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Die Dunkelelfen setzen alles daran, das Reich Silbermarken zu vernichten. Sie überziehen das ganze Land mit einer magischen Dunkelheit und verschaffen so den Orks von König Todespfeil den entscheidenen Vorteil gegen die Silbernen Streiter. Der abtrünnige Dunkelelf Drizzt Do'Urden findet sich mit seinen Gefährten unversehens in einer belagerten Stadt wieder und muss um sein Leben kämpfen. Es gibt nur eine Möglichkeit, die Silbermarken zu retten. Drizzt und seine Freunde müssen der wahren Gefahr gegenübertreten – im Reich der Dunkelelfen!
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Seitenzahl: 636
Veröffentlichungsjahr: 2018
Die Dunkelelfen setzen alles daran, das Reich Silbermarken zu vernichten. Sie überziehen das ganze Land mit einer magischen Dunkelheit und verschaffen so den Orks von König Todespfeil den entscheidenden Vorteil gegen die Silbernen Streiter. Der abtrünnige Dunkelelf Drizzt Do’Urden findet sich mit seinen Gefährten unversehens in einer belagerten Stadt wieder und muss um sein Leben kämpfen. Es gibt nur eine Möglichkeit, die Silbermarken zu retten. Drizzt und seine Freunde müssen der wahren Gefahr gegenübertreten – im Reich der Dunkelelfen!
Die Legende von Drizzt bei Blanvalet:
Die Dunkelelfen (26754) · Die Rache der Dunkelelfen (26755) · Der Fluch der Dunkelelfen (26756) · Der gesprungene Kristall (24549) · Die verschlungenen Pfade (24550) · Die silbernen Ströme (24551) · Das Tal der Dunkelheit (24552) · Der magische Stein (24553) · Das Vermächtnis (24663) · Nacht ohne Sterne (24664) · Brüder des Dunkels (24706) · Kristall der Finsternis (24931) · Schattenzeit (24973) · Der schwarze Zauber (24168) · Die Rückkehr der Hoffnung (24227) · Der Hexenkönig (24402) · Die Drachen der Blutsteinlande (24458) · Die Invasion der Orks (24284) · Kampf der Kreaturen (24299) · Der König der Orks (26580) · Der Piratenkönig (26618) · Der König der Geister (26619) · Gauntlgrym (26851) · Niewinter (26878) · Charons Klaue (26895) · Die letzte Grenze (26962) · Die Gefährten (26988) · Die Nacht des Jägers (6108)
Erzählungen vom Dunkelelf (26915)
Außerdem von R. A. Salvatore:
Star Wars: Episode I–III. Die dunkle Bedrohung – Angriff der Klonkrieger – Die Rache der Sith (37630)
Der Speer des Kriegers/Der Dolch des Drachen/Die Rückkehr des Drachenjägers. Drei Romane in einem Band! (24314)
Weitere Titel in Vorbereitung
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Die amerikanische Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel »Companions Codex 2. Rise of the King« bei Wizards of the Coast, Renton, USA.
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1. Auflage
Copyright der Originalausgabe © 2014
by Wizards of the Coast LLC 2014
FORGOTTEN REALMS, NEVERWINTER,
DUNGEONS & DRAGONS, D&D, WIZARDS OF THE COAST
and their respective logos are trademarks of Wizards
of the Coast LLC in the U. S. A. and other countries.
© 2014 Wizards of the Coast LLC. Licensed by Hasbro.
Published in the Federal Republic of Germany
by Blanvalet Verlag, München
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2018
by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkterstr. 28, 81673 München
Redaktion: Alexander Groß
Umschlaggestaltung: Isabelle Hirtz, Inkcraft,
nach einer Originalübernahme von Wizards of the Coast LLC
Umschlagillustration: Tyler Jacobson
HK · Herstellung: sam
Satz: omnisatz GmbH, Berlin
ISBN 978-3-641-22740-1V001
www.blanvalet.de
R. A. Salvatore: Rise of the King (Companions Codex II)
Kriegsgefährten
Werden meine Schritte langsamer werden, wenn die Begeisterung, mit den alten Freunden auszuziehen, unter dem Gewicht der Finsternis verebbt, die vor uns liegt? Und wenn ich mich mit Catti-bries Aussage, dass die Orks unverbesserlich seien, nicht abfinden kann? Oder wenn ich nicht mit Bruenor übereinstimme, aus dessen Sicht die Orks durch ihre Überfälle längst den Krieg erklärt haben? Was bedeuten solche Meinungsverschiedenheiten für die Freundschaft und den Zusammenhalt der Gefährten der Halle?
Drizzt Do’Urden
Prolog
»Hast du so etwas schon mal gesehen?«, fragte König Connerad Starkamboss den Gesandten der Zitadelle Felbarr. Sie standen auf einem kleinen Wachturm oberhalb des Tals der Wächter und beobachteten den dunklen Himmel. Die Sonne konnte die eigenartige Himmelsfärbung kaum durchdringen. Die bedrohliche, wabernde Schwärze über ihnen ließ so wenig Licht durch, dass man im Norden seit Tagen nicht einmal mehr den eigenen Schatten sah.
»Im ganzen Leben noch nicht, guter König«, antwortete der verdrießliche alte Krieger mit dem Namen Narbendain. »Wir halten es jedenfalls für nichts Gutes.«
»Das sind die Orks«, befand König Connerad. »Oboulds hässliche Streiter. Das sind die Orks, oder die Welt steht kopf, und Gnomen tragen so lange Bärte, dass sie einem großen Mann die Zehen kitzeln.«
Narbendain nickte zustimmend. Deshalb hatte König Emerus Kriegerkron ihn schließlich hierhergeschickt. Zweifellos war das Königreich Todespfeil die Ursache für diese befremdlichen Vorgänge – oder zumindest waren alle Zwerge der Silbermarken davon überzeugt, dass König Oboulds Untertanen den Grund dafür kannten.
»Habt ihr Nachrichten aus der Zitadelle Adbar?«, erkundigte sich König Connerad nach der dritten Zwergenfestung der Silbermarken. »Sehen sie das auch?«
»Ja, die Zwillingskönige sehen es, und sie suchen im Unterreich nach Antworten.«
»Glaubt ihr, dass die Jungs bereit sind – wofür auch immer?«, fragte Connerad. Vor kurzem hatte die Zitadelle Adbar zwei neue Könige gekrönt, Bromm und Harnoth, die Zwillingssöhne des alten Königs Harbromm, der vor seinem – aus Zwergensicht kürzlichen – Tod fast zweihundert Jahre lang dort geherrscht hatte. Die Zwillinge hatten eine solide Erziehung erhalten, doch die letzten Jahrzehnte waren weitgehend friedlich und ohne politische Ränkespiele verlaufen.
»Wer weiß?«, antwortete Narbendain kopfschüttelnd. König Harbromm war ihm und den anderen Bewohnern der Zitadelle Felbarr ein guter Freund gewesen, der König Emerus Kriegerkron fast so nahegestanden hatte wie ein Bruder. Der Verlust dieses großen Anführers, dessen Gebeine eben erst erkaltet waren, konnte fatale Folgen haben, falls diese Verfinsterung sich als so übel entpuppte, wie sie aussah. Er legte Connerad freundschaftlich eine Hand auf die Schulter. »Warst du bereit?«, fragte er. »Als König Banak starb und du in Mithril-Halle das Zepter übernommen hast? Hast du gewusst, was du wissen musstest?«
Connerad schnaubte. »Das weiß ich bis heute nicht«, sagte er. »Von außen sieht das Regieren so einfach aus.«
»Vom Thron aus nicht mehr«, bestätigte Narbendain, und Connerad nickte. »Nun denn, junger König von Mithril-Halle. Was weißt du bisher?«
»Ich weiß, dass ich nichts weiß«, erklärte König Connerad nachdrücklich. »Und dieses Nichtwissen dürfte meine Leute in Schwierigkeiten bringen.«
»Also Kundschafter.«
»Ja, ein paar. Und du gehst mit ihnen, damit du in Felbarr berichten kannst, was du mit eigenen Augen gesehen hast.«
Narbendain überlegte kurz, dann salutierte er vor dem König von Mithril-Halle. »Du bist so weit«, sagte er und klopfte Connerad erneut auf die Schulter. »Hoffen wir also, dass Harbromms Söhne genauso schnell nachziehen.«
»Die sind immerhin zu zweit«, erwiderte Connerad. »Die schaffen das.« Er warf einen Blick zum Himmel, wo die turmhohen Wolken aus Rauch oder anderen unguten Bestandteilen das Tageslicht schwächer machten als das Mondlicht. Sterne ließen sich überhaupt nicht mehr blicken. »Die schaffen das«, wiederholte er leise.
»Ich bin ein Priester von Gruumsh Einauge!«, protestierte der große Ork.
»Ja, und ich hatte gehofft, dass dieser Posten auch auf eine gewisse Intelligenz schließen lässt«, erwiderte Tiago Baenre abfällig und trat zur Seite.
»Wir bieten euch eine große Chance«, herrschte Tos’un Armgo den Ork an. »Müsste das euren Gruumsh nicht freuen?«
»Gruumsh …«, setzte der Ork an.
Tos’un schnitt ihm das Wort ab: »Will der Gott der Orks etwa nicht im Blut der Menschen, Elfen und Zwerge baden?«
Der große Ork zeigte ein schiefes Lächeln, während er Tos’un von Kopf bis Fuß musterte. »Uryuga kennt Euch«, sagte der Schamane.
Als der Ork sich nach Art seines Volkes mit dem eigenen Namen bezeichnete, schnaubte Tiago und schüttelte den Kopf.
»Ihr sprecht von Elfen«, fuhr Uryuga fort. »Ihr kennt Elfen. Ihr lebt mit Elfen.«
»Das war einmal«, stellte Tos’un klar. »Ich wurde verstoßen. Von derselben Frau, die in der heiligen Höhle viele von euch getötet hat.«
»Das ist nicht die Geschichte, die man sich bei uns erzählt.«
Tos’un wollte widersprechen, seufzte aber nur. Sein Handeln zur damaligen Zeit an der Seite seiner Frau, Sinnafein, sprach zweifellos gegen ihn. Er hatte sie den Orks überlassen, die sie verfolgten, um Doum’wielle einzuholen und sie ins Unterreich zu führen. Alle Orks, die dieses Gefecht überlebt hatten, wussten jedoch, dass er nicht vor Sinnafein geflohen, sondern mit ihr zusammen unterwegs gewesen war.
Uryuga grinste und wollte weitersprechen, doch nun war es Tiago, der ihn unterbrach. »Das reicht«, fuhr der Sohn von Haus Baenre auf. »Sieh dich doch um, du Narr. Hast du keine Augen im Kopf? Wir haben die Sonne ausgesperrt. Verstehst du, welche Macht über dieses Land gekommen ist? Wenn du und dein halsstarriger König Obould unserem Ruf nicht Folge leisten, werden wir euch zwei einfach ersetzen. Wir finden einen anderen König – und einen anderen Priester –, der mitmachen wird.«
Der Ork-Priester richtete sich hoch auf, doch falls der deutlich kleinere Tiago eingeschüchtert war, ließ er sich nichts anmerken.
»Ravel!«, rief Tiago und drehte sich zur Seite, um Uryugas Blick dorthin zu lenken, wo jetzt Uryuga – ein zweiter Uryuga – nahte.
»Was ist das?«, wollte der Ork wissen.
»Glaubst du wirklich, dass wir dich brauchen?«, sagte Tiago naserümpfend. »Hältst du dich für so wichtig, dass du glaubst, der Plan zur Eroberung der Silbermarken hinge von der Entscheidung eines einfachen Ork-Priesters ab?«
»Hoher Schamane!«, stellte Uryuga richtig.
»Toter Schamane«, korrigierte ihn Tiago, dessen Schwert wie ein Splitter des Sternenhimmels aus seiner Scheide geschossen kam und nun mit der Spitze an Uryugas Kehle lag.
»Ich diene Gruumsh!«
»Willst du vor ihn treten? Jetzt?« Nach einem kleinen Ruck von Tiagos Handgelenk zeichnete sich an Uryugas Hals ein Blutstropfen ab. »Antworte mir«, befahl der Drow. »Aber bedenke, dass du verpassen könntest, wie ein glorreiches Ork-Heer über die Berge und Täler und die großen Städte von Luruar hinwegfegt, ein Meer aus Orks. Denke an Tausende toter Zwerge, und das alles ohne einen einzigen Schlag von Uryugas schwerem Streitkolben. Denn so wird es kommen. Ob du lebst oder stirbst, zählt für uns nicht.«
»Wenn es nicht zählt, warum bin ich dann noch am Leben?«
»Weil es uns lieber wäre, wenn die Priester von Gruumsh an diesem Krieg teilnehmen. Die Spinnenkönigin ist keine Feindin des großen, glorreichen Einäugigen und will ihn an ihrem Sieg teilhaben lassen. Kommen wir jedoch zum Ende. Bist du dabei, oder bist du lieber tot?«
So gefragt und mit dem Schwert an der Kehle, nickte Uryuga vorsichtig, aber doch mit Nachdruck.
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Tiago mit einem Seitenblick zu Ravels Uryuga-Illusion. »Ich finde, Ihr seid hässlich genug, die Sache zu übernehmen.« Bei diesen Worten schob er sein Schwert ein winziges Stück vor. Die Klinge ritzte die Haut des Orks. »Greif ruhig zu«, sagte Tiago zu dem Schamanen. »Ich würde so gern zusehen, wie deine Finger auf den Boden fallen.«
Ravel lachte, aber Tos’un war die Situation unangenehm.
Tiago riss sein Schwert zurück, packte den Ork jedoch im gleichen Zug am Kragen und zog ihn zu sich herunter. »Wir bieten dir alles, was du dir je gewünscht hast«, knurrte er den Ork an. »Das Blut deiner Feinde wird über die Hänge strömen, dein Volk wird in die Zwergenhallen einziehen. Die großen Städte von Luruar werden unter dem stampfenden Marschieren der Orks erbeben. Und du wagst es zu zögern? Du solltest uns auf den Knien danken!«
»Ihr sprecht, als wäre dieser Krieg, nach dem es Euch gelüstet, schon gewonnen.«
»Du zweifelst an uns?«
»Es waren Drow-Elfen, die unseren ersten König Obould zum Angriff auf Mithril-Halle überredet haben«, entgegnete Uryuga. »Eine kleine Abordnung mit großen Versprechungen.«
Tos’un war jetzt noch unbehaglicher zumute, denn er war Teil dieser vierköpfigen Abordnung gewesen. Allerdings dürfte Uryuga, der höchstens dreißig Winter zählte, diese alten Einzelheiten kaum kennen.
»Und Gruumsh war mit diesem Krieg unzufrieden?«, fragte Tiago skeptisch. »Wirklich? Euer Gott war mit dem Ausgang, der deinem Volk ein Königreich in den Silbermarken verschafft hat, nicht zufrieden?«
»Ein Reich, das wir seither halten, doch wenn unser Vorhaben scheitert, wird es zerstört werden.«
»Du bist also ein Feigling.«
»Uryuga ist kein Feigling«, knurrte der Ork.
»Dann lass uns fortfahren.«
»Es sind sieben Königreiche. Wir sind nur eines«, gab der Schamane zu bedenken.
»Ihr seid nicht allein«, versprach Tiago. Er zeigte über Uryugas Schulter. Der Ork sah sich langsam um, nicht ohne zunächst einen misstrauischen Blick auf seinen gefährlichen Gegner zu werfen. Doch als er sich umdrehte, bekam er weiche Knie, denn jenseits der hohen, windumtosten Klippe kreisten in der Ferne zwei atemberaubende Wesen.
Es waren weiße Drachen, auf denen Frostriesen saßen.
Sie waren nur wenige Augenblicke zu sehen, ehe sie hinter zwei fernen Gipfeln in ein Tal abtauchten.
Fassungslos fuhr Uryuga zu Tiago herum.
»Ihr seid nicht allein«, wiederholte Tiago. »Das hier ist keine versprengte Bande Dunkelelfen, die nur Zwietracht säen will. Ich bin Tiago Baenre, Sohn des Ersten Hauses von Menzoberranzan und Waffenmeister von Haus Do’Urden. Durch unsere Macht wurde das Tageslicht geraubt, um uns den Marsch zu erleichtern. Schon jetzt erstrecken sich unsere Kontakte weit und breit, ein Netz, das alle umfassen wird, die nach Krieg hungern. Drachen sind immer hungrig, und die Eisriesen aus Leuchtendweiß brennen darauf, das zu vollenden, was ihre Anführerin Gerti vor hundert Jahren begonnen hat.«
Uryuga schüttelte den Kopf, weil er mit diesem Hinweis offenbar nichts anfangen konnte. Es spielte ohnehin keine Rolle. Er war nicht so dumm, die Bedeutung der Anspielung zu übersehen: Die Riesen würden in diesem Krieg an ihrer Seite stehen. Mit zwei Drachen.
Drachen!
»Geh zu König Obould«, wies Tiago ihn an. »Sag ihm, dass es an der Zeit ist, Gruumsh Einauges Ruhm zu mehren.«
Uryuga zögerte kurz, dann nickte er und machte sich auf den Weg.
»Eine überzeugende Illusion«, gratulierte Tiago seinem Begleiter, als die drei Drow wieder unter sich waren.
Ravel nahm wieder Drow-Gestalt an. Er nickte.
»Ich meinte die Drachen«, stellte Tiago klar. »Mitsamt den Frostriesen. Gut gemacht.«
»Wir brauchen mehr als Illusionen, um Luruar zu erobern«, warf Tos’un ein. »Mit drei Zwergenfestungen, einem Wald voller Elfen und drei mächtigen Städten ist das kein schwacher Gegner.«
»Meine Schwester wird nicht versagen. Ebenso wenig Erzmagier Gromph«, versicherte Ravel, und seine Stimme triefte vor Verachtung.
»Ihr wart zu lange hier, Sohn von Armgo«, sagte Tiago abfällig zu Tos’un. »Ihr vergesst die Macht und den Einfluss von Menzoberranzan.«
Tos’un nickte und ließ es dabei bewenden. Doch in einem irrte sich Tiago, das wusste er. Tos’un hatte nichts vergessen, weder den Krieg zwischen den Todespfeil-Orks und Mithril-Halle noch den davor, in dem der Zwergenkönig von Mithril-Halle der legendären, gottgleichen Oberinmutter Yvonnel Baenre – der Urgroßmutter dieses unverschämten Pfaus hier – den Kopf gespalten hatte.
Saribel warf Gromph Baenre einen nervösen Blick zu. Zwischen den drei blauhäutigen Giganten kam sich die Priesterin sehr klein vor.
Doch der Erzmagier wirkte kein bisschen eingeschüchtert, was Saribel etwas zuversichtlicher stimmte – bis ihr wieder einfiel, dass Gromph nicht ihr Freund war. Verbündeter, ja, aber diesem alten Drow durfte sie nicht trauen. Sie wusste, dass sie sich nicht auf ihn verlassen konnte.
Die Priesterin zog den Pelzmantel fester um sich, denn der heulende Wind war trotz der Schutzrunen gegen Kälte, mit denen sie sich belegt hatte, eiskalt.
Erneut sah sie zu Gromph hinüber.
Er schien Wind und Kälte nicht zu spüren, sondern bewegte sich wie selbstverständlich – er bewegte sich immer so, dachte sie, unglaublich selbstbewusst, ohne das geringste Zögern, ohne jeden Selbstzweifel.
Sie hasste ihn.
»Erinnert Ihr Euch an ihre Namen?« Gromphs unerwartete Frage riss Saribel aus ihren Überlegungen.
Das war eindeutig Absicht gewesen. Als hätte er ihre Gedanken gelesen.
»Nun?«, fügte er ungeduldig hinzu, während die irritierte Priesterin versuchte, sich zusammenzureißen.
Der Erzmagier schüttelte abfällig den Kopf.
»Es sind die Brüder von Thrym, sollen wir Jarl Fimmel Orelson mitteilen«, stieß Saribel hervor.
»Drei der zehn Brüder des Gottes der Frostriesen«, ergänzte Gromph.
»Ja.«
»Wisst Ihr noch ihre Namen?«
»Ist das wichtig?«
Gromph blieb abrupt stehen und bedachte Saribel mit einem harten Blick. »Seit Zehntagen grüble ich darüber nach, warum Oberinmutter Baenre sich entschieden hat, Tiagos Wahl seiner Ehefrau abzusegnen und Euch in dieses Haus aufzunehmen. Ich dachte, es solle unsere Verbindungen zur neuen Stadt Q’Xorlarrin festigen, eine weitere Erinnerung für Oberinmutter Zeerith, dass ihre Welt an der Zustimmung von Haus Baenre hängt.« Er sah sich um und nickte, als müsse das genügen, fügte dann aber doch hinzu: »Wahrlich, junge Priesterin, selbst diese erfreuliche Tatsache scheint Eure Begriffsstutzigkeit nicht wettzumachen.«
Saribel schluckte hörbar und gab sich Mühe, das Zittern ihrer Lippe zu unterdrücken. Ihr war nur zu bewusst, dass Gromph sie jederzeit allein durch Gedankenkraft vernichten konnte.
»Beorjan, Rugmark und Rolloki«, erklärte sie.
»Welcher ist Beorjan?«, fragte Gromph.
Wieder stieg Angst in Saribel auf. Die Riesen waren alle volle zwanzig Fuß groß und gleichermaßen massig und muskelbepackt. Ihre langen blonden Haare waren gleich lang, sie trugen vergleichbare Pelze vom gleichen Schnitt, und alle drei waren mit einer gewaltigen Doppelaxt bewaffnet.
»Und?«, hakte Gromph ungeduldig nach.
»Ich kann sie nicht auseinanderhalten«, gab Saribel zu, obwohl sie fürchtete, mit diesen Worten ihren Untergang zu besiegeln.
Tatsächlich starrte Gromph sie einen langen Augenblick drohend an. Dann begann einer der Frostriesen zu lachen.
»Ich auch nicht«, räumte Gromph ein. »Und ich habe sie herangezogen.« Damit begann auch er zu lachen – etwas, das Saribel nie für möglich gehalten hätte. Er klopfte ihr auf die Schulter und marschierte weiter.
»Ich bin Rugmark, vierter Bruder von Thrym«, erklärte der vorderste Riese.
»Ich bin Beorjan, siebter Bruder von Thrym«, sagte der Riese links hinter den beiden Dunkelelfen.
»Ich bin Rolloki, der älteste Bruder von Thrym«, fügte der neben Beorjan hinzu.
Und sie glaubten ihren eigenen Worten, obwohl sie natürlich nicht wahr waren. Auf Geheiß von Oberinmutter Baenre hatte Gromph die drei Riesen für ihre Sache eingespannt. Ein paar Wachstums- und Erhaltungszauber, ein paar Sitzungen mit Methil, bei denen der Illithide den dreien neue Identitäten eingetrichtert hatte, gegen die ihr beschränkter Verstand sich nicht wehren konnte, und das Ergebnis waren drei lebendige Doppelgänger der sagenhaften zehn Brüder von Thrym, dem Gott der Frostriesen.
Drei überaus mächtige Werkzeuge für Oberinmutter Baenre.
»Dort liegt der Zugang zur Festung der Frostriesen in Leuchtendweiß«, sagte der Erzmagier und wies den Pfad hinauf. »Geradeaus und dann gleich hinter der Biegung. Tretet würdevoll auf und spielt Eure Rolle gut.«
»Ihr beherrscht dieses Spiel viel besser als ich«, erwiderte Saribel. »Seid Ihr sicher, dass Ihr mich nicht begleiten wollt?«
»Betrachtet es als Prüfung, ob Ihr des Hauses Baenre würdig seid, werte Frau von Tiago«, sagte Gromph und trat dicht an sie heran. »Ich kann jeden Fehler geradebiegen, den Eure Dummheit in den anstehenden Verhandlungen anrichtet. Oder ich kann Jarl Fimmel einfach töten und durch einen mir genehmen Vertreter ersetzen, wenn Ihr ihn nicht überzeugen könnt. Um mein eigenes Wohl bin ich nicht besorgt. Doch Ihr solltet um das Eure fürchten«, ergänzte er, als Saribel sich merklich entspannte. »Wenn Ihr mich enttäuscht … Nun, es gibt sicher viele Priesterinnen, die Tiago Baenre ehelichen würden, und viele Häuser, die mir wichtiger sind als Xorlarrin, trotz Eurer törichten Versuche, eine unabhängige Stadt aufzubauen.«
Die Riesen begannen zu glucksen. Einer klatschte mit der schweren Axt in die offene Hand.
»Es wäre ungut für Euch, wenn Ihr mich hier enttäuschen solltet, liebe Saribel«, fügte Gromph noch hinzu, schnippte mit den Fingern und schien spurlos verschwunden zu sein.
Saribel Xorlarrin holte tief Luft und rief sich ins Gedächtnis, dass sie eine Hohepriesterin der Lolth war, eine Adlige aus einem mächtigen Haus der Drow und Prinzessin einer Drow-Stadt. Das hier waren nur Frostriesen. Wahre Kraftpakete, ja, aber begriffsstutzig und ohne Zauberkräfte.
Sie hatte zwar einen Zauber vorbereitet, der sie notfalls augenblicklich in die Höhle ihres Basislagers zurückbefördern würde, doch diese Vorstellung erschien ihr angesichts von Gromphs Warnung wenig verlockend. Sie durfte nicht versagen.
»Das reicht jetzt«, flüsterte sie in sich hinein, winkte ihre drei Riesen vorwärts und sagte entschlossen: »Gehen wir!«
»Es ist unangenehm«, stellte Oberinmutter Quenthel Baenre fest, die neben Gromph durch einen Bergpass hoch oben im Grat der Welt stieg.
»Ist Euch kalt?«
»Das Licht«, sagte sie. »Die Weite dieser deckenlosen Welt.«
»Wir befinden uns am Rand von Tsabraks Zauber«, erklärte Gromph. »Mitten in den Silbermarken ist es dunkler.«
»Es ist ein grässlicher Ort«, murrte die Oberinmutter. »Ich wäre lieber zu Hause.«
Gromph nickte. Dagegen konnte er wenig einwenden. Er schlug ein schnelles Tempo an, zumal der vorgesehene Treffpunkt, ein verschneites Hochplateau, schon sehr nahe war. Hinter der nächsten Biegung peitschte ihnen ein starker Wind eisiges Schneegestöber entgegen. Das Wetter war so schlecht, dass sie praktisch nur noch Weiß wahrnahmen und deshalb noch mehrere Schritte zurücklegen mussten, ehe sie ihre Mitstreiter sahen. Trotz deren enormer Ausmaße.
Riesig. Und weiß.
Drachen.
Geringere Sterbliche als die Oberinmutter und der Erzmagier von Menzoberranzan wären in diesem Moment auf die Knie gefallen oder vor lauter Entsetzen gleich wieder davongelaufen.
»Was für ein herrlicher Tag, nicht wahr, Zauberer?«, begrüßte sie der größere Drache, Arauthator, der Alte Weiße Tod, einer der größten weißen Drachen von Faerûn.
»Für sie eher nicht«, sagte der andere, der höchstens halb so groß wie sein Vater war. »Sie sind winzig, und der Wind ist zu kalt …«
»Ruhe!«, befahl der Alte Weiße Tod mit einer Stimme, die die umliegenden Berge erzittern ließ.
Es ist naturgemäß schwer zu erkennen, wann ein weißer Drache erbleicht, aber Gromph und die Oberinmutter bemerkten durchaus, dass der jüngere Drache, Aurbangras, bei diesem herrischen Tonfall den Kopf einzog.
»Ein herrlicher Tag, der einem glorreichen Morgen vorausgeht«, sagte Quenthel. »Ihr kennt den Zweck unseres Kommens?«
»Ihr wollt einen Krieg anzetteln«, antwortete Arauthator ohne Umschweife. »Und ich soll daran teilnehmen.«
»Ich biete dir diese Chance. Zum Ruhm deiner Königin«, erklärte Quenthel.
Der Drache neigte den gewaltigen, gehörnten Kopf zur Seite und sah sie neugierig an.
»Es wird große Beute geben, Alter Weißer Tod«, fuhr die Oberinmutter fort. »Du wirst mehr finden, als du tragen kannst. Das ist dein Lohn, richtig?«
»Was weißt du, schlaue Priesterin?«, wollte der Drache wissen.
»Auf Faerûn bin ich die Stimme der Lolth«, antwortete sie ebenso nachdrücklich. »Was sollte ich wissen?«
Als der Drache knurrte, stoben Nebel und Eiszapfen zwischen seinen Zähnen hervor.
»Wir wissen, dass ein Ruf an die farbigen Drachen erging«, warf Gromph ein. »Sie sollen Gold, Edelsteine und Juwelen erbeuten.« Er musterte den Drachen mit zusammengekniffenen Augen, ehe er vielsagend hinzufügte: »Einen Schatz, der bis in die Neun Höllen reicht.«
Bei diesen Worten verlagerte der Drache sein Gewicht auf die Hinterbeine, und sein Blick wurde so eisig wie jeder Odem aus seinem Maul.
»Nicht nur deine Königin will davon profitieren«, sagte die Oberinmutter. »Die Spinnenkönigin in ihrer Weisheit hat mir dargelegt, dass deine und meine Ziele für die Silbermarken sich decken. Hier gibt es Chancen für uns beide, und deshalb komme ich in guter Absicht. Leihe uns deine Macht und sichere dir einen Anteil an unserer Beute. Für deine Königin und die meine.«
Der Drache gab ein Geräusch von sich, als hätte der Berg plötzlich Schluckauf, und die beiden Drow brauchten einen Moment, ehe sie begriffen, dass Arauthator lachte.
»Ich werde viele Male nach Süden fliegen«, teilte der Drache ihnen mit. »Und jedes Mal werde ich beladen mit Schätzen in meinen Hort zurückkehren.«
»Wie es deinem Wert gebührt«, erklärte die Oberinmutter und verneigte sich.
Auch Gromph war klug genug, sich zu verbeugen, ließ Quenthel dabei jedoch nicht aus den Augen. Sie hatte gesagt, es würde ein leichtes Spiel sein, weil sich auf den Unteren Ebenen etwas regte, das für die farbigen Drachen von Toril von großer Bedeutung war.
Offenbar sollte sie in dieser extrem wichtigen Angelegenheit recht behalten. Wieder einmal erinnerte sich Gromph daran, dass er an der Erschaffung eines mächtigen Wesens in Quenthel beteiligt gewesen war. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatte er auf ihren Untergang hingearbeitet. Heute würde ihm das nicht einmal mehr im Traum in den Sinn kommen.
»Der da«, sagte Ravel zu Tiago und deutete auf einen breitschultrigen Ork. Der Spionagespiegel zeigte, wie er selbstbewusst durch das Lager stapfte.
»Eindrucksvoll«, murmelte Tiago. »Meinen ersten Angriff würde er vielleicht überleben, aber mit dem zweiten Stich hätte ich ihn erledigt.«
Ravel musterte den eingebildeten Drow-Krieger mit einem fragenden Seitenblick und schüttelte sogar leicht den Kopf. »Wenn sich alles wie erwartet entwickelt, wird der da, Hartusk, unser bester Freund.«
»In seiner beschränkten Sicht.«
»Das ist alles, was zählt«, sagte Ravel. »Hartusk ist einer vom alten Schlag, ein blutrünstiger Kriegshäuptling, der auf die Schlacht brennt. Uryuga hat mir verraten, dass Hartusk mehrere Überfälle auf die Menschen, Zwerge und Elfen dieser Gegend befehligt hat. Natürlich stets im Geheimen, denn dieser König Obould« – er wies auf eine andere Gestalt im Spiegel, die juwelengeschmückt im pelzverzierten Purpurmantel und mit einer protzigen, edelsteinbesetzten Krone in der Mitte einer langen Tafel saß – »duldet keine derartigen Alleingänge.«
»Uryuga sagte, dieser Möchtegernkönig würde Ärger machen«, meinte Tiago. »Wir bieten ihm mächtige Verbündete und große Eroberungen, und er schüttelt seinen hässlichen Kopf.«
»Möchtegernkönig?«
»Ein Ork-König, der die Schlacht fürchtet?«, schnaubte Tiago verächtlich.
»Er sorgt sich mehr um das Vermächtnis seines Vorfahren und den Traum des ersten Obould Todespfeil«, erklärte Ravel. »Die Macht des Friedens ist Obould wichtiger als der Ruhm der Schlacht.«
»Was ist bloß aus diesen Orks geworden?«, klagte Tiago.
»Die haben es sich eben anders überlegt«, erwiderte Ravel. Der Drow-Zauberer lächelte verschlagen, als eine Gestalt zu Obould trat. Als sie näher kam, war die Ähnlichkeit unverkennbar. »Da kommt Lorgru, der älteste Sohn und offizielle Thronerbe von Obould.«
»Belween, zweiter Bastardsohn von Berellip«, stellte Tiago klar, der die List kannte und genau wusste, dass der wahre Lorgru friedlich in seinem Moosbett an den Ork-Docks am Surbrin ruhte, wo er das unverkennbare Flüstern von Drow-Gift vernommen hatte.
Ravel lachte.
Der Doppelgänger von Oboulds Sohn näherte sich im Ork-Lager seinem Vater. Er trug den Teller und Becher des Königs, beide von den Vorkostern überprüft. Diese Gegenmaßnahme war seit rund einem Zehntag unerlässlich, seit der Himmel sich verfinstert hatte und sich überall Gerüchte über Krieg – und der Ruf danach – regten.
Der vorgebliche Lorgru salutierte pflichtschuldig und ging wieder weg. König Obould begann zu essen. Jeden Bissen spülte er mit einem großen Schluck seines sauren Weins herunter.
»Bis morgen früh wird König Obould tot sein«, sagte Ravel zuversichtlich. »Und der Kampf unter seinen vielen Söhnen wird beginnen, denn man wird dem Erben den Mord anhängen.«
»Und keiner von ihnen wird siegreich sein«, ergänzte Tiago.
»Wahrscheinlich wird keiner es überleben«, stimmte Ravel zu. Sein Lächeln belegte, dass er sein Bestes geben würde, um genau dieses Ergebnis zu erzielen. »Hartusk wird Anspruch auf den Thron erheben, und welcher Ork sollte sich ihm entgegenstellen, wenn der Kriegshäuptling die Drow von Menzoberranzan und eine Legion Frostriesen aus Leuchtendweiß hinter sich hat?«
Tiago nickte. Alles war so einfach gewesen. Saribel hatte sie nicht enttäuscht, und Jarl Fimmel Orelson hatte die anderen Riesenclans aus dem Grat der Welt zusammengerufen und für ihre Sache gewonnen. Sie brannten auf die Schlacht. Die bloße Existenz des ausgedehnten Reichs Todespfeil hatte die Frostriesen von ihren traditionellen Raubzügen bei den friedlichen Bewohnern der Silbermarken abgehalten, und die Orks besaßen sicher nicht genug Beute oder auch Tiere, als dass ein Überfall für die Riesen der Mühe wert gewesen wäre.
»Es ist besser für uns, dass König Obould mit Uryugas Aufruf nicht einverstanden war«, sagte Ravel und riss Tiago damit aus seinen Überlegungen.
Der Waffenmeister sah den Zauberer fragend an.
»Obould wäre stets ein zurückhaltender Anführer geblieben«, erläuterte Ravel. »Wann immer eine Stadt oder Festung um Friedensverhandlungen ersucht hätte, hätte er dies wohl als sein Verdienst angesehen und den Vertrag angenommen. Er ist und bleibt seinem Vorbild und dessen Vorstellung von einem friedlichen Ork-Reich verpflichtet. Aber Hartusk? Nein! Der will Blut sehen, weiter nichts.«
»Aber jetzt könnte sich das Reich spalten«, gab Tiago zu bedenken.
Ravel schüttelte den Kopf. »Es stehen mehr Orks auf Hartusks Seite«, sagte er. »Sie haben die unsichtbaren Grenzen ihres Reiches gründlich satt. Besonders außerhalb der Zitadelle Todespfeil, wo die treuesten Anhänger von König Obould und seiner Sache leben, heißt es, die Familie Obould führe wegen des Abkommens mit den Zwergen und den anderen Königreichen jetzt ein Leben in Saus und Braus. Beim Pöbel herrscht große Unzufriedenheit, und sie gieren nach Kampf, Sieg und Blut. Hartusks Machtergreifung wird für viele wie die Fanfaren von Gruumsh persönlich klingen.«
»Obould wird also schnell in Vergessenheit geraten«, stimmte Tiago zu. »Ein rußiges Häufchen Geschichte, das man unter einen schmutzigen Fellteppich kehrt und von dem man bald nur noch mit Verachtung erzählen wird.«
»Hunderttausend Orks werden marschieren und hinter ihnen Legionen von Riesen.« Ravels rote Augen leuchteten im Fackelschein.
»Wir rufen die Goblins, Grottenschrate und Oger aus jedem Loch des Unterreichs, um ihre Reihen zu mehren«, sagte Tiago.
»Und schwärzere Dinge«, fügte Ravel hinzu.
Tiago lachte.
Man hatte sie hierhergeschickt, um einen Krieg anzuzetteln.
Die Drow waren ganz in ihrem Element.
Teil 1
Der Himmel verfinstert sich
Wie viel leichter fällt mir die Reise, wenn ich weiß, dass es ein Weg der Rechtschaffenheit ist. Wenn ich weiß, dass ich in die richtige Richtung laufe. Ohne jeden Zweifel und ohne Zögern schreite ich vorwärts, weil das Ziel klar vor Augen steht und ich weiß, dass ich den Weg am Ende besser hinterlasse, als ich ihn vorgefunden habe.
So war es, als ich nach Gauntlgrym zurückkehrte, um einen verlorenen Freund zu retten. So war es auch, als wir jenen dunklen Ort verließen, um die Entführten wieder nach Letzthafen zurückzugeleiten, wo sie zu Hause waren.
Und so empfinde ich jetzt auf dem Weg nach Langsattel, wo Thibbledorf Pwent von seinem Fluch befreit werden wird. Ich zögere keinen Augenblick.
Doch was ist mit der anschließenden Reise nach Mithril-Halle, ins Königreich Todespfeil – um einen Krieg vom Zaun zu brechen?
Werden meine Schritte langsamer werden, wenn die Begeisterung, mit den alten Freunden auszuziehen, unter dem Gewicht der Finsternis verebbt, die vor uns liegt? Und wenn ich mich mit Catti-bries Aussage, dass die Orks unverbesserlich seien, nicht abfinden kann? Oder wenn ich nicht mit Bruenor übereinstimme, aus dessen Sicht die Orks durch ihre Überfälle längst den Krieg erklärt haben? Was bedeuten solche Meinungsverschiedenheiten für die Freundschaft und den Zusammenhalt der Gefährten der Halle?
Ich werde nicht auf Befehl töten, nicht einmal auf Befehl meiner Freunde. Nein, wenn ich die Säbel zücke, muss ich aus tiefstem Herzen davon überzeugt sein, dass es um Gerechtigkeit oder Notwehr geht, etwas, worum es sich zu kämpfen lohnt, wofür es sich zu sterben lohnt und – am allerwichtigsten – wofür es sich zu töten lohnt.
Das ist der Inbegriff meiner Identität und dessen, wie ich mein Leben führen will. Es reicht nicht aus, dass Bruenor den Todespfeil-Orks den Krieg erklärt und sie bestrafen will. Ich bin kein Söldner, weder für Gold noch um der Freundschaft willen. Es muss mehr geben.
Ich muss mit der Entscheidung, in den Krieg zu ziehen, einverstanden sein.
Die Reise nach Mithril-Halle wird sicher angenehm für mich. Immerhin werde ich meine besten Freunde an meiner Seite haben und mit ihnen neue Wege beschreiten. Doch vermutlich wird jeder Schritt ein bisschen angespannter sein, vielleicht ein bisschen schwerer, weil mein Gewissen auf mir lasten wird.
Oder vielleicht auch nicht das Gewissen, sondern Verwirrung, denn ich bin definitiv nicht überzeugt. Allerdings auch nicht vom Gegenteil.
Ich bin mir schlicht und einfach nicht sicher. Denn obwohl Catti-bries Worte ihrer Aussage nach direkt von Mielikki kommen, was ich ihr glaube, stimmen sie noch nicht mit meiner eigenen inneren Stimme überein. Und mein Herz ist das, worauf es ankommt. Es ist wichtiger als das Raunen einer Göttin.
Manche würden eine solche Überzeugung für den Gipfel der Hybris halten, für pure Arroganz, und mit dieser Aussage hätten sie in gewisser Weise bei mir womöglich sogar recht. Für mich jedoch ist es keine Arroganz, sondern ein Gefühl zutiefst persönlicher Verantwortung. Als ich die Göttin für mich entdeckte, erschien mir die Beschreibung von Mielikki als Verkörperung dessen, was mein Kopf und Herz für richtig hielten. Ihre Prinzipien entsprachen den meinen. So kam es mir vor. Sonst hätte sie mir nicht mehr bedeutet als irgendein anderer Name aus dem weiten Pantheon von Torils Göttern.
Ich will keinen Gott, der mir sagt, wie ich mich zu verhalten habe. Ich will keinen Gott, der meine Entscheidungen und meine Schritte steuert, ganz und gar nicht! Und ich will auch keine göttlichen Gebote, die mein persönliches Empfinden für richtig oder falsch gutheißen oder nicht.
Denn das Letzte, was ich brauche, um auf dem Weg zu bleiben, zu dem mein Herz mich drängt, ist die Furcht vor göttlicher Vergeltung. Vielmehr sind solche Rechtfertigungen für die eigenen Taten aus meiner Sicht oberflächlich und letztlich gefährlich. Ich bin ein denkendes Wesen mit einem Gewissen und einem Verständnis für Recht und Unrecht. Wer sich am allermeisten daran stört, wenn ich von meinem Weg abweiche, ist nicht etwa eine unsichtbare, übergeordnete Gottheit, deren Regeln und Gebräuche unweigerlich durch sterbliche – und damit fehlbare – Priester und Priesterinnen vermittelt und oft subjektiv ausgelegt werden. Nein, derjenige, der unter den Fehlern von Drizzt Do’Urden am meisten leidet, ist Drizzt Do’Urden.
Einen anderen Weg kann es nicht geben. Ich habe nicht den Ruf von Mielikki vernommen, als ich mich auf die zwielichtige Gesellschaft von Artemis Entreri, Dahlia und den anderen eingelassen habe. Nicht auf Mielikkis Anordnung hin habe ich mich auf Kelvins Steinhügel am Ende von Dahlia abgewandt. Jedenfalls nicht, wenn ihre Anweisungen nicht denen gleichen, die in mein Herz und mein Gewissen eingebrannt sind.
Wenn dies wahr ist, schließt sich hier der Kreis zu dem Zeitpunkt, wo ich Mielikki entdeckte.
Damals fand ich keine übernatürliche Mutter, die eine Marionette mit dem Namen Drizzt an ihren Fäden führte.
Damals fand ich einen Namen für das, was ich für richtig hielt. Und deshalb bestehe ich darauf, dass die Göttin in meinem Herzen lebt und dass ich nur dorthin blicken muss, um meinen Weg zu finden.
Vielleicht bin ich aber auch nur arrogant.
Dann sei es so.
Drizzt Do’Urden
Kapitel 1
Der Sommer des Missvergnügens
»Was haben diese Köter denn jetzt vor?«, fragte König Bromm von der Zitadelle Adbar, als die Kundschafter Meldung machten.
»Nichts Gutes. Das ist so sicher wie der nackte Hintern eines Goblin-Babys«, befand Harnoth, sein Zwillingsbruder und Mitkönig von Adbar.
Die Zwillinge sahen einander an und nickten grimmig. Beide wussten, dass dies die erste echte Feuerprobe ihrer Herrschaft war. Natürlich hatten sie schon das eine oder andere diplomatische oder militärische Zerwürfnis überstanden – ein Handelsabkommen mit der Zitadelle Felbarr, bei dem sich Bromm und Parson Glefe, der Verhandlungsführer von König Emerus, fast geprügelt hätten, einen Disput mit den Elfen aus dem Mondwald, der so ausgeartet war, dass die Anführer aus Silbrigmond und Sundabar angeritten kamen, um einzugreifen, dazu ein paar Gefechte mit den lästigen Todespfeil-Banditen, die zu ihren Raubzügen mit Riesen und anderen Ungeheuern anrückten –, doch wenn die Späher die Lage richtig einschätzten, hatten die Könige von Adbar sich bisher keinem Ereignis solcher Größenordnung stellen müssen.
»Hunderte, sagst du?«, vergewisserte sich Bromm bei Ragnerick Bauchboxer, der trotz seiner Jugend schon über beträchtliche Erfahrung als Kundschafter verfügte.
»Aberhunderte«, antwortete dieser. »Das ganze obere Surbrintal ist vom Gestank der Orks erfüllt, meine Könige. Der Mondwald wird bereits angegriffen. Dort fliegen Pfeile aus den Büschen, und es steigt Rauch zum dunklen Himmel auf.«
Der Verweis auf den dauerhaft verdunkelten, nachtschwarzen Himmel hallte im Saal bedrohlich nach, denn seine Bedeutung für die Silbermarken war kaum zu übersehen.
»Sie werden auch Mithril-Halle angreifen, so viel steht fest«, sagte Bromm.
»Wir müssen schnellstens Emerus und Connerad benachrichtigen«, stimmte sein Bruder zu.
»Der Weg nach Mithril-Halle ist lang«, klagte Bromm, was Harnoth nicht abstreiten konnte. Die drei Zwergen-Zitadellen von Luruar lagen ungefähr in einer Linie: Adbar im Südwesten von Felbarr, dann von dort etwa die gleiche Strecke weiter nach Südwesten Mithril-Halle. Und ein Großteil des Weges verlief unmittelbar südlich des halbmondförmigen Schimmerwalds. Die Entfernung von einer Zitadelle zur nächsten betrug jeweils über hundert Meilen, was einen Marsch von einem Zehntag bedeutete – angesichts des zerklüfteten Geländes jedoch eher doppelt so viel. Zusätzlich bestanden unterirdische Verbindungen über die Tunnel des oberen Unterreichs, doch selbst über diese Routen war der Weg lang und gefährlich.
»Wir müssen gehen«, befand Harnoth. »Wir können nicht hier sitzen bleiben, während unseren Vettern ein Kampf bevorsteht. Besonders wenn womöglich nur wir davon wissen.«
»Ach was, Connerad weiß es bestimmt schon«, sagte Bromm. »Wenn der im Norden eine Ork-Armee im Vorgarten hat, weiß er das.«
»Aber wir müssen wissen, was er braucht«, sagte Harnoth, und Bromm nickte. »Ich führe eine Legion durch die Tunnel nach Felbarr und dann bei Bedarf weiter nach Mithril-Halle.«
»Das Unterreich«, murmelte Bromm verdrießlich. »Da waren wir seit Jahren nicht mehr, abgesehen von den Tunneln nach Sundabar. Das sollte besser eine große Legion sein.«
»Und du verbarrikadierst Adbar!«, betonte Harnoth.
»Adbar ist bereits gerüstet. Vielleicht ziehe ich selber los und sehe mich um. Und wenn ich nur ein paar Orks vom Rand des Schimmerwalds verjage. Wenn wir dann nächstes Mal mit den Elfen um Land verhandeln, werden wir sie an unsere Hilfe erinnern.«
»Hunderte«, stellte Harnoth düster fest.
»Pah, bloß Orks«, erwiderte Bromm. Er wedelte verächtlich mit der Hand. »Am besten häuten wir sie und polstern damit den Weg von Adbar bis Felbarr und dann bis nach Mithril-Halle.«
König Harnoth lachte schallend los, doch nach einer Weile kam ihm dieser Gedanke gar nicht mehr so absurd vor, und er malte sich eine solche Straße ernsthaft aus.
»Alles einsatzbereit!«, meldete Generalin Dagnabbet, Tochter von Dagnabbit und Enkelin des großen Generals Dagna. Sie stand mit König Connerad auf einem hohen Gipfel im Norden von Mithril-Halle, von wo aus sie auf das obere Surbrintal hinunterblickten. Der mächtige Strom lag trüb unter dem dunklen Himmel und den großen Nadelbäumen des Mondwalds, der sich düster nach Nordosten erstreckte.
»Den Knochenbrechern jucken schon die Finger, mein König!«, rief Bungalow Thump, der als Connerads Leibwache die berühmte Knochenbrecher-Brigade anführte. Die ganze Gruppe jubelte los.
Doch König Connerad schüttelte den Kopf. Er beobachtete immer noch den Schwarm Orks tief unten auf dem Feld. Irgendetwas stimmte nicht.
Die Ork-Soldaten schienen sich gegeneinander zu wenden und wogten wie Bienenschwärme als große schwarze Wolke umher, die das Tal so dunkel färbte wie den Himmel über ihnen.
»Jetzt, mein König«, bettelte Bungalow Thump. »Die Tölpel kämpfen gegeneinander. Wir können Hunderte niederwalzen.«
Eifrig trat er neben Connerad, doch Dagnabbet ging dazwischen und hielt ihn zurück.
»Was denkst du?«, fragte die Zwergin.
»Was denkst du?«, erwiderte Connerad. Immerhin sollte Dagnabbet demnächst den Oberbefehl über die Garnison von Mithril-Halle übernehmen.
»Ich glaube, es ist zu lange her, dass meine Axt einen Ork zerlegt hat.« Dagnabbet grinste begierig.
Connerad nickte zwar, doch er wurde trotzdem das Gefühl nicht los, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging.
»Wir müssen bald losschlagen«, mahnte Bungalow Thump. »Ist ein weiter Weg bis ins Tal.«
König Connerad blickte erst Dagnabbet und dann Bungalow Thump an. Angesichts ihrer Kampfbereitschaft fürchtete er, übervorsichtig zu sein. War er also womöglich zu zaghaft? Versagte er, weil er nur sah, was er sehen wollte?
Verärgert über seine eigene Schwäche wollte er schon den Befehl zum Angriff geben, doch er zügelte sich und zwang sich, das Chaos dort unten noch genauer zu beobachten. Dieser kurze Aufschub brachte ihm Klarheit.
Denn dieser Kampf von Ork gegen Ork im oberen Surbrintal war nicht echt.
»Zurück in die Halle«, sagte er. Seine Stimme war so leise, dass die Worte in seinem Aufkeuchen untergingen.
»Hä?«, fragte Bungalow Thump.
»Mein König?«, fragte Generalin Dagnabbet.
»Was denkst du?«, wollte Bungalow Thump wissen.
»Ich glaube, mein König riecht eine Ratte«, antwortete Dagnabbet.
»Ich habe dich gefragt, was du denkst«, wandte sich Connerad an Dagnabbet. »Und jetzt frage ich dich noch einmal.« Er wies auf den wirbelnden Sumpf aus winzigen Ork-Gestalten unter ihnen.
Dagnabbet trat vor Connerad an die Felskante und starrte intensiv auf die Armeen hinunter, die dort unten fochten.
»Keinerlei Disziplin«, sagte sie fast augenblicklich. »Nur ein wüster Haufen.«
»Ja, das sehe ich auch«, sagte Connerad.
Dagnabbet blickte den jungen König von Mithril-Halle lange an.
»Und?«, drängte Bungalow Thump ungeduldig.
Auf Dagnabbets Gesicht zeichnete sich ein leicht resigniertes, aber auch anerkennendes Lächeln ab, und sie nickte ihrem König ehrerbietig zu, ehe sie ihm und Bungalow Thump antwortete. »Die Orks von der Zitadelle Todespfeil sind eigentlich bessere Kämpfer.«
»Hä?«, machte der Schlachtenwüter.
»Genau«, bestätigte Connerad.
»Sie wollen uns ködern«, sagte Dagnabbet.
»Na, dann lassen wir sie nicht länger warten!«, rief Bungalow Thump, und seine Knochenbrecher-Brigade stimmte lauthals zu.
»Nein«, wehrte Connerad ab. »Ich bin anderer Meinung.« Er wandte sich Dagnabbet zu. »Stell Posten auf. Wir kehren in die Halle zurück, sage ich.«
»Mein König!«, rief Bungalow Thump entgeistert.
Der Schlachtenwüter murrte und polterte, doch Connerad ließ sich zu keiner Reaktion herab. Er wusste schließlich, dass die Knochenbrecher zuallererst unglaublich loyal waren. Darum ging der König schnurstracks auf die lange Treppe zu, die zum unteren Plateau gleich oberhalb des Tals der Hüter führte, wo seine Armee wartete, und wies Dagnabbet und die anderen an, ihm zu folgen. Von dort aus würden sie über Geheimtüren in die Tunnel absteigen, die zurück nach Mithril-Halle führten.
Es dauerte seine Zeit, diese zweitausend Stufen zu bewältigen. Als von Nordosten her Warnrufe erschallten, waren Connerad und sein Gefolge noch lange nicht unten.
»Orks! Orks!«, hörten sie, während vor ihnen noch viele Stufen warteten. »Hunderte! Tausende!«
König Connerad blieb fast die Luft weg. Er wusste, dass er nur knapp einem Riesenfehler entronnen war, der Mithril-Halle durch horrende Verluste ins Wanken gebracht hätte.
»Unmöglich!«, rief Dagnabbet. »Das Tal ist viel zu weit weg!«
»Eine dritte Ork-Armee«, erwiderte Connerad. »Sie hätten uns in die Zange genommen, wenn wir den Köder im Tal geschluckt hätten.«
»Dann ist das eben eine dritte tote Armee«, befand Bungalow Thump und stürmte mit seinen Leuten an Connerad vorbei, immer drei Stufen auf einmal, was auf der steilen Treppe ein halsbrecherisches Unterfangen war.
Connerad blieb stehen, hielt sich auf beiden Seiten am Geländer fest und schuf so eine Barriere, an der diejenigen hinter ihm nicht vorbeikamen. Seine Gedanken überschlugen sich. Er ging die Wege durch, die um den Berg herum zum oberen Surbrintal führten, und schätzte die Dauer eines solchen Marsches ab – eines schnellen Gewaltmarschs, der höchstwahrscheinlich schon begonnen hatte, wie ihm bewusst wurde.
»Nein!«, rief er allen zu, ganz besonders Bungalow Thump und seinen polternden Knochenbrechern. »Zur Halle, und dann die verdammten Türen schließen, sage ich!«
»Mein König!«, heulten Thump und seine ungestümen Krieger einstimmig auf.
»Die Orks kommen. Alle!«, sagte Connerad zu Dagnabbet, die hinter ihm stand. »Zehntausende.«
Die Zwergin nickte finster. Connerad war klar, dass sie gern widersprochen hätte. Um ihr Leben gern wäre sie ausgezogen, um ein paar Orks zu töten. Doch das konnte sie nicht, und einen Augenblick befürchtete er, dass sie sich bloß nicht überwinden konnte, ihm zu widersprechen. Wie ihr Vater und ihr Großvater vor ihr war auch Dagnabbet in erster Linie eine treue Soldatin.
»Wenn wir diesen Haufen erledigen und dann verschwinden könnten, würde ich für den Kampf plädieren«, sagte sie, als könnte sie seine Gedanken lesen und wollte seine Bedenken ausräumen. »Aber die da sollen uns nur aufhalten. Das ist ihre Aufgabe, glaube ich. Erst kommen sie brüllend angerannt, dann weichen sie plötzlich zurück, und das immer wieder, knapp außer Reichweite. Und wir jagen sie, schlagen zu, und dabei erwischen wir ganz sicher nicht wenige.«
»Und dann fallen die anderen beiden Armeen über uns her, und wir schaffen es keinesfalls lebend in unsere Hallen«, fügte König Connerad mit einem Nicken hinzu.
Dagnabbet klopfte ihm auf die Schulter. »Du hast dich richtig entschieden, mein König. Zum zweiten Mal«, sagte sie.
Im Nordwesten erklangen neue Rufe, um sie vor den anrückenden Orks zu warnen.
»Wir sind noch nicht da«, sagte Connerad und lief die Treppe hinunter, so schnell er konnte. Rund hundert Stufen vor dem Ende erhaschten sie einen ersten Blick auf die dritte Ork-Armee, die schwarz über die felsigen Berghänge heranschwärmte.
»Worge«, flüsterte Dagnabbet. Eine berittene Legion an der Spitze ritt auf wilden Schreckenswölfen. Als sie die Zwergenarmee auf dem Plateau bemerkten, bliesen sie ihre misstönenden Hörner und riefen Gruumsh an – ohne dabei auch nur einen Augenblick ins Stocken zu geraten. Sie waren mindestens so begierig auf den Kampf wie jeder Knochenbrecher.
Connerad wollte schon nach Bungalow Thump rufen, doch das war nicht mehr erforderlich. Auch Thump und seine Truppe hatten den Ansturm der Orks bemerkt, und nichts, was ihr König sagen würde, war jetzt noch relevant. Die Schlacht stand unmittelbar bevor, und die Knochenbrecher-Brigade kannte ihre Aufgabe nur zu gut. Geschlossen rannten, sprangen oder kugelten sie die Stufen hinunter, bis sie auf dem Plateau landeten und zum Angriff übergingen. Lautstark befahl Bungalow Thump den Anführern der Garnison zurückzuweichen, und diese gehorchten bereitwillig, denn auch sie kannten die Rolle der Knochenbrecher – ein Platz in vorderster Linie, wie die voranpreschenden Worg-Reiter bald schmerzerfüllt feststellen sollten. Die Kavallerie setzte als Sturmtruppe ganz darauf, die Reihen des Gegners brutal zu überrollen, sie zu sprengen und den entsetzten Feind aus seiner Verteidigungsposition zu verjagen. Bei der berühmten Knochenbrecher-Brigade von Mithril-Halle löste eine solche Taktik jedoch lediglich einen umso gewaltsameren Gegenangriff aus.
Im Schutz der Knochenbrecher zuckten die Armbrustschützen der Zwerge nicht mit der Wimper und wichen nicht zurück, sondern feuerten kurz vor dem donnernden Aufeinanderprallen die erste Salve ab.
Wie eine tödliche Wand sausten die Bolzen auf die Worg-Reiter zu, die gleich darauf von Zwergen in Kampfpanzern angesprungen wurden.
Für die Heldenhammers hatte die Schlacht daher ausgezeichnet begonnen. Die stachelbewehrten Fäuste der Knochenbrecher brachten die Orks zum Grunzen und die Worge zum Jaulen. Zudem war die Kavallerie den nachrückenden Fußsoldaten der Orks zu weit vorausgeeilt.
Die Armee von Mithril-Halle fiel über die Feinde her und machte ihnen jubelnd den Garaus. Ihre Schreie nach Ork-Blut ließen König Connerad die letzten Stufen in aller Eile bewältigen.
Am liebsten hätte er sich selbst in die Schlacht gestürzt, doch Generalin Dagnabbet flüsterte ihm von hinten etwas zu. Diesmal war sie diejenige, die zu mehr Vorsicht riet.
Endlich sprang auch Connerad von der Treppe und rannte, so schnell er konnte, zu seinen Kommandanten, die ihre Kämpfer zu Geschlossenheit ermahnten. Er eilte an der Nachhut vorbei und befahl, unverzüglich den Rückzug in die Festung anzutreten.
»Rein mit euch und macht die Tore frei«, rief er. »Alle sofort in die Hallen!«
Das brachte ihm viele enttäuschte Blicke ein – jede andere Reaktion hätte auch ihn enttäuscht –, doch kein Zwerg widersprach seinem König. Sie feuerten weiter ihre Vettern an, die im Kampf mit den vordersten Orks standen, gingen von hinten aus jedoch zum raschen, geordneten Rückzug über.
König Connerad wurde langsamer und drehte sich um. »Zum Tor«, befahl er Dagnabbet.
Die Kriegerin keuchte ungläubig auf.
»Ich brauche dich dort!«, beharrte Connerad. »Sonst stecken wir plötzlich alle Schulter an Schulter fest, und diejenigen, die noch draußen stehen, werden abgeschlachtet. Sieh zu, dass alle in Bewegung bleiben. Jeder, der drin ist, ist einer, den du gerettet hast!«
Dagnabbet konnte ihre Enttäuschung nicht verhehlen. Sie schüttelte den Kopf.
Connerad sprang zu ihr und packte sie unsanft am Kragen. »Glaubst du denn, ein anderer Zwerg hätte die Autorität von Dagnabbet?«, schrie er ihr ins Gesicht. »Glaubst du, ich kann irgendeinen Kurier schicken, und die verdammten Tore bleiben frei, und die, die wegrennen – und welcher Zwerg rennt schon freiwillig weg? –, bleiben nicht stehen und schauen sich nicht um? Ich brauche dich mehr denn je, Mädchen!«
Dagnabbet riss sich zusammen. »Ja, mein König!«, sagte sie mit klarer Stimme. »Aber bleib selbst nicht zu lange da draußen und sieh zu, dass du überlebst! Du brauchst mich, und ich erfülle meinen Teil. Aber vergiss nicht, dass Mithril-Halle auch dich braucht. Mehr denn je, wenn diese Orks sich hier festsetzen wollen.«
Connerad nickte und wollte schon weiterlaufen, aber Dagnabbet hielt ihn an der Schulter fest.
»Sieh zu, dass du überlebst«, beschwor sie ihn und wünschte ihm mit einem Kuss viel Glück.
Und dieser Kuss war keine leere Geste, wie beiden überrascht bewusst wurde.
Dann hetzten sie in entgegengesetzte Richtungen davon. Dagnabbet brachte die Zwerge dazu, auf dem Weg zu den Toren geordnete Reihen zu bilden, und Connerad rief seine Befehlshaber zusammen. Erst als er zu den vorderen Reihen vordrang, konnte er die abfallende Passhöhe, die sich um den Berg zog, vollständig überblicken. Was er dabei sah, verschlug dem König einen Moment lang den Atem.
Die Ork-Armeen unten im Surbrintal waren groß gewesen, doch diese Streitmacht war noch größer. Und zwischen den Scharen von Orks stampften blauhäutige Giganten herbei. Eine ganze Legion Frostriesen.
Bei diesem Anblick vergingen Connerad die letzten Illusionen. Sie konnten unmöglich standhalten. Selbst wenn er jeden Zwerg aus Mithril-Halle mit Rüstung und Waffen hierherbeordert hätte, selbst mit schweren Geschützen und Katapulten, die sie vorab geschickt positioniert hätten, könnten sie diese Schlacht nicht gewinnen. Nicht einmal, wenn die zwei Ork-Armeen aus dem oberen Surbrintal sich ihren Artgenossen nicht anschlossen.
Noch nie hatte Connerad Starkamboss so viele Orks gesehen.
Der Weg war schwarz vor Orks, und die ganze Bergflanke sah aus wie ein sich windendes Ungeheuer, das unablässig seine Form änderte.
Noch viele Male an diesem Tag ermahnte sich König Connerad zur Ruhe. Er musste seine Zwerge mit fester Hand führen. Darum zuckte er nicht, als einer seiner Kommandanten neben ihm vom geschleuderten Felsen eines Riesen zermalmt wurde. Er unterdrückte seinen Aufschrei, als Bungalow Thump und eine Gruppe Knochenbrecher in einem Meer von Orks untergingen.
Connerad hielt sie in Bewegung, sie alle. Reihe für Reihe wichen die Zwerge zurück und formierten sich neu, sodass die nächste Reihe sich anschließen konnte. Bei jedem Schritt ihres verzweifelten Rückzugs waren vorne weniger Zwerge am Leben, doch für jeden getöteten Zwerg lagen auch viele Orks im Sterben.
In einem dunklen Moment kam es Connerad so vor, als wäre alles verloren, denn die Riesen brachen rücksichtslos durch die Reihen der Orks, um über die verhassten Zwerge herzufallen.
»Macht euch bereit! Und zielt auf ihre Knie!«, schrie er, und die Zwerge jubelten. Dann verstärkte sich ihr Jubel, als eine Salve Geschützbolzen über ihre Köpfe hinwegsauste. Die Riesen gerieten ins Taumeln, einige fielen, und die hinteren wichen hastig zurück.
Der König fuhr herum und bemerkte sogleich Dagnabbet.
Die schöne, unbeugsame Dagnabbet. Mutig, edel und treu.
Schnell und geordnet zogen die Zwerge durch die Tore in die Halle ein, wo es Dagnabbet trotz ihrer großen Verantwortung gelungen war, vier Speerwurfgeschütze ins Freie zu bringen – für genau einen solchen Zwischenfall wie den Vormarsch der Riesen.
An diesem Tag verlor Mithril-Halle sechzig tapfere Zwerge, und dreimal so viele schleppten sich schwer verletzt zurück, darunter auch Bungalow Thump, der irgendwie trotz allem überlebt hatte.
Danach jedoch saßen sie sicher hinter ihren schweren Toren. Das Überraschungsmoment war verflogen.
Und vor dem Nordtor lagen Hunderte toter Orks und drei tote Riesen.
»Du hast dich gut geschlagen«, sagte Dagnabbet zu König Connerad, als die Anführer sich zum Kriegsrat versammelten. »König Bruenor wäre stolz auf dich.«
Von der Tochter von Dagnabbit und der Enkelin des großen Dagna war das kein geringes Kompliment, das wusste Connerad.
Doch er hielt sich nicht lange damit auf, denn seine wahre Prüfung hatte erst begonnen.
Vor seiner Schwelle schlug gerade eine gewaltige Ork-Armee ihr Lager auf.
Kapitel 2
Die Grenze zwischen Leben und Tod
Die Realität war für Drizzt unfassbar. Sie standen vor einer Höhle mit dem Namen Steinmetzloch.
Einer Höhle.
Vor der Öffnung, die erst kürzlich von einer Mannschaft entschlossener Steinmetze erweitert worden war, sah Drizzt die verkohlten Überreste des alten Gasthauses, dessen großer Kamin sich noch einsam in die Höhe reckte. Ein steinernes Mahnmal, das an das erinnerte, was hier einmal gewesen war und was nicht mehr existierte. Dass dahinter nun die Sonne unterging, fand Drizzt sehr passend.
Während er dort saß, dachte er an seine Abenteuer in dieser Stadt – den Kampf gegen die Seeteufel und wie er den zähen Bewohnern geholfen hatte, ihre Bollwerke zu verstärken und die Strände zu sichern. Beim Anblick dieses Kamins empfand Drizzt unwillkürlich tiefes Bedauern und das Gefühl eines unwiederbringlichen Verlusts. Während der Kämpfe gegen die Sahuagin war das Steinmetzloch für die ganze Bevölkerung von Letzthafen zum Versammlungsort geworden. Hier hatten sich die Trupps formiert, die von der Mauer aus die angreifenden Monster zurückgeschlagen hatten. Hierher hatte man die Verwundeten gebracht, damit sie von den Heilern und Klerikern versorgt werden konnten. Hier hatte Drizzt selbst einen Schwerverletzten auf dem Tisch festgehalten, während Ambergris göttlichen Beistand anrief, um ihm das Leben zu retten. Für die Bürger von Letzthafen war das Steinmetzloch in jenen Tagen die Verheißung einer besseren Zukunft gewesen.
Und jetzt war es verschwunden, vollständig niedergebrannt bei dem Angriff der Drow, die es offenbar auf Drizzt abgesehen hatten.
Dieser Gedanke arbeitete in ihm weiter und erinnerte ihn an die Zeit, als die Drow im fernen Mithril-Halle einst ebenfalls nach ihm gesucht hatten. In jüngerer Zeit war zudem eine Gruppe unter der Führung von Tiago im Eiswindtal aufgetaucht, um ihn zu finden. Sie hatten einen Dämon mitgebracht, einen Balor, der noch eine persönliche Rechnung mit Drizzt zu begleichen hatte.
Der Dunkelelf sah sich nach seinen Gefährten um. Sein Blick blieb an Regis hängen, der mit seinem blauen Barett und dem edlen Mantel sehr elegant wirkte. Drizzt und die anderen scherzten oft, dass Regis den Ärger geradezu anzuziehen schien. Vor langer Zeit hatte Artemis Entreri den Halbling im Auftrag der Paschas von Kalimhafen, die auf Regis schlecht zu sprechen waren, im Eiswindtal entführt. Und erst vor kurzem hatte Schwarze Seele, ein Lich, der Regis verfolgte, die Gefährten westlich von Langsattel attackiert.
Wenn Drizzt jetzt die Ruine des Steinmetzlochs betrachtete und überlegte, welch hohe Wellen er selber schlug, hatte er den Eindruck, dass nicht Regis, sondern er selbst den Ruf des Unglücksbringers haben müsste.
Der Waldläufer lächelte wissend in sich hinein. Als er jünger gewesen war, hatten solche düsteren Gedanken ihm sehr zugesetzt. Unter dem Druck der Schuld hätte er unglücklich den Mund verzogen.
Heute wusste er es besser. Jetzt endlich verstand Drizzt, dass die Welt weit größer und dass sie gefährlich war, ganz gleich, welchen Weg er wählte. Im Gegenteil: Für diejenigen, die ihn als Freund und Verbündeten kannten, wäre sie ohne ihn sicher noch gefährlicher. Die Dunkelelfen brauchten keinen Anlass, um eine Stadt zu überfallen, und ein Dämon, der auf die Welt der Sterblichen losgelassen wurde, würde immer eine Spur der Vernichtung hinterlassen, ob er Drizzt jagte oder nicht.
Es ging hier nicht um ihn. Die Zerstörung des Steinmetzlochs war nicht seine Schuld. Wenn Drizzt und seine damaligen Begleiter, Entreri, Dahlia und die anderen, die Sahuagin nicht ins Meer zurückgetrieben hätten, wäre dieser ganze Ort längst aufgegeben worden.
Er dachte an jene andere Gruppe und musterte dabei der Reihe nach die Gefährten der Halle. In gewisser Hinsicht lag ein Vergleich auf der Hand. Sowohl diese Truppe als auch die damalige umfasste so fähige Kämpfer wie kaum eine andere auf Faerûn.
Doch abgesehen von der Fähigkeit, mit Schwert und Zauberkraft umzugehen und in vernichtender Harmonie Seite an Seite zu kämpfen, unterschieden sich seine jetzigen Freunde ganz erheblich von den damaligen um Entreri und Dahlia.
Er lachte auf, als ihm einfiel, wie Afafrenfere und Ambergris sich im alten Steinmetzloch aufgeführt hatten. Die Zwergin hatte den Mönch als Preiskämpfer angepriesen und beim Wetten auf den äußerlich unscheinbaren Afafrenfere säckeweise Münzen eingesammelt. Dank seiner Nahkampfausbildung, die sich auf das Kämpfen mit bloßen Händen konzentrierte, besiegte der lange, schlaksige Afafrenfere mit Leichtigkeit Gegner, die weit muskulöser und stärker waren als er.
»Woran denkst du, Elf«, fragte Bruenor. »Was ist so verdammt komisch?«
Drizzt schüttelte den Kopf, ohne Bruenor anzusehen, denn inzwischen war sein Blick zu Wulfgar gewandert. Wenn Ambergris und Afafrenfere heute in dieser Höhle zu ihrem Spiel ansetzen würden, würde Wulfgar wohl darauf eingehen?
Und wenn ja, wenn Wulfgar sich dem gewieften Mönch stellen würde, auf welchen der beiden müsste Drizzt wohl setzen?
»Nun?«, hakte Bruenor nach.
»Wulfgar«, entschied Drizzt, sagte dies aber nicht zu Bruenor, sondern zu sich, während er im Geist den Kampf durchging. Trotz Afafrenferes unbestreitbarer Kunst hatte Drizzt die schiere Körperkraft von Wulfgar zu oft erlebt, um jemals gegen ihn zu wetten.
»Häh?«, sagte der Zwerg verdutzt.
Drizzt lachte erneut. Was sonst? Trotz der harten Realität, mit der Letzthafen konfrontiert worden war, war hier kein Platz für Wehmut. Nicht angesichts der Moral dieser Stadt, deren Bewohner dem Leben so zugewandt waren und heute die Rückkehr derer feierten, die sie nach dem Drow-Überfall für immer verloren geglaubt hatten.
Als die Nachricht von der Rettung – und den heldenhaften Rettern – sich wie ein Lauffeuer herumsprach, drängten immer mehr Leute in die Höhle.
»War das eine Mine?«, fragte Regis, der von Drizzt aus auf der anderen Seite von Catti-brie saß.
»Ein Steinbruch«, befand Bruenor, der die Wände und die Spuren darin musterte. »Oder ein bisschen von beidem«, fügte er hinzu, als ihm ein Tunnel auffiel, der am Ende der Höhle um die Ecke führte.
Auf der anderen Seite dieses größten Raums erhob sich lauter Jubel. Alle blickten dorthin, wo Wulfgar jetzt unter den anfeuernden Rufen der Gäste einen schäumenden Humpen Bier in sich hineinkippte. Der Barbar hob einen Arm und spannte ihn an, bis seine Muskeln so hart hervortraten wie jeder Stein, auf dem je ein Zwergenpickel niedergegangen war.
Der Jubel wurde rundherum aufgenommen, bis er die anderen vier Helden erreichte, denen sich jetzt drei strahlende Gäste mit vollen Krügen näherten. Sie würden die ganze Nacht feiern, hatten die Stadtoberen erklärt.
»Ambergris wird es leidtun, dass sie uns nicht noch ein Stück nach Norden begleitet hat«, meinte Regis, während er einen der Krüge annahm.
»Sie hat also überlebt?«, erklang eine raue Stimme von der Seite.
Die Gefährten sahen sich um und entdeckten ein bemerkenswertes Geschöpf, halb Elf, halb Tiefling, in dunklen Roben und mit einem Knochenstab, auf dessen Spitze ein winziger Schädel saß. Auf den ersten Blick wirkte der verwachsene Mann wie ein schwächlicher Invalide. Wer jedoch genauer hinsah, erkannte rasch die Macht, die in diesem Stab pulsierte. Die knochigen Schultern standen leicht schief, die linke Seite hinter der rechten, und der linke Arm hing schlaff auf seinem Rücken, fast wie ein Schwanz, der oben am Rücken entsprang.
Drizzt fielen vor Überraschung fast die Augen aus dem Kopf.
»Effron?«, fragten Regis und Catti-brie den Drow wie aus einem Munde.
Drizzt riss sich zusammen und sprang auf. »Effron!«, rief er und eilte hinüber, um dem Hexer die Hand zu schütteln. Dann zog er ihn näher heran, um ihn zu umarmen, was der Tiefling – der sich einst mit Drizzt in der Burg von Draygo Quick eine Zelle geteilt hatte – gern erwiderte.
»Ich dachte, du wärst tot!«
»Viel hat auch nicht gefehlt«, sagte Effron, der nun auf Armeslänge zurückwich. »Dreckige Dr …« Er stockte, schluckte und korrigierte seine Aussage zu: »Drider.«
Drizzt nickte und beließ es dabei. Angesichts der Umstände hätte er Effron auch »Drow« durchgehen lassen.
»Ich habe auch dich für tot gehalten«, sagte Effron. »Wir haben auf dem Berg im Eiswindtal nach dir gesucht, aber keine Spur mehr gefunden.«
»Das war auch besser so«, erwiderte Drizzt.
Effron kam etwas näher und flüsterte Drizzt ins Ohr: »Es tut mir leid, wie das alles zwischen uns ausgegangen ist«, sagte er leise und bezog sich damit auf jene Nacht auf Kelvins Steinhügel. »Wir haben sogar die Zwerge nach dir gefragt, aber auch die hatten nichts gehört.«
»Gegen den Willen deiner Mutter, schätze ich.« Drizzt setzte zu einem Lächeln an, das ihm jedoch schnell verging, als er an das Ende von Effrons Mutter, Dahlia, dachte.
Drizzt löste sich von ihm und bedachte ihn dann erneut mit einem breiten Lächeln. Er wies auf Wulfgars leeren Platz am Tisch und bat Effron, sich zu setzen.
»Ich muss dir so viel erzählen«, sagte Drizzt.
Effron zögerte. Dann sagte er: »Erzähl mir von meiner Mutter.«
Ein Schatten legte sich über Drizzts Gesicht. Damit hatte Effron vorläufig genug gehört. Mehr brauchte er im Moment nicht. Etwas unsicher auf den Beinen, nahm der Hexer Platz.
Drizzt stellte seine Begleiter vor und rief sogar Wulfgar an den Tisch zurück.
»Das ist Catti-brie?«, fragte Effron. »Wirklich?«
»Aus demselben Wald, in dem wir geschlafen haben«, versuchte Drizzt zu erklären. »Sie ist wie wir aus einem langen Schlaf in die Welt zurückgekehrt.«
Effron sah die Frau von oben bis unten an. Das Missfallen war ihm deutlich anzusehen, obwohl er sich Mühe gab, es zu verbergen. »Du hast also dein Gespenst gefunden«, bemerkte er trocken.
Catti-brie nickte. Drizzt bemerkte den Kloß in ihrem Hals, denn sie wusste, dass insbesondere sie jetzt aufrichtig sein musste und dass der ehrliche Bericht von ihren letzten Abenteuern diesem jungen Hexer schwer zu schaffen machen würde.
»Ambergris lebt, ja. Sie ist mit Afafrenfere auf dem Weg nach Süden. Danach wollen sie über das Binnenmeer nach Nordosten weiterziehen«, sagte Drizzt, als er von der letzten Reise nach Gauntlgrym erzählte. »Entreri hat den Drow-Angriff ebenfalls überlebt, ist aber nicht mit uns zurückgekehrt. Nach allem, was wir wissen, könnte er noch in Gauntlgrym sein. Jedenfalls zweifle ich nicht daran, dass er noch lebt – er ist auf der Hut, und kaum jemand ist fähiger als Artemis Entreri.«
»Aber meine Mutter haben sie getötet«, folgerte Effron.
Drizzt seufzte. Er wollte antworten, aber Catti-brie kam ihm zuvor. »Nein«, sagte sie scharf, und alle schauten sie an.
»Das war ich«, gestand sie.
