Das Buch für Hundeeltern - Rolf C. Franck - E-Book

Das Buch für Hundeeltern E-Book

Rolf C. Franck

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Beschreibung

Niemand muss für seinen Hund den "Rudelführer" spielen, auch wenn viele Hundehalter diese veralteten Ansichten noch im Hinterkopf haben. Die Aufgabe von liebevollen Hundeeltern liegt vielmehr in der Übernahme von Verantwortung – für die Erfüllung der Bedürfnisse des Hundes, ebenso wie für seine gute Erziehung. Nur wenn wir die Emotionen des Hundes berücksichtigen, ermöglichen wir effektives und positives Lernen. Erst auf der Grundlage eines ausgeglichenen Wohlfühlbudgets ist er in der Lage, sich "brav" zu verhalten, Selbstkontrolle zu entwickeln und mit unserer stressigen Alltagswelt zurechtzukommen. Dieses Buch zeigt, welche praktischen Übungen den Hund zum zuverlässigen und entspannten Begleiter werden lassen, wie Hundebegegnungen freundlich ablaufen, wie eine vertrauensvolle Bindung zwischen Tier und Mensch aufgebaut werden kann: Sicheres Abrufen, Ablenkungsresistenz, ein funktionierendes Unterlassungswort, Leinenführigkeit, zuverlässige Bleibübungen – mit diesen Basics kann der Hund viele Freiheiten genießen, die zu seiner emotionalen Ausgeglichenheit beitragen.

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Seitenzahl: 152

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(Foto: Madeleine Franck)

Madeleine Franckund Rolf C. Franck

Das Buch für

Hundeeltern

HUNDE EMOTIONAL VERSTEHEN UND ERZIEHEN

 

Haftungsausschluss:

Autoren und Verlag haben den Inhalt dieses Buches mit großer Sorgfalt und nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt. Für eventuelle Schäden an Mensch und Tier, die als Folge von Handlungen und/oder gefassten Beschlüssen aufgrund der gegebenen Informationen entstehen, kann dennoch keine Haftung übernommen werden.

IMPRESSUM

Copyright © 2021 Cadmos Verlag GmbH, München

Grafisches Konzept: ravenstein2.de

Covergestaltung: Gerlinde Gröll, Cadmos Verlag GmbH

Satz: Hantsch PrePress Services OG, Wien

Coverfoto: shutterstock.com / Daria Ahafonova

Fotos und Abbildungen im Innenteil:

Rolf und Madeleine Franck, shutterstock.com

Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-8404-2062-7eISBN 978-3-8404-6488-1

INHALT

Ein neuer Blick auf einen alten Freund

Beziehungskiste Mensch–Hund

Hundetraining beginnt im Menschenkopf

Grundlagen des emotionsorientierten Trainings

Das emotionale Lernmodell

Die Säulen des Trainingserfolgs

Clickertraining

So begeisterst du deinen Hund

Übungen absichern

Missverständnisse vermeiden

Vom Welpen zur coolen Socke

„Guck mal, wie schön die spielen“

Sozialisation und Umweltgewöhnung

Gestaltung von Alltag und Hobbys

Selbstkontrolle

Spieltraining

Begegnungstraining

Entspannungstraining

(Foto: shutterstock.com / Daria Ahafonova)

Übungen für einen unkomplizierten Alltag mit dem Hund

Aufmerksamkeit

Handling und Kooperation

Auf den Arm und Einparken

Sicheres Abrufen

Unterlassungswort

Gehen an lockerer Leine

Sitz, Platz, Bleib

Umgang mit Problemverhalten

Individuelle Ursachen verstehen

Emotionen einschätzen

Clicken gegen Ängste und Aggression

Beispiel: Unerwünschtes Jagdverhalten

Professionelle Unterstützung finden

Danksagung

Anhang

Über die Autoren

Tipps zum Weiterlesen

Zum Weiterüben

Stichwortregister

(Foto: Madeleine Franck)

(Foto: Madeleine Franck)

EIN NEUER BLICK AUF EINEN ALTEN FREUND

Die Regale stehen voll mit alten und neuen Büchern, aus denen hervorgeht, dass Hunde in Hierarchien denken und leben. In vielen Fernsehsendungen wird den Hundehaltern von Hundeprofis erklärt, wie sie sich als richtiger Rudelführer und Chef des eigenen Vierbeiners verhalten sollten. Hinter dieser Denkweise steht eine längst überholte Dominanztheorie, die wirkt wie eine Brille: Sie färbt den Blick auf das Verhalten von Hunden mit ungünstigen Vorurteilen.

Hundeeltern von heute haben jedoch den Vorteil, dass es Alternativen gibt, denn es hat sich viel getan in der Hundewelt: Das Wissen über Hundeverhalten ist umfangreicher, die Trainingsmethoden sind insgesamt netter, die Hemmschwelle zu physischer Gewalt gegenüber Hunden höher geworden. Und doch kursieren die alten Konzepte – teils mit neuen Begrifflichkeiten – immer noch in den Medien und den Köpfen. Wir möchten dich einladen, mit uns gemeinsam einen neuen, unvoreingenommenen Blick auf unsere liebsten Vierbeiner zu werfen.

Beziehungskiste Mensch–Hund

Es fällt oft schwer, sich dem Mainstream der Ratgeber zu entziehen. Gibt es Probleme im Zusammenleben mit dem Hund, werden diese von vielen Trainern mit „mangelnder Führung“ erklärt. Dazu kommt noch die Einschätzung, dass immer der Mensch „schuld“ sei, wenn der Hund ein unerwünschtes Verhalten zeigt.

Glücklicherweise wissen wir inzwischen mehr darüber, wie Hunde ticken und was in ihnen vorgeht. Während wir vordergründig vielleicht ein „Fehlverhalten“ sehen, spielen sich im Hund Vorgänge ab, die oft völlig anders motiviert sind, als der Besitzer glaubt. Um das Wichtigste gleich vorwegzunehmen: Das Verhalten von Hunden wird nicht vom Streben nach der Spitze einer Rangordnung bestimmt, sondern vor allem von ihren Emotionen. Deshalb ist die Vorstellung einer Eltern-Kind-Beziehung auch das bessere Modell, wenn es um die Beziehung zwischen Mensch und Hund geht.

Was beinhaltet diese Rolle als Quasi-Eltern eines Hundes? Aus unserer Sicht zeichnet sie sich zum einen durch die Übernahme von Verantwortung aus: Verantwortung für die Erfüllung der Bedürfnisse des Hundes, für seine Sicherheit und Geborgenheit, aber auch für seine gute Erziehung. Damit Mensch und Hund in einer für beide Seiten bereichernden Beziehung leben können, ist außerdem eine liebevolle, verlässliche Bindung wichtig.

Zeigt der Hund ein unerwünschtes Verhalten, steht dahinter immer ein Bedürfnis, das er damit befriedigt. Zu den Aufgaben als Hundeeltern gehört es deshalb auch, dafür zu sorgen, dass der Hund einen Alltag hat, der seinen Bedürfnissen entspricht und ihn zufrieden macht. Ein ausgeglichenes Wohlfühlbudget ist aus unserer Sicht die Basis dafür, dass der Hund in der Lage ist, sich gut zu benehmen und erwünschtes Verhalten zu lernen.

BINDUNG

Das Hundekind sollte immer das Gefühl haben, in der Nähe seines Menschen geborgen und sicher zu sein. Obwohl fast alle Trainer dies unterschreiben würden, wird das Urvertrauen bei vielen Welpen schon in der Welpenschule gefährdet, wenn nicht sogar zerstört. Von „Die müssen lernen, Konflikte auszutragen“ über „Der muss lernen, sich zu wehren“ bis zu „Der muss mal einen Dämpfer bekommen“ gehen die Ratschläge und Erklärungen, wenn es im Spiel heftig hergeht. Wenn der Welpe überfordert Schutz bei seinem Menschen sucht, wird dieser oft aufgefordert, ihn zu ignorieren, um „die Angst nicht zu verstärken“. Auf diese Fehleinschätzung und viele weitere Risiken und Nebenwirkungen des Welpenfreispiels gehen wir später ein.

Nach unserer Auffassung ist es eine der wichtigsten Aufgaben für einen frischgebackenen Welpenbesitzer, dem Welpen zu zeigen, dass er bei seinem Menschen immer in Sicherheit ist. Wir empfehlen zum Beispiel entgegen der Kritik einiger Trainerkollegen, Welpen und Kleinhunde in kritischen Situationen auf den Arm zu nehmen. Dies ist zwar für den Menschen nicht immer ungefährlich, hätte aber schon so manchen Welpen vor einem schweren Trauma bewahren können.

Grundsätzlich sollte ein Hund wissen, dass er immer zu seinen menschlichen Elternfiguren kommen darf und soll. Ob in schwierigen Begegnungssituationen oder wenn der Hund verängstigt ist, sollte es seine Universallösung sein, zu Herrchen oder Frauchen zu kommen und dort Schutz zu suchen. Viele dieser Dinge erklären sich von selbst, wenn man darüber nachdenkt, wie man sich bei einem Menschenkind verhalten würde. Wir sind von Mutter Natur bestens auf die Elternrolle vorbereitet, und daher möchten wir jeden Hundebesitzer ermutigen, auf seine Intuition zu hören und entsprechend zu handeln.

Das Thema Bindung bietet vielfach Diskussionsbedarf: Ist eine so enge Bindung zum Menschen gut für den Hund? Braucht der Hund stattdessen nicht mehr Sozialkontakte zu anderen Vierbeinern? Schafft man sich damit nicht Probleme, zum Beispiel mit dem Alleinbleiben?

Mit Familienmitgliedern wünschen sich Hundeeltern von heute einen positiven Umgangsstil.

Dazu gehört eine liebevolle, verlässliche Bindung. (Fotos: Madeleine Franck)

Die Antworten lauten: Ja. Nein. Vielleicht. Betrachtet man Bindung evolutionstheoretisch, so beinhaltet die Existenz des Hundes bereits die Orientierung hin zum Menschen. Es würde heute keine Hunde, sondern nur Wölfe geben, wenn diese sich nicht dem Menschen angeschlossen hätten. Hunde verfügen also über die genetisch verankerte Bereitschaft, mit dem Menschen eine Beziehung einzugehen. Wir finden, dass man als Hundebesitzer alles dafür tun sollte, eine möglichst starke Bindung zu seinem Hund aufzubauen. Damit entspricht man einem seiner Hauptbedürfnisse und hat es gleichzeitig viel leichter, Einfluss auf das Verhalten des Hundes zu nehmen und seine Erziehung zu steuern (und ihm das entspannte Alleinbleiben einfach beizubringen).

Unser Ziel ist eine Bindung, bei der sich der Hund in der Nähe des Menschen besser fühlt als allein. Er soll seine Bezugsperson als Quelle seiner angenehmsten Gefühle wahrnehmen. Um dies zu erreichen, setzen wir vor allem die beiden Faktoren gemeinsames (Zerr-)Spiel und viel Körperkontakt mit Schmusen und Streicheln ein. Das hat gute Gründe: Bindung entsteht bei jungen Tieren besonders durch wildes, körperbetontes Spiel, bei älteren Tieren rücken gegenseitige Pflegehandlungen wie Lecken oder Beknabbern in den Vordergrund.

WORAUF KOMMT ES AN?

Der Bereich der Erziehung ist ein zentraler und wirft angesichts der überholten Dominanzregeln einige Fragen auf. Darf der Hund nun aufs Sofa oder sogar ins Bett? Jeder Hundebesitzer muss für sich selbst entscheiden, ob er das möchte oder ob er lieber ohne Hundehaare auf dem Kopfkissen schläft. Die persönliche Definition von Regeln hat jedoch nur den Sinn, das jeweilige Zusammenleben zwischen einem bestimmten Hund und seiner bestimmten Familie zu strukturieren. Dabei geht es meist um praktische Aspekte beziehungsweise darum, welche Übung welchen Zweck erfüllt. Nur der Hundebesitzer kann entscheiden, was sein Hund tatsächlich lernen muss, um den Anforderungen seines speziellen Alltags gewachsen zu sein.

Oft wird davor gewarnt, sich vom Hund zum Spielen auffordern zu lassen und Spielzeuge zur freien Verfügung herumliegen zu lassen. Besonders bei jungen Hunden raten wir dazu, in jedem Raum Spielzeug und Kausachen zu haben, damit der junge Racker sein Kaubedürfnis, seine überschüssige Energie und seine Neugier daran abreagiert. Ansonsten braucht man sich nicht über zerkaute Schuhe, angefressene Teppiche und Kauspuren an Stuhlbeinen zu wundern. Was Spielaufforderungen angeht, kann man ohne Weiteres darauf eingehen, wenn sie höflich vorgetragen werden. Der Hund sollte es jedoch auch ohne Murren akzeptieren, wenn man Nein sagt.

All diese Dinge erklären sich von selbst, wenn man wieder die Parallele zur Kindererziehung zieht. Da wir diesen Vergleich häufiger bemühen, ist es uns wichtig zu betonen, dass es bei allen Ähnlichkeiten natürlich auch Unterschiede gibt. Ein Beispiel wäre, dass Kinder lernen müssen, Konflikte selbst zu lösen, während es aus unserer Sicht für Hunde viel besser ist, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Doch kommen wir lieber schnell zurück auf den Hund. Ein entscheidender Erziehungsauftrag ist aus unserer Sicht, den Hund in Gelassenheit zu schulen. Wir hatten in den vergangenen Jahren mit vielen schwierigen Hunden zu tun, und die allermeisten besaßen eine Gemeinsamkeit: Sie waren in bestimmten Situationen unbeherrscht und regten sich viel zu sehr auf. Wenn man also Hunde darin bestärkt, in allen möglichen Situationen weitgehend entspannt zu bleiben, ist dies eine entscheidende Prophylaxemaßnahme gegen Verhaltensprobleme. Um das gut umsetzen zu können, ist ein bisschen Hintergrundwissen über Lernverhalten unerlässlich.

Hundetraining beginnt im Menschenkopf

„Was tue ich, wenn der Hund bellt, mich anspringt, an der Leine zieht, sein Futter verteidigt, beim Anblick anderer Hunde explodiert …?“ Traditionell ging und geht es im Hundetraining immer um das Prinzip „Was tun, wenn …?“. Meist folgt dieser Frage der Ratschlag, dem unerwünschten Verhalten eine unangenehme Konsequenz hinzuzufügen, damit das Verhalten in Zukunft nicht mehr auftritt. Das wäre der wenig effektive, reaktive Weg des Hundetrainings. Man reagiert also auf das bereits gezeigte Verhalten des Hundes.

Wir möchten dich auch hier ermutigen, deinen Blick zu verändern und proaktiv zu werden. Im übergeordneten Sinn bedeutet proaktiv zu sein, das Zusammenleben, die Mensch-Hund-Beziehung, die Persönlichkeitsentwicklung und das Training des Hundes vorbeugend zu planen und zu steuern. Dabei ist der wichtigste Punkt, dass man auf die inneren emotionalen Zustände und Vorgänge des Hundes aktiv Einfluss nimmt, anstatt sie dem Zufall zu überlassen und dann erst auf sie zu reagieren.

ZIELE FORMULIEREN

Ausgangspunkt dafür ist, die eigenen Ziele genau zu definieren und eine klare Vorstellung davon zu entwickeln, wie man sich das Verhalten des Hundes und das Zusammenleben vorstellt. Auch wenn es um das Training an einem problematischen Verhaltensmuster des Hundes geht, ist es wichtig, ein klares Ziel zu formulieren. Dabei sollte das Ziel auf den eigenen Hund abgestimmt, vorstellbar und erreichbar sein.

Die Eltern-Kind-Beziehung ist ein besseres Modell für die Mensch-Hund-Beziehung als die Idee einer Rangordnung. (Foto: Madeleine Franck)

Es ist sicher unrealistisch zu erwarten, dass ein traumatisierter Hund mit Angst vor Menschen irgendwann jeden Passanten wie ein typischer Labrador begrüßen möchte.

Vielleicht wäre es realistischer, sich vorzustellen, dass er auch bei Spaziergängen mit vielen Passanten angstfrei bleibt, wenn keine Kontaktaufnahme von ihm erwartet wird und er sich bei direkten Begegnungen hinter seinem Menschen verstecken darf. Hat man geklärt, welches Verhalten man beim Hund erreichen möchte, verhält man sich selbst in der entsprechenden Situation eindeutiger. Das konkrete Trainingsvorgehen kann dann darauf abgestimmt werden.

„GRENZEN SETZEN“?

Eine genaue Vorstellung des Idealverhaltens hilft dir außerdem dabei, Grenzen in der Hundeerziehung umzusetzen. Im traditionellen Hundetraining wird der Hund meist absichtlich dazu verleitet, eine erdachte Grenze zu überschreiten, um ihm dann durch eine körper(sprach)liche Reaktion sein „Vergehen“ bewusst zu machen. Das ist nicht nur unfair, sondern auch unklug, weshalb schon der Begriff „Grenzen setzen“ für viele Positivtrainer einen negativen Beigeschmack hat. Viel sinnvoller ist es dagegen, dem Hund beizubringen, dass es sich für ihn lohnt, auf der richtigen Seite der Grenze zu bleiben. Vereinfacht ausgedrückt: Bring deinem Hund bei, was er tun soll, anstatt darauf zu warten, dass er etwas falsch macht.

DEM BAUCHGEFÜHL TRAUEN

Es ist ein wichtiger Aspekt des proaktiven Trainings, Situationen zu beeinflussen, anstatt zu beobachten und abzuwarten. Das soll nicht heißen, dass du deinen Hund nur noch mit einem kleinschrittigen Trainingsplan in der Tasche Gassi führen kannst. Aber du solltest mental darauf vorbereitet sein, welche Herausforderungen dich möglicherweise erwarten und wie du ungünstige Lernerfahrungen verhindern kannst. Dabei ist es wichtig, dem eigenen Bauchgefühl zu vertrauen und aktiv zu werden, wenn du den Eindruck hast, dass etwas schiefläuft. Unzählige Male schon haben wir beispielsweise von Hundebesitzern gehört, dass sie beim Besuch einer Welpenschule irgendwann das Gefühl hatten, ihren Welpen aus einer Situation retten zu müssen. Stattdessen haben sie zugeschaut, wie ihr kleiner Vierbeiner untergebuttert wurde – auf Anweisung des Trainers und mit besten Absichten, damit der Welpe vermeintlich lernt, Konflikte zu lösen. Andere Besitzer berichten von dem Impuls, ihre scheinbar friedlich im Garten spielenden Hunde hereinzurufen – Minuten, bevor plötzlich eine Beißerei entstand. Manchmal hat man auf dem Spaziergang gerade noch rechtzeitig das Gefühl, den Hund besser anzuleinen, bevor wie aus heiterem Himmel ein Reh über den Weg rennt. Wir plädieren daher auch dafür, im Umgang mit dem Hund mehr auf die eigene Intuition zu hören.

Proaktiv zu agieren bedeutet auch, den Hund vor unangenehmen Erlebnissen zu schützen. (Foto: M. Franck)

In unserer Gesellschaft wird es als erstrebenswert angesehen, sich vor Entscheidungen umfassend zu informieren und rational abzuwägen. Dazu werden Expertenmeinungen eingeholt und Ratgeber gelesen, nicht selten mit dem Ergebnis, in seiner eigenen Intuition verunsichert zu werden. In Bezug auf Hundetraining können wir dir versichern: Jeder Trainingsansatz lässt sich mit Hinweis auf die entsprechenden Experten rechtfertigen, und es gibt zu den gegensätzlichsten Meinungen irgendwo das passende Buch. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass auch unbedarfte Neuhundebesitzer besser ihrer Intuition vertrauen sollten, statt Ratschläge zu befolgen, die ihnen widerstreben.

Sehr wichtig ist das Wahrnehmen des eigenen Bauchgefühls, wenn es um das typische Knistern geht, bevor zwischen zwei oder mehreren Hunden eine brenzlige Situation entsteht. Wenn du das Gefühl hast, eine Begegnung könnte schiefgehen, in einem scheinbar harmlosen Spiel könnte die Stimmung kippen oder Ähnliches, ist das der richtige Zeitpunkt zum Eingreifen. Vertraue darauf, dass du kompetent bist, für deinen Hund Entscheidungen zu treffen, egal, was ein möglicherweise anwesender Trainer oder anderer Hundehalter dazu sagt.

Vertrauen verstärkt eine enge Bindung. (Foto: Madeleine Franck)

(Foto: Madeleine Franck)

GRUNDLAGEN DES EMOTIONSORIENTIERTEN TRAININGS

Emotionen sind die maßgeblich treibende Kraft hinter jedem Lernen und Verhalten des Hundes. Als wir 2010 im ersten Band der Blauerhund®-Konzept-Reihe erstmals unser emotionales Lernmodell beschrieben haben, war Jaak Panksepp (1943–2017) unter Hundebesitzern noch weitestgehend unbekannt.

Der estnisch-US-amerikanische Psychologe forschte seit den 1970er-Jahren zu den Zusammenhängen von Hirnaktivität und Sozialverhalten und beschrieb sieben verschiedene Emotionssysteme im Gehirn:

• Wut,

• Angst,

• Seeking (allgemeine Motivation),

• Lust,

• Fürsorge,

• Panik

• und Spiel.

Mithilfe des emotionalen Lernmodells und Panksepps Emotionssystemen lassen sich Hundeverhalten heute besser denn je verstehen und unsere darauf abgestimmten Trainingstechniken nachvollziehen. Panksepp erklärt Emotionen als komplexe Reaktionsmuster des Körpers und des Gehirns auf seine Umwelt, die dem Lebewesen vermitteln, was gut oder schlecht und was zum Überleben wichtig ist. Emotionale Gefühle entstehen dabei direkt im Gehirn, im Gegensatz zu sensorischen Gefühlen, die über die Sinnesorgane ausgelöst werden, und körperlichen Gefühlen wie Hunger oder Durst. Emotionen kann man sich demnach als Bedürfnisse des Gehirns vorstellen, die das Verhalten beeinflussen oder, wie wir es immer formulieren: Die Emotionen des Hundes sind der Motor hinter seinem Verhalten.

Das emotionale Lernmodell

Den sieben Emotionssystemen liegen verschiedene neuronale Schaltkreise zugrunde, die sich teilweise überschneiden, teilweise aber auch über spezifische Hirnstrukturen und Botenstoffe verfügen. Konkret wird Verhalten durch die Aktivierung oder Hemmung dieser Schaltkreise hervorgerufen. Lernmechanismen funktionieren mit und über diese Emotionssysteme, indem verstärkende oder hemmende Gefühle entstehen. Vereinfacht kann man sagen, dass vor allem die Stärke der Emotion und damit der Grad der Erregung über das Verhalten des Hundes bestimmen. Unsere Erregungsskala (Abbildung 1) verdeutlicht die einzelnen Stufen dieses Erregungsprozesses.

Am unteren Ende der Erregungsskala gibt es einen Bereich, der grau gefärbt ist. Dort würden wir einen Hund einordnen, der in eine Art Depression abgerutscht ist. Seine Handlungsbereitschaft ist extrem reduziert, seine emotionale Erregung nahezu null. Ist die Erregung gering bis mäßig, ist dagegen alles im grünen Bereich. Je stärker nun die emotionale Erregung des Hundes ansteigt, desto weiter nähert sich der Wert auf der Skala dem roten Bereich. Die Bereiche Grün und Gelb sind dadurch gekennzeichnet, dass der Hund fähig ist, sich bewusst zu verhalten, Neues zu lernen und erlerntes Verhalten zu zeigen. Wir bezeichnen diesen Teil der Skala als blaues Fenster.

Je weiter es in Richtung Rot geht, desto mehr nimmt das bewusste Verhalten ab und instinktives Verhalten kommt zum Vorschein. Ab einem gewissen Punkt der Erregung ist der Hund nicht mehr ansprechbar und reagiert „kopflos“. Durch ein entsprechendes Training lässt sich der Bereich vergrößern, indem der Hund sich bewusst verhält.

Abbildung 1

Links: Die Erregungsskala mit blauem Fenster.

Rechts: Durch gezieltes Training lässt sich das blaue Fenster auf höhere Erregungsstufen ausdehnen.

(Grafiken: Rolf Franck)

Abbildung 2

Anhand unseres emotionalen Lernmodells (mit Erregungsskala in der Mitte) lassen sich verschiedene Lernprozesse nachvollziehen.

(Grafik: Rolf Franck)

Ohne gezielte Förderung umfasst das blaue Fenster für bewusstes Verhalten nur die Bereiche Grün und Gelb. Um spätere Verhaltensprobleme zu vermeiden, ist es daher wichtig, schon mit einem Welpen viele Übungen zur Selbstkontrolle zu machen. Spieltraining auf hohem Erregungsniveau nach festen Spielregeln ist ein Beispiel dafür, wie Hunde lernen können, sich selbst zu kontrollieren und dadurch auch im orangefarbenen Bereich noch bewusste Entscheidungen treffen zu können.

Unser Modell des emotionalen Lernens beim Hund lässt sich am besten ausgehend von einem wahrgenommenen Reiz nachvollziehen: Die anfängliche Bewertung eines Reizes in positiv oder negativ erfolgt oft aufgrund von genetischen Veranlagungen. So reagieren wohl alle Hunde mit Interesse auf einen Bewegungsreiz. Wenn also ein Welpe erstmalig einen rollenden Fußball sieht, wird er vermutlich hinterherlaufen und feststellen, dass sich diese Aktivität gut anfühlt. Dass das Sehen und Verfolgen eines rollenden Balles als positiv empfunden wird, hängt damit zusammen, dass ein Jäger schnell auf fliehende Tiere reagieren muss, um sie zu fangen. Trotz der Evolutionsgeschichte können Hunde ihre enge genetische Verwandtschaft zum Wolf nicht verleugnen. Wölfe und später Hunde, die diese Verknüpfung zwischen Bewegungsreiz und positiver Emotion stärker hatten als andere, waren erfolgreicher und konnten so ihre Veranlagung an ihre Nachkommen weitergeben.

DIE ERREGUNG WÄCHST