Das Karussell der Verwechslungen - Andrea Camilleri - E-Book
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Das Karussell der Verwechslungen E-Book

Andrea Camilleri

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Beschreibung

Im Kommissariat des sizilianischen Küstenörtchens Vigàta gibt eine ungewöhnliche Entführung Rätsel auf: Ein vermummter Täter hat nacheinander zwei weibliche Bankangestellte überfallen, betäubt und kurz darauf unversehrt freigelassen. Dann erfährt Commissario Montalbano, dass ein junger Unternehmer nach einer Urlaubsreise mit seiner großen Liebe vermisst wird. Stehen die Ereignisse in Zusammenhang? Schon bald kommt Montalbano einem perfiden Täuschungsmanöver auf die Spur ...

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Inhalt

CoverÜber das BuchÜber den AutorTitelImpressumEinsZweiDreiVierFünfSechsSiebenAchtNeunZehnElfZwölfDreizehnVierzehnFünfzehnSechzehnSiebzehnAchtzehnAnmerkung des Autors

Über das Buch

Im Kommissariat des sizilianischen Küstenörtchens Vigàta gibt eine ungewöhnliche Entführung Rätsel auf: Ein vermummter Täter hat nacheinander zwei weibliche Bankangestellte überfallen, betäubt und kurz darauf unversehrt freigelassen. Dann erfährt Commissario Montalbano, dass ein junger Unternehmer nach einer Urlaubsreise mit seiner großen Liebe vermisst wird. Stehen die Ereignisse in Zusammenhang? Schon bald kommt Montalbano einem perfiden Täuschungsmanöver auf die Spur …

Über den Autor

Andrea Camilleri, 1925 in dem sizilianischen Küstenstädtchen Porto Empedocle (Provinz Agrigento) geboren, arbeitete lange Jahre als Essayist, Drehbuchautor und Regisseur sowie als Dozent an der Accademia d’arte drammatica Silvio D’Amico in Rom. Dort lebt er mit seiner Frau Rosetta in dem Stadtteil Trastevere im Obergeschoss eines schmucken Palazzo, wobei er seinen Zweitwohnsitz in Porto Empedocle in Sizilien nie aufgegeben hat. Sein literarisches Werk, in dem er sich vornehmlich mit seiner Heimat Sizilien auseinandersetzt, umfasst mehrere historische Romane, darunter »La stagione della caccia«, 1992, »Il birraio di Preston«, 1995, und »La concessione del telefono«, 1998, sowie Kriminalromane. In seinem Heimatland Italien bricht er seit Jahren alle Verkaufsrekorde und hat auch bei uns ein begeistertes Publikum gefunden. Mit den Romanen um den Commissario Salvo Montalbano eroberte er auch die deutschen Leser im Sturm, und seine Hauptfigur gilt inzwischen weltweit als Inbegriff für sizilianische Lebensart, einfallsreiche Kriminalistik und südländischen Charme und Humor.

Andrea Camilleri

Das Karussell der Verwechslungen

Commissario Montalbano dreiundzwanzigster Fall

Roman

Übersetzung aus dem Italienischen von Rita Seuß und Walter Kögler

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Dieser Titel ist auch als Hörbuch erschienen

  

Titel der italienischen Originalausgabe:

»La giostra degli scambi«

  

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2015 by Sellerio Editore, via Siracusa 50, Palermo

  

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2021/2023 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau

Umschlagmotiv: © Cesare Gerolimetto/HUBER IMAGES

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

  

ISBN 978-3-7325-9456-6

luebbe.de

lesejury.de

Eins

An diesem Morgen um halb sechs, vielleicht auch eine Minute früher oder später, öffnete eine Fliege, die seit längerem tot an der Fensterscheibe zu kleben schien, mit einem Mal ihre Flügel, rieb sie sorgfältig aneinander und flog los, machte schon bald einen Schlenker und ließ sich auf dem Nachttisch nieder.

Hier blieb sie eine Weile sitzen, sondierte die Lage und flog dann schnurstracks in das linke Nasenloch des in wohligem Schlaf versunkenen Montalbano.

Der Commissario spürte ein unangenehmes Kitzeln in der Nase, und um es loszuwerden, holte er aus und schlug sich aufs Gesicht. Da er aber nicht im Vollbesitz seiner Sinne war, wusste er den Schlag nicht richtig zu bemessen, was zweierlei zur Folge hatte: Er schreckte aus dem Schlaf hoch, und seine Nase fing an zu bluten.

Während ihm das Blut in Strömen aus der Nase floss, sprang er aus dem Bett und stürzte fluchend in die Küche. Er riss den Kühlschrank auf, nahm zwei Eiswürfel aus dem Tiefkühlfach und drückte sie auf seine Nasenwurzel. Dann setzte er sich und legte den Kopf in den Nacken.

Nach fünf Minuten hörte die Blutung auf.

Er ging ins Bad, wusch Gesicht, Hals und Brust und legte sich wieder hin.

Doch kaum hatte er die Augen geschlossen, spürte er genau dasselbe Kitzeln wie zuvor, diesmal allerdings im rechten Nasenloch. Die Fliege hatte also beschlossen, ein neues Gebiet zu erforschen.

Was konnte er tun, um diesen Quälgeist loszuwerden?

Erneut mit der Hand auszuholen kam angesichts der leidvollen Erfahrung von vorhin nicht infrage.

Er schüttelte leicht den Kopf. Die Fliege ließ sich davon allerdings nicht vertreiben, sondern drang noch tiefer in die Nase ein.

Vielleicht konnte er ihr einen Schreck einjagen …

»Ahhhhhh!«

Der Schrei machte ihn selber ganz benommen, hatte aber den gewünschten Effekt. Das Kitzeln hörte auf.

Während er endlich wieder einschlief, spürte er, wie die Fliege über seine Stirn krabbelte. Fluchend beschloss er, eine neue Strategie auszuprobieren.

Er griff mit beiden Händen nach der Bettdecke und zog sie ruckartig über seinen Kopf. Jetzt würde die Fliege keinen Zentimeter Haut mehr finden, auch wenn er dermaßen eingemummelt kaum noch Luft bekam.

Aber sein Triumph war nur von kurzer Dauer.

Denn kaum eine Minute später setzte sich die Fliege auf seine Unterlippe. Dieses widerliche Drecksstück war also gar nicht weggeflogen, sondern einfach unter der Bettdecke sitzen geblieben.

Da ließ er alle Hoffnung fahren. Gegen diese verdammte Fliege würde er niemals ankommen.

Ein richtiger Mann gesteht seine Niederlage ein, sagte er sich und ging resigniert ins Bad.

Als er, wieder im Schlafzimmer, seine Hose vom Stuhl nehmen wollte, erspähte er aus dem Augenwinkel heraus die Fliege auf dem Nachttisch.

Sie befand sich in Reichweite, und diese Chance durfte er sich nicht entgehen lassen.

Schnell hob er die Rechte und ließ sie auf die Fliege hinunterklatschen, die an seinem Handteller kleben blieb.

Im Bad wusch er sich gründlich die Hände, summte dabei vor sich hin und genoss seine Rache.

Doch als er mit frechem Siegerschritt ins Schlafzimmer zurückkehrte, blieb er wie versteinert stehen.

Eine Fliege krabbelte über sein Kopfkissen.

Es gab also zwei! Welche von beiden hatte er denn nun erschlagen? Die schuldige oder die unschuldige?

Und würde er, falls er die unschuldige erschlagen hatte, eines Tages für diesen Fehler zur Rechenschaft gezogen werden und dafür bezahlen müssen?

Was für einen Schwachsinn denkst du dir da zusammen!, schalt er sich.

Und er begann sich anzuziehen.

Nachdem er eine große Tasse Espresso getrunken und sich fix und fertig angezogen hatte, öffnete er die Verandatür und trat ins Freie.

Ein Tag wie aus dem Bilderbuch: goldener Sandstrand, azurblaues Meer und ein strahlend blauer Himmel ohne auch nur den Hauch eines Wölkchens. Sogar ein Segelboot glitt über den fernen Horizont.

Montalbano atmete tief ein, ließ die salzige Meeresluft in seine Lunge strömen und fühlte sich wie neugeboren.

Ein Stück rechts, direkt am Ufer, standen zwei Männer und diskutierten. Es schien lebhaft hin und her zu gehen. Der Commissario war zu weit entfernt, um zu verstehen, worum es ging, aber sie gestikulierten aufgeregt mit Armen und Händen.

Plötzlich machte einer der beiden eine Bewegung, die Montalbano zunächst nicht deuten konnte. Es sah aus, als hätte der Mann die rechte Hand vorschnellen lassen, die jetzt in der Sonne aufblitzte.

Die Klinge eines Messers, keine Frage. Der andere wehrte den Angriff mit beiden Händen ab und rammte dem Kontrahenten sein Knie in die Eier. Dann umklammerten sie einander, verloren das Gleichgewicht und gingen zu Boden, ließen aber nicht voneinander ab, sondern wälzten sich, fest ineinander verkeilt, im Sand.

Ohne nachzudenken, sprang der Commissario von seiner Veranda und lief über den Strand auf die Streithähne zu. Je näher er kam, desto deutlicher hörte er ihre Stimmen.

»Ich bring dich um, du Scheißkerl!«

»Und ich brech dir sämtliche Knochen!«

Als er ankam, war er völlig außer Puste.

Der eine hatte den anderen überwältigt. Er saß auf dem Bauch seines Widersachers, drückte mit seinen Knien dessen ausgebreitete Arme zu Boden und bearbeitete dessen Gesicht mit den Fäusten.

Ohne genau zu wissen wie, versetzte Montalbano ihm einen kräftigen Fußtritt in die Rippen und warf ihn damit aus dem Sattel. Der Mann kippte seitlich in den Sand.

»Vorsicht, er hat ein Messer!«, rief er.

Der Commissario schnellte herum.

Der andere war im Begriff aufzustehen, und er hielt tatsächlich ein Messer in der Hand, ein Klappmesser.

Montalbano hatte einen schweren Fehler gemacht, denn der Gefährlichere der beiden war der Mann, der auf dem Boden gelegen hatte. Er ließ ihm aber keine Zeit, auch nur mit der Wimper zu zucken. Mit einem Tritt ins Gesicht beförderte er ihn in dieselbe Position wie zuvor. Das Messer landete in hohem Bogen ein Stück entfernt.

Der andere, der inzwischen gleichfalls aufgestanden war, nutzte die Gelegenheit, warf sich auf seinen Kontrahenten und drosch erneut auf ihn ein.

Alles war genau wie zuvor.

Montalbano beugte sich hinunter, packte den Mann an den Schultern und versuchte ihn wegzuziehen. Aber weil der Mann nicht dagegenhielt, verlor Montalbano das Gleichgewicht, stürzte nach hinten und riss den anderen mit sich zu Boden.

Der Messerstecher warf sich ohne zu zögern auf sie beide. Der Schläger zielte mit seinen Fußtritten auf den Unterleib des Commissario, der sich mit der linken Faust zur Wehr setzte, während er mit der rechten auf den Messerstecher eindrosch, der seinerseits versuchte, die Finger der einen Hand dem Commissario und die Finger der anderen Hand dem Schläger in die Augen zu bohren.

Und bald rollte ein Knäuel mit sechs Armen und sechs Beinen über den Strand – ein brüllendes, schimpfendes und fluchendes Knäuel, das Faustschläge und Kniestöße austeilte und Drohungen ausstieß. Bis …

Bis eine gebieterische Stimme in unmittelbarer Nähe Einhalt gebot.

»Aufhören oder ich schieße!«

Die drei erstarrten in der Bewegung und blickten hoch.

Vor ihnen stand ein Appuntato, ein Gefreiter der Carabinieri, mit einer Maschinenpistole im Anschlag. Hinter ihm ein Carabiniere mit dem Klappmesser in der Hand. Offenbar waren sie die Straße oberhalb des Strands entlanggefahren und hatten die Schlägerei beobachtet.

»Aufstehen!«

Alle drei erhoben sich.

»Abmarsch!«, sagte der Gefreite und machte eine Kopfbewegung zu einem großen Mannschaftswagen oben an der Straße, an dessen Steuer ein weiterer Carabiniere saß.

Gebe ich mich als Polizeikommissar zu erkennen oder nicht? Von diesem hamletischen Zweifel hin- und hergerissen ging Montalbano zusammen mit den anderen auf den Mannschaftswagen zu.

Es war wohl am besten, das Missverständnis aufzuklären und sich auszuweisen.

»Einen Moment. Ich bin …«, sagte er und blieb stehen.

Die ganze Gruppe blieb stehen und sah ihn an.

Aber der Commissario konnte den Satz nicht zu Ende sprechen.

Denn in dem Augenblick fiel ihm ein, dass die Brieftasche mit seinem Dienstausweis noch in seiner Nachttischschublade lag.

»Na, willst du uns nun sagen, wer du bist, oder nicht?«, fragte der Gefreite in spöttischem Ton.

»Ich werd’s eurem Tenente sagen«, antwortete Montalbano und ging weiter.

Zum Glück war der Mannschaftswagen hinten mit einer Plane abgedeckt, sonst hätte die ganze Stadt gesehen, dass Commissario Montalbano von den Carabinieri festgenommen worden war, und alle hätten sich kaputtgelacht.

In der Carabinieri-Wache wurden sie nicht gerade zuvorkommend in einen großen Raum geführt, und der Gefreite nahm hinter einem von zwei Schreibtischen Platz.

Er ließ sich Zeit, rückte seine Uniformjacke zurecht, inspizierte ausgiebig einen Kugelschreiber, überflog einen Bericht, öffnete eine Schublade, schaute hinein, schloss sie wieder, räusperte sich und begann dann endlich zu sprechen.

»Fangen wir mit dir an«, wandte er sich an Montalbano. »Gib mir deinen Ausweis.«

Dem Commissario war höchst unbehaglich, er wusste, die Sache würde peinlich werden. Besser, er wechselte das Thema.

»Mit dieser Schlägerei hab ich nichts zu tun«, erklärte er mit fester Stimme. »Ich bin dazwischengegangen, um sie zu trennen. Die beiden, die ich im Übrigen gar nicht kenne, können es bezeugen.«

Damit drehte er sich zu den Männern um, die, von einem Carabiniere bewacht, drei Schritte hinter ihm standen.

Und dann geschah etwas Überraschendes.

»Ich weiß nur, dass du mir einen Tritt in die Rippen verpasst hast, den ich jetzt noch spüre«, sagte der Schläger.

»Und mir einen Tritt ins Gesicht«, fügte der Messerstecher hinzu.

Montalbano war sofort klar, was diese Hurensöhne vorhatten. Sie hatten ihn erkannt und machten sich einen Spaß daraus, ihn in die Bredouille zu bringen.

»Dir werde ich schon noch austreiben, uns zu verarschen«, sagte der Gefreite drohend. »Her mit deinem Ausweis.«

Es half nichts, er musste die Wahrheit sagen.

»Ich habe ihn nicht dabei.«

»Warum nicht?«

»Ich habe ihn zu Hause vergessen.«

Der Gefreite erhob sich.

»Hören Sie, ich wohne in einem Haus direkt …«

Der Gefreite pflanzte sich vor ihm auf.

»… am Strand. Heute Morgen habe ich …«

Der Gefreite packte ihn am Revers.

»Ich bin Polizeikommissar«, stieß Montalbano hervor.

»Und ich bin Kardinal!«, erwiderte der Gefreite und schüttelte ihn so kräftig, dass ihm fast der Kopf abgefallen wäre wie eine reife Birne.

»Was geht hier vor?«, fragte der Carabinieri-Oberleutnant, der in diesem Augenblick das Zimmer betrat.

Bevor der Gefreite antwortete, schüttelte er Montalbano noch einmal ordentlich.

»Ich habe die drei hier bei einer Schlägerei überrascht. Einer trug ein Klappmesser bei sich. Und der hier behauptet, er …«

»Hat er seine Personalien angegeben?«

»Nein.«

»Lassen Sie ihn sofort los und bringen Sie ihn zu mir.«

Der Gefreite sah seinen Vorgesetzten verdutzt an.

»Aber …«

»Das ist ein Befehl«, schnitt ihm der Tenente das Wort ab und verließ den Raum.

Montalbano zollte ihm insgeheim Anerkennung. Mit seiner Vorgehensweise ersparte er allen Beteiligten, sich lächerlich zu machen, denn er und der Commissario kannten sich sehr gut.

Draußen auf dem Korridor fragte der verdatterte Gefreite leise:

»Sagen Sie mir die Wahrheit: Sind Sie wirklich Polizeikommissar?«

»Aber woher denn!«, beruhigte ihn Montalbano.

Als zehn Minuten später alles geklärt war und Montalbano die Entschuldigung des Tenente angenommen hatte, war er wieder draußen.

Er musste dringend nach Hause und sich umziehen. Bei der Rauferei war ihm der Sand bis in die Unterhose gerieselt, sein Hemd war zerrissen, und an seiner Jacke fehlten zwei Knöpfe.

Das Vernünftigste war wohl, zu Fuß zum Kommissariat zu gehen, das nur eine Viertelstunde entfernt lag, und sich dann nach Marinella fahren zu lassen.

Er machte sich auf den Weg.

Aber das linke Auge und das rechte Ohr taten ihm so weh, dass er vor einem Schaufenster stehen blieb, um sein Gesicht zu begutachten.

Das Auge, das einen harten Faustschlag abbekommen hatte, verfärbte sich allmählich blau, und das Ohr wies die Bissspuren zweier Zähne auf.

Als Catarella ihn erblickte, stieß er einen Schrei aus, der eher von einem verwundeten Tier als von einem Menschen zu kommen schien. Dann bestürmte er ihn mit einer Flut von Fragen.

»Was ist passiert, Dottori? Ein bewaffneter Anfall mit Waffengewalt? Ein unbewaffneter Anfall ohne Waffel? Eine Hinterhältigkeit? Ein Raubübergriff? Was ist denn passiert, um Himmels willen? Ein Autoumfall? Eine Explodierung? Eine vorgesetzliche Brandstiftung?«

»Beruhige dich, Catarè«, unterbrach ihn der Commissario. »Ich bin einfach nur hingefallen. Gibt’s was Neues?«

»Nein. Ah, heute Morgen war ein Signore hier, der persönlich selber mit Ihnen sprechen wollte.«

»Hat er seinen Namen genannt?«

»Sissì. Alfredo Pitruzzo.«

Der Commissario kannte keinen Pitruzzo.

»Ist Gallo hier?«

»Sissì.«

»Sag ihm, er soll mich nach Marinella fahren. Ich warte draußen auf dem Parkplatz.«

Auf der freien Fläche vor seinem Haus stand neben seinem eigenen ein weiterer Wagen. Der Commissario verabschiedete sich von Gallo, öffnete die Haustür und trat ein. Von dem Geräusch aufgeschreckt, stürzte seine Haushälterin Adelina aus der Küche und fing bei seinem Anblick ebenfalls an zu jammern:

»Matre santa, was ist denn mit Ihnen passiert? Was hat man Ihnen angetan? Heilige Maria, was für ein schlimmer Tag! Was ist denn heute nur los?!«

Montalbano stutzte. Was meinte Adelina? Ein schlimmer Tag? Was war denn noch passiert?

»Adelì, erzähl, was ist geschehen?«

»Dottore mio, als ich heute Morgen herkam, war das Haus leer und verlassen, Sie waren nicht da, aber die Verandatür stand sperrangelweit offen. Jeder x-beliebige Gauner konnte ins Haus eindringen und alles mitnehmen! Ich war in der Küche, da hab ich gehört, wie jemand über die Veranda ins Haus kam. Ich dachte, das sind Sie, und bin raus. Aber es waren nicht Sie, sondern ein Mann, der sich überall umgeschaut hat. Ich war mir sicher, das ist ein Einbrecher! Und da hab ich eine schwere Bratpfanne aus der Küche geholt und bin wieder raus. Und weil er mir in dem Moment den Rücken zugedreht hat, hab ich ihm mit der Pfanne eins übergezogen. Da ist er umgefallen und war weg. Und dann hab ich ihm Hände und Füße mit einer Schnur zusammengebunden, ihm einen Knebel in den Mund gesteckt und ihn in die Abstellkammer gesperrt.«

»Bist du sicher, dass er ein Einbrecher ist?«

»Was weiß denn ich? Aber wenn einer sich in ein fremdes Haus schleicht …«

»Entschuldige, aber warum hast du nicht im Kommissariat angerufen, nachdem du ihn k. o. geschlagen hattest?«

»Weil ich mich zuerst um die Pasta ’ncasciata kümmern musste.«

Das leuchtete dem Commissario ein. Er ging zur Abstellkammer und öffnete die Tür. Der Mann saß auf dem Boden und starrte ihn angstvoll an.

Dem Commissario war auf den ersten Blick klar, dass der Sechzigjährige kein Einbrecher sein konnte, dafür war er zu gut gekleidet und zu gepflegt. Er half ihm auf die Beine und nahm ihm den Knebel aus dem Mund, worauf der Mann aber sofort zu schreien anfing.

»Hilfe!«

»Ich bin Commissario Montalbano!«

Der Mann schien nicht verstanden zu haben.

»Hilfe!«, schrie er, jetzt noch lauter.

Und begann am ganzen Körper zu zittern.

»Hilfe! Hilfe!«

Der Ärmste war außer sich, und da es keine andere Möglichkeit gab, ihn zum Schweigen zu bringen, steckte Montalbano ihm kurzerhand den Knebel wieder in den Mund.

Unterdessen war Adelina, von dem Geschrei alarmiert, aus der Küche herbeigelaufen und stand jetzt neben dem Commissario.

Der Mann hatte die Augen in Panik so weit aufgerissen, dass sie ihm fast aus den Höhlen traten. Die Angst hatte ihm den Verstand geraubt. Ihm jetzt die Fesseln abzunehmen, wäre ein Fehler.

»Komm, hilf mir«, sagte der Commissario zu Adelina. »Ich packe ihn an den Schultern, du an den Beinen.«

»Und wohin tragen wir ihn?«

»Wir setzen ihn in den Sessel vor dem Fernseher.«

Während sie ihn wie einen Sack Kartoffeln ins Wohnzimmer schleppten, legte sich Montalbano eine Version des Geschehens zurecht, die es allen erlaubte, das Gesicht zu wahren.

»Wenn ich Ihnen ein Glas Wasser hole«, wandte er sich an den Mann, »versprechen Sie mir dann, dass Sie nicht wieder anfangen zu schreien?«

Zum Zeichen der Zustimmung hob und senkte der Mann mehrmals den Kopf. Montalbano nahm ihm den Knebel heraus, und Adelina brachte ein Glas Wasser, das sie ihm behutsam einflößte. Der Commissario verzichtete darauf, ihm den Knebel anschließend wieder in den Mund zu stecken.

Nach ein paar Minuten schien der Mann sich beruhigt zu haben, er zitterte nicht mehr. Montalbano nahm einen Stuhl und setzte sich ihm gegenüber.

»Wenn Sie sich nicht imstande fühlen zu reden, nicken Sie einfach nur. Kennen Sie mich? Ich bin Commissario Montalbano.«

Der Mann nickte.

»Wie können Sie dann glauben, dass ich, der ich Sie noch nie gesehen habe, Ihnen etwas antun will? Aus welchem Grund?«

Der Mann sah ihn misstrauisch an.

Zwei

Also begann der Commissario zu sprechen, treuherzig und bemüht, überzeugend zu wirken:

»Es handelt sich, glaube ich, um eine Verkettung unglücklicher Umstände. Heute Morgen musste ich überraschend zu den Carabinieri und hatte nicht einmal mehr Zeit, die Verandatür zu schließen. Irgendjemand, der gesehen hat, dass keiner im Haus ist, ist dann hier eingedrungen, um etwas zu stehlen. Aber das Pech wollte es, dass nach ein paar Minuten Sie hereingekommen sind. Und der Dieb – nennen wir ihn einmal so, auch wenn er gar keine Zeit hatte, etwas mitzunehmen – hat Ihnen einen Schlag auf den Kopf verpasst, Sie gefesselt und geknebelt und in die Abstellkammer geschleift. Ein paar Minuten später kam meine Haushälterin Adelina, und der Dieb musste mit leeren Händen abziehen. Ich bin sicher, dass es so war. Glauben Sie mir?«

»Ja, ich glaube Ihnen«, sagte der Mann kaum hörbar.

Montalbano bückte sich, um ihn von den Fesseln an den Fußgelenken und dann auch an den Handgelenken zu befreien.

Mit Mühe stand der Mann auf, schaffte es aber kaum, das Gleichgewicht zu halten.

»Gestatten«, sagte er. »Ich heiße …«

Aber da sank er auch schon auf den Sessel zurück, zitternd und leichenblass.

»Ist Ihnen nicht gut?«

»Mir ist schwindlig, und mir tut es da weh, wo ich den Schlag abbekommen habe.«

Er legte die Hand auf eine Stelle zwischen Kopf und Genick. Adelina lief in die Küche und kam mit ein paar Eiswürfeln in einem Tuch zurück, das sie ihm auf die schmerzende Stelle legte. Der Mann stöhnte leise auf.

Montalbano war besorgt, dass Adelina, die eine kräftige und energische Frau war, ihm mit ihrer Pfanne eine ernste Verletzung zugefügt haben könnte.

»Bleiben Sie sitzen und bewegen Sie sich nicht.«

Er ging zum Telefon und rief im Kommissariat an.

»Catarè, ist Gallo da?«

»Er ist vor Ort, Dottori.«

»Sag ihm, er soll so schnell wie möglich noch mal herkommen.«

Er legte auf und ging zu dem Mann zurück.

»Ich lasse Sie in die Notaufnahme bringen.«

»Ich wollte Ihnen sagen, dass …«

»Nicht sprechen, strengen Sie sich nicht an.«

»Es ist aber wichtig, dass ich …«

»Heute Nachmittag im Kommissariat können Sie mir alles erzählen, einverstanden?«

Fünf Minuten später klingelte es an der Haustür.

Gallo war geflogen. Auch auf der Landstraße raste er, als wäre es die Rennpiste von Indianapolis, und diesmal hatte er dafür sogar die Erlaubnis des Commissario erhalten.

Während Montalbano glückselig unter der ersehnten Dusche stand, dachte er über diesen Vormittag der Verwechslungen nach.

Er hatte den gefährlicheren der beiden Männer, den mit dem Messer, für den Schwächeren gehalten, die Carabinieri hatten ihn, den Commissario, für einen Raufbold gehalten, und Adelina hatte einen Ehrenmann für einen Dieb gehalten.

Aller guten Dinge sind vier heißt es in dem Sprichwort, das er sich schnell zurechtgebogen hatte, und deshalb war er absolut sicher, dass er frühmorgens die schuldige mit der unschuldigen Fliege verwechselt hatte.

Bevor er das Haus verließ, warf er wie immer einen Blick in den Spiegel. Sein eines Auge war blau umrandet, als wäre er ein Zirkusclown, und ein Ohr war geschwollen.

Aber das war alles halb so schlimm, schließlich musste er ja nicht an einem Schönheitswettbewerb teilnehmen.

»Ist Gallo zurück?«, wandte er sich an Catarella, als er das Kommissariat betrat.

»Sissì, Dottori, er ist gerade eben hereingekommen, und jetzt ist er da. Wie fühlen Sie sich?«

»Mir fehlt nichts.«

»Verraten Sie mir eins, Dottori?«

»Was denn?«

»Wo Sie doch jetzt ein blaues Auge haben, in welcher Farbe sehen Sie die Dinge? Alles in Blau?

»Richtig geraten. Schick Gallo zu mir.«

Gallo war sofort zur Stelle.

»Wie ist es in der Notaufnahme gelaufen?«

»Gut, Dottore. Es wurde nur eine starke Prellung festgestellt, er bekam etwas gegen die Schmerzen, und dann hab ich ihn nach Hause gefahren. Ich soll Ihnen ausrichten, dass er um vier ins Kommissariat kommt.«

Kaum war Gallo draußen, trat Mimì Augello ein.

Er sah den Commissario an, lächelte und wurde dann ernst. Er machte ein Kreuzzeichen, faltete die Hände zum Gebet, deutete mit dem linken Bein einen Kniefall an und hob die Augen zum Himmel.

»Was soll das Theater?«

»Ich habe gerade ein Dankgebet für den gesprochen, der dir das blaue Auge verpasst hat.«

»Hör auf mit dem Quatsch und setz dich.«

In dem Moment trat Fazio ein, ohne anzuklopfen, mit finsterer Miene und ziemlich aufgeregt.

»Dottore, verzeihen Sie, wenn ich mir die Frage erlaube, aber waren es die Carabinieri, die Sie so zugerichtet haben?«

Montalbano war geknickt.

Wie konnte sich die Sache so schnell herumgesprochen haben? Jetzt würde man sich das Maul über ihn zerreißen, ihn auslachen und verspotten. Und wenn der Polizeipräsident davon Wind bekam …

»Ich fasse es nicht! Die Carabinieri haben dich festgenommen und zusammengeschlagen?«, fragte Augello kampfeslustig. Er war aufgestanden und hatte zur Feier des Tages vom Sizilianischen ins Italienische gewechselt.

»Immer mit der Ruhe, Jungs«, schaltete sich der Commissario ein. »Macht bloß keine Dummheiten, denn es gibt überhaupt keinen Grund, den Carabinieri den Krieg zu erklären. Ich sag euch, was passiert ist.«

Er erzählte es ihnen in allen Einzelheiten. Am Ende wandte er sich an Fazio:

»Und wie hast du davon erfahren?«

»Maresciallo Verruso, den ich gut kenne, hat es mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt.«

Montalbano atmete erleichtert auf. Die Geschichte würde also vertraulich bleiben.

»Gibt es Neuigkeiten?«

»Von meiner Seite nur einen Autodiebstahl, den der Besitzer erst nach seiner Rückkehr von einer Reise bemerkt hat«, sagte Augello.

»Aber ich muss euch was Merkwürdiges erzählen«, sagte Fazio.

»Schieß los.«

»Gestern, es war schon spät und ihr wart schon weg, kam ein gewisser Agostino Smerca, um etwas zu melden, was seiner Tochter Manuela zugestoßen ist.«

»Was denn?«, fragte Augello ungeduldig.

»Der Vater ist verwitwet und lebt mit seiner Tochter in einem abgelegenen Haus. Sie ist um die dreißig und sieht ziemlich gut aus, Smerca hat mir ein Foto gezeigt. Sie ist Kassiererin bei der Banca Sicula und hat um halb sieben Feierabend. Und weil sie nicht gern Auto fährt, nimmt sie den Bus und geht dann noch zehn Minuten zu Fuß bis nach Hause. Vor einer Woche, genauer gesagt, vor fünf Tagen stieg sie aus dem Bus und ging auf einer wenig befahrenen Straße zu Fuß weiter, als sie am Straßenrand ein Auto mit offener Motorhaube und einen Mann bemerkte, der sich über den Motor beugte. Sie war gerade an ihm vorbeigegangen, da spürte sie zu ihrem Entsetzen die Mündung eines Revolvers in ihrem Rücken und hörte eine Männerstimme sagen: ›Keinen Mucks, sonst erschieß ich dich.‹ Dann wurde ihr ein mit Chloroform getränkter Wattebausch auf Nase und Mund gedrückt, und sie verlor das Bewusstsein.«

»Und warum hat sich dieser Smerca erst gestern Abend dazu entschlossen, Anzeige zu erstatten?«, fragte Augello.

»Weil seine Tochter dagegen war. Sie wollte nicht, dass die ganze Stadt über sie spricht.«

»Hat er sie vergewaltigt?«

»Nein.«

»Ausgeraubt?«

»Nein.«

»Geschlagen?«

»Nein.«

»Was hat er ihr dann angetan?«

»Das ist ja das Unbegreifliche. Er hat ihr nichts getan. Absolut gar nichts. Eineinhalb Stunden später ist sie auf einem Feld aufgewacht. Ihre Handtasche lag neben ihr, darin fehlte gar nichts. Sie hat sich umgeschaut, und als ihr klar wurde, wo sie ist, hat sie per Handy ein Taxi gerufen. Das ist alles.«

»Vielleicht handelt es sich um eine Verwechslung«, meinte Augello.

Montalbano hatte bis zu diesem Augenblick geschwiegen, aber bei dem Wort Verwechslung zuckte er zusammen. Verwechslungen hatte er an diesem Tag schon genug gehabt. Er wollte etwas sagen, überlegte es sich dann jedoch anders und schwieg.

»Man könnte auch eine andere Vermutung anstellen«, fuhr Mimì fort. »Was macht dieser Smerca beruflich?«

»Er ist Geschäftsmann. Stoffgroßhandel.«

»Nun, dann könnte es mit nichtgezahltem Schutzgeld zu tun haben. Die wollten ihm eine Warnung schicken.«

»Mimì, wenn es mit der Mafia zu tun hätte, wäre Smerca ganz bestimmt nicht zu uns gekommen, um Anzeige zu erstatten, sondern hätte die Sache selbst geregelt«, schaltete sich Montalbano nun doch ein.

»Das stimmt«, räumte Augello ein. »Und wenn diese Manuela die ganze Geschichte nur erfunden hat?«

»Warum sollte sie?«

»Vielleicht um vor ihrem Vater die Verspätung zu rechtfertigen …«

»Ich bitte dich, eine Dreißigjährige … heutzutage …«

»Was vermutest du denn?«

»Im Moment vermute ich gar nichts. Aber irgendwie stinkt die Sache. Ich möchte mit dieser Frau sprechen. Mit ihr allein, ohne dass der Vater dazwischenfunkt.«

»Ich kann sie anrufen und bitten, nach der Mittagspause herzukommen. Wann ist es Ihnen recht?«, fragte Fazio.

»Um vier habe ich einen Termin, das wird aber schnell erledigt sein. Um fünf müsste es gehen.«

Als er die Trattoria betrat, fiel ihm sofort auf, dass Enzo, der Wirt, nicht so heiter wirkte wie sonst. Er schien ziemlich bedrückt zu sein. Weil er ihn als einen Freund betrachtete, fragte der Commissario:

»Ist irgendetwas?«

»Ja.«

»Willst du darüber sprechen?«

»Wenn Sie nach dem Essen die Güte hätten, mir eine Viertelstunde zu schenken, erzähle ich Ihnen die ganze Geschichte.«

»Lass uns doch jetzt gleich darüber reden.«

»Nein.«

»Und warum nicht?«

»Weil man sich beim Essen und beim Sex keine Gedanken machen soll.«

Dieser alten Weisheit musste Montalbano sich fügen.

Er haute so richtig rein und ließ es sich schmecken, und mit dem Essen verflog auch sein Ärger über den Carabinieri-Gefreiten, der ihn festgenommen hatte.

Als er fertig war, führte Enzo ihn in ein fensterloses Kämmerchen neben der Küche und schloss die Tür. Sie nahmen auf zwei löchrigen Strohstühlen Platz.

»Was ich Ihnen erzähle, ist schon vor sechs Tagen passiert, aber mein Bruder Giovanni hat mir erst gestern Nachmittag davon berichtet. Giovanni hat eine dreißigjährige Tochter, Michela, ein patentes Mädchen. Sie arbeitet in der Banca di Credito.«

Montalbano hatte eine Eingebung.

»Wurde sie etwa entführt und nach kurzer Zeit wieder freigelassen, ohne dass man ihr etwas angetan hat?«

Enzo war sprachlos.

»So ist es. Aber wie können Sie das …?«

»Ein ähnlicher Fall hat sich einen Tag später ereignet. Ich würde gern mit deiner Nichte sprechen.«

»Meine Nichte ist hier. Ich habe sie angerufen, als Sie sagten, Sie hätten kurz Zeit für mich.«

»Hol sie her.«

Enzo ging und kam mit einer hübschen braunhaarigen jungen Frau zurück, die ernst dreinblickte. Enzo stellte sie dem Commissario vor.

»Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gern allein mit ihr sprechen.«

»Ich habe nichts dagegen«, sagte Enzo. Er ging und schloss hinter sich die Tür.

Die junge Frau war sichtlich verlegen.

Der Commissario lächelte sie ermutigend an, und Michela lächelte gequält zurück.

»War ein schlimmes Erlebnis, oder?«

»Das kann man wohl sagen!«, erwiderte sie und erschauderte bei dem Gedanken daran.

»Wenn Sie sich dazu imstande fühlen, erzählen Sie mir doch bitte, wie es sich abgespielt hat.«

»Nun ja … ich wohne mit meinem Freund in einem Neubaukomplex in der Via Ravanusella. Wissen Sie, wo das ist?«

»Ja, am Stadtrand, Richtung Montelusa.«

»Genau. Ich fuhr mit dem Auto nach Hause, allein. Ich war mit einer Freundin im Kino gewesen, mein Freund hatte nicht mitkommen wollen. Es war kurz nach Mitternacht. Das letzte Stück Weg ist kaum befahren. Im Scheinwerferlicht sah ich ein Auto am Straßenrand stehen, mit geöffneter Motorhaube. Ein Mann, der sich am Motor zu schaffen machte, bedeutete mir anzuhalten. Ich blieb sofort stehen. Der Mann kam auf mich zu, richtete durchs Fenster, das ich heruntergekurbelt hatte, eine Pistole auf mich und zwang mich auszusteigen. Dann forderte er mich auf, mich umzudrehen, und drückte mir einen mit Chloroform getränkten Wattebausch auf das Gesicht. Zwei Stunden später bin ich wieder zu mir gekommen, ein Stück außerhalb von Montelusa. Ich habe meinen Freund angerufen, der mich sofort abgeholt hat, er hatte mich schon ganz verzweifelt gesucht, nachdem er meinen Wagen gefunden hatte, unverschlossen. Mir wurde keine Gewalt angetan, ich hatte nicht einmal einen blauen Fleck oder einen Kratzer, und gestohlen wurde mir auch nichts.«

»Nach allem, was Sie mir erzählt haben, konnten Sie dem Mann ins Gesicht sehen, nicht wahr?«

»Schon, aber ich könnte ihn nicht beschreiben.«

»Warum nicht?«

»Weil er eine Schiebermütze trug, die er bis über die Augen heruntergezogen hatte, eine Brille mit dunklen Gläsern und einen Schal, der Mund und Kinn bedeckte.«

»Denken Sie bitte ganz genau nach, bevor Sie antworten: War es Ihrer Ansicht nach ein junger oder ein älterer Mann?«

»Aber ich habe Ihnen doch gerade gesagt, dass ich …«

»Verzeihen Sie, aber eine Frau hat so etwas doch im Gefühl. Versuchen Sie sich in die Situation zurückzuversetzen …«

Michela dachte konzentriert nach und runzelte dabei die Stirn.

»Er war schon älter«, sagte sie schließlich mit fester Stimme. »So wie der sich bewegt hat, war es kein junger Mann.«

»Gut. Als er Sie an sich drückte, um Sie mit Chloroform zu betäuben, haben Sie da einen besonderen Geruch an ihm wahrgenommen? Ein Parfüm, ein Rasierwasser?«

Michelas Antwort kam prompt.

»Er roch stark nach Schweiß. Er muss geschwitzt haben wie ein Schwein. Dabei war es kalt, obwohl erst September ist.«