Das Blauerhundkonzept 1 - Rolf C. Franck - E-Book

Das Blauerhundkonzept 1 E-Book

Rolf C. Franck

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Beschreibung

Noch immer wird viel zu viel Hundeverhalten mit veralteten Ansichten über "Dominanz" und "Rudelhierarchie" erklärt. Diese Theorien schwirren den meisten Hundebesitzern im Hinterkopf, auch wenn sie sich einen freundschaftlichen Umgang mit ihrem Vierbeiner wünschen und das Training mit positiven Methoden vorziehen. Das Verhalten des Hundes gegenüber seinen Menschen im Alltag und der Trainingssituation aus emotionaler Sicht zu betrachten, bietet endlich eine Alternative zu althergebrachtem Denken. Wenn wir die Emotionen des Hundes berücksichtigen, ermöglichen wir effektives und positives Lernen. Das "Blauer Hund®-Konzept 1" beruht auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Emotionswesen Hund. Mit diesem Buch erhält der Leser einen Einblick in die Arbeitsmethoden von Rolf C. Franck und Madeleine Franck, die gemeinsam in ihrer Partnerschule für Mensch und Hund Hundebesitzern zu einem besseren Hundeverständnis und praktischem Trainingserfolg verhelfen. Der Blaue Hund® steht dabei für Freundschaft und Fairness im Miteinander, aber auch für Gelassenheit und Coolness, die ein Hund braucht, um problemlos die Anforderungen des Alltags zu meistern.

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Seitenzahl: 116

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ImpressumCopyright © 2011 by Cadmos Verlag, SchwarzenbekGestaltung und Satz: jb:design – Johanna Böhm, DassendorfLektorat der Originalausgabe: Johanna Esser

Coverfoto: Nico von RavensteinFotos im Innenteil: Madeleine Franck mit Ausnahme Foto S. 6, Hans GraussZeichnungen: Rolf C.Franck

Konvertierung: S4Carlisle Publishing Services

Deutsche Nationalbibliothek – CIP-EinheitsaufnahmeDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.ddb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.

eISBN: 978-3-8404-6415-7

INHALT

Rolf C. und Madeleine Franck mit ihrer Hundefamilie.

Vorwort oder die wahre Antwort auf die Frage: „Warum ist der Hund blau?“

Teil 1 – Ein neuer Blick auf einen alten Freund

Beziehungskiste

Die Dominanztheorie – Das große Missverständnis

Rangordnung bei Wölfen?

Rangordnung bei Hunden?

Eltern statt Rudelführer

Exkurs Bindung

Emotionales Lernen

Emotionswesen Hund

Reize

Emotionales Lernmodell

Konsequenzen

Standardstrategien

Motivation versus Triebe

Beispiel

Welche Rolle spielt der Hund?

Persönlichkeit von Hund und Mensch

Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit

Wie passen Mensch und Hund zusammen?

Hundetraining beginnt im Menschenkopf

Stimmungsübertragung

Der eigenen Intuition trauen

Mentale Bilder

Teil 2 – Emotionales Training

Grundlagen emotionsorientierten Trainings

Das Zwei-Säulen-Prinzip

Organisation

Positive Verstärkung

Die übliche Frage: Belohnung oder Bestechung?

Unabsichtliche Bestechung vermeiden

Intervalltraining

Frustration und Erleichterung

Der erste Eindruck

Umgang mit Fehlern

Anfängerfehler

Das Schadewort

Profifehler

Risiken und Nebenwirkungen positiver Trainingstechniken oder: Das „Will-nicht-muss-nicht“-Phänomen

Ursachenforschung

Ist Strafe nötig? Umgang mit unerwünschtem Verhalten

Strafe richtig einsetzen

Hilfsmittel aus dem Medizinschrank

Teil 3 – Clicken nach Blauerhund

Clickertraining und Emotionen

Warum Clicken?

Clicken löst positive Emotionen aus

Positive Verknüpfung mit den Übungen

Clicken verhindert zu hohe Erregung

Frustrationstoleranz

Wie Clicken?

Clickertechniken

Shaping

Locken

Modellieren

Welche Rolle spielt die echte Belohnung und beendet der Click die Übung?

Gefühle beeinflussen

Clicken gegen Ängste und Aggression?

Die Click-für-Blick-Methode

Ausblick

Literaturverzeichnis

VORWORTODER DIE WAHRE ANTWORT AUF DIE FRAGE: „WARUM IST DER HUND BLAU?“

Ein braver und gelassener Hund macht der ganzen Familie viel Freude.

Wir werden häufig gefragt, wie wir auf den Namen Blauerhund® gekommen sind und welche Bedeutung dahintersteckt. Als wir im Jahr 2006 begannen, in Sachen Hundetraining und -verhalten zusammenzuarbeiten, sollte auch ein neuer, gemeinsamer Name her. Da Rolf damals schon viele Jahre einen blauen Hund auf der Visitenkarte hatte, kamen wir auf die Idee, ihn zum Symbol unserer Zusammenarbeit zu machen.

Als nun immer wieder die Fragen nach dem Warum aufkamen, wurde uns deutlich, dass wir einen einprägsamen Namen für unser Projekt gefunden hatten, der darüber hinaus auch noch neugierig macht. Eigentlich gab es bisher aber keinen wirklichen Grund dafür, dass der Hund blau war. So recherchierten wir ein wenig zum Thema Farbsymbolik und es kamen sehr interessante Dinge zutage. Blau wird generell als die Farbe der Ruhe, der Entspannung und Friedfertigkeit genannt, ihr wird eine beruhigende, ausgleichende Wirkung zugeschrieben. Genau diese Eigenschaften wollen wir bei Hunden fördern. Sie sollen in möglichst vielen Situationen gelassen sein und sich Mensch und Tier gegenüber friedlich verhalten. Viele unserer Vorgehensweisen und Trainingsmethoden sollen eine beruhigende und ausgleichende Wirkung erzielen. Weiterhin symbolisiert die blaue Farbe Freundschaft, Treue und Vertrauen. Genau so stellen wir uns eine gute Beziehung zwischen Mensch und Hund vor. Auch in unserem Umgang mit den Hundebesitzern bemühen wir uns um diese Werte.

Zwei weitere Eigenschaften, die in Zusammenhang mit Blau genannt werden, sind Kreativität und Innovation. Wir wollten schon immer das Thema Hundetraining und -verhalten mit Einfallsreichtum angehen und veraltete Sichtweisen erneuern. Genau das ist es, was wir auch mit diesem Buch beabsichtigen. Wir möchten zunächst mit dem alten Missverständnis der Dominanztheorie aufräumen und unser Erklärungsmodell für die Beziehung zwischen Mensch und Hund vorstellen. So mancher Leser/manche Leserin wird sich in dem bestätigt finden, was er beziehungsweise sie schon immer gefühlt hat. Im Bereich der Verhaltenserklärung und der Ausbildung bieten wir mit unserem Modell des emotionalen Lernens eine neue Perspektive. Es beruht zum einen auf unseren jahrelangen praktischen Erfahrungen, zum anderen auf aktuellen Forschungserkenntnissen. Außerdem werden Madeleines eigene Forschungsergebnisse zur Persönlichkeit von Mensch und Hund hier erstmals in einem Buch veröffentlicht.

Wir wollen auf den folgenden Seiten einen Einblick in die theoretischen Grundlagen des Blauerhund®-Konzepts geben und mit unseren speziellen Trainingstechniken doch ganz nah an der Praxis bleiben. Besonders was das Training mit dem Clicker angeht, haben wir interessante Erläuterungen und sicher eine etwas andere Herangehensweise zu bieten. Für uns zählt dabei die Devise: Hundetraining findet weder im Labor noch im Delfinbecken statt. Wir erklären auch, warum gerade im Bereich des Verhaltenstrainings oder, wenn man so will, in der „Therapie“ das Clickertraining effektiv ist. So manches Mal werden Sie sich beim Lesen mit Sichtweisen konfrontiert sehen, die den bisherigen Erklärungen komplett widersprechen und doch logisch sind. Und so zieht sich das Prinzip „blau“ durch dieses Buch und unsere gemeinsame Arbeit mit Mensch und Hund. Am Ende ist es also weit mehr als nur der Hund, der blau ist.

Madeleine und Rolf C. Franck

TEIL 1

Ein neuer Blick auf einen alten Freund

BEZIEHUNGSKISTE

Oft wird das Schlafbedürfnis eines Hundes unterschätzt.

Die Dominanztheorie – Das große Missverständnis

Die Regale stehen voll mit Büchern, aus denen hervorgeht, dass Hunde in Hierarchien denken und leben. In vielen Fernsehsendungen wird den Hilfe suchenden Hundehaltern von Hundenannys und Hundeprofis erklärt, wie sie sich als richtiger Rudelführer und Chef des eigenen Vierbeiners verhalten sollten. Im Wesentlichen besteht die Dominanztheorie bei Hunden dabei aus vier Thesen. Sie besagt erstens, dass Hunde alle sozialen Beziehungen als Rangordnungen ansehen und sie zweitens immer danach streben, in der Rangfolge aufzusteigen. Laut Dominanztheorie gilt drittens, dass bestimmte Verhaltensregeln die Position in der Rangordnung bestimmen und viertens, dass Menschen diese Regeln befolgen müssen, um den Hund unterzuordnen. Damit der Hund nicht „dominant“ wird, empfehlen Experten zum Beispiel, den Hund zu ignorieren, ihn nicht vor sich durch die Tür gehen zu lassen, ihn erst zu füttern, wenn man selbst gegessen hat, ihn nicht auf erhöhte Liegeplätze wie das Sofa oder gar das Bett zu lassen. Auch auf vielen Hundeplätzen bemüht man sich mit mehr oder weniger groben Methoden, angeblich „dominanten“ Hunden zu zeigen, dass der Mensch in der Rangordnung über ihnen steht. All die Psychotricks oder Einschüchterungsversuche werden in der Regel mit dem Verhalten von Wölfen begründet, die ja schließlich die Vorfahren unserer Hunde sind. Leben aber Wölfe tatsächlich in strikten Rangordnungen und sind Hunde wirklich wie Wölfe?

Abb. 1: Rangordnung beim Wolf?

Rangordnung bei Wölfen?

Wie bei vielen anderen Wildtieren wurde auch beim Wolf sehr lange unterstellt, dass er in einer strikten Hierarchie lebt, die von einem Leitmännchen und einem Leitweibchen angeführt wird (siehe Abbildung 1). Sie sollten es sein, die bestimmen, was wann gemacht wird, und ein hartes Regime gegenüber den unterlegenen Rudelmitgliedern führen. Die Vorstellung einer von der Natur vorgesehenen hierarchischen Ordnung und einer Dominanz der Anführer passte zum Gesellschaftsbild des neunzehnten Jahrhunderts, denn damit ließ sich wunderbar begründen, dass auch Menschen unterdrückt und ausgenutzt wurden. Als dann die noch junge Wissenschaft der Verhaltensforschung begann, sich näher mit dem Wolf zu beschäftigen, setzte man das Zusammenleben in pyramidenartigen Rangordnungen einfach voraus. Alle Verhaltensbeobachtungen wurden durch die dominanzgefärbte Brille gesehen und entsprechend bewertet. Kam es zum Beispiel zu Auseinandersetzungen unter den Rüden einer Wolfsgruppe, nahm man an, dass es dabei um die Position in der Rangfolge ging.

Ein großer Teil der gesamten Wolfsforschung wurde an Tieren betrieben, die in Gefangenschaft zusammenlebten. Oft waren die Gehege mit Tieren bestückt, die aus verschiedenen anderen Einrichtungen zusammengewürfelt wurden und sozusagen in „Zwangsgemeinschaften“ lebten. Dass es dabei vermehrt zu Reibereien kam, ist mehr als verständlich – besonders wenn man bedenkt, dass Wolfsrudel in der Natur sehr viel mehr Raum zur Verfügung haben. Erst in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts begannen Wolfsforscher damit, die Tiere dort zu erforschen, wo siefrei leben. Einer von ihnen ist David Mech, der über Jahre hinweg immer dieselbe Gruppe in Alaska besuchte und den Tieren so sehr nahe kommen konnte. Seine wichtigste Erkenntnis ist, dass das typische Wolfsrudel aus zwei Elterntieren und deren Nachkommen besteht (siehe Abbildung 2).

Abb. 2: Familienstruktur beim Wolf.

Die älteren Jungtiere helfen ihren Eltern bei der Pflege der Welpen und bei der Jagd und lernen von ihnen die wichtigen Dinge des Lebens. Etwa mit zwei Jahren werden sie geschlechtsreif und verlassen die Gruppe, um selbst einen Partner zu suchen und eine eigene Familie zu gründen. Manchmal werden auch alte Tiere, praktisch die Großmutter- und Großvatergeneration, vom Rudel mitversorgt. Das typische Wolfsrudel besteht also aus einer Familie, die ganz ähnlich organisiert ist wie eine menschliche Großfamilie. Beide Lebensformen findet man in unserer Zeit immer weniger vor, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen.

Nicht nur beim Wolf wird die Dominanztheorie heutzutage sehr kritisch gesehen. Auch zum Beispiel bei Pferden wird diese Sichtweise inzwischen zunehmend revidiert. Die an frei lebenden Wölfen gemachten Beobachtungen sehen ohne den Blick durch die Rangordnungsbrille ganz anders aus als gedacht. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es sind nicht die vermeintlich „dominanten“ Alphatiere, die zuerst fressen. Wie gute Eltern es üblicherweise tun, sorgen auch Wolfseltern dafür, dass erst einmal der Nachwuchs, also dominanztheoretisch die Rangniedrigsten, versorgt werden. Wir finden daher, dass es Zeit wird, das überholte Konstrukt Rangordnung ad acta zu legen und den Blick für neue Erkenntnisse zu weiten, die uns Wolfsfamilien noch zu bieten haben.

Abb. 3: Familienstruktur beim Hund?

Rangordnung bei Hunden?

Die Sichtweise auf den Wolf hat sich also stark verändert. Bedeutet dies, dass auch Hunde ihr Zusammenleben in Familien organisieren (siehe Abbildung 3)? Um dies zu beantworten, hilft es sehr, die Entwicklungsgeschichte vom Wolf zum Hund zu verstehen. Auch hier gab es in früheren Zeiten Vorstellungen, die inzwischen widerlegt wurden. Ursprünglich wurde angenommen, dass unsere frühen Vorfahren Wolfswelpen an sich genommen hätten, um sie zu zähmen. Aus diesen sollten die späteren Hunde hervorgegangen sein. Passend zur Jahrtausendwende brachte das Ehepaar Ray und Lorna Coppinger sein Standardwerk mit dem schlichten Titel „Hunde“ heraus und läutete damit ein neues Zeitalter in der Kynologie (die Wissenschaft vom Hund) ein. Sie führten frühere Thesen zur Entstehung des Hundes ad absurdum und erklärten sehr schlüssig, wie die Entstehung des Canis familiaris mit der Entwicklungsgeschichte des Menschen zusammenhängt.

Als unsere Vorfahren vor etwa 12 000 Jahren ihren Lebensstil änderten und vom umherwandernden Jäger und Sammler zum sesshaften Landwirt und Viehhalter umsattelten, hatten sie ein neues Problem: Was tun mit den Abfällen des täglichen Lebens? Es entstanden erste Müllhalden und Latrinen außerhalb der neuen Siedlungen. Das brachte den Wolf auf den Plan. Er hatte sich schon immer auch von Resten und Kot ernährt, musste aber bisher für den größten Teil seiner Nahrung viel Zeit und Energie bei der Jagd aufwenden. Durch den ständig gedeckten Tisch in der Nähe des Menschen waren seine Versorgung und die seiner Welpen jedoch mit wenig Aufwand gesichert.

Abb. 4: Gruppenstruktur beim Hund.

Tiere, die die Nähe der Menschen besonders gut aushielten, bekamen das meiste Futter ab und sicherten ihren Nachkommen die besten Überlebenschancen. An diese gaben sie ihre geringere Fluchttendenz gegenüber dem Menschen weiter und die Evolution nahm ihren Lauf. Der Mensch profitierte ebenfalls von dieser neuen Lebensgemeinschaft. Die Wölfe in ihrer Nähe beseitigten viele Abfälle und hielten Ratten im Zaum. Auch wenn wir es nicht gerne hören: Wölfe bereicherten gleichzeitig den Speiseplan des damaligen Menschen und boten ihm einen ganzjährigen Vorrat an Frischfleisch. Die Veränderung vom Wolf zum Hund basiert also im Wesentlichen auf zwei Aspekten der Zuchtauswahl: Einerseits war da die natürliche Selektion von weniger scheuen Tieren in der neuen ökologischen Nische „Müllhalde“. Das zweite Kriterium brachte der Mensch ein. Denn wenn es darum ging, einen der Wölfe als Braten auszuwählen, handelte er sicher nach praktischen Erwägungen. Tiere, die ihm nützlich waren, weil sie zum Beispiel besonders gut vor Gefahr warnten, sich als gute Rattenjäger erwiesen oder denen es gelang, die Sympathie der Menschen zu gewinnen, kamen nicht in den Kochtopf. Sie hatten weit bessere Überlebenschancen als solche, die das nicht taten. Sie gaben auch diese Eigenarten an ihre Nachkommen weiter und aus Wölfen wurden mit der Zeit die Vorfahren unserer Hunde.

Mit diesem Wandel gingen einige Veränderungen einher. Vergleicht man Hunde mit Wölfen ist offensichtlich, dass Erstere eine viel größere Vielfalt besitzen. Das Spektrum an Körpergrößen, Farbreichtum und Fellarten ist riesig und Gleiches gilt für Verhaltensweisen, Vorlieben und Talente. Bei allen Unterschieden fällt besonders einer ins Gewicht, der sich auf das Zusammenleben von Hunden auswirkt: Hunde entsprechen in ihrem Verhalten und ihrer Reife im Vergleich lebenslang einem halbwüchsigen, also etwa einbis zweijährigen Wolf. Gleichzeitig suchen sie nach Elternfiguren, denen sie lebenslang folgen können. Die perfekten Voraussetzungen, um sich bei einem Säugetier mit intensivem Brutpflegeverlangen wie dem Menschen einzuschmeicheln. Lange Zeit wurden die scheinbaren Erkenntnisse über Wölfe eins zu eins auf Hunde übertragen. Erst in der jüngeren Vergangenheit wurde der Hund selbst als Forschungsobjekt interessant. Auch hier ist das Ehepaar Coppinger Vorreiter, da es sowohl Beobachtungen an nahezu wild und ursprünglich lebenden Dorfhunden in Afrika betrieb als auch das Verhalten selbst gezüchteter Hunde verschiedener Rassen systematisch beobachtete. Betrachtet man die Evolutionsgeschichte des Hundes, wird deutlich, dass die Wichtigkeit einer sozialen Familienstruktur im Gegensatz zur Wolfsfamilie deutlich abgenommen hat. Es musste zum Beispiel nicht mehr gemeinsam gejagt werden, denn Futter war ja vorhanden. Dafür war ein neuer Faktor sehr wichtig geworden: die Bereitschaft, sich in Richtung des Menschen zu orientieren. Coppingers Beobachtungen bestätigen genau diese These. Man kann also sagen, dass Hunde weder in Hierarchien noch in Familien zusammenleben. Wie ältere Kinder bilden sie untereinander lockere Gruppen (siehe Abbildung 4), in denen man gemeinsam spielt und abhängt.

Zu jedem Mitglied der Hundegruppe bilden sie individuelle, unterschiedlich enge Beziehungen, die auf gemeinsamen Interessen und Sympathien beruhen. Mit alledem wird deutlich, dass es keinen Sinn macht, die Beziehung zwischen Mensch und Hund mit abstrusen Vorstellungen von Wolfsverhalten zu erklären. Wölfe sind offensichtlich ganz anders, als wir gedacht hatten, und Hunde sind bei Weitem keine Wölfe.

Eltern statt Rudelführer

Wenn Hunde untereinander nicht in Rangordnungen leben, wie sieht es dann mit ihrer Beziehung zum Zweibeiner aus? Die zentrale These der Dominanztheorie lautet, dass der Mensch vom Hund als Alphatier gesehen werden soll, um Probleme im Zusammenleben zu vermeiden (siehe Abbildung 5).