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Friedrich Wagner, Sohn des Schwebheimer Oberlehrers Hans Wagner, wurde am 16. April 1893 in Schwebheim geboren. Er besuchte das Gymnasium in Schweinfurt und schloß dieses mit der mittleren Reife und damit der Berechtigung zum Einjährigfreiwilligen Dienst ab. Nach einer Banklehre in Schweinfurt wechselte er zu einer Bank nach Augsburg. Anfang August 1914 stellte er sich dort als Kriegsfreiwilliger. Er verbrachte den Krieg ausschließlich an der Westfront, wo er im April 1918 als nunmehr Feldwebelleutnant schwer verwundet wurde und ihm ein Fuß amputiert werden mußte. Friedrich Wagner schildert und beschreibt in seinem Tagebuch das Soldatenleben und das Kriegsgeschehen so, wie es wohl die allermeisten dort erlebt haben müssen: eine unendliche, oft sinnlos wirkende Abfolge von Routinen und Einerlei. Man machte mit, ließ alles über sich ergehen und hielt im übrigen die Klappe. Wertvolle Lebensjahre der Jugend, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und oft das eigene Leben wurden so geopfert. Kleingeld war der Dank des Vaterlandes.
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Seitenzahl: 471
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Trost
Alle, die tot auf dem Schlachtfeld liegen, Hatten ein Leben nur zu verlieren, Und doch ist es stets wieder ein Vergnügen, Europas Grenzen zu korrigieren. Der Diplomat brummt verächtlich: Ach! Die Menschen? Die wachsen rasch wieder nach.
Frank Wedekind
Schwebheim, September 2021
Kriegsfreiwilliger Friedrich Wagner
1. Vorwort
2. Zur Person Friedrich Wagner
3. Statt einer Einleitung
4. Der Weg durch den Krieg
5. Das Tagebuch
5.1. Rekruten–Depot des 4. Bayerischen Feldartillerie–Regimentes (6.8.1914– 17.3.1915)
5.2. Stellungskämpfe im Artois I (18.3.1915–8.5.1915)
5.3. Schlacht bei La Bassie und Arras I (9.5.1915 – 23.7.1915)
5.4. Stellungskämpfe im Artois II (24.7.1915 – 18.8.1915)
5.5. Schießlehrkurs Beverloo (18.8.1915 – 21.9.1915)
5.6. la Bassie/Arras II (23.9.1915 – 13.10.1915)
5.7. Stellungskämpfe im Artois III (14.10.1915 – 3.7.1916)
5.8. Kämpfe auf kalter Erde bei Fleury (4.7.1916 – 27.7.1916)
5.9. Kämpfe zwischen Maas und Mosel (im Wald von Apremont und Tilly) (28.7.1916–14.10.1916)
5.10. Ruhe bzw. Exerzieren in der Etappe(14.10.1916 – 29.10.1916)
5.11. Stellungskämpfe vor Verdun (30.10.1916 – 13.11.1916)
5.12. Schlacht an der Somme (14.11.1916 – 9.2.1917)
5.13. In der Etappe (9.2.1917 – 16.4.1917)
5.14. Doppelschlacht Aisne – Champagne (17.4.1917 – 30.5.1917)
5.15. In der Etappe (Elsass) und Verdun (1.6.1917 – 3.9.1917)
5.16. In der Etappe 3 / Schießplatz Signy l’Abbaye (4.9.1917 – 1.10.1917)
5.17. Schlacht in Flandern (2.10.1917 – 15.11.1917)
5.18. In der Etappe / Fliegerabteilung 288A (16.11.1917 – 13.2.1918)
5.19. Stellungskämpfe in der Siegfriedstellung südlich Cambrai (14.2.1918 – 13.4.1918)
5.20. Wieder in der Heimat (14.4.1918 – 31.3.1919)
6. Briefe an den Kriegsfreiwilligen Friedrich Wagner
7. Verlauf des Krieges im Westen
7.1. Die strategische Planung
7.2. Der Kriegsverlauf 1914
7.3. Der Kriegsverlauf 1915
7.4. Der Kriegsverlauf 1916
7.5. Der Kriegsverlauf 1917
7.6. Der Kriegsverlauf 1918
8. Nachwort
Das Original des Kriegstagebuchs ist ein Werk von 467 handschriftlichen Seiten (DIN A4) mit zahlreichen Photos, Karten, Zeitungsausschnitten und Skizzen. Friedrich Wagner, so der Name des Autors, erstellte dieses Kriegstagebuch in den Jahren 1920 und 1921. Grundlagen dazu sind seine Feldzugstagebücher, mit Ergänzungen aus dem Gedächtnis, wie er in der Einleitung zu seinem Werk schreibt. Sein Text ist hier vollständig erfaßt. Das umfangreiche Bildmaterial wurde nicht eingearbeitet. Fußnoten stammen vom Bearbeiter. Zum leichteren Verstehen mancher Tagesabläufe wurde die Uhrzeit auf eine 24 Stunden–Basis abgeändert. Die Orthographie des Originals blieb grundsätzlich erhalten. Vom Kommentator wurden die Kapitel Ibis 4, 6 und 7 eingebracht, ebenso die kursiv gedruckten Texte in den Kapiteln 5 und 6. So manche – meist kriegstechnische – Abkürzung blieb unkommentiert.
Von dem ebenfalls komplett erhaltenen umfangreichen Briefverkehr an Friedrich Wagner von seinen Freunden, Bekannten und Verwandten, insbesondere von seinem Vater und seinem Bruder Richard, der ebenfalls Weltkriegsteilnehmer von 1914 bis 1918 war, finden sich typische Beispiele und Auszüge unter Punkt 3 und 6.
Text des Tagebuchs und auch der Briefe unter Kapitel 6 wurden prinzipiell ungekürzt übernommen. Dadurch kann sich dem Leser das Geschehen in seiner Echtheit und Glaubwürdigkeit erschließen. Es waren eben nicht nur die großen Ereignisse, die das Soldatenleben ausmachten, es waren ebenso die unzähligen Routinen, Bürokratien und Zwänge des Kriegsalltags und es waren die ständigen individuellen Befindlichkeiten, Sorgen und Nöte. Auch wenn dies bisweilen eintönig, sich wiederholend, ja langweilig wirken sollte: So war er halt auch, der Krieg.
Tagebuch und Briefverkehr geben einen guten Einblick, wie eine relativ gutbürgerliche (jedenfalls innerhalb einer Dorfgemeinschaft) Lehrerfamilie zum ersten Weltkrieg stand. Sie geben ferner ein Bild ihres Alltags. Und sie bieten schließlich zeithistorische Informationen, besonders über Schwebheim, einem Dorf im Deutschland des ersten Weltkrieges.
Im Tagebuch finden sich wenig klare Aussagen zur großen Politik, zu Krieg und Kriegsherrn, allenfalls eine vorsichtige Wiedergabe mancher Stimmungen zum Sinn bzw. Unsinn dieses Völkermordens. Wie so viele seiner Landes– und Altersgenossen schien Friedrich Wagner als Kriegsfreiwilliger diesen Krieg nicht zu hinterfragen. Allerdings finden sich im Tagebuch kaum Hinweise, die diesen Krieg verherrlichen. Doch ebenso selten vernimmt man kritische Töne. Letzteres mag auch daran gelegen haben, daß man in den persönlichen Aufzeichnungen, aus denen später das Tagebuch wurde, vorsichtig formulieren sollte.
Breit angelegt findet sich eine relativ emotionslose Beschreibung des ständigen Nach–vorne–in–Stellung–Gehens und des nach einigen Tagen wieder erfolgenden Rückmarsches ins Quartier. Und das war wohl auch der Kriegsalltag. Unvorstellbar das ständige Hin– und Herziehen der Einheiten von einem Platz zum anderen – und dies trotz des Stellungskrieges – eigentlich ein Widerspruch. Es scheint, man ist mehr mit sich selbst beschäftigt als mit dem Feind. Man vergeudete dadurch viele Ressourcen. Es kam zu vielfachen Rivalitäten und Reibereien, wenn man sich im neuen Quartier wieder Plätze (Schlafplätze, Wohnungen, Kasino, Küche, Ställe, Lager und dgl.) beschaffen mußte. Und oft waren eben schon andere – „Freunde“ – vorher da, die ihre Plätze nicht aufgeben wollten. Was waren dazu eigentlich die Überlegungen der Heeresleitung? Wo blieb eine erkennbare durchdachte Logistik?
Wenig auch ist zu lesen von den Feinden, seien es Soldaten oder duldende Bürger. Gerade letztere mußten doch so viel über sich ergehen lassen.
Manchmal kommen Sorgen zum Vorschein. Wenn Bruder Richard verwundet ist und man nicht weiß, wie ernst dies sein könnte. Oder die Ungewißheit, wenn längere Zeit keine Post von Zuhause oder vom Bruder an der Front kam.
Karrieregesichtspunkte, Auszeichnungen und Orden waren bedeutsam. Zusammen hielt das Ganze eine Art von Kameradschaft, die mehr eine Zweckgemeinschaft und nicht auf Dauer angelegt war, auch wenig an Tiefe (z.B. echte Freundschaft) aufwies. Häufige Versetzungen scheinen systembedingt gewesen zu sein: man wollte keine allzu festen Bindungen. Man ist zusammengewürfelt, man arbeitet zusammen, in wechselnder Gemeinschaft, man trennt sich wieder und kommt in eine neue Gemeinschaft. Manchmal ist es auch der Tod, der trennt. Aber kaum ein Nachweinen. Man selbst hat überlebt. Schicksal? Das Leben, der Krieg geht weiter. Der „Kitt des Feldzugs“ hält nicht lange, wie Friedrich Wagner einmal feststellt. Seltsam dennoch, daß selbst der Tod des Bruders Hans im Februar 1915 kaum erkennbar betrauert wird.
Eine große Rolle spielen Vorgesetzte. So wirken das Verhalten eines Oberleutnants Liftl und noch mehr eines Leutnants Wiedmann und des „Ästheten“ und egoistischen Bürokraten Oberleutnant Hofbaur, die alle den Untergebenen kaum Entfaltung und Freiräume lassen, ausgesprochen negativ und demotivierend. Solches Führungs–Fehlverhalten mußte Folgen zeigen. So z.B., wie Wagner einmal in sarkastischer Weise eine Löschaktion von zwei Heuhaufen beschreibt[1]. Soviel Despektierlichkeit, es war im Jahr 1916, hätte man von ihm zu diesem Zeitpunkt noch nicht erwartet, aber er war eben stocksauer, und in diesem plötzlichen Ausbruch zeigten sich tief sitzende, nicht verarbeitete Kränkungen der letztvergangenen Tage.
Positives Gegenbeispiel zu dieser Art von Vorgesetzten ein Oberleutnant Offermann, der sich offensichtlich sehr mit den Leuten beschäftigte und der sie „machen“ ließ. Das motivierte und das kam im Kontext auch zum Ausdruck. Offermann fiel 1917.
Nicht zu fassen allerdings die für Friedrich Wagner ansonsten untypische Ergebenheit zu seiner so schicksalhaften Versetzung zur Infanterie. Warum hat er nicht alles Denkbare in die Wege geleitet, um zu den Fliegern zu kommen? Er hätte ja wegen seiner Augenschwäche[2] nicht einmal fliegen müssen, er wäre wahrscheinlich nur Beobachter am Boden geworden. Er ließ den Antrag für die Fliegerei im Koffer liegen, ging zur Infanterie und verlor dort in einer furchtbaren Schlacht seinen Fuß, ein Handycap für sein ganzes weiteres Leben.
Gegen Ende des Tagebuchs wird es spannender, erregender und ergreifender. Jetzt zeigt sich der Krieg, Pferdekadaver, verdorbenes Wasser, Tote in Massen und aus den Gräbern gespülte Leichen, zerquältes Gelände, zusammengeschossene Orte, wo oft nur noch eine Tafel auf deren frühere Existenz hinweist, nichts mehr zu essen, statt echtem „Kruppstahl“ „Kriegsware“ als Material für Kanonen und vieles andere Negative.
Aber eine Absage an den Krieg und an die „Verführer“ zum Krieg, ist nicht zu sehen. Einem Krieg, dem man ein Bein und fünf Jahre eines jungen Lebens, schöne und so bedeutsame Lebensjahre, geopfert hat. Das Vaterland dankte es ihm, wie auch Millionen anderen, nie.
Schwebheim, im Jahre 2021
(1) Im Tagebuch 16.4.16
(2) Friedrich Wagner war stark kurzsichtig.
Friedrich, genannt Fritz, Wagner, Sohn des Schwebheimer Oberlehrers Hans Wagner, wurde am 16. April 1893 in Schwebheim geboren. Er besuchte das Gymnasium in Schweinfurt, wohnte dort während der Woche bei einer Familie Ludwig und schloß im Jahre 1909 mit der mittleren Reife und damit mit der Berechtigung zum Einjährig–Freiwilligen– Dienst ab. Eine Banklehre in Schweinfurt schloß sich an. Nach deren Abschluß wechselte er zum Bankhaus von Max Schloß nach Augsburg – in sehr jungen Jahren wagte er sich weit weg von zu Hause – und wohnte dort bei einer Familie Roeder. Anfang August 1914 stellte er sich als Kriegsfreiwilliger in Augsburg und verbrachte den Krieg ausschließlich an der Westfront, wo er im April 1918 als Feldwebelleutnant schwer verwundet wurde und ihm ein Fuß amputiert werden mußte. Bereits 1919 war er wieder im Bankgeschäft, künftig nun bei einer Großbank in München, tätig.
Friedrich (auf dem Bild sitzend, der zweite von rechts) hatte sechs Brüder und 2 Schwestern.
Der älteste der Brüder, Willy (links hinten), war wie sein Vater Hans Wagner, Lehrer geworden. Kurz eingezogen blieb er wegen seines schon fortgeschrittenen Alters und vermutlich auch wegen Unabkömmlichkeit als Lehrer vom Krieg verschont.
Hans, der Zweitälteste (rechts neben seinem Vater), Metzger in Hanau, war von Anfang an an der Front. Er erlitt den „Heldentod“ bereits zu Beginn des zweiten Kriegsjahrs in Frankreich, gerade mal dreißig Jahre alt.
Adolf (hinten rechts) blieb zwar vom Krieg verschont, hatte aber immer Probleme, eine vernünftige Arbeit zu finden und hielt es nie lange an einer Stelle aus. Bei einem Jagdunfall verlor er im Jahre 1918 ein Bein tragischerweise gerade um die gleiche Zeit wie sein Bruder Friedrich.
Richard (sitzend links), ein Jahr älter als Friedrich, mußte ab 1915 in den Krieg. Er kämpfte als Infanterist im Westen und in Rumänien, wurde verschiedentlich verletzt und mußte bis zum Ende 1918 „draußen“ bleiben. Ihn und Friedrich verband eine enge Beziehung.
Der jüngere Bruder Eugen (links vorne) mußte noch für 2 Jahre in den Krieg, ebenfalls an die Westfront. Durch eine Verletzung am Arm konnte er sich die letzten Kriegsmonate ersparen.
Hugo (rechts vorne) schließlich, der Jüngste und durch Schwerhörigkeit behindert, wurde nur kurz eingezogen, mußte aber nicht mehr raus.
Lore (sitzend links) versorgte den Haushalt ihres Vaters – die Mutter war schon 1907 gestorben. Sie kümmerte sich sehr um ihre Brüder im Feld, mit Nahrungspaketen, Kleiderwaschen, gutem Zureden und Trost.
Letzteres gilt auch für die Schwester Betti (sitzend rechts), die in Meiningen mit einem Richter, Max Heym, verheiratet war.
Bleibt noch Vater Hans Wagner zu nennen. Er, der Oberlehrer, war natürlich der Mittelpunkt und derjenige, der seine Söhne fürs Vaterland anspornte – vermutlich mehr noch seine Schüler in Schwebheim – , der aber dennoch in ständiger Sorge um ihr Wohlergehen war.
Außer diesen Familienangehörigen sollen noch die Jugendfreunde Ernst Hoffmann und Hans Baum erwähnt sein. Ernst, Apotheker, kam erst spät an die Front im Westen. Er überstand den Krieg ohne äußere Verletzung. Hans, ein junger Abiturient in Fürth, fiel 1916 an der Westfront.
Schließlich gab es noch einen mächtig scheinenden Bundesgenossen, den man ständig um Hilfe und Unterstützung anrief: „Gott, unser Vater im Himmel“. Es ist allerdings recht wahrscheinlich, daß dieser ältere Herr auch vom Feind um Hilfe ersucht wurde. Da steckte er gewiß in einem Dilemma.
Noch ein Wort zu Schwebheim. Dieses Dorf, im Süden der ehemaligen Freien Reichsstadt Schweinfurt gelegen, hatte um die Zeit des 1.Weltkriegs rund 700 Einwohner. Der Ort war zu dieser Zeit vornehmlich landwirtschaftlich geprägt. Mittelpunkt des evangelischen Dorfes war der Kirchplatz mit dem Schloß der „Herrschaft“, der Freiherren von Bibra, die über Generationen als Lehensherren den Ort beherrschten. Auch wenn sie zur Zeit dieses Krieges längst ihrer alten Rechte verlustig waren, waren sie noch tief respektiert, Nachwehen jahrhundertelanger Abhängigkeit und Unterdrückung.
Familie des Oberlehrers Hans Wagner um 1908
...ein Brief des Lehrers Hans Wagner aus Schwebheim an seinen Sohn Fritz (Friedrich) vom 8.8.1914, also zu Kriegsbeginn. Gut kommt zum Ausdruck diese Mischung aus Stolz und berechnender Sorge.
„Lieber Fritz!
Soeben von Schweinfurt angekommen, erhielt ich Deinen Brief. Wie es scheint, hast Du meine Karte nicht verstanden. Ich freue mich ja ungemein über Deine Vaterlandsliebe und Deine Begeisterung. Stolz bin ich, solche Kinder zu besitzen. Hart wird der Strauß, aber die Gerechtigkeit auf unserer Seite wird den Sieg davontragen. Gott wird mit uns und mit Dir sein.
Was ich nach der Karte von Dir wollte, war das: Du solltest zu uns kommen und Dich in Würzburg stellen. Wegen Deiner Augen und Deines noch schwächlichen Körperbaues glaubte ich mit Bestimmtheit annehmen zu dürfen, daß Du bei etwaiger Tauglichkeit nur für den Garnisonsdienst in Betracht kommen würdest und zwar für Würzburg. Für diesen Falle hätten wir im Hause beständig Fühlung mit Dir haben können. Der Soldat kann nicht nur im Felde seinen Posten einnehmen, sondern auch in der Garnison. Letztere kann man nicht verwaisen lassen. Vielleicht könntest Du Dich nochmals umschreiben und für Würzburg überweisen lassen. Dies ist mein Wunsch auch jetzt noch, wie auch der Wunsch Deiner hier weilenden Geschwister. Tue deshalb die nötigen Schritte.
Unser Hans ist an die russische Grenze befördert worden. Vor seinem Abmarsch hat er nochmals eine Karte geschrieben. Er will bald schreiben, wo er sich befindet. Richard muß abwarten, bis der Ruf an ihn ergeht. Seine freiwillige Meldung hat ihm nichts geholfen. Willi ist, soviel ich weiß, als unabkömmlich erklärt. Mit Eugen ist vorerst nichts. Es wäre schlimm bestellt, wenn die 17–jährige Altersklasse auch dran müßte.
Von Schwebheim sind schon viele Leute einberufen. Militärzüge gehen in Schweinfurt fortgesetzt Tag und Nacht. Das I. und III. Armeekorps kämpft gegen Rußland und das II. Armeekorps gegen Frankreich. Oder hast Du anders vernommen?
Die Ernte wird bei uns bald eingebracht sein. Es ist auch gut so. Alles ist bestens geraten. Hungersnot ist wohl nicht zu erwarten. Morgen lege ich die Landsturmrollen an für die Jahre 1882 bis 1894. Es kommen hier nur ganz wenig Leute in Frage.
Fast hätte ich vergessen, daß das Leibregiment auch gegen Rußland kämpft.
Nun Gott befohlen! Er beschütze Dich mit dem Arm seiner Liebe. Schreibe bald Antwort.
Unter herzlichen Grüßen bin ich in Liebe Dein Vater Hans Wagner.“
Es schien eine glückliche Welt vor August 1914 und voller Hoffnung für die Zukunft gewesen zu sein. Insbesondere das Deutsche Reich kannte seit dem siegreichen Krieg gegen Frankreich über 40 Jahre nach außen nur Frieden. Ja, es gab Spannungen. Frankreich litt noch immer an der Niederlage von 1871 und dem Verlust von Elsaß und von Lothringen. England sah seine Weltmacht bedroht durch den aufkommenden Rivalen Deutschland. Innere Unruhen gab es zunehmend im Zarenreich. Auch Österreich-Ungarn hatte auf dem Balkan seine Schwierigkeiten. Und die USA griffen nach weiterer Macht, wenn auch militärisch noch nicht in Europa.
Doch Krieg? Kaum gab es solche Befürchtungen. Auch wenn in den Regierungen durchaus Planungen betrieben wurden. So in England, wo ein McKinder bereits 1904 auf die Gefahr einer vereinigten Landmacht (Deutsches Reich mit Rußland) für die Seemacht Großbritannien hinwies. Doch der weiten Öffentlichkeit blieb dies verborgen.
Und so scheint es umso weniger verständlich, daß nach einem unbedeutenden Ereignis wie Sarajewo plötzlich allenthalben Krieg euphorisch gefordert und „gefeiert“ wurde. Wußte man nicht mehr, was Krieg war und wozu er sich nun mit all dem zwischenzeitlich erfolgten technischen Fortschritt auswachsen könnte? Die Kriegsbegeisterung war allüberall – nicht nur im deutschen Kaiserreich.
So auch in der Familie des Lehrers Wagner in Schwebheim. Drei der fünf Söhne des Lehrers folgten bereits in den ersten Tagen des August 1914 dem Ruf der Waffen.
So auch Friedrich, der Autor des Tagebuchs. In Augsburg meldet er sich schon Anfang August 1914 freiwillig als Einjähriger im Alter von 21 Jahren zur Artillerie. Sein Vater ist stolz auf ihn. Im Rekrutendepot gilt es, mit Exerzieren und Drill aus Menschen Soldaten zu machen. Dann im März 1915 die heißersehnte Fahrt an die Front. Jubelnde Mengen an den deutschen Bahnhöfen, Haß bei der Durchfahrt durch Belgien und erste Bekanntschaft mit Zerstörungen.
In der Nähe von Vitry in der Provinz Artois Schanzen und Gräben bauen. Friedrich kommt zum ersten Mal an ein Geschütz und – noch selten – Flieger tauchen auf. In den Folgemonaten muß Friedrich meist raus zu gefährlichem Kabelflicken. In breiter Front greifen die Franzosen an. Volltreffer auf die Geschütze einer Batterie mit mehreren Toten. Er wird zum Unteroffizier befördert und ist meist Telephonist. Zur Desinfektion (Läuse) in die Garnisonsstadt Douai. Immer wieder Umzüge in neue Stellungen, die viele Kräfte binden..
Endlich eine Abwechslung für Friedrich: 4 Wochen – 18.8.1915 21.9.1915 – Schießlehrkurs in Beverloo/Belgien. Rückreise zur Batterie in Fresnes (14km östlich von Arras), wo er zum Vize-Wachtmeister befördert wird. Es geht heiß her. Immer mehr Tote auf eigener Seite. Schanzarbeiten.
Die Gräben nehmen einen zunehmend unübersichtlichen Verlauf: Schnell kann man beim Feind sein. Auch Gasangriffe werden häufiger. Fühlbarer auch das Mobbing durch Vorgesetzte. Nach Urlaub kommt Friedrich in die Garnison nach Augsburg. Auch hier Mobbing.
Immer noch in Fresnes. Es ist hier reiner Stellungskrieg, diese Zeit von Mitte Oktober 1915 bis Anfang Juli 1916. Man richtet sich ein. Vorne werden Gräben und Stellungen immer wieder ausgebessert, sogar ein Kino wird eröffnet. Dazwischen Feuerüberfälle, von beiden Seiten. Auch immer mehr Flieger – deutsche und englische – zeigen sich. Nach seinem Urlaub kommt Friedrich in die Garnison nach Augsburg wo er vom dortigen Vorgesetzten sehr gemobbt wird.
So kommt er Anfang Juli 1916 wieder nach draußen zur 1. Batterie des 4. Bayerischen Feldartillery-Regiments und zwar mit der Bahn nach Deutscheck, einer Bahnstation 25km nördlich von Verdun. Es gibt viele Feuergefechte, auch wieder Tote. Bei einem Besuch im Fort Douaumont beschreibt Friedrich die furchtbare Zerstörung, die er dort antrifft – eine Stätte des Grauens.
Ende Juli 1916 wird die Batterie abgelöst und in Arrancy eingeladen zum Transport in eine neue Stellung. Diese ist in Buxerulles (12km östlich Saint-Mihiel, 45km südöstlich Verdun). Man bekämpft sich zwischen Maas und Mosel. Ansonsten viele französische Flieger, oft gewandter als die deutschen. Mehr oder weniger aber Stellungskrieg. Friedrich hat viel mit Ausbesserungen der Telefonleitungen zu tun.
Mitte Oktober 1916 Abmarschbefehl für die Batterie in die Etappe nach Vionville, ca. 45 km nordöstlich Buxerulles, also noch zwischen Mosel und Maas. Zwei Wochen Etappe[3]. Neues Quartier in St.Marcel nahe Vionville und dort Streitigkeiten mit anderen Truppenteilen um dieses Quartier. Nächstes Quartier deshalb in Piennes, 40 km östlich Verdun.
Stellungskämpfe um Verdun. Viel Nässe auf Lehmboden. Schon am nächsten Tag weiter nach Aubencheul aux Bois (11.11.16), 20 km südlich Chambrai.
Man ist nun im Gebiet der Somme. Üblicher Stellungskrieg. Ruhige Feiertage. Hier erfahren Friedrich und seine Kameraden das deutsche Friedensangebot. Man ist überrascht. Es gibt Für und Wider. Friedrich kauft Notwendiges für die Batterie ein, kommt herum (Amiens, Laon).
Dann ab 9.2.1917 längere Zeit in die Etappe nach Féchain (13 km nördlich Cambrai). Somit weiter im Gebiet der Somme.
Von hier Verladung auf Zug nach Rocroi in die Ardennen. Quartier in Gué-d'Hossus (50 km südlich von Chaleroi/Belgien) in den Ardennen nahe Rocroi. Nach etwa drei Wochen erneut Verladung. Diesmal, 22.3.1917, nach Dercy (25km nördlich Laon, 40km nördlich Chemin de Dames). In Dercy bleibt man bis Mitte April 1917, um dann zum Aisne-Krieg ab 17.4.1917 auf den Chemin de Dames mit der Drachengrotte zu zu ziehen. Hier erwarten sie heftige Feuergefechte. Und es gab viele Tote. Am 29.5.1917 verläßt man diesen Kampfplatz und es geht zur Etappe in den Elsaß über Rethel, Sedan, Saargemünd, Mühlhausen nach Brunstadt. Angenehmes Leben hier. Doch nach 6 Wochen kam am 10.7.1917 der nächste Marschbefehl: Nach Brieules, 30 km nordöstlich Verdun. Auch hier heftige Kämpfe, Gas und Flieger.
Abmarsch am 3.9.1917 in die Etappe zum Schießplatz nach Signy l'Abbaye (110km nordwestlich Verdun). Doch am 30.9.1917 kam der Abmarschbefehl und schon am 1.10.1917 Verladung (20km nördlich von Saint Quentin), Ausladung und Quartier in Wevelghem. Man ist jetzt in Flandern/Belgien), 30km nördlich von Lille. Schwere Einschläge und Opfer. Ab 15.11.1917 hat Friedrich 3 Wochen Urlaub.
Nach Urlaub meldet sich Friedrich in der Etappe zum Antennenkurs bei den Fliegern in Douai an. Er war dort bis 3.2.1918. Es hat ihm sehr gefallen, das Klima war sehr gut und so schrieb er an sein Regiment, daß er zu den Fliegern wolle und nicht zur Infantrie, legte allerdings diese Meldung zunächst in seinen Koffer, um sie bei Bedarf später abzuschicken. Was, warum auch immer, nicht geschah.
Und somit hat sich Friedrich mehr oder weniger zufällig von der Artillerie zur Infantrie zwingen lassen. In Piennes trifft er auf seinen neuen Truppenteil, die 5. Kompanie des 20 Bayerischen Infantrieregiments. Das Regiment wird verladen nach Cambrai, von dort in das zerschossene Hermies. Am 4.4.1918 liegen sie vor Moreuil. Plötzlich feuert ein MG und Friedrich trifft es am Fußgelenk. Hilflos wird er von Sanitätern erstversorgt. Hilflos robbt er sich mit einem fußlosen Kameraden zurück. Sie gelangen zum Verbandsplatz in Montreuil und von da in einen Keller mit Schwerverwundeten, kein Essen und unter Artilleriefeuer. Nächste Station Verbandsplatz in Villers und ein wenig Nahrung, dann ins Feldlazarett in Caix, wo er endlich am 6.4.1918 wieder verbunden wird. Weitertransport nach Rosieres ins Feldlazarett. Am 13.4.1918 Abtransport unter großen Schmerzen nach Peronne und von da nach Münster in Westfalen und einer Amputation des Fußes am 24.4.1918. Über Schweinfurt und einer erneuten Operation (Wundbrand) ins König-Ludwig-Haus nach Würzburg, wo er endlich ein Behelfsbein bekam.
Endgültige Verabschiedung von Friedrich aus dem Heer zum 1.4.1919 und wieder im Dienst seiner Bank in Augsburg. Daß er dennoch nicht den Klauen des Militärs entkommen war, erfährt er Jahrzehnte später, wo dieser Moloch weiteres Futter fordert: Aufruf 1944 zum Volkssturm. In einem Ton, der nicht an freie Bürger, sondern an abhängig Hörige gerichtet ist.
Appell an den Untertan
(3) Etappe bezeichnet im militärischen Sinne das Gebiet hinter der Front. Hier befinden sich die rückwärtigen Dienste wie Lazarett -, Tross -, Verwaltungs- und Instandsetzungseinheiten usw.
Kurzfassung:
Friedrich Wagner, Bankangestellter beim Bankhaus Schloß in Augsburg, wohnhaft bei der Familie Roeder (mit den beiden Töchtern Ella und Käthi), ebenfalls in Augsburg, meldet sich im August 1914, also kurz nach Kriegsausbruch, freiwillig als Einjähriger im Alter von 21 Jahren zur Artillerie. Mit ihm melden sich 500 weitere Freiwillige. Es ist die Euphorie der ersten Kriegswochen mit ihren Erfolgen. Zu seinem Leidwesen ergibt eine erste Untersuchung nur ein „Garnisonsdiensttauglich“, was sich bei einer zweiten Untersuchung aber zu seiner Freude ändert: er ist nun felddiensttauglich. Unter den Einjährigen, die sich gemeldet haben, befinden sich viele Studenten aus München, aber auch viel „Gesindel“.
Am 25.8. ist Vereidigung. Gleich in den ersten Tagen erfährt Friedrich Wagner von der schweren Verletzung (Gesicht) des Arbeitskollegen Willy Götter. Anfang Oktober fährt er für 3 Tage nach Hause in Urlaub, ebenfalls an Weihnachten (5 Tage).
Hauptinhalt dieses ersten Teils im Rekrutendepot ist eine sich ständig wiederholende Beschreibung des Lebens in der Kaserne mit Exerzieren, Freizeit verbringen, Tagesablauf.
Eine bemerkenswerte Stelle betrifft das sogenannte Pferdegeld: Für die Benutzung eines Pferdes sollten von den Soldaten 30 Mark/Monat als Futtergeld und 120 Mark als Einmalzahlung nach dem Kriege aufgebracht werden. Friedrich Wagner hat diesen Ukas nicht unterschrieben, ein erstes Auflehnen.
Er sieht zum ersten Mal gefangene Russen, mit denen er und seine Kameraden sich zu unterhalten versuchen.
Mitte Februar 1915 fällt sein Bruder Hans in Frankreich. Von zu Hause wollte man ihm dies zunächst verschweigen. Als er es dennoch erfährt: kein erkennbares Traurigsein. Nur nicht daran denken? Oder ist der Bruder (eigentlich ein Stiefbruder) – der ja früh das Elternhaus verließ – ihm fremd?
Am 15.3.1915 erfolgt – endlich – die Abfahrt an die Westfront über Mannheim, Koblenz, Köln (jubelnde Bevölkerung), Mehlem (Mecheln), wo man auf dem Bahnhof mit einem Verwundetenzug erstmals Schrecken des Krieges mitbekommt. Dann geht die Fahrt weiter über Lüttich (mit einer gegen die Deutschen haßerfüllten Bevölkerung), Löwen (wo die ersten Zerstörungen zu sehen sind), Brüssel nach Mons.
6.8.1914
Ich stellte mich am 6. August, einem Donnerstag, als Kriegsfreiwilliger in der Infanteriekaserne in Augsburg, wurde von da in den Schießgraben geschickt, von da wieder in die Kaserne. Bei der Untersuchung wurde ich zu meinem Leidwesen nur für garnisonsdiensttauglich befunden.
Mit mir mögen sich ungefähr 500 Freiwillige stellen: zum großen Teil Gesindel von der Straße, denen es nur um eine Versorgung zu tun ist, zum Teil sind es prachtvolle Gestalten voller Begeisterung für die Sache.
Ich gehe zu meinem Chef, um die Entlassung aus dem Dienst zu regeln. Als ich wiederkomme, sind die Freiwilligen in einer langen Reihe aufgestellt, ich schließe mich ihnen an und komme zum – Menaschieren (ich hatte vorher noch zu Mittag gegessen). Mein Feldwebel, ein sehr gemütliches Haus, will mich gleich zu Schreibarbeiten engagieren. Ich muß ein Zimmer als Schreibstube einrichten.
Die Nacht verbringen wir im Schießgrabensaal, sie verläuft sehr gemütlich. Als Bett ein Strohsack, eine Leinendecke darüber, dazu eine wollene Decke und ein Handtuch. Wehrkraftjungen füllen die Strohsäcke ein.
7.8.1914
Die Nacht über war es mir schon durch den Kopf gegangen, daß ich nur für Garnisonsdienst tauglich sein soll. Das gefällt mir ganz und gar nicht. Ich hole mir deshalb beim Feldwebel die Erlaubnis und gehe in die Artillerie–Kaserne zur neuerlichen Untersuchung. Deren positives Ergebnis: tauglich.
Wir sind zusammen 24 Mann, darunter mit mir 8 Einjährige. Einer, ein Jus–Student will exklusiv sein und die Einjährigen zum Zusammenhalten veranlassen. Ich schließe mich lieber etwas an einen Realschüler an, namens Fritz Haller.
Wir schlafen in einer Scheune auf Stroh und decken uns mit Strohgarben zu. Einige junge Mädchen kommen herein, betrachten uns in unserem Lager und verschwinden kichernd wieder.
8.8.1914
Um 5 Uhr stehen wir auf. Mich friert es ein wenig. Um 8 Uhr Antreten und Abmarsch nach Bergheim. Hier eine Ansprache des Wachtmeisters, Aufnahme unserer Personalien im Schulhause und dann wieder zurück nach Wellenburg. Um 11 Uhr Mittagessen, reichlich und gut.
Um 12 Uhr wieder nach Bergheim und von da mit den dortigen Freiwilligen nach Augsburg zum Rathaus. Im Saal werden wir Einjährigen abgesondert, die anderen müssen ihre Personalien und alles Mögliche angeben. Zwei von ihnen werden zurückgewiesen, da sie sich nicht ausweisen können. Es scheinen Landstreicher zu sein. Ich telefoniere vom Ratskeller aus an meine Hausfrau und lasse mir verschiedene Sachen bringen. Beim Abmarsch jubelt uns die Bevölkerung begeistert zu.
Um 21 Uhr abends essen wir gut. Der Realschüler pumpt mich um 10 Mark an; ihm sei sein Geld gestohlen worden. Ich schlafe diesmal im Nebengebäude der Wirtschaft, zwar auch nur auf bloßem Stroh, in dem geschlossenen Raum ist es aber doch nicht so kalt wie die Nacht vorher in der Scheune.
9.8.1914
Um 6 Uhr stehen wir auf. Um 9 Uhr marschieren wir nach Bergheim zur Kirche – es ist Sonntag. Es predigte ein katholischer Pfarrer in dem Sinne, daß wir unsere jetzige Tätigkeit mit dem nötigen Ernste verrichten sollen. Dann zurück nach Wellenburg.
Tagsüber nichts Besonderes. Wir haben frei und dürfen bei Anfragen auch nach Augsburg gehen. Ich bleibe aber in Wellenburg, sehe mir das Schloß an und gehe spazieren.
10.8.1914
Heute erhalten wir unsere erste Löhnung: 3 Mark, pro Tag 25 Pfennig.
Hernach Instruktion mit Grundlegendem über die Einteilung eines Artillerieregimentes. Nachmittags endlich Einkleidung in der Kaserne: Waffenrock gut, Hose passabel, Schuhe miserabel.
Abends schlafe ich im Heu; bisher das beste Lager.
1.8.1914
Umquartierung nach Augsburg in ein Schulhaus. Der Boden der Zimmer ist mit Stroh bestreut, darüber sind Decken gebreitet. Verpflegt werden wir im Bauernmichel, einem Gasthaus. In der Schule bekommen die Einjährigen den Turnsaal zugewiesen. Ich komme mit 2 anderen Einjährigen zu spät bei der Belegung. Da uns niemand Platz machen will, gehen wir in ein anderes Zimmer. Die beiden neuen Kameraden, namens Krüger und Furtenbach, scheinen sehr nett zu sein.
Den ganzen Nachmittag über Faulenzen. Abends fröhliches Gelage in der Kantine, die im Keller des Schulhauses eingerichtet ist. Unser Stubenunteroffizier zeigt sich dabei als guter Sänger. Unter den Einjährigen scheinen viele Studenten aus München zu sein.
12.8.1914
Früh in den Kasernenhof, wo Post verteilt wird und ein Magistratsbeamter Verschiedenes ordnet. Nachmittags etwas Unterricht, dann wird das Stroh in den Sälen ausgeräumt. Dafür bekommen wir Strohsäcke, Bettdecken und ein Handtuch.
13.8.1914
Heute dürfen wir das erste Mal abends ohne spezielle Erlaubnis ausgehen.
14./15.8.1914
Von 8 bis 10 Uhr früh Freiübungen im Schulhof.
16.8.1914
Sonntag. Kirchgang von 9.30 bis 11.30. Nach dem Essen Ausgang bis 5 Uhr, Appell nach dem Abendessen. Ausgang bis 21.30. Zum ersten Mal wird der Zapfenstreich geblasen.
17.8.1914
Heute geht es los mit dem Geschützexerzieren.
19.8.1914
Von 7 bis 10.30 Fußexerzieren. Von 16 bis 19 Uhr Geschützexerzieren.
20.8.1914
Mittags gibt es Rindfleisch in die Hände, da wir noch keine Schüsseln haben. Ade, lieber Bauernmichel.
21.8.1914
Beim Menagefassen langes Warten. Gute Kost. endlich fassen wir einmal das uns bis jetzt unbekannte Kommisbrot. Abends Ausgang.
22.8.1914
Abends Ausgang von 18.30 bis 21.30. Ich gehe mit Krüger auf dessen Bude, wo er mir Verschiedenes zeigt, das auf Sozialdemokratie Bezug hat. Ich leihe ihm 5 Mark. Er läßt sich welches telegraphisch schicken. Später gehen wir in die Stadt ins Central. Abends noch ein bißchen Singen auf der Stube.
Heute wurde ein Unteroffizier der Landwehr, der auf Wache stand und eine Stunde fort ging, um 1 Maß Bier zu trinken, vom Major dabei erwischt und zu 21 Tagen Mittelarrest verknurrt.
23.8.1914
Wecken erst um 5.45., Reinigen der Stube und des Ganges, dann Kleiderappell. Die Einjährigen müssen alle zu Mittag in der Kaserne essen. Nachmittags Baden, frei bis 17 Uhr, Appell, dann wieder Ausgang bis 21.30.
24.8.1914
Nachmittags Versammeln in der Offiziersreitschule. Wir werden über die Bedeutung des Fahneneides aufgeklärt und bekommen auch die Kriegsartikel vorgelesen und erklärt.
25.8.1914
In der Infanteriekaserne Versammlung sämtlicher nichtvereidigter Mannschaften, hauptsächlich Freiwilligen. Um 8.30 Gottesdienst. Links ein Feldaltar für den protestantischen Geistlichen, rechts für den katholischen. Militärgeistlicher Lampart hält die Predigt für die Protestanten, eine sehr schöne Predigt, wie allgemein erklärt wird. Hernach Vereidigung. Erst wird uns die Aufforderung zum Eid vorgelesen. Dann müssen wir mit abgenommener Mütze und erhobener rechter Hand den Eid ablegen, in der Art, daß wir immer einen Satz vorgesagt bekommen und dann nachsprechen. Der General hält noch eine kleine Ansprache und bringt ein Hurrah auf König Ludwig aus. Dann Heimmarsch.
Zu Mittag gibt es doppelte Fleischportion. Hernach haben wir frei bis 17 Uhr, dann Appell, dann wieder frei bis 21.30.
Nachmittags gehe ich in die Pension Schmid, hernach in die Bank, mein früheres Geschäft. Die Geschäfte sollen sehr flau gehen. Rott ist nur noch allein da. Lauter wurde vor ein paar Tagen auch eingezogen. Moritz Schloß ist noch in Mödishofen. Herr Max Schloß, der Chef, sagt mir, ich solle einmal wiederkommen.
Nach dem Appell nehme ich Furtenbach und Straßer (den ich durch ersteren kennenlernte) mit in meine Wohnung.
Noch ist es ein Spiel für die jungen Männer, links hinten Wagner
26.8.1914
Nachmittags gibt es Freibier, d. h. für jeden eine Maß.
28.8.1914
Unser Wachtmeister Junker wurde zum Feldwebelleutnant befördert. Er hält uns eine kleine Ansprache. Unteroffizier Lampl, unser früherer Stubenunteroffizier in der Elias–Holl Schule wird an seine Stelle treten. Am Geschütz haben wir Unteroffiz. Rosenbusch, für das Zimmer Unteroffizier Kästle.
30.8.1914
Kirchgang, nachmittags Baden. Ich habe zum ersten Mal Zimmerdienst. Ich bleibe in der Kaserne, lese meine Zeitung und stöbere in unseren Büchern. Abends 18 Uhr kurzer Appell.
31.8.1914
Vormittags nach den Freiübungen wird uns bekanntgegeben, daß 30.000 Russen gefangengenommen wurden.
Das Geschützexerzieren ist heute hinter der Infanteriekaserne, vor einem schönen Gelände; Infanterie übt sich in der Mulde vor uns im Schießen. Es erinnert schon an ein Manöver.
1.9.1914
Ab heute dürfen von unserem Depot 30 Mann zu Hause schlafen und essen.
2.9.1914
Aus Anlaß der Sedan–Feier bekommen wir bis 12 Uhr Ausgang. Am Theater findet abends um 21 Uhr eine Serenade statt. Ich treffe mich mit Steinherr. Er zahlte mir die schuldigen 4.50 Mark. Mit Furtenbach zusammen gehen wir ins Central.
3.9.1914
Heute werden wir geimpft. Es ging sehr rasch. Wir gingen mit aufgestülptem Ärmel am Arzt vorbei, der in 3 Sekunden die Einschnitte machte.
4.9.1914
Beim Unterricht durch U.O. Koch bekommt dieser eine Kollektion Broschen etc. Er meinte, damit könne er 6 Weiber glücklich machen.
5.9.1914
Abends Zusammenkunft in der Lenzhalde, einem gemütlichen Lokal, das wir zu unserem Stammlokal zu wählen beabsichtigen. Ich treffe zufällig Steinherr, der den Abend mit uns zusammen verlebt.
6.9.1914
Großes Reinemachen, hernach Kirchgang. Nach dem Menagieren und nach dem Appell Ausgang ohne Unterbrechung bis 21.30. Ich mache einen kleinen Spaziergang mit Krüger in den Siebentischwald, bei dem wir mächtig philosophieren. Hernach gehe ich nach Hause und ordne an meinen Sachen.
7.9.1914
Kleiderappell den ganzen Morgen über. Wir müssen mit unseren gefaßten Kleidungsstücken erscheinen, damit durch den U.O. die felddienst– und garnisonsdiensttauglichen Stücke festgestellt werden können.
Beim Nachmittagsappell wird uns vom Wachtmeister Lampl in Aussicht gestellt, daß die Einjährigen jetzt wahrscheinlich zu Hause essen und schlafen dürfen.
8.9.1914
In der Frühe hatten wir statt Fußexerzieren Übungen im Winken, hierauf kurzen Unterricht in einer Reitschule über die Kriegsartikel, dann Unterricht durch U.O. Baldauf. Beim Geschützexerzieren am Nachmittag zeigte Vize–Wachtmeister Hagg wieder seine Kunst als Aufschwänzer. Abends Zusammenkunft in der Lenzhalde.
10.9.1914
64 Freiwillige wurden z. T. zu anderen Regimentern versetzt, z.T. (Ersatzfreiwillige) in die Heimat entlassen. Ich habe Zimmerdienst. Einjährige, die zu Hause essen und schlafen wollen, erhalten die Erlaubnis hierzu. Beginn unbekannt.
11.9.1914
Löhnung. Wir bekommen nunmehr 33 Pfennig pro Tag. Es soll rückwirkend ab 14. August sein. Nachbezahlt haben wir bis jetzt noch nichts bekommen.
12.9.1914
Um 5 Uhr großartiger Platzregen. Um 6.45 Appell im Gange vor der Kanzlei. Von 7.15 bis 8 Uhr Unterricht bei UO Baldauf, dann im Kasernenhof Einteilung als Kanoniere. Ich werde 4er, Furtenbach 3er, Krüger 1er. Hernach Unterricht am Geschütz bis 9 Uhr, bis 9.30 Fußexerzieren. Zum Schluß ein Dauerlauf von 10 Minuten.
13.9.1914
Großer Umzug. Ich komme erst in Zimmer 146. Von da wandert das ganze Zimmer nach Nr. 148. Nachmittags bleibe ich in der Kaserne. Wir sind jetzt insgesamt 12 in meinem Zimmer. Der Zimmerälteste heißt Tillmetz, ein Kunstmaler von Beruf.
14.9.1914
Früh beim Aufstehen liegt ein Fremder im Zimmer, der auf Befragen erklärt: „ Jetzt mueß’ i rein beim Soacheln in a annersch Zimmer kemma sei.“
Heute beginnt Einjährigen–Unterricht im Unteroffiziers–Kasino, täglich von 10.15 bis 11.15.
16.9.1914
Heute kommen von unserem Depot 50 Mann fort nach München (zum Einkleiden und von da anscheinend ins Feld). Unter ihnen ist ein Zimmergenosse.
17.9.1914
Als erste Arbeit für den Einjährigen–Unterricht ist heute ein Lebenslauf abzuliefern. 21 Fahrer und 20 Kanoniere von unserem Depot werden der Ersatzbatterie zugeteilt.
20.9.1914
Tillmetz und Ziste kommen auch zur Ersatzbatterie. Ich bleibe Sonntag–Nachmittag in der Kaserne.
Abends gehe ich mit Schmaus ins Riegele. Unterwegs begegnet mir Moritz Schloß in Zivil. Er begrüßte mich und fragte, wie es mit der Ausbildung stehe. Ich gab ihm Bescheid und fragte ihn, wo er jetzt sei. Er sagte, er sei mit einer mobilen Truppe hier in Augsburg in der Maschinenfabrik einquartiert. Ich solle wieder einmal ins Geschäft kommen. Im Riegele bleiben wir bis 21 Uhr sitzen, uns mit einem Augsburger Bürger unterhaltend.
21.9.1914
Umzug in Zimmer Nr. 166 zu UO Prieglmair. Prieglmair, bei dem ich schon in der Früh beim Fußexerzieren war, forderte mich dabei auf, ich solle zu ihm ins Zimmer kommen und womöglich noch ein paar von meinem Zimmer mitbringen. Es gingen noch mit: Maier, Keller, Storr, vom nächsten Zimmer Schmaus. Unser UO scheint ganz nett zu sein. Abends kommen noch vier andere UO ins Zimmer, wo sie singen und mordsmäßig Radau machen.
Heute bekommen wir auch wieder Löhnung und Brot. Die rückständigen 2,40 M Löhnungsdifferenz werden auch ausbezahlt.
22.9.1914
Nachmittags bei Exerzieren wunderbares Regenwetter. Ich habe mir scheinbar einen Katarrh und Mandelentzündung geholt. Ich bleibe im Zimmer, wo ich mit Leidensgenossen singe und esse.
Meine Zimmergenossen heißen:
Kraus, ein sehr sympathischer Mensch, der hier in einer Spinnerei in Augsburg war,
dann Oswald Metzger, der erst kurz eingetreten ist,
Rieger, ganz jung, soll etwas diebisch sein, er habe einem Kameraden 8.– Mark gestohlen: er ist sehr schwach gebaut;
ferner Dreier aus dem Elsaß. Scheint ganz gemütlich zu sein und hat einen mir gefallenden Dialekt, wie ein Schweizer.
Weber, ein Schneider, ziemlich dick.
Dazu die Bekannten aus Zimmer 148.
23.9.1914
Um 8 Uhr Visitation der Waffenröcke. Minholz, ein bekannter, älterer Einjähriger ließ sich heute ärztlich untersuchen, wurde als garnisonsdiensttauglich befunden und trat aus. Ich weiß nicht, was ihn dazu veranlaßt hat.
24.9.1914
Abends gehe ich wieder einmal in meine frühere Wohnung. Auf Raten der Hausfrau miete ich es für nächsten Monat nicht mehr.
25.9.1914
Früh wird ein Teil von uns untersucht, in Bezug auf Felddiensttauglichkeit, hieß es. Nachmittags komme ich mit meinem Zimmer daran. Ich staunte sehr über die flotte Untersuchung. Der Arzt behorchte mich mit dem Hörrohr und fragte: „Haben Sie einen Bruch, haben Sie Beschwerden beim Dienst, haben Sie Drüsen– oder haben Sie sonst irgendein Leiden?“ „Nein, Herr Stabsarzt!“, „Nein, Herr Stabsarzt!“... „Fertig, der nächste.“. Die Geschichte war erledigt.
Unser UO Prieglmair beginnt sich zu entwickeln. Heute in der Frühe sagt er: „Jetzt ist mein Waffenrock immer noch nicht geputzt. Da sind solehe Herren im Zimmer, von denen keiner einen Finger krumm machen kann. Diesen werde ich schon kommen. Jetzt gehe einmal einer her und putze meinen Waffenrock.“ Schmaus geht hin. „Das sind immer wieder dieselben, die arbeiten, die anderen drücken sich.“ Dann beanstandet er unsere Betten, sie seien schlecht aufgemacht, besonders das von Maier. „Machen Sie gleich Ihre Betten anders auf, ich werde Ihnen schon kommen. Da denken immer die Herren Einjährigen, sie seien etwas besonderes. Um keinen Deut sind sie besser, im Gegenteil noch dümmer.“ Maier und ich machen unsere Betten auf. Dann geht die Schimpferei weiter. „Wie es überhaupt in dem Zimmer aussieht. Die Hocker gehören nicht auf die Schränke. Die Namen, die von früher auf den Schränken und Bettladen sind, werden ausgewischt. Es wird jeder seinen Schrank jetzt kennen.“ Und so geht es weiter. Ich mache alles, was mich angeht, fertig. Für die anderen rühre ich keinen Finger. Ebenso macht es auch Maier und Storr. Schmaus hatte Zimmerdienst und mußte sowieso mithelfen.
26.9.1914
Früh wie sonst. Nachmittags beim Geschützexerzieren ein Ereignis: Vizewachtmeister Haugg lobte uns. Es gehe diesmal bedeutend besser als sonst, er hoffe, daß es so bleibe. Wenn wir uns Mühe gäben, würde auch die Anerkennung nicht ausbleiben etc. Schon in der Früh beim Fußexerzieren war er etwas gemäßigter.
Nach dem Geschützexerzieren Unterricht bei unserem Depotführer neben der übenden Mannschaft von Depot 1. Er gibt uns eine Gefechtslage und will von uns die Befehle haben, die wir als Hauptmann geben würden. Natürlich blamieren wir uns großartig.
Beim Appell erklärt der Leutnant, daß ab Montag eine andere Diensteinteilung komme. Für uns, die Kanoniere 7 bis 9.30 Fußexerzieren. Von 9.30 bis 10.30 Pause, von 10.30 bis 11.30 Unterricht (für uns Einjährige wie bisher von 10.15 bis 11.15 Uhr). Menagieren von jetzt ab an den langen Tagen um 12.15, an den kurzen um 11.45 Uhr. Am Montag Nachmittag weiter von 14 bis 16 Uhr Geschützexerzieren, darauf von 16 bis 18 Uhr Material–Unterricht (Anlegen von Zelten, Geschütz–Einbettungen, Anlage von Biwaks usw. ).
Hierauf verliest der Leutnant einige bereits verhängte Strafen. Rieger, der in meinem Zimmer liegt und Verschiedenes auf dem Kerbholz hat, muß am Dienstag einen Tag mittleren Arrest absitzen.
Nach dem Unterricht kommt plötzlich unser UO in das Zimmer geschneit und sagt ganz unvermittelt: „Also, ich mach’s jetzt so, daß ich mir einen ständigen Putzer nehme, wer will ihn machen?“ Kraus meldet sich. „Also, Sie brauchen jetzt keinen Zimmerdienst mehr machen.“ Kraus machte ein etwas langes Gesicht, er hatte sich anscheinend etwas mehr erwartet.
Storr sagte zu uns, er habe gestern nach dem Zwischenfall mit Prieglmair die Sache UO Scherm und Häusler, die er beide von Zivil her kenne, erzählt. Er habe auch beabsichtigt, die Sache dem Herrn Leutnant zu erzählen.
27.9.1914
Ich wachte auf und merkte, daß ich fürchterlich Abweichen hatte, gleich auf den Lokus und abgeprotzt. Nach einer Stunde nochmals. Großes Reinemachen der Zimmer und des Ganges. Unser UO war zufrieden. Wenigstens schimpfte er nicht. Vom Kirchgang drückte ich mich wegen meiner Abweichen. Ab 12 Uhr hatte ich Zimmerdienst und blieb deshalb in der Kaserne.
30.9.1914
In der Frühe Unterricht im Zeltbauen. Nachmittags Anfertigen einer Ansichtsskizze vom Gelände an der Lindauer Bahn. 10 Mann von uns sollen zum Reiten kommen, von unserem Zimmer Storr dabei.
Während des Zeichnens ruft uns der Leutnant einzeln zu sich heran. Mich fragt er: „Was sind Sie beim Geschütz?“ „4er, Herr Leutnant“ „Waren Sie schon beim Richtkreis?“ „Nein, Herr Leutnant“ „Aber gesehen haben Sie schon einen?“ „Jawohl, Herr Leutnant“ „Getrauen Sie sich, es zu machen?“ „Jawohl, Herr Leutnant“ Die Zeichnungen werden eingesammelt.
Ich hole mir abends meinen Drillich vom Waschen wieder und sehe mir auf dem Bahnhofe die Zugverbindungen an. Um einmal heimzufahren – nach Schwebheim –, brauche ich 20 Stunden, das wäre ein bißchen viel. Ich gebe also vorerst meine Absicht, heimzufahren, auf.
1.10.1914
Früh beim Geschützexerzieren bin ich beim Richtkreis.
Beim Durchnehmen der Zeichnungen von gestern lobt der Leutnant u. a. die meine. Sie sei nicht zeichnerisch veranlagt, ich scheine aber Verständnis für derlei Zeichnen zu haben. Im allgemeinen sei keine einzige von allen abgelieferten Zeichnungen brauchbar. Nur einige wenige, unter ihnen auch meine, seien mäßig zufriedenstellend.
20 Mann von unserem Depot kommen zur Ersatzbatterie, unter ihnen Schmaus. Für ihn bekommen wir Seibold, einen Einjährigen, den ich schon von der Wellenburg her kenne, ins Zimmer. Auch Keller stellt sich wieder vom Lazarett ein. Er war im Bockstall wegen Syphilis.
Löhnungsappell. Wir bekommen 20 Russen[4]. Sie werden vorerst auf die Zimmer verteilt. Wie ich hörte sollen sie auch gleich bei der Ausbildung uns eingereiht werden.
Am Montag soll Scharfschießen mit dem Gewehr auf dem Haunstetter Schießplatz beginnen. Am 9. Oktober Schulschießen auf dem Lechfelde. Will sehen, ob’s so bleibt.
An meinen Bruder Willy schreibe ich, daß ich vorerst noch nicht komme. Mein Bruder Richard rückt beim 9. Infanterie-Regiment in Würzburg ein.
2.10.1914
Es gibt Streitigkeiten in unserem Zimmer, da keiner mehr die Zimmertour am Sonntag übernehmen will.
3.10.1914
In der Frühe bin ich bei der Haubitze. UO Koch kann sich nicht genug tun des Lobes über dieses Geschütz, das er als das beste Geschütz der Welt überhaupt bezeichnet. Statt „Rundblickfernrohr“ sagte er regelmäßig „Fernblickrundrohr“. Es ist auch so wirklich ein wunderbares Geschütz, Modell 1913, gefertigt 1914, ganz präzis gearbeitet. Die Lafette ist trotz ihrer Schwere ganz leicht zu schwenken. Auch das Rohr ist sehr leicht zu kurbeln, obwohl das Rohr viel dicker ist als bei der Feldkanone.
Abends gehe ich wieder in die Wohnung und begleite Frl. Anny ins „Union“.
4.10.1914
Früh Zimmerreinigung und Kirchgang. Um 13 Uhr und um 18 Uhr Appell. Von Frau Schmid hörte ich, daß wir am 17. Oktober fort kommen. Auf dem Lechfelde sollen 2 Divisionen zusammengestellt werden.
Ich wollte Frau Götter aufsuchen und erfuhr bei dieser Gelegenheit von den gegenüber wohnenden Hausleuten, daß Götter in einem Gefecht bei Epinal auf der linken Seite: im Gesicht, an der Brust und am Oberarm schwer verwundet worden ist. Gegenwärtig liege er in einem Lazarett in Nürnberg. Seine Frau ist seit 8. September nach Nürnberg zu ihm gereist. Näheres erfuhr ich noch von der Regina Pichelmaier, die Ladnerin in einem kleinen Zigarrenladen am Dom ist. Zusammen mit ihr schrieb ich an Frau Götter einen Brief.
Der verwundete Freund Willi Götter
5.10.1914
Heute ließen wir uns photographiere mit unserem Zimmer-UO. Die neu eingetretenen Rekruten werden doch eigens ausgebildet. Scharfschießen haben wir heute einmal noch nicht.
Unser Metzger Oswald setzte heute Abend mit dem Schneider Weber gegen die „Herren“. Leider habe ich Zimmerdienst und muß das Geschwätz mit anhören.
6.10.1914
Es regnet. Wir hätten Materialunterricht und nun statt dessen „graben wir Schanzen“ im Stall auf dem Pflaster und mit den Mistgabeln. Beim Geschützexerzieren müssen wir auf vollständig aufgeweichtem Boden hinter der Kaserne üben.
Abends gehe ich in die Wohnung und hole mir einen Teil meines dort deponierten Geldes.
7.10.1914
Beim Frühappell wird Näheres über das Scharfschießen auf dem Lechfelde verlesen. Insgesamt soll unser Depot 60 Schrapnells und 16 Granaten verschießen dürfen. Das Schießen beginnt am Samstag, den 10. 10., um 12.30. Unsere 2 Haubitzen und 2 von den Feldkanonen sollen mitgenommen werden. Für die Übung stehen uns 110 Mäntel zur Verfügung. Ein Teil soll sich deshalb, wenn möglich, mit eigenen Mänteln versehen.
Beim Schanzengraben verletzt sich Kraus am Auge. Er bat mich, diese Verwundung in mein Tagebuch einzutragen, was hiermit geschehen ist.
Um 15 Uhr fassen wir unsere Mäntel. Wir sehen wie Vogelscheuchen darin aus. Es sind die schwarzen Mäntel und nicht von der 1. Garnitur.
8.10.1914
Einjährigen-Unterricht an der Lindauer Bahn. Markieren eines Ort-Gefechtes. Ich war Zugführer. Wir kommen erst bis 6 Uhr wieder in die Kaserne, so daß sie beim Appell ¾ Stunde auf uns warten mußten.
9.10.1914
Besichtigung der Mäntel. Heute kommen 60 Mann, zum größten Teil geheilte Verwundete, und 20 Pferde zu unserem Depot. Schießen mit Platzpatronen hinter der Kaserne. Die meisten Patronen verschießen immer die UO.
Ab jetzt wird scharf geschossen – noch ist es Übung.
10.10.1914
Um 8.51 ging unser Zug aufs Lechfeld. Unterwegs singen wir tüchtig. Auf dem Lechfeld angekommen werden wir erst auf den Schießplatz geführt, wo wir dem Scharfschießen von anderen Batterien zusehen.
Es kommen einige Unglücksfälle vor: einem Kanonier 2 wurde das Auge verletzt. Er hatte, wie der 1er abzog, sein Auge noch am Visierglas. An einem anderen Geschütz war der Sperrhebel am Verschluß beim Abziehen noch nicht eingeschnappt, so daß beim Abziehen nach dem Schuß der Verschluß von selbst aufsprang. Glücklicherweise fiel nur die Kartusche wieder heraus, das Geschoß war schon nach vorne hinaus. Bei einem dritten Geschütz fuhr das Schrapnell 50 m vor dem Geschütz in den Boden.
Hernach Menagieren: 3 Regensburger. Da wir bis zu unserem Schießen noch 2 Stunden Zeit hatten, suchten wir die gefangenen Franzosen auf und gafften sie an. Es sind verschiedene Waffengattungen und schöne Gestalten dabei. Leider dürfen wir über den Stacheldraht nicht hinüber.
Beim Schießen unseres Depots passierten keine Unglücksfälle wie vorher, dafür war es uns Kanonieren in anderer Beziehung interessant. Vize Aussem hatte das erste Kommando über unsere Batterie und blamierte sich dabei derart, daß der Major zum Depotführer sagte: „Der Mann kann ja nichts, rufen Sie einen anderen“. Dann kam Vize Hagg, bei dem es leidlich ging. Vize Hans konnte vor lauter Stottern das Kommando gar nicht wiederholen. Dann wurde UO Rosenbusch, der als Zieleinweiser fungierte, gestaucht, wobei der Major einmal zu ihm sagte: „Sind Sie ruhig“. Wir Kanoniere freuten uns königlich. Wie Widmann kommandierte, wurde Hagg, der dabei den 1. Zug befehligte, gestaucht „Ich sperre sie ein, wenn Sie es noch einmal machen. Können Sie nicht aufpassen?“ Auch UO Koch bekam sein Teil. Major Stahl sagte zu unserem Depotführer: „Wenn Ihre Leute nicht ausgebildet sind, dann schießen Sie einfach nicht.“, was natürlich auf die Vize und UO Bezug hatte.
Über uns Kanoniere soll unser Leutnant gesagt haben, daß wir besser schießen, als er geglaubt habe. Die Feldkanone war vom 7. Feldartillerie-Regiment in München, von uns waren 2 Geschütze dabei.
Abends ging’s per Bahn wieder zurück nach Augsburg.
11.10.1914
Wie immer sonntags Kirchgang. Nachmittags treffe ich mich mit Steinherr und Furtenbach, der noch einige Bekannte aus Schwabmünchen und Straßer dabei hatte, im National und abends ohne Steinherr im Central.
12.10.1914
Um 11 Uhr menagierten wir schon.
Um 11.30 marschierten wir, 40 Mann stark, unter Führung von UO Prieglmair auf den Schießplatz Haunstetten, ungefähr 7 km von Augsburg entfernt. Unterwegs kehrten wir einmal ein. Vor uns waren schon ungefähr 60 Mann, um 7 Uhr früh, hinaufmarschiert. Jetzt kamen sie uns schon wieder entgegen. Von uns durfte jeder 5 Schuß abgeben, 3 im Liegen und 2 im Stehen. Ich schoß 35 Ringe, was eine verhältnismäßig gute Leistung war. Wir durften uns ganz frei bewegen auf dem Schießplatz, durften rauchen und essen. Unser Leutnant schoß 28 Ringe, UO Koch 25, Major Schmanzl 0 (Schnapser). Von unserem Zimmer schoß Maier 31, Keller 29, Seibold 34. Von uns 40 Mann war die beste Leistung 39 Ringe. Die erste Abteilung von unserem Depot soll besser geschossen haben. Nach dem Schießen durften wir in die Kantine. Auf dem Heimmarsch führte uns UO Koch.
Ein Brief von Götter’s Gretel.
14.10.1914
Ich litt unter Nasenbluten.
16.10.1914
Abends 5.30 beim Appell bekomme ich meinen Urlaubsschein. Auf dem Weg zu meiner Wohnung begegnete ich Steinherr. Er wollte bei meiner Abfahrt am Bahnhof sein. Ich ließ noch meinen Koffer von der Wohnung an die Bahn schaffen. Mein Koffer kostete 1,60 M Fracht als Passagiergut, Mein Billet 2,60 Mark. Ich mußte immer noch über das verdutzte Gesicht meiner Hausfrau lachen. Sie konnte es nicht glauben, daß es beim Militär manchmal so rasch gehen kann. Am Bahnhof Donauwörth und in Treuchtlingen wurden von Rote-Kreuz-Schwestern belegte Brötchen, Zigarren etc. gereicht. Auch ich bekam mein Teil, obwohl ich mich dagegen wehrte, da ich weder verwundet noch im Feld gewesen sei. Zufällig traf ich in der Bahn einen Kursgenossen meines Bruders Willy, namens Rautter, er ist Vizefeldwebel beim 15. Infanterie-Regiment in Neuburg a. d. Donau. In Würzburg hatte ich zwei Stunden Aufenthalt, konnte aber mit der Zeit nichts anfangen.
17.10.1914
In Schweinfurt suchte ich gleich einmal meine alte Hausfrau, Frau Ludwig, auf. Der alte Herr Ludwig wird etwas tappich, sieht aber sehr gesund aus. Frau Ludwig ist die alte geblieben.
Zu Hause telephonierte ich Willy, so daß er schon um 6 Uhr zu Rad ankam. Nachmittags gingen Papa und Lore nach Schweinfurt. Ich blieb zu Hause und packte mit Bruder Eugen meinen Koffer aus, der inzwischen vom Bauern Ludwig von der Bahn abgeholt worden war.
Abends gingen wir mit Baron Ernst v. Bibra zu Zobel[5].
18.10.1914
Nachmittags ging ich in die Kirche, suchte Tante einmal auf und begleitete Willy ein Stück. Er fuhr per Rad wieder nach Ebersbrunn, wo er als Lehrer tätig war.
Willy’s Verlobung löste sich vor 8 Tagen. Es hatte ein Zerwürfnis gegeben, so daß sie sich gegenseitig die Ringe wieder zuschickten. Papa ist froh darüber, daß die Verlobung wieder auseinandergegangen ist, er meint, sie hätten doch nicht zusammengepaßt. Mit Frau Haas hatte ich noch am Samstag gesprochen, hatte allerdings nichts von der Sache gewußt. Sie sah zwar auch nicht unglücklich aus.
Abends gingen wir zu Rath’s[6].
19.10.1914
Um 5 Uhr stiegen wir auf. Um 5.45 ging es los. Im Aschenhof begrüßte ich Adolf[7] noch einmal. Ich hatte ihn am Samstagabend bei Zobel getroffen und begrüßt, was ihn sehr freute. Er sah etwas heruntergekommen aus. Am Sonntag hatte er mir einiges Backwerk hereingeschickt.
Eugen begleitete mich nach Würzburg. Um 11.30 trafen wir Richard. Er hatte eine Mordsfreude. Er war gerade vom Exerzieren gekommen und voller Dreck. Wir halfen ihm beim Putzen seiner Uniform. Leider mußten wir ihn um 13.30 wieder verlassen.
Eugen telephonierte von der Post aus an sein Geschäft und entschuldigte sein Wegbleiben. Dann setzten wir uns in ein Weinbeiserl und tranken Escherndorfer. Um 16.50 ging mein Zug. Eugen setzte sich etwas später wieder nach Schweinfurt in Bewegung.
Auf der Bahn wurde ich wieder vom Roten Kreuz mit Fressalien versehen. Um 21.30 kam ich wieder in Augsburg an und ging sofort in die Kaserne.
20.10.1914
Anstelle unseres Depotführers Leutnant Sturm, einem Weingutbesitzer aus Rüdesheim, bekommen wir Leutnant Wagner als Depotführer. Leutnant Sturm hält beim Frühappell eine Ansprache, in der er sagte, daß ihm im allgemeinen die Führung des Depots Freude gemacht habe. Er kommt jetzt zur Abteilung.
Leutnant Wagner ist ein mittelgroßer, schlanker, glattrasierter Mann von ungefähr 35 Jahren. Er kam vom Felde, wo er, wie er uns einmal gelegentlich sagte, mit Geschützdeckungen graben beschäftigt gewesen sei. Um die Ausbildung der Einjährigen kümmert er sich nicht.
Wir haben jetzt von Vize-Wachtmeister Hagg Unterricht, es ist jetzt womöglich noch langweiliger als früher. Leutnant Sturm stellte wenigstens häufiger Fragen und zwang so zum Aufpassen, während Hagg einfach aus Büchern vorliest und langweilige, selbstverständliche Erklärungen dazu gibt.
Das Geschützexerzieren wird jetzt anders gehandhabt. Das früher so oft geübte Auf- und Abprotzen gibt es jetzt nicht mehr. Es werden nur mehr indirekte Richtungen hergestellt.
21.10.1914
Löhnung. Brief von Ernst[8] , 2 Photographien von ihm liegen bei.
23.10.1914
Ich gab meinen Drillich zum Waschen, da für Sonntag Montur-Appell angesetzt wird.
24.10.1914
Wir hatten den ganzen Nachmittag über frei, da aufgenommen wurde, was wir noch an Putzzeug brauchen. Mit Storr hatte ich beim Reinemachen ein heftiges Recontre.
Auch mit dem lieben Keller hatte ich noch nie sympathisiert. Er ist trotz seiner Jugend ein durch und durch verdorbener Mensch, hat sich bereits eine Geschlechtskrankheit geholt, wie sein längeres Verweilen im Bockstall bewies. Außerdem ist er stinkfaul, was er beim heutigen Putzen zu beweisen, wieder Gelegenheit hatte. Noch niemand im Zimmer, außer ihm, hat sich geweigert, die Zimmertour zu machen, wenn er an die Reihe kam.
25.10.1914
Von der Kirchenparade blieb ich zu Hause und hatte dafür das Vergnügen, eine Visitation durch den Herrn Major mitzumachen.
Ungefähr 5 Minuten vor der Visitation lief ein UO von Zimmer zu Zimmer: „Das Zimmer herrichten, der Herr Major hält Zimmervisitation.“ Keller lag gerade im Bett unseres Zimmer-UO. Keller richtete das Bett. Ich kehrte rasch noch einmal aus, hakte den Scherrhaken am Fenster ein und erstattete Rapport, als der Major kam. Hurler machte ihm die Tür auf und schrie „Achtung!“ Ich stand still und meldete „Zimmer 116, belegt mit 1 UO und 10 Mann“ Der Major sah sich im Zimmer um, schaute auch hinter den Verschlag, fragte, wem das Brot, das auf dem Bette von Storr lag, gehöre, beanstandete, daß ein Bild auf einer Seite los war, und ging wieder.
Um 14.30 fand der Monturappell statt. Meine Uniform wurde beanstandet, weil sie nicht ausgeklopft war, so daß ich nochmal antreten mußte. Nachmittags mußte ich, weil Zimmerdienst, in der Kaserne bleiben.
Keller ließ sich von mir 1 Mark leihen, er wollte 2 Mark haben, ich sagte ihm aber, ich habe nicht mehr.
26.10.1914
Keller wollte heute von mir wieder 1 Mark haben. „Leider habe ich kein Geld.“
27.10.1914
Heute kam unser UO wieder vom Urlaub zurück. Abends war es schon vollkommen dunkel, bis das Geschützexerzieren fertig war.
28.10.1914
In der Frühe Strohsäcke ausleeren und mit neuem Stroh einfüllen.
Unser UO machte uns Einjährigen einen Heidenskandal, weil wir nichts täten. Besonders putzte er Keller zusammen, weil er am Sonntag in seinem Bett gelegen war „mit seinem Rufengesicht“[9]. Keller ist selbst schuld. Er hatte sich nach beendigter Kirchenparade vor allen gerühmt, daß er 5 Minuten vor Visitation noch auf dem Bett des UO gelegen habe, und ließ sich anstaunen. Der Metzger Oswald scheint es dann dem UO gesteckt zu haben. Storr wurde dito zusammengestaucht, weil er beim Strohsackeinfüllen nicht genügend sprang.
Ich konnte mich den ganzen Vormittag über vom Dienst drücken.
29.10.1914
Auch Storr pumpte sich heute 1 Mark von mir. Das ist doch großartig, gerade diejenigen im Zimmer, die ich am wenigsten leiden kann, kommen zu mir, wenn sie kein Geld haben.
Abends taten Keller und Storr mir gegenüber möglichst süß und hetzten, wir Einjährigen müßten zusammenhalten, mit den anderen, besonders Metzger Oswald, dürften wir nicht so freundschaftlich verkehren, es seien dumme Lackel. Ich ließ sie reden, oder hielt sie zum Narren, indem ich ihnen recht gab.
Für unseren Depotführer, Leutnant Wagner, der eine Zeitlang nach Jüterbogte muß, kam Vize-Wachtmeister Vogelberg zur Aushilfe. Er ist jung und scheint gemütlich zu sein. Er ließ uns nachmittags 1¼ Stunden spielen, statt Fußexerzieren. Ich spielte beim Dauerlauf mit. Beim Unterricht bekommen wir heute eine Aufgabe, die wir bis Dienstag fertigen müssen. „Wie sichern sich marschierende Truppen und welches sind die Aufgaben der Sicherungsabteilungen?“
30.10.1914
Vize Edenhofer wird nach München versetzt.
31.10.1914
Heute früh kam es zum großen Skandal, der schon lange drohend über uns hing. Ich hatte Zimmertour und fegte eben das Zimmer rein. Der UO Prieglmair sagte zum Keller: „Machen Sie mein Bett, Keller!“ Keller: “Ich habe nicht Zimmertour, Herr UO“ „Das ist egal, jetzt machen Sie mein Bett, Sie Frechie!“ „Ich mache das Bett, aber der Herr Wachtmeister hat gesagt, daß der Zimmertour-Habende das Bett machen muß.“ „So – also Sie haben gefragt beim Herrn Wachtmeister!“ „Jawohl, Herr UO“ Und nun ging es los. Keller hatte früher schon einmal im Zimmer gesagt, daß er das Bett nicht gerne mache, weil er glaube, er könne sich dadurch eine Krankheit zuziehen. Dem UO war dies hinterbracht worden, jetzt packte er damit aus.
Auch Storr kam daran. Er soll gesagt haben, daß UO Link für 5 Mark zu kaufen sei. UO Prieglmair ließ UO Link holen, welcher Storr abkanzelte. Dabei ließ er ganz respektable Ausdrücke fallen.
Nachmittags Löhnungsappell. Hierauf 1½ Stunden Spielen am Rosenauberg.
1.11.1914
Die Protestanten waren heute vom Kirchgang befreit. Um 12.45 Appell und dann frei für den ganzen Tag. Heute kam auch mein Schließkorb an und die bestellten Bücher von Lampart.
Gerne blieb ich in der Kaserne und übernahm dadurch auch die Zimmertour für Keller. Aus Dankbarkeit dafür erzählte er mir einiges von den Vorfällen, die den gestrigen Skandal verursacht hatten.
3.11.1914
Heute mußten wir unsere Arbeit abliefern.
Unser Vizewachtmeister Widmann mußte sich heute beim Geschützexerzieren vom Herrn Major einen Pfundskrach machen lassen: „Benehmen Sie sich etwa militärischer, da steht er die Hand im Bauch und schreit wie ein Gockel.“
Meine Schuhe sind bis heute noch nicht fertig.
4.11.1914
Unsere Geschütze werden umgeändert, d.h. sie bekommen alle das Rundblickfernrohr statt des bisherigen Visierglases.
5.11.1914
Meine Stiefel sind endlich fertig. Frau Ludwig schreibt mir eine Karte.
6.11.1914