Das Gold der Raben - Andrea Schacht - E-Book

Das Gold der Raben E-Book

Andrea Schacht

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Beschreibung

Als sei der Fund eines toten Säuglings nicht schrecklich genug, erkennt Myntha rasch, dass diese Angelegenheit noch nicht beendet ist. Denn ihr Vater, der Fährmann Reemt, scheint mehr darüber zu wissen, doch er schweigt beharrlich. Währenddessen steht die Hochzeit ihres Bruders mit ihrer besten Freundin kurz bevor, und auch ihre eigene Verlobung nähert sich. Da werden schwere Anschuldigungen gegen ihren Vater erhoben, und für Myntha rückt alles andere in den Hintergrund. Sie muss zuerst ihrem Vater beistehen – und beginnt, Fragen zu stellen …

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Seitenzahl: 389

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Buch

Zunächst schenkt der Fährmeister von Mülheim, Reemt van Huysen, dem gelieferten Fass kaum Beachtung. Schließlich hat er es nicht bestellt. Doch als es geöffnet wird, macht seine Tochter Myntha einen schrecklichen Fund. In dem Fass befindet sich ein toter Säugling. Reemt hüllt sich in Schweigen, aber Myntha ist klar, dass er etwas verheimlicht. Schnell breitet sich das Gerücht aus, dass das Kind unehelich geboren und ertränkt worden war – und dass Reemt der Vater wäre …

Nicht einmal auf Mynthas beharrliches Drängen ist der Fährmann bereit, irgendetwas zu der Angelegenheit zu sagen. Ist ihr Vater tatsächlich des Ehebruchs schuldig? Myntha beginnt nachzuforschen. Doch was sie schließlich herausfindet, hätte sie niemals vermutet.

Autorin

Andrea Schacht (1956–2017) war lange Jahre als Wirtschaftsingenieurin und Unternehmensberaterin tätig, hat dann jedoch ihren seit Jugendtagen gehegten Traum verwirklicht, Schriftstellerin zu werden. Ihre historischen Romane um die scharfzüngige Kölner Begine Almut Bossart gewannen auf Anhieb die Herzen von Lesern und Buchhändlern. Mit Die elfte Jungfrau kletterte Andrea Schacht erstmals auf die SPIEGEL-Bestsellerliste, die sie auch danach mit vielen weiteren Romanen eroberte.

Weitere Romane um die Fährmannstochter Myntha bei Blanvalet:

Die Fährmannstochter Die silberne Nadel Das Gold der Raben Mord im Badehaus Das Erbe der Kräuterfrau

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Andrea Schacht

Das Gold der Raben

Roman

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Copyright © 2016 by Blanvalet

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlagsgestaltung und -illustration: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Bridgeman Art Library

Redaktion: Rainer Schöttle

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-13663-5V003

www.blanvalet.de

Dramatis Personae

Myntha, Tochter des Fährmeisters von Mülheim, die bei Vollmond gerne schlafwandelt und sich damit in ungelegene Situationen bringt.

Reemt van Huysen, Fährmeister von Mülheim, der sich ebenfalls in eine ungelegene Situation gebracht hat und dazu mannhaft schweigt.

Witold und Haro,die bärtigen Söhne des Fährmanns, die rechtschaffen ihren Dienst versehen und ihre Zungen hüten.

Enna van Huysen, Reemts kauzige Mutter, die gerne aus alten Sagen zitiert.

Rickel und Swinte Moelner,wohlhabende Mühlenerben, die ihr Wohlhaben durch eine große Mitgift zu ergänzen suchen.

Lore, Köchin im Fährhaus, die einen schlimmen Verlust erleidet.

Frederic Bowman, Rabenmeister, der gerne finster wirkt, aber sich gegen seine Hilfsbereitschaft nicht wehren kann.

Emery, der Sohn des Rabenmeisters, der das Hauswesen in der Witschgasse bereichert.

Leander, Marians schmucker Sohn, der das Hauswesen auch bereichert.

Henning,Gehilfe des Rabenmeisters, der einen erstaunlichen Fund macht und schweigt.

Cedric,Jugendfreund von Frederic, der heimgekehrt ist.

Franco van Dongen,Holzhändler, der sich streng an seine selbst gemachten Riten hält.

Julius vamme Creutz,wohlriechender Pfarrer von Mülheim.

Janis Moustaki,ein Handelsmann mit eigenwilligen Interessen.

Jehanne,Alyss’Tochter, die ihre heilenden Hände und spitze Zunge geerbt hat.

Agnes, Hausfreundin im Fährhaus, die sich nützlich zu machen weiß.

Bilke, Verlobte von Haro und Mynthas Freundin, die ihr wenn nötig zur Hilfe eilt.

Melisande, jungeWehmutter mit Nebeneinnahmen.

Hille,alte Wehmutter mit Nebeneinnahmen.

Imme,Sybillas Lehrtochter.

Gevatterin Ellen, Geschäftsfrau mit vielseitigen Interessen und aufgeschlossenen Ohren.

Frau Josepha,Meisterin im Beginenkonvent am Eigelstein.

Frau Kristin,Hebamme bei den Beginen – ohne Nebeneinnahmen.

Jonata von der Ulreport,junge Gattin eines alten Mannes, die mit jungen Männern liebäugelt und die Folgen zu tragen hat.

Sewolt,der Holzfäller, der große Pläne hat.

Sybilla,eine Heidebewohnerin mit vielen Kenntnissen und manch gutem Rat.

Robb und Crea, Ron und Cress, Raky und Creky,Frederics Wachmannschaft.

Mico,der für jede Geschichte notwendige Kater.

Und natürlich:

Alyss vom Spiegel und Master John mit ihren Kindern Thomas, Jehanne und Gauwin. Und Marian vom Spiegel,der Herr des Handelshauses am Alter Markt.

Vorwort

Man liest viel über grausame Folter und schreckliche Todesstrafen im Mittelalter. Aber wie auch der Sensationsjournalismus heute mit seinen Skandalen und Verbrechen wird das ein wenig überbewertet. Nicht jeder Angeklagte wurde gleich auf die Streckbank gefesselt und peinlich, also schmerzvoll, befragt. Vor alledem stand zunächst die gütliche Befragung, also das normale Verhör.

Wie auch immer das ablief.

Und man unterschied natürlich auch zwischen schweren Straftaten und minder schweren. Mord, Brandstiftung, Raub, Aufruhr und Ketzerei wurden mit dem Tod bestraft. Weniger schwere Vergehen konnten auch schon mal mit einer Ehrenstrafe belegt werden. Schön war das Stehen am Pranger sicher nicht, denn der Delinquent hatte nicht nur die unangenehmen Folgen von Spott und Häme zu erleiden und wurde auch mit allerlei Abfällen beworfen – viel schlimmer für ihn war der mit dem Prangerstehen verbundene Bekanntheitsgrad. Der Metzger, der vergammeltes Fleisch verkauft hatte, konnte anschließend die Stadt verlassen.

Gelegentlich wünscht man sich heute die Rückkehr zu einer solchen Strafe für manche Übeltäter.

Zu Strafen verurteilen konnten zwei Institutionen – zum einen die weltlichen Gerichte, die sich vornehmlich mit Eigentumsdelikten, den bürgerlichen Vergehen und Handelssachen befassten, und zum anderen die kirchlichen Gerichte, die sich um die Moral kümmerten.

Eine Form der kirchlichen Gerichtsbarkeit war das Sendgericht, das die Laster und Schandtaten in einer Gemeinde ahndete. Wurde also jemand des Ehebruchs oder übler Nachrede, der Trunkenheit oder des Fluchens angeklagt, musste er sich vor diesem Gericht verantworten.

Als Strafe wurde dann von dem Priester etwa der Kirchenbann ausgesprochen – ein zeitweiliger oder gänzlicher Ausschluss vom Abendmahl – oder eben die Ehrenstrafen, also das Bloßstellen des Angeklagten vor der Gemeinde als Sünder.

Eine der Ehrenstrafen war das Tragen von Kranz und Kerze, und was sich hier harmlos anhört, war eine ziemlich gemeine Angelegenheit. Der Delinquent musste nämlich einen eisernen Reif auf dem Kopf tragen, an dem etliche schwere Steine an Ketten hingen. Die Kerze hingegen war einfach. Mit beidem aber musste er eine Runde durch die Gemeinde ziehen, dann zur Kirche wanken, und durfte dort in der Messe den Kranz abnehmen. Damit hatte aber die gesamte Gemeinde ihn gesehen und natürlich ordentlich was zu tuscheln.

Das soziale Netzwerk funktionierte nämlich auch damals schon ganz ausgezeichnet.

1. Kapitel

Franco, der Holzhändler, winkte die zierliche Jungfrau herbei, die während der zähen Verhandlungen mit dem Fährmeister Reemt unauffällig in der Ecke gesessen hatte. Es war seine zwölfjährige Tochter, ein gehorsames Kind, das nun in einer silbernen Schale die Kanne herbeitrug und das blendend weiße Leinentuch über dem Arm drapiert hatte. Die Kanne war ein Schmuckstück, das Franco immer wieder mit Behagen betrachtete. Aus reinem Silber war sie getrieben, rosenfarbene, gewölkte Emaille füllte die sechs sich nach oben verjüngenden Seitenflächen, den Deckel zierte ein geschliffener Rosenquarz. Ein kirchliches Geschirr hätte nicht schöner sein können.

Mit tief bewegter Miene schob der Holzhändler die Ärmel seines Gewandes zurück und breitete die Hände über die flache Schale mit dem delikaten Rosenmuster. Das unschuldige Kind netzte seine Finger mit dem rosenduftenden Wasser, und Franco murmelte: »Herr, wasche ab meine Schuld, von meinen Sünden mache mich rein.«

Das Mädchen entfernte Schale und Kanne und breitete langsam und bedächtig das Leinentuch aus, um es dem Vater mit gesenktem Haupt zu reichen.

Dass sein Vertragspartner inzwischen ungehalten mit den Augen rollte, nahm der Holzhändler nicht wahr. Wohl aber die harsche Unterbrechung seines umständlichen Ritus.

»Was soll das Gedöns? Nun schlagt endlich ein, Franco. Wir haben doch alle Bedingungen ausgehandelt.«

Reemt hielt ihm auffordernd seine schwielige und nicht ganz saubere Hand entgegen, doch der Holzhändler betupfte sorgfältig seine feuchten Finger und faltete das Tuch umständlich wieder zusammen.

Reemt aber war inzwischen so ungeduldig geworden, dass er dem Mann das Tuch aus den Händen riss und es auf den Boden warf. Voller Entsetzen starrte Franco auf das weiße Leinen, das zwischen Holzspänen, Harz und Schlamm lag und sich langsam mit schwarzem Wasser vollsaugte.

»Frevel!«, tönte er und schlug sich die Hände vor das Gesicht. »Unverzeihlicher Frevel!«

»Ach, hört doch auf, Franco. Ich hab’s eilig. Ich sag den Gesellen, dass sie das Floß nach Mülheim schicken sollen. Den Vertrag besiegeln wir ein andermal.«

»Unglück! Unglück wird über mich kommen!«

»Quatsch!«

Verärgert über den betulichen Holzhändler stürmte Reemt vom Lagerplatz und wies zwei kräftige Gesellen an, aus den zehn ausgewählten Stämmen umgehend ein Floß zusammenzustellen und es die kurze Strecke den Rhein abwärts zu seinem Fährhaus zu treiben. Die Gesellen waren eifriger als ihr Herr, der noch immer jammernd mit seiner Tochter zankte. Sie kannten die ermüdende Angewohnheit des Holzhändlers, vor dem Abschluss eines jeden Geschäfts die rituelle Handwaschung durchzuführen. Über die Gründe für diese Handlung kursierten einige Gerüchte, keines davon traf zu.

Franco war ein höchst abergläubischer Mensch, der jede Verpflichtung nur mit großer Angst einging. Verträge wurden allenthalben mit Handschlag besiegelt, und beide Partner hatten für die Folgen aus dem Geschäft einzustehen. Da Franco ein überaus frommer Christ war, glaubte er, wann immer er eine Verbindlichkeit einzugehen hatte, sich wie einst Pontius Pilatus seine Hände in Unschuld waschen zu müssen, um ein böses Schicksal von sich abzuwenden.

Den Fährmeister kümmerte das wenig, aber gewöhnlich nahm er das, was er für Francos Gedöns hielt, gelassen hin. Doch gerade an diesem Tag stand er unter großer Anspannung, da sich der künftige Gatte seiner Tochter Myntha zu einem Besuch angekündigt hatte. Es lag ihm ungeheuer viel daran, diese Verlobung mit dem Mühlenbesitzer endlich in die Wege zu leiten.

Er verließ also knurrend die Holzhandlung und ruderte eiligst nach Mülheim zurück.

Das Floß wurde ordnungsgemäß zusammengestellt und zu Wasser gelassen, obwohl es der Holzhändler händeringend beaufsichtigte und ständig die schlimmsten Befürchtungen vor sich hin murmelte.

Die zwei Gesellen arbeiteten schweigend, sprangen dann auf das Floß aus langen Eichenstämmen, beluden es mit den georderten Planken und legten ab. Es hätte eine kurze Reise sein können, doch der Rhein führte reichlich Wasser. Ein Oberländer, hoch beladen, hatte Fahrt aufgenommen, sein Segel blähte sich im kräftigen Wind, und sein Kapitän hatte sich dem süßen Wein hingegeben. Er sah das Floß zwar, doch er war zu träge, die Befehle zum Ausweichen zu geben. Es kam, wie es kommen musste. Der Bug des großen Schiffes rammte das mit Seilen verbundene Holzwerk. Die Gesellen konnten sich durch einen kühnen Sprung ins Wasser retten, doch die Stämme und Planken verstreuten sich in der Strömung.

Ein Eichenstamm landete am Fährhaus, die anderen tanzten auf den Wellen zur Mündung des Rheins dahin.

Und Reemt war sauer.

2. Kapitel

Myntha brachte ihrem Vater einen heißen Most in die Werkstatt. Es war ein kalter Novembertag, und ein unangenehmer Wind durchdrang die Ritzen und Spalten der hölzernen Wände. Reemt legte den Hobel zur Seite, mit dem er dem Nachen den letzten Feinschliff verpasst hatte, und rieb sich die Hände.

»Gutes Kind. Genau das brauche ich jetzt«, sagte er und umfasste den heißen Becher.

»Sieht vortrefflich aus, der Nachen.«

Reemt schlürfte den Most und strich mit der Hand über die glatten Planken.

»Er hat viele Schwierigkeiten gemacht. Erst dieser verdammte Brand, der den ersten zu Asche hat werden lassen, dann dieser unselige Unfall, durch den die Holzlieferung vernichtet wurde, und dann dieser grässliche Holzhändler, der mir das Doppelte für seine jämmerlichen Stämme berechnen wollte. Aber sei’s drum, jetzt ist der Nachen fertig und wird nächste Woche seinen Dienst aufnehmen. Wenigstens etwas, das ich in der letzten Zeit fertiggebracht habe.«

Myntha strich ebenfalls über das glatt gehobelte Holz. Ihr Vater war noch immer verbittert, dass es mit dem Bewerber um ihre Hand noch immer keine Einigung über den Ehevertrag gegeben hatte. Ihr selbst war es nicht so dringend mit der Verlobung. Die Vorstellung, dass die geschäftstüchtige ältere Schwester des Mühleneigners sich ständig in die Verhandlungen einmischte, ging ihr herzlich auf den Geist.

»Es ist ein gutes Handwerk, und die Brüder von der Abtei Altenberg werden es Euch ordentlich vergüten.«

Diese Vorstellung ließ in Reemts Gesicht noch mehr Falten erscheinen.

»Keine Sorge, Herr Vater, ich habe bereits die Kosten zusammengestellt und kann eine redliche Rechnung vorlegen und begründen.«

»Aber sie werden verhandeln wollen.«

Derartige Gespräche verabscheute Reemt.

»Ich habe eine Position für Verhandlungen mit eingerechnet. Lasst mich nur machen.«

»Mrrpf.«

Seiner Tochter das Feilschen zu überlassen behagte dem Fährmeister auch nicht besonders, aber er war sich durchaus bewusst, dass sie dieses Geschäft weit besser beherrschte als er selbst.

»Ich lasse Euch jetzt weiterwerkeln. Ich muss mit Großmutter Enna, Agnes und Lore Haros Hochzeit planen.«

»Tu das, Myntha. Und denk daran, dir ein neues Gewand anfertigen zu lassen.«

»Und eines für Großmutter, Agnes und Lore ebenfalls.«

»Du wirst mich ruinieren«, seufzte Reemt.

»Ach nein, wir nehmen einfaches Sackleinen«, sagte Myntha und schlüpfte grinsend aus der Werkstatt.

Es reichte dann aber noch für feines Leinen, glänzende Seide und etwas Pelzbesatz. Das Fährgeschäft lief gut, und in der Truhe hatte sich einiges an Münzen angesammelt. Da Myntha die Bücher führte, wusste sie auch, dass nach Bezahlen der Pacht und Abgaben ein anständiger Gewinn übrig bleiben würde.

Und die Hochzeit ihres Bruders mit ihrer Freundin Bilke könnte jetzt gebührend gefeiert werden. Myntha war glücklich, dass Haro, der in Gegenwart von Frauen nur sehr schwer den Mund aufbekam, endlich die erlösenden Worte gefunden hatte. Erst vor Bilke, dann auch noch vor ihrem Vater, dem Ritter Arnold von Lunerke. Auch wenn er dazu den tatkräftigen Beistand des Rabenmeisters benötigt hatte.

Die Planung der Hochzeit war eigentlich nicht so sehr ihre Aufgabe als die der Familie der Braut. Das Fest der Vermählung würde auf der Burg derer von Lunerke stattfinden, aber Haro, der schon wieder völlig verängstigt war, musste Gräten eingezogen bekommen und dazu überredet werden, sich ein dem Anlass entsprechendes Gewand anmessen zu lassen.

Mynthas beide Brüder waren große, starke Männer, die ihre gutmütigen Gesichter hinter Vollbärten versteckten. Sie waren beide zu Fährmeistern ernannt worden und bedienten tagaus, tagein die Fähre zwischen Mülheim und Köln. Witold würde, wenn Reemt das Amt des Pächters niederlegte, dessen Aufgabe übernehmen, die ihm das Hoheitsrecht über ein beachtliches Stück des Fährverkehrs auf der rechten Rheinseite verlieh. Haro hatte vor, ein Fährhaus mit Gastwirtschaft an der Anlegestelle am anderen Rheinufer zu bauen und hatte auch die Genehmigung dazu schon erhalten. Dabei würde Bilke ihm als Wirtin zur Seite stehen. Das mochte der Tochter eines Ritters vielleicht nicht würdig sein, aber Mynthas Freundin war glücklich über diese Möglichkeit. Ihr Vater hatte zuvor beschlossen, dass sie Nonne werden sollte, aber Myntha war es gelungen, sie von diesem Los zu befreien und ihr einen Platz bei den Beginen am Eigelstein zu verschaffen. Hier genoss Bilke weit größere Freiheiten – unter anderem auch die zu heiraten.

Agnes, die Pilgerin aus dem fernen Frankenland, die Obdach im Fährhaus gefunden hatte, verstand sich auf feine Handarbeiten, und sie war es, die in Mynthas Kammer saß und fleißig mit Nadel und Goldfaden die Säume der neuen Gewänder verzierte.

Auch ihr brachte Myntha einen Becher angewärmten Most und ein Körbchen voll Mandelküchlein, die sie Lore in der Küche noch heiß vom Blech stibitzt hatte.

»Die duften köstlich«, sagte Agnes und verbrannte sich fast die Finger, als sie in den Korb langte.

»Eines von Lores besonderen Rezepten. Sie hat sie zubereitet, um den neuen Pfarrer zu beeindrucken. Der hat nämlich seinen Besuch angekündigt. Willst du ihn auch kennenlernen?«

»Wenn er von besserem Charakter und Geruch ist als dieser vermaledeite Volmarus.«

»Das gilt es herauszufinden.«

»Dann komme ich mit.«

»Wir treffen uns im Kontor. Dort ist es warm. Ich habe vorhin die Abrechnungen erledigt.«

Sorgsam faltete Agnes ihre Handarbeit zusammen und zupfte an ihrer Haube. Sie war eine Frau in den mittleren Jahren, schlank, fast hager, aber wenn es ihr angemessen erschien, konnte sie eine geradezu königliche Haltung zeigen. Sie war im Frühjahr in den Haushalt gekommen und hatte demütig die Dienste einer Magd angenommen. Aber nach und nach hatte Myntha herausgefunden, dass sie in ihrer Heimat eine hochgestellte Dame gewesen war, deren Gatte in den Wirren der englisch-französischen Kriege in Gefangenschaft geraten war und die nun darauf wartete – wo auch immer –, dass man ein Lösegeld für ihn zahlte. Dennoch blieb Agnes bescheiden und war bereit, jede Arbeit auszuführen, die man ihr auftrug. Einige Male allerdings hatte sie schon für heftigen Streit gesorgt, und Myntha war nahe daran gewesen, sie aus dem Haus zu jagen. Dennoch – Agnes gab immer wieder klein bei, denn sie hing weiter dem Glauben an, dass im Rhein, gerade hier an der Fährstelle, Gold liegen müsse. Die bildhaften Schilderungen von Goldschätzen, die von den Rheinnixen bewacht wurden, wie sie Reemt an den Abenden gerne von sich gab, nährten diesen Glauben weiter, auch wenn Myntha immer wieder versuchte, sie davon abzubringen.

Die Glut in der Kohleschale im Kontor verbreitete eine angenehme Wärme, und Reemt legte seine dicke Lammfelljacke ab, als er den Raum betrat. Der Pfarrer, hochgewachsen und ein klein wenig füllig um die Mitte, hatte ebenfalls seinen Umhang abgelegt, der, wie Myntha feststellte, mit einem edlen Fell gefüttert war. Auch der schwarze Talar war aus feinstem Wolltuch gearbeitet, das einen leichten Hauch von Ambra und Myrrhe verströmte.

Das war ein erfreulicher Unterschied zu seinem Vorgänger, der Wasser nur als Getränk geschätzt und einen entsprechend herben Geruch verströmt hatte.

Allerdings verdichtete sich Mynthas Verdacht, dass Julius vamme Creutz ein wenig dem Laster der Eitelkeit zu frönen neigte. An einer dünnen Kette hing ein goldenes Kreuz, auf dem kleine rote Steine funkelten, ein breiter Goldring schmückte seine rechte Hand, und als er sich setzte, erspähte Myntha violette Seidenstrümpfe an seinen Beinen.

Enna, die an ihrem Stock hereingehumpelt kam, war sichtlich von dem Mann beeindruckt. Agnes zeigte weniger Überschwang. Sie hielt sich sittsam im Hintergrund. Auch Myntha überließ es zunächst ihrem Vater, mit dem Pfarrer zu sprechen. Julius vamme Creutz begann mit einem Lob.

»Ihr habt ein schönes Fährhaus, Meister Reemt. Eine Pacht der Altenberger, nicht wahr?«

»Seit zwei Generationen in unserer Hand. Mein Großvater erhielt die Gerechtsame von den Mönchen.«

»Und Ihr seid verantwortlich für einen beträchtlichen Fährbereich. Das wird Euch einige Sorgen bereiten.«

»Einiges an Arbeit, ehrwürdiger Herr, doch zum Glück wenig Sorgen. Es ist ein von redlichen Fährleuten geführtes Gebiet. Wir haben selten Schwierigkeiten.«

»So hörte ich von Abt Heinrich. Und auch die Abgaben an die Kirche zahlt Ihr pünktlich.«

»Der Fährbetrieb wirft seinen Gewinn ab, und auch die Güter tragen ihr Scherflein bei«, sagte Myntha. »Den Bauer Egbert habt Ihr sicher auch schon aufgesucht?«

Der Pfarrer blickte leicht irritiert zu ihr hin. Offensichtlich war er es nicht gewöhnt, dass ein junges Weib sich in ein Gespräch einmischte.

»Myntha hilft in der Wirtschaft und weiß auch die Bücher zu führen«, erklärte Reemt. »Und ja, Bauer Egbert bearbeitet unsere Felder. Besucht ihn und bittet ihn, Euch gelegentlich ein paar seiner Forellen ins Pfarrhaus zu schicken.«

»Ah, und bittet auch Lore, Eurer Haushälterin das Rezept für die Forellen in Mandelteig zu geben.«

Myntha erkannte an seinem gierigen Blick, dass der neue Pfarrer auch dem guten Essen zugeneigt war.

»Noch habe ich die Stadtgrenze nicht überschritten, aber ich werde Eurem Rat folgen«, sagte er.

»Wir hörten, dass Ihr die alte Marga aus Euren Diensten entlassen habt«, kam es von Lore, was den Pfarrer schon wieder zu irritieren schien. Mochte er noch den Einwand der Tochter des Fährmeisters dulden, den einer Bediensteten nahm er nur unwillig zur Kenntnis und wollte keine Antwort darauf geben.

»Er hat sie dem Hospiz zugewiesen«, sagte Reemt an seiner Stelle.

»Ach ja? Die arme Frau. Das ist der Dank dafür, dass sie jahrelang einem Schwein wie Volmarus gedient hat«, zischte Myntha. »Nächstenliebe, Herr Pfarrer, sieht anders aus.«

Noch weniger als von Bediensteten angesprochen zu werden, war es der Herr Julius vamme Creutz gewöhnt, von jungen Weibern Vorwürfe zu hören. Er plusterte sich auf, um diese vorlaute Maid in die Schranken zu weisen, aber da erhob die alte Enna schon ihre Stimme und rezitierte:

»›Der Pfaffe schwamm nach Kräften: er hoffte zu entgehn,

Wenn ihm nur Jemand hülfe: das konnte nicht geschehn,

Denn der starke Hagen, gar zornig war sein Muth,

Stieß ihn zu Grunde wieder; das dauchte Niemanden gut.‹

Passt auf, wenn Ihr mit der Fähre übersetzt, ehrwürdiger Herr. Ist schon anderen schlecht ergangen.«

»Droht Ihr mir, Weib?«

»Ach nein, das ist nur ein altes Lied, das ich mir aufsage, um mein Gedächtnis lebendig zu halten.«

Sie grinste ihn zahnlos an.

Pfarrer Julius stutzte. Sein blasierter Blick verwandelte sich, und er fragte neugierig: »Ein altes Lied, sagt Ihr? Wovon handelt es?«

»Von Königinnen und Recken und Gold und Tod.«

»Von Siegfried und Krimhilde und dem Schatz der Nibelungen?«

»Ihr kennt es?«

»In weiten Teilen, doch auswendig nicht. Wollt Ihr sagen, Ihr könnt die ganzen Verse hersagen?«

»Sie tut es täglich, seit ich denken kann«, sagte Reemt. »Eine wundervolle Geschichte von Rheinnixen und Truhen voll Gold, die sie bewachen. Ich …«

»Mein Vater schmückt gerne die Mär nach seinem Gutdünken aus, ehrwürdiger Herr. Er hat eine große und farbenprächtige Fantasie.«

Myntha, die um die Einbildungen ihres Vaters wusste, versuchte, die bunten Reden, die Reemt gerne von dem Goldschatz hielt, und an den er leider auch zutiefst glaubte, zu verhindern. Gleichzeitig warf sie Agnes, die ebenfalls diesem Glauben anhing, einen mahnenden Blick zu.

Lore kam ihr zu Hilfe und fragte den Pfarrer: »Mögt Ihr die Forellen auch geräuchert, ehrwürdiger Herr? Ich hänge sie oft über Eichenholz und Kräuter.«

Er ließ sich ablenken, sogar von einer Köchin. Und da Lore vor Kurzem einige der Fische aus dem Rauch geholt hatte, eilte sie in die Küche und kam mit einem verlockend duftenden Bündel zurück. Pfarrer Julius betrachtete es mit offensichtlicher Freude, und als Reemt ihn einlud, sich den neuen Nachen in der Werkstatt anzusehen, ging er bereitwillig auf den Vorschlag ein.

Über die alte Haushälterin wurde kein Wort mehr verloren.

»Geh morgen mal im Hospiz vorbei und schau nach, wie es der Marga geht«, sagte Myntha zu Agnes.

»De Paaf es en Schluchmul«, stellte Lore fest. »Ävver hä riecht jut.«

»Ein eitles Schleckermaul, aber er kann lesen und kennt auch andere Geschichten als nur die aus der Bibel. Und von Teufelsaustreibungen und Unholden hat er auch nicht gesprochen.«

»Er hat vielleicht noch nicht von Eurer Plage gehört«, meinte Agnes.

»Das nähme mich Wunder. Sie ist bei allen Klatschmäulern bekannt.«

Myntha, die bei einem Fährunglück einst scheintot aus dem Rhein geborgen wurde, war, als man sie bereits aufgebahrt hatte, wieder erwacht, was den vorherigen Pfarrer und viele abergläubische Mitbürger zutiefst entsetzt und ihr den Ruf einer Wiedergängerin eingebracht hatte. Die Folter, mit der der Priester den Teufel aus ihr herauszutreiben versucht hatte, hatte ihr ein bleibendes Leiden beschert – Angst vor Wasser im Gesicht und nächtliches Wandeln. Auch das brachte ihr nicht eben Zuneigung ein, vor allem nicht von heiratsfähigen Männern. Sie hatten Angst vor ihr.

Nachdem Pfarrer Julius den Fährmeister in die Werkstatt begleitet hatte, widmeten sich die Bewohner des Fährhauses wieder ihren Pflichten. Myntha allerdings spielte mit dem kleinen, fürwitzigen Kater Mico, was Lore eine Weile in der Küche duldete.

»Genug mit der Kurzweil«, fuhr sie aber dann dazwischen. »Geh zu den Fischmengerschen und hol uns etwas vom frischen Fang. Wenn du Aale bekommst, gibt’s morgen Suppe.«

Da Lores Aalsuppe zu den feinsten Genüssen überhaupt gehörte, überließ Myntha dem Kater klaglos das Bastbändchen und hängte sich den Korb über den Arm.

Die Frauen der Fischer breiteten eben ihre Ware aus, und darunter wanden sich die schlangengleichen, fetten Fische. Ein erbauliches Feilschen, und bald war der Korb mit der glitschigen, sich windenden Masse gefüllt. Und da die Fähre gerade festmachte, wanderte Myntha an die Anlegestelle, um ein paar Worte mit ihrem Bruder Witold zu wechseln.

»Ich hab hier ein Fässchen Burgunder für den Vater«, sagte der bärtige Ferrer und wuchtete das Fass auf die Rampe, sodass es ans Ufer rollte. Myntha trat zur Seite, damit es nicht ihre Füße traf, und betrachtete die darauf mit Kreide versehene Markierung.

»Ich habe bei Frau Alyss keinen Wein bestellt«, sagte sie verwundert. »Hat Vater ihn in Auftrag gegeben?«

»Keine Ahnung. Ein Knecht hat ihn angeliefert.«

Witold hob mit einem Ächzen das Fass auf den Karren und winkte einen der Fährknechte herbei, der die Ladung zum Haus bringen sollte. Myntha ging den kurzen Weg neben ihm her, und dabei stutzte sie. Wann immer die Räder über eine Unebenheit rollten, gab es ein leises Geräusch in dem Fass, so als ob sich darin ein Kohlkopf befand. Den Knecht wollte sie nicht darauf ansprechen, aber als der Burgunder in der Vorratskammer abgeladen war, rief sie Lore zu sich.

»Ich weiß nicht, bestellt habe ich den nicht. Und ich habe den Eindruck, dass etwas ganz anderes in dem Ding ist als Wein.«

»Steht aber Frau Alyss’ Zeichen drauf.«

Alyss vom Spiegel war eine der besten Weinhändlerinnen der Stadt und außerdem eine mütterliche Freundin von Myntha. Mochte sein, dass sie ihr ein Geschenk geschickt hatte, doch ohne eine Botschaft schien das seltsam.

»Zapfen wir einen Krug daraus und prüfen, ob es Wein enthält«, schlug Myntha vor.

Lore schlug das Fass an, und dunkle, rote Flüssigkeit lief in den Krug. Sie beugten sich darüber und schnupperten daran.

»Dat ess Essig, wenn do mich frächst«, stellte Lore fest.

»Ja, das Zeug riecht sauer. Pfui, was soll das? Ein übler Scherz?«

»Ich brauch keinen Essig, davon haben wir genug.«

»Ja, und außerdem poltert etwas in dem Fass.«

»Ha, vielleicht ist in den Essig etwas eingelegt. Machen wir es auf.«

Lore hatte schon Keil und Hammer bei der Hand. Fässer mit Eingelegtem wie Pökelfleisch, Sauergemüse oder Salzhering musste sie häufig öffnen, und gewandt löste sie die oberen Fassringe. Als der Deckel lose war, hob sie ihn heraus, und beide spähten sie in den Behälter.

»Roter Essig.«

»Vermutlich umgeschlagener Wein.«

Myntha nahm eine langstielige Schöpfkelle und rührte in der Flüssigkeit. Sie traf auf einen Widerstand und versuchte, das Gebilde hochzuziehen.

Lore gab den ersten Schrei von sich.

Myntha ließ die Kelle fallen und schlug sich die Hände gegen den Mund.

»Jroßer Jott!«, keuchte Lore.

»Was ist passiert?«, fragte Agnes, die der Schrei angelockt hatte.

»In dem Fass schwimmt ein totes Kind«, flüsterte Myntha.

»Heilige Jungfrau Maria!«

»Das kommt gewiss nicht aus Frau Alyss’ Haus«, sagte Lore. »Wer hat uns diesen bösen Streich gespielt?«

»Nicht uns, meinem Vater«, sagte Myntha leise. »Man hat es an ihn gesandt. Ich muss ihn und Witold holen. Leg den Deckel wieder auf, Lore.«

Myntha lief eilig zur Anlegestelle, aber die Fähre befand sich schon wieder mitten auf dem Rhein. Sie rannte zum Haus zurück, und atemlos öffnete sie die Tür zur Werkstatt. Dass Pfarrer Julius noch bei ihrem Vater weilte, übersah sie in ihrer Not.

»Herr Vater, kommt in die Küche. Etwas Entsetzliches ist geschehen!«

»Ist jemand verletzt?«

»Nein, viel schlimmer. Kommt, ich bitte Euch.«

Auch Reemt ignorierte den Pfarrer und folgte seiner blassen Tochter in geschwindem Schritt.

»Witold sagte, dieses Weinfass sollte an Euch geliefert werden, Herr Vater. Und da es aber offensichtlich etwas anderes enthielt, haben wir es aufgemacht. Schaut selbst.«

Lore hob den Deckel.

Entsetzen breitete sich auf Reemts Gesicht aus, und Pfarrer Julius bekreuzigte sich.

Agnes war die Erste, die sich wieder fasste. Sie griff beherzt in das Fass und hob das kleine Geschöpf heraus. Lore reichte ihr ein Leinentuch.

»Wir müssen es uns genau ansehen«, sagte Agnes. »Vielleicht hat es ein Mal oder ein Kennzeichen, an dem wir seine Herkunft erkennen.«

»Das werden wir kaum. Heilige Mutter Gottes, wer tut so etwas?«

Myntha war noch immer fassungslos.

»Die Mutter des Kindes, denke ich. Diese Frau Alyss«, sagte der Pfarrer und sah sich plötzlich von vier äußerst erbosten Blicken durchbohrt.

»Niemals«, fauchte Myntha ihn an. »Niemals, nicht in diesem Leben oder einem anderen. Untersteht Euch, jemals eine solche Äußerung zu machen. Frau Alyss ist eine ehrenwerte Frau!«

»Nun, aber das Fass kommt von ihr, oder nicht?«

»Julius vamme Creutz, maßt Euch in dieser Sache kein Urteil an. Wenn Ihr ein gebildeter Mann sein wollt, dann nehmt Euren Witz zusammen und erkundigt Euch, bevor Ihr den Mund aufmacht.«

Der Pfarrer sah entsetzt drein. Ihm war noch nie ein Weib derart über den Mund gefahren. Stammelnd wandte er sich an Reemt und fragte ihn: »Seid … seid Ihr der Kindsvater?«

Reemt starrte noch immer auf den toten Säugling. Er war offensichtlich unfähig zu sprechen.

Myntha nicht. Sie packte den Pfarrer am Arm und zerrte ihn zum Ausgang.

»Ihr seid ein unmöglicher Tor, Herr Pfarrer. Ich rate Euch, niemals derartig unsinnige Äußerungen zu machen. Geht jetzt, und wenn Ihr ein Quäntchen Verstand habt, dann schweigt über diese Sache, bis wir Euch sagen können, was dieser Streich zu bedeuten hat.«

»Ihr seid ein vorlautes Geschöpf, Myntha. Genau wie man es Euch nachsagt.«

»Ja, und ich fahre jede Nacht zur Hölle, um die Dämonen ins Pfarrhaus zu schicken. Dämonen, die Euren Vorgänger in den Wahnsinn getrieben haben. Also seht Euch vor, ehrwürdiger Herr!«

Sinnend sah Pfarrer Julius seine gereizte Widersacherin an. Und dann bemerkte er trocken: »In den Vollmondnächten werde ich mein Haus verriegeln. Und nun wünsche ich Euch gutes Gedeihen bei der Suche nach dem Kindsmörder, Jungfer.«

Damit verließ er das Fährhaus und ließ Myntha mit offenem Mund zurück.

Auch Agnes und Lore wirkten verdutzt.

»Hat der eben einen Scherz gemacht?«, fragte Agnes.

»Wenn nicht, werden wir es bald merken. Und nun zu dem Kind. Herr Vater?«

Doch der Fährmeister war noch immer wie erstarrt und blieb stumm. Als die drei Frauen ihn zu drängen begannen, drehte er sich um und ging fort.

»Er hat ein schlechtes Gewissen«, mutmaßte Lore.

»Oder er hat Angst.«

»Die haben wir auch«, murmelte Myntha. »Agnes, du hast Kinder. Was sagt dir dieses Geschöpf?«

»Es starb kurz nach der Geburt oder wurde tot geboren. Schrecklich ist mir die Vorstellung, dass es jemand lebend in diesem Fass ertränkt hat.«

»Ein Kind der Schande, das die Mutter nicht wollte?«

»So etwas gibt es«, meinte Lore. »Aber nicht in Frau Alyss’ Haus.«

»Nein, dort gewiss nicht. Bei ihr leben zwar junge Maiden und einige Mägde, aber wäre eine von ihnen schwanger geworden, würde sie ihr zur Seite stehen. Nein, dieses Fass stammt aus einem anderen Haus. Sie liefert ihren Wein an viele Kunden.«

Agnes hatte inzwischen das Kind eingehend untersucht.

»Das Mädchen hat keine besonderen Merkmale. Vielleicht wäre es mal blond geworden, mehr kann ich nicht sagen. Keine Muttermale, keine Flecken, auch keine Zeichen dafür, dass es erwürgt oder erschlagen worden ist.«

»Wickle es in reine Tücher, Agnes. Wir werden unseren Pfarrer bitten, es zu taufen und zu begraben. Und dann werden wir über die Angelegenheit schweigen.«

»Wir können das versuchen, Myntha. Aber werden es andere auch?«

»Hoffentlich.«

3. Kapitel

Sechs Raben pickten eifrig an den Brotkrumen, die Henning für sie ausgestreut hatte. Der Morgen war kalt und nebelig, und die Feuchte netzte seine Jacke. Eine neue braune Tuchjacke, die mit Hasenfell gefüttert war. Sie wärmte ihn, und er war Meister Frederic mehr als dankbar, dass er sie ihm gegeben hatte. Die Hasenfelle stammten von Jorgen, dem Honigsammler auf der Heide, der damit seinen Dank für ein Fass Burgunder abgegolten hatte.

Die vergangenen Tage hatte Henning viel gegrübelt. Seit er im Frühjahr aus der Fron auf einem Pachthof geflüchtet war und sich dummerweise bei einem Taschendiebstahl hatte erwischen lassen, hatte sich sein Leben zum Besseren gewendet. Auch wenn es zunächst nicht so aussehen wollte. Die Fährmänner, die ihn eingefangen hatten, hatten ihn zu einem Jahr Dienst bei dem finsteren Rabenmeister verdonnert. Doch je länger er mit dem Mann in seiner Kate vor der Stadt lebte, desto besser wurde sein Los. Frederic Bowman mochte ein harter, verbitterter Mann sein, doch er verbarg hinter seiner düsteren Maske ein freundliches Herz. Und Geduld. Anfangs war Henning nur dankbar, dass er ihn nicht prügelte und ihn nicht mit Fragen nach seiner Herkunft quälte. Doch dann musste er feststellen, dass er so seine ganz eigene Art hatte, die Wahrheit über ihn herauszufinden. Eine überaus scharfe Beobachtungsgabe und ein findiger Verstand hatten ihm inzwischen verraten, dass er der Knappe eines Ritters gewesen war, der bei einem Turnier vorsätzlich umgebracht worden war, und vor dessen Mörder er sich auf der Flucht befand.

Ja, er hatte sogar entdeckt, dass seine Mutter eine italienische Adlige war, und ihm daraufhin eine Möglichkeit geboten, zu ihr zu reisen.

Henning hatte eine Weile mit der Vorstellung gespielt, aber dann doch abgelehnt, und so war Herr Marian mit seiner Kaufmannschaft ohne ihn aufgebrochen.

Im Augenblick fühlte er sich bei den Raben und in der Kate sicher. Noch hatte er keine Spur von dem Mörder entdeckt, und auch der schien nicht zu ahnen, wo er sich befand.

Aber die Zeit der Rache würde kommen. Er würde den Frevler umbringen, und wenn es sein eigenes Leben kostete.

»So grimmig, Henning?«

»Meister? Ich habe den Raben das altbackene Brot gegeben.«

»Und sie haben dich beschimpft, weil es kein Fleisch war?«

»Sie waren es zufrieden.«

»Gut, dann komm mit zur Fähre. Wir haben etwas auf dem Alter Markt zu erledigen.«

»Ja, Meister.«

Der Weg zur Fähre lag am Rhein, der mehr Wasser als sonst führte. Sie mussten schlammigen Stellen und manchmal sogar kleinen, nach ihren Füßen schwappenden Wellen ausweichen. Doch der Nebel lichtete sich allmählich, und am Himmel erschien eine milchige Helle. An der Anlegestelle herrschte Leere. Die Fähre musste vor Kurzem abgelegt haben. Henning hisste die Flagge, die dem Fährmann auf der anderen Seite anzeigte, dass Passagiere warteten. Dann schaute er sich um, in der Hoffnung, die Fährmannstochter zu sehen. Aber diese ließ sich nicht blicken. Er mochte die Jungfer Myntha, sie war ein feines Weib, auch wenn man ihr nachsagte, sie sei eine Unholdin. Lächerlich, das. Fürwitzig war sie, eine giftige Zunge hatte sie manchmal, aber ihr Verstand war flink und ihr Herz voll Güte. Henning verehrte sie. Und er hatte den Verdacht, dass es dem Rabenmeister ähnlich ging. Auch wenn er oft nur Spott und herbe Worte für sie übrig hatte.

Sie zahlte es ihm mit gleicher Münze heim.

Mehr und mehr Menschen trafen an der Anlegestelle ein. Überwiegend Handwerker und Krämer, aber auch Bauer Egbert, der Meister Frederic und ihn freundlich grüßte.

»Muss zum Wagner, meinen neuen Pflug abholen. Er hat eine eiserne Pflugschar und ein Schneidbrett. Damit werde ich die Erde weit gründlicher bearbeiten können als bisher.«

»Pflügt Ihr eigentlich mit Pferden oder Ochsen, Bauer Egbert?«, wollte der Rabenmeister wissen.

»Lieber mit Pferden als mit Ochsen. Aber die Gespanne muss ich mir bei den Nachbarn ausleihen.« Und dann grinste der Bauer. »Ihr habt zwei hübsche Pferdchen, Meister Frederic.«

»Die zum Pflügen nicht taugen.«

»So wie meine Teiche nicht zum Fischeklauen geeignet sind?«

Henning schaute den Bauern treuherzig an. Er bediente sich hin und wieder aus Bauer Egberts Forellenteichen, und bisher war das auch geduldet worden.

Meister Frederic nestelte eine silberne Münze aus seinem Beutel und hielt die dem Bauern hin.

»Sind sie damit abgegolten?«

»Lasst die man stecken, Rabenmeister. Die Fische seien Euch und dem gefräßigen Jungen gegönnt. Warum taugen Eure Pferde nicht zum Pflügen?«

»Die Stute ist trächtig, und Meuric vor dem Pflug? Ihr wäret Eures Lebens nicht sicher. Aber wenn Ihr wollt, spreche ich mit den Fährleuten. Die Treidelpferde sind kräftige Tiere, die auch Euren Pflug ziehen können.«

»Und die Ferrer treideln zwei Tage ihren Nachen mit der Hand.«

»Sie wollen in dieser Woche die Fähre für den Winter überholen, hat Haro gesagt«, erklärte Henning.

»Die Treidelpferde wären mir sehr recht. Legt ein Wort für mich ein, Rabenmeister.«

Und das tat Meister Frederic während der Überfahrt bei Witold, mit dem Erfolg, dass Bauer Egbert in den nächsten Tagen ein ordentliches Gespann für seinen neuen Pflug bekam.

Auf dem Alter Markt herrschte reges Treiben. Sie durchquerten den Bereich, in dem die Bauersfrauen laut schreiend ihre Ware anboten. Äpfel türmten sich in Pyramiden, Kohlköpfe bildeten grüne Berge, Möhren quollen aus Körben, Pilze aus Spankisten. In Säcken wurden getrocknete Erbsen und Bohnen angeboten, in geflochtenen Käfigen warteten schnatternde Gänse, Enten und Hühner auf ihr nahes Ende.

Im Bereich der Tuchhändler ging es ruhiger zu. Hier wurden Stoffbahnen abgemessen, fertige, halbfertige und gebrauchte Kleidungsstücke verkauft.

»Wir brauchen Lederhosen für den Winter«, verkündete Meister Frederic.

Henning nickte. Er hatte gute Stiefel an den Füßen, aber den Sommer über hatte er auf Beinkleider weitgehend verzichtet und sich auf seine knielange Tunika beschränkt. Früher hatte er, wie alle Gecken, bunte Beinlinge getragen, darüber eine kurze Jacke. Aber die Arbeiten, die er dann zu erledigen hatte, forderten andere Kleider. Er besaß zwar eine Hose aus derbem Leinen, aber bei frostigem Wetter würde die die Kälte nicht abhalten. Dass Meister Frederic ihm seine Kleidung kaufte, war Henning noch immer unangenehm, aber er hatte keine andere Wahl. Geld besaß er derzeit nicht.

»Zier dich nicht, Junge, du hast hart für mich gearbeitet. Gehen wir zum Hosenschneider dort hinten.«

Sie fanden passende Wildlederhosen, und dann liebäugelte Henning mit einer Mütze.

»Was haltet Ihr von einem gebratenen Fasan?«, fragte Henning.

»Recht viel, wenn er nicht zu zäh ist.«

»Würde ich mir für einen solchen Vogel diese Mütze kaufen können?«

»Sie gefällt dir?«

»Sie würde mir die Ohren wärmen«, erklärte er dem Rabenmeister.

»Und dich taub für meine Anordnungen machen.«

»Ihr versteht es schon, Euch Gehör zu verschaffen, möchte ich meinen.«

Er setzte sich die dunkelrote Filzkappe auf und zog die hochgeklappten Seitenteile über die Ohren.

»Geck!«, sagte Meister Frederic, und Henning stimmte ihm zu.

»Eine lange Fasanenfeder wird sie schmücken.«

»Dann sieh zu, dass du einen Fasan fängst und sie ihm ausrupfen kannst.«

Die Mütze wurde die seine, und den Fasan musste er nicht jagen, um an die Feder zu kommen. Ein Händler bot allerlei Gefieder an, und als sie zur Fähre gingen, wippte eine davon übermütig an Hennings Kopf.

Die Raben umflatterten eine weibliche Gestalt, als sie vom Rheinufer hoch zur Kate gingen. Doch zu Hennings Enttäuschung war es wieder nicht die Jungfer aus dem Fährhaus, sondern Ellen, die den Vögeln eine nachmittägliche Freude mit fettem Brot machte, das sie weit ausholend in die Luft warf.

»Was für ein schmucker Kopfputz, Jung-Henning«, kommentierte sie die kecke Feder.

Henning zog die Mütze mit großer Geste und grinste die Besucherin an. Meister Frederic tat es gemäßigter, doch auch er war erfreut, die Gevatterin Ellen zu sehen. Sie war eine fleißige Frau, kümmerte sich um die Wäsche und buk ihr eigenes Brot, das sie mit den Katenbewohnern teilte. Oft brachte sie auch andere Lebensmittel mit, selbst gemachte Würste, eingelegtes Obst, frische Fische. Und die Reste für die Raben.

Sie lebte nicht schlecht davon.

Ihr eigentliches Geschäft aber war die Wäscherei. Sie beaufsichtigte eine Handvoll Mägde, die für die Haushalte von Mülheim die großen Stücke wuschen. Laken zu waschen und zu bleichen war ein hartes Geschäft, feine Gewänder zu reinigen ein delikates.

Auch heute hatte die Gevatterin einen Korb mit Hemden und Bruchen dabei, aber auch zwei Laibe knuspriges Brot und einen Topf Blutwurst.

Und genau wie sie ihre Gaben ablieferte, lieferte sie auch das derzeitige Geschwätz mit ab.

»Jemand hat dem Fährmeister einen ganz üblen Streich gespielt.«

Meister Frederic legte das Brot auf das Bord und fragte: »Und darüber sollten wir Bescheid wissen.«

»Ihr seid Freunde von Reemt und seinen Kindern, Meister. Und ich bin sicher, es wird Ärger geben.«

»Nun, dann erzählt.«

Henning lauschte ebenso wie der Rabenmeister mit wachsendem Entsetzen, wie Ellen von dem Fass und seinem grausigen Inhalt berichtete.

»Das Schlimme ist, dass der Fährmeister nichts dazu sagen will. Jungfer Myntha hat Angst, dass er vielleicht wirklich etwas über das Kind weiß. Und dann hat auch noch der neue Pfarrer die ganze Sache mitbekommen.«

Geistliche konnten eine echte Bedrohung sein. Viel zu gut erinnerte sich Henning an den vormaligen Pfarrer Volmarus, den sie nur mit Gewalt daran hatten hindern können, Myntha zu foltern und zu ermorden.

»Wir können heute Abend zu ihnen gehen und ihnen unsere Hilfe anbieten«, war der Vorschlag des Rabenmeisters.

»Tut das, aber achtet darauf, dass die Sache nicht zum Stadtgespräch wird.«

»Ach, Frau Ellen, das wird bereits geschehen sein«, murmelte Henning. Die Wäscherinnen wussten es vermutlich schon, denn obgleich die Gevatterin ein gutherziges Weib war, so war sie doch auch eine Schnatterbüchse, die nichts für sich behalten konnte.

Und schon gar nicht ein solch ausgefallenes Vorkommnis wie das eines toten Kindes in einem Weinfass.

4. Kapitel

Myntha ließ die Spindel tanzen. Sie saß zusammen mit ihrer Freundin Bilke in ihrer Kammer unter dem Dach des Fährhauses und tauschte wichtige Neuigkeiten aus. Bilke, die derzeit noch bei den Beginen lebte und auch deren graue Tracht trug, stichelte an einem feinen Leinenhemd, das ein Geschenk für ihren Verlobten Haro werden sollte. Vor den jungen Frauen stand ein Körbchen mit braunen Lebkuchen aus der Küche des Konvents. Sie waren mit kostbaren Gewürzen gebacken, und ein Großteil von ihnen war schon Opfer der Naschsucht der beiden geworden.

»Und der neue Priester hat sich wirklich bereit erklärt, das Kind zu taufen und auf dem Lichhof zu begraben?«, fragte Bilke ungläubig.

»Na ja, er scheint etwas verständiger zu sein als dieser Volmarus. Aber ich muss gestehen, es überraschte mich auch, vor allem, weil er keine weiteren Fragen gestellt hat.«

»Ihr habt aber noch nichts weiter herausgefunden.«

»Gar nichts. Und, ehrlich gesagt, ich will auch nichts mehr dazu wissen.«

»Weil dein Vater ein schlechtes Gewissen hat?«

»Vielleicht.«

Der Faden an der Spindel bildete einen Knoten, und Myntha riss ihn ab, um ihn neu anzuflicken. Es ärgerte sie noch immer, dass ihr Vater sich so stockfischig verhielt. Sie wusste, dass er nach dem Tod ihrer Mutter, die leider bald nach ihrer Geburt gestorben war, hin und wieder Frauen aufsuchte. Molly, die Badermaid, war eine von ihnen. Aber er mochte auch die eine oder andere Dirne auf der gegenüberliegenden Rheinseite aufsuchen, wenn ihn Geschäfte dorthin führten. Es gab Frauenhäuser und willige Schlupfhuren in großer Zahl in Köln. Sie nahm es ihm nicht übel, denn dass Männer ihre Gelüste befriedigt haben wollten, war ihr nicht unbekannt. Und darum gönnte sie ihm den Trost, den er in warmen Frauenarmen fand. Aber ein Kind zu zeugen und sich dann nicht um die Mutter zu kümmern, das sah ihm eigentlich nicht ähnlich.

Es sei denn, er hatte von der Schwangerschaft nichts gewusst.

»Erzähl mir von diesem Julius vamme Creutz.«

»Was?«

»Von eurem neuen Pfarrer. Das lenkt dich von deinen krausen Gedanken ab.«

»Oh, ja. Gut. Er scheint ein wenig eitel zu sein. Er trägt feine Gewänder und vermutlich eine Duftkugel mit Ambra und Myrrhe. Seine Haare sind ordentlich geschnitten, seine Wangen glatt. Und seine Fingernägel sind auch sauber. Alles in allem ein weitaus angenehmerer Anblick als der stinkende Volmarus. Auch wenn er seine Sauberkeit in der Badestube erwirbt.«

»Ei, ei.«

»Gerüchte munkeln – und sie munkeln oft Wahres –, dass er der Molly überaus zugetan ist.«

»Diese Molly ist ein lockeres Weib.«

»Sicher. Aber sie hat auch ein großes Herz. Und warum sollte ein Priester andere Gelüste haben als ein normaler Mann? Besser, er begeht seine Sünden im Badehaus als in den düsteren Kellern unter dem Hospiz.«

Dort hatte Volmarus sie gefangen gehalten und kreuzigen wollen. Die Erinnerung daran verursachte Myntha noch immer schlechte Träume.

»Dennoch, dem Haro sollte diese Molly zukünftig besser nicht mehr den Rücken schrubben. Ich werde ihm schon beibringen, dass in der Badestube nur ein Knecht sich um seine Belange zu kümmern hat.«

»Solange du ihm zu Hause den Rücken schrubbst …«

Bilke kicherte. Dann wurde sie wieder ernst. Mit konzentrierter Miene fädelte sie einen neuen Faden in die Nadel. Verknotete das Ende und stichelte weiter.

»Wir haben auch so unsere Skandale«, erklärte sie.

»Muss ich von denen wissen?«

»Ich denke schon. Du weißt ja, unsere Wehfrau bekommt so einiges mit, was gerne unter die Decke gekehrt würde.«

»Und sollte tunlichst den Mund darüber halten.«

»Das tut sie gewöhnlich auch. Aber in diesem Fall hat sie mich angesprochen, weil sie weiß, dass wir befreundet sind, Myntha.«

»War ich schon wieder die Unholdin? Habe ich schon wieder böse Geister geweckt?«

»Aber nein, darum ging es nicht. Nicht um dich. Es ist so: Die noch sehr junge Frau Jonata vom Henz von der Ulreport, die hat unsere Wehfrau um Rat gebeten. Du weißt schon – sie wollte ein unerwünschtes Kind loswerden. Frau Kristin kennt schon einige Kräuter und Mittel, die sie anwendet, wenn ein Weib zum Beispiel zu krank ist, um ein Kind auszutragen. Aber sie gibt diese Tinkturen nicht ohne Grund. Frau Jonata war gesund und verheiratet, also hat sie ihr gesagt, sie würde ihr nicht helfen. Da hat sie angefangen zu jammern, und es kam heraus, dass sie mit einem anderen Mann zusammen war und sie fürchtet, dass das Kind von diesem sei. Wenn ihr Mann das herausbekäme, würde er sie sicher verstoßen.«

»Was natürlich ein übles Schicksal für die arme Jonata wäre, denn die von der Ulreport gehören zu den wohlhabenden Bürgern.«

»Tja, der Verlust der seidenen Betttücher ist für eine solche Frau hart. Sie verließ den Beginenhof weinend. Und vertraute sich dann einer anderen Wehfrau an.«

»Die entgegenkommender war?«

»Auch nicht. Aber sie stand ihr bei der Geburt bei. Und während der Niederkunft scheint Jonata dann den Namen des Kindsvaters genannt zu haben. Sie behauptete, es sei der Fährmeister Reemt gewesen.«

»Heilige Jungfrau Maria!«

»Melisande wusste, dass Frau Jonata zuvor bei uns gewesen war, und hat unserer Wehfrau das unter dem Siegel der Verschwiegenheit gesteckt.«

»Und die hat dieses Siegel umgehend gebrochen und den Inhalt ihrer Rede an dich weitergetragen.«

»Ja, eben weil es um den Fährmeister Reemt geht.«

»Und du glaubst das?«

»Du nicht?«

»Ich weiß nicht. Wann sollte mein Vater mit dieser Frau zusammengekommen sein?«

»Vor neun Monaten.«

Myntha rechnete.

Und ein kalter Finger bohrte sich in ihren Rücken.

Vor neun Monaten war Februar. Und im Februar feierte man – vor allem in Köln – ausgelassen Karneval.

Was hatte ihr Vater an diesen tollen Tagen angestellt?

Das auf diese Nachricht folgende Gespräch zwischen Vater und Tochter verlief für beide Seiten höchst unangenehm. Myntha gelang es nicht, ihren Vater zu einer Aussage zu bewegen. Er blieb stumm und regungslos, aber seinem Gesicht sah sie an, dass er von Gewissensbissen gequält wurde.

Sie gab es schließlich auf, ihn weiter zu bedrängen, beschloss aber für sich, der Angelegenheit weiter nachzugehen. Und zwar mit Entschlossenheit und Eifer.

5. Kapitel

Bauer Egbert hatte fröhlich pfeifend seinen Acker mit dem neuen Pflug bearbeitet. Die Treidelpferde waren kräftige, gutmütige Tiere, die scharfe Pflugschar drückte sich fast wie von selbst in die feste, fruchtbare Erde und warf braune Schollen auf. Die Investition hatte sich wahrhaftig gelohnt, und die nächste Ernte würde ihm auch das Geld einbringen, um dem Meister Wagner den Rest dafür zu übergeben.

Mit einem gewissen Vergnügen sah Bauer Egbert eine Schar Raben über das frisch gepflügte Feld herfallen. Es mochten auch die sechs Rabauken von Meister Frederic dabei sein, die eifrig Würmer aus der aufgebrochenen Erde zogen.