Das elementare Schulwesen im Montafon 1774–1869 - Reinhard Müller - E-Book

Das elementare Schulwesen im Montafon 1774–1869 E-Book

Reinhard Müller

0,0
27,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Jahr 1774 steht für die bildungspolitische Zeitenwende mit den ausgesprochenen Zielen 'Schulbildung für Alle' und 'Überwindung des Analphabetentums'. Das erste staatliche Schulgesetz setzte im elementaren Bildungsbereich eine bemerkenswerte Entwicklung in Gang. Im Zuge dessen kam es in der gesamten Monarchie zu zahllosen Gründungen von Trivialschulen (später als Volksschulen bezeichnet).Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts lassen sich allein im Montafon annähernd 30 Schulstandorte nachweisen. Im Dorf waren es die Pfarrschulen, in den abgelegenen Weilern die Filialschulen.Trotz anfänglicher Widerstände, anhaltender Unzulänglichkeiten, ökonomischer Schwierigkeiten und mit amtlicher Duldung mancher Provisorien gelang es den Schulverantwortlichen gemeinsam mit bildungsnahen Personen, die sich häufig genug auch als Gönner in Schulstiftungen einbrachten, während der Jahre 1774 bis 1869 ein stabiles Schulnetz aufzubauen, umfangreiche Baumaßnahmen zu verwirklichen, die Schulbesuchsquote zu steigern, die Lehrerqualifikation zu verbessern und die Alphabetisierung großer Teile der Bevölkerung voranzutreiben.1869 ging die ereignisreiche, vielfach konfliktbeladene Aufbau- und Konsolidierungsphase zu Ende. Darauf aufbauend brachte nachfolgend das zweite große Schulgesetz einen enormen Entwicklungsschub Richtung neuzeitlicher Volksschule.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 367

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

 

Umschlagseite: Abgangszeugnis für Johann Joseph Tschofen von 1779

Ich Ends Benater, der

Zeit Schulmeister an S:Bartholomesberg

bescheine hiemit durch diesen gegenwärtigen Brief, daß der viel Ehr, und

Tugendreiche Jüngling Johann Josef Tschofen Johann Georgen seel:Sohn zu mir in die Schul gegangen, und sich aldorten nicht nur im Rechnen, Schreiben, und Lesen, sondern auch in Erlehrnung, und Aufsagung einiger Evangelien, und aller fünf Hauptstücke des Chatholischen Christenthums so wohl verhalten, daß Er meine Zufriedenheit, und zugleich ein wohl verdientes Præmium aus Freygebigkeit des Sr Hochwürden Titl. Herrn Pfarrers Leonar do Andrea Fuetscher auch wirklichen erworben hat. Derohalben ich dann auch diesen obbelobten Jüngling mit diesem Authentischen Zeugniß beehren, und Ihm der Liebe, Hochachtung, und ganz besonderm Wohlwollen Respective aller derjenigen, so dieses Testimonium Lesen, oder Lesen hören, auf das beste zu empfehlen, und anzurühmen. Gegeben von mir Antoniusden 12ten Merzen Anno 1779            Tschofen Frühmesser, und Schulmeister

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Einführung

1.1 Einleitende Vorbemerkungen

1.1.1 Über die bildungsgeschichtlich bemerkenswerte Epoche von 1774 bis 1869

1.1.2 Von der Pfarrschule zur staatlichen Volksschule

1.1.3 Aufbau des staatlichen Schulwesens im Montafon

1.1.4 Schule zwischen formalem Anspruch und Schulwirklichkeit

1.2 Entwicklung des elementaren Schulwesens im Überblick

1.2.1 Thematische Schwerpunktsetzung und ihre Darstellung

1.2.2 Zeitschiene zum Schulentwicklungsverlauf

2 Das Schulwesen vor 1774

2.1 Das niedere Schulwesen im ländlichen Raum in der Verantwortlichkeit der Kirche

2.1.1 Pfarrschulen bei der Kirche und Nebenschulen in abgelegenen Weilern

2.1.2 Schulbesuchsbestätigungen für Schulabgänger

2.1.3 Wachsende Zahl Schreibkundiger

2.2 Über den Schulzustand in den 1770er Jahren

2.3 Suche nach gesamtstaatlichen Regelungen

3 Aufbruch und bildungspolitische Wende

3.1 Auf dem Weg zur einheitlichen, staatlichen Elementarschule

3.1.1 Verwaltungsreform und Staatswerdungsprozess als Voraussetzungen einer gelingenden Bildungsreform

3.1.2 Verbreiteter Analphabetismus als Mitverursacher schwer- wiegender militärischer und wirtschaftlicher Probleme

3.1.3 Bildungspolitische Neuorientierung im Fokus der Politik

3.1.4 Reform des elementaren (= niederen) Schulwesens im Dienst des absolutistischen Staates

3.2 Vereinheitlichung und Neugestaltung des elementaren Schulwesens

3.2.1 „Allgemeine Schulordnung“, das erste gesamtstaatliche Schulgesetz

3.2.2 Das Schulreformgesetz als Wegbereiter der zukünftigen Volksschule und Instrument zur Hebung der Alphabetisierungsquote

3.2.3 Unumkehrbarer Reformkurs, ungeachtet aller Widrigkeiten und Versäumnisse

4 Der lange Weg zur Institutionalisierung des elementaren Schulwesens

4.1 Aufbau des elementaren Schulwesens zwischen Widerstand und Zustimmung

4.1.1 Umsetzung der Schulgesetze

4.1.2 Vielzahl ungelöster Problemfelder

4.2 Beschleunigter und tiefgreifender Ausbau des elementaren Schulwesens

4.2.1 Joseph II., der unermüdliche Reformkaiser

4.2.2 Ankurbelung der Schulreform durch Joseph II.

4.3 Das elementare Schulwesen in der nachjosephinischen Zeit zwischen Rückschritt und Stillstand

4.3.1 Nachfolge und Beruhigung

4.3.2 Reformunwilligkeit und schulpolitischer Stillstand

4.3.3 Anschluss- und Bedeutungsverlust der Volksschule

4.4 Aufbruch und Wandel des elementaren Schulwesens nach dem Revolutionsjahr 1848

4.4.1 Revolutionärer Aufbruch, Entwicklungsschub und Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses

4.4.2 Die Schule zwischen klerikal-konservativem und liberalem Verständnis

5 Das Trivialschulwesen im Montafon – Von den Anfängen bis zur Jahrhundertwende

5.1 Aufbau des Trivialschulwesens

5.1.1 Öffentliche Trivialschulen an Stelle kirchlicher Pfarrschulen

5.1.2 Ausbau des Schulnetzes durch weitere Schulgründungen

5.1.3 Aufgabenfelder der Trivialschullehrer

5.1.4 Einheitliche Schulbücher für das Lesen- und Schreibenlernen

5.1.5 Schülerstatistik – Vergleich 1785 und 1804

5.1.6 Kreisamtliche Schuloberaufsicht

5.2 Offener Widerstand gegen die „josephinische Neuschule“

5.3 Amtliche Befragungen und Berichte zum aktuellen Stand des Trivialschulwesens

5.3.1 Erste und umfassende Befragung 1785

5.3.2 Befragung 1787

5.3.3 Visitationsbericht des Kreisschulkommissärs 1790

5.3.4 Befragung 1803

5.4 Das Trivialschulwesen um die Jahrhundertwende – eine Bestandsaufnahme

6 Das Trivialschulwesen im Montafon nach der Jahrhundertwende bis 1869

6.1 Schulstandorte und Schulräumlichkeiten

6.1.1 Veränderungen im Schulnetz

6.1.2 Von den Schulräumlichkeiten

6.1.3 Besitz- und Nutzungsverhältnisse

6.2 Winter-, Sommer- und Wiederholungsschule

6.2.1 Flächendeckende Winterschule und vereinzeltes Sommerschulangebot

6.2.2 Wiederholungsschule für schulentlassene Jugendliche

6.2.3 Schüler- und Bevölkerungsstatistik: Entwicklungen und Vergleiche

6.3 Vom Schul- und Unterrichtsalltag

6.3.1 Einteilung der Schüler in altersunabhängige Leistungsgruppen

6.3.2 Zweiklassige Trivialschulen in den größeren Orten

6.3.3 Unregelmäßiger Schulbesuch

6.3.4 Auf Fertigkeitserwerb ausgerichteter Unterricht

6.3.5 Schulbücher

6.3.6 Armenbücher – unentgeltliche Abgabe an bedürftige Kinder

6.4 Lehrerstand in einem herausfordernden Umfeld

6.4.1 Dürftiges gesellschaftliches Ansehen der Lehrer

6.4.2 Schwierige wirtschaftliche Lage – der „Nebenerwerbslehrer“

6.4.3 Anstellung und dienstrechtliche Stellung

6.4.4 Gehilfe – schlecht gestellter Unterlehrer

6.4.5 Anstöße für die Berufswahl

6.4.6 Bürokratisierung der Schule – der Lehrer als Verwalter

6.4.7 Freiwilliges Ausscheiden aus dem Schuldienst

6.4.8 Lehrermangel – ein ungelöstes Problem

6.5 Schulaufsicht als Beratungs-, Kontroll- und Berichtslegungsorgan

6.5.1 Schuldistriktsinspektoren und ihre Aufgaben

6.5.2 Schuldistriktsinspektoren Montafons im Überblick

6.5.3 Organisation der Schulvisitationen und Berichtlegung

6.5.4 Abgeltung der Visitationstätigkeit

6.5.5 Wegzeiten bei Visitationen

6.5.6 Auswertung der Visitationsberichte von 1850 und 1868

6.5.7 Visitationsberichte – bedeutsame zeitgeschichtliche Dokumente

6.6 Der lokale Schulfonds als Stütze des örtlichen Schulwesens

6.6.1 Lokale Schulstiftungen

6.6.2 Wirtschaftliche Nutzung des Schulfondsvermögens

6.6.3 Lokale Schulfonds

6.7 Ausblick – das „Reichsvolksschulgesetz 1869“

7 Schulbaugeschehen im Montafon zwischen 1814 und 1869

7.1 Schulbauphase

7.1.1 Neubau, Umbau und Sanierung

7.1.2 Gesetzliche Baurichtlinien

7.1.3 Von der Idee bis zur Fertigstellung

7.1.4 Schulbautätigkeiten im Überblick

7.2 Neubau von Schulgebäuden

7.2.1 Filialschule Bitschweil

7.2.2 Filialschule Mauren

7.2.3 Filialschulen Kristberg und Buchen

7.2.4 Filialschule Lorüns

7.2.5 Dorfschule Stallehr

7.2.6 Filialschule Ziegerberg

7.2.7 Filialschulen Partenen, Galgenul, Gamplaschg und Gamprätz

7.3 Umbau und Sanierung bestehender Objekte

7.3.1 Dorfschule Schruns

7.3.2 Filialschule Innerberg

7.3.3 Dorfschule Vandans

7.3.4 Dorfschule Silbertal

7.3.5 Dorfschule Bartholomäberg und Filialschule Jetzmund

7.3.6 Filialschule Gortipohl

7.4 Filialschule Außertal, Gemeinde Silbertal – geplant, genehmigt, aber nicht gebaut

7.4.1 Genehmigung eines Neubaus im Außerthal, Gemeinde Silbertal

7.4.2 Wachsender Widerstand gegen den Schulhausbau

7.4.3 Rücknahme der Baubewilligung

7.4.4 Fußläufige Entfernung vom Außerthal zur Dorfschule bei der Kirche

8 Elementares Schulwesen zwischen Aufbruch und Stillstand – ein Rückblick

8.1 Bildungspolitische Zeitenwende

8.1.1 Beginn des staatlichen Trivialschulwesens

8.1.2 Durchsetzung des Schulgesetzes

8.2 Unterschiedliche Weiterentwicklungslinien

8.2.1 Schwinden des staatlichen Reformwillens

8.2.2 Fortschritte auf kommunaler Ebene

8.3 Ungelöste Probleme

 

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungen

Autor

Vorwort

Die Montafoner Bildungs- und Schulgeschichte wurde bislang kaum erforscht und nur in Teilen aufgearbeitet und öffentlich zugänglich gemacht. Anknüpfend an seine Mitarbeit am Band zur Volksschule Galgenul und seinen umfassenden Aufsatz über die Geschichte der österreichischen Volksschule unter besonderer Berücksichtigung der beiden Volksschulen Galgenul und St. Gallenkirch unternahm Reinhard Müller in den vergangenen Jahren umfassende Archiv- und Literaturrecherchen zum Montafoner Schulwesen im 18. und 19. Jahrhundert.

Auf der Grundlage dieser Forschungen verfasste er den vorliegenden Band der Montafoner Schriftenreihe zum regionalen Schulwesen in den rund 100 Jahren nach der Einführung eines ersten Schulgesetzes 1774. Er geht dabei auf die unterschiedlichsten Facetten des Themas ein, beleuchtet die Schwierigkeiten und Widerstände, mit denen die Schulen im 18. Jahrhundert zu kämpfen hatten, zeichnet die Entwicklung des Unterrichts und der verwendeten Materialien nach, erläutert die Situation der Lehrkräfte sowie der Schülerinnen und Schüler und widmet auch den Schulbauten, die in vielen Orten und Ortsteilen umgesetzt wurden, ausreichend Raum.

Seitens der Montafoner Museen danke ich Reinhard Müller recht herzlich für sein großes Engagement und die äußerst gelungene Aufarbeitung dieses wesentlichen Kapitels der Montafoner Geschichte. Die Umsetzung des Buches mit zahlreichen Abbildungen, Statistiken und Zitaten aus den Originalquellen ermöglicht einen abwechslungsreichen und unmittelbaren Zugang zum Thema. Auch dem Universitätsverlag Wagner sei für die gute Zusammenarbeit gedankt. Schließlich möchte ich auch allen Förderern und Sponsoren, welche die Veröffentlichung ermöglichten, für ihre Unterstützung danken. Viel Freude bei der Lektüre!

Michael Kasper

1 Einführung

Noch im 18. Jahrhundert waren die Menschen vornehmlich in Mitteleuropa mit einer Anzahl schwerwiegender Probleme konfrontiert, deren Ursachen bis in die Zeit des 30-jährigen Krieges und der Pestepidemie zurückreichten. Trotz allem konnte sich im Bildungswesen Bemerkenswertes entwickeln. Auf bildungspolitischer Ebene zeichnete sich im Sinne einer Neuorientierung ein umwälzender Wandel ab. Im Zuge dieser Entwicklung setzte sich unumkehrbar die Vorstellung durch, dass der Staat eine besondere Verantwortung trägt, auch den niederen Volksschichten den Zugang zu Wissen und Bildung zu erschließen, mit einer verbindlichen staatlichen Rechtssetzung abzusichern, ein flächendeckendes Trivialschulwesen aufzubauen und allen Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen. Dadurch verringerte sich der bisherige kirchliche Einfluss entscheidend.

Der Umsetzungsprozess gestaltete sich speziell wegen ungelöster Finanzierungsprobleme als besonders schwierig und zwischen dem formalen Anspruch und der Schulwirklichkeit klaffte dann doch eine spürbare Lücke. Es sollten noch mehrere Jahrzehnte vergehen und den Einsatz tatkräftiger und vorausschauender Lehrer und fortschrittlicher Geistlicher erfordern, bevor Schulbildung zu einem Allgemeingut für die gesamte Bevölkerung werden konnte.

1.1 Einleitende Vorbemerkungen

•    Über die bildungsgeschichtlich bemerkenswerte Epoche von 1774 bis 1869

•    Von der Pfarrschule zur staatlichen Volksschule

•    Aufbau des staatlichen Schulwesens im Montafon

•    Schule zwischen formalem Anspruch und Schulwirklichkeit

1.1.1 Über die bildungsgeschichtlich bemerkenswerte Epoche von 1774 bis 1869

Die im Titel benannte zeitliche Eingrenzung hebt mit 1774 und 1869 zwei äußerst prägnante Momente österreichischer Schulgeschichte hervor. Maria Theresia erließ am 6. Dezember 1774 mit der „Allgemeinen Schulordnung“ das erste gesamtstaatliche Schulgesetz, ein Meilenstein in der Schulgeschichte Österreichs, und 1869 folgte das nächste große Schulgesetz, das weit umfassendere „Reichsvolksschulgesetz“. Diese Zeitpunkte kennzeichnen jeweils zweierlei. Einmal stehen sie für den vorläufigen Abschluss eines vorangegangenen, langwierigen, nicht immer linear verlaufenen Entwicklungsprozesses, zum anderen für den Beginn einer jeweils neuen bildungspolitischen Phase.

Mitte des 18. Jahrhunderts setzten sich die staatlichen Entscheidungsträger vermehrt mit den Anliegen der Aufklärung – Kraft der eigenen Vernunft und Freiheit des Denkens – auseinander. Gleichzeitig erkannten sie ihre besondere Verpflichtung zu sozialer Fürsorge für die Untertanen und die Wirkung einer staatlich geregelten Elementarbildung zur Absicherung bestehender Machtverhältnisse. Diese Strömungen lösten bei ihnen im Zusammenhang mit dem Bildungswesen ein grundlegendes Umdenken aus, besonders hinsichtlich einer Bildung, die das gesamte Volk, also auch die niederen Schichten, erfassen sollte.1 Nur auf diesem Wege erschienen aktuelle ökonomische und militärische Herausforderungen lösbar. Besonders der immer noch weit verbreitete Analphabetismus in den ländlichen, agrarisch geprägten Gebieten führte zu erheblicher Kritik an der Wirksamkeit der bisherigen, von der Kirche geführten und ausgerichteten Schule2 und zwang zu einer zeitnahen, staatlichen Regelung unter Einbeziehung des niederen Schulwesens. Diese folgte dann auch 1774. Maria Theresia unterzeichnete das erste gesamtstaatliche Schulgesetz mit den Grundsätzen Einheitlichkeit, Allgemeinheit, Nützlichkeit und dem Ziel, gehorsame Untertanen standesgemäß auszubilden. Es umfasste die Unterrichtsverpflichtung vom sechsten bis zum zwölften Lebensjahr, einheitliche, sechswöchige Lehrerausbildung, die Einrichtung einer Trivialschule zumindest in jeder Pfarre oder Kuratie, die Vorgabe der einzig bestimmenden Lehrart, die mehrstufige Schulaufsicht und weitere schulrechtliche Bestimmungen. Zusammen bildeten die einzelnen Abschnitte den legistischen Rahmen für den Aufbau des elementaren Schulwesens.3 Die Nachfolger von Maria Theresia, besonders der energisch vorgehende Joseph II., sahen sich in weiterer Folge gezwungen, durch eine Fülle von ergänzenden Nachtragserlässen den Prozess der Institutionalisierung weiterzuführen und entschieden voranzutreiben. Trotz all dieser Bemühungen kam die Umsetzung der Schulreform nur langsam in Schwung. Erst allmählich wuchs die Schule im allgemeinen Bewusstsein der Bevölkerung zur Selbstverständlichkeit an und bis zur Erreichung der Entwicklungsziele des ersten staatlichen Schulgesetzes, vornehmlich die vollständige Alphabetisierung der Bevölkerung, vergingen noch weit mehr als 100 Jahre.

1.1.2 Von der Pfarrschule zur staatlichen Volksschule

Schon geraume Zeit vor den theresianischen Trivialschulen existierten in den Städten die „Deutschen Schulen“ und auf dem Land die von der Kirche eingerichteten und betreuten „Pfarrschulen“. Da die Machthaber ihre Hauptaufgabe mehr in der Erhaltung ihres Einflussbereiches und der Abwehr der Bedrängung von außen sahen, nahm sich die Kirche, dem konzilsmäßigen Auftrag folgend,4 der Bildungsarbeit in den Städten und auf dem Lande bis in die entlegenen Talschaften an. Die Pfarrseelsorger sorgten für den Schulbetrieb, der sich allerdings nicht auf ein staatliches Schulgesetz stützen konnte, wodurch wesentliche erfolgsbedingende Wirkungsfaktoren wie die Vorgabe von Zielen, Inhalten, Methoden und Schulzeitdauer, die Bereitstellung brauchbaren Schulraumes, der Einsatz ausgebildeter Lehrer oder verbindlicher Schulbesuch unberücksichtigt blieben. Der Unterricht, vom Pfarrer, Mesner oder einer mehr oder weniger schreibkundigen Person abgehalten, beschränkte sich vorzugsweise auf die religiöse Unterweisung, das Lesen, das Schreiben und bestenfalls das grundlegende Rechnen. Wie Einschätzungen aufzeigten, dominierte im realen Schulalltag infolgedessen eine wenig erfolgsversprechende Beliebigkeit aller Merkmale schulischen Wirkens, welche eine Überwindung des herrschenden Analphabetismus in breiten, besonders den unteren Bevölkerungsschichten nicht erwarten ließ.5 Mangels eigener Schulhäuser fand der Unterricht im gemeindeeigenen Mesnerhaus, gelegentlich im Pfarrhaus oder in der Wohnstube des mit der Aufgabe betrauten Bauern oder Handwerkers statt.

Der kirchendominierten Phase schloss sich 1774 die staatlich-öffentliche mit dem Ziel der Institutionalisierung der Bildung auf der Basis eines allgemeinen, einheitlichen Schulgesetzes für das elementare Schulwesen an, deren Durchsetzung sich als langwierig herausstellte, geprägt von Rückschlägen, Unstetigkeiten und beträchtlichen Anstrengungen. Die Folgen dieser Veränderung betrafen unmittelbar die Gemeinden, die Eltern, die jetzt unterrichtspflichtigen Kinder und die Kirche, die auf einmal deutlich an Einfluss verlor. Besonders den finanzklammen Gemeinden entstanden als nunmehrige Schulerhalter außerordentliche Kosten, ebenso den Eltern, denen der Schulbesuch zusätzliche Ausgaben für die Anschaffung der unumgänglich notwendigen Schulmaterialien und darüber hinaus den zeitweisen Verlust an Arbeitskräften in Haus und Hof bescherte.

Zur Durchsetzung der „gewollten Schule“ trugen kirchliche und weltliche Schulaufseher vor Ort bei, für den Bereich des Landgerichts der Schul-Distrikts-Schulaufseher und für den Kreis zeichnete der Kreisschulkommissär verantwortlich. Sie achteten auf die Einhaltung und Befolgung der amtlichen Vorschriften und gaben ihre Wahrnehmungen in Visitationsberichten an die nächsthöhere Instanz auf Kreis- und Provinzebene weiter, bis sie schlussendlich zusammengefasst in der „hohen Studienhofkommission“ einlangten.

Die 1818 in Vorarlberg in Kraft getretene „Politische Schulverfassung“ von 1806 brachte keine wesentlichen Fortschritte oder bemerkenswerte schulpolitische Neuerungen. Im Wesentlichen handelte es sich um eine Zusammenführung überwiegend aus der Regierungszeit Josephs II. stammender Verordnungen mit erforderlichenfalls klarstellender Ausformulierung. Folglich blieben die mit einem bescheidenen Bildungsauftrag ausgestatteten Volksschulen weiterhin hinter den Anforderungen und Bedürfnissen der Zeit. Im Gegensatz dazu kam es in anderen Ländern wie Deutschland und der Schweiz zu einem wachsenden Aufschwung des Schulwesens. Ungeachtet des anhaltenden schulpolitischen Stillstandes hierzulande fanden sich vereinzelt vorausschauende Lehrer, deren Bemühen in der Verbesserung des Unterrichts lag und die eigenständig fortschrittliche Lehrmethoden und Lehrwerke entwickelten. Die nächsten Schritte zur „Abstellung vorhandener Übelstände“ an Volksschulen6 erfolgten alsdann im Laufe des Revolutionsjahres 1848, begünstigt durch die befreiende Aufbruchstimmung als Folge der Aufstände.7 Trotzdem reichte es nicht für den großen, überfälligen Durchbruch, die schwerwiegenden Mängel im elementaren Schulwesen bestanden fort: Beschränkung auf ein dürftiges Lehrangebot, die Unzahl kleinlicher administrativer Vorgaben mit ihren hemmenden Auswirkungen auf das Lehren und Lernen, die bescheidene Lehrerausbildung, das geringe soziale Ansehen der Lehrer, die mangelhafte Organisation der Schulaufsicht und die ständige Finanznot der Gemeinden. Unter diesen Umständen konnte die Volksschule nur in unzureichender Weise ihrer wesentlichen Aufgabe, der Verbesserung der Volksbildung, Genüge leisten.

Endlich, nach Jahren fehlenden, allenfalls zögerlichen Fortschritts verabschiedeten die Abgeordneten 1869 nach heftigen Debatten das liberale „Reichsvolksschulgesetz“, nachdem sie sich angesichts der allerorten feststellbaren Bedürfnislage dem daraus resultierenden unüberhörbaren Druck ausgesetzt sahen. Ein mächtiges und auf der Höhe der Zeit befindliches Schulgesetz und in seinen Grundzügen fast hundert Jahre – bis zum nächsten großen Schulgesetz 1962 – in Geltung, erlangte es mit der eingeleiteten Wende in der österreichischen Bildungshistorie einen herausragenden Platz. Von nun an dauerte die Schulzeit acht und die Lehrerausbildung vier Jahre. Der bisher mit Religion, Lesen, Schreiben und Rechnen bescheidene Fächerkanon erfuhr eine markante Erweiterung. Geometrische Formenlehre, Naturgeschichte, Naturlehre, Geographie, Geschichte, Zeichnen, Gesang, Turnen und Weibliche Handarbeiten bildeten auf der Basis eines verbindlichen Lehrplanes das deutlich gewachsene Bildungsangebot der Volksschule.

Aus heutiger Sicht rückblickend betrachtet setzte das „Reichsvolksschulgesetz“ zweifelsfrei eine Entwicklung in Gang, vergleichbar mit den damaligen Fortschritten im Schulwesen unter Maria Theresia und Joseph II.,8 die allesamt trotz ungünstiger Rahmenbedingungen zu einer deutlichen Anhebung des Bildungsniveaus der unteren und mittleren Bevölkerungsschichten führten.

1.1.3 Aufbau des staatlichen Schulwesens im Montafon

Schon Ende des 18. Jahrhunderts bestand die Bildungslandschaft im Montafon aus einem engmaschigen Trivialschulnetz mit offiziell 27 Schulstandorten.9 Der Unterricht fand vereinzelt in ausschließlich für Schulzwecke errichteten Gebäuden, mehrfach aber in gemeindeeigenen Mesnerhäusern oder notgedrungen in den angemieteten privaten Räumlichkeiten der Lehrer oder Bauernhäusern statt. Dann setzte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Tal trotz angespannter Gemeindefinanzen auf dem Schulbausektor eine rege Bautätigkeit ein, ein deutliches und nicht zu übersehendes Zeichen für den Wandel in der Einstellung der Bevölkerung gegenüber der Schule. Offenkundig wich die ursprünglich breite Ablehnung, die sich unverkennbar in der Differenz von schulpflichtigen und schulbesuchenden Kindern niederschlug, einer langsam wachsenden Akzeptanz. Die Schule schien allmählich in den Köpfen angekommen zu sein, obwohl bis zur allgemeinen Anerkennung noch ein weiter, steiniger Weg bevorstand.

Der verpflichtende Unterrichtsbesuch bescherte besonders den Kindern abseits der Tallagen lange, beschwerliche und teilweise gefährliche Schulwege. Diese Tatsache führte neben wirtschaftlichen Aspekten zu häufigem Fernbleiben. Ein immer wiederkehrendes Problem, das sich auch durch die Einrichtung von Filialoder Nebenschulen, Androhung und Verhängung von Strafen nicht gänzlich beheben ließ.

Die Bereitstellung von Schulraum für die niederen Schulen oblag im Montafon mangels Grundherrschaften10 allein den Gemeinden. Sie verhielten sich vorerst zurückhaltend, wohl in der Meinung, dass dieses Schulgesetz – wenn überhaupt – nur abgeschwächt wirksam werde. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sie zur Einrichtung von Schulstuben auf mehr oder weniger geeignete Räumlichkeiten der Gemeinde oder auf Privatangebote zurückgriffen. Erst die Zunahme der Anzahl schulbesuchender Kinder und die wegen der topographischen Gegebenheiten langen und bei widrigen Wetterverhältnissen oft gefährlichen Schulwege zwangen auch die traditionell finanzschwachen Gemeinden zu Schulbaumaßnahmen, um hinkünftig für Schulzwecke brauchbarere Räumlichkeiten zur Verfügung stellen zu können. Die Schulbautätigkeit widmete sich vornehmlich dem Neubau von Filialschulen, nicht zuletzt um bisher anfallende Mieten hintanzuhalten. Oft blieb es bei notwendigen Reparaturen, verschiedentlich zur Vergrößerung bestehender Objekte.

Die Bewältigung dieser enormen Herausforderungen gelang nur unter großen Anstrengungen der Bevölkerung. Ihre Verpflichtungen bestanden unmittelbar in der Übernahme von Hand- und Zugfrondiensten,11 um die überall anzutreffende äußerst angespannte Finanzsituation der Gemeinden unmittelbar zu entlasten, und mittelbar über Beitragszahlungen der angehobenen Umlageabgaben. Nur auf diese Weise schafften es die Gemeinden überhaupt, die Baukosten für die Errichtung der Schulgebäude gering zu halten und die Fremdfinanzierungslasten in absehbarer Zeit abzubauen. Gelegentlich führten diese ungünstigen Voraussetzungen zu einer mangelhaften Bauausführung, sodass bald unaufschiebbare, mit weiteren Kosten verbundene Reparaturen folgten.

1.1.4 Schule zwischen formalem Anspruch und Schulwirklichkeit

Eine historische Betrachtung der Institution „Schule“,12 die sich nur auf ihre formale Gestalt mit der Summe an Vorschriften, Schulordnungen und Rechtssetzungen beschränkt, beschäftigt sich mit einer Gegebenheit, welche die vor Ort anzutreffende Wirklichkeit nicht oder nur ansatzweise wiederzugeben im Stande ist. Diese Vorgangsweise blendet das Spannungsfeld zwischen dem gewollten und dem gelebten Schulalltag, also Soll- und Istzustand mit seinem komplexen Wirkungszusammenhang aus und vermag dadurch jenen Aspekt nicht annähernd darzustellen, der Schule für die Beteiligten und Betroffenen bedeutet, nämlich die Schulwirklichkeit. Sie ist mehr als die Zielvorgaben in Lehrplänen, rechtliche Bindungen durch Erlässe, Verordnungen und Dienstanweisungen, theoriebasierte oder aus Erfahrungen erwachsene und überlieferte Lehrarten und ist auch mehr als das formale und informelle Zusammenwirken von Lehrpersonen, Schulkindern und Eltern mit ihren positiven und negativen Beziehungen und Befindlichkeiten, verbunden mit den nicht immer erfüllbaren Erwartungen. Auch die Schulgebäude und Klassenzimmer gelten als Teil dieser Schulwirklichkeit. Sie entsprechen als realisierter Hochbau den Baunormen, dem Raumbedarf und der schulspezifischen Funktionalität13 und erfüllen gleichzeitig Aspekte des wohnlichen Anspruchs. Gesamthaft betrachtet verbindet die Schulwirklichkeit angewandtes Schulrecht, angewandte Pädagogik und angewandte Architektur in einem gesellschaftlichen Raum, in dem in erster Linie bedeutungsvolle und nachhaltige personale Begegnungen stattfinden.

Einen tieferen und umfassenderen Einblick in die Schulwirklichkeit der damaligen Zeit bieten neben den spärlichen Quellen über das interne Schulgeschehen vorzugsweise die von der obersten Hofbehörde in unregelmäßigen Zeitabständen angeordneten mehr oder weniger umfangreichen Erhebungen über den Zustand des Schulwesens vor Ort. Es handelte sich dabei um Fragebögen in tabellarischer Form, deren genaue und rasche Bearbeitung bei den Schulaufsichtsorganen lag. Der schriftliche Auftrag dazu erfolgte über zwingend zu beachtende Dienstanweisungen, vereinzelt versehen mit einem Hinweis für Auskünfte über den „dermaligen Zustand des hierländigen Schulwesens“14 und nachfolgend einer kurzen, erläuternden Beschreibung der einzelnen Rubriken. Der Anweisung lag ein handschriftlich angefertigtes oder gedrucktes tabellarisches Formblatt zur Bearbeitung bei. Nachfolgend die Kopfzeile eines Formblattes zur Erhebung der Besitzverhältnisse der Schulgebäude.15

Abb. 1: Erhebung 1817 – Kopfzeile

Offenkundig reichte in der Einleitung des hohen amtlichen Schreibens allein der Hinweis, „Seine kais. königl. Majestät haben durch ein allerhöchstes Handschreiben vom 31ten Julius d. J. zu befehlen geruhet“16, völlig, Dringlichkeit und Notwendigkeit für eine verpflichtend auszuführende Bearbeitung ausreichend und unmissverständlich auszudrücken.

Bisweilen zeigte die beauftragende Behörde Verständnis für den zu leistenden zeitlichen Arbeitsaufwand:

„Man verkennt keineswegs, daß diese Angelegenheit von Seite des k. k. prov. Landgerichts, der Distrikts- und Lokal-Schulinspektionen viele Mühe erfordert, man versieht sich jedoch von dem Diensteifer derselben, daß sie dieses wichtige Geschäft, welches die Grundlage aller künftigen Operationen ist, der allerhöchsten Willensmeinung gemäß, so genau und so schnell als möglich vollzogen werden.“17

Die teils umfangreichen, periodischen Befragungen nahmen neben den häufig wiederkehrenden gleichen Fragestellungen zusätzlich immer auch zeitbezogene Problemlagen auf, welche erkennbar den Anlass für diese amtlichen Verfügungen boten. Meist betrafen sie den Zustand des Schulwesens mit Schulnetz, Schülerzahlen18 und Gebäuden, die Finanzierung, die Inspektionen, das Lehrergehalt und die außerschulischen Beschäftigungen der Lehrer als Organisten und Mesner.

Im Gegensatz zu den heute üblichen strukturgleichen Abfragen und den sich dadurch ergebenden Möglichkeiten, Verläufe über Jahrzehnte hinweg zu verfolgen und über vergleichende Statistiken darzulegen, lassen sich bei den damals durchgeführten amtlichen Erhebungen nur wenige Umfragewerte über einen ausgedehnten Zeitraum längslinienhaft nachzeichnen und daraus Entwicklungen ableiten. Eingeschränkt besteht hier die Möglichkeit allein bezüglich der Schulstandorte19, Klassenanzahl, Schülerzahlen und Lehrergehalte. Dennoch tragen auch einmalige, nicht wiederkehrende Erhebungspunkte zum besseren Verständnis der seinerzeitigen Schulwirklichkeit bei. Allesamt liefern sie ein Spiegelbild der damals zeitaktuellen Problemlagen und machen zugleich die Abweichungen zwischen dem Grad der Umsetzung und den gesetzlichen Forderungen deutlich.

1.2 Entwicklung des elementaren Schulwesens im Überblick

•    Thematische Schwerpunktsetzung und ihre Darstellung

•    Zeitschiene zum Schulentwicklungsverlauf

1.2.1 Thematische Schwerpunktsetzung und ihre Darstellung

Die zeitlichen Verläufe und die bildungspolitischen Bedingungen des 18. und 19. Jahrhunderts bilden den Hintergrund, an dem sich nachfolgend die Themen „Pfarrschulen, bildungspolitische Wende, Institutionalisierung der Trivialschule, Aufbau und Wachsen des elementaren Schulwesens im Montafon und die rege Schulbautätigkeit im 19. Jahrhundert“ schwerpunktmäßig festmachen und über eigene Kapitel eine ausgedehnte Aufarbeitung erfahren.

Besonders breiten Raum nehmen dabei die Schulgeschichte des Montafons von 1774 bis 1869 und das dortige Schulbaugeschehen im 19. Jahrhundert ein. Auf der Grundlage aufschlussreicher Dokumente verschiedener Archive20 und der eher spärlich vorhandenen einschlägigen Literatur zur regionalen Schulgeschichte entfalten sich gleichermaßen Komplexität der Sachverhalte, Entwicklungsschübe und Stillstände unter Beachtung des jeweiligen gesetzlichen Rahmens. Dieser erwies sich als wirkungsmächtiger Faktor, der sich auf den Prozess gleichermaßen fördernd wie hemmend auswirkte. Immer geht es dabei auch um das Aufzeigen einer gesamtheitlichen Sicht der Schulwirklichkeit.

Das gezielte situations- und inhaltsbezogene Einfließenlassen von Bildern, Originaltextteilen mit der heute schwer verständlichen Ausdrucks- und ungewohnten Schreibweise betont das Ursprüngliche und macht den Wandel augenscheinlich. Wo es notwendig erschien, erfolgte parallel dazu eine Transkription. Zur deutlichen Kennzeichnung der Originaldaten (Zahlenangaben und Text) sind diese kursiv und gegebenenfalls zwischen Anführungszeichen geschrieben.

Erst in der Zusammenschau der einzelnen Entwicklungsschritte und der Einbettung in einen gesamthistorischen Hintergrund kommt die erstaunliche bildungspolitische Bedeutung jener Zeitepoche deutlich zum Ausdruck, ebenso ihr besonderes Verdienst für den bahnbrechenden Beginn und den zunehmenden Ausbau des Trivialschulwesens in den nachfolgenden Jahrzehnten mit dem utopisch anmutenden Ziel einer vollständigen Alphabetisierung der Bevölkerung.

Insgesamt bildet der gezielte Blick auf die Schulwirklichkeit bei der anschließenden Aufarbeitung der regionalen Schulereignisse das leitende und gleichermaßen durchgängige Motiv, auch um zu einem ausreichend klaren historischen Bild über das Schulwesen im Montafon zu gelangen. Dazu dienen insbesondere die amtlichen Erhebungen bzw. Visitationsberichte aus den Jahren 1785, 1790, 1803, 1815, 1822, 1835, 1842, 1850, 1868 und 1897. Sie stellen überaus wertvolle, für das damalige Schulwesen einmalige, bemerkenswerte und aufschlussreiche Zeitdokumente dar und finden deswegen in der Folge unsere besondere Beachtung.

1.2.2 Zeitschiene zum Schulentwicklungsverlauf

Vereinzelt lässt sich schon im 17. Jahrhundert ein von der Kirche organisierter und verwalteter schulischer Betrieb nachweisen. Diesen Pfarrschulen mangelte es an verbindlichen und einheitlichen Vorgaben und ihr Bildungserfolg blieb, gemessen an der Alphabetisierungsquote, bescheiden.

Die entscheidende bildungspolitische Wende brachte das erste staatliche Schulgesetz 1774. Es begann die Ära des staatlich-öffentlichen elementaren Schulwesens. Anfangs fehlte es an konsequenter Umsetzung. Strengere Kontrollmaßnahmen und beharrliches Vorgehen führten dann nach 30 Jahren Aufbauarbeit zu einem geregelten Schulbetrieb in einem ausgebauten Schulnetz und zunehmender Akzeptanz in der Bevölkerung. Danach folgte ein jahrzehntelanger Stillstand, hervorgerufen durch erlahmenden politischen Willen und fehlende Innovationsbereitschaft. Erst nach dem Revolutionsjahr 1848 begann eine von Aufbruch geprägte Phase der Weiterentwicklung. Darauf aufbauend schaffte 1869 das „Reichsvolksschulgesetz“ die legistische Grundlage einer in allen Belangen „neuen“ Volksschule.

Zahlenangaben in den Klammern verweisen auf das betreffende Kapitel.

 

_____________

1 Boyer 2012, S. 81.

2 Engelbrecht 1986, S. 12; Grimm 1987, S. 93.

3 Auch als „niederes Schulwesen“ bezeichnet.

4 Das Konzil zu Trient 1545 bis 1563 (mit zwei zeitlichen Unterbrüchen) schrieb den Ortsseelsorgern vor, Kindern in Sonntagsschulen religiöses Wissen und Kenntnisse in Schreiben und Lesen zu vermitteln.

5 Sander 1879, S. 19; Hölzl 1972, S. 30; Grimm 1987, S. 98.

6 Die Bezeichnung „Volksschule“ setzte sich durch und löste den Begriff „Trivialschule“ ab.

7 Boyer 2012, S. 221f.

8 Engelbrecht 1986, S. 115f.

9 Daneben existierte in abgelegenen Orten eine unbekannte Anzahl nicht erlaubter, von der Behörde aber tolerierter Notschulen. In offiziellen Dokumenten finden sich keine Hinweise zu diesen Standorten. Zum Vergleich der Stand 2021: 14 Volksschulen, davon zwei Exposituren (Latschau, Partenen).

10 Das Gesetz sah vor, dass die Gemeinden den Zug- und Handrobot, die Obrigkeiten die Baumaterialien und die Patrone die Auszahlung der Professionisten zu leisten hätten. Auf Grund regional unterschiedlicher Gegebenheiten stellte sich dieser Passus als nicht umsetzbar heraus.

11 Für die unteren Bevölkerungsschichten bestand die Verpflichtung der Abgabe von Geld und Naturalien sowie unentgeltlicher gemeinschaftlicher Arbeitsleistung (= Fronarbeit oder Robot).

12 Schule als ständige Einrichtung.

13 Boyer 2006, S. 9f.

14 VLA, LGM 50/3400 von 1822.

15 VLA, LGM 49/3333 von 1817.

16 Ebd.

17 Ebd.

18 Personenbezogene Bezeichnungen gelten genderunabhängig. Bei inhaltsbezogenen Spezifizierungen erfolgt eine entsprechende Differenzierung (z. B. Knaben und Mädchen).

19 In den Dokumenten finden sich bei den Ortsnamen häufig unterschiedliche Schreibweisen. Der Klarheit wegen wird vorzugsweise auf die heute gebräuchliche Form zurückgegriffen, nicht aber bei der Wiedergabe von Originaltexten.

20 Diözesanarchiv Feldkirch (ADF), Montafon Archiv – Zurkirchenarchiv (MA, ZKA), Tiroler Landesarchiv (TLA) und Vorarlberger Landesarchiv (VLA).

2 Das Schulwesen vor 1774

Schon vor der allgemeinen Schulreform 1774 bestand in Vorarlberg ein ausgedehntes Schulnetz, „Deutsche Schulen“ in den Städten und von der Kirche eingerichtete und betreute „Pfarrschulen“ auf dem Land. Die Herrschenden zeigten einstweilen geringes Interesse an einem gesamtstaatlichen, alle Gesellschaftsschichten umfassenden Schulsystem. So fehlten allgemeingültige, gesetzlich fundierte Standards und Richtlinien. Qualität und Nachhaltigkeit des Unterrichts, so er auch stattfand, hingen ausschließlich von den topographischen Bedingungen und dem bildungsfreundlich eingestellten Pfarrer ab. Jedenfalls verfügte Mitte des 18. Jahrhunderts nur etwa die Hälfte der männlichen Bevölkerung über erforderliche Lese- und Schreibfähigkeiten.

Begünstigt durch gesellschaftliche und politische Strömungen setzte sich allmählich die Erkenntnis durch, dass der Staat nicht nur die Verantwortung für das höhere, sondern auch das niedere Schulwesen übernehmen und mit notwendigen gesamtstaatlichen Regelungen das Bildungssystem auf eine zukunftssichere Basis stellen müsse.

2.1 Das niedere Schulwesen im ländlichen Raum in der Verantwortlichkeit der Kirche

•    Pfarrschulen bei der Kirche und Nebenschulen in abgelegenen Weilern: Aufbau eines Schulnetzes, Schulzeit, Bildungsauftrag der Kirche

•    Schulbesuchsbestätigungen für Schulabgänger: Zeugnis als Passierschein, Zeugnis von 1733, Zeugnis von 1741

•    Wachsende Zahl Schreibkundiger

2.1.1 Pfarrschulen bei der Kirche und Nebenschulen in abgelegenen Weilern

Aufbau eines Schulnetzes

In Vorarlberg lassen sich schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts von Bürgerschaften getragene „Deutsche Schulen“ nachweisen. Dagegen zeichneten sich im ländlichen, peripheren Raum hauptsächlich die Ortsseelsorger mit der Gründung des ersten Schulbetriebes aus. Oft ging in entlegenen Gebieten der Beginn zeitnah mit der Gründung der Pfarrei einher. Im unmittelbaren Kirchdorfbereich richteten sie die sogenannten „Pfarrschulen“ ein. Sie standen unter der Obhut der Kirche und dienten vornehmlich der Heranbildung von Ministranten und Chorsängern für die Gottesdienste.21 Deshalb erstreckte sich das Bildungsangebot hauptsächlich auf die religiöse Unterweisung, das Lesen, soweit es dem Auswendiglernen des Katechismus diente, den Kirchengesang und das „allernothdürftigste“ Schreiben,22 besorgt vom Pfarrer oder von ihm beauftragten Mesner.

Bescheidener ging es an den wohnortnahen Pfarr-Nebenschulen23 in den abgelegenen Weilern der Gemeinden zu. Dort unterrichteten mehr oder weniger schreibund lesekundige Handwerker oder Bauern ohne jegliche einschlägige Ausbildung:

„(…) Bei gelegentlichen Zusammenkünften in den Bauernstuben, hauptsächlich in den Wintermonaten, vermittelte derjenige, der sich, wenn auch nur notdürftig in den ‚Künsten‘ des Lesens und Schreibens auskannte, sein Wissen und Können an die Dorfgenossen.“24

Das Fehlen geeigneter Lehrer nötigte den Schulerhalter „mit jedem oft fremd dahergelaufenen ‚Lehrer‘ zufrieden zu sein, wenn er auch nur elend lesen und schreiben konnte.“25 Schwer vorstellbar, dass bei diesen Rahmenbedingungen schulisches Wirken ertragreich und nachhaltig ausfiel.

Schulzeit

Die jährliche Schulzeit konnte sich nur auf die Monate im Winter erstrecken,26 denn in der restlichen Zeit benötigten die Bauern ihre Kinder als Arbeitskräfte im Haus, bei der Feldarbeit oder auf den hofdienenden Maisäßen. In den meist entfernt gelegenen Nebenschulen schränkte die öfters auftretende und länger anhaltende witterungsbedingte Unbenützbarkeit der Schulwege die Dauer der Schulzeit weiter ein. Dementsprechend spärlich fiel dann auch das Verdienst aus. Im Winter 1726 hatte die Lehrerin in Fontanella-Mittelberg im Großen Walsertal neun Wochen und zwei Tage „schuoll gehabt“ und verdiente dabei 9 fl 20 xr, was einem Tagesverdienst von 10 Kreuzer entsprach, womit nicht einmal ein Pfund Speck um 12 Kreuzer zu kaufen war.27 Dieser geringe Lehrerlohn und die kurze Beschäftigungsdauer ließen das Schulhalten zur Nebenbeschäftigung verkommen und die Lehrer sahen sich notgedrungen gezwungen, zusätzlich einer existenzsichernden Hauptbeschäftigung nachzugehen.

Bildungsauftrag der Kirche

Indem sich die Zentralgewalt der Monarchie nur um die höhere Bildung kümmerte, erwarb sich die Kirche in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts mit der ungeteilten Hinwendung zum niederen Schulwesen bedeutende Verdienste für die Volksbildung, trotz mannigfaltiger Hindernisse und überall anzutreffender Unzulänglichkeiten. Auftretende Fehlentwicklungen sind weniger der Kirche als dem Staat anzulasten, denn „die ganze Kraft der damaligen Länder richtete sich auf deren äußere Festigung, während die inneren Aufgaben unwichtig erschienen.“28 Die Pfarrer sahen sich in dieser Zeit für die Unterrichtserteilung verantwortlich oder dazu, Bereitwillige mit Kenntnissen in Lesen und Schreiben so weit auszustatten, dass sie diese an die Kinder weitervermitteln konnten. Auf diese Weise erhielt Baptist Tschofen, von 1766 bis 1784 in Vandans tätig, „die Ausbildung zum Lehramte von dem Ortsseelsorger.“29

Für den Aufwand, insbesondere die Entlohnung der Lehrer und den Erhalt dieser Schulen, hatten Pfarre, Schülereltern und Erträge etwaiger gewidmeter Stiftungen spendenfreudiger Pfarrangehöriger aufzukommen. Die Schule belastete demnach die Allgemeinheit nicht als Kostenfaktor.30 Es galt, wer am Schulbesuch ein Interesse hatte, musste für dessen Kosten aufkommen, sonst ging die Schule „wieder ein“.31 Es bestand noch keine Notwendigkeit, eigene Schulhäuser zu errichten, denn der Raumbedarf hielt sich wegen des freiwilligen Schulbesuchs in Grenzen. Deshalb fand der Unterricht in den ausreichend großen Bauernstuben privater Wohnhäuser statt, manchmal im Pfarrhof oder im Mesnerhaus. Häufig genug blieb an Nebenschulen nur die Stube des Lehrers selbst. Für die Heizung des „Schulzimmers“ musste jedes Schulkind im Winter täglich ein Holzscheit beisteuern. Bei einer größeren Schüleranzahl eine lohnende Angelegenheit zu Gunsten der Lehrerfamilie.

2.1.2 Schulbesuchsbestätigungen für Schulabgänger

Zeugnis als Passierschein

Den unterwiesenen Schülern stellten die Schulmeister auf deren Verlangen einseitige Zeugnisse aus, ein Anrecht darauf bestand nicht. Umfang und Ausführung lag mangels verbindlicher Vorgaben in dem Ermessen des Ausstellenden, welcher jedenfalls den Schulbesuch und das Verhalten des Schülers bestätigte, gelegentlich den Lernerfolg im Schreiben und Lesen erwähnte. Dem Charakter nach handelte es sich um einen Passierschein. Diese „authentischen Attestate“ kamen vornehmlich jenen Montafonern zugute, welche außerhalb des Tales einem Zusatzerwerb nachgingen. Ein entsprechender und äußerst ausführlicher Passus im Zeugnis von „Hanns Jörg Tschoffen, Ruedolfen sohn“ vom 13. März 1735 lautete:

„Mann wohle den obgedachten (…) an allen orthen Pass und Repassieren zu lassen, es sy zu Wasser oder Lanndt durch die Stätten, Dörfferen, und Bessen, unnd Flüssen, Pass unnd ungehindert Passieren unnd Reisen lassen.“32

Die Ausstellung erfolgte ausnahmslos zum Schuljahresende im März. Gegen Bezahlung bemühten sich die Schulmeister um eine kalligrafische, mit Blüten- und Blättermotiven verzierte Ausschmückung und die unübersehbare Hervorhebung der Initiale „I“. Die Verwendung verschiedener Schriftarten und Farben steigerte den bemerkenswerten Gesamteindruck gegenüber den sonst schmucklosen, einfärbig beschriebenen Blättern. Vor allem verhalf die außergewöhnliche Schönschreibfähigkeit dem Verfasser zu höherem Ansehen.

Die Blätter ähnelten sich in Anordnung und Textierung und begannen alle mit der Formel „Ich Endsbenannter derzeit Schulmeister an S. Barthollomesberg“. Überschriften fehlten vollständig. Auffallend die unterschiedlichen Schreibweisen und die fehlerhaften Ausführungen. Im Gegensatz zu anderen Talschaften unterzeichnete im Montafon einzig der Schulmeister die Zeugnisse und versah sie gelegentlich mit seinem Petschaft.33

Zeugnis von 1733

Der „Endtßbnandter (…) Johanneß bitschnauw Jacobs Sohn aus: bartmeßberg Schulmeister in meister messner hauß alda“ bezeugte dem „Ehr und Tugendreichen Jüngling Rudolff Tschaffen“ den Schulbesuch samt Lernerfolg im Schreiben und Lesen und bat, man wolle ihn „sicher und unnhindert Paß und Reppaßieren Laßen.“34 Die Eröffnungszeile schrieb er in Fraktur, die nächsten zwei Zeilen in Kanzleischrift und nachfolgend in deutscher Kurrentschrift, abwechselnd in roter und brauner Tinte.

Abb. 2: Schulzeugnis für Rudolff Tschofen („Tschaffen“), 14. März 173335

Zeugnis von 1741

Ohne ausdrücklichen Hinweis auf einen Lernerfolg bestätigte „Batholome Gannall“, dass „zu mir in die shul gangen der Vill ehr und Tugentreiche Junglein Martin Bitschnauw (…) man wolle in Pass und Reppassieren lasen“ und schloss mit „Nach der gnadenreichen geburt Jesu Christi ein Tusend siben Hundert und einn Viertzisten Jahrs den 7 ten Mertzen“.36

Abb. 3: Schulzeugnis für Martin Bitschnauw, 7. März 1741

2.1.3 Wachsende Zahl Schreibkundiger

Allein die Fähigkeit, die bislang übliche „Dreikreuzel-Unterschrift“37 durch eigenhändige Unterschriften zu ersetzen, verweist auf eine wenngleich eingeschränkte Schriftlichkeit. Dies deutete auf ein wachsendes Interesse – zumindest eines Teiles – der Bevölkerung, mit ihrer einfachen und häufig unzulänglichen Pfarrschulbildung im Rahmen ihrer verschiedenen genossenschaftlichen Tätigkeiten Schriftstücke „wie etwa Abrechnungen, Arbeitsaufzeichnungen oder Berichte über Katastrophenereignisse“38 zu verfassen. Außerdem beförderten die steigenden Ansprüche des Verwaltungs- und Wirtschaftslebens auf ihre Weise die Ausbreitung der Schriftlichkeit, die Einsicht in deren Wichtigkeit und gemeinhin die Bedeutung schulischer Bildung.

Von dieser Entwicklung profitierte nur ein geringerer Teil der Bevölkerung, denn der Alphabetisierungsgrad lag doch noch unter 50 %.

2.2 Über den Schulzustand in den 1770er Jahren

Berichte aus diesem Zeitraum sind selten. Die wenigen aber beschreiben eindrucksvoll den Schulbetrieb, wie das Beispiel aus Vandans dokumentiert:

„Johann Baptist Tschofen, leedigen Standts, ein Segesen Händler.

Er beziehet jährlich ab 190 f Capital 9 f 30 x und sodann Jährlich 5 f Zulaag, welche aus der Spend herdan genohmen werden. Hat khein eigen Schuelhaus undt haltet die Schuel bald da baldt dorten, jedoch khönte das Mesmerhaus dazu bestimmt, undt durch einen anbau 2 Schuel Stuben erbaut werden.

Die Schuel dauert Gemeiniglich Von Weynachten bis anfangs od halben Mertzen. Frühe Von 8 bis 9 undt Nachmittag Von 1 bis 4 iedes Kindt bringt Wochentag ein Scheitt Holz sonst nichts.

Er lehret sie Schreiben und lesen, undt legt denenselben alte Schriften, undt bald dies, bald Jenes Buch vor (…) als der Weiteste eine halbe Stund [Schulweg].“39

Auf das Unterrichtsgeschehen verweisen zwei Textbeispiele von 1720 und 1770, die auf Schilderungen von Zeitgenossen beruhen. Sie dürften der Schulwirklichkeit sehr nahe kommen und sind geeignet, ein übertragbares Bild vom Schulleben der alten Zeit abzugeben.40

„Bei diesem schlechten Unterrichte, weil die Lehrer manchesmal Lumpen waren, dann weil sie bloße Brodlehrer waren, sich nicht getrauten, den Kindern etwas zu wehren, um ja die Eltern nicht zu beleidigen, so kam es, daß die Kinder durch die Schule noch boshafter und sittenloser wurden, weil sie von andern viel böses hörten und sahen, dabei aber nichts oder nur wenig gutes lernten. (…) daß solche wie Thiere als rohe Naturmenschen aufwuchsen, die keine Leidenschaft zu bekämpfen wußten.“41

„Jeder treibt daher das Schulgeschäft nach seiner Einsicht, nach seinem Dünkel, so gut er kann, und will, ohne Grundsätze, ohne Ordnung (…) als wären solches Geburten aus Schulen von verschiedenen Ländern. Die Lehrbücher, deren man sich zum Unterweisen bedienet, sind elend, schlecht deutsch voller Fehler wider die Rechtschreibung (…) Treiben die Schullehrer verschiedene zur Schule nicht gehörige Geschäfte. Dabey bekommen die Kinder Gelegenheit in der Schule müßig zu gehen Possen zu treiben, und einander zu verderben. Ist die Lehrart so beschaffen, daß die Jugend in der wenigen Zeit, welche auf ihren Unterricht verwendet wird, unmöglich etwas erlernen kann. Es ist bis auf diesen Tag die einzige allen Schulen gemeine Methode, die Kinder eines nach dem andern zu unterrichten, oder um mich schulmäßig auszudrücken, sie aufsagen zu lassen. Wärend dem, als der Lehrer ein Kind vor hat, plaudern, lachen und scherzen die anderen.“42

Unter diesen Umständen konnte die Schulfreundlichkeit der Landbevölkerung nicht gesteigert werden, ebenso wenig die Bereitschaft der Eltern, ihre Kinder regelmäßig in die Schule zu schicken, um ihnen zumindest eine einfache schulische Bildung zukommen zu lassen. Manche ließen ihre Kinder lieber als Arbeitskraft zu Hause. Dies erklärt auch die Tatsache, dass noch tief ins 18. Jahrhundert das Analphabetentum vorherrschte.

Noch fehlten zentral erlassene und für alle Schulträger verbindliche gesetzliche Regelungen zum Schulbesuch, zur Schulzeit, Schulbesuchsdauer, Lehrerqualifikation oder zu den Lehrinhalten. Die Pfarrschule selbst und deren Betrieb lag vollständig im Verantwortungsbereich des Pfarrers. Das Fehlen jeglicher verpflichtenden und regulierenden Schulordnungen (= Schulgesetze) schloss Einheitlichkeit aus und die Abwesenheit vorgegebener Maßstäbe gab dem Zufälligen Raum. Folgedessen kam es in allen Bereichen schulischer Angebote und Ansprüche unweigerlich zu mehr oder weniger großen Abweichungen und Entwicklungsverläufen zwischen den einzelnen Schulstandorten, an deren Ende der im beginnenden 18. Jahrhundert einsetzende schleichende Verfall der Schulkultur stand.

Unter diesen Voraussetzungen gab es kein flächendeckendes, kontinuierliches und lehrgangsmäßig ausgerichtetes schulisches Arbeiten mit günstigen Auswirkungen auf den Bildungsstand der Gesamtbevölkerung bei gleichzeitiger Abnahme der Analphabetenrate. Somit bestand ein großer Teil der Bevölkerung weiterhin „aus ‚illiterati‘, was nicht ungebildet bedeutete, sondern nicht durch Bücher gebildet.“43

Trotz alledem verhalfen die Pfarrschulen vielen bereits zur elementaren Schulbildung, denn der Erfolg, den Schülern wenigstens bescheidene Grundfertigkeiten im Lesen, Schreiben und allenfalls Rechnen beizubringen, hing auch in dieser allgegenwärtig einschränkenden Bedingtheit einmal mehr von der Bereitschaft, vom Eifer und Können des Lehrers, der Aufsicht durch den ortsansässigen Pfarrer, so er das Hauptaugenmerk nicht nur auf die religiöse Unterweisung richtete, sondern auch das Lesen und Schreiben förderte, und der Einstellung der Eltern ab, denn hauptsächlich bildungsfreundlich eingestellte Eltern schickten ihre Kinder, vornehmlich die Knaben, in die Schulen, in denen sich Lehrer in erster Linie als Zucht- und Drillmeister verstanden.

Bei allem Fortschritt darf nicht übersehen werden, dass „Erziehung und Unterricht auf einer tiefen Stufe [standen] und ihre Ergebnisse waren sehr geringe.“44

2.3 Suche nach gesamtstaatlichen Regelungen

Unverkennbar trat in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Verfall der Pfarr- und Stadtschulen immer stärker in Erscheinung und machte ein Eingreifen der zuständigen hohen Stellen zur dringenden Notwendigkeit.45 Deutlich brachte dies der Chronist Kaplan Herburger zum Ausdruck:

„Die Unwissenheit und der Mangel des so nothwendigen Schulunterrichtes war freilich zu jeder Zeit die Mutter der Roheit, Dummheit, Gesetz- und Sittenlosigkeit unter den Menschen.“46

Zur Überwindung des allgemein als unbefriedigend erkannten Zustandes des niederen Schulwesens reagierten die einzelnen Länder mit der Schaffung eigener, auf die Region zugeschnittener gesetzlicher Regelungen, in Vorarlberg 1752.47 Im Zuge dessen wuchsen die Anforderungen an die Lehrerstellensuchenden. So mussten sie im Rahmen einer Anstellungsprüfung ihre Fähigkeit zum „begreiflichen Unterricht in Religion“, eine gut leserliche Handschrift und Orthographie sowie eine gewisse Fertigkeit im Rechnen nachweisen.48 Ergänzend erhielten nun weltliche Behörden die Erlaubnis für die Kontrolle und Überwachung des Primarschulwesens. Diesen föderalen, territorial begrenzten Vorgangsweisen fehlte jegliche gesamtstaatliche Wirkungsabsicht. Die getroffenen Maßnahmen veränderten dadurch wenig am unmittelbaren Schulbetrieb, mit der Folge, dass sich zwischen den formulierten Ansprüchen und der Realsituation eine große Kluft auftat. Offenkundig fehlten zur Durchsetzung wirkungsvolle staatliche Strukturen. Ebenso machte sich das Beharrungsvermögen der handelnden Personen und Institutionen gegenüber Veränderungen hinsichtlich einer zwingend notwendigen und allmählich von den Herrschenden betriebenen Erneuerung des niederen Schulwesens hinderlich bemerkbar.

All das konnte den Erneuerungsprozess nicht gänzlich aufhalten, begünstigt auch durch weitsichtige kirchliche Kreise, die zukünftig in der staatlichen Zuständigkeit den Nutzen gleichermaßen für Staat und Kirche erkannten49 und somit die vom Staat initiierte Schulreform unterstützten.

Das Ende der Ära des vorinstitutionellen Schulwesens bedeutete für die Pfarrschule die Auflösung als Schultyp, allerdings griffen die neu gebildeten Trivialschulen auf die Erfahrungen, Strukturen und mangels Alternativen wohl oder übel auf die personellen Ressourcen derselben zurück. Der Begriff „Pfarrschule“ hielt sich länger und blieb in einer anderen Bedeutung erhalten, er stand künftig für jene Trivialschulen, die sich im Dorf in der Nähe der Pfarrkirche befanden.

 

_____________

21 Dobler 1992, S. 4.

22 Sander 1879, S. 17.

23 Aus den Deutschen Schulen und Pfarrschulen entwickelten sich nach 1774 die Trivialschulen.

24 Wanner 2013, S. 269. Ähnliches ist aus dem Großen Walsertal überliefert und es ist davon auszugehen, dass dies auch auf das Montafon zutraf.

25 Sander 1879, S. 19 und S. 20; Dobler 1992, S. 7.

26 Ganzjährigen Unterricht boten nur die Stadtschulen in Bregenz, Feldkirch und Bludenz an. Somweber 2001, S. 132: Stadtschullehrer erhielten schon im 17. Jahrhundert höhere Gehälter (ca. 100 fl plus Schulgeld) mit zusätzlichen Vergünstigungen (u. a. Steuerfreiheit, keine Wachdienste, Bereitstellung von Brennholz, freie Wohnung).

28 Hölzl 1972, S. 23.

29 Bitschnau o. J., S. 2. Beim Ortsseelsorger handelte es sich um Pfarrer Fleisch.

30 Kessler 1997, S. 17.

31 Hölzl 1972, S. 377.

32 Tiefenthaler 1995, S. 307.

34 Ebd.

35 MA, ZKA/Dokumentenschachtel 8.1; Bartholomäberg, Schulzeugnis, 14. März 1733. Einseitiges Papierblatt im Querformat 20 x 30 cm.

36 Ebd.: Schulzeugnis, 7. März 1741. Einseitiges Papierblatt im Querformat 21 x 34,5 cm.

37 Montafoner Heimatbuch 1974, S. 452: In einem Alpbrief von 1720 unterzeichnete von 28 Besitzern nur eine Frau noch mit drei Kreuzlein. Sander 1879, S. 19: Gesamthaft betrachtet konnte um 1720 „von den männlichen Personen lange nicht der halbe Theil lesen oder schreiben.“

38 Kasper 2009, S. 242.

39 MA, ZKA/8; Vandans. Johann Baptist Tschofen unterrichtete in Vandans von 1766 bis 1784.

40 Boyer 2012, S. 76.

41 Sander 1879, S. 20.

42 Hölzl 1972, S. 30.

44 Sander 1879, S. 14.

45 Ilg 1968, S. 493; Somweber 2001, S. 135.

46 Sander 1879, S. 15, 16, 19.

47 Engelbrecht 1984, S. 91f; Kessler 1997, S. 23: Vorarlberg unterstand als nunmehriger Teil von Vorderösterreich 30 Jahre der kaiserlichen Regierung in Freiburg im Breisgau.

48 Ebd., S. 92.

49 Hörmanseder 2013, S. 10. Bischof Firmian aus Passau erwarb sich 1769 als kompromissloser Befürworter einer staatlich gelenkten Schule innerhalb und außerhalb der Kirche besondere Verdienste.

3 Aufbruch und bildungspolitische Wende

Der Wechsel vom konfessionellen zum staatlich-obrigkeitlichen Schulwesen setzte eine Verwaltungsreform und die Schaffung eines Einheitsstaates voraus, um die erforderlichen Maßnahmen zur Einleitung der beabsichtigten bildungspolitischen Wende 1774 legistisch und administrativ wirkungsvoll umsetzen zu können. Als treibende Kräfte erwiesen sich die Ideen der Aufklärung, der Wille zur Bildungsreform und die Einsicht, dass sich der Fortschritt nur durch Überwindung des weit verbreiteten Analphabetentums einstelle.

Die „Allgemeine Schulordnung“ bildete als erstes staatliches Schulgesetz durch verbindliche Rechtssetzung den äußeren und inneren Rahmen des neu aufgestellten elementaren Schulwesens und blieb bis 1869 in Kraft. Notwendige Anpassungen und Ergänzungen erließen die Herrschenden auf dem Verordnungswege. Zu den Aufgaben der frisch geschaffenen und straff hierarchisch gegliederten Bildungsverwaltung gehörte es, alsbald die Abwicklung der Schulreform im Sinne des Gesetzes zu veranlassen, zu begleiten und zwingend einzufordern, um die unverrückbare Idee der Alphabetisierung der Bevölkerung zu verwirklichen. Auftretende Widerstände und scheinbar unüberwindbare Hindernisse konnten die Reform nicht aufhalten, sie erwies sich als tragfähig und offen für zukünftige Weiterentwicklungen.

3.1 Auf dem Weg zur einheitlichen, staatlichen Elementarschule

•    Verwaltungsreform und Staatswerdungsprozess als Voraussetzungen einer gelingenden Bildungsreform

•    Verbreiteter Analphabetismus als Mitverursacher schwerwiegender militärischer und wirtschaftlicher Probleme: erhebliche Verluste durch verloren gegangene Kriege, rückständige Landwirtschaft, Facharbeitermangel in der Industrie

•    Bildungspolitische Neuorientierung im Fokus der Politik

•    Reform des elementaren (= niederen) Schulwesens im Dienst des absolutistischen Staates

3.1.1 Verwaltungsreform und Staatswerdungsprozess als Voraussetzungen einer gelingenden Bildungsreform

Österreich sah sich zum wiederholten Male gegenüber Preußen im Rückstand und diesen wettzumachen lag im besonderen Interesse von Maria Theresia. Ihre Reformvorhaben richteten sich deshalb auf die völlige Neuorganisation der Verwaltung, das Militär-, Finanz- und Bildungswesen, um das Reich in einen zentralistisch verwalteten Einheitsstaat unter einem absoluten Herrscher umzugestalten und dadurch die Provinzen stärker in die monarchistische Union einzubinden.

Der Staatswerdungsprozess verlief ab Mitte des 18. Jahrhunderts nicht kontinuierlich, sondern schrittweise, dessen Einzelheiten hier aber nur so weit Beachtung finden, als sie damit die politischen Voraussetzungen für die nachfolgende grundlegende Neugestaltung der Schulverwaltung und des Bildungswesens begründen. Seine Verwirklichung erfolgte unter Berücksichtigung der Zielperspektiven „Rationalisierung, Vereinheitlichung und Zentralisierung“. Insgesamt führten alle diese Maßnahmen zu einer Stärkung jener Kräfte, die den Staatswerdungsprozess trugen und vorantrieben. Die erste Reformmaßnahme betraf den bis dahin umständlich gegliederten, wenig wirkungsvoll arbeitenden und nicht mehr zeitgemäßen Verwaltungsapparat. Die Verwaltungsreform 1742 eröffnete den Weg zur Schaffung eigener zentraler Verwaltungen für Finanzen und Militär sowie der Hof- und Staatskanzlei für die politische Verwaltung. Allein die Neuorganisation des Finanzwesens brachte eine beträchtliche Erhöhung des Steueraufkommens.50