Das brennende Gewand - Andrea Schacht - E-Book

Das brennende Gewand E-Book

Andrea Schacht

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Beschreibung

Historie, Spannung – und viel Humor!

Die Begine Almut Bossart und ihr guter Freund, Pater Ivo, warten sehnlich auf den Dispens des Erzbischofs; damit wäre der Weg frei für ihre gemeinsame Zukunft! Doch statt des Dispenses kommt die Absage – und dann wird Ivo auch noch des Mordes verdächtigt. Almut ist rasend vor Trauer und Wut. Und auf der Suche nach dem wahren Täter bekommt sie es mit einer Widersacherin zu tun, die an Bosheit kaum zu übertreffen ist…

Alle historischen Romane um die Begine Almut Bossart

Band 1 - Der dunkle Spiegel

Band 2 - Das Werk der Teufelin

Band 3 - Die Sünde aber gebiert den Tod

Band 4 - Die elfte Jungfrau

Band 5 - Das brennende Gewand

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Seitenzahl: 478

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Andrea Schacht

Das brennende Gewand

Roman

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Originalausgabe Juli 2008 bei Blanvalet
© 2008 by Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München.
Redaktion: Dr. Rainer Schöttle Covergestaltung: punchdesign AKH-Images, Berlin lf · Herstellung: Heidrun Nawrot Druck und Einband: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-641-01955-6V003
Buch
Es ist Mai in Köln, und die junge Begine Almut ist beflügelt: Ihr guter Freund, Pater Ivo, darf auf den Dispens des Erzbischofs hoffen, der ihrer Liebe endlich Tür und Tor öffnet. Doch dann schlägt das Schicksal zu: Der Bote des Erzbischofs wird vor den Stadtmauern überfallen, beraubt und ermordet. Nur das vom Erzbischof gesiegelte Schreiben befindet sich noch in seiner Tasche. Und es enthält die Absage des Dispenses.
Wenige Tage später wird ein Düsseldorfer Vergolder beim Adlerwirt in einem Bierfass ersäuft gefunden. Ein kostbares Brevier auf dem Boden weist auf Pater Ivo als Täter hin – ebenso wie die zahlreichen Gerüchte und Beobachtungen, die jüngst über ihn kursieren.
Ivo, verbittert und hoffnungslos, da seinem Austritt aus dem Kloster nicht stattgegeben wurde, entzieht sich der weltlichen Gerichtsbarkeit, indem er beschließt, sich als Incluse an der Klosterkirche einmauern zu lassen. Almut hingegen – wenn auch untröstlich – kann nicht glauben, dass Pater Ivo, der stets so streng gegen sich selbst war, die Taten begangen haben soll. Sie versucht, den wahren Mörder zu finden. Doch dabei gerät sie immer tiefer in die finsteren Verwicklungen, die einst Ivo vom Spiegel dazu gezwungen hatten, ins Kloster einzutreten, und glaubt, bald ihren hellen Verstand zu verlieren.
Autorin
Andrea Schacht war lange Jahre als Wirtschaftsingenieurin und als Unternehmensberaterin tätig, hat dann jedoch ihren seit Jugendtagen gehegten Traum verwirklicht, Schriftstellerin zu werden. Ihre historischen Romane um die aufmüpfige Kölner Begine Almut Bossart haben auf Anhieb die Herzen von Lesern und Buchhändlern erobert. Andrea Schacht lebt mit ihrem
Mann und ihren Musen – zwei Katzen – in der Nähe von Bonn.
 
Die historischen Romane um die Begine Almut Bossart bei Blanvalet:
1. Der dunkle Spiegel 2. Das Werk der Teufelin 3. Die Sünde aber gebiert den Tod 4. Die elfte Jungfrau 5. Das brennende Gewand
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Für Dirk Meynecke, ohne den Almut und Ivo nie das Licht der Welt erblickt hätten, und der sie getreulich auf ihrem langen Weg begleitet hat.

Dramatis Personae

Almut Bossart – Baumeisterstochter und Begine, deren Entschluss, den Konvent zu verlassen und ein weltliches Leben zu führen, von widrigen Umständen behindert wird, weshalb sie zu massiven Maßnahmen greifen muss.

Die Klerikalen

Pater Ivo – Benediktiner, der auf seinen Dispens wartet, um ein neues Gelübde ablegen zu können, das seinem Charakter weit mehr entspricht als Keuschheit und Armut.
Theodoricus de Cornis – der behäbige Abt zu Groß Sankt Martin, der es Ivo verwehrt, ein Gelübde abzulegen.
Lodewig – ein Novize, der an seinen Aufgaben wächst.
Bertram – ein begabter Novize, der mit guten Instinkten gesegnet ist.
Pater Henricus – Beichtiger der Beginen, ein Minderbruder mit wissenschaftlichen Ambitionen.

Die Weltlichen

Georg Krudener – Apotheker und Alchemist, der sich in einer schönen Frau täuscht.
Aziza – Almuts Halbschwester, die der Halbwelt angehört und die Hoffnung hegt, dieser entfliehen zu können.
Trine – Krudeners taubstumme Gehilfin, die es donnern und blitzen lässt.
Pitter – Päckelchesträger, der seine Ohren am Puls des Lebens hat.
Lena – Pastetenbäckerin, die dem Geschwätz zugeneigt ist.
Thomas – ein Geschenk Gottes.
Franziska und Simon – die Adlerwirte mit allerlei Nebenverdiensten.
Hardwin – ein Pferdeknecht, der komische Fragen stellt.
Gauwin vom Spiegel – Ivos Vater, der sein Haus bestellt sehen will.
Leon de Lambrays – sein Enkel aus Burgund, der mit Wein handelt.
Roderich von Kastell – ein Reisender aus fernen Landen, der mit Gold handelt.
Derich – sein unscheinbarer, aber loyaler Diener.
Die Edle von Bilk – eine Witwe mit Vergangenheit, deren Zukunft jedoch fragwürdig ist.
Frau Barbara und Meister Conrad Bertholf – Almuts Eltern.
Teufelchen und ihre Kinder – die Konventskatzen. Alyss und Marian – ein Versprechen für die Zukunft.

Die Beginen

Magda von Stave – die Meisterin, Rigmundis von Kleingedank – eine Mystikerin, Clara – die Gelehrte, Elsa – die Apothekerin, Gertrud – die Köchin, Bela – die Pförtnerin, Mettel – die Schweinehirtin, Judith, Agnes und Irma – drei Seidweberinnen, Ursula Wevers – die Sängerin.

Die historischen Persönlichkeiten

Erzbischof Friedrich III v. Saarwerden – ein junger Würdenträger, der einen Dispens zu bearbeiten hat. Und natürlich Meister Michael – ein begnadeter Dombaumeister.
»Kann auch jemand ein Feuer unter dem Gewand tragen, ohne dass seine Kleider brennen?«
(Sprüche 6,27)
Vorwort
Die Beginen von Köln waren rege Frauen, die sich zu Gemeinschaften zusammengeschlossen hatten, um, wenn auch nicht nach klösterlicher Ordnung, so doch nach eigenen Regeln gemeinsam zu leben. Armut, Keuschheit und arbeitsames Wirken war ihr Streben, aber Gelübde banden sie nicht. Es stand den Beginen frei, sich wieder zu verehelichen oder den Konvent zu verlassen.
Diese für das Mittelalter zunächst ungewöhnlich erscheinende Lebensform hat mich gereizt, meine Heldin einem solchen Konvent beitreten zu lassen.
Dies ist nun der fünfte und letzte Band um die Begine Almut, und daher möchte ich sie allen, die sie noch nicht kennen, vorstellen und kurz auf ihr dramatisches Vorleben eingehen.
Almut Bossart, Tochter eines Baumeisters, Witwe eines Baumeisters, weigert sich nach ihrer unglücklichen Ehe mit einem alten, kranken Mann wieder zu heiraten und zieht es vor, gemeinsam mit den elf Frauen am Eigelstein durch ihrer Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Gewissen klerikalen Kreisen waren Frauen, die derart selbstbestimmt ihr Leben führten, sich Bildung aneigneten und sogar die Bibel lasen, höchst suspekt. Auch ihre innige Verehrung der Maria, die für sie mehr als nur Fürbitterin war, erregte Missfallen. Es gab immer wieder Verfolgungen, sie wurden als Ketzerinnen verbrannt, ihre Traktate und Bücher vernichtet, ihre Gemeinschaften aufgelöst.
In Köln jedoch lebten sie unter dem Schutz des Rates einigermaßen sicher – solange sie nicht gegen die guten Sitten verstießen. Das aber fällt meiner Heldin hin und wieder schwer, denn ihre Zunge ist ungebärdig und gehorcht nicht den Konventionen. Sie bringt sich selbst in Gefahr – und gerät zu allem Überfluss auch noch an den gestrengen, verbitterten Benediktiner, Pater Ivo.
Ivo vom Spiegel ist der Sohn eines wohlhabenden Patriziers, der sich schon in jungen Jahren durch große Wissbegier und eine gute Portion Abenteuerlust auszeichnet. Er studiert an den großen Universitäten seiner Zeit, lehrt an ihnen und bildet sich über die gängigen kirchlichen Praktiken eine eigene, überaus scharfsinnige Meinung, die ihn in den Ruf eines Ketzers bringt. Damit beginnen seine Schwierigkeiten. Vor dem Scheiterhaufen kann er sich nur retten, indem er in den Orden der Benediktiner eintritt. Dreizehn Jahre führt er das keusche, arbeitsame Leben in klösterlicher Armut an verschiedenen Orten. Zuletzt führt ihn das Schicksal wieder nach Köln zurück.
Als sein Beichtkind Jean de Champol unter sehr undurchsichtigen Gründen zu Tode kommt, trifft er auf die Begine Almut, mit der er sogleich auf das heftigste aneinandergerät. Zwischen den willenstarken Charakteren, die beide vom Leben gezeichnet sind, doch letztlich ein gemeinsames Ziel verfolgen, sprühen die Funken. Und aus ihnen entsteht eine Flamme ganz anderer Art.
Nachdem Almut und Ivo nach einigen Irrwegen erkannt haben, dass sie zueinandergehören, muss noch ein letztes Hindernis aus dem Weg geräumt werden. Pater Ivo soll von seinen Gelübden befreit werden. Dispens zu erhalten war in der damaligen Zeit übliche Praxis. Die geldgierige Kirche nahm gerne Wertgegenstände, Grundstücke und Gold entgegen, um Ablass von Sünden, Ämter oder Pfründe dafür zu gewähren. Von allerlei Versprechen konnte man sich freikaufen, ob Pilgerreisen, Keuschheitsgelübde oder Ordensbindungen. Es war eine Frage des Preises.
Dieses scheinheilige Verfahren wurde ein Jahrhundert später immer lauter angeprangert und führte schließlich zur Reformation.
Mit der möglichen Gewährung eines Dispens’ beginnt nun der fünfte Teil der Geschichte um die Kölner Begine Almut und den Benediktinerpater Ivo vom Spiegel.
Beide sind außerordentlich bibelfest, und daher möchte ich Ihnen in ihrem Namen eine Mahnung aus den Sprüchen Salomos mit auf den Weg durch diesen Roman und das Leben im Allgemeinen geben:
»Mein Sohn, wenn dich die bösen Buben locken, so folge nicht.«
Sprüche 1,10 (Anm. d. Autorin: auch Töchter dürfen sich angesprochen fühlen.)
Köln, im Wonnemonat Mai im Jahr des Herrn 1377
1. Kapitel
Der Mann trug ein Wams aus graubraunem Hasenfell, in dem er beinahe mit dem Graubraun des schlammigen Weges verschmolz, so wie die vorherigen Träger dieser Pelze es ebenfalls taten. Sein struppiges Haar war kurz geschnitten und wies eine ähnliche Melange aus Grau und Braun auf. Sein Gesicht wirkte verwittert wie ein altes Stück Holz, doch seine Schultern waren breit und seine Waden in den staubigen Stiefeln stramm. Er beugte sich über eine regungslose Gestalt, die mit dem Gesicht in einer tiefen Pfütze lag, und durchsuchte mit kundigen Fingern die Beuteltaschen an dem breiten, goldverzierten Gürtel. Es war nichts von Wert darin enthalten, außer einem gesiegelten Pergament, das auffällig aus einem der Beutel hervorragte. Das Siegel gab dem Mann Aufschluss über die Identität des Toten, und mit scharfem Blick musterte er die Umgebung und dann die Spuren im Schlamm.
Man würde nichts finden, stellte er fest. Nichts, was auf einen gewaltsamen Tod schließen ließ. Der Reiter war unglücklich vom Pferd gefallen.
Er fuhr mit seiner Durchsuchung der kostbaren Kleider fort, doch kaum hatte er den schlaffen Gefallenen umgedreht, hob er lauschend den Kopf und ließ von seinem Tun ab. In der Ferne erklang Hufschlag. Lautlos verschwand er in dem nahen Unterholz, so wie es ein jeder tun würde, der nicht neben der Leiche eines erzbischöflichen Kuriers gefunden werden wollte.
Über gesunden Menschenverstand verfügte der Mann in ausreichendem Maße, und als die Berittenen, Soldaten der Kölner Stadtwache, sich näherten, überließ er es ihnen, den Ersäuften zu entdecken.
Regungslos beobachtete er, wie sie sich berieten, schließlich den Boten auf eines der Pferde hievten und zum nahen Severinstor zurückritten.
Er selbst folgte ihnen in gebührendem Abstand, und nach vielen, langen Jahren betrat er seine Heimatstadt wieder. Älter, härter, klüger.
Und das Schicksal nahm seinen Lauf.
2. Kapitel
»Flinderlein. Sie nennen sich Flinderlein und sie sind nur vergoldeter Tand.«
»Trotzdem sehen sie hübsch aus. Man könnte sie sehr schön auf ein Haarnetz nähen.«
»Natürlich. Das würde sich bei unseren Totenklagen recht gut machen.«
»Aber nein, Almut, nein. Ich dachte eher an Hochzeiten.«
Almut lächelte und sah Judith, die Seidweberin, kopfschüttelnd an. Sie nahm alles für bare Münze, was sie sagte. Elsa, die Apothekerin, hingegen kicherte.
»Sie sahen vor allem prächtig an dem Jäckchen aus, das deine Stiefmutter am Sonntag in der Kirche trug.«
»Frau Barbara sieht immer prächtig aus. Sie liegt mir jedoch jedes Mal, wenn ich sie aufsuche, damit in den Ohren, ich solle meine graue Tracht doch nun endlich ablegen.«
»Du könntest es jederzeit«, bemerkte Rigmundis nüchtern und fädelte einen grünen Seidenfaden in die Nadel.
»Könnte ich, will ich aber nicht. Ich finde die Kleider, die ich trage, sehr praktisch. Goldflitter und seidene Schleppen stören beim Decken des Kapellendachs.«
»Du wirst zukünftig keine Dachschindeln mehr herumwuchten, und dein Gatte wird dir sicher Geschmeide aus purem Gold um den Hals legen. Also gewöhn dich an vornehme Gewänder.«
»Mhm«, sagte Almut und schob mit dem Webkamm das Muster des blaugrünen Bandes zusammen, das sie mit flinken Fingern herstellte.
Sie war glücklich, und die Zukunft lag tatsächlich glitzernd wie Flittergold vor ihr. Aber dennoch mischte sich ein winziges Tröpfchen Wehmut in ihren Frohsinn. Sie würde ihre Freundinnen verlassen müssen. Fünf Jahre hatte sie im Kreis der Beginen verbracht, fünf Jahre mit ihnen gearbeitet und gebetet, ihre Eigenarten kennen und verstehen gelernt, bei ihnen Hilfe, Unterstützung, Trost und Vertrauen gefunden. Der Konvent am Eigelstein war ihr ein schützender Hort geworden, und die tägliche Arbeit erfüllte sie mit Befriedigung.
Bald sollte sie diese Sicherheit verlassen und sich wieder dem weltlichen Leben stellen. An der Seite eines Mannes, der nicht gerade zu den schlichtesten aller Seelen gehörte.
Gerade deshalb liebte sie ihn.
Aber es würde sich viel ändern.
Gegen die allzu schnelle Änderung, das gestand sie sich selbst ein, hatte sie sich gewehrt und war nicht dem Vorschlag der Meisterin Magda gefolgt, wieder in ihr Elternhaus zu ziehen, nachdem ihre Hoffnungen auf eine Verbindung mit Ivo vom Spiegel sich ihrer Erfüllung näherten.
»Nein, Magda, ich bleibe, solange der Dispens noch nicht erteilt ist«, hatte sie gleich nach Ostern argumentiert. »Er ist ohnehin wieder zu den Klostergütern nach Villip aufgebrochen, und ich habe hier noch Aufgaben zu erledigen.«
Die Meisterin hatte einen leisen Laut der Erleichterung von sich gegeben und gemeint: »Nun gut, dann bau die Kapelle fertig. Es ist ja nicht so, dass ich dich vertreiben wollte.«
»Nein, Magda. Du würdest mich zu gerne hier festbinden. Um so mehr weiß ich deine Großmut zu schätzen.«
Die gewählte Leiterin des Beginenkonvents hatte vor noch gar nicht langer Zeit den Wunsch ausgesprochen, Almut möge sich entscheiden, ihre Nachfolgerin zu werden, aber dem offenkundigen Glück, das ihre Begine gefunden hatte, wollte sie natürlich nicht im Weg stehen.
»Woher hat Frau Barbara die Flinderlein eigentlich? Ich habe solchen Putz hier in Köln noch nie gesehen.«
Judiths Frage holte Almut aus ihren Gedanken zurück.
»Von Aziza natürlich. Meine Schwester überrascht uns immer wieder mit allerlei exotischem Firlefanz. Angeblich stammen sie aus Nürnberg. Dort schlagen sie diese hauchdünnen Münzplättchen, und es heißt, man verkauft sie mit gutem Gewinn ins Morgenland.«
Clara, die neben ihr saß und ein Seidenhemd säumte, giftete unerwartet heftig: »Hätte ich mir ja denken können, dass die maurische... ähm, deine Schwester solche Quellen kennt. Aber wie der weise Salomo schon sagt: ›Ein guter Ruf ist köstlicher als großer Reichtum, und anziehendes Wesen besser als Silber und Gold.‹«
»Du bist mürrisch, Clara«, stellte Almut überrascht fest. Clara war wehleidig, belesen, scharfsichtig und feinfühlig – nie mürrisch. »Was ist los?«
»Nichts.«
Wortkarg war sie gewöhnlich auch nicht. Und heiße rote Wangen sah man selten auf ihrem zartknochigen Gesicht.
Almut schwieg, machte sich aber Gedanken um die Begine, mit der sie von Anfang an das kleine Häuschen teilte, in dessen Erdgeschoss Clara vormittags ein emsiges Häuflein junger Mädchen und einen wissbegierigen Päckelchesträger in der Kunst des Lesens und Schreibens unterwies. Vor einigen Tagen aber hatte sie sie beobachtet, wie die Gelehrte mit wütender Verve einige Pergamente mit Bimsstein abrieb und neu kalkte. Palimpseste herzustellen war nicht unüblich, Schreibmaterial teuer, und das dünne Leder strapazierfähig genug, es mehrmals zu verwenden. Eigenartig war die zornige Energie, mit der Clara daran arbeitete, sie, die bei jeder schwereren Tätigkeit darüber klagte, dass sie schmerzende Finger und Husten oder tränende Augen vom Staub bekam. Doch hier im Refektorium, zusammen mit acht der zwölf Frauen, die der Gemeinschaft angehörten, wollte Almut nicht weiter in sie dringen. Es würde sich am Abend noch Gelegenheit finden, Clara nach ihrem Kummer zu befragen.
Eine Weile stickten, nähten und webten alle emsig weiter, denn das strahlende Sonnenlicht, das durch die geöffneten Fenster fiel, erlaubte ihnen, die kunstfertigen Handarbeiten anzufertigen, mit denen sie einen Teil ihres Lebensunterhalts verdienten. Ausgenommen von dieser Tätigkeit waren nur die Meisterin, die oben in ihrer Stube den Abrechnungen nachging, Gertrud, die in der Küche waltete und Bela, die ihren Dienst an der Pforte nachging und ein Auge auf die mäkelige Ziege und das fette Schwein hielt, die beide zu gerne Elsas Kräuterbeete geplündert hätten. Ursula Weverin summte leise eine heitere Melodie, in die nach und nach alle einfielen. Außer Almut. Ihr war die Gabe des melodischen Gesangs nicht gegeben. Aber sie erfreute sich an der friedfertigen Stimmung, den flimmernden Sonnenstäubchen und dem wachsenden Seidenband unter ihren Fingern.
»Hast du schon etwas Neues über den Bescheid des Erzbischofs gehört?«, wollte Ursula schließlich wissen, als sie ihr Lied beendet hatten.
»Nein, aber ich habe auch schon seit Tagen nicht mehr mit Vater Theodoricus gesprochen. Aber Pater – mhm – Ivo wird in diesen Tagen zurückerwartet, und ich denke, dann werde ich mehr erfahren.«
»Du bist erstaunlich geduldig.«
»Nein, bin ich nicht.«
Nein, das war sie wirklich nicht, aber sie besaß genug Einsicht, um zu wissen, dass sie im Moment nichts bewirken konnte. Die Befreiung von den feierlichen Gelübden, die Ivo vom Spiegel vor über einem Jahrzehnt abgelegt hatte, war ein diffiziles Geschäft – ein Geschäft im wahrsten Sinne des Wortes. Es musste Geld fließen, nicht unbeträchtliche Summen, und es musste in die richtigen Hände gelangen. Verhandlungen waren geführt, Versicherungen gegeben worden, und nun hatte der Erzbischof das letzte Wort. Friedrich von Saarwerden jedoch hatte im Zuge des Schöffenstreits Köln verlassen und sich nach Poppelsdorf verzogen. Inzwischen war zwar der Friede zwischen ihm und dem Rat der Stadt wiederhergestellt, aber Einzug hatte der Erzbischof noch nicht gehalten. Er schmollte noch ein wenig und widmete sich lieber den Regelungen familiärer Angelegenheiten.
»›In eines Mannes Herzen sind viele Pläne, aber zustande kommt der Ratschluss des Herrn‹«, murmelte Clara, ohne von ihrer Stickerei aufzusehen.
»Vermutlich mahnt uns so der weise Salomo? Hast du seine Reden übersetzt?«, wollte Almut wissen.
»Ja, ja, ja. Ich habe es, und was krieg ich dafür?«
Mit einem unerklärlichen Wutanfall warf Clara ihre Handarbeit auf den Tisch und stürmte aus dem Refektorium.
»Was für eine Laus ist der denn über die Leber gelaufen? So kenne ich sie gar nicht«, stellte Elsa fest und schaute ihr verdutzt nach.
»Sie brütet etwas aus. Ich glaube, ich schau mal nach ihr.«
»Nimm ihr einen süßen Wecken mit. Gertrud hat heute welche gebacken. Dich besänftigen die immer.«
»Eine gute Idee, Elsa!« Almut grinste sie an und legte sorgsam ihre Webbrettchen zusammen.
 
Die Häuser der Beginen umschlossen ein kleines Geviert, in dem sich Beete, ein Waschplatz, ein Brunnen und der gemauerte Backofen befanden. Dieser schloss sich an das Häuschen an, in dem die Köchin wohnte und arbeitete. Der Duft von frischem Brot hing in der Luft, als Almut die Tür öffnete. Gertrud war nicht anwesend, aber Teufelchen grüßte sie mit einem stolzen Maunzen aus ihrem weich gepolsterten Korb nahe der Feuerstelle. Drei winzige Katzenkinder lagen zusammengerollt an ihrem Bauch, die Augen noch geschlossen, die winzigen Öhrchen schlapp am Kopf anliegend. Zwei waren schwarz wie ihre Mutter, eines, grau getigert mit weißen Pfötchen, verriet den Vater, einen strammen Kater, der in der Scheuer hinter den Feldern über die Mäuse herrschte.
Almut kniete nieder und streichelte die glücklich schnurrende Mutter, hütete sich aber, die Kleinen zu berühren, denn Teufelchen war in dieser Sache sehr eigen. Einen schmerzenden Kratzer hatte sie sich bereits eingehandelt.
»Sie frisst mir die Haare vom Kopf«, murrte die Köchin, die mit einem Korb geräucherter Würste aus der Vorratskammer kam und ihn mit Schwung auf den Tisch pflanzte. Schon hatte sie ein scharfes Messer in der Hand und schnitt einen ordentlichen Zipfel in kleine Bissen.
»Aber eine säugende Katze braucht eine kleine Zufütterung.«
»Sie könnte auch mausen.«
»Davon verstehst du nichts«, war die barsche Antwort.
Teufelchen fiel mit Feuereifer über die fette Wurst her, und Almut schüttelte betroffen den Kopf.
»Nein, weder bin ich Katze noch Mutter. Also hast du wohl recht.«
»Du hast nur eine spitze Zunge.«
»Heute nicht, heute hat Clara die. Hast du die süßen Wecken schon fertig?«
»Willst du dir die in die Ohren stopfen, damit dich Claras Geißelhiebe nicht treffen?«
»Nein, ihr in den Rachen.«
»Was hat sie denn?«
»Das will ich ja herausfinden.«
Flugs hatte Gertrud zwei noch warme Wecken aus einem zugedeckten Korb geholt, aufgeschnitten und reich mit Honig bestrichen. »Du wirst für deinen eigenen Rachen einen brauchen. Nun verschwinde aus meiner Küche. Ich hab keine Zeit für müßiges Geschwätz.«
»Danke Gertrud. Du hast so ein sonniges Gemüt!«
Erheitert wandte Almut sich zu ihrem Häuschen und erklomm die Stiege in das obere Stockwerk, wo sich ihre und Claras Kammer befand.
Die Tür zu Claras Raum stand offen, sie selbst saß an ihrem Schreibpult und spielte mit der Feder, hatte aber die Augen geschlossen. Sie sah müde und erhitzt aus.
»Ich habe dir einen Wecken aus der Küche mitgebracht«, sprach Almut sie leise an.
Träge öffnete Clara die fiebrig glänzenden Augen.
»Iss ihn selbst, ich habe keinen Hunger.«
»Du bist krank.«
»Ich bin nie krank!«, zischte sie zurück.
»Clara, du hast eine empfindliche Gesundheit, das wissen wir doch alle.«
Clara öffnete den Mund, um eine vernichtende Antwort zu geben, schluckte sie dann aber mühsam hinunter und nickte dann. »Habe ich. Darum lass mich nun alleine. Ich habe dir eine Abschrift der Übersetzung auf den Tisch gelegt. Ich sag’s dir gleich, das war die letzte, die ich je gemacht habe.«
»Aber...«
»Und – bitte – lass mich jetzt alleine.«
Almut ließ den einen süßen Wecken bei ihr, in den anderen grub sie genussvoll die Zähne, während sie in ihrer Kammer die säuberliche Handschrift studierte, in der die weisen Sprüche Salomos niedergeschrieben waren.
3. Kapitel
Zur nämlichen Zeit klopfte Pater Ivo an die Tür des Abtes von Groß Sankt Martin. Bruder Johannes öffnete ihm, nickte ihm gemessen zu und verließ den Raum. Theodoricus schlug den schweren Codex zu, in dem er gelesen hatte und betrachtete den schwarzen Mönch von oben bis unten.
»Du kommst spät, Ivo. Wir hatten dich schon vor zwei Tagen erwartet.«
»Es gab noch etwas zu erledigen«, brummte der Pater und fügte hinzu: »Und der lahme Klepper, den Ihr mir gegeben habt, keuchte wie eine neunzigjährige Vettel mit galoppierender Schwindsucht. Hab ihn die Hälfte des Wegs am Zügel führen müssen.«
»Du hast darauf bestanden, die Mähre zu nehmen. Du hättest dir ein besseres Pferd besorgen können.«
»Hätte ich.«
Der Abt schmunzelte und goss aus einem Krug ein schäumendes Getränk in einen silbernen Becher.
»Da, spül den Reisestaub hinunter. Und deine Brummigkeit. Und dann berichte.«
Der Benediktiner ergriff den Becher, setzte sich auf die gepolsterte Bank am Fenster und nahm einen langen Schluck.
»Ein ordentliches Bier!«
»Wohl wahr. Unser Camerarius hat der jungen Trine das Rezept abgeschwatzt. Jetzt macht er ein fürchterliches Geheimnis um seine Braukunst. Aber er hat das Zeug für mich reserviert, und dafür bin ich ihm dankbar. Hat manchmal Vorteile, Abt zu sein!«
»Bestimmt!«
Theo schnaubte ob des trockenen Tonfalls. Dann grinste er und zuckte mit den Schultern. »Nicht, dass du irgendeine Aussicht auf den Posten hättest. Warst du schon bei deiner Begine?«
»Noch nicht. Ich bin eben erst eingetroffen.«
»Ganz der pflichtgetreue Bruder. Der Diakon des Erzbischofs hat übrigens zu verstehen gegeben, dass der Erteilung des Dispens’ nichts mehr im Weg steht. Nur war Friedrich noch bei seiner Schwester und ist erst vor wenigen Tagen nach Poppelsdorf zurückgekehrt. Aber der Diakon hat mir versprochen, ihm das Dokument sofort zum Siegeln vorzulegen. In wenigen Tagen, Ivo, wirst du frei und ungebunden sein.«
Eine seltsame Bewegung glitt über das braungebrannte Gesicht des Paters, und Theo nickte verständnisvoll.
»Komm, wir teilen uns den Rest, dann gibt es erst einmal für ein paar Tage nichts von diesem göttlichen Gesöff.«
»Hat dich der Bruder Camerarius auf Ration gesetzt?«
»Nein, nein. Nur es hat – einen Zwischenfall gegeben.«
»Aha.«
»Du brauchst überhaupt nicht auf diese Art die Braue hochzuziehen, Ivo. Es hat jemand mein Bier ausgesoffen. Ich weiß sogar, wer.«
»Unsere Novizen, nehme ich an. Muss mein Donnerwetter wieder zwischen sie fahren?«
»Könnte ihnen nicht schaden, aber sie waren es nicht. Es war dieser verdammte Vergolder.«
»Der Hölle sei er geweiht!«
»Das ist er schon aus vielen anderen Gründen, vermute ich. Das Bier hat die Liste seiner üblen Taten nur noch um einen Punkt verlängert. Ich war ein Idiot, dass ich ihn eingestellt habe.«
»Ehrwürdiger Vater, das kann ich nicht glauben.«
»Spotte du nur. Aber die Zünftigen hier in Köln haben mir eine Abfuhr erteilt. Die einen überarbeiten den Altar bei den Clarissen, die anderen hat der Dompropst bestellt, die Chorschranken neu zu vergolden, weil der Erzbischof in naher Zukunft wieder Einzug in die Stadt halten wird. Da stand plötzlich dieser Thomas vor der Tür. Er erschien mir wie ein Geschenk des Himmels. Und hin wie her, er macht seine Arbeit gut.«
»Ich bin fast drei Wochen fort gewesen, Theo. Du wirst mich aufklären, welch wichtige Arbeit das ist.«
»Unser Bertram hat eine Apostelgruppe geschnitzt, und ich hatte mir gedacht, dass es sich bei dem Pfingstgottesdienst sehr gut machen würde, wenn wir sie ausstellen würden.«
»Bertrams Figuren, Theo, bedürfen keiner Vergoldung.«
»Nein, nein, nur hier und da ein Tüpferchen. Aureolen, Hirtenstäbe und so. Aber ich habe den Jungen gebeten, Feuerzungen zu schnitzen, sodass wir sie über der Gruppe aufhängen können. Und die müssen vergoldet sein, sonst wirkt es nicht.«
Um Pater Ivos Augen spielten einige kleine Fältchen, doch ansonsten blieb seine Miene ernst. Er kannte Theo schon lange und sehr gut. Der Abt würde sich nie etwas zu Schulden kommen lassen, was gegen das Gelöbnis der Keuschheit und den Dienst an Gott und seiner ihm Anvertrauten verstieß, doch er hatte einen nur mühsam unterdrückten Hang zu guten Speisen und Getränken und eine offensichtliche Neigung zu edlen Kunstwerken. Das Gelübde der Armut war schwer zu halten, denn das Kloster verfügte über ein ansehnliches Vermögen. Die Ausstattung seiner Wohnräume zeugten von erlesenem Geschmack und einem guten Auge für Qualität.
»Zieh ihm das Bier vom Lohn ab«, schlug der Benediktiner vor und nahm den letzten Schluck von dem bitteren Hopfenbier.
»Das werde ich tun. Nun berichte: Was tut sich auf den Gütern?«
Das dauerte bis zur Non, gemeinsam suchten sie dann die Kirche auf, und nach der Messe schlenderte Ivo zu den Werkstätten. Bertram sah lächelnd von seiner Schnitzerei auf und erhob sich, als der Mönch zu ihm trat.
»Nun, mein Junge, wie geht es dir?«
»Ich grüße Euch, Pater Ivo. Danke, ich fühle mich sehr wohl.«
»Keine Anfälle mehr?«
»Nein, Pater. Ich mag die Gleichförmigkeit des Lebens hier. Und alle sind sehr nett.«
»Deine Arbeit geht gut voran, hörte ich.«
»Der ehrwürdige Vater ist die Güte selbst. Meine Apostel sollen den Gläubigen gezeigt werden.«
»Vergoldet!«, grummelte der schwarze Benediktiner, und der Novize lachte leise.
»Nur ein bisschen, ehrlich. Seht, dies macht Thomas mit ihnen.«
Die Figuren, gut drei Handspannen hoch, trugen fein geschnitzte Heiligenscheine, und mit äußerster Belustigung stellte Ivo fest, dass ihre Gesichter die Züge der Klosterbewohner trugen.
»Du bist ein Schlingel, Novize!«
Bertram senkte demütig den Kopf, sah dann aber wieder auf und geradewegs in die grauen Augen seines Besuchers. Er entdeckte keine Missbilligung darin, also lächelte er.
»Was hältst du von dem Vergolder?«, fragte Pater Ivo ihn, ohne weiter darauf einzugehen.
»Er ist ein Schlitzohr. Aber er versucht, es zu verstecken.«
»Aber du hast es herausgefunden?«
»Wir teilen uns die Werkstatt. Er trägt zwar immer eine Kappe, die die Ohren bedeckt, aber neulich ist sie ihm heruntergefallen. Er hatte gesoffen.«
»Also aus der Zunft ausgestoßen, aber nicht aus der Kölner.«
»Er behauptet, er käme aus Nürnberg.«
»Wo ist er untergebracht?«
»In der Zelle neben der Euren, denn das Gästehaus ist in diesem Monat belegt.«
»Werde ich ihn jetzt dort finden?«
»Wohl kaum. Fragt den Bruder, der das Bier braut, da lungert er vor der Vesper häufig herum.«
Pater Ivo überquerte zügigen Schrittes den Hof und fand Bruder Gereon, der die gekeimte Gerste auf der Darre ausbreitete, wo sie über dem Ofen getrocknet werden sollte.
»Alchemistische Übungen, Bruder?«
»Weit geheimnisvoller. Und für manche ein Grund, ständig an meiner Kutte zu hängen.«
»Der Vergolder?«
»Ein Schnüffler und ein Säufer und ein Bierdieb.«
»Vater Abt berichtete mir. Wo finde ich ihn?«
»Hier nicht. Ich habe ihm versprochen, ihm das Fell mit der neunschwänzigen Geißel zu gerben, wenn ich ihn noch einmal am Fass erwische. Schau in den Ställen nach, dort pflegt er seinen Rausch im Stroh auszuschlafen.«
»Mhm!«, grollte der Benediktiner und fügte dann aber in seltener Gutmütigkeit hinzu: »Dein Bier gefällt mir. Du verstehst dein Handwerk, Bruder.«
»Omnia ad maiorem dei gloriam.«
»Natürlich. Nur und ausschließlich zur höheren Ehre Gottes.«
Ungewöhnlich gut gelaunt wandte sich Pater Ivo ab, und Bruder Gereon schob dessen beschwingten Gang auf die Vorfreude, einem versoffenen Handwerker die Leviten lesen zu können. Die Strafpredigten des graubärtigen Benediktiners waren legendär, und kaum einer hatte je dem Blick unter seinen grimmigen schwarzen Augenbrauen standhalten können.
Im Stall jedoch fand Pater Ivo den Übeltäter nicht, dagegen aber etliche Pferde von Besuchern und auch den alten Gaul, mit dem er unterwegs gewesen war. Das Tier hielt seinen Kopf in die Krippe gebeugt und mahlte zufrieden Heu zwischen seinen Zähnen. Da keiner der Stallburschen anwesend war, erlaubte sich der gestrenge Pater, dem Klepper auf den Hals zu klopfen und ihm einige Worte ins Ohr zu flüstern. Das Tier hob seinen Kopf, und in den unergründlichen Pferdeaugen stand Zuneigung.
Abrupt wandte sich der Benediktiner ab und suchte einen der Stallknechte.
»He, du! Bursche!«
»Ja, ehrwürdiger Bruder?«
Der schmächtige junge Mann war zusammengezuckt, als die hohe Gestalt in der schwarzen Kutte vor ihm auftauchte.
»Wenn ich ein anständiges Ross erwerben wollte, wo fände ich eines?«
»Ihr – ähm – braucht ein Ross, Bruder?«
»Ich brauche eins.«
»Je nun... Da gibt es den Mathis Rossmann, aber um mit dem zu handeln, braucht es Pferdeverstand.« Zweifelnd sah der Knecht den Mönch an.
»So. Wer noch?«
»Den Severin Struyss. Ist aber ein Feilscher.«
Noch mehr Zweifel schwang in der Stimme mit.
»Du glaubst, Bursche, ich hätte weder Pferdeverstand noch sei ich des Feilschens kundig?«
Die dumpf grollenden Worte hatte die Wirkung eines herannahenden Erdbebens, und der junge Stallbursche wurde noch kleiner und schmächtiger.
»Nein, ehrwürdiger Bruder. Ich sag nur, was ich gehört hab.«
»Gut – und wer ist ein vertrauenswürdiger Pferdehändler?«
»Der...der... Versucht’s bei dem Schmied vom Adler. Der hat manchmal Rösser. Weiß aber nicht, woher.«
Der Pater nickte zufrieden und fragte abrupt nach dem Vergolder. Den hatte der Stallknecht jedoch auch nicht gesehen.
Dennoch fand sich der Gesuchte kurz darauf, und ihn ereilte ein unerbittliches Schicksal.
4. Kapitel
Dem Päckelchesträger Pitter knurrte der Magen – ein Geräusch, das er nur allzu gut kannte. Seit den frühen Morgenstunden des schönen Maien-Samstags war er auf den Beinen. Er hatte Reisende zu Herbergen geführt, Botschaften überbracht, einer edlen Dame Geleit zum Ratsherrn von Stave angeboten, seine Schwester Susi bei der Pastetenbäckerin abgeholt, und dort auf die Schnelle ein Stückchen Schmalzbrot verschlungen. Dann hatte er im Haus derer von Spiegel die Nachricht vom Adlerwirten abgeliefert, dass Simon ein stattliches Ross zu verkaufen habe, einer Gruppe Pilger den Weg zum Dom und zwei Mönchen den zu einem übel beleumundeten Badehaus gezeigt. Dabei hatte er allerlei Neuigkeiten und Gerüchte aufgeschnappt und sich schließlich wieder zum Wirtshaus begeben, um seine Provision für das Überbringen der Botschaft abzuholen. Sie wurde ihm von Franziska, der Wirtin selbst, in Naturalien ausgezahlt. Großzügig war die kleine Katzeborste, das musste man ihr lassen. Sie wies ihm einen Platz in der Gaststube an und richtete ihm eine Schüssel. Tief schöpfte sie aus dem leise brodelnden Kessel über dem Herdfeuer der Gaststube, und zwischen dem Kohl und den Rüben befanden sich ausreichend Fleischstücke. Die Brotkanten, die sie dazugelegt hatte, waren dick mit salziger Butter bestrichen, und der Apfelmost prickelte auf seiner Zunge. Hungrig verschlang Pitter die reiche Mahlzeit, und erst als er halbwegs gesättigt war, warf er einen Blick in die Runde.
Ordentliche Gäste besuchten den Adler. Er erkannte einen reichen Kappesbauern, zwei Zunftmeister, eine Gruppe friesischer Tuchhändler beim Würfelspiel, ein turtelndes Liebespaar und einen einsamen, unscheinbaren Gesellen, der an einem Brotkanten nagte. Dann lenkten ihn die beiden Schankmädchen von weiteren Betrachtungen ab. Die Fidgin und die Grit gehörten zu den Schülerinnen der Beginen, und an fünf Tagen in der Woche teilte er mit ihnen die Schulstube, um das Wunder der Buchstaben und Zahlen zu ergründen. Ihr Verhältnis zueinander konnte man als bewaffneten Frieden bezeichnen, bei dem gegenseitige Pieksereien zur Tagesordnung gehörten.
»Er müsste fett wie eine Tonne Heringe sein, der Päckelchesträger, so viel, wie der frisst«, flüsterte Grit vernehmlich ihrer Freundin zu, als sie an seinem Tisch vorbeigingen.
»Ach was, die Suppe steigt ihm in den leeren Kopf, nicht in den Magen. Darum ist er immer hungrig und kann nicht denken«, tönte Fidgin laut genug, dass drei Männer anfingen zu lachen und ihr einer beifällig auf die Kehrseite ihrer Röcke klatschte.
»Besser den Kopf voller Suppe als voller Grillen und einen fetten Hintern voller Hummeln«, beschied Pitter sie gelassen und wischte seinen Napf mit Brot aus.
Besagter Körperteil wurde verführerisch vor seinem Tisch geschwenkt, aber da Pitter wusste, wann ihm nur etwas vorgegaukelt wurde, widmete er sich lieber den kulinarischen Genüssen und sorgte somit unwissentlich für Enttäuschung.
Wohlgesättigt erhob er sich schließlich und suchte die Adlerwirtin in der Küche auf, um ihr weitere Dienste anzubieten – sofern sie ihm einen Krug ihres Selbstgebrauten anvertraute.
»Geh nur in den Schuppen, Pitter. Da steht das Bierfass. Aber nicht an den Braukessel gehen, darin gärt’s noch«, wurde er gemahnt.
In dem Anbau neben der Küche, weit genug von der warmen Schmiede und ihren durstigen Kunden entfernt, hatte Franziska ihre Braustube eingerichtet. Es roch schon an der Tür nach Malz und Hefe, nach Gärung und bitterer Würze. Erwartungsvoll trat Pitter ein und blieb verdutzt stehen.
Über den Rand des großen Kupferkessels gebeugt hing ein Mann.
»Holla, du Suffnase!«, rief er und trat näher, um den Trinker auf sich aufmerksam zu machen. Dabei bückte er sich, um das zusammengefaltete Pergamentstückchen aufzuheben, das ihm ein Luftzug vor die Füße wehte. Dann aber erkannte er, was passiert war.
»Heiliger Sankt Hadrian!«, rief Pitter den Patron der Schmiede, Bierbrauer und Boten zu Hilfe und trat näher an den Mann.
Sein Kopf war zur Gänze in dem Bier untergetaucht.
Pitter zögerte nicht lange, er packte den Mann bei den Schultern und versuchte, ihn herauszuhieven.
Mit einem Krachen stürzte der Kupferkessel um, und die Gärmaische ergoss sich über den Boden und den Toten.
Mit fliegenden Röcken stürzte die Wirtin herbei und begann unflätig zu schimpfen. Der Schmied stapfte in den Raum, und plötzlich waren auch alle Gäste, die Schankmaiden und zwei Reiter in dem Raum.
Alle betrachteten ungläubig den im Bier Ertrunkenen, und in die andachtsvolle Stille fielen die geflüsterten Worte: »Der Herr sei ihm gnädig. Aber was für ein Tod!«
Dann brach der Tumult los, und niemand achtete auf das kostbare Brevier, das von den Füßen in eine staubige Ecke gestoßen wurde.
5. Kapitel
Almut erwachte vom Trillern und Jubilieren der Vögel vor ihrem Fenster. Es war noch früh, und kühle Luft zog durch die offenen Läden. Sie hatte sie am Abend nicht geschlossen, weil sie einer Nachtigall gelauscht hatte, deren fein gewobene Melodien eine bittersüße Sehnsucht in ihr ausgelöst hatten. Die braune Sängerin war nun verstummt, dafür schmetterten Finken und Goldammern, Rotkehlchen und Drosseln aus voller Kehle ihre Lieder. Zart wehte der Duft von Rosen um sie, denn am Tag zuvor hatte sie gebadet und die kostbare Essenz verwendet, die Aziza ihr geschenkt hatte. Auch die Maiglöckchen in dem kleinen Zinnbecher verströmten ihren Wohlgeruch. Glücklich kuschelte sie sich in ihre Decken und schloss noch einmal die Augen.
Es war das Bild eines Mannes, das sie hinter ihren Lidern sah. Eines groß gewachsenen, grauhaarigen Mannes, dessen schwarze Brauen und die an beiden Seiten seines Mundes sich herabziehenden schwarzen Strähnen in seinem kurz geschnittenen Bart auf seine ehemalige Haarfarbe hinwiesen. Sie gaben ihm ein grimmiges Aussehen, und sie hatte ihn auch schon oft genug in dieser bitteren Stimmung erlebt. Doch als er gestern vor der Abendmesse, nach dreiwöchiger Abwesenheit, der Meisterin seine Aufwartung gemacht hatte, milderte das Leuchten in seinen Augen diesen Eindruck. Und als er sie begrüßte, hatten sich die Fältchen darum vertieft. Bedauerlicherweise war er nur kurze Zeit geblieben, doch hatte er ihr die freudige Kunde gebracht, dass er schon bald seiner Bande ledig sein würde. Er hatte auch nicht mehr die düstere Kutte der Benediktiner getragen, sondern eine graue, samtbesetzte Robe, wie sie von den Gelehrten bevorzugt wurde.
Noch jetzt klopfte ihr Herz heftig, als sie an den warmen Ausdruck in seinen Augen dachte.
Bald. Sehr bald...
Dann aber fielen ihr ihre Pflichten wieder ein, die es noch zu erfüllen galt. Die letzten Arbeiten an der kleinen Kapelle mussten getan werden, weißer Putz aufgetragen und der Holzboden verlegt werden. Zudem sollte sie sich auch um Clara kümmern.
Almut öffnete wieder die Augen und sah zu der golden glänzenden Gestalt ihrer Maria hin, die auf dem Tisch am Fenster stand und geduldig das langsame Erwachen ihrer Tochter beobachtete.
»Sei mir gegrüßt, Maria, Jungfrau und Mutter, du bist der goldene Leuchter, der die helle Lampe trägt, für alle Zeit das Licht der Welt«, flüsterte Almut leise. Die weißen Blüten der Maiglöckchen vor der Statue nickten leise in der sanften Brise, die vom Fenster kam. »Gib mir Rat, weise Königin des Himmels, denn ich weiß nicht, wie ich ihre Sturheit durchbrechen kann. Sie leidet, liebreiche Jungfrau, und ich glaube, ganz schrecklich. Aber sie klagt nicht, obwohl sie sonst über jeden kleinen Harm in lautes Jammern ausbricht.« Maria schien, wie immer, aufmerksam zuzuhören, und Almut schilderte ihr vertrauensvoll, wie sie am Tag zuvor, als sie ihr Bad beendet hatte, Clara in den Zuber hatte steigen sehen. Ein Band roter, glänzender Flecken zog sich wie ein Gürtel um ihren Brustkorb. Sie hatte zwar schnell ein Leinentuch über sich geworfen, aber Almuts Blick war der entzündete Hautausschlag nicht entgangen. »Ich verstehe nicht, gnadenreiche Mutter, warum sie nicht Elsa aufsucht und sich eine lindernde Salbe geben lässt. Warum hat sie mich nur so böse angefahren, als ich sie darauf angesprochen habe? Es sieht aus, als ob sie leiden wolle.«
Eine frühe Honigbiene brummelte durch das Fenster und setzte sich zum Ausruhen auf Mariens Schoß. Der Blick der Gottesmutter ruhte langmütig auf der kleinen Kreatur.
»Du hast ja recht, Begnadete des Herrn, wenn sie das will, dann muss man ihr es zugestehen. Aber – Mist, Maria, ich kann sie nicht leiden sehen. Diese Entzündung muss brennen, als ob sie Feuer unter dem Gewand trüge, und ihre Lippen sind verkniffen vor Schmerz. Wenn sie nicht zu Elsa geht, dann werde ich es eben tun und mir einen Balsam für sie geben lassen. Selbst wenn ich ihn anschließend mit Gewalt auf ihre Rippen schmieren muss!«
Mit einem zornigen Summen erhob sich die Biene und sauste wie eine vom Katapult geschossene Kugel durch die Stube.
»Ähm – schon gut, Maria, sanfte Herrscherin. Ich werde einfach nur versuchen, sie zu überreden.«
Die Biene flog aus dem Fenster in den Sonnenschein.
Möglicherweise lächelte Maria, aber das konnte man bei der kunstfertig gestalteten Figur nie so genau erkennen. Denn wie immer das Licht einfiel, veränderte sich der Ausdruck auf ihrem goldenen Antlitz. Doch Almut war es zufrieden, und sie beendete ihr morgendliches Gebet: »Du bist die Blume, die Isais Stamm entsprang, bist Aarons Stab, der, ungepflanzt und ungewässert, Knospen trug. Gesegnete wollen wir dich nennen, und deinen Namen allen Generationen verkünden. Amen.«
Nach der Messe, die die Beginen gemeinsam in St.Kunibert besuchten, klopfte Almut also an der Tür der Apothekerin Elsa an. Obwohl der Sonntag der Ruhe und Besinnung dienen sollte, werkelte diese mit ihren Arzneien herum. In dem ordentlich eingerichteten Laboratorium hingen dicke Sträuße getrockneter Kräuter von der Decke, Körbchen mit allerlei Wurzeln reihten sich auf Borden, eine Schüssel mit reinstem, weißem Schweinefett für die Salbenzubereitung war mit einem Tuch abgedeckt. Mörser in verschiedenen Größen, kupferne Tiegel und Kessel, Siebe und Trichter, ja sogar ein Alambic standen auf der Arbeitsfläche neben dem Kamin, Phiolen und Dosen, Kästchen und Büchsen enthielten fertige Elixiere, Einreibmittel, Pillen und Pülverchen.
»Der Aufguss muss durchgeseiht werden, damit muss unser Herrgott leben«, grummelte Elsa, ohne sich umzudrehen.
»›Die Augen des Herrn sind an allen Orten, sie schauen auf Böse und Gute‹, sagt der Weise. Und ich glaube nicht, dass er dein Tun für böse erachtet.«
»Hach, Almut! Ich dachte, es wäre Magda. Was willst du? Rosenessenz habe ich nicht, und auf Liebestränke kannst du getrost verzichten, so wie dein Pater dich gestern angesehen hat.«
»Hat er?«
»Er will dich schnellstens aufs eheliche Lager ziehen, wenn du mich fragst. Mit oder ohne Segen.«
»Ivo vom Spiegel ist ein ehrenwerter Herr.« Almut reagierte verschnupft auf die derbe Anspielung. Ihre Gefühle im Hinblick auf diesen Aspekt ihrer neuen Rolle waren gemischt. Als Witwe eines alten, kranken, herrschsüchtigen und brutalen Mannes hatte sie keine besonders glücklichen Erinnerungen an die Pflichten einer Ehefrau. Je nun, man würde sehen. Mit diesen Worten schob sie den unliebsamen Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf ihr Anliegen.
»Clara ist krank!«
»Ich weiß.«
»Hat sie dich inzwischen um Hilfe gebeten?«
»Nein. Meine Arzneien waren ihr noch nie gut genug. Sie muss doch immer zu ihren gelahrten Doctores mit ihren Wehwehchen laufen.«
»Diesmal ist es kein Wehwehchen. Sie hat einen üblen Ausschlag, Fieber und ganz offensichtlich schreckliche Schmerzen.«
Elsa drückte das Leinentuch aus, durch das sie die Flüssigkeit geseiht hatte, und sah zweifelnd auf.
»Woher weißt du das? Sie spricht doch mit niemandem darüber. Oder vertraut sie dir jetzt ihre Leiden an?«
Elsa war empfindlich und hatte einen Hang zur Eifersucht, aber Almut, in sanfter Stimmung, ging darüber hinweg und erklärte der Apothekerin, woher sie ihre Erkenntnis hatte.
»Hört sich ganz nach der Gürtelrose an. Eine böse Sache«, war dann ihr Kommentar. »Eine ganz böse.«
»Was würdest du ihr verabreichen, wenn sie dich darum bäte?«
Mochte Elsa auch gelegentlich unwirsch und empfindlich sein, als Apothekerin nahm sie ihre Aufgabe ernst. Sie sah sich um und musterte die Töpfe auf dem Bord.
»Weidenrinde senkt das Fieber und hilft gegen die Pein. Ringelblumensalbe trägt zur Heilung der Haut bei. Aber sie lindert nicht die brennenden Schmerzen. Besser noch würde ein Umschlag von zerdrückten Dachwurzblättern helfen. Sie kühlen und beruhigen und lassen den Ausschlag abklingen.« Elsa sah Almut an und hob die Schultern. »Dachwurz habe ich aber nicht hier.«
»Wo kann man sie besorgen?«
»Bei deiner Freundin Franziska wächst sie reichlich, habe ich letzthin bemerkt. Ich wollte sie selbst um etwas davon bitten.«
»Dann sollte ich wohl mal dem ›Adler‹ aufs Dach steigen.«
 
Am Nachmittag setzte Almut ihr Vorhaben in die Tat um. Da die Beginen gehalten waren, nie alleine durch die Straßen zu wandern, hatte sie Rigmundis gebeten, sie auf dem kurzen Weg zu begleiten. Das Wirtshaus »Zum Adler« lag an der nordsüdlichen Durchgangsstraße nahe dem Eigelsteintor und wurde gern von den in Köln eintreffenden Reisenden besucht. Auch die angeschlossene Schmiede konnte über einen Mangel an Arbeit nicht klagen. Außerdem wurde unter der Hand gemunkelt, dass man bei dem Adlerwirt hin und wieder frisches Wildbret erhalten konnte, dessen Quellen nicht völlig geklärt waren. Doch jene, die es schätzten, hüteten sich, zu sehr nach Einzelheiten und Hintergründen der Herkunft zu forschen.
An diesem Sonntagnachmittag ruhte jedoch die Arbeit in der Werkstatt, die Esse stieß keinen Rauch aus, und das ständige »Ping, ping« des Hammers auf dem Amboss fehlte. Doch in der Gaststube duftete es nach dem kräftigen Eintopf, der Tag und Nacht über dem Feuer simmerte, und eine Gruppe Nordmänner aus dem Wik unterhielten sich ruhig bei ihrem Apfelwein in einer Ecke. Almuts Blick glitt über sie hin und blieb auch nicht an dem unscheinbaren Gast mit der mausbraunen Gugel hängen, der mit einem Messer seine Fingernägel bearbeitete. Die Gäste nahmen nur kurz Notiz von den beiden grauen Beginen mit ihren straff gebundenen Gebänden.
»Frau Wirtin!«, rief Almut in Richtung Küche.
»Komm ja schon, komm ja schon!«
Eine kleine, quirlige Gestalt fegte in den Raum und jubilierte: »Almut, hei, was für eine Freude. Und Frau Rigmundis! Setzt Euch, setzt Euch. Ich bringe Wein und Most und Bier und...«
»Ich grüße Euch, Franziska«, bremste Almut den Überschwang der Wirtin, lächelte sie aber freundlich an. »Wie laufen die Geschäfte?«
Über Franziskas offenherziges Gesicht huschte eine Wolke, und mit einer Handbewegung wies sie auf die Tür zur Küche.
»Gut, gut. Aber Ihr habt recht, es ziemt sich nicht für Euch fromme Frauen, in der Gaststube zu sitzen. Kommt mit nach hinten.«
Rigmundis und Almut folgten der Wirtin, und kaum hatten sie an dem gescheuerten Tisch Platz genommen, stellte Franziska zwei Krüge und Becher darauf. »Wein für Euch, Almut, gewürzt mit Nelken und Honig und allerlei geheimnisvollen Spezereien. Mögt Ihr auch von dem Claret, Frau Rigmundis, oder ist Euch ein Bier angenehmer?«
Almut fuhr auf. Franziskas Bier enthielt manchmal recht abenteuerliche Zutaten. Einst hatte sie Bilsenkraut verwendet, was höchst seltsame Folgen gezeitigt und zur vollständigen Vernichtung des Inventars im Adler geführt hatte.
»Was habt Ihr diesmal zur Grut genommen?«, wollte sie deshalb wissen.
»Rosmarin und Gagel, ganz wie’s sich gehört.«
»Ich würde das Bier gerne probieren«, ließ sich Rigmundis vernehmen. »Unsere Gertrud stellt guten Apfelwein und Würzwein her, Bierbrauen geht ihr nicht recht von der Hand.«
»Dann bedient Euch.«
Der Claret war wirklich gut, und mit Behagen schlürfte Almut den süßen Wein. Aber dann erinnerte sie sich an die dunkle Wolke, die Franziskas Gesicht überschattet hatte, und fragte noch einmal nach: »Es ist ruhig heute, will mir scheinen.«
»Es ist heiliger Sonntag. Ansonsten geht es hoch her, wir können nicht klagen. Nur dass gestern – ein unangenehmer Zwischenfall, ein Unfall sicher, aber... Und der arme Pitter hat ihn auch noch entdeckt.«
»Was geschah?«
»Einer unserer Gäste ist in den Braukessel gekippt und ertrunken.«
»Ei wei!«
»Trunken allem Anschein nach, und auf der Suche nach einer weiteren Quelle. Er ist in mein Braustübchen eingedrungen, ahnte wohl, dass da die Fässer mit frischem Bier stehen. Dann muss ihn die Gier übermannt haben. Kopfüber hat er sich in den Kessel gehängt, gesoffen wie ein Pferd. Dabei gärte es noch. Aber im Suff sind Männer ja völlig hirnlos.«
»Hoffentlich nicht einer Eurer Stammgäste?«
»Nein, ein Mann, der kaum zwei, drei Male bei uns war. Keiner wollte sich an ihn erinnern, keiner kannte seinen Namen, und die Wachen haben ihn mit zum Turm genommen. Es wird ihn schon jemand vermissen und sich an die rechte Stelle wenden. Aber für das Geschäft ist es nicht gut, eine Leiche im Bier zu haben.«
»Tatsächlich. Aber es wird schnell Gras über die Sache wachsen, Franziska. Es erinnert sich schon kaum einer mehr an die arme Lissa, die man bei Euch gefunden hat. Nun berichtet, wie gefällt Euch der Ehestand? Liegt Euer Gatte Euch weiterhin zu Füßen?«
»Ha, wie ein Lämmchen ist er, wie ein ausgepustetes Ei behandelt er mich, seit er weiß, dass seine Männlichkeit Früchte trägt. Aber das ist auch das Mindeste, was ich von ihm erwarte! Heilige Sankte Marthe, was macht es die Kerle stolz, wenn sie gesät haben. Dabei ist ihr Verdienst an der Sache jämmerlich, muss ich mich doch mit der ganzen Last herumschleppen.«
»Wollt Ihr damit sagen, Frau Franziska, dass Ihr gesegneten Leibes seid?«, frage Rigmundis und strahlte die kleine Wirtin an. Die strahlte zurück und nickte.
Die Beginen wünschten ihr aufrichtig Glück, dann kam Almut zu ihrem eigentlichen Anliegen, schilderte Claras Leid und den Wunsch, einige Blätter der Dachwurz mitnehmen zu dürfen.
»Aber natürlich, sicher. Ich will gleich Simon auf die Leiter jagen. Kommt mit, Almut, und zeigt ihm, welche Pflanze Ihr meint, sonst erntet er Dachschindeln und Fledermäuse.«
Der breitschultrige Schmied war schnell aufgetrieben und gerne bereit zu helfen. Doch es dauerte eine geraume Zeit, denn zwischen den Eheleuten entwickelte sich ein herzliches Geplänkel. Wie es schien, nahmen sie die Eigenarten ihrer Gäste zum Anlass, gewinnträchtig über deren Verhalten zu spekulieren. In diesem Fall hatte die Wirtin den richtigen Schluss gezogen, was sie ihrem Gemahl mit Freude unter die Nase rieb.
Mit einem triumphierenden Lächeln schaute sie zu ihm hoch, kaum dass Simon den Fuß auf die erste Sprosse der Leiter gesetzt hatte.
»Ich habe die Wette gewonnen, Simon. Fast kann ich dem knauserigen Kerl dankbar sein, dass er wieder nur Brot und Schmalz bestellt hat. Den Braten hat er verschmäht, der Knicker.«
»Ein Dummkopf der, wie konnte er widerstehen? Und mich um meine Münzen bringen!«
»Nicht jeder Mann denkt wie du mit dem Magen.«
Simon grinste. »Vorhin hast du ein anderes meiner Körperteile bezichtigt, das Denken übernommen zu haben.«
»Kscht, es sind keusche Beginen anwesend! Hach, gleich morgen werde ich seinen Satz Zinnbecher von meinem Gewinn kaufen. Du kannst ja sehen, ob du ihm die Groschen bei einem Würfelspiel wieder abzwacken kannst. Dann legt unser geiziger Gast vielleicht endlich sein Messer aus der Hand und hört auf, seine Fingernägel zu malträtieren.«
»Der und um Geld spielen? Darauf würde ich nun wirklich keine Wette eingehen.«
»Warum nicht? Sein Säckel ist gut gefüllt. Der Herr vom Spiegel hat ihm das Ross gut bezahlt. Das hast du selbst gesagt.«
»Wenn es aber gar nicht sein Säckel ist? Wer deinem Braten widersteht, ohne ein armer Mann zu sein, kann nur der Diener eines hohen Herrn sein.« Das klang wie eine für Simon beinahe philosophisch anmutende Beurteilung. »Eines hohen Herrn in Geldschwierigkeiten, würde ich vermuten. Das Ross war ein Tier im besten Alter, gut beisammen, das Fell gepflegt, kurzum: Von so einem Prachtgaul trennt man sich nicht ohne Not.«
»Er tat’s, und es war ja nicht zu deinem Schaden. Die Ausgaben für die Zinnbecher wirst du so ganz leicht verschmerzen.«
»Du hast recht, Adlerwirtin!« Simon reichte ihr eine Handvoll Pflanzen vom Dach.
Almut, die dem Wortwechsel erheitert gefolgt war, stellte mit einem kleinen Lächeln fest, dass ihr Pater offenbar tatsächlich mehr und mehr den weltlichen Dingen zugeneigt war. Dass er ein eigenes Reittier erstanden hatte, war ein weiterer Schritt in sein neues Leben. Während sie gut gelaunt den Korb mit den dickfleischigen, saftigen Blättern der rosettenförmigen Dachwurz gefüllt hatte, kam ein weiterer Mann in einem graubraunen Pelzwams in den Hof, der ein Pferd am Zügel führte. Er band es an einen Pfosten und lauschte anscheinend eine Weile dem Schwatzen der Wirtsleute, aber sie fühlte den intensiven Blick, mit dem er sie musterte.
»Wer ist der Mann dort?«, unterbrach sie Franziskas Tirade, und die drehte sich um.
»Das ist Hardwin. Unser neuer Pferdeknecht. Er kam am Donnerstag zu uns und bat um Arbeit. Simon hat ihn zur Probe genommen, und maulfaul, wie der Kumpan ist, scheint er Gefallen an ihm zu finden. Er hält sich sehr für sich, und solange er keine Händel anfängt, kann er meinethalben sein Lager im Stroh behalten.«
Während sie das laut verkündete, hatte sich der Mann umgedreht und war zum Stall gegangen. Almut sah ihm nach. Auf unergründliche Weise hatte sie das Gefühl, ausgiebig geprüft und abgeschätzt worden zu sein, genau wie ein Pferd auf dem Markt.
»Komischer Kerl. Na, ich glaube, das sollte reichen. Simon, nicht noch mehr Blätter, mein Korb ist voll.«
Sie kehrten in die Küche zurück, wo sie Rigmundis fanden, die mit glasigem Blick in das Herdfeuer starrte. Sie wandte ihre Augen auch nicht ab, als Almut sie sacht an der Schulter berührte, sondern begann mit leiser, rauer Stimme zu sprechen.
»Sie rührt und mischt und braut in Tiegeln, Kesseln und Töpfen, lässt gären und keimen die böse Saat. Und süß wie Honigseim sind die Lippen der Heuchlerin, und ihre Kehle glatter als Öl. Hernach aber ist sie bitterer als Wermut und scharf wie ein zweischneidiges Schwert. Ihre Füße laufen zum Tode hinab, ihre Schritte führen in die Hölle. Und die Gottlosen weben ein Netz aus Täuschungen. Vertraut ihnen nicht, seid wachsam, denn sie haben lange Zeit mit dem Tod gespielt, und wohin ihre goldenen Finger weisen, erblüht der Verrat. Sie errichten Mauern um den Schuldlosen und lassen ihn bittere Kräuter essen. Sie stürzen die trauernde Mutter in den Abgrund des Wahnsinns. Sie verderben den Schwachen mit ihrer Wollust und verführen den Verstoßenen, ihren Dämonen zu dienen. Hinter einer schwarzen Larve blicken sie in lichtlose Abgründe. Darum beherzigt den Siegespsalm des Steineschleuderers und bringt das Feuer unter das Gewand der Ehebrecherin, damit sie verbrenne und mit ihr die bösen Geister, die sie geweckt hat.«
Rigmundis verstummte, und Franziska, erblasst und mit riesigen Augen, schlug ein Kreuzzeichen.
»Wach auf, Rigmundis«, flüsterte Almut der Erstarrten ins Ohr. »Wach auf. Lös deinen Blick vom Feuer!«
Als die Begine nicht reagierte, stellte Almut sich zwischen sie und die Flammen, und endlich kam wieder Leben in Rigmundis. Sie schüttelte den Kopf und seufzte: »Ganz schön stark, dieses Bier, nicht wahr? Es macht müde und benommen.«
»Ja, das scheint mir auch so. Du hättest besser Wein getrunken. Fühlst du dich kräftig genug, nach Hause zu gehen? Ich habe meine Heilpflanzen bekommen, und die Gaststube scheint sich zu füllen. Wir wollen die Wirtin nicht länger von ihrer Arbeit abhalten.«
»Ja natürlich, Almut. Die frische Luft wird mir guttun.«
»Habt Ihr einen Happen Brot und einen Schluck Wasser für sie, Franziska?«
Die Wirtin, noch immer fassungslos, beeilte sich, das Gewünschte herbeizuholen, und während Rigmundis sich stärkte, zog Almut sie beiseite.
»Macht Euch keine Sorgen, Franziska. Ich nehme an, Rigmundis hat heute Nacht wieder schlecht geschlafen. Dann träumt sie manchmal mit offenen Augen und bringt die Psalmen durcheinander.«
Franziska schluckte hart. »Es hat sich aber sehr bedrohlich angehört. Fast wie eine Warnung!«
Almut gab ein kleines schnaubendes Lachen von sich. »Franziska, die Bibel ist voller Warnungen, und wie der weise Salomo schon sagt: ›Wer Mund und Zunge bewahrt, der bewahrt sein Leben vor Not.‹ Darum schweigt bitte über die törichten Worte meiner erschöpften Schwester.«
»Sicher, sicher. Aber...«
»Vergesst sie einfach.«
Almuts Rat galt Franziska, sie selbst aber memorierte während des gesamten Rückwegs die kryptischen Worte der Seherin. Denn das war Rigmundis, und ihre Weisungen enthielten oft Andeutungen auf künftiges Geschehen. Manchmal waren sie harmlos, bezogen sich auf das Wetter oder neue Kleider, andere aber, und hier durchfuhr Almut ein kalter Schauder, betrafen wirkliche Gefahren.
 
Elsa hatte Almut gezeigt, wie man die Dachwurz zu einem Umschlag verarbeiten musste, und mit einigen sauberen Leinentüchern und den zerquetschten Blättern pochte sie später an Claras Tür. Ein scharfes »Herein!« erlaubte ihr einzutreten, und ein giftiger Blick empfing sie.
»Danke, Clara, dass du mir die Sprüche des Salomo zum Lesen gegeben hast. Sie sind wirklich sehr belehrend.«
»Dann halte dich an seine Weisheiten.«
»Das werde ich auch tun. Genau wie du, Clara. Darum wirst du jetzt nicht länger ein zänkisches Weib sein, sondern dir meine Pflege gefallen lassen. Zieh dein Gewand aus, es ist ein Feuer darunter, das ich stillen will.«
»Nein. Lass mich doch in Ruhe.«
»Ganz bestimmt nicht. Du hast kein Recht zu leiden und uns allen die Laune zu verderben.«
»Dann bleibe ich eben in meiner Kammer. Du kannst gehen.«
»Nein, das kann ich nicht. Meine Kammer liegt neben der deinen, und mich stört dein Seufzen und Stöhnen.«
»Ich seufze nicht«, stöhnte Clara.
»Wenn du mich diesen Umschlag auf den Ausschlag legen lässt, verrate ich dir, welches Gesicht Rigmundis heute in der Küche im Adler hatte. Die arme Franziska hat sie vollends verstört mit ihren bedrohlichen Worten.«
Es flammte ein Fünkchen Neugier in Claras Augen auf.
»Was hat sie dazu gebracht zu sehen?«
»Franziskas Bier und die Herdflamme.«
»Und was hat sie gesagt? Wieder eine Warnung vor einem dämonischen Mörder?«
»Schlimmer, fürchte ich.«
»Nun erzähl schon!«
»Zieh das Gewand aus, und lass dir den Umschlag auflegen.«
Beide Frauen starrten einander herausfordernd an, dann sackten Claras Schultern nach unten und sie stand auf.
»Hilf mir. Mir tut jede Bewegung weh.«
»Ich weiß, Liebelein.«
Lautlos rannen Clara Tränen über die Wangen, während Almut sie verarztete. Dann zog sie ihr wieder die dünne, weiße Cotte über und schnürte das graue Obergewand nur ganz leicht, sodass es den kühlenden Verband nicht drückte.
»Besser?«
»Ein bisschen, ja. Aber jetzt erzähl endlich, was Rigmundis gesehen hat.«
Almut berichtete und merkte dabei erfreut, wie sich die Schmerzfalten um Claras Mundwinkel ein wenig glätteten.
»Das lässt auf eine höchst unsympathische Person schließen, die ihr begegnet ist oder uns begegnen wird. Was meinst du?«
»Eine honigmäulige Verräterin. Die gibt es eben überall. Ich hoffe, sie meint nicht eine von uns.«
»Ursula hat eine Kehle glatter als Öl, wenn sie singt. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie jemanden mit ihrer Wollust verführt. Sie trauert noch immer um ihren Mann.«
»Das Rühren in Töpfen und Brauen in Kesseln spricht für Franziska, und deren Worte können schon scharf sein wie ein zweischneidiges Schwert. Aber sie ist eine ehrliche Haut und zu Täuschungen nicht fähig.«
»Ich wüsste auch keine von uns, die sich mit Dämonen abgibt.«
»Oder Mütter in den Wahnsinn treibt. Es wird jemand anderes sein. Vielleicht nur eine Klatschbase oder eine missgünstige Auftraggeberin oder die dumme Pute, diese Mutter Mabilia.«
»Es könnte harmlos ein, wie so oft. Trotzdem, du weißt, Almut, manchmal steckt wirklich eine Warnung hinter ihren Worten. Was war das mit den Psalm?«
»Der Siegespsalm des Steineschleuderers.«
»Mhm, hört sich gefährlich an. Lass mich ein wenig darüber nachdenken. Das lenkt mich wenigstens von den Schmerzen ab.«
»Gut. Dann lasse ich dich jetzt mit deinen Büchern alleine.«
Als sie die Tür hinter sich schließen wollte, hörte Almut dann doch noch das leise »Danke«.
6. Kapitel
Lange hatte Almut nicht mehr über die seltsamen Worte der Weisung gegrübelt, sondern sich mehr Gedanken um die anstehenden Probleme gemacht. Da Clara nun bereit war, sich helfen zu lassen, war ihr der Gedanke gekommen, den Apotheker am Neuen Markt aufzusuchen und seinen Rat zu erfragen. Am Montagnachmittag rief sie also munter vom Eingang her in das leere Offizin: »Meister Krudener, seid Ihr zu Hause?«
»Nicht für jeden!«, antwortete eine hohe, krächzende Stimme. »Wer seid Ihr?«
»Almut Bossart!«
Almut betrat trotz der barschen Antwort den höhlenartigen, düsteren Vorraum des Apothekerhauses.
»Ich kenne keine Almut Bossart. Ich bin nicht zu Hause!«, kam es unfreundlich von hinten. Almut schmunzelte. Nein, sie hatte Meister Krudener nie ihren vollen Namen genannt, aber die Zeiten hatten sich geändert, und hin und wieder fühlte sie sich inzwischen mehr als Frau denn als Begine. Und da sie wusste, wo sich hinter einem dicken Vorhang der verborgene Durchgang zu dem Labor des Alchemisten befand, bahnte sie sich den Weg durch die Tiegel und Töpfe, Phiolen und Krüge, die die Borde und die lange Theke bevölkerten.