Das Drama von Lübeck - Franziska König - E-Book

Das Drama von Lübeck E-Book

Franziska König

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Beschreibung

Das auf der ganzen Welt bekannte und äußerst erfolgreiche Musikfestival der Familie König - der Musikalische Sommer in Ostfriesland - droht von böser Hand geraubt, und dreist umetikettiert zu werden. Doch die Familie lässt sich dererlei nicht bieten. Auf diesem familiengeschichtlichen Hintergrund durchschreitet Franziska den Februar 2014 mit all seinen Freuden und Verdrüssen.

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Aus dem Leben einer Musikerfamilie

2014 Februar

Meinem allerliebsten Onkel Hartmut als Bettlektüre für die Georgien-Reise im Herbst 2019 zugeeignet

Familie König-Rothfuß an Heiligabend 1963

Auch Ming ist bereits dabei – doch man sieht ihn nicht.

Von links nach rechts:

Rehlein mit der 1-jährigen Kika auf dem Schoß, (untere Reihe) Tante Antje (kaum zu sehen) und der Opa (auf deren Knien die Zwillinge Heiner und Friedel verteilt sind), Onkel Rainer (obere Reihe) Buz, die Degerlocher Oma, Tante Bea, Onkel Dölein, Omi Mobbl, und der damals erst 14-jährige Onkel Andi

Die wichtigsten Vorkömmlinge vorweg:

Rehlein: Meine Mutter

Buz: Mein Vater

Ming: Mein Bruder

Julchen: Meine Scchwägerin

Yara (Pröppilein): Meine kleine Nichte, 1 Jahr alt

Den Rest findet man hinten im Personenverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Februar 2014

Samstag, 1. Februar

Sonntag, 2. Februar

Montag, 3. Februar

Dienstag, 4. Februar

Mittwoch, 5. Februar

Donnerstag 6. Februar

Freitag, 7. Februar

Samstag, 8. Februar

Sonntag 9. Februar

Montag, 10. Februar

Dienstag, 11. Februar

Mittwoch 12. Februar

Donnerstag, 13. Februar

Freitag, 14. Februar

Samstag 15. Februar

Sonntag 16. Februar

Montag, 17. Februar

Dienstag 18. Februar

Mittwoch, 19. Februar

Donnerstag, 20. Februar

Freitag 21. Februar

Samstag, 22. Februar

Sonntag, 23. Februar

Montag, 24. Februar

Dienstag, 25. Februar

Mittwoch, 26. Februar

Donnerstag, 27. Februar

Freitag, 28. Februar

Personenverzeichnis

Februar 2014

Samstag, 1. Februar

Ofenbach* - Grebenstein**

In O. zunächst weißwölkig und schneeverkrustet. Im Raum St. Pölten Sonnenschein, nach der Grenze jedoch leider sehr grau eingetrübt. In Tirol und Kärnten soll es rasend geschneit haben*Dorf in Niederösterreich**Kleinstadt in Nordhessen

__________________

Vorwissen für den Tag:

Seit Wochen war ich bei meinen lieben Eltern Rehlein & Buz in Ofenbach zu Besuch. Eine wunderschöne Zeit am Mutterbusen in gemütlichster Kachelofenatmosphäre, eingehüllt in die Liebe meiner Eltern, ging mit dem heutigen Tag zuende. Ich mußte meine Arbeit als Wandermusikantin wieder aufnehmen und in die weite Welt zurückreisen. Zunächst nach Grebenstein, 17 km nördlich von Kassel, in die Wohnung meiner jüngst verstorbenen Omi Ella (1913 – 2003), deren Leben ich dort weiterzuführen pflege.

Bereits auf viertel nach neun hatte man den Abschied terminiert, und das ausrinnende Miteinander wollte intensiv gestaltet werden.

Buz wirkte ganz in sich gekehrt. Hi und da schien er auf Art eines altersdurmeligen Greisen im Sorgenstuhl zu schlummern, doch einmal erhaschte ich einen Blick auf sein eines Auge, das geöffnet war und uns rollend musterte.

Es erinnerte an den Tartüff.

Rehlein und ich unterhielten uns wie alle Tage lebhaft.

Verzückt beschwärmte ich das musikalische Talent von Tante Beas kleiner Enkelin Miette. Man müsste sie nach Peking zum strengsten Klavierlehrer des Landes schicken, doch stattdessen besucht sie nur die Waldorfschule, wo man auf Dauer wohl zu weich gespült wird? Hat die Veronika nicht unlängst so köstlich von einer Bratscherin berichtet, die einem frischgegründeten Orchester beitrat? Doch als sie - ebenfalls Waldorfschülerin - am Probenort angekommen den Kasten öffnete, da war er leer.

Rehlein gab sich große Müh´, den durmelnden Buz in die Gespräche mit einzubeziehen, und erzählte von der Waldorfschule in Santa Cruz. Ich wiederum lauschte den Ausführungen Rehleins durch die Ohren Buzens gebannt, auch wenn sie rehleingemäß vielleicht etwas ausgeschmückt waren, was der Geschichte jedoch nur dienlich sein konnte:

Dort essen die Kinder die Eier vom Federvieh das sie selber pflegen, und statt einer schrillen Pausenklingel tritt der Lehrer freundlich in den Türrahmen um animierend zu verkünden, daß es nun weiterginge mit der Freude am Lernen.

„Hurra!“ rufen die Kinder, statt: „Wöööööööö!“

(Anders, als in normalen Schulen somit.)

Die Zeit ruckelte genußtrübend an unseren lebhaften Erzählungen vorbei, und schließlich sagte ich auf Art unserer Tante Irma in Schleswig-Holstein: „Auf Wiedersehen, Vater!“ und fuhr meine Hand steif, mit akkurat aufeinandergeschichteten Fingern, zu einem finalen Händedruck aus.

Ein Abschiedszeremoniell das in vielen Familien usus ist. Buz aber lachte, umarmte und küßte mich, und nun beküsste ich meine Eltern mit nicht endenwollenden sehnsuchtsvollen und melodischen Kußgirlanden, und stieg schließlich in klammen Abschiedsschmerz gehüllt ins Auto.

Beim Anfahren heftete ich den Blick weniger auf den Kalgassenbuckel, den es nun zu bezwingen galt, als vielmehr auf meine winkenden Eltern im Rückspiegel, und mit diesem Anblick, der kleiner und kleiner wurde, und schließlich zu einer kostbaren Erinnerung mutierte, fuhr ich wehmütigst von dannen.

Fahrt nach Deutschland:

Im Radio war der Pianist und Professor Boris Bloch zu Gast, der in angenehmer Stimmlage, sympathischer Selbstzufriedenheit, und hinzu einem Lächeln, das man durchs Radio gar zu sehen glaubte, von Wettbewerbserfolgen in jungen Jahren berichtete.

Einmal machte er Werbung für einen Schüler, der ein wirkliches Talent sei. Bei seiner Prüfung vor zwei Tagen habe man gesagt: „Das war keine Prüfung. Das war ein Erlebnis!“

Ferner hörte man von einer tüchtigen Frau, deren Name mir leider entfallen ist:

In der Theaterwelt sei sie ein Begriff, und letztes Jahr habe sie auch noch einen Roman herausgegeben: In insgesamt 21 Kapiteln werden 18 Menschen vorgestellt, und die jeweiligen Kapitel sind mit deren Namen überschrieben. Man liest z.B. über ein Ehepaar, das im Supermarkt wegen eines Käses in Streit geriet, und der Streit mündete in das große Schweigen.

Die erste Rast legte ich im sog. „Babuschen-Rosenberger“ ein, obwohl die Zeit zwickte: - Eigentlich ist es ja die „Raststation Aistersheim“, so etwa 40 km vor der deutsche Grenze bei Passau gelegen, doch einmal habe ich mir zum Spaß ausgemalt, daß Gidon Kremer, der berühmte Geiger, dort seinen Urlaub verbringt. Da er immer sehr fleißig war, darf er sich einen sehr langen Urlaub gönnen - ein sog. Sabbatjahr, - und gibt es einen besseren Ort, an dem sich ein ein- bis zwei Jahre lang währender Urlaub verbringen ließe? Für sein Glück braucht der genügsam Veranlagte lediglich eine Truhe voller Bücher und warme Babuschen, und so heißt diese Raststation nun einfach „Babuschen-Rosenberger“. Ein Besuch, der aus jenem Grunde nicht zu bereuen war, dieweil mir eine junge Dame das Leben rettete.

„Entschuldigen Sie!“ rief sie gleich zwiefach, so daß man natürlich geneigt war, an eine Anhalterin zu denken. Doch es war so, daß meine Motorhaube nicht richtig geschlossen war.

„Das kann ins Auge gehen!“ erfuhr ich.

„Vielen Dank!“ rief ich überschwenglich aus.

„Is OK!“

Sie entfernte sich.

Ich war plötzlich so gerührt, daß sich diese fremde junge Frau als Fee für mich erwiesen hat, denn was, wenn mir während der Fahrt die Motorhaube aufgehüpft wäre, so wie einst dem Onkel Giuliano in Rom? (Bloß, daß sich der Verkehr dort in Schneckengeschwindigkeit fortzubewegen pflegt.)

„Dieser Besuch ist nicht zu bereuen!“ dachte ich dankbar.

Die Bediensteten im Rosenberger kamen mir alle so grenzdebil vor. Lauter grenzdebile alte Frauen mit schriller Stimme, in welcher sie vorgeschriebene Höflichkeiten von sich geben, hat man in die volkstümlich anmutenden Rosenberger-Dirndl gestopft, und im Vorraum, wo ich vergebens nach einer fesselnden Tageszeitung Ausschau hielt, wurde gar Staub gesaugt, so daß man sehen und hören konnte, daß es in Gidon Kremers Babuschen-Rosenberger durchaus nicht immer gemütlich zugeht.

Ich fuhr weiter.

An der Grenze stand ein Schandarm mit einer Kelle, und ich konnte ja nur hoffen, daß ich seine Zeichen richtig interpretiere, und durchfahren durfte?

Der Sonnenschein wurde nach der Grenze von strenger Gräue abgelöscht. Mißbilligend runzelten sich mir graue Wolkenbänke entgegen, und einmal rief mein treuer Bruder Ming an. Ming sprach vom Spessart, wo es womöglich glatt würde, doch Buz in mir konnte sich das gar nicht so recht vorstellen, denn noch herrschten so etwa 6 C°.

Es wurde dunkel, und ich fuhr und fuhr durch die Nacht.

Im Radio spielte eine Geigerin mit einem Vierfachnamen, der sich mir nur schwer einprägte, wie gebügelt klingend die Sonate in A-Dur von Gabriel Fauré: Stephanie-Maria Rademacher-Protz (oder Prunk?), oder so ähnlich, und der Name des Pianisten prägte sich mir hingegen überhaupt nicht ein. Schlimm! Und während ich dem uneingeprägt gebliebenen Namen noch vergebens hinterhersann, überholte mich ein gemächlich fahrendes Polizeiauto, und nun sauste es an mir vorbei, und auf dem Dach las man in schriller Leuchtschrift: POLIZEI BITTE FOLGEN!

Beklommen folgte ich dem Fahrzeug auf den Rasthof Kassel. Was einem da nicht alles durch den Kopf zieht! Lampe kaputt, Führerscheinentzug, 180 €uro Strafe…

Doch die beiden Bullen waren so freundlich! Ich mußte mir „nur“ eine kleine Belehrung anhören: Daß ich so lange auf der linken Spur geeiert sei!

Dann durfte ich weiterfahren.

Die Fahrt war sehr ungemütlich und wäre mit Sicherheit nichts für Rehleins Nerven gewesen. An einer steil bergab zielenden Autobahnwoge hatte ich direkt das Gefühl, mein Auto wolle einen Purzelbaum schlagen, und die Fensterscheibe war hinzu vom Schnieselregen verschmiert und verschliert.

In den Nachrichten hört man allerlei: Maximilian Schell starb in der Nacht auf heut nach kurzer schwerer Krankheit im Innsbrucker Großklinikum, und in der Ukraine tobt ein erbitterter Kampf, ähnelnd jenem der „Ostfriesischen Landschaft“ mit uns.

Präsident Janukowitsch bereichterte sich, und stahl dem hungernden und frierenden Volk das ganze Geld, während Boxgroßmeister Vitali Klitschko große Politik zu machen hofft.

Endlich war ich daheim und schmiegte meinen Hyundai an die Hecke vor dem Hause. Vor mir entstieg soeben auch der Schröder, mein Vermieter, seinem Auto.

Ich begrüßte ihn herzlich und erfreut, und erfuhr zu meiner Bestürzung, daß seine Mutter Anfang Dezember gestorben sei.

Über den Tod seiner geliebten Mutter sagte der Schröder, wenn auch mit tapferem Lächeln, der habe ihn sehr zurückgeworfen.

Es hatte sich so eingebürgert, daß er sie jeden Abend ins Bett brachte, und dies schöne Ritual soll nun für immer abgehakt bleiben?

Doch ich erfuhr noch anderlei: Daß der Onkel Hambum die Heizung aufgeschraubt und das Fenster offengelassen habe! Ich machte ein ganz betroffenes Gesicht, erinnerte mich aber währenddessen daran, daß Buz gesagt hatte, ich sähe in letzter Zeit oft unsagbar töricht aus, und so versuchte ich den törichten Ausdruck so gut es eben ging, wieder aufzumildern, ohne die gebotene Entgeisterung ganz abzuschalten.

Sonntag, 2. Februar

Vormittags zarter und nachmittags richtig schöner Sonnenschein

Zum ersten Mal in diesem Jahr hielt ich mein Früherhöbnis nicht ein – solcherart als wolle mich der sauber zusammengeschnürte Januar mit seinen 31 Früherhebungstagen, die wie blankgeputzte Taler in einem Sack zu klingen scheinen, bereits zufriedenstellen? Doch ich schlief so was an gut! In meiner Schlafesmurmeligkeit am Morgen schöpfte ich auch noch zwei 5-Minuten Kellen purer Döserei nach.

Zum Frühstück schaute ich mir einen Film über das Hochsicherheitsgefängnis von Oldenburg an.

Ein Herr mit Namen Waldemar saß bereits seit 17 Jahren ein und sehnte sich nach seiner Heimat Sibirien.

Und tatsächlich: Im Laufe des Films zeigte sich die rupffrisurige, angenehm bodenständige Direktorin, um ihm persönlich zu verkünden, daß er durchaus Chancen habe, im Juni ausgewiesen zu werden. Sie lächelte sehr freundlich, da ihr bewußt war, daß dies ihrem Häftling eine Herzensangelegenheit ist, und „schöne Nachrichten überbringt man doch nochmal so gern!“ freute sie sich mit ihm. Man konnte sehen, daß die Chefin auch ihn als Verbrecher ernst nahm, und auch wenn´s als kränkend empfunden werden könnte, daß es ihr scheinbar so gar nichts ausmache, einen Häftling nach Sibirien ziehen zu lassen, wo man ihn nach menschlichem Ermessen in diesem irdischen Leben wohl kaum nochmals wiedersehen würde – so kann man´s ja doch vielleicht mit einer Zoodirektorin vergleichen, die ein Tier wieder in die Freiheit entlässt, und ihm hierfür alles Gute wünscht. Ein anderer Häftling gab sich maulig und pubertär, so daß die Chefin laut werden mußte.

Muffig redete er sich dahingehend raus, daß die Arbeit ihn krank mache, doch da biss er bei der Chefin auf Granit:

„Arbeitet man denn in ihrem Lande nicht?“ wollte sie streng wissen.

Der unreife Häftling klang wie ein 14-jähriger, der mit seiner Mutter herumrechtet.

Ich rannte um den Burgberg herum, und der Pfad der das kahle Geäst umsäumte, und den ich nun in vormittäglichem Sonnenscheine behoppelte, war ziemlich schmal, so daß man Obacht geben mußte, links nicht abzurutschen, und in die Tiefe zu stolpern. Der Weg war etwas morastig aufgeweicht, und so rannte ich kreuz und quer und völlig ohne Konzept herum. Oben an der Burg zeigten sich ein paar überreife Herren aus dem Schrot & Korn von Herrn Nebelsiek, die interessiert schauen wollten, ob der heil´je Christopherus wohl von sechzehnfünfundachzig oder eher von Siebzehnelf ist?

Mit der Zeit änderte sich der Sonnenschein zu seinen Gunsten: Von einem vormittäglich kühl-hellen und leicht elendenden, verwandelte er sich in einen sehnsüchtig stimmenden.

Der sehnsüchtig Gestimmte, oder auch von unbestimmten Sehnsüchten besengte schaut durch das knorrige Geäst in den Himmel empor, und könnte sich direkt einreden, sich in Kalifornien zu befinden.

Es heißt ja, der Reiz des Joggens bestünde darin, ein leeres Hirn zu bekommen, und ist es dann leer, so tauchen eventuelle Gedanken ganz von alleine auf, um das leere Gehirn frisch zu befüllen.

Tatsächlich: Ein Gedanke hatte angebissen. Ich dachte nämlich an Gidon Kremer in seinem Haus in Vilnius, und frug mich, warum Buz neulich wohl eine Bemerkung dahingehend gemacht hatte, der Gidon wäre wohl kein so toller Politiker geworden? Buz bezweifelte auch einfach so, daß er Humor habe, während ich in meinen Gedanken nun wiederum passende Worte fand, den Kremerschen Humor angemessen zu beschreiben.

Er habe einen ganz feinen, philosophisch behauchten Humor, dachte ich warm, während sich über meine wohlwollenden Gedanken jenes Bild stülpte, wie sich der Gidon mit offenem Mund mit Bachs h-moll Partita abmüht. Das war wirklich albern! Aber er möchte einfach so viel wie irgendmöglich aus seinem Inneren in die Interpretation einfließen lassen. Er wringt sein Gefühlsleben und all seine Erfahrungen aus wie eine Zitrone.

Diese scheinbar arroganten und hinzu vielleicht schroff klingenden Gedanken bargen jedoch einen warmen Kern….

Als ich an jener, heut völlig verfaulten Bank vorbei“raste“, auf der die Omi vor nun bald 19 Jahren den Brief vom Evchen* geöffnet hat, begegnete ich dem Pulk Senioren, den ich zuvor über mir hab rascheln hören, und die Konturen bekamen Gestalt.

Ich machte die Bekanntschaft einer zwiefachen Hundemutti. Trocken und doch griffig.

„Aber sie sind ja mit dem Auto hier!“ spielte sie auf meinen Hyundai-Schlüssel an, den ich in Händen hielt, und lachte wie über einen guten Scherz. Auch ich lachte.

*Omi bekam einst jeden Tag Post von einer vom Leben vielfach verarschten jungen Kollegin, die einen verheirateten Herrn liebte. (Wilhelm) – Doch dies gehört in ein anderes Buch, für das mir soeben ein richtig schöner Titel einfällt.

Daheim fischte ich eine Mail von der Tante Bea hervor, und als einzigen Kommentar über das letzte Romankapitel, das ich ihr geschickt hatte, wies das Beätchen darauf hin, daß ihr Wischmopp rechteckig und nicht quadratisch sei. „Dies ist sehr wichtig!“ schrieb sie bedeutsam hinzu, und man frägt sich, ob dies wohl als urige Witzelei herüberkommen sollte?

„Aber Beätchen, das ist doch nicht WITZIG!“ könne man schreiben, „höchstens vielleicht ganz leicht.“

Bis zu Lindas Hündchen „Ella“ reicht Beätchens familiäres Ehrgefühl wohl nicht, denn daß ich den kleinen Hund als „grenzdebil“ bezeichnet habe, scheint ihr am Arsch vorbeigezogen zu sein?

Das Kompliment, sie selber wiederum hätte „zum Anbeißen“ ausgesehen, nimmt das Beätchen kommentarlos, wie selbstverständlich hin.

Abends fraß sich die Dunkelheit in die kleine Stube herein. Das Licht im Bad ist kaputt. Es blubbert an und wieder aus, und stimmt den Klogänger nervös.

Ich war ein wenig niedergedrückt, da bei der Edith gegenüber kein Licht brannte. Wo anders könnte die Reiseunlustige sein als im Krankenhaus oder auf dem Friedhof?

Montag, 3. Februar

Zwischen klar und mild und streng und grau (am Nachmittag)

Erhoben um 7

Fast hätte ich mich in den Bettfluten belassen, zumal es draußen noch ganz dunkel war. Doch dann folgte ich ja doch dem Pfad der guten Gewohnheit, erhob mich, und war später auch sehr froh drum.

Um 9 Uhr stand ein Frühstück bei der Ulla auf der Agenda, und somit schnürte ich mich rasch zusammen, um den Burgbergslauf zu absolvieren. Auch wenn´s gestern doch schon so frühlingshaft wirkte, so war mein Auto heute doch von einer gleichmäßigen Eisschicht überkrustet. Die Burg war beleuchtet und das rote Licht fraß sich geheimnisvoll durch den Nebel.

Ich freute mich, daß bei der Edith Licht brannte. In ihrer Stube sah man die Lampe über dem Tisch hängen, und das Licht dieser Lampe schien mir so freundlich und beruhigend.

Ich stürmte der Burg entgegen, und empfand es als äußerst reizvoll, mitzuerleben wie in den wie gefaltet aussehenden Häusern am Fuße des Burgbergs die Lichter angeknipst wurden, und das Leben zu knospeln begann.

Um halb acht erlosch die Burgbergsbeleuchtung - grad wie einst das Lebenslicht vom Pfarrer Friebe.

Meine Gedanken wanderten zum Kirchenvorstandspräsidenten Dennis Rader aus Wichita in Kansas. Einen Herrn mit Stahlwollebärtchen, der sich als grausamer Serienmörder entpuppte, und 1:1 zum Bild eines biederen Kirchenvorstands passt.

Auf Art vom Pfarrer Rübel sehnte er sich nach Aufmerksamkeit, und spielte Katz & Maus mit der Polizei.

Daheim ließ sich in der verbliebenen Zeit kaum noch Großes auf die Beine stellen, und später erwies sich die Schaberei am Auto als deutlich anstrengender als gedacht.

Die Edith wunk mir aus dem Fenster zu, und dieser Anblick gab mir so viel Kraft.

Ich schabte die Scheiben mit dem Schrubberhandschuh, und mein Arm tat mir bereits weh, auch wenn die angestrengte Schaberei kaum Wirkung gezeigt hatte, und ich doch so um meine Pünktlichkeit bangte, denn für meine Pünktlichkeit bin ich berühmt. In aufzüngelnder Panik setzte ich mich ins Auto, und stellte das Wärmegebläse an. Hierbei fühlte ich mich wie die verrückte Laurie aus meinem deprimierenden Buch über eine Frau, die dem Wahnsinn verfiel, und sich im Wandschrank verkroch.

Buz in mir tendierte leicht dazu, auf „gut Glück“ zu fahren, aber dann rann das warmgeblasene Eis ja doch hinweg, und ich fuhr eilends zum „Netto“, um feine Köstlichkeiten zum Frühstück zu besorgen.

Auf dem Nutella-Glas las man, daß die Nutella ein großes Jubiläum feiere: Seit 50 Jahren sorgt sie für Freude und Genuß am Frühstückstisch, nachdem sie im Jahre 1964 erfunden worden war, als die naschhaft veranlagte Ulla, die so gerne in den Nutellagläsern herumlöffelt, bereits 16 Jahre alt war.

Und nun fuhr ich im Sauseschritt hin, und brachte ein Glas Nutella mit.

Bei der Ulla wurde ich freundlich empfangen, und gleich beim Schuheausziehen empfand ich es als so überaus angenehm und wohltuend, daß die Ulla nicht so ein Geschiss wie die Bea gemacht hat, die einen sogar flügelschlackernd begackert, wenn man die Schuhe auszieht, weil sie das Gefühl hat, daß man sie fast doch nicht ausgezogen hätte.

Zunächst hatte ich ein wenig Angst, meine Fähigkeit zur Kommunikation durch die Bea verloren zu haben. Ich räusperte mich ziemlich oft und laut, und irgendwie, so bildete ich mir ein, würde von mir erwartet, von Kalifornien zu berichten. Doch anstatt die schöne Landschaft und das Wetter zu beschwärmen, begann ich schon allzu bald leicht erbittert über die Bea zu referieren, wobei, wie ich selber bemerkte, allerdings ein falsches Bea-Bild entstand.

Ich berichtete von Beas hippeligem Sekundengeiz und dem Ernährungswahn, und wie man sich in ihren Sinnen völlig fehlspiegelt.

Dann erzählte ich von Beas Sohn Rifflein. Er sei Hausverschönerer von Beruf, und lebe bei einer alten Dame im Walde. Doch diese Dame wollte ihn drei Wochen lang los sein, da sie Besuch erwartete, und so galt es, sich für drei Wochen eine neue Bleibe zu suchen. Und so schilderte ich der Ulla plastisch, wie das Rifflein diesbezüglich bei seiner eigenen Mutti rumdruchsen musste.

Es war ihm unerhört unangenehm bei ihr und ihrem zweiten Mann Jesse um Asyl anzusuchen, und etwas kurzsichtig machte er aus einem Unbehagen heraus aus den drei Wochen zunächst zwei, weil er die übergroße Entgeisterung, die ihm ja bereits bei zweien so überaus stramm entgegenzuschlagen drohte, schon vorzufühlen glaubte.

Die Ulla wiederum berichtete von der Gegenomi Afroditi, und wurde ganz fauchig dabei. Es entluden sich verkappte Aggressionen, und die Worte hätten sich für einen neutralen Beobachter in einiger Ferne womöglich so angehört, als sei ich eine Verwandte, der energisch der Kopf gewaschen werden muß.

Die Ulla kam auf ihren Pseudoenkel Lukas zu sprechen (den großen Halbbruder ihrer Enkelin „Josephine“) und imitierte ihn auf häßliche Weise: Wie er über seine kleine Halbschwester, der er etwas versprochen und nicht eingehalten hatte, gesagt habe „Das versteht die doch noch überhaupt nicht!“

„Ich mag keine Lügen, und wenn jemand etwas verspricht, so muß er es auch einhalten!“ schnaubte die Ulla, und zu diesem verärgerten Geschnaube klingelte das Telefon. Die Rosita wars. (Eine papageienartige Dame aus Kassel.)

Daheim arbeitete ich für meine Karriere und knöpfte mir Baden-Würtembergische Kirchenkreise vor.

Doch auch bei dieser doch scheinbar beamtlichen Tätigkeit erging es mir wie einem Wildschwein beim Kastanien essen: Verspeist es eine Kastanie, so benascht es mit den Augen bereits die nächste, und im Kirchenkreis Esslingen rutschte ich vom Pfade ab, und landete im Kirchenkreis Nürtingen.

Auf der Webseite fand sich eine Galerie an leider wenig attraktiv aussehendem Kirchpersonal - lauter Leuten mit denen man nur ungern einen Abend verbrächte.

Nach dem Fall „Dennis Rader“ habe ich den Respekt vor der religiösen Obrigkeit ein wenig verloren, und nun stellte ich´s mir als reizvolles Hobby vor, die Fotos auf den Pfarrwebseiten für eine „Partnerschafts-Wahl“ zu nutzen.

Mit wem dieser frommen Menschen würden Sie wohl gern einen Abend verbringen?

(frug ich mich selber neugierig)

Schließlich fuhr ich in milder Wetterlage nach Kassel.

Für mich „ein Tag der Wahrheit“, denn heute würde sich herausstellen, wieviel bzw. ob überhaupt noch etwas auf meinem Konto vorzufinden wäre, oder ob ich finanziell am Arsch angelangt sei?

Auf zweierlei wirft man nur ungern einen Blick: Die Waage und den Kontoauszug. Die Waage zeigt immer zu viel, und der Kontoauszug immer zu wenig an. Wäre es nicht besser, es sei umgekehrt? Jeder wünscht sich blondes Haar und weiße Zähne – und dann schaut man in den Spiegel, und es ist grad umgekehrt? Weißes Haar und blonde Zähne?

Mit bloß mehr einigen, zwischen den Fingern zu verinnen drohenden fünf Euro-Scheinen behaftet, schritt ich strammen Haxerlns zur Postbank hin, und spielte unterwegs den sog. „Wörs-Käis“ durch: 216,60 €uro Haben – nein, dann schraubte ich den zu erwartenden Anblick auf dem Kontoauszug im Geiste noch etwas tiefer hinab, um mich daran zu gewöhnen und eine eventuelle Enttäuschung sanft zu puffern, und kam auf Minus 95 €uro.

Käm´s aber so, so wolle ich versuchen trotzdem glücklich zu sein, und diesen Kassel-Nachmittag zu genießen als sei´s der letzte Tag im Leben, weil selbiges sonst immer so sorgendurchfurcht bliebe.

Na, noch etwas über 1200 €uro.

Doch die sind schnell weg, wie der Kenner weiß.

Um 300 €uro bereichert, schritt ich nun den Weg zum „City-Point“ ab, und wieder mußte ich an Beas Sohn Riffi denken, der nicht so einfach bei seinen Eltern unterschlupfen kann wie ich.

Spätestens nach drei Tagen spricht ihn Mutti Bea auf ein Kostgeld an, und schmerzlich fühlt man ihre zwiderwurzige Izzeligkeit, gepaart mit dem Bestreben, dem Herrn Sohn pädagogisch unter die Nase zu reiben, daß man erwachsen sei, und auf eigenen Füßen zu stehen habe!

Die Sorgen haben mich nicht davon abhalten können, den Pralinenshop HUSSEL aufzusuchen und mich mit Zitronenbällchen und Hot-Chili-Gums einzudecken, und mit mir scheffelte eine Japanerin, die meinem Herzen sehr fern war, kleine Lakritztaler in Tütchen, und als mal eines auf den Boden hopste, tat sie einfach so, als habe sie es nicht bemerkt.

Ich besuchte die Buchhandlung Thalia, doch plötzlich war es dunkel geworden. Ich war so gerne in der Thalia, aber die Tatsache, daß es dunkel geworden war hatte etwas Beklemmendes. Hatte man dem Tag in der Früh nicht beim Entschälen geholfen? Und schon mußte er wieder eingestampft werden.

Ein Penner hatte sich in einer Decke gehüllt und wie ein Sack an die Wand gelehnt, und später sah ich, daß eine attraktive Exotin seinem Barmruf Gehör geschenkt hatte. Mit ernster, anteilnehmender Miene baute sie sich vor ihm auf, und sprach ernst und anteilnehmend auf ihn ein.

„Sie können hier nicht übernachten. Es ist viel zu kalt. Sie frieren sich den Arsch ab!“

Ich lief zu meinem Auto, und diesmal klopfte ich die Herren, die meinen Weg säumten alle dahingehend ab, ob sich wohl ein Serienmörder dahinter verbergen könnte? Denn heißt es nicht, es könne Jeder sein? Auch „der nette Nachbar von nebenan“.

Auf der Heimfahrt hörte ich bloß lachhafte Schlager im Radio, und kehrte noch im Rewe ein.

Eine Dame mit schlohweißer, hauptumspannender Kurzhaarfrisur, sah von hinten wie ein Äffchen aus, so daß ich mich kurz frug, ob dies wohl die gute Frau Wyss* sein könnte?

Es war jedoch eine andere, und da frug ich mich, ob die Frau Wyss überhaupt noch einkauft, da doch ihr Herz leider schwach geworden sei?

*Betagte und hinzu von den Jahren benagte Nachbarin auf dem Burgberg

Abends in meiner Wohnung:

Leider ging das Glas mit den schlesischen Gurkenscheiben nicht auf, auch wenn ich laut mit dem Fleischhammer draufhieb, so daß mich dieser brutale Lärm vor den Schröders bereits leicht zu genieren begann.

Schließlich klappte es aber doch, und gurkennaschend schaute ich mir bei Youtube den Prozess gegen den Kirchenpräsidenten Dennis Rader aus Wichita an. Er entging der Todesstrafe, die so gut zu ihm gepasst hätte, lediglich aus jenem Grunde, weil die wieder eingeführte Todesstrafe nur für Verbrechen gedacht ist, die nach 1994 verübt worden sind.

Dennoch sah er ernst und versunken aus. Er mit seinem Stahlwollebärtchen stak in einem noblen dunkelblauen Anzug, und atmete ganz den reuigen Sünder im Kirchenpräsidentenschick, während ein wabbeliger Gerichtsbeamter in leierndem Tonfall juristisches Sing-Sang von sich gab – vollkommen wertungsfrei gesprochen.

Dienstag, 4. Februar