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Dass die Gattung Tagebuch gerade bei älteren Autoren soviel Anklang findet, liegt an dem Umstand, dass sie größere Projekte scheuen, weil der plötzliche Tod sie am Abschluß hindern könnte.
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Seitenzahl: 32
Marc Degens
Die geraffte Wahrheit
dieses Tags
für Tibor
SuKuLTuR
2011
Schöner Lesen Nummer 4
ein SuKuLTuR-Produkt
eBook-Ausgabe Oktober 2011
1. Auflage (Print) Januar 1997
Alle Rechte vorbehalten
Text: Marc Degens
SuKuLTuR, Wachsmuthstraße 9, 13467 Berlin
[email protected] · www.sukultur.de
ISBN (Print) 978-3-937737-04-1
ISBN (ePub) 978-3-941592-79-7
ISBN (pdf) 978-3-941592-84-1
eBook-Herstellung und Auslieferung
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
„In Wirklichkeit ist jedes Thema interessant,
wenn man erst mal richtig drin ist.“
(Rainald Goetz)
„Man kann, wenn man nicht naiv tut,
alles erzählen, sogar Ideen.“
(Dietmar Dath)
Los geht‘s. Literatur hat mit dem Leben – außer denselben Anfangsbuchstaben und der Verwendung des in der deutschen Sprache am häufigsten benutzten Vokals – wenig gemein, man kann sogar sagen, daß sich die beiden Dinge gegenseitig regelrecht ausschließen. Wieso Dinge und wieso überhaupt? Diesen Fragen will ich im Folgenden nachgehen, obwohl man erschöpfende Antworten wahrscheinlich vergeblich suchen wird.
Mein heutiger Tag begann mit dem Wachwerden. Natürlich begann er eigentlich schon viel früher, ich habe ja geschlafen, wahrscheinlich sogar geträumt, doch der Traum hat mit dem Leben noch weniger gemein als das Leben mit der Literatur, nämlich rein gar nichts. Irgendwann, so gegen halb zehn in der Früh, weckte meine Freundin Tanja und mich der antike Radiowecker, den nicht ich, sondern sie gestellt hatte. Da ich der Mann in unserem Bett bin, obliegt natürlich mir die Aufgabe, aufzustehen, Kaffee zu kochen und mit den dampfenden Tassen zurück zum Bett zu wandern, meine Freundin sanft zärtlich zu wecken und ihr den Kaffeetrog zu reichen. Und wie jeden Morgen wollte ich mich vor der Aufgabe drücken, wandte mich zur Seite und tat so, als ob ich schliefe.
Ein paar Sätze zum Traum, speziell zu meinen Träumen. Schon seit einigen Jahren passiert in ihnen nichts Aufregendes mehr; weder muß ich meinen besten Freund aus den Klauen finsterer Mächte befreien, noch umgarnen mich schöne Frauen, die es nur auf dreckigen Sex abgesehen haben. Nein, all diese James-Bond-Phantasien sind unwiederbringlich vorbei. Wenn ich träume, dann träume ich nur, daß ich träume, und dies ist selbstredend nicht sonderlich spannend. Aber komisch, denn hierzu fällt mir immer wieder ein wunderschönes Panel aus einem meiner Lieblingscomics ein: Nick Knatterton liegt in seinem Bett und schläft. Eine Gedankenblase zeigt, was er gerade träumt; sie zeigt, daß Nick Knatterton im Bett liegt, schläft und sich eine Gedankenblase macht. Diese Gedankenblase zeigt wiederum Nick Knatterton, der im Bett liegt, schläft, sich eine Gedankenblase macht und so weiter und so fort. Der Zeichner Manfred Schmidt kommentiert diesen Sonderfall für Psychoanalytiker dergestalt, daß Knatterton so konzentriert schläft, daß er im Schlaf träumt, daß er schläft. Ich glaube aber, daß es richtiger wäre, davon zu sprechen, daß Knatterton so konzentriert schläft, daß er im Schlaf träumt, wie er im Schlaf träumt. Wenn er nur im Schlaf davon träumt, daß er schläft, dürfte die erste Gedankenblase ja nur zeigen, daß er schläft; Schmidt unterschlägt mit seiner Kommentierung also die zweite und dritte Gedankenblase. Da ich seit jeher ein erklärter Feind der Zensur bin, muß ich mich an dieser Stelle natürlich gegen die Schmidtsche Gedankenverstümmelung wehren.