Das Grundgesetz - Christoph Möllers - E-Book

Das Grundgesetz E-Book

Christoph Möllers

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Beschreibung

Das Grundgesetz feiert im Mai 2019 seinen 70. Geburtstag. Christoph Möllers stellt die Entstehung des Grundgesetzes, seinen historischen Ort in der deutschen Verfassungsgeschichte und vor allem natürlich seine wesentlichen Inhalte vor. Die aktualisierte Neuauflage nimmt auch die politischen Veränderungen des letzten Jahrzehnts kritisch aus der Perspektive des Grundgesetzes und der Rechtsstaatlichkeit in den Blick.

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Christoph Möllers

DAS GRUNDGESETZ

Geschichte und Inhalt

C.H.Beck

Zum Buch

Das «Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland» ist ein Text, und es ist eine Norm. Christoph Möllers stellt in seiner prägnanten Einführung zunächst den Text des Grundgesetzes vor und erläutert dessen Aufbau und Struktur sowie einige seiner zentralen Aussagen. Dem folgt die Vorstellung des Grundgesetzes als Norm, also als Faktor in unserer politischen und gesellschaftlichen Ordnung. Abschnitte zur Vorgeschichte und Entstehung des Grundgesetzes, zur Verfassungskultur sowie zu aktuellen Herausforderungen an das Grundgesetz ergänzen diese ebenso klare wie gut lesbare Einführung.

Über den Autor

Christoph Möllers ist Professor für Öffentliches Recht, insbesondere Verfassungsrecht, und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin und Permanent Fellow am Wissenschaftskolleg ebenda.

Inhalt

Eine Besinnung zu Beginn: Was «ist» das Grundgesetz?

I. Vorgeschichten und Entstehung

1. Vorgeschichten

Das lange 19. Jahrhundert

Weimarer Republik und Nationalsozialismus

Der Nationalsozialismus als negatives Vorbild

2. Vorentscheidungen

Herrenchiemseer Entwurf

Das Grundgesetz als Provisorium?

3. Der Parlamentarische Rat

Zusammensetzung und Organisation

Zentrale Streitpunkte: Institutionen und Verfassungsverständnisse

Zweierlei Verfassungsverständnis: das Beispiel der Menschenwürde

Der Umgang mit der Weimarer Tradition

4. Die Legitimation des Grundgesetzes

II. Das Grundgesetz als Text

1. Der Aufbau des Grundgesetzes

Gliederung

Wesentliche Regelungen

2. Eine Lektüre zentraler Normen des Grundgesetzes

«Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.»

«Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.»

«Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten …»

«Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.»

«Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.»

«Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.»

«Die Abgeordneten (…) sind frei und nur ihrem Gewissen unterworfen.»

«Dieses Grundgesetz (…) verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.»

3. Textänderungen des Grundgesetzes

4. Die Sprache des Grundgesetzes

III. Das Grundgesetz als Norm

1. Vorrang der Verfassung

2. Das Bundesverfassungsgericht in der Entwicklung des Grundgesetzes

3. Grundgesetz und Politik

4. Politische Epochen im Spiegel des Grundgesetzes

Institutionelle Konsolidierung

Das frühe Bundesverfassungsgericht

Anfänge einer permanenten Grundrechtsrevolution

Die Notstandsverfassung – und ihre Kompensationen

Mehr Demokratie wagen – oder mehr Verfassungsgerichtsbarkeit?

Die achtziger Jahre

Wiedervereinigung: noch einmal die Legitimation des Grundgesetzes

Föderalismus ohne Ziel

Doppelte Freiheitsverluste: Grundrechtsverkürzung und Staatsziele

Die Europäisierung des Grundgesetzes

IV. Das Grundgesetz als Kultur

1. Verfassungspatriotismus und Verfassungsfolklore

2. Die Staatsrechtswissenschaft

3. Das Grundgesetz im Ausland

V. Herausforderungen

1. Herrschaft des Rechts und Herrschaft des Volkes

2. Öffentliche Sicherheit und Schutz der Verfassung

3. Religion

4. Demokratische Öffentlichkeit

5. Wirtschaftsverfassung – Soziale Gerechtigkeit – Privatisierung

6. Europa und die internationale Ordnung

Schluss: der fehlende Grund des Grundgesetzes

Weiterführende Literatur

Textausgabe

Deutsche Verfassungsgeschichte

Weimarer Staatsrecht und der Übergang zum Nationalsozialismus

Entstehung des Grundgesetzes

Entwicklung in der Bundesrepublik

Kommentar

Lehrbuch

Einzelstudien

Den Freunden der Münchner Zeit

Eine Besinnung zu Beginn: Was «ist» das Grundgesetz?

«Grundgesetz» – ist im Deutschen ein eigenartiger Begriff für eine Verfassung. Einen «klanglosen Namen» nannte ihn der Politikwissenschaftler Dolf Sternberger. In den Verhandlungen der Jahre 1948/49 wurde er auf der Suche nach einer Bezeichnung wohl vom sozialdemokratischen Hamburger Bürgermeister Max Brauer vorgeschlagen. Welche Geschichte ist zu erzählen, welcher Gegenstand zu beschreiben, wenn man eine Einführung in das «Grundgesetz» geben will? Hinter diesen scheinbar trivialen Fragen stecken sehr umstrittene Probleme.

Das «Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland», ein im Bundesgesetzblatt des Jahres 1949 auf der Seite 1 veröffentlichter Text, ist etwas anderes als das Regierungssystem eben dieses Staates, und doch ist das eine nicht ohne den anderen zu denken. Das Grundgesetz ist ein Text und es ist eine Norm. Die Fragen, wie aus einem Text eine Norm wird, ob sich die Normen des Grundgesetzes oder eines anderen Gesetzes allein auf Rechtstexte zurückführen lassen und welche Spuren Normen in der Praxis einer politischen Gemeinschaft hinterlassen, gehören zu den schwierigsten und umstrittensten der Rechtsphilosophie und der Verfassungstheorie. Diese Fragen sind hier nicht zu beantworten, doch soll an sie im Eingang unserer Darstellung erinnert werden: zum einen, um zu zeigen, dass der scheinbar so selbstverständliche Titel dieses kleinen Buches seinen möglichen Inhalt keineswegs einfach und eindeutig festlegt, zum anderen, um seinem Autor Gelegenheit zu geben, den Lesern über seinen persönlichen Zugang zu diesem Buch Rechenschaft abzulegen.

Das Grundgesetz wird hier zunächst einmal als ein Text verstanden, ein Text, dessen Lektüre jedem offensteht, der sich einen Eindruck davon machen möchte, in welcher Ordnung er lebt. Eine solche Lektüre in der «offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten» (Peter Häberle) gehört zu einer Demokratie, in der die Bürgerinnen und Bürger nur sich selbst haben, um zu bestimmen, wie die eigene politische Ordnung gestaltet und wie die eigene Verfassung zu lesen ist. Nun ist nicht jedes Verständnis eines Textes gleich überzeugend und ein ungeübter Leser verwandelt sich durch aufmerksames Studium nicht von selbst in einen Verfassungsrechtler oder gar in das Bundesverfassungsgericht. Auch ist das Grundgesetz jedenfalls in seiner Urfassung zwar ein in schöner schlichter Sprache gehaltener, aber deswegen noch nicht einfach zu verstehender Text. Das Grundgesetz bringt uns – und hier liegt ein schwieriger, aber unvermeidlicher Widerspruch des demokratischen Verfassungsrechts – zugleich einen Text für alle und einen solchen für Experten – durchaus einem bleibenden Stück Literatur vergleichbar, das professionelle Interpreten ebenso zu beschäftigen vermag wie neugierige Leser. Etwas von der technisch richtigen Lektüre des Grundgesetzes zu vermitteln, ohne dadurch den Lesern den Eigensinn des ersten Lesens abzugewöhnen, wäre ein Ziel dieses Buches. Denn letztlich bleibt das Grundgesetz ihr, unser Text.

Das Grundgesetz ist aber auch eine Norm, eine Institution. Es beschreibt, wie die politische Ordnung sein soll – und seine Normativität hat mit seiner Beschaffenheit als Text viel zu tun. Eine solche Norm muss zwar nicht aus einem geschlossenen Text bestehen, wir kennen zumindest eine politische Ordnung ohne geschriebene Verfassung, diejenige Großbritanniens. Doch dürfte die Abwesenheit eines Verfassungstextes deren Normativität, in diesem Fall der gesammelten Traditionen der britischen politischen Praxis, beschränken. Denn eine Verfassung, die sich nicht in einem Text materialisiert, sondern auf Traditionen und Gewohnheiten verweist, zieht die Grenze zwischen Norm und Wirklichkeit weniger deutlich als eine geschriebene Verfassung. Anders gesagt: Der Text des Grundgesetzes ermöglicht es uns, der gesellschaftlichen und politischen Realität Kriterien entgegenzusetzen – und zwar nicht nur als Gericht, sondern auch als Bürgerinnen und Bürger, die sich die Frage stellen, was denn «Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.» bedeutet und inwieweit diese Norm sich in Deutschland auch verwirklicht findet. Abweichungen zwischen einer Norm und der Realität sind keineswegs etwas Pathologisches, sie machen die Norm erst zur Norm, die sich andernfalls gar nicht von der Realität unterscheiden ließe. Für das Grundgesetz bedeutet das: Die Lektüre seiner Normen muss dazu dienen, Realitäten zu kritisieren, nicht aber die Verfassung als «falsches Versprechen» zu entlarven. Die Versprechen einer demokratischen Verfassung sollen nicht als beständiger Quell der Enttäuschung dienen, so lesen gerade Ungeübte und Autoritäre gern das Grundgesetz, sondern als ein Ansporn, die Ordnung weiterzuentwickeln.

Diese Überlegungen werden für den Aufbau dieses Buches Konsequenzen haben, und zwar konkret für seine beiden zentralen Kapitel: Im Anschluss an eine Einführung zu Vorgeschichten und Entstehung des Grundgesetzes (I.) soll im folgenden Teil das Grundgesetz als Text vorgestellt werden, also die Perspektive eines Erstlesers eingenommen werden, um Aufbau, Struktur und einige zentrale Aussagen besser verstehen zu können (II.). Dem folgt die Vorstellung des Grundgesetzes als Norm, also als ein Faktor in unserer politischen und gesellschaftlichen Ordnung. Dieser Abschnitt bettet das Grundgesetz in eine kleine Geschichte der Bundesrepublik ein (III.). Dem wird sich ein kurzer Abschnitt zur Verfassungskultur des Grundgesetzes anschließen (IV.). Der letzte Abschnitt stellt einige aktuelle Herausforderungen an das Grundgesetz vor (V.). Systematische und historische Fragen sind in der Darstellung des Buches unvermeidlich miteinander zu verschränken.

I. Vorgeschichten und Entstehung

Eine Institution von 70 Jahren ist schon lange nicht mehr jung. Das gilt auch für das Grundgesetz. Der Beginn seiner Geltung ist für uns heute so weit entfernt wie das frühe Kaiserreich des Jahres 1879 für die Zeitgenossen des Jahres 1949. Doch während in dieser Epoche drei politische Ordnungen – Kaiserreich, Weimarer Republik und Nationalsozialismus – und zwei Weltkriege Platz fanden, erscheint die Epoche des Grundgesetzes ereignis-, in jedem Fall katastrophenarm. Dieser Erfolg ist erfreulich, aber er hat für die Zukunft wenig Aussagekraft. Schon Machiavelli stellte fest, dass eine junge Ordnung mehr Legitimation hat als eine alte. Einer neueren vergleichenden Studie zufolge beläuft sich die durchschnittliche Geltungsdauer einer modernen Verfassung seit den atlantischen Revolutionen auf 19 Jahre. Wenige Verfassungen altern so gut wie die amerikanische, und nicht immer entsteht das Bedürfnis nach einer neuen Ordnung daraus, dass es mit der alten Ordnung echte Probleme gäbe. Diese Vergänglichkeit des Institutionellen steht uns in der Gegenwart des Jahres 2019 viel dringlicher vor Augen als noch vor einem Jahrzehnt. Heute sind elementare Bestandteile demokratischer Rechtsstaatlichkeit ebenso umstritten wie die politischen Projekte der internationalen und europäischen Einbindung, die den Müttern und Vätern des Grundgesetzes vor Augen standen. Dies wird die Ordnung des Grundgesetzes nicht notwendig beenden, aber sicherlich verändern. Das Grundgesetz ist unversehens zu einem auch historischen Phänomen geworden.

1. Vorgeschichten

Auch verfassungsrechtlich hat es in Deutschland eine «gute alte Zeit» nie gegeben. Wer sie im 19. Jahrhundert sucht, muss politische Freiheit für eine Nebensache halten.

Das lange 19. Jahrhundert

Die Geschichte geschriebener Verfassungen beginnt mit den demokratischen Revolutionen in den Vereinigten Staaten und Frankreich am Ende des 18. Jahrhunderts. Diese geben der Idee der Verfassung eine neue Bedeutung. Verfassungen sind nunmehr einheitliche Urkunden, die die Gründung einer demokratischen Ordnung dokumentieren. Für die zersplitterte deutsche Staatenwelt an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ist diese Erfindung aber nur in Teilen eine politische Option. Im Gefolge der napoleonischen Besetzung werden geschriebene Verfassungen zu einem Kennzeichen der Modernisierung, das sich seit den 1810er Jahren langsam auch in Deutschland durchzusetzen beginnt: ein Prozess, der sich durch das ganze 19. Jahrhundert zieht. Allerdings sind die geschriebenen Verfassungen in Deutschland nicht Ausdruck einer demokratischen Neugründung. Die im Laufe des Jahrhunderts in Kraft tretenden Verfassungen funktionieren vielmehr unter den Bedingungen der fortgesetzten Monarchie als eine Art Vertrag zwischen dem Monarchen und seinen Untertanen, in dem der nach wie vor Souveränität beanspruchende Monarch sich selbst zur Einhaltung bestimmter Regeln verpflichtet. Es ist das zentrale institutionelle Problem der konstitutionellen Monarchie, dass der Monarch zu einem Teil der verfassungsmäßigen Ordnung wird, diese Ordnung jedoch seinem eigenen Anspruch nach jederzeit aushebeln kann. Dieser Widerspruch wird die deutsche Verfassungsgeschichte bis zum Ersten Weltkrieg beschäftigen. Institutionell kommt er im Widerstreit zwischen bürgerlichem Repräsentationsorgan, also dem Parlament, und monarchischer Verwaltung zum Ausdruck, deren Konflikte durch politische und militärische Durchsetzungsstärke, nicht durch Recht – und das bedeutet zugunsten des Monarchen – entschieden wurden.

Für die Mütter und Väter des Grundgesetzes taugten die deutschen Verfassungen des 19. Jahrhunderts daher nur sehr bedingt als Vorbild. Elemente, die das Grundgesetz auszeichnen, wie die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung, die – im 19. Jahrhundert außerhalb der USA allerdings unübliche – gerichtliche Kontrolle des Gesetzgebers oder die Formulierung von allgemeinen Verfassungsprinzipien finden sich in diesen Verfassungen nicht. Die Verfassungen der deutschen Länder sind zumeist Organisationsstatute ohne einen eigenen Grundrechtsteil. Da dem europäischen 19. Jahrhundert die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit weitgehend fremd ist, kann man von einem «Vorrang der Verfassung» in einem modernen Sinne, wie wir ihn für das Grundgesetz kennenlernen werden, nicht sprechen (S. 62). Die Grundrechte sind im 19. Jahrhundert keine Garantien, die dem Gesetzgeber entgegengehalten werden können. Im Konflikt zwischen liberalen Parlamenten und monarchischer Verwaltung müssen sie vielmehr in Form des Gesetzes politisch durchgesetzt werden, um die Exekutive zu binden. So finden sich die Grundrechte des 19. Jahrhunderts in den Pressegesetzen oder der Gewerbeordnung. Entsprechend konnten diese Garantien vom Parlament, wenn sich Mehrheiten fanden, auch wieder zurückgenommen werden wie in den Bismarck’schen Sozialistengesetzen.

Die lakonische Sprache des Grundgesetzes kann man immerhin in diese Epoche zurückverfolgen. In der Verfassung des Kaiserreichs, der ersten Verfassung eines deutschen Nationalstaates, entdecken wir auch andere Elemente, die uns bekannt vorkommen: Von der Bezeichnung des Chefs der Reichsleitung als «Kanzler», die ihrerseits aus dem Alten Reich kommt, bis zum Nebeneinander eines Reichstages und eines Bundesrates in der Gesetzgebung finden sich viele begriffliche Elemente im Grundgesetz wieder.