Das Geheimnis des Orangengartens - Reena Browne - E-Book
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Das Geheimnis des Orangengartens E-Book

Reena Browne

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Beschreibung

Berlin, Ende des 19. Jahrhunderts: Emilia fühlt sich gefangen in der Ehe mit dem jähzornigen Schmuckhersteller Karl Witt. Als sie herausfindet, dass seine Spielsucht ihre Existenz bedroht, ist sie endgültig verzweifelt. Doch dann steht Emanuel Rufin, einer seiner Gläubiger, vor Emilia und bietet ihr einen Ausweg aus ihrer hoffnungslosen Situation, der weitreichende Folgen hat ...

Berlin, Gegenwart: Ihr neuer Übersetzungsauftrag scheint der jungen Leandra wie ein Glücksfall. Sie soll Verträge der exquisiten Schmuckmanufaktur Rufin übersetzen, Kost und Logis in dem imposanten Anwesen der Familie inklusive. Doch schon bald passieren seltsame Dinge. Nachts hört sie unheimliche Geräusche, jemand versucht sie zu vergiften, und von der heruntergekommenen Orangerie fühlt sie sich wie magisch angezogen. Keiner glaubt ihr. Bis auf Tim, verantwortlich für die Sicherheit des Anwesens. Er hilft Leandra den Dingen auf den Grund zu gehen. Dabei ahnt sie nicht, dass die Vorfälle mit dem Schicksal ihrer eigenen Familie verwoben sind ...

Alle Romane der Familiengeheimnis-Reihe sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Seitenzahl: 401

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Epilog

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

 

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Über dieses Buch

Berlin, Ende des 19. Jahrhunderts: Emilia fühlt sich gefangen in der Ehe mit dem jähzornigen Schmuckhersteller Karl Witt. Als sie herausfindet, dass seine Spielsucht ihre Existenz bedroht, ist sie endgültig verzweifelt. Doch dann steht Emanuel Rufin, einer seiner Gläubiger, vor Emilia und bietet ihr einen Ausweg aus ihrer hoffnungslosen Situation, der weitreichende Folgen hat …

Berlin, Gegenwart: Ihr neuer Übersetzungsauftrag scheint der jungen Leandra wie ein Glücksfall. Sie soll Verträge der exquisiten Schmuckmanufaktur Rufin übersetzen, Kost und Logis in dem imposanten Anwesen der Familie inklusive. Doch schon bald passieren seltsame Dinge. Nachts hört sie unheimliche Geräusche, jemand versucht sie zu vergiften, und von der heruntergekommenen Orangerie fühlt sie sich wie magisch angezogen. Keiner glaubt ihr. Bis auf Tim, verantwortlich für die Sicherheit des Anwesens. Er hilft Leandra den Dingen auf den Grund zu gehen. Dabei ahnt sie nicht, dass die Vorfälle mit dem Schicksal ihrer eigenen Familie verwoben sind …

REENA BROWNE

DasGeheimnis

des ORANGENGARTENS

Prolog

Das raue Holz des Schaufelstiels riss die zarten Innenflächen ihrer Hand auf. Für einen Moment hielt sie nach Atem ringend inne, da sie eine solche Anstrengung nicht gewohnt war. Das Licht einer beinahe abgebrannten Kerze tanzte unruhig über das Antlitz der toten Frau, die vor ihr auf den schwarz-weißen Fliesen lag. Ihr Blick streifte die Augen im blutüberströmten Gesicht.

Was habe ich nur getan? Dafür werde ich in der Hölle brennen.

Der Hass war so übermächtig in ihr gewesen und hatte jeden klaren Gedanken ausgelöscht. Krampfhaft holte sie Luft und sah sich um, dann überfiel sie die Angst. Was, wenn man sie mit der Leiche hier entdeckte? Hastig machte sie weiter. Schaufel für Schaufel häufte sie die Erde am Rand des Beetes auf, bis sie erneut erschöpft innehalten musste. Doch die Furcht trieb sie weiter, bis die Grube im Boden tief genug war. Mit zitternden Gliedern kroch sie aus dem Erdloch, das ein Grab werden sollte. Das Kleid und die Hände schmutzig, das Gesicht mit Schweiß bedeckt. Ihre Finger gerieten in die Blutlache, als sie sich auf dem gekachelten Boden abstützte.

Wie in Trance starrte sie ihre befleckte Hand an, dann wischte sie panisch das Blut an ihrem langen dunklen Rock ab. Für einen Moment war ihr, als würden die Glaswände auf sie zukommen und ihre Knie den Dienst versagen.

»Warum bist du nur gekommen?«, flüsterte sie der Toten leise zu. Ihre Furcht wurde übermächtig und schnürte ihr die Kehle zu. Niemand durfte je erfahren, was sie getan hatte. Mit dem Ärmel ihrer Bluse wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. Wenn sie zu lange blieb, würden ihre Bediensteten vielleicht nachsehen, wo sie war und sie hier finden.

Keuchend zerrte sie die Leiche in Richtung der ausgehobenen Grube. Im schwachen Kerzenlicht schimmerte etwas. Zögernd beugte sie sich hinab und entdeckte ein goldenes Medaillon, das am Hals der Toten glänzte. Mit einer raschen Bewegung riss sie es ab. Sicher ist das Schmuckstück von ihm,dachte sie verbittert. Es war aus Gold und der Deckel mit Diamanten besetzt, die im Dämmerlicht der einsamen Kerze funkelten. Umständlich versuchte sie, es zu öffnen, doch ihre Finger, immer noch feucht vom Blut der Toten, vermochten es nicht. Unschlüssig starrte sie das Medaillon an, dann steckte sie es mit einer harschen Geste in den Ärmel ihrer Bluse. Alles, was von ihm ist, gehört mir, dachte sie von unbändigem Hass erfüllt. Das aufkommende Gefühl verlieh ihr die Stärke, den toten Körper in die Grube zu zerren.

Als sie es schließlich geschafft hatte, verließen sie ihre Kräfte. Schwer atmend blickte sie auf ihr Opfer und bemerkte, dass sie nicht tief genug gegraben hatte. Dennoch blieb keine andere Wahl, und es musste ausreichen, so, wie es war. Eilig und mit letzter Kraft schaufelte sie Erde über den Leichnam.

Als sie damit fertig war, roch sie das Blut, das sich zu ihren Füßen gesammelt hatte. Der Geruch war abscheulich und schnürte ihr die Luft ab. Panisch stach sie mit der Schaufel in die lockere Erde und schüttete etwas davon über die Lache. Anschließend schob sie das vollgesogene Erdreich wieder auf das Beet zurück. Der Geruch war jetzt nicht mehr so stark, aber die blutigen Schlieren waren auf den Fliesen deutlich zu sehen. Nach Luft ringend hob sie ihren Blick und sah durch die Decke aus Glas, durch die der Vollmond leuchtete. Morgen würde sie dafür sorgen, dass niemand mehr diesen Ort betrat.

Völlig erschöpft ließ sie die Schaufel fallen und wankte zum Ausgang.

Als sie ins Haus zurückkehrte, lief sie ihrem Dienstmädchen in die Arme.

»Und, gnädige Frau, war sie da, so wie ich gesagt habe?«, fragte es neugierig und ließ ihren Blick über die beschmutzte Kleidung schweifen. Die Gedanken des kecken Dings standen ihm nur allzu deutlich ins Gesicht geschrieben, fand ihre Herrin.

»Nein, ich habe alles abgesucht, bis zum Steg hinunter. Aber da war niemand. Hast du mich vielleicht mit Absicht fehlgeführt?«, ging sie das Mädchen harsch an.

Die Dienstmagd schüttelte erschrocken den Kopf. »Nein, gnädige Frau, das würde ich niemals wagen. Die Küchenmagd hat doch gesagt, dass sie hier auftauchen würde. Ich …«, brach sie hilflos ab.

»Du dummes Ding, sieh mich an, gestürzt bin ich, weil ich dir geglaubt und alles nach ihr abgesucht habe. Bis zum Ufer bin ich gelaufen«, schrie sie.

Das Mädchen wich ängstlich zurück. »Es tut mir leid, gnädige Frau, lassen Sie mich helfen, damit …«

»Nein!«, unterbrach die Herrin ihre Magd wirsch. »Ich begebe mich in meine Zimmer und will nicht mehr gestört werden. So geh mir schon aus den Augen!«

Das Mädchen machte verängstigt auf dem Absatz kehrt. Als es verschwunden war, ging sie mit erhobenem Haupt die Treppe empor. In ein paar Tagen würde sie das freche Stück entlassen, dann würde es niemanden mehr geben, der von diesem nächtlichen Besuch Kenntnis hatte.

Oben im ersten Stock angekommen, ging sie an der Kommode mit dem schweren Silberspiegel vorbei. Ihr Schritt stockte, als sie ihr Spiegelbild darin sah. Das rote Haar zerzaust, die Wangen gerötet von der Anstrengung.

Mörderin!, schrie es ihr zu.

Ein erstickter Laut drang aus ihrer Kehle, und die Beine wurden ihr weich, dann floh sie vor dem Anblick zurück in ihre Zimmer.

Kapitel 1

Emilia. Berlin, 1899.

Ein leises Knarren ließ Emilia aus ihrem leichten Schlaf erwachen. Sie verkrampfte sich, als sie hörte, wie Karl sich fluchend über die Kommode beschwerte, an der er sich gestoßen hatte. Alkoholdunst, gepaart mit Zigarrenrauch, wehte zu ihr herüber, als er sich dem Bett näherte. Der Geruch verriet, dass Karl wieder einmal betrunken von den Spieltischen der Friedrichstraße heimgekehrt war. Emilia rührte sich nicht, denn sie hasste es, wenn ihr Mann in diesem Zustand ihre eheliche Pflicht einfordern wollte.

Inzwischen hatte er es geschafft, zur Seite des Bettes zu gelangen, wo er sich geräuschvoll auf die Kante fallen ließ und sich auszog. Das Klirren von Münzen war zu hören, die zu Boden fielen, als er sich die Hose über die Knie zog.

Als es ihm endlich gelungen war, seine Kleidung abzulegen, schob er sich neben Emilia unter die Bettdecke. Seine Linke packte grob ihre Hüfte und versuchte, sie auf den Rücken zu drehen. Aber sie hielt still. Ungehalten begann er, sie an der Schulter zu rütteln. Als Emilia nicht reagierte, griff er unter ihr Nachthemd. Sein alkoholgeschwängerter Atem streifte ihre Wange. Doch sie beherrschte sich mit eisernem Willen. Schließlich gab Karl seine Bemühungen auf und ließ mit einem gebrabbelten Fluch von ihr ab. Es dauerte nicht lange, als sein röhrendes Schnarchen neben ihr ertönte.

Emilia entspannte sich ein wenig. Bitterkeit stieg in ihr auf, zusammen mit dem Bedauern, sich nicht mehr gegen diese Heirat gewehrt zu haben. Ihre Mutter hätte diesem Ehehandel, den ihr Vater mit dem alten Witt geschlossen hatte, niemals ihre Zustimmung erteilt. Eine Heirat mit einem Bürgerlichen … Das hätte ihr sicher nicht gefallen. Aber was half es zu jammern? Ihr Vater war unfähig, mit Geld umzugehen, und ihre Mutter viel zu früh gestorben, als dass sie ihm hätte Einhalt gebieten können. Seine Verschwendungssucht hatte sie schon den Stammsitz der Arends in Ostpreußen gekostet. Gut Liebenau hatte weit unter seinem Wert verkauft werden müssen, um die Schulden zu tilgen, die Enno von Arend angehäuft hatte. Aber der Verkauf seines angestammten Erbes hatte ihren Vater nicht davon abgehalten, das Geld weiter mit vollen Händen auszugeben. Um den endgültigen Ruin abzuwenden, hatte er hinter ihrem Rücken diese Ehe arrangiert. Der alte Witt, ein reicher Schmuckfabrikant aus Berlin, hatte sich eine adlige Schwiegertochter gewünscht und ihrem Vater im Gegenzug für die Heirat eine großzügige monatliche Zuwendung zugesichert. Es war schon fast ein Jahr seit der Hochzeit vergangen, aber Emilia grollte ihrem Vater noch immer. Völlig schockiert war sie gewesen von dem Ansinnen, einen ihr gänzlich Fremden zu heiraten. Doch sie hatte nicht den Mut gehabt, sich gegen den Willen ihres Vaters zu stellen. Dennoch, das war gewiss, die ganze Sache hätte nicht die Zustimmung ihrer Mutter gefunden.

Wehmütig ließ Emilia ihre Gedanken zu dem alten Rittergut wandern, auf dem sie ihre glückliche Kindheit verbracht hatte. Mitten auf dem Land in all der Natur, den dunklen Wäldern, mit den kurzen Nächten im Sommer und der herrlichen Schneelandschaft im Winter. Doch all dies war für immer verloren. Berlin war jetzt ihre Heimat und damit auch diese Villa am Wannsee. Sie seufzte lautlos. Ihre Hoffnung, dennoch etwas Glück in dieser Ehe finden zu können, hatte sich bald nach der Hochzeit zerschlagen. Dabei war sie bei ihrer ersten Begegnung durchaus von Karl angetan gewesen. Wie zuvorkommend er sie behandelt hatte, welche Mühe er sich gegeben hatte, ihr den weitläufigen Garten der Villa Witt, samt Orangerie und Bootssteg, zu zeigen. Sein Benehmen an diesem Tag hatte sie über die fahlen Gesichtszüge und die schmächtige Statur hinwegsehen lassen. Nach der Hochzeit jedoch hatte es keinen Monat gedauert, als er das erste Mal betrunken in ihr Bett gekommen war. Es war nicht bei dem einen Mal geblieben, und so fand Emilia heraus, dass der Mann an ihrer Seite ein hemmungsloser Spieler und Trinker war. Das Schnarchen in ihrem Rücken wurde lauter, und die Matratze bebte, als Karl sich darauf herumwälzte.

Was nutzt es, mein Schicksal zu beklagen?

Es fehlte ihr an nichts, dazu war sie die Dame des Hauses, da Karls Mutter schon früh verstorben war – wie auch sein älterer Bruder, der jedoch nicht verheiratet gewesen war. Als Schwiegertochter vom reichen Friedrich Witt gehörte sie zu Berlins feiner Gesellschaft. Gleichgültig, wo ihre Wege sie hinführten, überall begegnete man ihr mit Respekt und Zuvorkommenheit. Doch da war dieses Gefühl einer tiefen inneren Leere, das sie ihn ihrem Herzen spürte. Der Gedanke, dass sie mit dem Mann, dessen Schnarchen sie in ihrem Rücken hörte, ihr ganzes Leben verbringen sollte, machte es nicht besser. Ein leiser Seufzer entfuhr ihr, dann zog sie die Decke weiter über ihre Schulter und dachte daran, was ihre Mutter ihr immer gesagt hatte: Liebe kleidet und nährt nicht, nur Ehemänner tun dies.

Kapitel 2

Leandra. Berlin, 2019.

Das Brummen des Motors erstarb, und Leandra zog den Schlüssel aus dem Zündschloss. Um rechtzeitig da zu sein, war sie früh losgefahren, mit einem Seitenblick streifte sie das Display ihres Smartphones, das auf dem Beifahrersitz lag: noch fünfzehn Minuten.

Mit einem mulmigen Gefühl zog sie mit ihrer Rechten die Mappe mit den Agenturunterlagen aus ihrer Handtasche. Rasch überflog sie die Referenzliste, die sie mitgenommen hatte. Es war schon eine Weile her, dass sie Akquise gemacht hatte, aber ihre Chefin hatte ihr keine andere Wahl gelassen.

»Da du ja gerade selbst keinen Klienten hast, solltest du das übernehmen, Liebes«, hatte Mariella ihr mit einem süffisanten Lächeln die Pistole auf die Brust gesetzt. »Wir müssen diese Ausschreibung unbedingt für uns entscheiden. Die Zeiten sind schlecht, und ein Auftrag von einem solch exklusiven Unternehmen würde uns eine Weile über Wasser halten. Ruf mich gleich an, wenn du den Auftrag hast!«

Es war typisch für ihre Chefin, so zu tun, als gäbe es keine Konkurrenz. Doch die Zeiten waren wirklich schlecht, das hatte Leandra am eigenen Leib zu spüren bekommen. Bis vor einem halben Jahr hatte sie für eine große Anwaltskanzlei in der Stadt internationale Verträge ins Französische übersetzt. Wie im Paradies war es ihr dort vorgekommen. Ein eigener Schreibtisch, geregelte Arbeitszeiten, samt einer italienischen Espressomaschine in der Küche. Doch aus Kostengründen hatte die Kanzlei ihre Dienste nicht mehr in Anspruch nehmen wollen.

Leandra seufzte, während sie sich aus der Mappe die Notizen herauszog, die Mariella ihr zu der Schmuckmanufaktur Rufin und ihrem CEO gemacht hatte. Zumindest war es nicht irgendeine Firma, und ihr CEO schien ein interessanter Mann zu sein. In den Werkstätten seiner Manufaktur wurde exklusiver Schmuck für die Reichen und Schönen kreiert. Preziosen, die auf den roten Teppichen der Welt zu Hause waren. Mariella hatte ihr sogar ein paar Bilder aus der Klatschpresse ausgedruckt, die die Rufins bei einer Gala zeigten. Ein Mann um die siebzig, verheiratet mit einer sehr viel jüngeren und überaus attraktiven Frau.

Angespannt steckte sie die Mappe in ihre Handtasche zurück und griff nach ihrem Handy, um den Selfiemodus einzuschalten. Sorgfältig überprüfte Leandra ihr Make-up, das lediglich aus etwas getöntem Lipgloss und Mascara bestand. Als Letztes strich sie sich über den aufgesteckten aschblonden Dutt, dann schnappte sie sich ihre Handtasche und stieg aus.

Vor dem Auto zupfte sie sich den marineblauen Blazer und die dazu passende Stoffhose zurecht und ließ ihren Blick über die vornehmen Villen schweifen, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu sehen waren. In der Gegend um den Wannsee kannte sich Leandra gut aus, doch in diese äußerst exklusive Ecke hatte es sie noch nie verschlagen. Ihre Linke griff in ihre Hosentasche und zog die Notiz mit der Adresse hervor. Die Straße stimmte schon mal, und sie konnte die Hausnummer sechzehn auf der anderen Straßenseite erkennen. Aber wo war die Fünfzehn?

Suchend fuhr ihr Blick über die hohe Mauer zu ihrer Rechten. Diese war mehr als zwei Meter hoch und schloss mit einem kunstvoll geschmiedeten Gitter ab. Nervös blickte Leandra auf ihr Handydisplay. Nur noch zehn Minuten bis zu ihrem eigentlichen Termin.

Unschlüssig lief sie an der Mauer entlang, bis ein schmiedeeisernes Tor in Sicht kam. Als sie sich diesem näherte, entdeckte sie auf einem altmodischen Emaille-Schild die gesuchte Hausnummer fünfzehn. Der erste Blick auf das Gelände nahm ihr förmlich den Atem. Die Villa selbst versteckte sich zur Hälfte hinter einer Baumgruppe und lag ein gutes Stück vom Zugang entfernt. Ein gepflasterter Gehweg zog sich, flankiert von üppig blühenden Blumenrabatten, über den parkähnlichen Garten bis zum Haus. Verblüfft nahm Leandra wahr, wie riesig das Grundstück war, denn sie blickte auf endlos scheinenden Rasen, in dem vereinzelt ein paar große Bäume standen, deren Wipfel sich sanft im Wind wiegten. Etwas weiter in der Ferne konnte Leandra Wasser in der Sonne glitzern sehen. Der Anblick war derart überwältigend, dass sich Anspannung in ihr breitmachte. Sich selbst zu verkaufen – oder besser die Agentur – war nicht ihre Stärke, und der Besitzer eines solchen Anwesens hatte sicher sehr hohe Ansprüche an einen Dienstleister. Doch was sein musste, musste eben sein. Sie atmete tief durch, dann drückte sie entschlossen auf die Klingel.

»Ja, bitte?«, ertönte eine dunkle männliche Stimme aus dem Lautsprecher.

»Guten Tag, mein Name ist Leandra Witt, und ich habe um sechzehn Uhr einen Termin zur Vorstellung unserer Übersetzungsagentur.«

»Einen Moment, bitte!«

Gespannt wartete Leandra darauf, dass das Tor sich öffnete, aber nichts geschah. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit ertönte ein Summen, und das Schloss entriegelte sich klackend. Nervös drückte sie das Tor auf und schritt den kunstvoll angelegten Weg entlang, der sich in einem sanften Bogen bis zum Haupteingang der Villa schlängelte. Für Anfang Mai war es schon recht warm, und im Garten zeigte sich ein Blütenmeer in verschwenderischer Pracht. Bunte Farben leuchteten im Sonnenlicht, und in der Luft lag der Geruch von Blumen und frisch gemähtem Rasen. Etwas abseits waren zwei Gärtner bei der Arbeit, um eines der Beete neu zu bepflanzen.

Leandra war gerade an ihnen vorbei, als sie ein merkwürdiges Gefühl überkam. Als würde jemand ihr sanft über den Nacken streichen. Jäh blieb sie stehen. Der intensive Duft nach Orangenblüten hüllte sie ein, und ihre Haut begann zu kribbeln. Nur für einen Moment. Verwirrt sah Leandra sich um, doch außer den beiden Gärtnern war niemand zu sehen. Zögernd ging sie weiter. Als sie den imposanten Haupteingang der Villa erreichte, hatte sie diese Empfindung schon wieder vergessen.

Zwei Säulen stützten ein Vordach, das über einer massiven Doppeltür aus dunkel gebeizter Eiche hing. Eine breite Steintreppe führte zum Eingang hoch, davor blieb Leandra kurz stehen, um staunend die Fassade zu betrachten. Dunkles Fachwerk durchzog die hell verputzten Mauern. Große Sprossenfenster samt ihrer dunkelgrünen Fensterläden durchbrachen das Mauerwerk. Die Villa strahlte eine vornehme Erhabenheit aus, die Leandra in ihren Bann zog.

»Frau Witt?« Die Stimme ließ sie unwillkürlich zusammenzucken. Ihr Blick fuhr nach oben, wo ein Mann im schwarzen Anzug im Türrahmen stand und mit fragendem Blick auf sie hinabsah.

»Ja, das bin ich.« Sie eilte die Treppe nach oben. Etwas zu forsch, sodass sie mit ihrer Schuhspitze an der obersten Stufenkante hängen blieb. Ein spitzer Aufschrei entfuhr ihr, als sie vornüberkippte und dem Mann buchstäblich in die Arme fiel. Für einen Augenblick roch sie den zarten Hauch von Sandelholz, als sich ihre Nase an den Stoff seines Jacketts drückte. Leandra spürte, wie zwei Hände sie ergriffen und sie mühelos, so schien es ihr zumindest, wieder auf die Beine stellten.

Vor Verlegenheit wurde sie knallrot, vor allem, da sie bemerkte, wie gut der Mann vor ihr aussah. »Danke, vielen Dank«, stammelte sie vor sich hin.

»Aber gern doch«, gab ihr Retter mit unbeweglicher Miene zurück, nur in seinen Augen funkelte es amüsiert. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen«, forderte er sie auf und ging ins Foyer zurück.

Leandras Herz klopfte rasend schnell. Wie peinlich war das denn, schimpfte sie mit sich selbst, während sie dem Mann durch den Eingang hinterherlief. Verstohlen musterte sie seine Rückseite. Der schwarze Anzug verlieh dem Hünen eine Aura von Unnahbarkeit, aber betonte auch seine durchtrainierte Figur. Dazu hatte er die blauesten Augen, die sie je bei einem Mann gesehen hatte. Zusammen mit dem dunklen kurz geschnittenen Haar sah er einfach umwerfend aus.

In der Eingangshalle wurde ihr Blick jedoch abgelenkt. Die mit hellem Marmor verkleideten Wände verströmten eine gewisse Kühle, die durch die großen Grünpflanzen, die überall herumstanden, etwas gemildert wurde. Zu beiden Seiten gingen dunkle Holztüren ab, während die Halle nach vorn durch eine mit Jugendstilelementen verzierte Glasfront abgegrenzt wurde. Leandra konnte durch das Glas einen Kamin und eine Sesselgruppe erkennen. Zu weiteren Betrachtungen kam sie nicht mehr, da der Mann im Eiltempo auf eine breite Treppe zusteuerte, die sich an der rechten Seite hoch in den ersten Stock zog. Die Stufen aus dunklem Holz knarzten leicht unter dem Tritt des Hünen, als er nach oben ging. Ein wenig eingeschüchtert von dem edlen Ambiente, folgte Leandra ihm und betrat schließlich einen geräumigen Flur, in dem ihre kleine Wohnung locker Platz gefunden hätte. Hellblaue Tapeten mit verspielten Blumenranken zogen sich über die Wände, an denen eingerahmte Fotos und Bilder hingen. Zu ihrer Linken fiel ihr eine wuchtige Spiegelkommode ins Auge, während auf der rechten Seite, vor dem Treppenaufgang in den zweiten Stock, das Porträt einer rothaarigen Frau in Trauerkleidung hing.

Leandra hätte sich das Bild gern näher angesehen, aber dafür blieb keine Zeit, denn der Mann ging mit langen Schritten auf eine offene Doppeltür zu. Er klopfte kurz an den Türrahmen, als er sie erreicht hatte, und trat ein.

Leandra folgte ihm und fand sich in einem Wohnzimmer aus der Biedermeierzeit wieder. Die Wände leuchteten ihr in sonnigem Gelb entgegen, das durch das Licht der Nachmittagssonne noch verstärkt wurde. Drei hohe Sprossenfenster bildeten eine breite gläserne Front, vor der ein grüngelb gemustertes Biedermeiersofa stand, um das sich zwei Sessel im gleichen Design und ein paar Beistelltischchen gruppierten. Ein breiter Schrank mit Glasfronten, eine ausladende Kommode und ein Sekretär komplettierten die Einrichtung.

Ein Räuspern riss Leandra aus ihrer Betrachtung. Der Mann in Schwarz sah sie mit hochgezogener Augenbraue an, dann wandte er sich an die junge Frau, die mit wiegendem Schritt hinter ihrem modernen Schreibtisch hervorkam. Der Arbeitsplatz mitten in diesem Wohnzimmer kam Leandra recht deplatziert vor.

»Julia, das ist Frau Witt«, stellte er sie vor.

Ein strahlendes Lächeln erhellte das Gesicht der Dame. Doch dieses galt nicht ihr, sondern dem Hünen.

»Danke, Tim, würdest du bitte kurz draußen warten«, gurrte die blonde Frau und bedachte ihn mit einem langen, intensiven Blick, ehe sie sich Leandra zuwandte. Ihr Gesichtsausdruck wechselte von erfreut zu bemüht.

»Frau Witt«, sie stöckelte auf ihren High Heels etwas näher an Leandra heran, dabei wippte ihr blondierter Pferdeschwanz über die Schulter, und ihr grellrot geschminkter Mund verzog sich zu einem halbherzigen Lächeln.

»Also … das ist mir jetzt sehr unangenehm, aber da muss etwas schiefgelaufen sein«, meinte sie süßlich. »Ich habe Ihrer Agentur gestern mitgeteilt, dass wir uns bereits für einen anderen Dienstleister entschieden haben, und den Termin für heute abgesagt. Aber offensichtlich …«, ein mitleidiger Blick traf sie, »ist das nicht bei Ihnen angekommen?«

Leandra setzte ihr professionellstes Lächeln auf und verfluchte insgeheim Mariella, weil sie nie ihre E-Mails las. Aber dann ist es wenigstens nicht meine Schuld. »Nein, das ist leider nicht bei mir angekommen, aber kein Problem, dann werde ich eben wieder gehen, dennoch vielen Dank für Ihre Mühe, ich …«

»Julia, wo bleibt denn mein Tee?« Ein Mann mit silbernem Haar hatte die Tür neben dem Schreibtisch mit Schwung geöffnet. Wulf von Rufin höchstpersönlich stand im Türrahmen und hielt, wie zur Bestätigung seiner Forderung, eine Tasse samt Unterteller hoch. Erst dann realisierte er, dass da noch jemand war. Als sein Blick auf Leandra fiel, wurde er schlagartig blass, und seine Augen weiteten sich. Dann rutschte ihm die Teetasse aus der Hand und zerbarst mit lautem Klirren auf dem Dielenboden.

»Ach, du meine Güte«, rief seine Sekretärin hektisch aus und begutachtete das Malheur auf dem Boden. Dieser Tim stürmte ebenfalls um die Ecke und blickte sich alarmiert um.

»Ich lasse das gleich wegräumen, Wulf!«, rief die Blondine und tippelte eilfertig hinter ihren Schreibtisch, um nach dem Telefon zu greifen. Doch bevor sie wählte, sah sie zu Tim.

»Bringst du Frau Witt bitte wieder hinaus.«

Dieser nickte und sah Leandra auffordernd an.

»Warte kurz, Tim«, hielt Wulf von Rufin ihn auf und trat an Leandra heran. »Entschuldigen Sie bitte, aber kennen wir uns nicht?«

Überrascht schüttelte Leandra den Kopf. »Nein, nicht dass ich wüsste«, gab sie irritiert zurück.

»Oh, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Wulf von Rufin.« Er lächelte, dennoch spiegelte sich in seinem Gesicht Erstaunen wider.

»Witt, mein Name ist Leandra Witt«, antwortete sie seltsam berührt.

Sein fragender Blick schweifte zu der Blondine, die ihn verwirrt ansah.

»Frau Witt wollte gerade wieder gehen, da ist ein kleines Missverständnis passiert«, erklärte diese mit einem künstlichen Lächeln. »Die Ausschreibung für die Übersetzungen ist doch schon entschieden. Ich hatte den Termin abgesagt, aber Frau Witt wurde das nicht mitgeteilt.«

»Ach so, ja.« Rufins Blick schweifte zurück. Er schien ratlos zu sein.

Doch Leandra verspürte kein Bedürfnis, dieser peinlichen Situation länger ausgesetzt zu sein als notwendig. »Gut, dann gehe ich mal wieder. Es hat mich sehr gefreut.« Sie wandte sich dem Ausgang zu, wo Tim schon auf sie wartete.

Kapitel 3

Emilia

»Danke, Magda«, sagte Emilia und nahm dem Mädchen die dampfende Tasse Kaffee aus den Händen.

»Dann braucht es für den gnädigen Herrn kein Frühstücksgedeck?«, fragte das stämmige Hausmädchen mit einem neugierigen Funkeln in den Augen.

Auch wenn Emilia nichts auf die Meinung von Dienstboten gab, so störte es sie, dass diese Karls Entgleisungen mitbekamen. »Nein, mein Mann ist unpässlich«, sagte sie daher knapp. »Geh wieder an deine Arbeit!«, forderte sie das Mädchen mit strenger Stimme auf, das daraufhin einen Knicks machte und sich abwandte.

Der Kaffee in der Tasse war brühend heiß, daher beeilte Emilia sich, diese in ihr Schlafzimmer zu bringen, wo Karl immer noch seinen Rausch von gestern ausschlief. Als sie das Zimmer betrat, roch es nach ausgeschwitztem Alkohol und kaltem Zigarrenrauch. Angewidert verzog Emilia ihr Gesicht, als sie seine verstreut herumliegende Kleidung auf dem Boden sah. Sie mochte es ordentlich und verabscheute es, wenn Karl den Bediensteten Anlass zum Spotten gab. Denn, so viel war sicher, Magda würde schon dafür sorgen, dass jeder im Untergeschoss von dem jämmerlichen Zustand erfuhr, in dem sich der Erbe des Hauses befand. Wieder einmal!

Mit schnellem Schritt war Emilia am Bett und stellte den dampfenden Kaffee auf dem Nachttisch ab. Karl hatte seinen Kopf unter den Kopfkissen vergraben und rührte sich nicht. Dabei war es schon zehn Uhr vorbei. Sein Vater, der alte Witt, war seit sechs Uhr auf den Beinen und hatte sich nach dem Frühstück in die Friedländerstraße fahren lassen, wo die Schmuckfabrik der Witts stand. Dort verbrachte er den größten Teil des Tages. Normalerweise wäre es Karls Pflicht gewesen, ihn zu begleiten, aber an Tagen wie diesen war er nicht in der Lage dazu. Emilia schüttelte ihren Kopf. Ihre Klagen nutzten nichts, und sie hatte auch keine Zeit dafür. Unten wartete schon Frau Gutmann auf sie, um die Aufgaben der kommenden Woche zu besprechen. Energisch ging sie zu den Fenstern und zog die goldgelben Seidenvorhänge auf, um das Sonnenlicht hereinzulassen. Als es hell im Zimmer wurde, begann Karl, sich im Bett zu rühren.

»Mach sofort die Vorhänge wieder zu!«, schnauzte er sie ungehalten an.

Missbilligend richtete Emilia ihren Blick auf ihren Mann. Die durchzechte Nacht hatte Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Die Haut wirkte aufgedunsen, und tiefe Ringe hatten sich unter seinen Augen eingegraben.

»Es ist Zeit aufzustehen, Karl, dein Vater ist schon seit Stunden in der Friedländerstraße«, bemerkte sie scharf. »Und das bisschen Sonnenlicht schadet dir nicht.«

»Mach die verdammten Vorhänge zu!« Seine Stimme war lauter geworden, und Jähzorn schwang darin mit. Mit einer wütenden Geste zog Emilia die Vorhänge wieder zu.

»Gut, dann verschlafe den Tag«, sagte sie und ging zum Nachttisch, um den Kaffee wieder mitzunehmen. Doch als sie neben dem Bett stand, griff Karl grob nach ihrer Hüfte und zog sie zu sich in die Kissen.

»Du könntest ja bleiben.« Er legte ungeschickt seine Hand auf ihre Brust.

»Bist du von Sinnen? Lass mich los! Das ist sündhaft!«, wehrte sich Emilia und schlug ihm auf die Finger.

»Was soll daran sündhaft sein?«, machte sich Karl lustig und griff erneut nach ihr. »Wir sind verheiratet, und mein Vater will, dass ich dir ein Kind mache.« Er zog sie an sich, bis sein Gesicht dicht vor dem ihren war.

»Nein, es ist mitten am Tag. Was erlaubst du dir! Das ist Sünde!« Emilia hörte selbst, wie ihre Stimme vor Unbehagen schrill wurde.

Karl schnaubte und ließ sie urplötzlich los. »Als ob es dir in der Nacht recht wäre«, gab er wütend von sich.

Emilia stand so schnell, wie es ihr möglich war, auf und strich ihre Kleidung glatt.

»Vielleicht wäre es mir eher recht, wenn du nicht so oft betrunken wärst.« Diese Bemerkung konnte sie sich nicht versagen.

Karls Augen wurden eng, und in seinem Blick begann es wütend zu glitzern. Emilia beeilte sich, aus dem Zimmer zu kommen. Erst als sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, verharrte sie kurz, um ihre Fassung wiederzugewinnen. Fahrig richtete sie ihre Kleidung und lief zum Hauptflur zurück, der die privaten Bereiche mit den Wohnräumen verband. Im Wohnsalon standen die Fenster weit offen, während zwei Mägde die Teppiche samt Kamin säuberten. Emilia konnte den kühlen Wind, der vom Wannsee herüberwehte, auf ihrem Gesicht spüren. Sie nickte den beiden Mädchen kurz zu und ging mit eiligem Schritt über den weitläufigen Flur. Dort stockte sie kurz und sah in den Silberspiegel, der auf einer geschwungenen Kommode an der Wand stand.

Ihr Gesicht war hektisch gerötet und ein paar Strähnen ihres honigblonden Haares hatten sich gelöst. Hastig versuchte Emilia, sie wieder festzustecken, damit die Bediensteten keinen weiteren Grund zum Tuscheln bekamen. Als ihre Frisur wieder tadellos saß, strich sie über den hohen Kragen ihrer weißen Bluse und zupfte ihn zurecht. Zuletzt drapierte sie die exquisite zweireihige Perlenkette mit dem großen Aquamarin in der Farbe ihrer Augen so, dass er bestmöglich zur Geltung kam. Ihr Schwiegervater mochte es, sie mit kostbarem Schmuck auszustatten, damit sie diesen auf ihren Wegen vorführen konnte. Nicht selten geschah es, dass sich eine vornehme Dame so begeistert davon zeigte, dass sie am nächsten Tag in das Juweliergeschäft der Witts Unter den Linden kam, um das Stück zu erwerben. Schließlich war Emilia mit ihrer Erscheinung so weit zufrieden, dass sie bereit war, nach unten ins Erdgeschoss zu gehen.

Von oben hörte sie Schritte, und einen Moment später erschien Bertram, der Diener des alten Witt, auf der Treppe zum zweiten Stock.

»Guten Morgen, gnädige Frau«, begrüßte er sie und verneigte sich leicht, als er vor ihr stand. Er hatte die Schuhe des Alten in der Hand, die er zum Putzen mitgenommen hatte. Emilia nickte ihm freundlich zu und ging in Richtung des Speisezimmers. Der alte Witt hinterließ ihr dort oft Anweisungen und gelegentlich auch einen Tadel, wenn ihn etwas verärgert hatte.

Als Emilia die Tür öffnete, schien die Sonne ins Zimmer und ließ die lichtgrünen Tapeten förmlich aufleuchten. Das Speisezimmer war ein sonniger und heller Raum, der durch die dunklen schweren Möbel jedoch einen Teil seines Charmes einbüßte. Der lange Eichentisch war mit einer makellos weißen Tischdecke verhüllt, auf dem schon die Gedecke für das Mittagessen standen. Die ganze Einrichtung war, wie im gesamten Haus, edel und vor allem sehr teuer. Friedrich Witt legte viel Wert darauf, dass seine Gäste nicht im Unklaren über seinen Reichtum gelassen wurden. Und tatsächlich lag eine kleine zusammengefaltete Notiz auf ihrem Platz. Sie nahm das Blatt auf und überflog es, doch es standen nur ein paar Dinge darauf, die sie besorgen lassen sollte. Erleichterung erfasste Emilia, da es kein Tadel war.

Sie hatte gerade die Tür hinter sich geschlossen, als ihr eines der Dienstmädchen mit hochrotem Gesicht entgegenlief.

»Gnädige Frau«, keuchte das Mädchen außer Atem und blieb stehen, um nach Luft zu schnappen.

»Ja, was ist denn, Berta?«

»Gnädige Frau, da ist Besuch für den gnädigen Herrn gekommen«, überbrachte sie atemringend die Nachricht. Ihr Blick schweifte hinter Emilia in den Flur, als ob sie erwarten würde, dass Karl dort jeden Moment auftauchte.

»Wer ist es denn?«, fragte Emilia mit leichter Ungeduld in der Stimme.

»Ein Herr, aber ich habe vergessen, nach dem Namen zu fragen«, antwortete die Magd zerknirscht.

»Ist schon gut, ich werde ihn empfangen, geh du wieder nach unten und richte Frau Gutmann aus, dass ich gleich zu ihr komme«, wies sie die Magd an.

Berta nickte eilfertig und wollte über die Haupttreppe zurückgehen.

»Mädchen, wo hast du deinen Kopf. Nimm die Dienstbotentreppe!«, wies Emilia sie zurecht.

»Entschuldigung, gnädige Frau, Entschuldigung«, gab Berta zurück und lief aufgelöst an ihr vorbei.

Ein Seufzer entfuhr Emilia. Das Mädchen ließ sich zu leicht aus der Fassung bringen. Sie sah der Küchenmagd nach, bis sie hinter der Gangbiegung verschwunden war, und steuerte dann auf die breite Holztreppe zu, die hinunter in die prächtige Eingangshalle der Villa führte. Auch hier hatte der alte Witt keine Kosten gescheut, um seine Kundschaft und andere Besucher zu beeindrucken. Emilia liebte den Protz nicht, Schlichtheit gefiel ihr besser. Aber ihrem Schwiegervater gegenüber empfahl es sich, ihn für seinen exquisiten Geschmack zu loben, denn dieser vertrug offene Worte oder gar Kritik nur sehr schlecht.

Vorsichtig raffte Emilia ihren langen dunklen Rock, als sie sich anschickte, die Treppe hinabzusteigen. Hoffentlich hatte Karl keine Verabredung mit einem Kunden vergessen, dachte sie angespannt. Solche Nachlässigkeiten gefielen seinem Vater ganz und gar nicht.

Als Emilia den Treppenabsatz erreicht hatte, sah sie den Besucher in der Halle warten. Er stand mit dem Rücken zu ihr und schien die prächtige Ausstattung des Entrées zu bewundern. Berta, das dumme Ding, hatte ihn natürlich hier unten stehen lassen und nicht, wie es für Besucher üblich war, in den kleinen Empfangssalon neben dem Eingang geführt. Als sie die letzten Stufen hinabstieg und das Holz unter ihrem Tritt knarzte, drehte sich der Fremde jäh um.

Emilias Schritt stockte, als der Mann ihren Blick fand. Der Besucher, der dort unten im Foyer stand, war nicht wie Karl oder andere Männer in ihrem Bekanntenkreis. Seine Haut war deutlich dunkler und sein tiefschwarzes Haar war so lang, dass es über den Kragen seines Mantels fiel. Doch am meisten zogen sie die hellen amberfarbenen Augen in den Bann. Wie gefesselt starrte sie den Mann an. Dann wurde ihr bewusst, was sie tat, und sie senkte rasch ihren Blick. Sie fand ihre Haltung wieder und stieg die letzten Stufen hinab.

»Guten Morgen, ich bin Emilia Witt, wie kann ich Ihnen behilflich sein?« Wie es ihre adelige Mutter sie gelehrt hatte, setzte sie eine unverbindliche Miene auf.

Der Mann musterte sie mit einem undefinierbaren Blick, dann nahm er seinen Hut ab und verneigte sich vor ihr. »Gnädige Frau, mein Name ist Emanuel von Rufin, und ich hätte gern Ihren werten Gatten gesprochen.« Seine Stimme klang dunkel und angenehm in ihren Ohren. Nachdem er den Hut abgenommen hatte, stand ihm das schwarze Haar etwas wirr vom Kopf ab, was ihm ein jungenhaftes Flair verlieh. Und jetzt, da sie kaum mehr als zwei Schritte von ihm entfernt stand, konnte sie sich seinem exotischen Aussehen nicht entziehen. Er war größer als Karl, mit breiten Schultern und einem Gesicht, das fast zu schön für einen Mann war. Mit hohen Wangenknochen und den schräg stehenden Augen, die ihr hell wie Bernstein entgegenleuchteten. Ihre strenge Erziehung hatte sie gelehrt, Fremden gegenüber keinerlei Gefühl zu zeigen und erst recht nicht zu offenbaren, dass der Anblick dieses Fremden ihr Herz schneller schlagen ließ. Verwirrt durch die seltsame Empfindung, setzte sie eine abweisende, eisige Miene auf.

»Es tut mir außerordentlich leid, Herr von Rufin, mein Gatte ist leider unpässlich. Eine Erkältung, nichts Ernstes. Aber vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen?« Sie bemühte sich, ihre Worte so beiläufig wie möglich klingen zu lassen.

Der Mann rührte sich für einen Moment nicht, sondern sah ihr nur in die Augen. Emilia spürte, wie ihr Mund trocken wurde, als sie seinen Blick erwiderte.

Dann lächelte Rufin, allerdings erreichte das Lächeln nicht seine Augen. »Nein, gnädige Frau, da es um eine geschäftliche Transaktion geht, muss ich Ihren Gatten persönlich sprechen, aber nun, da er unpässlich ist, werde ich an einem anderen Tag wiederkommen.« Der eisige Unterton war nicht zu überhören.

Emilia stieg die Hitze ins Gesicht, da ihr bewusst wurde, dass er nur auf ihre abweisende Art reagierte.

»Nun denn, es tut mir leid, dass Sie völlig unnötig den Weg auf sich genommen haben.« Sie bemühte sich, ihre Stimme fest klingen zu lassen.

»Nein, der Weg war nicht umsonst. Ganz und gar nicht«, erwiderte Rufin kalt und musterte sie erneut mit einem unterkühlten Blick. »Aber nun muss ich mich empfehlen, richten Sie Ihrem geschätzten Gatten gute Besserung aus.« Er verbeugte sich knapp und setzte seinen Hut, den er in den Händen gehalten hatte, wieder auf. Ein letzter Blick, dann war er auch schon aus der Tür.

Kapitel 4

Leandra

Als Leandra ihre Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, schleuderte sie als Erstes die hochhackigen Schuhe von sich, die sie schon den ganzen Tag gequält hatten. Als Nächstes landeten ihr Blazer und ihre Handtasche auf der Kommode im Flur. Vom schmerzenden Schuhwerk befreit machte sie sich auf den Weg in die kleine Küche. Müde zog sie ihre Bluse aus dem Hosenbund heraus und bemühte sich, den drei Umzugskartons, die an der Wand ihres Flurs gestapelt waren, auszuweichen. Chris’ restliche Sachen, die er holen würde, sobald er aus dem Urlaub mit seiner neuen Freundin zurück war.

Vor dem Kühlschrank blieb sie stehen und löste ihren Dutt. Während sie ihr langes Haar mit den Fingern ordnete, schlich sich der Gedanke in ihren Kopf, dass Chris vielleicht doch recht damit hatte, dass sie nichts aus ihrer Erscheinung machte. Nachdenklich betrachtete sie eine Haarsträhne in ihrer Hand und überlegte sich, ob sie nicht mal Rot wagen sollte. Doch sie verwarf den Gedanken gleich wieder. Seit Chris’ Auszug war Geld ein sehr knappes Gut. Denn er hatte sich nicht nur von ihr getrennt, sondern war Hals über Kopf aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und hatte sie auf den Kosten sitzen lassen. Besuche beim Friseur waren im Moment nicht drin.

Missmutig machte sie den Kühlschrank auf und griff nach einer einsamen Bierflasche. Die letzte aus Chris’ Vorrat. Sie öffnete sie und nahm einen Schluck. Das bittere Gefühl auf ihrer Zunge war widerlich, aber irgendwie brauchte sie das jetzt.

Mit dem Bier in der Hand setzte sie sich auf die Couch und legte ihre Füße auf dem Beistelltisch ab. Dabei ließ Leandra ihren Blick über die Wohnungseinrichtung schweifen oder was eben nach Chris’ Auszug noch davon übrig geblieben war.

Bei dem Anblick kam die Wut wieder in ihr hoch. Dieser Idiot! Sie nahm einen weiteren Schluck Bier und verzog das Gesicht, weil die Bitterkeit ihre Zunge malträtierte. Ihre Trennung war schon Wochen her, aber Chris’ Antwort auf die Frage, warum er sie verlassen hatte, war wie eine schwelende Wunde in ihrer Seele. War sie wirklich fade und reizlos geworden, wie er behauptet hatte? Leandra hatte sich in den letzten Wochen immer wieder gefragt, was in den drei Jahren ihrer Beziehung schiefgelaufen war. Aber sie hatte keine Antwort auf diese Frage gefunden. Der Wunsch, mit jemandem zu sprechen, stieg in ihr auf. Doch es gab niemanden, mit dem sie über ihre Sorgen hätte reden können. Es hatte sich als großer Fehler herausgestellt, ihre Beziehung zu Chris über alle anderen Menschen in ihrem Leben zu stellen. Das hatte sich nun bitter gerächt.

Wenn nur Mama noch leben würde!

Leandra würgte einen weiteren Schluck Bier hinunter. In solchen Augenblicken vermisste sie ihre Mutter schmerzlich. Ein Anflug von Resignation überkam sie, wenn sie an die vergangenen Jahre dachte. Warum bekam sie nichts auf die Reihe? Weder Job noch die Beziehungen in ihrem Leben entsprachen dem, was sie sich einmal vorgestellt hatte. Das abgebrochene Studium in ihrem Lebenslauf machte sich nicht eben gut. Der Job in Mariellas Agentur für Übersetzungen hatte sie nur ihrem herausragenden Französisch und Portugiesisch zu verdanken und der Tatsache, dass sie sich mit der schlechten Bezahlung zufriedengab. Leandra setzte zu einem weiteren Schluck an. Das Bier ist so bitter wie mein Leben. Ihre Gedanken wanderten zu ihrer Mutter zurück. Der Tag, an dem ihr Vater seinen Töchtern gesagt hatte, dass Mama nicht mehr aus dem Krankenhaus kommen würde, weil sie den Kampf gegen den Krebs verloren hatte, hatte sich in ihre Erinnerung eingebrannt. Kurz vor ihrem zwölften Geburtstag war das gewesen. Der Tod ihrer Mutter hatte sie in tiefe Verzweiflung gestürzt, genauso wie ihren Vater, der aus Gram gänzlich die Kontrolle über sein Leben verlor. Nur Ari hatte dafür gesorgt, dass alles seinen Gang ging.

Leandra schüttelte unwillkürlich ihren Kopf, denn sie wollte nicht an ihre Schwester denken. Sie nahm einen besonders tiefen Schluck aus der Flasche. Die schöne, temperamentvolle Ariane, die nur einen Raum betreten musste, um alle Blicke auf sich zu ziehen. Mit den langen, fast schwarzen Haaren und diesen bernsteinfarbenen Augen, die selbst Eis zum Schmelzen brachten. Vaters Liebling! Nie hatte er ihr etwas abgeschlagen, sondern ihrer Schwester die Goldschmiede und auch das Elternhaus überschrieben, ohne auch nur einen Gedanken an Leandra zu verschwenden. Ariane, die ihr ständig vorgehalten hatte, zu viel zu Lesen, zu still oder zu blass zu sein. Zwölf Jahre war es her, dass sie ihr Elternhaus im Zorn verlassen hatte.

Warum muss ich ausgerechnet jetzt daran denken?

Sie rieb sich ihre Schläfe, als könnte sie so das Bild vertreiben, das vor ihrem inneren Auge aufstieg. Das Bett ihrer Schwester, in dem sich ineinanderverschlungene Leiber rekelten. Benny war ihr Freund gewesen, aber Ariane hatte das nicht gekümmert.

Nein, Schluss damit, ermahnte sie sich selbst. Gedankenverloren starrte sie auf ihr Bier in der Hand, dann trank sie den letzten Rest in einem Zug aus. Müde stand sie auf, um die leere Flasche in die Küche zu bringen, als ihr Handy klingelte. In diesem Moment fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, Mariella über den Verlauf des Termins zu informieren.

Lustlos ging sie in den Flur zurück und holte das Telefon aus ihrer Handtasche. Als sie Mariellas Namen auf dem Display sah, biss sie sich auf die Unterlippe. Auch wenn es nicht ihre Schuld war, dass aus dem Auftrag nichts werden würde, ihre Chefin würde nicht erfreut sein.

»Ja, bitte?«

»Ich bin’s, Mariella, bist du schon zu Hause?«, fragte sie mit einem lauernden Unterton in der Stimme.

»Ja, das bin ich«, gab Leandra zögerlich zu. »Ich wollte dich gerade anrufen«, meinte sie dann.

»Nein, das ist nicht mehr nötig, Herr von Rufin hat sich schon gemeldet. Du warst erfolgreich, zumindest teilweise.« Mariella klang etwas pikiert.

»Wie bitte? Was bedeutet denn teilweise?«

»Das bedeutet, dass du Rufin nicht so beeindruckt hast, wie ich es mir gewünscht hätte. Aber er lässt dich zur Probe arbeiten. Eine Woche lang. Ich habe schon zugesagt. Du fängst am Montag an«, teilte sie im Befehlston mit.

Leandra fragte sich, wie das möglich war, da der Termin eigentlich gar nicht stattgefunden hatte.

»Okay, wann und wo soll ich mich am Montag melden?«, fragte sie nach.

»Um acht Uhr morgens in seiner Privatresidenz. Ach so, er hätte gern, dass du während dieser Woche auch dort wohnst. Auch das habe ich ihm schon zugesagt.«

»Wie bitte, habe ich das richtig verstanden, ich soll da wohnen?«, gab sie erstaunt zurück.

»Ja, ist das ein Problem?« In Mariellas Stimme schwang plötzlich ein drohender Unterton mit.

»Nein, nein, ist schon gut. Gleich am Montag melde ich mich da um acht Uhr morgens«, versicherte Leandra ihrer Chefin.

»Schön, dass ich auf dich zählen kann. Du weißt: Wir brauchen diesen Auftrag unbedingt!«

»Aber warum ich dort wohnen soll, hat er dir nicht gesagt?«, wagte Leandra die vorsichtige Frage.

»Was weiß ich denn, der Mann ist halt ein Exzentriker. Solange er dafür bezahlt, kann es dir doch egal sein.«

Als Mariella aufgelegt hatte, starrte Leandra auf ihr Handy. Der Termin war abgesagt worden, und sie hatte kaum mit Rufin gesprochen. Warum hatte er sich für sie entschieden, und weshalb sollte sie dann dort auch noch wohnen? Der Mann ist halt ein Exzentriker, hallten Mariellas Worte in ihr nach.

Schließlich zuckte Leandra mit den Achseln. Es gab Schlimmeres, als eine Woche am Wannsee zu verbringen.

Kapitel 5

Emilia

»Der junge Rufin war hier? Was hast du denn mit diesem Bastard zu schaffen, dass er es wagt, einen Fuß in dieses Haus zu setzen?«, ging der alte Witt seinen Sohn an. Sein Gesicht war vor Ärger hochrot angelaufen.

Emilia krampfte ihre Finger um den silbernen Löffel und versenkte ihren Blick peinlich berührt in die kalt werdende Suppe. Warum habe ich nur nicht meinen Mund gehalten? In ihrer Unbedarftheit hatte sie Karl nach dem Mann gefragt, der ihn am Morgen hatte sprechen wollen. Nicht ahnend, dass allein die bloße Erwähnung des Namens Rufin den Alten derart aus der Haut fahren ließ. Als sie ihren Blick kurz hob, sah sie, wie Karl sie mit einem bösen Seitenblick bedachte.

»Ich habe nichts mit ihm zu schaffen, wenn du es genau wissen willst, Vater. Ich habe ihn gestern rein zufällig getroffen und keine Ahnung, warum er mich heute Morgen aufgesucht hat«, gab Karl hitzig zurück.

Im Blick des alten Witts begann es bedrohlich zu funkeln. Emilia ließ ihren Löffel nun ganz sinken, denn der Streit verdarb ihr den Appetit auf das Abendessen.

»Wo hast du ihn getroffen, Karl? In einer der Spielhöllen, in denen du so gern das Geld lässt?« Ein abfälliger Unterton lag in seiner Stimme.

Emilia sah von ihrem Teller auf und bemerkte, wie sich kleine Schweißperlen auf Karls Stirn bildeten. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er log.

»Dachtest du wirklich, ich weiß nicht, wo sich mein Herr Sohn am Abend herumtreibt?« Friedrich Witt verzog höhnisch sein Gesicht. Karl dagegen presste die Lippen vor Wut aufeinander, dass sie nur noch zwei blasse Striche waren.

»Es ist ein gelegentliches harmloses Vergnügen, Vater!«, raunte Karl. Dabei strich er, wie immer, wenn er aufgewühlt war, mit seiner Linken die Enden seines Schnurrbarts zurecht.

»Ein gelegentliches, harmloses Vergnügen!«, polterte sein Vater los. »Das glaubst du doch selbst nicht. Woher hast du das Geld, Karl? Ich bin mir sehr sicher, dass meine Buchhalter die Anweisungen, dir kein Geld mehr auszuzahlen, strikt befolgen«, forderte Friedrich Witt energisch eine Antwort ein.

Emilia sah, dass Karl schlagartig blass wurde. Auch seinem Vater war diese Veränderung nicht entgangen.

»Was hast du getan, Karl?« Während er sprach, breitete sich eine flammende Zornesröte auf seinem Gesicht aus. »Du hast dir doch nicht etwa Geld von dem jungen Rufin geliehen?«, schrie er mit einem Mal los, so laut, dass Emilia vor Schreck zusammenzuckte.

»Aber ich habe ni…«, wollte Karl den Vorwurf abwehren, doch sein Vater unterbrach ihn harsch.

»Lüg mich nicht an! Wie viel?«, brüllte Friedrich Witt über den Tisch hinweg, sodass Emilia vor Bestürzung die Luft anhielt. Das Gebrüll seines Vaters bewirkte bei Karl, dass er mit einem Mal die Schultern hängen ließ und seinen Blick auf das feine Damast-Tischtuch senkte.

»Tausend Mark.« Es war nur ein Flüstern.

»Tausend Mark?«, wiederholte der alte Witt entgeistert. »Bist du denn völlig verrückt geworden?« Eine Ader an der Stirn des Alten hatte zu Pochen begonnen, wie Emilia bemerkte. »Du hast Geld von diesem ruchlosen Halsabschneider angenommen, stehst in seiner Schuld?« In den Augen ihres Schwiegervaters funkelte die blanke Wut.

»Rufin ist ein Ehrenmann, genau wie ich einer bin. Ich werde ihm das Geld zurückzahlen, aus eigener Tasche«, wehrte sich Karl halbherzig.

»Ehrenmann? Der junge Rufin ist kein Ehrenmann. Der ruchlose Sohn einer Hexe ist er, der nichts Gutes im Sinn hat, das verspreche ich dir. Er will seinen Vater rächen, nichts sonst, und wie bekommt er das hin? Indem du in seine Falle tappst«, erregte sich der alte Witt weiter.

Emilia, die der Szene schweigend zusah, versuchte, ihre Genugtuung zu verbergen, die sie angesichts der Zurechtweisung von Karl durch seinen Vater empfand. Geschah es ihm doch Recht, dass sein Hang zu Spielen von dem Alten so heftig gerügt wurde. Dennoch war sie auch besorgt, denn Karl war nachtragend und würde nicht vergessen, dass sie den Grund für diesen Streit geliefert hatte.

»Habe ich nicht das Recht auf ein bisschen Zerstreuung, nach der ganzen harten Arbeit, die ich leiste?«, begehrte Karl plötzlich auf.

»Harte Arbeit nennst du das? Bis elf im Bett zu liegen und abends das hart verdiente Geld deiner Familie zu verspielen? Schämen solltest du dich, Karl, in Grund und Boden. Die Familienehre so in den Dreck zu ziehen.« Sein Vater schlug mit beiden Händen auf den Tisch und brachte damit das Geschirr zum Klirren. Schwer atmend hielt der alte Witt inne. »Es ist schon ein Graus, dass dein Bruder tot ist und du …« Er brach jäh ab.

Karl wurde kreidebleich. Abrupt stand er auf und stieß seinen Stuhl dabei um.