Das kaputte Knie Gottes - Marc Degens - E-Book

Das kaputte Knie Gottes E-Book

Marc Degens

3,9
13,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein urkomischer Roman über das Scheitern und Verspießern, über Freundschaft und Verrat

Sie haben Großes vor, doch das Leben ist voller Fallstricke: Eine Allergie zerstört die Liebe, ein unerwarteter Hauptgewinn bringt Tonnen von Hundefutter ins Haus, die Aufführung des Polit-Stücks scheitert an den Brecht-Erben, und der künstlerische Durchbruch gelingt mit bunten Betonblümchen … »Das kaputte Knie Gottes« erzählt von jenem Wahnsinn, der uns hartnäckig als Alltag verkauft wird, aber eigentlich eine einzige Zumutung ist.

Im Ruhrgebiet zwischen Bochum und Essen: Dennis, der Bildhauer, Lily, die Zigarillo rauchende Kommunistin, und Mark, der schreibende, ambitionierte Lehramtsanwärter, wollen dem Leben eine ordentliche Portion Glück abtrotzen, was ihnen im alltäglichen Irrsinn aber nur selten gelingt. Marc Degens erzählt ihre Geschichte mit feinem Gespür für verlorene Träume und verrückte Zufälle, durchsetzt mit leiser Ironie und schwarzem Humor. »Das kaputte Knie Gottes« ist ein Roman über hochfliegende Pläne und harte Landungen in der Realität, über Wandlungen und Entfremdung einer ganzen Generation. Und ganz nebenbei eine Persiflage auf den Kulturbetrieb.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 245

Bewertungen
3,9 (16 Bewertungen)
7
2
5
2
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Marc Degens

Das kaputte Knie Gottes

Roman

1. AuflageCopyright © 2011 beim Albrecht Knaus Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbHGesetzt aus der Minion von Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-06139-5

www.knaus-verlag.de

Ich habe dieses Buch nicht geschrieben, um mich an Dennis zu rächen.Aber verzeihen kann ich ihm auch nicht.

Kinderspiele

Kunst verstehn heißt sie kaufen.

Jupp

1 Bocksprünge

Wir standen an einem Stehtisch in der »Schnitzel-Zentrale«, einer der ranzigsten Imbissbuden des Ruhrgebiets, und stocherten in unserem Essen.

»Ein Leben als vierundzwanzigjähriger Bildhauer in Bochum-Wattenscheid ist ebenso traumhaft wie der Aufstieg eines Armlosen in die Top Ten der Tennisweltrangliste«, sagte Dennis. Er hatte ein paar Pommes aufgespießt und untermalte seine Worte mit wilden Bewegungen der Plastikgabel, die in seinen riesengroßen Händen wie ein Spielzeug wirkte. »Vor allen Dingen dann, wenn man wie ich auf die dreihundert bis vierhundert Kilogramm schwere Darstellung von Gliedmaßen spezialisiert ist.«

Diese Leidenschaft beschäftigte Dennis seit dem zehnten Schuljahr, seit er im Kunstunterricht einen Daumen aus Speckstein gefertigt hatte. Die Arbeitsaufgabe lautete damals »Ängste im industriellen Zeitalter«. Ich saß neben ihm, war bekifft, zeichnete verstümmelte Comicfiguren und redete ununterbrochen auf ihn ein. Dennis ließ sich davon nicht stören.

»Drei betende Fingerkuppen«, »Der große und der kleine Zeh«, »Fuß ohne Meinung« und »Nabel I–IV« hießen die Werke, die er in oft monatelanger Arbeit aus Stein oder Holz meißelte, abformte und schließlich in Beton ausgoss. An meinem zwanzigsten Geburtstag schenkte er mir den »Fuß ohne Meinung«.

»Das ist deine Altersvorsorge«, sagte Dennis, und in seiner Stimme lag der Klang einer Kirchenglocke. Der Fuß ist das schwerste Geschenk, das ich bis heute erhalten habe.

Nach dem Zivildienst begannen wir an der Ruhr-Universität zu studieren, Dennis Kunstgeschichte, ich Germanistik und Anglistik. Nach drei Semestern warf Dennis allerdings das Handtuch. Seitdem nannte er sich freischaffend. Käufer mieden seine Plastiken, oft kam bloß ein »Ach, wenn sie nur nicht so groß wären!«.

»Aber dann hätte ich auch Goldschmied werden können«, sagte er missmutig.

Zur Finanzierung seiner Berufung, seiner Ernährung und seines Einzimmerappartements, das ihm gleichzeitig als Atelier diente, war Dennis deshalb auf verschiedene Nebenjobs angewiesen. Im Laufe der Zeit arbeitete er als Gartenteichreiniger, Medikamententester und Gepäckschließfachgeldentleerer – für den letztgenannten Job musste Dennis sogar einen Eid auf die Deutsche Bahn ablegen. Nicht weniger bizarr war seine Arbeit als Kartenverkäufer in dem Pornofilmkino »Kurbel« im Rotlichtviertel an der Gussstahlstraße.

Vier Tage in der Woche, von Donnerstag bis Sonntag, saß Dennis hinter der Kinokasse auf dem Eierberg und verkaufte in sechs Stunden etwa dreißig Eintrittskarten an fast immer dieselben Gesichter, dazu einige Flaschen Bier und ein paar eingeschweißte Ausgaben von »Titten-Kurier« und »Popp-Shop«. An den ätzenden Geruch der Desinfektionsmittel konnte er sich überhaupt nicht gewöhnen. Die Arbeitszeit von acht Uhr abends bis zwei Uhr nachts empfand er dagegen als äußerst angenehm, da sie ihm die Möglichkeit gab, direkt nach dem Wachwerden seine Lieblingsfernsehsendung anzuschauen.

Das Programm in der »Kurbel« bestand aus jeweils drei Filmen, die in einer Endlosschleife liefen und nach zwei Wochen durch drei neue Streifen ersetzt wurden. Die Kinokarte berechtigte zum Anschauen sämtlicher Filme, doch die meisten Zuschauer suchten nach ein-, höchstenfalls zweimaligem Onanieren das Weite.

Als die seltsamen Ereignisse in der »Kurbel« ihren Anfang nahmen, wurden »Ins rote Meer tauchen«, »Bocksprünge« und »Die drei und der Schleudersitz« gezeigt. Im Kino hatten eine Handvoll Männer Platz genommen und begafften »Bocksprünge«. Aus dem Dunkel drang die übliche Mischung aus Gestöhne, Flehen und knappen Kommandos.

Nach dem »Bocksprünge«-Abspann traten zwei laut diskutierende Männer aus dem Kinosaal, keiner wollte den anderen zu Wort kommen lassen.

»Also mir hat ja besonders die Kameraführung am Anfang gefallen«, sagte ein vielleicht vierzigjähriger Glatzkopf mit Nickelbrille. »Diese genialen Spiegelszenen. Das wirft ein Licht auf die geheimen Wünsche der Figuren. Wie bei Fassbinder.«

»Ich finde den Film ja eher lynchhaft«, antwortete ein etwa fünfundzwanzigjähriger Rollkragenpulloverträger. »Das Laken als Tür zu einer anderen Welt. Da muss ich sofort an den Vorspann von ›Blue Velvet‹ denken. Oder an ›Twin Peaks‹ und die schwarze Hütte.«

»Keine Spur«, erwiderte der Glatzkopf, »der Film ist so deutsch wie ein Schäferhund. Dieses laute Denken aus dem Off, während die Kamera starr auf den Brüsten der Frau ruht. Diese Technik stammt original von Alexander Kluge. Das ist Anti-Fernsehen, das würde sich nie im Leben ein Amerikaner trauen.«

Dennis wunderte sich, doch er vergaß das Gespräch, nachdem die Männer in der Nacht verschwunden waren. Doch als zwei Tage später eine zehnköpfige Gruppe, die Hälfte davon Frauen, in der »Kurbel« auftauchten und Eintrittskarten für »Bocksprünge« kaufen wollten, fiel es ihm wieder ein. Dennis erklärte den Anstehenden, dass er nur Eintrittskarten verkaufe, mit denen man auch den Film, der gerade lief, anschauen könne, woraufhin einige in der Gruppe ganz unruhig wurden: »O Gott, wir müssen uns beeilen, der Vorfilm hat schon angefangen!«

Während der Vorstellung kamen immer wieder Zuschauer zu Dennis und wollten Eis und Popcorn kaufen, obwohl er doch nur Bier und Pornohefte im Angebot hatte. Ein Langhaariger in einem Comic-T-Shirt wollte sogar das »Bocksprünge«-Filmposter erstehen, auf dem eine Wasserstoffblondine ihre Brust leckt und ein südländischer Kerl eine Rothaarige missioniert. Er bot für das Poster im Schaukasten einen Haufen Geld, doch es war das einzige Exemplar und damit unverkäuflich.

Am nächsten Abend waren sämtliche Vorstellungen ausverkauft. Nur mit Mühe und Androhung der Polizei konnte Dennis ein Biker-Pärchen daran hindern, ihren zwölfjährigen Sohn in den Film mitzunehmen.

Vor und nach dem Film löcherten die Zuschauer Dennis mit Fragen. Wer die Filmmusik komponiert habe? Wie die Romanvorlage heiße? Wann der Film in Originalfassung gezeigt werden würde?

Während einer »Bocksprünge«-Vorstellung verließ Dennis für einen kurzen Moment seinen Platz hinter der Kasse und schlich in den Vorführraum. Zwei Männer nahmen eine Frau gleichzeitig, das Publikum lachte. Als sich ein Mann in den Mund der Frau ergoss, gab es lauten Szenenapplaus.

Nach dem Film hörte Dennis wieder die üblichen Sätze.

»Das ist die neue Nouvelle Vague«, behauptete ein älterer Herr beim Entzünden seiner Pfeife. »Der hier ist noch besser als ›Außer Atem‹.«

»Ich glaube«, gestand eine Baskenmützenträgerin mit glitzerndem Blick, »der Geschlechterkampf wurde seit Bergman nicht mehr so radikal inszeniert.«

»Der Mann ist ein Genie«, schwärmte ein Rotschopf und wickelte hastig seinen Palästinenserschal um den Hals. »Ich muss morgen sofort in die Bibliothek und alles über Peter Black herausfinden.«

Eine Woche später hatte sich die »Kurbel« von Grund auf verändert. »Ins rote Meer tauchen« und »Die drei und der Schleudersitz« waren aus dem Programm genommen worden, auf der Anzeigentafel vor dem Kino stand in riesigen Lettern:

Linda Dur      Tina Ferrari

Zack Slam

in

B O C K S P R Ü N G E

von

Peter Black

Die »Kurbel« glich einem Warenhaus während des Schlussverkaufs. Alle zwei Stunden lief eine »Bocksprünge«-Vorstellung. Neben Bier und Pornoheften konnte man nun auch Chips, Schokoriegel, Weingummi, Eis, Popcorn, Sprite und Fanta kaufen. Dennis hatte keine ruhige Sekunde mehr, ständig wurde er gefragt, ob er auch Lakritz verkaufe, wie teuer eine mittelgroße Cola und wo die Toilette sei.

Als seine Chefin erklärte, dass bald auch Mittagsvorstellungen gezeigt werden würden und Dennis deshalb bereits um elf Uhr mittags zur Arbeit kommen müsse, riss sein Geduldsfaden. Er kündigte, denn das Sonnenlicht am Mittag war für seine bildhauerische Arbeit unverzichtbar. Fortan schnürte er die Keulen von Masthähnchen zusammen, werktags von sieben bis elf Uhr früh.

Man könnte glauben, dass es bessere Gelegenheiten gibt, um die Liebe seines Lebens kennenzulernen.

2 Lily

»Wenn ich mich bildhauerisch betätige, dann bin ich nie allein«, gestand mir Dennis eines Abends. »Zwei Geschöpfe leisten mir im Atelier stets Gesellschaft. Das eine ist die gerade in Arbeit befindliche Skulptur, meine Geliebte. Das andere die Einsamkeit, meine Gemahlin.«

Wir saßen auf der Matratze am Boden in seinem Zimmer und lehnten an der Wand. Ich wollte Dennis eigentlich überreden, mich in den »Zwischenfall« zu begleiten, doch das war ein aussichtsloses Unterfangen: Dennis mochte keine Diskotheken. Er trank auch keinen Alkohol, rauchte nicht, ging nicht ins Kino, hörte keine Musik, interessierte sich nicht für Fußball oder sonst einen Sport … Er ruhte in seiner eigenen Welt. Ich wäre vor Langeweile geplatzt.

»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich die Stelldicheins mit meiner Geliebten genieße«, schwärmte Dennis. »Das sanfte Tasten und die groben Berührungen. Es sind unvergleichliche Begegnungen, körperlich und geistig. Doch jede Zusammenkunft ist ein Schritt hin zur Auflösung unserer Beziehung.«

Das Leuchten in seinen Augen verschwand.

»Ich kann einfach nicht treu sein«, seufzte er. »Der letzte Schliff tötet all mein Begehren. Mich erregt das Fehlerhafte, Unfertige, Nichtvollendete. Sobald meine Gespielin makellos ist, verliert sie für mich jeden Reiz.«

Dennis stand auf und stellte sich in die leere Zimmerecke mit dem Rücken zur Wand.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!