Das Haus Zamis 58 - Michael M. Thurner - E-Book

Das Haus Zamis 58 E-Book

Michael M. Thurner

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Beschreibung

Das Geschöpf riss verächtlich das Maul auf und präsentierte seine dünne, gespaltene Zunge, die zwischen dunkelgelben Zahnstümpfen umherpeitschte. Ich trat automatisch einen Schritt zurück. Das Wesen, das im Beschwörungskeller unserer Villa erschienen war, wirkte, als wäre es von einem verrückten Chirurgen aus Körperteilen verschiedenster Tiere zusammengesetzt worden. Es besaß einen ziegenähnlichen Kopf mit verdrehten Hörnern und außerdem drei Beine. Der Rumpf jedoch glich dem eines Vogels, und so wie es mit den gerupften Flügeln schlug, war es - zumindest mithilfe seiner magischen Kräfte - vielleicht tatsächlich imstande zu fliegen.
»Coco«, wandte sich mein Vater an mich. »Das ist Schirille. Sie ist eine Habergeiß. Ich werde euch beide mental aneinanderketten. Von jetzt an lässt Schirille dich nicht mehr aus den Augen ...«


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Inhalt

Cover

Was bisher geschah

SCHIRILLE

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

mystery-press

Vorschau

Impressum

Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrundeliegt. Die Zamis sind Teil der Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben.

Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht Coco den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Ihr Vater sieht mit Entsetzen, wie sie den Ruf der Zamis-Sippe zu ruinieren droht. So lernt sie während der Ausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Aber das Glück ist nicht von Dauer. Auf einem Sabbat soll Coco zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an, doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut und verwandelt Rupert Schwinger in ein Ungeheuer.

Seitdem lässt das Oberhaupt keine Gelegenheit aus, gegen die Zamis-Sippe zu intrigieren. So schickt Asmodi den Dämon Gorgon vor, der Wien und alle seine Bewohner zu Stein erstarren lässt – und die Stadt komplett aus dem Gedächtnis der Menschheit löscht. Nur Coco kann im letzten Augenblick entkommen, allerdings hat sie jede Erinnerung an ihre Herkunft verloren ... Kurz darauf findet sie sich jedoch in einer Vision in Wien wieder und steht ihrer versteinerten Familie gegenüber. Nach und nach gewinnt sie ihre Erinnerung zurück und fühlt sich mehr denn je verpflichtet, etwas gegen Gorgons Fluch zu unternehmen.

In einer Bibliothek auf Schloss Laubach in Deutschland stößt Coco auf die Dämonenvita ihres Vaters. Bisher wusste sie nur, dass ihr Vater einst aus Russland nach Wien emigrierte. Aus der Dämonenvita erfährt sie, dass er zuvor über Jahre hinweg seinen Halbbruder Rasputin bekämpft hat. Coco wird klar, dass die damaligen Ereignisse für die Rettung ihrer Familie von elementarer Bedeutung sein könnten.

Aus diesem Grund setzt auch Asmodi alles daran, die Dämonenvita in seinen Besitz zu bringen, doch serin Plan, Coco in die Vergangenheit ihres Vaters zu schleudern und sie auf diese Weise elegant zu »entsorgen«, schlägt fehl. Coco gelingt es, in die Gegenwart zurückzukehren und Gorgos Bann zu brechen. Michael Zamis dankt seiner Tochter die Rettung schlecht und quartiert sie nach Südamerika aus, um ungestört seine Kontakte zu den Oppositionsdämonen auszubauen, die sich Asmodis Sturz auf die Fahnen geschrieben haben. Er beginnt sogar ein Verhältnis mit Traudel Medusa, die dem Widerstand angehört. Als Cocos Mutter Thekla davon erfährt, tötet sie Traudel mit Asmodis Hilfe. Der Verdacht fällt auf Michael Zamis, der das Vertrauen der Oppositionsdämonen verliert. Sein letzter Rettungsanker ist abermals seine ungeliebte Tochter Coco ...

SCHIRILLE

von Michael M. Thurner

Er litt.

Sein Dasein maß er in Jahrhunderten der Qual. Die Erinnerung an das Davor war nahezu verblasst. Nur mühsam konnte er sich seiner früheren magischen Fähigkeiten entsinnen.

Würmer knabberten an ihm. Sie durchbohrten seinen Körper, taten sich an seinen Innereien gütlich, verursachten ungeahnte Schmerzen. Ein winziger Käfer hatte mit scharfen Beißzangen sein rechtes Augenlid zerrissen, sich dann durch den Augapfel gefressen. Zwischen zertrümmerten Knochenwülsten bohrte er sich weiter vor, bis er das Gehirn erreichte – oder was davon noch übrig war.

Obwohl er nach menschlichem Ermessen längst tot war, spürte er jeden einzelnen seiner Gegner. Würmer, Egel, Spinnen, Käfer. Parasiten und Aasfresser, Mikroben und Bakterien. Sie alle gehorchten dem uralten Befehl seines Bezwingers, rannten unermüdlich gegen die erbärmlichen Reste seiner Körperlichkeit an. Sie stießen auf breiter Ebene vor, und seine Abwehrmagie half nur unzureichend, ihn vor den Eindringlingen zu schützen.

1. Kapitel

Sie suchten sich kleinste Lücken, setzten ihre Larven und Eier in verfaulendem Gewebe ab, vermehrten sich und zersetzten seinen Leib.

Irgendwann würden seine Selbstheilungsfähigkeiten an Grenzen stoßen. Dann würde der Körper sterben, das Gehirn vertrocknen und lediglich ein geistiges, heimatloses Irgendwas übrig bleiben. So, wie es sein Bezwinger vorgesehen hatte.

Doch es bestand Hoffnung.

Einen Teil seines Selbst hatte er ... auslagern und in einen fremden Körper transferieren können. Von dort aus betrieb er die Wiedergeburt, die Wiederherstellung.

Der Plan war kompliziert, und es standen ihm viele Widrigkeiten im Weg. Doch er war zuversichtlich, dass alles so funktionieren würde, wie er es sich vorstellte. Schließlich war er einmal einer der mächtigsten Dämonen gewesen, die über die Erde gewandelt waren.

Er musste Geduld haben, und er musste das Ende der Schlacht um seinen Leib so weit wie möglich hinauszögern.

»Ich werde das nicht tun!«

Das Geschöpf riss verächtlich das Maul auf und präsentierte seine dünne, gespaltene Zunge, die zwischen dunkelgelben Zahnstümpfen umherpeitschte. Ich trat automatisch einen Schritt zurück. Das Wesen, das auf Befehl meines Vaters im Beschwörungskeller unserer Villa erschienen war, wirkte, als wäre es von einem verrückten Chirurgen aus Körperteilen verschiedenster Tiere zusammengesetzt worden. Es besaß einen ziegenähnlichen Kopf mit verdrehten Hörnern und außerdem drei Beine. Der Rumpf jedoch glich dem eines Vogels, und so wie es mit den gerupften Flügeln schlug, war es – zumindest mithilfe seiner magischen Kräfte – vielleicht tatsächlich imstande zu fliegen.

»Ich werde das nicht tun«, wiederholte es geifernd und spuckte einen Brocken weißlichen Schleims auf den Boden. Gleichzeitig glitt es so weit zur Wand hin zurück, wie es die Kettenbänder erlaubten, die um seine Füße geschlungen waren. Die Fesseln, aus vertrockneten und magisch ineinander verknoteten Nabelschnüren Neugeborener geformt, raschelten. »Völlig ausgeschlossen. Niemals.«

Mein Vater, der die Angewohnheit besaß, in solchen Situationen leicht die Fassung zu verlieren, sah sich das Gebaren des Vogelwesens mit erstaunlicher Ruhe an. In seinem Blick lag ein beinahe wissenschaftliches Interesse. Jetzt lächelte er schmal. Ich kannte dieses Lächeln. Es war grundsätzlich ein schlechtes Zeichen.

»Und ob du das wirst!«, stellte er leise fest.

Das Vogelwesen duckte sich förmlich, und seine aufgesetzte Protestlaune verflog so schnell, wie sie gekommen war.

»Coco«, wandte sich mein Vater an mich. »Das ist Schirille. Sie ist eine Habergeiß. Bestimmt hast du schon von diesen Wesen gehört.«

Ich musste nicht lange überlegen. Eine Habergeiß war ein gespenstisches, vogelartiges Geschöpf, das nachts in den Wipfeln hoher Bäume schaukelte und Menschen mit schriller Stimme verspottete. Habergeißen gelten als unverwundbar. Ehrlich gesagt hatte ich mir diese Wesen immer etwas imposanter und unheimlicher vorgestellt, aber die Sache mit der schrillen Stimme stimmte schon mal.

»Schirille, du wirst Coco auf ihrer Reise nach Klagenfurt begleiten.«

Das seltsame Wesen mit dem Namen Schirille duckte sich abermals und kratzte sich mit einem seiner drei Beine am Hinterteil. »Wie du wünschst, Herr. Ich füge mich, wenn auch widerwillig! Aber erwarte nicht, dass ich deinem Balg besondere Sympathie entgegenbringe.«

Michael Zamis zuckte mit den Achseln. »Das habe ich nicht verlangt. Du sollst auf Coco achtgeben und mir berichten, wenn sie Unsinn anstellt. Aber du wirst auch ihre Wünsche erfüllen. Zu diesem Zweck werde ich euch mental aneinanderketten.«

Langsam verlor ich die Geduld. Bisher hatte ich nämlich keinen blassen Schimmer, was dieser Auftritt zu bedeuten hatte. Mein Vater hatte mich ohne besonderen Grund in den Beschwörungskeller zitiert, und nun sollte ich plötzlich eine Reise nach Klagenfurt antreten?

»Dürfte ich bitteschön wissen, um was es hier eigentlich geht?«, fragte ich lauter, als es mir im Angesicht meines Vaters zustand. »Und was habe ich mit dieser hässlichen Kreatur zu schaffen?«

»Du wirst nach Klagenfurt reisen, Coco, und Schirille wird dich begleiten. Du hast dort eine Kleinigkeit für mich zu erledigen. Alles, was du wissen musst, erfährst du von ihr.«

Noch bevor ich etwas erwidern konnte, intonierte mein Vater einen Zauberspruch. Ich fühlte, wie etwas zwischen dem Wesen und mir entstand. Eine Verbindung, ein unzertrennliches Band. Von jetzt an würde ich immer wissen, wo sich Schirille befand und ob sie in Schwierigkeiten steckte. Umgekehrt galt natürlich dasselbe.

»Ich erwarte, dass du dich heute noch auf den Weg machst«, sagte mein Vater, nachdem er den Zauber abgeschlossen hatte. »Pack deine Siebensachen und beeil dich. Schirille wird bei eurem Gefährt auf dich warten.«

Er klatschte in die Hände, die Fesselung der Habergeiß löste sich auf. Das Wesen flatterte mit trägen Flügelschlägen an mir vorbei. Es hinterließ einen stechenden, tranigen Geruch.

»Schirille besitzt vielerlei Begabungen«, erklärte mein Vater. »Mit ihren Fähigkeiten kann sie dir in größter Not eine Hilfe sein.« Mit diesen Worten nickte er mir zu und verließ den Arbeitsraum.

Ich folgte ihm seufzend. Ich kannte die Launen meines Vaters und wusste, wann es sich lohnte, ihm zu widersprechen, und wann nicht. Es lohnte sich nie. Seine Stimmung schwankte meist zwischen düster und ganz düster. Heute war wohl einer seiner schlechteren Tage. Ich tat gut daran, nicht weiter in ihn zu dringen, sondern stattdessen zu gehorchen. Hastig eilte ich nach oben, in mein Zimmer, und raffte die notwendigsten Habseligkeiten zusammen.

Klagenfurt?

Was hatte die Schwarze Familie in der Kärntner Landeshauptstadt zu schaffen, und worin bestand das besondere Interesse meines Vaters? – Nun, ich würde meine Antworten von Schirille erhalten.

Ich verabschiedete mich in aller Eile von meinem Bruder Georg und von Mutter. Mein Vater ließ sich nicht mehr blicken. Doch als ich vom Vorhof unserer Hietzinger Villa nach oben sah, hoch zu den verdunkelten Mansardenfenstern des ersten Stocks der Gründerbau-Villa, konnte ich seine Präsenz spüren.

Er ließ mich wissen, dass er sich unbedingt einen Erfolg von meiner Mission erwartete. Seine Forderung drückte mir aufs Gemüt. Nur allzu deutlich schwang ein »Sonst-kannst-du-was-erleben« in seiner gedanklichen Botschaft mit.

Ein khakifarbener Jeep glitt aus der Garage, die Fahrertür öffnete sich wie durch Geisterhand. Ich war nicht überrascht, einen leeren Fahrersitz vorzufinden. Der Motor lief bereits. Es war, als könnte mein Vater es gar nicht abwarten, mich endlich los zu sein.

»Das wird aber auch Zeit!«, klagte Schirille prompt. »Ich dachte schon, wir würden diese schreckliche Gegend überhaupt nicht mehr verlassen.« Die Habergeiß ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder und schnalzte wieder mit der Zunge. Ich sah, dass sie gerade auf einem undefinierbaren Brocken aus Fleisch und Sehnen herumkaute, offenbar so eine Art Kaugummi für Habergeißen.

Ich löste die Handbremse und bewegte den Jeep ruckelnd hinein in die Ratmannsdorfgasse.

»Dächer und Mauern«, erklärte Schirille und blickte sich angewidert um. »Häuser. Straßen. Ringsum Dinge, von Menschenhand gefertigt. Kein natürliches Felswerk, keine Feuchtigkeit ...« Schirille furzte. Rotgelber Ausfluss drang unter ihrem struppigen Stummelschwanz hervor und verteilte sich über Sitz und Fell. Ich wandte einen geruchsreinigenden Zauber an, bevor der Würgereiz zu intensiv wurde, und versuchte zu ignorieren, wie sie ihre Ausscheidungen aufzulecken begann. »Ihr Zweibeiner verbergt euch schamhaft hinter Mauern, anstatt die Offenbarungen des Lebens und des Sterbens in vollen Zügen zu genießen«, meckerte sie weiter.

Na, das konnte ja eine schöne Reise werden.

»So? Und was verstehst du unter den Offenbarungen des Lebens und des Sterbens?«, fragte ich wenig interessiert.

»Das Odeur vergehenden Lebens auf Friedhöfen. Das Japsen und Jammern Sterbender. Letzte, röchelnde Atemzüge. Der Schmerz des Todes. Die Erkenntnis in den Augen der Menschen, wenn sie wissen, dass es zu Ende geht.« Schirille wälzte sich auf den Rücken. Ich erblickte drei längliche Euter und eine mit groben Stichen zugenähte Vagina.

Was bezweckte mein Vater, indem er mich mit diesem abscheulichen Wesen zusammenspannte? Hatte er eine weitere neue Form der Demütigung für mich entdeckt, oder steckte ein tieferer Sinn hinter ihrer Begleitung?

Nun – ich würde mir die Antworten später holen. Vorerst konzentrierte ich mich darauf, den Jeep unter Kontrolle zu bekommen. Er war groß, breit, schwerfällig und mindestens 20 Jahre alt. Er besaß keine Servolenkung; das Lenkrad zitterte in meinen Händen. In den schmalen Gässchen Hietzings, in denen man bei Gegenverkehr auf das Gutdünken anderer Autofahrer angewiesen war, musste ich mehr als einmal auf meine magischen Fähigkeiten zurückgreifen.

Am Grünen Berg geriet ich in den freitäglichen Mittagsstau, der sich auf der Auffahrt zur Südost-Tangente fortsetzte. Ein Mann mit schütterem Haar betrachtete mich interessiert aus seinem nebenher ruckelnden PKW. Schirille hingegen bemerkte er nicht. Die Habergeiß blieb für Menschen unsichtbar.

Gut so.

Erst auf der Südautobahn gestaltete sich der Verkehr zu meiner Erleichterung flüssiger. In drei Stunden würden wir unser Reiseziel erreichen.

»Und nun zu uns beiden«, sagte ich, an Schirille gewandt. »Glaub bloß nicht, dass es mir Spaß macht, einfach so an einen hässlichen Vogel wie dich gekettet zu werden. Ich möchte alles wissen. Wer du bist, was du mit meinem Vater zu tun hast, warum er uns nach Klagenfurt schickt.«

Die Habergeiß, kaum mehr als einen Meter groß, sprang unwillkürlich aus ihrem Sitz hoch und krallte sich mit den Beinen in die Decke des Autos. Sie streckte einen Fuß nach mir aus, als wollte sie mir die Augen auskratzen. Erschrocken wich ich zum Fenster zurück, mühsam die Kontrolle über das Auto behaltend.

Gift träufelte von Schirilles Fingernägeln. Es spritzte über die gepolsterten Sitzmöbel und zog lange Furchen. »Wäre ich nicht deinem Vater verpflichtet«, zischte mich die Habergeiß an, »hätte ich dich längst getötet.«

Ich glitt in den rascheren Zeitablauf. Schirille erstarrte, in der Normalzeit gefangen. Angewidert packte ich sie an den Beinen und zog sie von der Wagendecke. Mit aller Wucht schleuderte ich sie gegen die Beifahrertür, murmelte einen magischen Bannspruch und glitt in den normalen Zeitenlauf zurück. Nicht einmal eine Zehntelsekunde war vergangen.

Schirille stöhnte auf.

»Nur, um gleich zu Beginn etwas klarzustellen«, sagte ich kühl. »Was auch immer mein Vater über mich erzählt hat: Ich bin nicht bereit, mich auf ein Spielchen mit einer Spukgestalt einzulassen, die höchstens kleinen Kindern Angst einflößt. Du beantwortest meine Fragen ohne Widerrede, und du wirst mir bedingungslos zur Verfügung stehen. Haben wir uns verstanden?«

Schirille röchelte. Ihr Ziegenkopf klebte an der Fensterscheibe. Ich machte mir keine übermäßigen Sorgen um ihre Gesundheit. Habergeißen galten als hart im Nehmen, und wie bereits erwähnt, behaupteten manche sogar, dass sie unverwundbar wären.

Ich lockerte den magischen Bann ein wenig. Schirille schnappte erleichtert nach Luft, atmete tief durch und hauchte dann: »Ver...standen.«

»Gut so. Und nun nochmals von vorne: Wer und was bist du?«

»Mein Name ist Schirille. Ich entstamme der Sippe der Konvoch, die im Salzburger Lungau zu Hause ist.«

»Die Konvoch sind also eine Art ... Großfamilie der Habergeißen?«

»Die berühmteste.« Schirille warf sich in eine stolze Pose. Dutzende Flöhe sprangen aus ihrem Fell. »Seit mehreren Jahrhunderten bewohnen wir die Umgebung der ›Entrischen Kirche‹ bei Dorfgastein im Gasteiner Tal ...«

»Entrische Kirche?«, echote ich.

»Das ist der Name für eine Tropfstein- und Wasserhöhle nahe des Luxkogels. Der Name bedeutet so viel wie ›unheimliche Höhle‹. Eine Vampirsippe haust dort und versorgt die regionalen Friedhöfe mit ausreichend Nachschub.«

»Was haben die Konvoch-Habergeißen damit zu tun?«

Wir näherten uns bereits der Kurstadt Baden. Ein schwarzer Mercedes mit verspiegelten Fenstern und Wiener Kennzeichen überholte uns mit überhöhter Geschwindigkeit.

Ich fühlte die Präsenz dreier Dämonen; so, wie auch sie mich spüren konnten.

Ich versuchte, auf magische Weise einen Blick durch die Spiegelscheiben zu werfen, konnte aber niemanden der Insassen erkennen. Das irritierte mich allerdings nicht. Die vorübergehende Versteinerung Wiens hatte einige Änderungen mit sich gebracht.

Dutzende unbekannter Mitglieder der Schwarzen Familie hatten die Unruhen ausgenutzt und waren aus der Fremde nach Wien gezogen, um neues Machtterrain zu erobern. Damit bissen sie jedoch bei meinem Vater auf Granit. Er verteidigte die Machtposition der Zamis-Sippe mit harter Hand.

»Wir sind Todeskünder und gut Freund mit allen Geschöpfen, die auf Friedhöfen beheimatet sind«, erklärte Schirille weiter. »Wir geben Laut, sobald das Ende eines Menschen bevorsteht. Besonders ängstliche Wesen sind in der Lage, uns zu sehen. Wir nähren uns besonders gerne von ihrem Entsetzen und Aberglauben, von ihren Ängsten und der Todesfurcht. Das Salzburger Land ist ein besonders guter Nährboden für uns.« Schirille meckerte gehässig, während unablässig eine sämige Flüssigkeit aus ihrem zugespitzten Mund tropfte.

Mittlerweile näherte sich die Sonne dem Horizont. Die Spitze des Schneebergs glitzerte in ihren letzten Strahlen, die Kalkabbrüche der Hohen Wand leuchteten unter der Dunkelheit des stark bewaldeten Plateaus hervor.

»Was hast du mit meinem Vater zu schaffen?«

»Die Konvoch sind der Zamis-Sippe verpflichtet«, sagte sie zu meiner Überraschung.

»Verpflichtet? Weswegen?«

»Ich trage eine alte Schuld ab«, sagte sie ausweichend. »Für eine längere Zeitspanne darf dein Vater über mich verfügen.«

Ich ahnte, dass ich von ihr vorläufig keine genauere Antwort erhalten würde. »Warum befiehlt uns mein Vater, nach Klagenfurt zu fahren?«, bohrte ich weiter. »Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, ein wenig im Wörther See zu pritscheln. Aber ich vermute, dass er nicht mein Vergnügen im Sinn hatte, als er mich auf den Weg schickte?«