden durch überlappende andere Hieroglyphen, wie es einige Kollegen behaupten? Lächerlich! Das sind Unikate, die sich an keiner anderen Stelle des Tempels wiederholen. Diese Zeichen sind nicht wegzuwischen! Allerdings will auch die ägyptische Regierung von solchen Theorien nichts wissen. Entdeckungen, die im Widerspruch zum Koran stehen, werden oft ignoriert oder unterdrückt. Und Sie sind auch nicht besser. Hauptsache, konforme Gelehrtenmeinungen und bloß keine Widersprüche!“ Nun bin ich sauer. Hel schaut mich an, als wenn sie sagen wollte: Niedlich bist du wirklich nicht! Das Thema wird zu heiß. Der Besserwisser schüttelt verstört den Kopf. „Verehrte Kolleginnen“, versucht er uns zu besänftigen, „lassen Sie uns bitte zum eigentlichen Thema der Tagungen kommen: den erforderlichen Forschungen sowie den anstehenden Ausgrabungen!“ Endlich schließt er die Klappe und setzt sich weiter entfernt auf einen Stuhl. Die anderen Kollegen haben sich nicht sonderlich um uns geschert, und so nimmt die Besprechung wie vorgesehen ihren professionellen Lauf.

Als ich am Abend das Hotel betrete, schwirrt mir der Kopf aufgrund der Arbeitsaufgaben, die ab übermorgen auf mich warten. Heluise ist für ein Team in Abydos eingeteilt, was sie aufgrund ihrer Interessenlage besonders freut. Nach einer detaillierten Sichtung in Dendera werde ich zu ihrem Team stoßen, um bei den Grabungen mitzuhelfen. Als Grabungsleiterin werde ich sie akzeptieren können, soviel steht fest. Mein Kopfdruck ist nur mit Tabletten zu beseitigen. Ich hasse Tabletten, aber manchmal helfen die. Die Hitze des Tages lässt langsam nach. Morgen, ganz in der Frühe, am letzten Tag in Kairo, will ich die Große Pyramide betreten. Der berühmte Ohne-Deckel-Sarkophag in der Königskammer gibt noch Rätsel auf. Er enthielt nicht den Leichnam des Cheops, wie man erwartete. Bisher wurde die Mumie nicht gefunden. Vielleicht diente der Rosengranitkasten nur als Liegestatt für den Tempelschlaf spiritueller Adepten, für Einweihungen auf der Schwelle von Leben und Tod. Einige Wissenschaftler stimmen mir zu. Aber das Gros der Kollegen lehnt die Theorie ab. Ich möchte meinen Ideen nachspüren, denn eine gute Intuition ist wissenschaftlich nicht zu verachten.

Schrecken in der Königskammer

Durch den Räuber-Eingang betrete ich das Bauwerk auf dem Gizeh-Plateau und komme zur Galerie, deren ansteigende Höhe ich sportlich bewältige. Im Eingang zur Königskammer muss ich mich tief bücken, um ihn zu durchschreiten. Dann bin ich drin in der rosenfarbigen Granitkammer des Pharaos Cheops. Allein, ohne Touristen, die bald hineinströmen und sich wie Heuschrecken in den zugelassenen Gängen und Kammern verbreiten werden, mit verwirrten oder ehrfürchtigen Gedanken und Gefühlen angesichts der Heiligkeit des Ortes. Da stehe ich nun im schwarzen langen Kleid, schlicht und ärmellos und starre auf den leeren Sarkophag ohne Deckel. Was wäre, wenn ich mich hineinlegen würde? Nur für eine Minute? Kaum habe ich den Gedanken im Kopf, setze ich ihn in die Tat um. Blitzschnell hüpfe ich in den Granitbehälter. Haben die Aspiranten auf das Priesteramt in der Kammer 3 Nächte allein verbracht? Was erlebten sie? Ich lege mich für eine himmlische Reise auf den Rücken. Unwillkürlich hebe ich die Arme über den Kopf nach hinten, das ist die bequemste Haltung in dem Kasten, wegen dem seitlichen Platzmangel. Dort hinten spüre ich einen wohltuenden Kontakt mit dem Stein und lege die Handflächen, nach unten gesenkt, an der Kopfwand ab. Die Haltung kommt mir natürlich vor, doch als ich mich später daran erinnere, finde ich sie seltsam. Gedankenlos meditiere ich eine Weile. Es sind 10 Minuten vergangen, als ein Tourist gebückt die Kammer betritt. Ich brauche einen Moment, um die Meditation zu beenden.