Fuckin Sushi - Marc Degens - E-Book
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Fuckin Sushi E-Book

Marc Degens

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Beschreibung

Fuckin Sushi‹ ist ein wildes, anrührendes Buch über die Geborgenheit, die man nur als junger Mensch unter Freunden erfahren kann, und über eine Zeit im Leben, in der fast alles möglich scheint. Eine Schülerband aus Bonn: Fuckin Sushi. Sie singen deutsch und rocken, laut und lang. In der Fußgängerzone von Bad Münstereifel, auf einem Sommerfest von Bundeswehrangehörigen oder im »Bla«. Durch ein You-Tube-Video werden die vier berühmt. Nach einer Tournee werden jedoch die Spannungen in der Band immer größer, die Oma des Erzählers stirbt, Bob Dylan kommt nach Bonn und das Ende der Schulzeit rückt näher und näher ... »Ich hätte gern in dieser Band gespielt« DAVID WAGNER INKLUSIVE BONUSTEIL: mit Playlist und exklusivem Interview

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Seitenzahl: 349

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Marc Degens

Fuckin Sushi

Roman

eBook 2015

©2015 DuMont Buchverlag, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

ISBN eBook: 978-3-8321-8851-1

www.dumont-buchverlag.de

Fuckin Sushi

1

Langsam rollte der Wagen die Auffahrt hinunter und Papa blinkte nach rechts. Nino und ich saßen auf der Rückbank und ich hielt ihre Hand. An der Bushaltestelle auf der anderen Straßenseite standen die Küblers. Die zwei waren schon Rentner und das halbe Jahr auf Reisen. Die Anden, der Kilimandscharo, Gorillas in Uganda. Die beiden waren körperlich besser in Schuss als ich. Ich sah Nino an und lächelte.

»Gleich sind wir in Sicherheit«, sagte ich.

Sie nickte und schloss die Augen. Es war ein heißer Tag, trotzdem waren ihre Finger eiskalt.

»Neiiiiin«, hörten wir plötzlich einen Schrei neben uns.

Aus dem Gebüsch hinter den Mülleimern sprang Ninos Mutter und warf sich auf die Motorhaube. Mit einem furchtbaren Knall klatschte ihr Körper auf den Wagen.

»Verdammt«, fluchte Papa und bremste.

Der Wagen kam zum Stehen – mit Ninos Mutter auf dem Kühler.

»Komm zurück zu uns«, wimmerte sie und drückte dabei das Gesicht gegen die Windschutzscheibe.

Ninos Mutter sah aus wie ein Zombie. Sofort drückte Papa den Knopf der automatischen Türverriegelung. Plok machte es vor und neben uns.

»Aussteigen«, schrie Ninos Mutter und rutschte von der Motorhaube.

Sie rannte zu Ninos Tür und rüttelte am Griff. Nino drehte sich weg und schlang die Arme um mich. Ihre Mutter kreischte, als würde man sie bei lebendigem Leib verbrennen.

»Raus da!«, rief sie.

Spucketropfen platschten gegen die Scheibe und zerliefen. Ich fühlte mich wie in einem Aquarium ohne Wasser. Wir waren Gefangene.

»Helfen Sie mir«, schrie Ninos Mutter und wedelte mit den Armen. »Meine Tochter wird entführt!«

Vom Garagenhof rollte ein alter blauer Mercedes und kam hinter uns zum Stehen. Ninos Mutter eilte den Küblers entgegen, die zögernd die Straße überquerten und auf uns zuliefen. Der Mercedes hupte und der Fahrer öffnete die Tür. Wir kamen weder vor noch zurück.

»Na gut«, rief Papa, riss das Lenkrad herum und fuhr einfach los.

Wir holperten links über den Rasen an der rostigen Teppichstange vorbei. Ninos Mutter rannte hinter uns her und schlug immer wieder mit der flachen Hand auf den Kofferraum. Papa wurde schneller und raste über den Bürgersteig. Wir hoben vom Bordstein ab und hüpften bei der Landung mit den Köpfen nach oben. Zum Glück war niemand auf der Straße. Papa gab Gas. Ich drehte mich um und schaute durch die Heckscheibe. Ninos Mutter lief noch ein Stück hinter uns her, blieb stehen und wurde immer kleiner. Wir hatten gesiegt und mein Herz pochte bis zum Hals. Papa bog rechts ab und dann noch einmal rechts.

»Was macht dein Knie?«, fragte er und sah mich im Rückspiegel an.

»Alles okay«, antwortete ich.

Papa lächelte. Er beugte sich vor und schaltete das Radio an. Aus den Lautsprechern kam Musik. Till the world ends. Nino nahm wieder meine Hand. Normalerweise mag ich Britney Spears nicht, doch in diesem Moment war es die beste Musik der Welt.

Stunden später verlor ich im Müll-Tower meine Unschuld, aber davon erzähle ich später. Ich muss erst noch die beiden anderen Sushis vorstellen. Lloyd und natürlich R@. Ausgesprochen Rätt. Wie die Ratte auf Englisch.

2

René war mir schon am ersten Tag auf meiner neuen Schule aufgefallen. In der dritten Stunde hatten wir Bio bei der Geisler. Sie sah aus wie eine Nachrichtensprecherin im Fernsehen. Die Geisler trug eine weiße Rüschenbluse und darüber einen lila Blazer mit hornartigen Schulterpolstern. Es war eine Mischung aus Großmutter und Clone Wars.

Am Anfang der Stunde machte die Geisler einen Wiederholungstest. Wir sollten die Zahnreihen eines Ober- und Unterkiefers beschriften. Es war der erste Tag nach den Weihnachtsferien und ich hatte keine Ahnung. Auf meiner alten Schule hatten wir die ganze Zeit bloß gemendelt. Trotzdem musste ich den Test mitschreiben.

»Natürlich drücke ich bei der Benotung beide Augen zu«, sagte die Geisler.

Die vordersten Zähne nannte ich Schneidezähne, den Rest Backenzähne. Dafür bekam ich eine Sechs in Klammern. Die neue Schule gefiel mir überhaupt nicht. Alles war irgendwie so förmlich und ich hatte Riesenprobleme, mich auf den Unterricht zu konzentrieren. Die meiste Zeit schaute ich auf das Dach der Sporthalle, zählte die Wolken am Himmel oder die Blätter an den Bäumen.

Ständig sprachen mich Lehrer an und ich wusste nie, was ich sagen sollte. Gehänselt wurde ich wegen meiner Schultasche. Selbst der Rektor machte hinter meinem Rücken Witze. Das Teil war eine Kreuzung aus Rucksack und Rollkoffer mit Schulterriemen zum Umhängen und einem versenkbaren Griff zum Ziehen. Oma und Opa Dannenfeld hatten mir die Tasche zu Weihnachten geschenkt.

»Zum Durchstarten«, hatte Papa geschwärmt und die mehrsprachige Gebrauchsanweisung durchblättert. »Da kriegst du alles rein, selbst Aktenordner. Damit hast du noch an der Uni Spaß.«

Auf der neuen Schule war das Teil allerdings ein Fluch. Kaum hatte ich es aufgesetzt, kam jemand angerannt, zog hinten den Griff raus und ich lief herum wie ein Astronaut mit Antenne. Rollen wollte ich die Tasche auch nicht, selbst die Jungs mit den Tretrollkoffern wurden verarscht. Also musste ich sie tragen und davon bekam ich zwei unterschiedlich dicke Arme.

Renés Bio-Test war noch schlechter als meiner. Er bekam von der Geisler eine Sechs minus, obwohl es diese Note gar nicht gab. Auch René machte sich über meinen Rucksack lustig, aber er fummelte nie am Griff herum. Er ging nur mit Plastiktüten in die Schule. Die anderen Jungs betraten den Schulhof immer wie Cowboys. Paul, Mervin, Gökhan, Alex zwei. Kaugummi kauend mit Kopfhörern, den Rucksack über einer Schulter hängend, total cool und vollkommen unglaubwürdig. Ganz anders René mit seinen Plastiktüten. Bei jedem anderen hätte das blöd ausgesehen, doch ihm standen die Tüten ausgezeichnet.

Zwischen René und mir gab es eine weitere Gemeinsamkeit. Unsere Vornamen wurden häufig falsch geschrieben. Bei mir ließ man oft das e weg, also Nils statt Niels. Bei René wiederum wurde häufig der Strich über dem e vergessen oder verkehrt herum geschrieben. Der Strich verlieh René etwas Geheimnisvolles. Schlimm waren allerdings seine Haare. Er ließ sie gerade wachsen und war mitten im Übergang. Erst am Ende des Schuljahrs, als sie ihm über die Schultern fielen, sah es gut aus. Von da an war René nicht nur der Älteste der Stufe, sondern auch der Erwachsenste.

3

Zu meinen Kumpels in Gelsenkirchen riss der Kontakt bald ab. Wir telefonierten ein paarmal miteinander und schrieben uns kurze Nachrichten. Der schreckliche Herr Ruthmann war gestorben und Çem jetzt mit Nicoletta zusammen, die ich überhaupt nicht kannte. Ende April wurde ich noch zu einer Jahrgangsstufenfeier eingeladen, fuhr aber nicht hin. Ich wollte wissen, wie es weiterging, war neugierig und stellte viele Fragen, doch die Antworten verwirrten mich. Es war so, als ob ich nur jede fünfte Folge einer guten Fernsehserie sah. Ich selbst erzählte kaum etwas von Bonn. Ich wurde aber auch nie gefragt.

Bonn fand ich nicht so prall, auf jeden Fall nicht praller als Gelsenkirchen. Friesdorf, Plittersdorf, Muffendorf, Dottendorf. Die Stadt war eine Ansammlung kleiner Dörfer, die aussahen wie Gelsenkirchen-Buer. Halt wie ein Gelsenkirchen, das am Rhein lag. Schlimm waren allerdings die Straßennamen. Dreizehnmorgenweg. Am Weckhasen. In der Kumme. Ich zum Beispiel wohnte in der Ürziger Straße. Ürzigen, was soll das sein?

Das Beste an Friesdorf war das Eiscafé am Klufterplatz. Das Riesenspaghetti-Eis war wirklich riesig. Mehr Eis darf man aus Gesundheitsgründen wahrscheinlich gar nicht essen. Ich bekam immer Kopfschmerzen davon, so ein Kribbeln und tausend Nadelstiche im Kopf. Wahrscheinlich waren das kleine epileptische Anfälle. Ansonsten war in Friesdorf nicht viel los.

Nach Godesberg fuhr ich nur wegen Yannick. Er war mein bester Freund in der Schule und gleichzeitig mein einziger. Sein Name wurde am häufigsten falsch geschrieben. Jannik, Yannik, Jannick oder Yannic. Auf dem Weg zu ihm hielt ich immer am Haribo-Shop und kaufte ein. Yannick wohnte mit seinen Eltern in einer burgartigen Villa direkt am Rhein. Die Villa hatte Türme und Zinnen, es gab eine Alarmanlage und tausend Überwachungskameras. Seine Mutter war rund um die Uhr zu Hause, sein Vater nie. Wenn Yannick nicht in der Schule war, saß er vor seinem Rechner, saugte das Internet leer und schob riesige Datenmengen von einer Festplatte zur nächsten. Das war kein Spaß, sondern echte Arbeit. Yannick schlief sogar vor dem Rechner. In der Nacht verschmolzen er, seine Decke und der Drehstuhl zu einem Klumpen.

An die neue Schule hatte ich mich nach ein paar Monaten auch gewöhnt, sogar an den Politik- und Geschichtsunterricht auf Englisch. Trotzdem war es eine merkwürdige Zeit. In der Welt passierten unglaubliche Dinge. Mit Yannick konnte ich nicht darüber sprechen. Entweder zeigte er mir wackelige Videos auf Youtube oder schickte mir Links zu obskuren Webseiten. Was er selbst dachte, erfuhr ich nie. In dem einen Bildschirmfenster guckte er den neusten Kinohit, in dem anderen lag er mit einem Zielfernrohrgewehr auf der Lauer, dabei postete er Fotos, chattete, hörte Gangsta-Rap oder ein Kinderhörspiel. Wahrscheinlich machte es für ihn gar keinen Unterschied, ob ich da war oder nicht.

Yannick wusste immer als Erster, welche Serie, die in Deutschland bald anlaufen sollte, in Amerika bereits abgesetzt worden war. Wenn ich ein Lied suchte oder eine bestimmte Folge einer alten Zeichentrickserie, musste ich ihn nur fragen. Nach einer Viertelstunde reichte mir Yannick einen USB-Stick mit der lückenlosen Diskografie oder allen ausgestrahlten Staffeln. Yannick glaubte nicht an Gott, dafür an die Ewoks, und kannte alle Mitglieder des Jedi-Ordens. Immer wenn er eine schlechte Klassenarbeit zurückbekam oder den Abfall hinaustragen musste, schimpfte Yannick leise und verfluchte die dunkle Seite der Macht. Wegen Star Wars kam es zwischen Yannick und mir auch zum Streit. Er fand Jar Jar Binks gut, ich nicht. Yannick schmiss mich raus und rief mir, als ich schon auf dem Fahrrad saß und davonradelte, das Staffel-Ende meiner neuen Lieblingsserie hinterher.

»Joffrey wird König«, lachte er hässlich. »Und Ned Stark stirbt.«

Ich hielt an, drehte mich um und schwor fürchterliche Rache.

4

Wegen meiner Drohung schwänzte Yannick sogar unsere Jahrgangsstufenfeier, dabei war sie eine Pflichtveranstaltung. Alle Lehrer kamen, manche Schüler brachten sogar ihre Eltern mit. Meinen sagte ich vorsichtshalber gar nicht erst Bescheid. Treffpunkt war die Freilichtbühne in der Rheinaue. Es wurde gegrillt und Bier getrunken. Irgendwann saß ich mit Livia auf dem Rasen und die Sonne brannte mir ein Loch in den Kopf. Ohne Pause erzählte sie von ihrem Pflegepferd Giaccherini, ein in verschiedenen Springprüfklassen siegreicher Wallach mit Holsteiner Genetik und der Halbbruder von Soundso. Nach einer halben Stunden war ich total fertig, nahm eine Dose Bier und lief allein den Hügel hoch.

Überall lagen römische Grabsteine herum und ich versuchte die Namen darauf zu entziffern. Dann ging ich weiter und stand auf einmal vor dem Eingang des Zen-Gartens. Er sei ein Ort der Ruhe und Erholung, las ich auf der Hinweistafel, und das war in diesem Augenblick genau das Richtige für mich. Ich lief durch das Holztor und ging rechtsherum, gegen den Uhrzeigersinn, wie auf der Tafel empfohlen.

Das Zentrum des Gartens bildete ein großer See. Ich war der einzige Besucher und die Bäume sahen aus wie fröhliche Gespenster. Ich betrat einen kleinen Holzsteg, rechts und links von mir schwammen riesige Fische, rot-weiß-blau und gold gefleckt. Auch in Oma und Opa Dannenfelds Gartenteich gab es solche Fische, doch diese hier waren beträchtlich größer. Wie U-Boote tauchten sie zwischen den Seerosen auf, steuerten zum Schilf, rissen ihre riesigen Mäuler auf und rupften an den Halmen. Ich schaute ihnen eine Weile zu, dann trank ich einen Schluck aus der Dose und lief weiter.

Die Steintreppe neben dem Pavillon führte direkt zum Wasser. Mit dem Fuß schob ich zwei leere Schnapsflaschen zur Seite und setzte mich auf die untersten Stufen. Neugierig kam eine Ente angeflogen, landete ungeschickt und schwamm aufgeregt zu mir. Als sie sah, dass meine Aufmerksamkeit nur den Fischen galt, drehte sie ab und paddelte gemächlich zum Ufer auf der anderen Seite.

Ganz nah und dicht schwammen die Fische unter der Wasseroberfläche und bewegten sich mit wenigen Schwanzschlägen vorwärts. Ich beugte mich vor, wollte ins Wasser greifen und einen Fisch packen, da bemerkte ich hinter mir René. Wie lange er schon da stand, wusste ich nicht. Er nickte mir zu, setzte sich neben mich auf die Stufen und zeigte mit dem Finger auf mein Bier.

»Darf ich?«, fragte er.

Ich reichte ihm die Dose. René nahm einen Schluck und gab sie zurück. Ein Rentnerpärchen betrat den Garten, beide waren von Kopf bis Fuß in Beige gekleidet. Arm in Arm schlichen sie durch den Garten und blieben alle zehn Zentimeter stehen. Der Opa stocherte mit seinem Krückstock in der Erde, die beiden schauten hinunter und kicherten. Dann krochen sie weiter.

»Das könnte ich jetzt auch«, sagte René und drehte den Kopf zu mir. »Auf der Stelle abrentnern.«

»Abrentnern?«, fragte ich.

»Ja, abrentnern«, antwortete René. »Nur noch Apotheken-Umschau lesen, Seniorenteller essen und durch die Stadtparks cruisen.«

Ich lachte.

»Die ganze Woche zum Arzt rennen und sich ins Wartezimmer setzen?«, fragte ich.

»Genau«, antwortete René. »Sich vor Aktenzeichen gruseln und von der Bäckerblume träumen.«

»Und die jungen Leute in den Bussen von ihren Sitzen scheuchen«, schwärmte ich und trank einen Schluck aus der Dose.

René nickte.

»Alle sechs Wochen eine Kaffeefahrt«, sagte René.

»Automatische Türöffner«, rief ich.

»Fußpflege«, meinte René.

»Nur noch von früher erzählen«, ergänzte ich.

»Fangopackungen und Kneippgüsse«, sprach René feierlich.

Ich lächelte.

»Kein Bier nach vier«, sagte ich und reichte René die Dose.

Er trank sie aus und wir schauten auf den grauen Steinbaum.

»Dafür würde ich sogar ins Altersheim ziehen«, sagte René nachdenklich.

»Ich auch«, sagte ich. »Jetzt sofort auf der Stelle.«

Das alte Pärchen hatte den Pavillon erreicht und sich auf die Bank gesetzt. René nahm einen der beiden Kopfhörer, die aus meinem T-Shirt-Kragen baumelten, und steckte ihn sich ins Ohr.

»Mach mal an«, sagte er.

»Ach nein«, stöhnte ich.

»Komm schon«, rief René.

Ich zog den iPod aus der Hosentasche, steckte mir den zweiten Kopfhörer ins Ohr und drückte auf den Wiedergabeknopf. Wir hörten lange, stehende Töne, dann ein Hämmern und Schwingen. Der Bass drohte. Einmal, zweimal, immer.

 »Was ist das?«, fragte René.

»Drone«, antwortete ich. »Also Doom Metal. Von Sunn O))). Eher ein ruhigeres Stück.«

»Mach weiter«, sagte er.

Es rumpelte, dann übernahmen Trommeln das Kommando. Wir befanden uns auf einer Sklavengaleere. Das Becken schepperte und die Orgel bohrte wie ein Zahnarzt.

»Das geht ja gar nicht los«, meinte René, nahm mir den iPod aus der Hand und drückte auf den Weiter-Knopf, bevor der Gesang eingesetzt hatte.

Danach begann ein Lied von dem neuen Album der Chemical Brothers, das noch gar nicht erschienen war. Yannick hatte es mir gegeben, aber auch das Lied drückte René rasch weg. Wir hörten Trommelklopfen und ein Glockenspiel.

»Bring out your dead«, grölte der Sänger besoffen. »Bring out your dead. Bring out your dead.«

»Geil«, rief René begeistert. »Das ist ja Jim Morrison. Was sagt er? Dad oder dead?«

»Ich glaube dead«, meinte ich.

Wir hörten das Lied bis zum Schluss.

»Wahnsinnsversion«, sagte René hinterher. »Die kenne ich gar nicht.«

»Live in New York«, sagte ich. »Die ist über siebzehn Minuten lang.«

»Hast du auch People are strange?«, fragte René.

»Nein«, antwortete ich. »Zu kurz.«

»Zu kurz?«, wiederholte René überrascht.

»Auf dem iPod sind nur lange Lieder«, erklärte ich. »Das längste dauert fast eine Stunde.«

»Warum?«, fragte er.

»Warum nicht?«, antwortete ich. »Ich höre nur lange Lieder.«

René sah mich an und blinzelte mit den Augen.

»Echt?«, fragte er.

Ich nickte. In diesem Moment kam Ricarda mit den Mordsbrüsten über den Steg gerannt und lachte laut. Ihr folgte ein Spinner vom Ruderklub mit Armen wie ein Möbelpacker. Ricarda blieb stehen, die beiden umarmten sich und fingen an zu knutschen.

»Ich brauche jetzt ein neues Bier«, sagte René und stand auf. »Kommst du mit?«

»Ja«, antwortete ich.

René streckte die Hand aus, ich griff sie und er zog mich hoch. Wir schlenderten zurück zu den anderen. Kaum hatte ich ein frisches Bier in der Hand, kam auch schon Livia angerannt und nahm mich zur Seite. Erst um Mitternacht fuhr ich nach Hause. René hatte ich an diesem Abend gar nicht mehr gesehen.

5

Der letzte Schultag vor den Sommerferien war ein Freitag. Die ersten beiden Stunden hatte ich frei. In der dritten Stunde bekamen wir unsere Zeugnisse in die Hand gedrückt und um zwölf Uhr war ich wieder zu Hause. Ich hörte Musik, machte mir Nudeln in der Mikrowelle warm und spielte Wii. Papa musste wieder Überstunden machen und Mama hatte eine Schicht getauscht und arbeitete in der Stadt bei Oxfam. Freiwillig ohne Bezahlung. Ich glaubte, sie arbeitete nur deshalb dort, um mir zu Hause aus dem Weg zu gehen.

Papa war noch verrückter als Mama. Für ihn bedeutete Freizeit, den Flur zu tapezieren oder einen neuen Teppich im Schlafzimmer zu verlegen. Steuerunterlagen sortieren, eine Garderobe zusammenschrauben oder Vorhänge anbringen, Papa musste immer etwas tun. Jeden Samstag fuhr er ins Garten-Center oder in einen Bau- oder Elektromarkt. Technisch waren wir immer auf dem neusten Stand, obwohl wir die meisten Geräte gar nicht brauchten. Das Nachtsichtgerät, den Dia-Scanner oder die ferngesteuerte Espresso-Maschine mit Zeitschaltuhr. Papa hatte die Teile nur gekauft, weil er die Gebrauchsanweisungen lesen wollte.

Oft musste ich an das Gespräch mit René zurückdenken. Seit wir nach Bonn umgezogen waren, spürte ich tief im Innern ein Gefühl, das ich nicht richtig beschreiben konnte. Eine verschwommene Vision und Wunschvorstellung, für die ich nie den passenden Ausdruck fand. Abrentnern bezeichnete diesen Zustand genau, das Wort beschrieb einen Idealzustand. Es gab nicht viele Sätze, die ich unterschrieben hätte, doch Ich will Weltfrieden und Abrentnern sofort gehörte auf alle Fälle dazu.

Natürlich musste die Gesundheit mitspielen. Ein Krückstock und Rollator wäre okay gewesen, vielleicht sogar ein Rollstuhl. Man durfte nur nicht blind werden oder taub. Vielleicht ein bisschen Rheuma, Asthma oder Gicht, ein erhöhter Cholesterinspiegel und Probleme mit dem Blutdruck, auf keinen Fall aber eine Krankheit wie die von Oma Frese.

Ein Gebiss würde ich in Kauf nehmen. Auch Krankenhausaufenthalte, aber höchstens für eine Woche. Dabei fand ich die Vorstellung gar nicht so schrecklich, allerdings lag ich auch noch nie im Krankenhaus, sondern war dort immer nur zu Besuch. Das Essen sollte furchtbar sein und man verbrachte viel Zeit mit sich. Im Grunde genommen stellte ich mir Krankenhaus wie Gefängnis vor, nur mit netteren Menschen. Dafür sind alle krank.

Zum Abrentnern bräuchte ich nicht viel. Ein Zimmer, einen Fernseher, einen Computer mit Internet, Taschengeld und Essen auf Rädern. Auf ein Auto würde ich verzichten, wenn ich umsonst Bus und Bahn fahren darf. Ich möchte viele Ausflüge unternehmen, durch Fußgängerzonen spazieren und mir Staudämme ansehen. Meinetwegen auch in Gruppen, morgens hin, abends zurück. Ich könnte aber auch wie die Küblers den ganzen Winter auf einer warmen Insel verbringen. Überhaupt würde ich gern am Meer leben. Nicht um zu schwimmen, sondern wegen der Aussicht, der Wellen und des Rauschens. Meer war für mich wie das Video zu einem Lied, das nie aufhörte.

Manchmal, wenn ich nachts wach geworden war und wieder einschlafen wollte, mich auf den Bauch rollte, die Beine ausstreckte, meinen Kopf ins Kissen presste und die Augen schloss, sah ich, wie ich einen Strand entlangspazierte, ganz langsam, gegen den Wind. Ich hatte Gummistiefel an, die Kapuze meiner Regenjacke aufgesetzt und guckte durch ein kleines Loch. Ich schaute an mir hinab und sah in dem Ausschnitt meinen Ärmel, das Bündchen und meine Hand, die eine andere Hand hielt. Die andere Hand war kleiner, aber genauso schrumpelig und die Fingernägel der anderen Hand waren rot lackiert. Es war eindeutig eine Frauenhand, und wegen dieser Hand wusste ich, dass ich nicht schwul war.

Meine Eltern kamen fast gleichzeitig nach Hause. Wir setzten uns ins Wohnzimmer und ich zeigte ihnen mein Zeugnis. Es war nicht schlechter als mein letztes, bis auf die Note in Bio, trotzdem fing Mama fast an zu weinen. Schweigend schauten wir die Nachrichten und dann eine Quizsendung. Danach ging ich ins Bad und putzte mir die Zähne.

Die Badezimmertür öffnete sich und Papa kam herein.

»Für dein Zeugnis«, sagte er und drückte mir einen gefalteten Geldschein in die Hand. »Aber sag Mama nichts.«

Ich hatte den Mund voller Zahnpasta und nickte.

»Onke«, sagte ich und steckte den Geldschein in meine Schlafanzugtasche.

Mein Vater wuschelte mit der Hand durch meine Haare und ging zurück ins Wohnzimmer.

Ich sagte meinen Eltern Gute Nacht, dann ging ich in mein Zimmer, legte mich hin und las weiter Harry Potter.

Nach ein paar Minuten öffnete sich die Tür und Mama kam herein, ging zu meinem Schreibtisch und steckte einen in der Mitte geknickten Geldschein in meine Stiftbox.

 »Für dich«, sagte sie, kam zu mir und gab mir einen Kuss auf die Stirn. »Aber sag Papa nichts.«

»Natürlich nicht«, antwortete ich, legte das Lesezeichen ins Buch, klappte es zu und schaltete das Licht aus.

6

Der Samstag war total verregnet. Ich blieb den ganzen Tag zu Hause, lag auf dem Bett, hörte Musik und las. Als es nachmittags klingelte, stand ich nicht auf. Kurz darauf klopfte es.

»Du hast Besuch, Niels«, rief Mama und öffnete die Tür.

»Besuch?«, fragte ich zurück. »Ist es Yannick?«

Das war unwahrscheinlich. Yannick wäre niemals einfach so bei mir aufgekreuzt, überhaupt war er noch nie bei mir gewesen.

»Nein«, antwortete Mama. »Es ist René. Er sagt, er ist in deiner Stufe.«

»René?«, rief ich erstaunt und stand auf. »Echt?«

Tatsächlich stand im Flur hinter meiner Mutter René und grinste. Ich wusste nicht, woher er meine Adresse hatte. Seit unserem Gespräch am See hatten wir nicht mehr miteinander geredet.

 »Komm rein«, rief ich.

Ohne die Knoten der Schnürsenkel zu lösen, zog René im Stehen die Schuhe aus. Auf Socken lief er in mein Zimmer.

»Wollt ihr zwei etwas trinken?«, fragte meine Mutter.

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