Das Auge des Fotografen - Leann Porter - E-Book

Das Auge des Fotografen E-Book

Leann Porter

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Beschreibung

Im Grunde möchte Val nur seinen Schwarm, den Fotografen Antonio, ins Bett bekommen. Doch innerhalb kürzester Zeit wird ihm klar, dass er für den kühlen, distanzierten Mann viel mehr empfindet. Nach einem leidenschaftlichen Wochenende eskaliert die Situation zwischen ihnen allerdings: Der Grund scheint Antonios Familie zu sein und deren seltsamer Auftrag. Warum laufen die Mitglieder der Calderones mit Schwertern bewaffnet durch die Gegend? Und was hat es mit dem Fotoapparat auf sich, den Antonio nicht aus der Hand geben will?

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Leann Porter

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2015

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Sylvia Ludwig

http:/www.cover-fuer-dich.de

Bildrechte:

© cynoclub – shutterstock.com

© panigale – shutterstock.com

© rangizzz – shutterstock.com

© Nejron Photo – shutterstock.com

© Ersler Dmitry – shutterstock.com

© Ralf Gosch – fotolia.com

1. Auflage

ISBN 978-3-945934-14-2

ISBN 978-3-945934-15-9 (epub)

Klappentext

Im Grunde möchte Val nur seinen Schwarm, den Fotografen Antonio, ins Bett bekommen. Doch innerhalb kürzester Zeit wird ihm klar, dass er für den kühlen, distanzierten Mann viel mehr empfindet. Nach einem leidenschaftlichen Wochenende eskaliert die Situation zwischen ihnen allerdings: Der Grund scheint Antonios Familie zu sein und deren seltsamer Auftrag. Warum laufen die Mitglieder der Calderones mit Schwertern bewaffnet durch die Gegend? Und was hat es mit dem Fotoapparat auf sich, den Antonio nicht aus der Hand geben will?

Kapitel 1

Val legte sich in die Kurve und ignorierte das Hupkonzert, das wie gewohnt den Soundtrack zu seiner halsbrecherischen Fahrt lieferte. In einem gewagten Slalom umkurvte er störende Fußgänger und entging um Haaresbreite dem Zusammenstoß mit zwei Inlineskatern. Er hätte doch die Trillerpfeife benutzen sollen. Ihr durchdringendes Schrillen ließ solche Störenfriede panisch ausweichen, leider nicht immer in die passende Richtung. Ohne auf die rote Ampel zu achten, trat Val fester in die Pedale, tief über den Lenker gebeugt. Er würde es niemals rechtzeitig schaffen, also könnte er theoretisch langsamer fahren. Ob er zehn oder fünfzehn Minuten zu spät kam, war auch schon egal. Trotzdem raste er weiter, missachtete jede Verkehrsregel und lachte über die empörten Aufschreie und Flüche, die seinen Weg begleiteten.

Es gab einen Grund, warum er so schnell fuhr: Spaß! Er liebte die Geschwindigkeit und es verschaffte ihm einen Kick, wenn er in rasantem Tempo durch den Straßenverkehr flitzte. Nur mit einem reaktionsschnellen Ausweichmanöver konnte er sich vor der Kollision mit einer unvermittelt vor ihm auffliegenden Autotür retten. Diesmal war er es, der fluchte. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Der Adrenalinschub ließ seine Knie noch zittern, als er vor der Pizzeria bremste und sich vom Rad schwang. Mit geübtem Griff packte er das gute Stück und trug es die schmale Treppe hinunter in den Keller. So viel Zeit musste sein. Er würde das Schätzchen niemals an der Straße stehen lassen. Das Fahrrad war sein kostbarster Besitz. Er brauchte es, um den Job als Fahrradkurier ausüben zu können. Das war eine Arbeit nach seinem Geschmack: wild und rasant. Leider brachte sie nicht genug Kohle ein.

Nachdem das Rad sicher im Keller verstaut war, ging Val durch den Flur und sprang die Treppe hinauf. Vielleicht konnte er unbemerkt in die Küche schleichen. Diese vage Hoffnung zerschlug sich sogleich, als er die Räumlichkeiten der Pizzeria betrat. Mario stand mit in die Hüften gestemmten Fäusten da und musterte ihn grimmig. Hatte der ihm etwa aufgelauert?

„Hallo!“ Val lächelte unschuldig und machte sich auf das bevorstehende Donnerwetter gefasst.

„Kommst du auch noch mal?“, fuhr der beleibte Mann ihn an. Dass Mario, Koch aus Leidenschaft, den Köstlichkeiten der italienischen Küche nicht abgeneigt war, konnte niemand übersehen.

„Sorry, ich habe im Stau gesteckt.“ Die freche Ausrede entlockte Mario ein ungläubiges Schnauben.

„Antonio müsste gleich mit der Weinlieferung da sein. Bring die Kisten in den Keller. Und wehe, es geht was zu Bruch. Das ziehe ich dir vom Lohn ab.“

„Alles klar, Chef.“ Val verkniff sich ein Grinsen. Die Aussicht, statt in der heißen Küche mit dem zugegeben auch heißen Antonio Weinflaschen zu schleppen, verbesserte seine Laune erheblich. Wie aufs Stichwort flog die Hintertür auf. Antonio, Marios Bruder und nach Vals Meinung „Sexiest Man Alive“ schaute in den Flur.

„Der Wein ist da!“ Er drehte sich sofort wieder um und ermöglichte Val damit perfekte Sicht auf seinen knackigen Hintern in engen Jeans. Nur zu gerne folgte Val ihm auf den Hof, auf dem der Lieferwagen parkte. Antonio öffnete die Heckklappe, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, was Val natürlich nicht auf sich sitzen lassen konnte.

„Hey, Tony“, sagte er leise und stellte sich so dicht neben ihn, dass sich ihre Hüften streiften. „Hast du mich vermisst?“

Antonio verdrehte genervt die Augen. „Ungefähr so wie Zahnschmerzen. Hier ...“ Er hob einen Pappkarton mit Flaschen aus dem Wagen und drückte ihn Val auffordernd vor die Brust. „Ab in den Keller damit, und zwar zügig, ich hab nicht den ganzen Abend Zeit.“ Enttäuscht packte Val den Karton und machte sich auf den Weg in den Weinkeller. Antonio schien eine Scheißlaune zu haben. Schade. Aber so leicht gab er nicht auf.

Die Schlepperei nahm kein Ende. Val vermutete, dass der Lieferwagen ein magisches Gefährt war, das immer neue Kisten produzieren konnte. Das einzig Erfreuliche an der Schufterei stellten die kurzen Begegnungen mit Antonio auf der schmalen Treppe dar. Val drängte sich extra dicht an ihm vorbei, was ihm jedes Mal einen wütenden Blick von Antonio einbrachte. Immerhin besser, als ignoriert zu werden.

„Das war die Letzte“, teilte Antonio ihm lapidar mit und stellte einen weiteren Karton auf den mittlerweile bedenklich hohen Stapel.

Val seufzte übertrieben. „Ich dachte schon, du würdest das niemals sagen.“

Um Antonios Mundwinkel zuckte es leicht. War das ein Grinsen oder hatte er den cholerischen Sizilianer etwa wieder einmal verärgert? Val machte es Spaß, Antonio zur Weißglut zu treiben. Er mochte es, wenn seine Augen zornig aufblitzten. Wundervolle, dunkelblaue Augen.

„Sollen wir die Flaschen noch in die Weinregale räumen?“, fragte er hilfsbereit. Alles war besser, als in der stickigen Küche die Spülmaschine, ein riesiges Ungeheuer, zu bestücken. In Vals persönlicher Vorstellung von der Hölle mussten die armen Sünder bis zum Jüngsten Tag verdrecktes Geschirr in den unersättlichen Schlund dieser Monstermaschine werfen. Wie viel schöner wäre es, in der prickelnden Gesellschaft von Antonio ganz gemütlich Weinflaschen einzusortieren! Die dämmrige Intimität des mit Weinaroma geschwängerten Kellers sagte Val wesentlich mehr zu als die Küchenhölle. Als hätte Antonio seine Gedanken erraten, zog er eine Augenbraue hoch.

„Wirst du denn nicht oben gebraucht?“

„Mario hat gesagt, ich soll dir hier helfen“, behauptete Val. Nun ja, als echte Lüge konnte man das kaum bezeichnen. Höchstens als eigenwillige Interpretation. Antonio öffnete einen der Kartons, ohne sich weiter um ihn zu kümmern, und er atmete auf. Geschafft. Schweigend nahmen sie die Weinflaschen aus der Verpackung, um sie in die passenden Regale einzusortieren. Val machte das nicht das erste Mal. Sie arbeiteten zügig, sodass der Kartonstapel dahinschmolz wie Schnee in der Sonne. So sehr Val schon die bloße Nähe von Antonio genoss, reichte ihm das keine Spur. Er war nicht der Typ für subtile Annäherungsversuche. Antonio schob zwei Flaschen in das Rotweinregal und wollte zurück zu den Kartons gehen, doch Val stellte sich ihm in den Weg. Provozierend sah er ihm in die Augen. „Hast du abgeschlossen oben?“

Antonio sah ihn verständnislos an. Als Vals Finger geschickt den Knopf seiner Jeans öffneten, weiteten seine Augen sich in plötzlichem Begreifen. Er packte Vals Handgelenke und hinderte ihn sanft aber bestimmt daran, den Reißverschluss herunterzuziehen.

„Ich hab keine Zeit“, sagte er rau. Das hörte sich auf jeden Fall ermutigender an als „Ich hab keine Lust“. Val machte nicht den Versuch, sich zu befreien, sondern schenkte Antonio ein laszives Lächeln.

„Und wenn wir schnell machen?“

Diesmal kräuselte eindeutig ein Grinsen Antonios Mundwinkel. Er ließ Vals Handgelenke los, trat jedoch einen Schritt zurück.

„Ab mit dir in die Küche!“

„Hast du Schiss, dass dein Bruder uns erwischt?“ Provozierend streckte Val wieder die Hand aus. Bevor er den Reißverschluss zu packen bekam, packte Antonio stattdessen ihn und drängte ihn hart an die Wand.

„Treib es nicht zu weit“, raunte er. Val erschauerte lustvoll. Jetzt hatte er ihn. Er wehrte sich spielerisch, als Antonio seine Handgelenke an den rauen Putz der Kellerwand drückte, und schob gleichzeitig die Hüften vor.

„Lass mich los“, knurrte er mit gespielt finsterem Blick. Sie wussten beide, dass er genau das Gegenteil meinte. Antonio stand so dicht vor ihm, dass Val die glühende Hitze spürte, die sein Körper ausstrahlte. Vals Unterleib zog sich sehnsüchtig zusammen. Antonio neigte den Kopf und grub die Zähne leicht in seinen Hals. Val stöhnte auf.

„Tony ..“ Mit geschlossenen Augen warf er den Kopf zurück, lehnte ihn an die kühle Wand hinter sich. Antonio gab seine Handgelenke frei, drückte sich aber gegen ihn, sodass er sich nicht rühren konnte. Wollte er auch gar nicht. Antonios Hände strichen an seinen Oberarmen entlang, bewegten sich seitlich an den Rippen nach unten und umfassten endlich seinen Hintern. Er unterdrückte ein lustvolles Aufjaulen. Antonios dunkle Locken kitzelten ihn am Kinn. Seine Lippen tasteten samtweich über seine Kehle. Zitternd vergrub er die Finger in Antonios Haar und drängte sich an ihn. Was hatte der Mann nur an sich, dass schon eine flüchtige Berührung von ihm ihn bis aufs Äußerste erregte? Gierig sog er die Luft durch die Nase und atmete Antonios männlichen Duft ein. Die herbe Frische eines Deos oder Rasierwassers vermischte sich mit der leichten Moschusnote seines Schweißes zu einem unwiderstehlichen Aphrodisiakum. Val war süchtig nach diesem Duft.

Wie von selbst glitten seine suchenden Finger tiefer und fanden den Reißverschluss von Antonios Hose. Diesmal hielt Antonio ihn nicht auf. Der Knall einer zuschlagenden Tür ließ sie beide zusammenzucken.

„Verdammt“, zischte Antonio und trat zwei Schritte zurück. Val blinzelte ihn benommen an. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein! Hätte sich nicht sämtliches Blut in seiner fast schmerzhaft pochenden Erregung gesammelt, wäre er bestimmt rot angelaufen. Mario kam pfeifend die Kellertreppe hinunter. Nicht auszudenken, wenn ihm die grandiose Idee, den Weinkeller aufzusuchen, ein paar Minuten später durch den Kopf geschossen wäre. Vals einziger Trost bestand darin, dass Antonio so frustriert aussah, wie er selbst sich fühlte. Mario schrieb das schwere Atmen und die zerzausten Haare seiner Helfer offenbar der anstrengenden Tätigkeit des Weinschleppens zu, denn er bedankte sich so überschwänglich wie arglos für die schnelle Erledigung. Antonio murmelte eine nichtssagende Antwort und verließ fluchtartig den Keller. Val sah ihm enttäuscht nach.

Zwei Stufen auf einmal nehmend stürmte Val die Treppen zu der Wohnung hoch, die er mit drei Mitbewohnern teilte. Aus der anfänglichen Zweck-WG war bereits nach wenigen Wochen des chaotischen Zusammenlebens eine eingeschworene Gemeinschaft geworden. Jetzt, ein knappes Jahr später, verband die auf den ersten Blick völlig unterschiedlichen Studenten enge Freundschaft. Die geräumige Altbauwohnung bot genug Platz, sodass jeder von ihnen ein eigenes Zimmer bewohnte und sie außerdem ein weiteres Zimmer als Gemeinschaftsraum nutzen konnten. Die Tür dieses Raumes war angelehnt. Der auf den Flur fallende Lichtschein verriet Val, dass noch jemand wach war. Oder dort auf dem Sofa schlief und vergessen hatte, das Licht auszumachen. Wie zum Beispiel Flo, der sich auf der großen Couch zusammengerollt hatte. Er schnarchte leise. Ein Buch war ihm aus der schlaff nach unten hängenden Hand geglitten und lag auf dem Teppich. Val lächelte. Er beugte sich über ihn und berührte sanft seine Schulter.

„Hey, Schlafmütze“, flüsterte er. Flo regte sich, öffnete die Augen halb und murmelte: „Nur noch fünf Minuten.“

Vals Lachen weckte ihn vollends auf. Er fuhr hoch und blickte mit verwirrter Miene um sich.

„Ach Mist, ich bin eingepennt“, stellte er überflüssigerweise fest. Val hob die Plastiktüte an, die er in der Hand hielt.

„Hast du Hunger?“

Wie üblich hatte Mario es sich nicht nehmen lassen, ihm etwas zu Essen mitzugeben. In den Aluschalen befanden sich Lasagne und Tortellini in Käse-Sahne-Soße. Genau das Richtige für einen Abendsnack.

Flo blinzelte verschlafen. „Nee, danke.“

Val brachte ihm trotzdem eine Gabel aus der Küche mit. Er platzierte die Schalen auf den Wohnzimmertisch und öffnete eine.

„Hmmm, das duftet toll. Willst du nicht doch was?“

Genüsslich schob Val sich eine Gabel voll Tortellini in den Mund. Flo schmunzelte.

„Ich verstehe nicht, wie du so dünn bleiben kannst bei der ganzen Fresserei.“

„Fresserei? Das verbitte ich mir. Ich genieße ein köstliches Mahl.“ Und das hatte er sich auch verdient. Immerhin war er den halben Tag als Kurierfahrer unterwegs gewesen, hatte stundenlang in der Küche der Pizzeria geschuftet. Und vor allem anderen brauchte er dringend Trost nach dem Flop im Weinkeller. Wenn er schon Antonio nicht vernaschen durfte, wollte er wenigstens der Ersatzbefriedigung Essen frönen.

„Mario ist ein Arsch, aber kochen kann er“, verkündete er mit vollem Mund. Flo grinste.

„Das ist aber nicht der Grund, warum du immer noch da jobbst.“

„Nee. Der Grund ist, dass ich Kohle brauche, um meine Schulden zu bezahlen.“

Flo grinste breiter. „Wer’s glaubt. Der wahre Grund fängt mit A an.“

„A wie Arschloch?“

Val schob Flo auffordernd die andere Aluschale rüber. Nach einem verzweifelten Blick an die Decke, als würde dort sein Gewicht eingeblendet, griff Flo zur Gabel.

„Hmmm, toll. Gib den Job bloß nicht auf.“

Val lachte. „Das kann ich mir gar nicht leisten, selbst wenn ich wollte.“

Flo wurde schlagartig ernst und warf ihm einen besorgten Seitenblick zu.

„Sind die Typen immer noch hinter dir her?“

Val zögerte, Flo von seinen Geldproblemen vorzujammern, aber er war sein bester Freund. Er würde nicht locker lassen, bis er alles erfahren hätte. So unangenehm es Val auch war, Flo mit dieser Schuldensache zu belasten, so sehr sehnte er sich danach, sein Herz auszuschütten und die Sorgen mit ihm zu teilen.

„Ja, sind sie. Die hängen mir echt auf der Pelle. Ich soll bis übermorgen eine Rate zahlen und habe nicht einmal annähernd so viel.“

„Wenn die dich wieder bedroht haben, solltest du ...“

Val unterbrach Flo. „Ich kann nicht zur Polizei gehen. Das hat keinen Sinn. Die Typen haben noch nichts gemacht und würden alles abstreiten. Und dann sitze ich erst richtig in der Scheiße.“

Flo stocherte in der Lasagne herum. „Wie viel brauchst du?“

Val verzog das Gesicht. So tief sinken, dass er Flo anpumpen würde, wollte er wirklich nicht.

„Ich könnte dir 300 Euro geben“, sagte Flo zaghaft. Val war so gerührt, dass ihm das Lachen im Hals stecken blieb.

„Das ist lieb von dir“, sagte er mit belegter Stimme. Er wusste, dass Flo selbst kaum Kohle hatte. Die 300 Euro machten vermutlich sein gesamtes Vermögen aus.

„Aber das reicht nicht mal annähernd.“

Flo seufzte. „Du könntest sie damit vielleicht für ein paar Tage ruhigstellen. Valerius, ich mache mir Sorgen. Mit diesen Kerlen ist nicht zu spaßen.“

Wenn Flo Vals vollen Namen benutzte, wurde es ernst. Val rang sich ein Grinsen ab.

„Ach komm. Ich habe doch mein Bike. Die können mich gar nicht einholen. Wie läuft’s denn eigentlich mit deinem Schwarm?“

Flo lief rot an. Niedlich.

„Das ist nicht mein Schwarm! Du willst nur das Thema wechseln. Netter Versuch.“

„Nicht dein Schwarm? Aber du schwärmst doch ständig von dem Typen. Wie heißt er gleich ...“

Val wusste genau, wie der Kerl hieß, dem Flo schon seit Wochen hinterher schmachtete. Er wollte ihn ein wenig aufziehen und von der blöden Sache mit den Schulden ablenken, sowohl Flo als auch sich selbst. Flo spielte mit der Gabel herum.

„Kai.“

Er zögerte. Val wartete ab. Er kannte Flo mittlerweile gut genug, um zu wissen, wann er ihn nicht drängen durfte.

„Wir sehen uns nächste Woche bei einem Shooting. Eine Werbesache.“

Flo versuchte, lässig zu klingen. Das törichte Grinsen in seinem Gesicht sprach allerdings Bände. Bis über beide Ohren verknallt, diagnostizierte Val halb amüsiert, halb besorgt. Flo hatte in letzter Zeit kein Glück mit Männern gehabt. Und Val fürchtete, dass auch Kai ihm das Herz brechen würde. Er verspürte nicht übel Lust, dem Typen bei Gelegenheit ein wenig auf den Zahn zu fühlen und damit seiner Maxime untreu zu werden, sich niemals in anderer Leute Liebesleben einzumischen. Er kriegte ja nicht einmal sein eigenes auf die Reihe. Na ja, auf Liebesleben konnte er verzichten, eine knackige Sexaffäre mit Antonio sollte reichen.

Kapitel 2

Nach einer stressigen Schicht im Ristorante trug Val das Fahrrad die Treppe hinauf. Seine Beine waren bleischwer und er konnte die Augen kaum noch aufhalten. Der Gestank abgestandenen Zigarettenrauchs biss ihm in die Nase und er verzog angewidert das Gesicht. Die Raucher verließen zwar das Lokal, um ihre Sucht zu befriedigen, warfen die Kippen aber einfach auf den Boden. Es half nichts, dass Mario eigens zwei große Standaschenbecher aufgestellt hatte. Durch den Nebel der Erschöpfung registrierte Val, dass der Rauchmief viel zu penetrant war, um von den Kippen zu kommen. Statt sich wachsam umzusehen, schlurfte er geradewegs los, schob das Fahrrad zur Straße und wollte aufsteigen. Im nächsten Moment packte ihn jemand von hinten. Ein muskulöser Arm legte sich um seinen Hals. Das Rad fiel krachend zu Boden. Mist, die Gangschaltung hatte er gestern erst nachgestellt.

Sie waren zu viert und alle mindestens einen Kopf größer als er. Soviel erkannte er zumindest in der Sekunde, die sie brauchten, um ihn Richtung Hauswand zu drängen. Sie verdrehten ihm die Arme schmerzhaft auf den Rücken und stießen ihn gegen das Mauerwerk. Geistesgegenwärtig drehte er den Kopf zur Seite. Das bewahrte ihn vermutlich vor einer gebrochenen Nase. Dafür schrammte seine Wange über die Ziegel. Er schielte nach links, genau in die feiste Visage eines seiner Peiniger.

„Hast du die Kohle?“

Fauliger, nach Bier und Asche stinkender Atem schlug ihm ins Gesicht. Ihm wurde übel.

„Ich habe hundert Euro. Den Rest besorge ich bis nächste Woche.“ Lautes Lachen ertönte.

„Ach nee, wie oft haben wir das denn schon gehört? Der Boss hat keinen Bock mehr auf deine Ausreden.“

Zwei der Typen hielten Val fest, die anderen durchsuchten ihn grob. Sie fanden zwei Euromünzen in der Tasche seiner Jeans.

„Wo hast du denn die hundert Euro?“

„Zuhause. Lasst mich los, dann hole ich sie.“

Feistvisage packte Vals Haare und drückte ihn zurück gegen die Wand. „Du hast uns lange genug verarscht!“

Vals Lippen wurden schmerzhaft zwischen Mauer und Zähnen eingeklemmt. Er wollte ihnen sagen, dass es nichts bringen würde, ihn zusammenzuschlagen, oder was auch immer sie planten. Dann würden sie das Geld erst recht nicht kriegen. Aber er brachte nur unverständliche, gequetschte Laute zustande.

Wo zur Hölle steckte Mario? Er saß sicher im Büro und machte die Abrechnung. Da bekam er keinen Deut mit, was vor dem Ristorante passierte. Zu dieser späten Stunde war die Straße wie ausgestorben. Val war auf sich allein gestellt. Allein gegen vier Schlägertypen. Das sah verdammt schlecht für ihn aus. Furcht verwandelte seinen Magen in einen eisigen Klumpen.

Der Kerl drückte ihn weiterhin hart an die Wand und diskutierte mit seinen Kumpanen, ob sie ihn an Ort und Stelle fertigmachen oder ihn besser vorher runter zum Fluss schleppen sollten, wo sie garantiert niemand sehen würde. Der Aufschub rettete ihn. Ein lauter werdender Automotor klang ihm wie Musik in den Ohren.

„Scheiße“, fluchte einer der Schlägertypen. „Das ist das Arschloch mit dem Lieferwagen.“

Val grinste trotz der misslichen Lage. Die Beschreibung passte super auf Antonio. Feisti brachte sein Gesicht dicht neben Vals Wange. „Wir kriegen dich noch, du Pisser.“

Ein letztes Mal knallte er wie zum Abschied Vals Kopf gegen die Wand. Hart genug, um ihn benommen zu Boden sinken zu lassen. Einen Moment lang wurde ihm schwarz vor Augen. Er hörte, wie sich schnelle Schritte entfernten. Bremsen quietschten und eine Autotür fiel mit einem Knall ins Schloss. Blinzelnd sah er, wie sich ein dunkler Schatten auf ihn zu bewegte, und er versuchte, sich auf die Füße zu kämpfen. Etwas rann warm und feucht über seine Wange. Er blinzelte erneut. Beine ragten vor ihm auf. Jemand packte ihn unter den Armen und zog ihn hoch.

„Was waren das für Typen?“

Selbst wütend klang Antonio sexy. Die rauchige Stimme ließ einen angenehmen Schauer über Vals Rückgrat rieseln.

„Hey, rettender Engel, mein Ritter in schimmernder Rüstung.“

Antonio musterte ihn mit zusammengezogenen Brauen. Oberhalb seiner Nasenwurzel bildeten sich zwei scharfe Längsfalten.

„Wer war das?“

Val machte sich von ihm los. Sofort wurde ihm schwindelig. Er lehnte sich unauffällig an die Wand.

„Keine Ahnung, irgendwelche Spinner. Die wollten mich ausrauben oder so. Haha. Ausgerechnet mich.“

Antonio sah aus, als glaubte er ihm kein Wort. „Komm mit rein, ich sehe mir deine Wunde an.“

Val widerstand der Versuchung, sein Gesicht zu betasten. „Danke, nicht nötig. Nur ein Kratzer.“

Auf ein Kreuzverhör von Mario und Antonio konnte er verzichten. Achselzuckend wandte Antonio sich von ihm ab.

„Ist Mario drinnen?“, fragte er ohne ihn anzusehen.

„Der macht die Kasse.“

Antonio schloss die Eingangstür des Ristorante auf. Sobald er im Lokal verschwunden war, war es vorbei mit Vals Selbstbeherrschung. Seine Knie zitterten so stark, dass er sich auf den Boden setzen musste. Sein Blick fiel auf das Fahrrad, sein Heiligtum, das mit verdrehtem Lenker auf dem Asphalt lag. Genickbruch. Der Anblick tat ihm in der Seele weh. Soviel dazu, dass er so schnell fahren konnte, dass sie ihn nicht kriegen würden. Die rechte Gesichtshälfte, die sich bislang wie betäubt angefühlt hatte, begann heftig zu schmerzen. Val hob die Hand, befühlte vorsichtig die puckernde Wange und betrachtete dann seine blutverschmierten Finger. „Nur eine Schramme“, versuchte er sich nun selbst zu beruhigen wie vorher Antonio.

Er hatte keine Lust, ihm noch einmal zu begegnen. Obwohl ihm der Schädel dröhnte, kroch er zum Bike und umfasste den kühlen Alurahmen, als könnte die Berührung auf magische Weise die Kopfschmerzen lindern. Ein Trugschluss. Trotzdem kämpfte Val sich hoch und stellte seinen kostbarsten Besitz behutsam auf die Räder. Bei oberflächlicher Betrachtung schien alles in Ordnung zu sein. Näheres würde eine Probefahrt zeigen. Val wollte gerade das Bein über den Sattel schwingen, da ließ eine scharfe Stimme ihn zusammenzucken. Er hielt mitten in der Bewegung inne und wandte den Kopf. Antonio stand vor der Tür des Ristorante und sah ihn missbilligend an.

„Du siehst aus, als hätte dich jemand mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen. So kannst du nicht fahren. Schmeiß dein Bike hinten rein, ich bringe dich nach Hause.“

Val zögerte kurz. Das Rad konnte er genauso gut am nächsten Tag überprüfen. Wenn etwas kaputt war, vermochte er es jetzt kaum zu ändern. Außerdem fürchtete er, dass die Schlägertypen noch irgendwo lauerten. Und ein weiteres Mal würde sein strahlender Ritter ihm vermutlich nicht rechtzeitig zur Hilfe eilen.

Wenig später lehnte er sich bequem auf dem Beifahrersitz des Lieferwagens zurück. Sein Schädel dröhnte und einer seiner Schneidezähne schien locker zu sein. Vorsichtig stieß er mit der Zunge dagegen. Antonio stieg ein und knallte die Tür zu.

„Pass auf, dass du die Polster nicht versaust“, knurrte er. Val brummte nur und schloss die Augen. Langsam ließ die Wirkung des Adrenalinschubs nach. Bleierne Müdigkeit überfiel ihn. Selbst die pochenden Schmerzen in seinem Kopf konnten ihn nicht wachhalten.

„He, hoch mit dir!“ Jemand zog an seinem Arm. Mühsam hob er die Lider. Warum durfte er nicht weiterschlafen? Und wo war er überhaupt? Er wandte den Kopf und wurde mit stärkeren Schmerzen dafür bestraft. Jedenfalls war er nun hellwach. Natürlich, er saß in Antonios Lieferwagen. Antonio, sein Held, sein Retter! Vals Lippen verzogen sich unwillkürlich zu einem vermutlich dämlichen Grinsen. Durch halbgeschlossene Augenlider sah er Antonios genervtes Gesicht.

„Was ist los mit dir? Hast du eine Gehirnerschütterung? Ist dir schlecht?“

„Alles okay.“

Val stemmte sich hoch und versuchte, aus dem Lieferwagen zu klettern. Dummerweise schienen seine Beine sich in Gummi verwandelt zu haben und gaben prompt unter ihm nach. Antonio fing ihn auf. Val schlang instinktiv die Arme um seine breiten Schultern. Fühlte sich gut an.

„Val, verdammt, werd mal wach und lass dich gefälligst nicht so hängen!“ Klang da Sorge in Antonios Stimme mit? Val traute seinen Ohren nicht. Er wunderte sich einen Moment darüber, woher Antonio überhaupt wusste, wo er wohnte.

„Danke fürs nach Hause Bringen.“ Er ließ zu, dass Antonio ihn gegen den Lieferwagen lehnte wie einen Sack Mehl, und schloss die Augen. Er war so müde. Unglaublich müde. Wie sollte er die drei Treppen zur Wohnung schaffen? Während er träge grübelte, wie er das Problem lösen könnte, fühlte er sich unvermittelt gepackt. In der nächsten Sekunde lag er schon bäuchlings über Antonios Schulter.

„Hey!“

Vals Protest fiel ziemlich schwach aus. Antonio ignorierte ihn und ging los, seine Beine im festen Griff. Val fand diese Position, mit nach unten baumelndem Kopf, mehr als ungemütlich. Die stechenden Schmerzen in den Schläfen verstärkten sich. Es fühlte sich an, als bohrte jemand glühende Messer in seinen Kopf. Übelkeit stieg in ihm auf. Haltsuchend packten seine Hände zu und erwischten Antonios Hosengürtel.

„Lass mich runter, mir wird schlecht!“

„Halt die Klappe!“

Mit einem erleichterten Ächzen wuchtete Antonio ihn zum Glück bereits nach wenigen Sekunden von der Schulter auf den Boden. Val blinzelte verwirrt. Das war nicht das Haus, in dem er wohnte. Das war ein Fahrstuhl. In seinem Haus gab es keinen Fahrstuhl. Er war viel zu müde, um zu protestieren. Stattdessen lehnte er sich an die kühle Metallwand und sah zu Antonio auf.

„Was soll das werden?“, lallte er, oder war das der Fahrstuhlkabinen-Halleffekt? Antonios markantes Gesicht verschwamm, teilte sich in drei wabernde Formen und wurde wieder zu einem Gesicht. Immer abwechselnd.

„Das reicht“, murmelte Val und kniff die Augen zu. Er hatte keinen Tropfen Alkohol zu sich genommen, trotzdem fühlte er sich wie betrunken. Der Fahrstuhl kam mit einem leichten Ruck zum Stehen. Val ließ sich ohne Gegenwehr von Antonio von der Wand wegziehen. Er war froh, dass Antonios Arm beruhigend fest um seinen Hüften lag.

„Es sind nur ein paar Schritte. Schaffst du das?“

Oh nein, er wollte ihn doch wohl nicht wieder tragen? Val nickte hastig. Böser Fehler. In seinen Schläfen explodierte ein greller Schmerz und ließ ihn gepeinigt aufstöhnen. Er torkelte von Antonio gestützt vorwärts. Wo zur Hölle war er? Unscharf erkannte er den Umriss eines Sofas und hoffte, dass sie es ansteuern würden, doch dem war nicht so. Antonio zog ihn unerbittlich weiter in ein Badezimmer. Aber was für eins! Val klappte der Unterkiefer runter. War das echt oder war er in einem Film gelandet?

„Ist das ein Whirlpool?“

Staunend starrte er auf die in den Boden eingelassene runde Wanne.

„Sonst hast du keine Sorgen, was?“

Antonio grinste spöttisch und schob ihn Richtung Toilette. „Setzen!“

Vals Beine gaben sowieso unter ihm nach, sobald Antonio ihn losließ. Langsam wurde ihm klar, wo er sich befand. In Antonios Wohnung! Wow! Um in Antonios Heiligtum zu gelangen, hätte er sich sogar noch einmal zusammenschlagen lassen. Antonio war derart verschlossen, was seine Privatsphäre anging, dass er Val bisher nicht einmal seine Adresse verraten, geschweige denn ihn in seine Wohnung mitgenommen hatte. Für dieses Privileg nahm Val gerne ein bisschen Kopfschmerzen in Kauf.

Antonio kniete sich vor ihn und tupfte mit einem feuchten Lappen über Vals Schläfe.

Val zuckte zurück. „Au, Scheiße!“

„Weichei. Halt still!“

Val blinzelte Antonio an, sah in sein konzentriertes, ernstes Gesicht. Was war nur an dem Kerl, dass sein Herz in seiner Nähe immer wie wild anfing zu hämmern? Hatte Flo recht? War er verknallt in das arrogante Arschloch? So arrogant sah er in diesem Moment gar nicht aus. Mit einer Sanftheit, die Val nicht von ihm kannte, desinfizierte er die Schläfenwunde und verzog jedes Mal das Gesicht, wenn Val zusammenzuckte.

„Eigentlich sollte das wohl genäht werden.“

„Was? Nein! Ich will nicht ins Krankenhaus!“

Val versuchte, aufzustehen, doch Antonio hinderte ihn daran. Seine Hände legten sich fest um Vals Schultern.

„Keine Panik. Ich bin auch kein Fan von den Bunkern. Also reg dich ab. Du kannst hier pennen. Ausnahmsweise. Morgen früh verschwindest du, klar?“

Val wollte erst nicken, besann sich eines Besseren und grinste nur erleichtert. „Klar.“

Bis zum Morgen war es eine Zeit lang hin. Da konnte viel geschehen. Val wusste schon, was nach seinem Geschmack passieren sollte. Jetzt musste er nur noch Antonio überzeugen. Er schaffte es sogar, ohne Antonios Hilfe aufzustehen. Das Wissen, sich in Antonios geheimnisumwobener Wohnung zu befinden, sorgte für einen belebenden Adrenalinschub. Er folgte Antonio leicht schwankend aus dem Badezimmer in den geräumigen Wohnraum. Interessiert sah er sich um, wobei er es vermied, den Kopf zu bewegen. Was er sah, gefiel ihm. Sehr sogar. Ein weitläufiges Loft mit hohen Fenstern, keine Wände, jedenfalls keine deckenhohen. Stattdessen beleuchtete angenehm gedimmtes Licht wenige, edel aussehende Möbel. Ein großes, rechtwinkliges Sofa vor einem riesigen Flatscreen an der Wand, ein bläulich schimmerndes Aquarium, auch das riesig. Eine halbhohe Wand aus Glasbausteinen. Antonio verschwand dahinter, während Val magisch von dem Sofa angezogen wurde, darauf zu stolperte und sich mit einem müden Seufzen in die Polster sinken ließ.

„Wasser oder Cola?“

Antonio hielt ihm beide Flaschen hin.

„Hast du auch ein Bier?“

Da Antonio nur die Brauen hochzog, griff Val nach der Cola. Er erwartete, dass Antonio sich zu ihm setzte, aber er steuerte auf einen Schrank zu. Val lehnte sich zurück und trank einen Schluck. „Coole Wohnung.“

Durch die Fenster sah er die nächtliche Skyline der City.

„Klasse Aussicht!“

Antonio nahm ein Kissen und Decken aus dem Schrank und warf sie auf das Sofa. „Gute Nacht.“

Val sah ihn ungläubig an. Das war hoffentlich nicht sein Ernst! Doch, war es. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, wandte er sich ab und marschierte um das Aquarium herum. Aha! Dahinter stand also das Bett. Val gab Antonio ein paar Sekunden, um sich auszuziehen. Dann stellte er die Cola weg und stand auf. Seine Knie waren immer noch etwas weich. Nicht schlimm. Wenn nur die Kopfschmerzen nicht wären. Aber von solchen Kleinigkeiten ließ er sich die Aussicht auf eine leidenschaftliche Nacht mit Antonio nicht vermiesen.

Eilig streifte er die Jeans ab, zog das Shirt über den Kopf und schlenderte nackt, wie Gott ihn schuf am Aquarium vorbei. Er fragte sich müßig, wo eigentlich die Fische waren. Sehen konnte er keine. Er richtete die Aufmerksamkeit lieber auf das, was hinter dem Aquarium lag. Nämlich der heißeste Kerl der Welt. Antonio hatte sich bereits auf dem Bett ausgestreckt. Bett? Das war schon eher eine Spielwiese. Und da sollte Val auf dem Sofa pennen? Unverschämtheit. Das grenzte an seelische Grausamkeit.

Antonio musterte Val ohne große Überraschung.

Val schenkte ihm ein Lächeln, das er für verführerisch hielt und ihn normalerweise an sein Ziel brachte. „Ich kann nicht schlafen.“

„Verzieh dich, Val. Ich muss morgen früh raus.“

Antonio war ein harter Brocken. Val wertete die Worte großzügig als Einladung und stieg in sein Bett. Auf Händen und Knien krabbelte er auf ihn zu.

„Dann sollten wir keine Zeit verschwenden.“

Antonio gab ein Geräusch von sich, halb Schnauben halb Lachen. „Du bist unverbesserlich. Eben noch von ein paar Typen zusammengeschlagen worden und jetzt schon wieder ...“

„Hm? Jetzt schon wieder?“

Val beugte sich über Antonio und biss neckend in seinen Hals. Dabei ignorierte er das Schwindelgefühl und die lästigen schwarzen Punkte, die vor seinen Augen tanzten. Antonio griff in die Haare in seinem Nacken und zog ihn sanft, aber bestimmt von sich weg.

„Du hast vermutlich eine leichte Gehirnerschütterung.“

„Dann darf man doch nicht schlafen, oder?“

Val legte sich neben Antonio und schob ein Bein über seine Hüfte. „Dann ist das doch total gefährlich, wenn man einschläft. Hindere mich lieber daran!“

„Den Teufel werde ich tun. Das ist Blödsinn. Hast du das aus der Seniorenbravo? Ich bin verdammt müde, und du siehst auch nicht mehr taufrisch aus, Kleiner.“

Aha! Er nannte ihn Kleiner! Ein gutes Zeichen? Val war nicht sicher. Aber es stimmte, jetzt, wo er lag, fühlte sich sein Körper schwer wie Blei an, und obwohl er sich dagegen wehrte, fielen ihm die Augen zu.

„Darf ich wenigstens hier bei dir schlafen?“, murmelte er. Antonio seufzte.

„Bitte. Ich bin auch ganz ... ganz ...“

Val riss den Mund zu einem ungehemmten Gähnen auf. Er bekam noch mit, dass Antonio die Decke über ihn zog, dann sank er in einen traumlosen Schlaf.

Kälte strich mit eisigen Fingern an Vals Rücken entlang. Er grub sich tiefer in das Kissen und angelte mit der rechten Hand nach der Bettdecke. Statt in flauschige Daunen griff er jedoch ins Leere. „Verschwinde.“

Antonios barsche Stimme vertrieb Val endgültig aus dem Reich der Träume. Er wälzte sich auf die Seite und blinzelte zu ihm hoch. Antonio hatte ihm tatsächlich die Bettdecke weggenommen. Brutal. Val verzog das Gesicht.

„So liebevoll bin ich noch nie geweckt worden.“

Antonio verschränkte die Arme und musterte ihn mit kühlem Blick. Was für ein Mistkerl! Val blieb nichts anderes übrig, als aufzustehen. Sein Kiefer und seine Zähne schmerzten und die Wunde an der Schläfe pochte unangenehm. Wenigstens war ihm nicht mehr schwindelig. Er schlurfte ins Badezimmer und wagte einen vorsichtigen Blick in den Spiegel. Horror! Die linke Gesichtshälfte war angeschwollen und bläulich verfärbt. Er sah grauenvoll aus. Kein Wunder, dass Antonio ihn so schnell loswerden wollte. Val spielte kurz mit dem Gedanken, Antonios Zahnbürste zu benutzen, spülte sich aber nur den Mund aus. Er hätte gerne die noble Dusche oder gar den Whirlpool benutzt, doch er wollte es sich nicht gleich nach der ersten Nacht mit Antonio verderben. Als er aus dem Bad kam, lehnte Antonio mit einer Tasse Kaffee in der Hand an der Glasbausteinwand und musterte ihn mit unbewegter Miene. Der Kaffeeduft zog verlockend in Vals Nase.

„Nein“, sagte Antonio. Val hob fragend die Augenbrauen.

„Nein, du kriegst keinen Kaffee. Wir hatten eine Vereinbarung. Du wolltest heute Morgen verschwinden. Es ist schon fast acht Uhr und du bist immer noch hier. Verzieh dich endlich.“

Wut stieg in Val auf. Was bildete der sich eigentlich ein? „Darf ich mich wenigstens anziehen?“

Antonio machte eine auffordernde Handbewegung. Val suchte seine Klamotten zusammen und zog sich an, wobei er Antonio zornige Blicke zuwarf. Antonio ließ das offensichtlich kalt. Er marschierte Richtung Bad.

„Wenn ich aus dem Bad komme, will ich dich hier nicht mehr sehen“, sagte er, ohne ihn anzusehen. Val schnaubte verächtlich. Er hatte auch seinen Stolz, und der wurde soeben empfindlich verletzt. Trotzdem nutzte er die Gelegenheit, sich noch schnell im Loft umzusehen. Jetzt wo es hell war, bemerkte er die großformatigen Fotos an den Wänden. Künstlerische Akte, nackte Männer in Schwarz-Weiß. Bei genauerem Hinsehen erkannte Val, dass auf jedem Bild derselbe Mann zu sehen war, ein blonder, schlanker Jüngling mit engelhaft schönem Gesicht. War das Antonios Ex, in den er immer noch verschossen war? Hatte er die Fotos gemacht?

Val wusste, dass Antonio ein Fotoatelier besaß, doch er war davon ausgegangen, dass er ganz normale Passfotos und Hochzeitsbilder fabrizierte. Diese Fotos aber waren in Vals Augen Kunst, das musste er anerkennen. Obwohl er beim Anblick des abgelichteten Schönlings einen eifersüchtigen Stich verspürte. Wütend auf sich stapfte er zum Aufzug. Dabei vermied er jeden weiteren Blick in Richtung der Fotos. Albern. Er benahm sich so, als sei er mit Antonio zusammen. Dabei hatte Antonio vor wenigen Sekunden eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er sich nichts aus ihm machte. Schön, sollte Val nur recht sein. Er machte sich auch nichts aus diesem arroganten Arsch.

Erst unten vor dem Haus fiel ihm das Bike ein, das wohlverschlossen in Antonios Auto lagerte. Mist! Er hatte keine Lust, sich eine neuerliche Abfuhr von Antonio einzufangen. Aber er brauchte das Rad.

„Willst du ohne dein geliebtes Fahrrad abhauen?“

Die vertraut unwirsche Stimme unterbrach Vals Überlegungen.

Antonio ging an ihm vorbei. Ein dünnes Piepsen zeigte an, dass er mit dem Schlüssel den Wagen entriegelte. Er ließ sich sogar dazu herab, die Heckklappe zu öffnen und Vals Rad von der Ladefläche zu heben.

„Scheint alles dran zu sein.“

Val sparte sich einen Dank. Er wusste, er benahm sich wie ein trotziges Kind, aber er war beleidigt und das sollte Antonio von ihm aus ruhig merken. Er riss ihm den Lenker aus der Hand und wandte sich ab.

„Hast du nächstes Wochenende schon was vor?“

Val ließ vor Überraschung fast das Rad fallen. Ungläubig starrte er Antonio an. Der Kerl warf ihn achtkantig raus und dann wollte er sich mit ihm verabreden? Antonio musterte ihn ungerührt. „Du hast Schulden bei mir.“

„Erzähl mir was Neues.“ Val verzog das Gesicht. Es verging kaum ein Tag, an dem er nicht bereute, dass er vor ein paar Wochen Antonio angepumpt hatte. Wider Erwarten hatte er ihm das Geld für drei Monatsmieten geliehen.

Nun zog er die Brauen hoch. „Was hältst du davon, einen Teil in Naturalien zu bezahlen?“

Val traute seinen Ohren nicht. Im ersten Moment wollte er empört ablehnen. Bei genauerer Überlegung war er jedoch alles andere als abgeneigt. Ihm war zurzeit jede Möglichkeit Recht, um von den Schulden runterzukommen. Und wenn nebenbei Sex mit Antonio raussprang, müsste er schon ein Vollidiot sein, um nein zu sagen.

„Ich habe da ein Strandhaus, das ich renoviere. Dabei könnte ich Hilfe gebrauchen.“

Antonios harsche Worte holten ihn brutal in die Realität zurück. Renovieren. Kein Sex. Die Enttäuschung musste sich deutlich auf seinem Gesicht abzeichnen, da Antonio süffisant grinste.

„Was hast du denn gedacht?“

Val zog es vor, nicht darauf zu antworten. Antonio machte sich über ihn lustig. Sollte er. Aber er brauchte sich gar nicht einzubilden, dass er Val an dem Renovierungswochenende auch nur mit einer Fingerspitze berühren durfte. Er hatte soeben sämtliche Chancen verspielt. Und er würde Val wollen, oh ja, dafür wollte Val schon sorgen, um ihn dann eiskalt abblitzen zu lassen. Geschah ihm Recht.

„Okay.“

Antonio nickte zufrieden. „Gut, ich hole dich Freitagnachmittag ab. Nimm alte Klamotten mit, es wird dreckig.“

Kapitel 3

Flo lehnte am Kühlschrank, nippte an einer Cola light und vermied jeden Blick in Vals Richtung. Val wusste nicht, ob das an seinem gruseligen Aussehen lag oder an dem Nutellabrot, in das er genüsslich hineinbiss. Wegen des Shootings in der kommenden Woche hielt Flo mal wieder Nulldiät. Val hatte es längst aufgegeben, ihn von der Schwachsinnigkeit solcher Aktionen zu überzeugen. Flo, schlank, ja beinahe schon dürr, starrte missmutig in sein Colaglas.

„Ich verstehe immer noch nicht, was du damit bezwecken willst. Du willst Antonio also nicht ranlassen, aber damit bestrafst du dich doch selbst.“

Val schob sich den Rest des Nutellabrotes in den Mund. Er konnte Flo einfach nicht leiden sehen.

„So wie dieser Kerl mich behandelt hat, verdient er einen Denkzettel.“

Flo warf ihm einen schrägen Blick zu und setzte sich zu ihm an den Küchentisch.

„Eigentlich hat er nichts Verwerfliches getan. Was hast du denn erwartet? Dass er dir Frühstück ans Bett bringt?“

Flo hatte recht. Trotzdem wollte Val nicht klein beigeben.

„Nein, das nicht, aber er hätte ein bisschen netter sein können.“

„Er hat dich vor den Schlägertypen gerettet. Das ist ziemlich nett, finde ich. Ach ja, und er hat dich verarztet und bei sich übernachten lassen.“

So gesehen war Antonio wirklich freundlich gewesen, für seine Verhältnisse, das musste Val zugeben. Flo beugte sich vor und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen sein Gesicht.

„Das sieht immer noch echt übel aus. Tut’s sehr weh?“

Val grinste schief. „Nur, wenn ich lache. Ja, das alles war nett von Antonio. Sogar mehr als nett. Übrigens macht er geniale Fotos. Ein paar hängen in dem megacoolen Loft. So schwarz-weißes Künstlerzeugs. Vermutlich Bilder von seinem Ex. Der ist garantiert Model, so wie der aussieht.“

„Woher weißt du, dass es sein Ex ist?“

Val stutzte. Ja, woher wusste er das? Es konnte doch genauso gut sein, dass Antonio immer noch mit dem blonden Typen zusammen war. Er hatte ihn zwar bisher nie mit einem Mann gesehen, aber das schloss nicht aus, dass er liiert war. Val vermutete ohnehin, dass Antonios Familie nichts von seinen sexuellen Neigungen ahnte. Also würde er eine Beziehung kaum an die große Glocke hängen. Ein aktueller Freund konnte natürlich der Grund dafür sein, dass er darauf aus war, Val schnell loszuwerden. Bestimmt war besagter Freund im Anmarsch gewesen und Antonio hatte Ärger vermeiden wollen. Flo runzelte die Stirn.

„Du bist verknallt in den. Gib’s endlich zu. Du willst mehr als Sex. Wovor hast du eigentlich Angst?“

„Ich habe keine Angst. Und ich bin nicht verknallt.“

„Na gut. Aber ich wette, du hältst das kein Wochenende durch. Spätestens Samstag landest du mit Antonio im Bett. Oder wo auch immer. Und weißt du was? Ich wünsche es dir. Warum gönnst du dir den Spaß nicht? Ist doch eh nur Sex.“

Val musterte Flo misstrauisch. Wollte der ihn jetzt provozieren? Da musste er früher aufstehen.

„Mal sehen. Kann sein. Und was hast du mit deinem Kai vor? Schon einen Plan gemacht, wie du dich während des Shootings an ihn ranschmeißen kannst?“

Wie von Val nicht anders erwartet, lief Flo rot an. „Ich werde mich nicht an ihn ranschmeißen!“

„Nicht? Wie langweilig. Also wirst du ihn die nächsten zehn Jahre weiterhin aus der Ferne anschmachten und mir einen vorheulen, wie umwerfend er ist?“

Flo verzog das Gesicht. „Du fragst doch immer nach.“

Er schob das leere Glas auf dem Tisch herum.

„Ich bin eben nicht wie du. In seiner Nähe ist mein Gehirn wie leergefegt. Mir fällt absolut nichts ein, was ich zu ihm sagen könnte.“

„Wie wär’s mit: Kommst du gleich noch mit, was trinken?“

„Vielleicht gehen wir nach dem Shooting sowieso alle ins Backstage.“

Das Backstage war eine Studentenkneipe in der Altstadt.

„Eventuell komme ich da auch hin. Mal wieder alte Modelkollegen treffen und so.“ Val wollte gerne einen Blick auf den unvergleichlichen Kai werfen.

Flo rutschte auf seinem Stuhl hin und her.

„Du wirst aber doch nicht ... Du machst keine Andeutungen oder so was? Bitte nicht, Val.“

„Du kennst mich doch.“

„Ja, eben. Tu das nicht.“

„Ich will ihn mir nur mal ansehen. Keine Andeutungen. Versprochen!“

„Auch keinen anderen Mist.“

Val seufzte. „Wenn ich dich nicht besser kennen würde, dann würde ich jetzt denken, ich bin dir peinlich. Ich passe wohl nicht rein in deine Supermodelclique, was?“