Das Lachen der Ungetäuschten - Robert Pfaller - E-Book

Das Lachen der Ungetäuschten E-Book

Robert Pfaller

0,0
22,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

»Die Komödie handelt vom Gelingen des Großartigen.« Robert Pfaller Lachen, Humor, Komik: Das scheint nur dem Menschen eigen. So eigen, dass er daraus eine Kunstform machte – die Komödie. Doch was bringt uns zum Lachen und warum? Welche Rolle spielen das Politische, Gesellschaftliche, Anständige und Unanständige dabei? Was sagen Freud und Lacan dazu? In den hier versammelten Texten geht der Philosoph Robert Pfaller der Würde der Komödie nach und fragt nach dem Lachen der Ungetäuschten. Mit Hilfe von Filmen wie denen von Ernst Lubitsch oder Serien wie »Sex and the City« untersucht er den Zusammenhang zwischen Komödie und dem Unheimlichen, dem Materialismus, der Sexualität und Polygamie, erklärt, was das Unter-Ich damit zu tun haben könnte und wo das Genießen zu finden ist. Eine so überraschende wie unterhaltsame Theorie der Komödie.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 354

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Robert Pfaller

Das Lachen der Ungetäuschten

Die philosophische Würde der Komödie

 

 

Über dieses Buch

 

 

Lachen, Humor, Komik: Das scheint nur dem Menschen eigen. So eigen, dass er daraus eine Kunstform machte – die Komödie. Doch was bringt uns zum Lachen und warum? Welche Rolle spielen das Politische, Gesellschaftliche, Anständige und Unanständige dabei? Was sagen Freud und Lacan dazu? In den hier versammelten Texten geht Robert Pfaller der Würde der Komödie nach und fragt nach dem Lachen der Ungetäuschten. Mit Hilfe von Filmen wie denen von Ernst Lubitsch oder Serien wie »Sex and the City« untersucht er den Zusammenhang zwischen Komödie und dem Unheimlichen, dem Materialismus, der Sexualität und Polygamie, erklärt, was das Unter-Ich damit zu tun haben könnte und wo das Genießen zu finden ist. Eine so überraschende wie unterhaltsame Theorie der Komödie.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Robert Pfaller, geboren 1962, studierte Philosophie in Wien und Berlin und lehrt nun nach Gastprofessuren in Chicago, Berlin, Zürich und Straßburg als Professor für Philosophie an der Kunstuniversität Linz. Im S. Fischer Verlag sind von ihm zuletzt u.a. »Zwei Enthüllungen über die Scham« erschienen sowie »Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form« und die großen Erfolge »Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur« und »Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie«. 2020 wurde ihm der Paul-Watzlawick-Ehrenring verliehen.

Impressum

 

 

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

© 2025 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt am Main

 

Covergestaltung: Andreas Heilmann und Gundula Hissmann, Hamburg

Coverabbildung: mauritius images / Entertainment Pictures / Alamy

ISBN 978-3-10-492157-0

 

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

 

Die Nutzung unserer Werke für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG behalten wir uns explizit vor.

Hinweise des Verlags

 

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

 

Im Text enthaltene externe Links begründen keine inhaltliche Verantwortung des Verlages, sondern sind allein von dem jeweiligen Dienstanbieter zu verantworten. Der Verlag hat die verlinkten externen Seiten zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung sorgfältig überprüft, mögliche Rechtsverstöße waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Auf spätere Veränderungen besteht keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

 

 

Dieses E-Book enthält möglicherweise Abbildungen. Der Verlag kann die korrekte Darstellung auf den unterschiedlichen E-Book-Readern nicht gewährleisten.

 

Wir empfehlen Ihnen, bei Bedarf das Format Ihres E-Book-Readers von Hoch- auf Querformat zu ändern. So werden insbesondere Abbildungen im Querformat optimal dargestellt.

Anleitungen finden sich i.d.R. auf den Hilfeseiten der Anbieter.

Inhalt

Vorwort

Von der künstlerischen Massenhochzeit zum Begriff der Komödie

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

Die Komödie und der Materialismus

1. Die These von der Materialität: »Her mit dem schönen Leben!«

Sadness for Fighters?

The Awful Truth?

2. Die These von der Dezentrierung: »Erzählt Euch keine Geschichten!«

Proleten oder Tiere? Aristoteles und Schlegel

Le Mépris. Die alltagssprachliche und die Marx’sche Theorie der Komödie

Die beiden Formen des Imaginären

Die kleinen Freuden der Ungetäuschten. Elemente einer Ästhetik der Perversion

1. Freud: Die Perversion ohne Vorbild

2. Mannoni: Die Normalgestalten der Verleugung

3. Die beiden Formen des gesellschaftlichen Imaginären: »croyance« und »foi« (Aberglaube und Bekenntnis)

4. Huizinga: Verleugnung als Prinzip des Spiels, und das Spiel als Grundelement der Kultur

5. Wissen, Selbstverachtung, Ambivalenz, Zwang: Die allgemeinste Erniedrigung des Kulturlebens

6. Spiel, Wissen, Verachtung und Zwang in der Perversion

7. Die »perspektivische Illusion« des Aberglaubens in Kultur und Klinik: Der Mythos von den naiven anderen

8. Die historische und die strukturelle Überwindung der Illusionen: Der Mythos vom Aufklärungsprozess.

9. Verleugnung und symbolische Ordnung

10. Ist jede Kultur pervers? Gegen antiautoritäre Revolten

11. Das Methodenproblem. Für eine psychoanalytische Kulturkritik

12. Die Normalgestalt der Perversion und das Elend des kulturellen Narzissmus

Die Komödie der Psychoanalyse

Prolog: Die verwickelten Beziehungen und ihre Geometrie.

1. Die explizite Theatertheorie der Psychoanalyse: Die Illusion und die Bedingungen der Freude an ihr

2. Die Theatermetapher in der psychoanalytischen Klinik: Wenn keiner dem anderen glaubt

3. Die unterbliebene Theatermetapher und die unausgesprochene Theatertheorie der Psychoanalyse: Illusionen, an die niemand glaubt

Neurotischer Aberglaube, Unheimliches, Fetischismus

»Ich weiß zwar, dennoch aber …«: die Illusion des Komischen

Epilog: die Lösungen. Der Komödienbegriff der Psychoanalyse und die Psychoanalyse als Komödie

Das vertraute Fremde, das Unheimliche, das Komische. Die ästhetischen Effekte des Gedankenexperiments

1. Der beträchtliche Charme einer zweifelhaften Methode

1.1

1.2

1.3

2. Auflachen oder Erschrecken

3. Das Gedankenexperiment im Unheimlichen und im Komischen. Arten des Umgangs mit Illusionen

4. Unheimlich oder komisch? Why not sneeze, Rrose Selavy?

Sexualität und die Wahrheit der Stadt. Die philosophischen Lektionen von Sex and the City

1. Kapitel

02. Kapitel

03. Kapitel

04. Kapitel

05. Kapitel

06. Kapitel

07. Kapitel

08. Kapitel

09. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

Was ist so lustig an multipler Liebe?

1. Polygamie

2. Komödie und Vielzahl

3. Die Vielzahl der Liebe und die Komik

4. Die Ordnung des Unmöglichen

5. Das totale Gelingen und die hauchdünne Trennwand

6. Das Viele als das Unmögliche

7. Das Unmögliche als Erfordernis der Komik. Und die Bedingungen für das Komische des Unmöglichen

8. Varianten der Verschiebung

9. Polytheismus, Polygamie und Komödie

10. Götter oder Atome

11. Romantische Liebe oder Solidarität der Getriebenen?

12. Liebende, die wissen, was sie tun

13. Bruderschaften mit »benefits«. Das Sakrileg der Monogamie

14. Das romantische und das komödiantische Paar

15. Lubitschs Lektion fürs Leben. Der Glamour der Gewinner und die Verlierer

Laughing, Loving and the Low Thing: Was mich unter meinem Ich berührt. Das Komische bei Lubitsch und seine psychoanalytische Struktur

1. Schritt eins: Der naive Andere auf der Bühne

2. Schritt zwei: Symbolische Wirksamkeit. Die Spieler als Spielzeug ihres eigenen Spiels

3. Vom dummen Trick zur schrecklichen Wahrheit

4. Von Die Puppe zu To Be or Not to Be: Es gibt keine wahre Liebe ohne gespielte Liebe. Und selbst unsere mächtigsten Feinde können sich dieser Logik nicht entziehen

5. Schritt 3: Wo die Wege Lubitschs und der Screwball-Komödie auseinandergehen

Die Philosophische Würde der Komödie. Interview von Agon Hamza und Frank Ruda

Schlussbetrachtung

1. Die Einbildung der anderen

2. Das Zwingende der Einbildung der anderen

3. Das Spiel der Zuschauer

4. Die »Wirksamkeit der Symbole«

5. Das Komische und das Unheimliche

6. Das besondere Objekt der Komödie

7. Die kritischen Punkte

Das Verhältnis von aufgehobener Illusion, Verleugnung und Perversion

Komödie und Tragödie. Aberglaube und Bekenntnis

Narzissmus, Ichlibido und das Verhältnis zu den Idealen

8. Die neu gewonnenen Erkenntnisse

Der Aberglaube und die Tragödie

Das »ökonomische Paradoxon«: Der Lustgewinn bei der Tragödie

Die Tragödie folgt nicht dem »tragischen Paradigma«

Drucknachweise

Literaturverzeichnis:

Vorwort

Alle wissen, wann sie bei einer Komödie lachen müssen. Aber die wenigsten können erklären, warum. Noch weniger ist ihnen bewusst, dass die Gründe, die sie zum Lachen veranlassen, durchaus wechseln können. Mitunter sind sie einander sogar entgegengesetzt – was, bei Licht besehen, eigentlich selbst wieder ein Grund zum Lachen ist.

Der Ausgangspunkt der hier versammelten Überlegungen besteht in der Entdeckung, dass eine psychoanalytische Theorie der »Illusionen der anderen«[1] entscheidend zur Lösung der Rätsel beitragen kann, die die Komödie aufwirft. Das ist der Kerngedanke dieses Buches.

Die Aufsätze in diesem Band sind über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren entstanden; manchmal als Nebenprodukte anderer Forschungen. Inzwischen aber bilden sie, wie mir scheint, ein Ganzes – so etwas wie den Erzählbogen einer Geschichte. Manche frühe Annahmen wurden freilich im Lauf dieser Geschichte wieder verworfen oder korrigiert; manche Umwege und Seitenstränge mögen sich als Sackgassen oder Holzwege erwiesen haben. Dennoch erscheint es mir nicht vergeblich, sie hier so, wie sie sind, wiederzugeben. Manche kühne Spekulationen könnten sich vielleicht anderswo als brauchbar erweisen, wenn sie es hier nicht sind. Und manche der getroffenen Unterscheidungen könnten treffend sein, auch wenn dabei die Inhalte der unterschiedenen Felder zunächst vielleicht unvollständig oder auch unrichtig bestimmt wurden.

Als eine in der Komödientheorie bisher wenig genutzte Ressource habe ich unter anderem den alltäglichen Sprachgebrauch genutzt: die zahlreichen Komödien-Metaphern, die außerhalb des Theaters existieren – von der Wendung »Spiel mir keine Komödie vor!« über die Idee einer »Komödie der Höflichkeit« bis hin zu den entlegensten Anwendungen wie zum Beispiel bei den Inszenierungen des Masochismus oder dem Gedanken von der Theologie als Komödie. Gerade diese gebräuchlichen, metaphorischen Verwendungen des Begriffs verweisen auf das Prinzip der durchschauten Einbildung, das in der psychoanalytischen Theorie der »Illusionen der anderen« seine Ausarbeitung gefunden hat und dessen Konsequenzen die entscheidenden Gründe der Erheiterung bilden, welche die Komödie verschafft.

Zugleich war mir die Komödie in all diesen Überlegungen nicht nur Gegenstand. Sie ließ sich vielmehr auch umgekehrt nutzen als Schlüssel zum Verständnis anderer Fragen, wie zum Beispiel jener nach dem philosophischen Materialismus oder auch den theatralischen Momenten innerhalb der psychoanalytischen Klinik. Sich mit der Komödie zu beschäftigen bedeutet letztlich nicht weniger, als der Frage ins Auge zu sehen, wie unsere Kultur der Gegenwart es mit dem Glück hält. Ob eine Kulturepoche sich Glück vorstellen kann und es anzustreben imstande ist, verrät viel über ihre politischen Möglichkeiten. Und ein Indikator für ihre Glücksfähigkeit scheint zu sein, ob ihr gute Komödien gelingen oder nicht.

 

Darin, dass die Komödie diese kulturkritische Grundfrage aufwirft – ebenso wie in ihrem Umgang mit Einbildungen sowie in ihrer Eignung für die Klärung philosophischer und wissenschaftlicher Fragen –, scheint mir die spezifische, bisher oft übersehene philosophische Würde der Komödie zu bestehen. Durch deren Herausarbeitung möchte ich einer gebräuchlichen Herabschätzung, etwa gegenüber dem hehren Ernst der Tragödie, widersprechen und dazu beitragen, der Komödie zu ihrem Recht und zu ihrer philosophischen Anerkennung zu verhelfen. Durch diese neue Wertschätzung für die Komödie hoffe ich auch, zumindest ein wenig Befremden gegenüber jenem humorlosen, form- und lustfeindlichen Zeitgeist zu wecken, der als sogenanntes »tragisches Paradigma« seit mehreren Jahrzehnten mit unhinterfragter Selbstverständlichkeit unsere Kultur dominiert.[2]

 

Zur Textgestalt: Ich habe, einer Regel des Philosophen Louis Althusser folgend, die Beiträge – abgesehen von einigen Motiven, die sich wiederholt hatten – unverändert übernommen und sie lediglich hier und dort mit gekennzeichneten aktuellen Anmerkungen versehen. Lediglich jene kontextspezifischen Verweise in den ursprünglichen Textfassungen, die hier deplatziert gewesen wären und nur Verwirrung gestiftet hätten, wurden weggelassen. Die Rechtschreibung meiner Texte habe ich entsprechend den heute geltenden Standards vereinheitlicht; die der zitierten Texte hingegen habe ich so belassen, wie sie in den Quellen vorliegen.

Ein Resümee am Ende des Buches fasst die entscheidenden Thesen zusammen und versucht, einen Überblick über die entscheidenden Veränderungen in der Auffassung des Gegenstandes zu bieten, die sich im Lauf der Zeit und mit zunehmendem Erkenntnisgewinn ergeben haben. Zugleich habe ich versucht, die ungelöst gebliebenen Probleme und offenen Fragen zu markieren.

 

Mein Dank gilt den langjährigen Weggefährten und Mitstreiterinnen in der philosophischen Komödienforschung: Rachel Aumiller, Dieter Bandhauer, Elisabeth Bronfen, Mladen Dolar, Agon Hamza, Rudolf Helmstetter, Carl Hegemann, Jela Krečič, Gregor Moder, Ivana Novak, René Pollesch, Frank Ruda, Christiane Voss, Slavoj Žižek, Alenka Zupančič;

den Kolleginnen und Kollegen aus den Wiener psychoanalytischen Forschungsgruppen und deren internationalen Pendants: Andreas Aigner, Irene Berkel, Elisabeth Eggensperger, Jennifer Friedlander, Georg Gröller, Barbara Grubner, Mona Hahn, Beate Hofstadler, Thomas Hübel, Suzy Kirsch, Olaf Knellessen, Henry Krips, Eva Laquièze-Waniek, Sama Mani-Entessari, Dominik Rainer, Judith Ransmayr, August Ruhs, Karl Stockreiter, Jeanne Wolff-Bernstein, Gerhard Zenaty;

sowie all jenen, denen ich Inspiration, Witz und Ermutigung verdanke: Markus Bodenwinkler, Ute Bodenwinkler-Burkhard, Mateja Bucar, Sabine Fellner, Vadim Fishkin, Barbara Freitag, Stian Grøgaard, Gerhard Gutenberger, Conny Habbel, Byung-Chul Han, Rudolf Helmstetter, Paul Horn, Srećko Horvat, Ursula Hübner, Thomas Huemer, Ana Jovanović, Hilda Kampleitner, Barbara Kremser, Friedl Kubelka, Tereza Kuldova, Hannes Langeder, Kurt Loidl, Silvia Merlo, Andrea Moeschl, Peter Moeschl, Martin Music, Claude Orlofsky, Alexandra Ötzlinger, Sonja Prinoth, Beatrix Roidinger, Renata Salecl, Franz Schuh, Anna Stangl, Knut Stene-Johansen, Ulf Stengl, Ernst Strouhal, Malou Thilges, Walter Tomsu, Izidor Travnik, Asta Vrečko, Klaus Wiesmüller, Petra Zechmeister.

Romana Kanzian danke ich ganz besonders – für kostbare Funde, hilfreiche Hinweise und subtile Interpretationen zu den gemeinsam betrachteten Komödien sowie für alle Lektionen in der Beschwingtheit des Lebens.

Massenhochzeits-Performance »Wir sagen Ja zueinander«, Konzept: Conny Habbel, Marion Habringer, Hannes Langeder, Horst Scheiböck, Sabine Stuller, Karolina Szmit, Gunda Wiesner, Berthold Zettlmeier, Linz, 25.5.2002

Von der künstlerischen Massenhochzeit zum Begriff der Komödie

1.

Im Mai 2002 bot sich der Öffentlichkeit von Linz ein eigenwilliges Spektakel, präsentiert von der Künstlergruppe »Wir sagen Ja zueinander«: 80 festlich gekleidete Menschen gaben einander an einem Samstagnachmittag auf dem Linzer Hauptplatz in einer Zeremonie, die von der Performancekünstlerin Elke Krystufek zelebriert wurde, ein weit gefasstes, polygames und sexuell vielseitig orientiertes eheliches Jawort. Als Antwort auf die permanente Familienpropaganda und familiale Selbstdarstellung der damaligen österreichischen Bundesregierung war diese kavallerieartige »marriage attack« zugleich auch Ausdruck eines Wunsches nach ritueller Festlichkeit seitens künstlerisch tätiger Menschen, die aufgrund komplexerer Lebensverhältnisse wenig Chancen sahen, jemals auf andere Weise Gelegenheit zu solchem Pomp zu bekommen.[1]

Im Anschluss an diese lebensfrohe und zugleich würdevolle Veranstaltung entstand bei den Beteiligten auch eine einigermaßen eigenwillige Frage: Kann es sein, dass aus etwas, das als künstlerische und fiktionale Aktion gedacht war, in der Folge reale Wirkungen hervorgehen – eine spürbare Verbundenheit, Vertrautheit und Solidarität, vielleicht sogar echte Liebe? Einige Erfahrungen aus dem Leben nach dieser Kunstaktion hatten den Beteiligten zu dieser Frage Anlass gegeben, die sie dem Institut für Bildende Kunst und Kulturwissenschaften der Kunstuniversität Linz gegenüber scharfsinnig zum Ausdruck brachten.

Mochte die Massenhochzeits-Performance manche Passanten bei ganz oberflächlicher Betrachtung veranlasst haben, sie für eine echte standesamtliche oder kirchliche Zeremonie zu halten, während die Eingeweihten diesen Schein durchschauten, so kehrten sich auf einer zweiten Ebene die Verhältnisse um: Gerade jene Eingeweihten, die die Sache für »bloßes Theater« hielten, täuschten sich; ihnen entging das Echte der Sache, das die Künstlerinnen und Künstler selbst später mit feinem Gespür wahrnahmen. Die naivste, oberflächlichste Betrachtung und die raffinierteste gelangten somit zum selben, richtigen Ergebnis, während eine mittlere, durchaus vernünftige, dagegen im Irrtum war (eine Konstellation, die aus den Ästhetiken des Hässlichen, des Trivialen und des Erhabenen bekannt ist).

Die Sache ließ an Blaise Pascals Bemerkung von den Kindern denken, »die vor dem Gesicht erschrecken, das sie selbst gekritzelt haben«:[2] Aus dem Schein der Kunst konnte also, wenigstens in gewissen Stücken, die Wahrheit des Lebens hervorgehen; vielleicht sogar umso leichter, als er ihr dafür eine Oberfläche – eine Deckung, ein Schutzschild – bot.

Für diese Performance und ihr Verhältnis zum Leben galt demnach dasselbe, was der Philosoph Alain einmal über das Theater bemerkt, nämlich:

»… daß die Gedanken, anstatt den Worten voranzugehen, ihnen folgen. Die Wahrheit eines Theaterstückes besteht zweifellos darin, daß die Personen nicht aufhören, über das, was sie gesagt haben, nachzudenken. Ihre Worte sind gleichsam Orakelsprüche, deren Sinn sie suchen.«[3]

Im Nachhinein scheinen also die auf der Bühne (insbesondere der Bühne der Performance) gesprochenen Worte mehr als nur »Theater« zu sein; sie können dazu Anlass geben, in ihnen etwas zu entdecken, das »orakelhaft« für die Wirklichkeit des Lebens Geltung hat, ja vielleicht sogar (z.B. in Form einer »self-fulfilling prophecy«) geradezu magische Macht über diese ausübt.

2.

Wenn Performance- oder Theaterdarsteller sich auf diese Weise unversehens damit konfrontiert sehen, nicht Theater, sondern Wirklichkeit produziert zu haben, taucht oft in symptomatischer Weise der Begriff der Komödie auf. So heißt es in einem Gedicht aus dem Zyklus »Die Heimkehr« von Heinrich Heine:

»Nun ist es Zeit, daß ich mit Verstand

Mich aller Torheit entled’ge;

Ich hab so lang’ als ein Komödiant

Mit dir gespielt die Komödie.

[…]

Ach Gott! im Scherz und unbewußt

Sprach ich was ich gefühlet;

Ich hab’ mit dem Tod in der eignen Brust

Den sterbenden Fechter gespielet.«[1]

Ein ungewöhnlicher Begriff von Komödie ist das. Nicht irgendetwas Belustigendes in der Handlung legt ihn nahe – denn sterbende Fechter sind kaum ein typisches Komödienmotiv. Vielmehr ist das, was der Begriff der Komödie hier benennen soll, die eigentümliche Tendenz, dass jemand etwas für Theater hält, was es gar nicht ist; bzw. dass jemand mehr Wahrheit ausspricht, als ihm bewusst ist. Wie in der Performance der 80 Heiratswilligen wird auch bei Heine diese Entwicklungslogik am Motiv der Liebeserklärung sichtbar gemacht; und Heine benennt dieses sprichwörtliche »Aus Spaß wurde Ernst« mit dem Begriff der Komödie.

Wieso aber eignet sich der Begriff der Komödie dazu, diese Entwicklungslogik zu bezeichnen? Was ist das spezifisch Komödienhafte an diesen paradoxen Phänomenen? – Die Performance der Gruppe »Wir sagen Ja zueinander« hatte somit zugleich ein Problem des Lebens wie auch eine ästhetische, gattungstheoretische Frage aufgeworfen.

3.

Dass der Begriff der Komödie auch Bedeutung für das Leben außerhalb des Theaters besitzt, ja, dass dies vielleicht sogar seine entscheidende, noch seinen Theatergebrauch selbst bestimmende Bedeutung ist, zeigt sich an jenen zahlreichen Situationen des Alltagslebens, wo er – mehr oder weniger metaphorisch – zur Verwendung kommt.

»Schluss mit der Komödie!« rufen zum Beispiel erzürnte Ehegatten oder Beziehungspartner, womit sie alle Bestrebungen zur weiteren Aufrechterhaltung ihres Liebeslebens für Fiktionen erklären und sie im Namen einer entgegengesetzten Wahrheit verwerfen. Dasselbe kommt, mit umgekehrten Vorzeichen, in der Psychoanalyse vor, wo die Übertragungsliebe sich als »Elementarereignis« darstellt, welches sofortigen Vorrang gegenüber der Analyse fordert. War es im Fall der Beziehungspartner das Zerwürfnis, das sich als Wahrheit gegenüber der »Komödie« der Liebe geltend machte, so ist es hier die Liebe, die dasselbe gegenüber der analytischen Situation macht: Es gibt dann, wie Sigmund Freud feststellt, »einen völligen Wechsel der Szene, wie wenn ein Spiel durch eine plötzlich hereinbrechende Wirklichkeit abgelöst würde, etwa wie wenn sich während einer Theatervorstellung Feueralarm erhebt«.[1] Auch die Übertragungsliebe ruft also, wie Jacques Lacan es wörtlich formulierte, »Schluß mit der Komödie!«,[2] und die Psychoanalyse war darum gut beraten, von jenen Situationen des Theaters zu lernen, in denen gerade dieser Ausruf selbst zur Erzielung bestimmter Effekte eingesetzt wird – vorzugsweise komischer Effekte übrigens. Schon Freud zeigte, dass gerade jene Wahrheitsliebe, welche die »Komödie« der Analyse zugunsten einer Wahrheit des Lebens aussetzen möchte, der ultimative Trug ist – und dass die Wahrhaftigkeit der Analyse darum gerade in der Aufrechterhaltung der »Komödie« bestehen muss.[3]

Neben den Situationen der behaupteten oder in Abrede gestellten Liebe gibt es aber auch noch andere, sehr unterschiedliche Kontexte des Lebens abseits der Bühne, in denen vom Begriff der Komödie Gebrauch gemacht wird. Die amerikanischen Theologen Aichele und Oden zum Beispiel haben die Formel »theology as comedy« entwickelt, wobei das maßgebende Kriterium auch hier wieder in erster Linie darin liegen dürfte, dass der Begriff ein bestimmtes Verhältnis von Fiktion und Wahrheit bezeichnet, und nicht etwa darin, dass er sich auf eine besonders ulkige, zum Lachen reizende Materie bezöge.[4]

Der Philosoph Alain nennt in seinen zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfassten Studien über das Glück die Praxis der Höflichkeit eine Komödie. Er schreibt:

»Die Gesten der Höflichkeit haben große Macht über unsere Gedanken; und es hilft sowohl gegen schlechte Laune wie gegen Magenschmerzen, wenn man Liebenswürdigkeit, Wohlwollen und Freude mimt; die dazu erforderlichen Bewegungen – Verbeugungen und Lächeln – haben nämlich das Gute, die ihnen entgegengesetzten Bewegungen des Zorns, des Mißtrauens und der Traurigkeit unmöglich zu machen. Darum sind gesellschaftliche Veranstaltungen so beliebt: sie geben Gelegenheit, das Glück zu mimen; und diese Komödie heilt uns mit Sicherheit von der Tragödie, was nicht eben wenig ist.«[5]

Indem die Höflichkeit das Glück »mimt«, bringt sie wirkliches Glück hervor. Das Komödiantische besteht für Alain also nicht nur in dem (der Tragödie entgegengesetzten) Zug zum Happy End, sondern vor allem auch darin, dass – wie die Akteure von »Wir sagen Ja zueinander« bemerkt hatten – aus der symbolischen Darstellung einer Sache die wirkliche Sache selbst werden kann.

In Bezug auf die Höflichkeit hatte bereits Immanuel Kant genau dies festgestellt: Denn die Höflichkeit ist, Kant zufolge, einerseits eine Täuschung, die niemanden täuscht – »weil ein jeder andere, dass es hiemit eben nicht herzlich gemeint sei, dabei einverständigt ist«.[6] Andererseits aber fallen dann gerade die »Betrüger« selbst auf den Betrug der Höflichkeit herein:

»Denn dadurch, daß die Menschen diese Rolle spielen, werden zuletzt die Tugenden, deren Schein sie geraume Zeit nur gekünstelt haben, nach und nach wohl wirklich erweckt, und gehen in die Gesinnung über. – Aber den Betrüger in uns selbst, die Neigung, zu betrügen, ist wiederum Rückkehr zum Gehorsam unter das Gesetz der Tugend, und nicht Betrug, sondern schuldlose Täuschung unserer selbst.«[7]

Während die Höflichkeit also anderen etwas vorspielt, die nicht darauf hereinfallen, lässt sie die Schauspieler schließlich selbst auf ihr Spiel hereinfallen und zu jenen tugendhaften Menschen werden, die sie bisher bloß für andere darzustellen versucht haben.

Ohne hier, wie Alain, den Begriff der Komödie auf dieses Rollenspiel anzuwenden, hat Kant mit dem Gedanken der Selbsttäuschung der Schauspieler ein zentrales Komödienmotiv berührt. Denn genau davon handeln die besten Komödien: dass Menschen zu Gefangenen dessen werden, was sie anderen vorgemacht haben.[8] So beginnt in der Filmkomödie Schtonk (Deutschland 1991) der von Götz George gespielte Sensationsreporter Willié am Ende der gigantischen Schwindelei um die Hitlertagebücher, selbst nach Hitler zu suchen (denn da die Bücher nachweislich nach 1945 verfasst wurden, müsse dieser noch am Leben sein). Und in der feinen Komödie Der Gefallen, die Uhr und der sehr große Fisch (Frankreich/Großbritannien 1991) kommt jener Mann, der für fotografische Bibelillustrationen den Jesus darstellt, ums Leben, als er einmal in einem einsamen Moment übers Wasser zu gehen versucht; außerdem entsteht zwischen zwei Personen, die in einem Gelegenheitsjob einen Pornofilm synchronisieren, infolge der dabei entwickelten Harmonie echte Liebe.

Genau wie in dem Gedicht von Heine beschrieben, scheint das trügerische Gefühl, bloß Komödie zu spielen, geeignet, eine Wahrheit zu produzieren, die sonst hätte verborgen bleiben müssen. Das Lächerliche, bloß anderen Vorgespielte, Durchschaubare, erweist sich plötzlich für die Vorspielenden selbst als bindend und übt, als deren eigene Gesinnung (wie Kant meint) oder auch in einer mehr ich-fremden Form, gleichsam wie ein sie leitender Dämon, Macht über sie aus. Und diese gar nicht scheinbare Unterworfenheit unter den durchschauten Schein lässt die Figuren dann tatsächlich komisch und zu Helden der Komödie werden. Das trügerische Gefühl der Komödie erzeugt die wahre Komödie.

4.

Der Gedanke, dass die Komödie auf einer Täuschung beruht, von der niemand getäuscht, wohl aber die Darsteller selbst in Bann gezogen werden, scheint auch den Gebrauch des Begriffs in einem Kontext zu begründen, in dem er wohl nicht mit Selbstverständlichkeit erwartet würde: in der Theorie der sexuellen Abweichungen. So spricht Richard von Krafft-Ebing in seiner »Psychopathia Sexualis« von der »Komödie« des Masochismus. Er notiert:

»Beobachtung 66. X., 38 Jahre alt, Ingenieur, verheiratet, Vater von 3 Kindern, obwohl in guter Ehe lebend, vermag dem Antriebe nicht zu widerstehen, von Zeit zu Zeit bei einer von ihm instruierten Prostituierten vorzusprechen und als Präliminarie eines Koitus folgende masochistische Komödie aufzuführen. Sobald er bei der Puella eingetreten ist, muss diese ihn bei den Ohren nehmen, ihn an denselben durch die Zimmer zerren, scheltend: ›Was tust du da, weisst du nicht, dass du in die Schule gehörst, warum gehst du nicht in die Schule?‹«[1]

Insbesondere die Durchschaubarkeit der Inszenierung sowie das Lächerliche (und gleichwohl für die Beteiligten Unentrinnbare), das ihr dadurch anhaftet, scheinen den – übrigens mehrfach wiederholten[2] – Einsatz des Begriffs der Komödie in diesem Kontext zu bestimmen. Das intellektuelle Moment des Durchschauens erweist sich somit als begleitet von einem affektiven Moment, der Verachtung. Und gerade diese Verachtung scheint die spezifische Leidenschaftlichkeit und zwanghafte Unentrinnbarkeit der Sache zu begründen – nicht nur im masochistischen Kontext, sondern generell.

Denn auch die Komödie auf dem Theater oder im Kino wird gern als »seicht« bezeichnet und regelmäßig mit einer gewissen Geringschätzung behandelt. Auch in ihrer Betrachtung wird somit die Transparenz zum Anlass für Verachtung genommen. Allerdings wird die Verachtung dabei meist nicht als Grund des massiven ästhetischen Genusses anerkannt; vielmehr wird so getan, als ob dieser Genuss trotz der Verachtung zustande gekommen wäre und aus einer ganz anderen Quelle stammte: »Es ist zwar ein fürchterlicher Blödsinn, aber doch sehr, sehr lustig«, sagen die Zuschauer dann gerne. Aus dem Studium der Perversion und des ihr zugrundeliegenden Vorganges der Verleugnung hingegen lässt sich erkennen, dass gerade das, was den Leuten solches Vergnügen bereitet, aus der Verachtung kommt, mit der sie es behandeln. So wie die Höflichen bei Kant wähnen auch die Komödienzuschauer sich jenseits der Illusion und sind gerade dadurch in ihrem Bann; darin werden sie dem typischen Komödienpersonal ähnlich.

Von dem scheinbar verzerrten Vorgang in der Perversion und dem ihm entsprechenden Gebrauch des Komödien-Begriffs können somit Aufschlüsse über den Vorgang in Theater und Kino gewonnen werden. Dies hat Anlass dazu gegeben, die Perversion als Erkenntnisquelle für Normalvorgänge in der Kultur zu nutzen und auch sie – die einzige Ausnahme, der Freud nicht wie allen übrigen klinischen Kategorien jeweils ein Normalvorbild in der Kultur zusprach[3] – als eine Affektorganisation mit spezifischer kulturbildender Kraft anzuerkennen.[4] Die Kulturwissenschaft kann hier einen wichtigen Beitrag zur ästhetischen Theorie leisten, indem sie die gesamte Alltagskultur als Erkenntnisfeld nutzt und – nach dem Vorbild der von Wittgenstein begründeten Tradition der sogenannten »ordinary language philosophy« – deutlich macht, inwiefern gerade die entferntest scheinenden, alltäglichen Gebrauchsweisen eines ästhetischen Begriffs wichtige Aufschlüsse über seine exakte kunsttheoretische Funktion liefern können.

5.

Obwohl die Alltagssprache voll von Komödienbegriffen und entsprechenden Strukturen ist, zeigt gerade das gegenwärtige Alltagsleben, ebenso wie die aktuelle Kunst- und Theorieproduktion, eine auffällige Abwesenheit des Komödienhaften. Das Lebensgefühl unserer Epoche scheint zum Beispiel – im Gegensatz etwa zu jenem der 60er/70er, oder auch der 20er/30er Jahre des 20. Jahrhunderts – von einer zunehmend biederen, ängstlichen und fixen Vorstellung der Zweierbeziehung beherrscht (auch diesbezüglich stellte die eingangs erwähnte Massenhochzeitsperformance eine originelle und außergewöhnliche Distanzierung vom Zeitgeist dar). Der Seitensprung und die Dreiecksbeziehung, typische Motive klassischer Komödien, werden dementsprechend in neueren Filmen – und keineswegs nur in den schlechten – regelmäßig als »verhängnisvolle Affären« mit oft katastrophalen Auswirkungen präsentiert.[1] Eine gewisse steigende Toleranz gegenüber homosexuellen Lebensgemeinschaften geht in unserer Kultur offensichtlich mit einer zunehmenden Verfemung von polygamer Liebe einher. Und die entsprechende Monogamiepropaganda bedient sich der ästhetischen Mittel der Tragödie und des Melodramas.

Aber auch wenn es nicht um das Liebesleben geht, zeigt das aktuelle Kino eine eigentümliche Schlagseite ins Tragische. So sind zum Beispiel die Filme der »Dogma«-Gruppe, ebenso wie die späten Werke von Lars von Trier, fast ausschließlich tragische Melodramen. Und während die zahlreichen selbst auferlegten formalen Beschränkungen dieser Regie-Schule (nur Originalton und -licht, keine Requisiten etc.) von der Kritik ausführlich diskutiert wurden, ging diese Tatsache offensichtlich als kaum erwähnenswerte Selbstverständlichkeit durch. Dabei hätte man doch wenigstens fragen können, ob unsere Zeit so etwas nötig hat – beziehungsweise ob sie vielleicht nichts Besseres verdient.

In der aktuellen Bildenden Kunst zeigt sich die Vorherrschaft des Tragischen an der seit dem Beginn der 90er Jahre beobachtbaren Abneigung gegen alles Lustvolle, Formale, eigenwillig Spielerische, Fiktive, Ironische, Extravagante oder gar Glamouröse und Exzessive.[2] Der Witz der Neuen Wilden oder auch von Fluxus, Konzeptkunst und Pop Art; das Schillernde und Unvorhergesehene der Form, der »Primat des Signifikanten«, die berüchtigten, oft brutalen Sarkasmen und Ambiguitäten von Futurismus und Surrealismus scheinen verflogen zugunsten braver, zartbesaiteter und oberlehrerhafter Auseinandersetzungen mit ernsten und vorhersehbaren gesellschaftlichen Themen; wenn es überhaupt Spielerisches gibt, dann handelt es sich dabei niemals um gewagte, unerprobte, ich-fremde Schwebezustände, sondern lediglich um jene zahn- und glanzlosen Mitmachspiele, in denen intim verhaberte Netzwerke heute ihren Hang zur Nestwärme sowie ihre Feindseligkeit gegen alles Außergewöhnliche exekutieren. Die Form der Interaktivität erlaubt es ihnen, ihre Traurigkeit und Kleinkariertheit als aufgeklärte, basisdemokratische Errungenschaften zu erleben.

In der kulturwissenschaftlichen und philosophischen Theorie schließlich haben mehrere Kommentatoren kürzlich die Vorherrschaft eines »tragischen Paradigmas« festgestellt.[3] Diese Vorherrschaft zeigt sich zum Beispiel an der Vorliebe für die tragischen Mythen von Ödipus in der Freud’schen sowie insbesondere von Antigone in der Lacan’schen Tradition psychoanalytischer Theorie. Innerhalb der letzteren hat allen voran Slavoj Žižek Ende der 90er Jahre entsprechende Kontroversen ausgelöst. Žižeks kurzfristige Emphase für das Christentum – einer Religion, die das tragische Scheitern sogar zu ihrem Emblem erhoben hat – erscheint für diesen Zusammenhang exemplarisch; auch wenn Žižek selbst originellerweise das Christentum als eine Religion der Komödie interpretiert.[4] Auch die von J.-F. Lyotard in den 80er Jahren wiederbelebte Diskussion über die Ästhetik des Erhabenen[5] kann, als Mode einer Ästhetik des Scheiterns, diesem Paradigma zugerechnet werden. Bezeichnenderweise tritt die Vorliebe für das großartig Scheiternde, Authentische, Schaurig-Tragische sowie für das Thema der »Endlichkeit« immer in Theorien auf, die entweder (wie z.B. jene der Frankfurter Schule) direkt in der Tradition des deutschen Idealismus stehen oder aber bei Autoren, die (wie z.B. Jacques Lacan und manche andere Vertreter des französischen Strukturalismus) mehr oder weniger unerwartete Ausflüge in diese Denktradition unternehmen. Nach seiner Rezeptionsgeschichte beurteilt, kann der deutsche Idealismus dem Vorwurf einer tragischen Schlagseite wohl kaum entgehen, auch wenn, wie Simon Critchley zu Recht hervorhebt, der deutsche Idealist Hegel in seiner Ästhetik die Komödie gegenüber der Tragödie privilegierte.

Der historische Grund für diese tragische Eigenart gerade der deutschen Philosophie und für ihren Unterschied zu anderen, z.B. französischen Traditionen dürfte im Scheitern der bürgerlichen Revolution liegen. Daraus könnte sich zum Beispiel jene bereits im 19. Jahrhundert deutlich sichtbare, von Friedrich Engels konstatierte Differenz zwischen den beiden Romanliteraturen erklären – die französische Vorliebe für das Frivol-Heitere des Ehebruchs und der deutsche Abscheu dagegen.[6] Auch die von Norbert Elias untersuchte, zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland entwickelte Unterscheidung zwischen authentischer (deutscher) »Kultur« und oberflächlich-trügerischer (französischer) »Zivilisation« erscheint hierfür signifikant.[7] Denn Frivolität sowie Verfeinerung der Sitten und Genussmöglichkeiten waren im 18. Jahrhundert Errungenschaften des Adels. Eine siegreiche revolutionäre Bourgeoisie war danach imstande, sich diese Güter als Beute anzueignen; eine unterlegene hingegen musste sich diese Dinge versagen und eine Ideologie ihrer Verfemung entwickeln.

Vor diesem Hintergrund erscheint es angebracht, zu überlegen, ob die Vorliebe für das Tragische und die damit einhergehenden Merkmale von Formfeindlichkeit, Witzlosigkeit und sexueller Prüderie, wie sie derzeit etwa auch in der Ideologie der »political correctness« auftreten, nicht immer die Kennzeichen einer Verlierermentalität sind: die typischen Symptome von Klassen beziehungsweise gesellschaftlichen Gruppen, die dabei sind, sich mit ihren historischen Niederlagen oder ihrer politischen Ohnmacht anzufreunden. Es scheint, dass die Unterliegenden gesellschaftlicher Kämpfe regelmäßig dazu tendieren, in einem Akt »freiwilliger Selbstbeschränkung« jene Güter, die man ihnen entzieht, auch noch von sich aus aktiv abzulehnen – entsprechend der Bemerkung Spinozas,[8] wonach die Menschen bisweilen ihre Knechtschaft nicht nur erdulden, sondern sogar noch für sie kämpfen, als ginge es um ihr Heil.

Die Komödie und der Materialismus

Was die Komödie für Philosophen interessant macht, ist neben anderem der Umstand, dass sie eine philosophische Position vertritt. Es gibt eine philosophische Parteilichkeit der Komödie: Die Komödie ist materialistisch. Sie ist die Vertreterin des Materialismus auf dem Theater. Und nicht nur das: Sie erfüllt nicht einfach bloß als brave Soldatin ihr philosophisches Programm, sondern vielmehr macht sie – oft besser, als manche Philosophen es verstanden haben – deutlich, worin dieses Programm besteht. Die Komödie präzisiert den philosophischen Materialismus.

Der philosophische Materialismus, wie ihn die Komödie zur Darstellung und Präzisierung bringt, lässt sich in zwei Thesen zusammenfassen – entsprechend der für den Materialismus charakteristischen Auffassung, wonach seine Thesen so knapp sein müssen, dass sie »in eine hohle Hand« passen.[1] Diese beiden zusammenhängenden Thesen sind die von der Materialität sowie die von der Dezentrierung.

1. Die These von der Materialität: »Her mit dem schönen Leben!«

Philosophischer Materialismus wird oft in dem Satz zusammengefasst: »Die Dinge da draußen existieren unabhängig von unserem Bewusstsein; sie sind also auch dann da, wenn wir sie nicht wahrnehmen oder an sie denken.« – In dieser Form erscheint die These von der Materialität als eine erkenntnistheoretische. Die Komödie aber lehrt uns, dieser These einen etwas veränderten Akzent zu geben und sie nicht in erster Linie als erkenntnistheoretische These zu begreifen, sondern vielmehr als eine ethische.[1] Mit diesem Akzent lässt sich die These von der Materialität dann wie folgt formulieren: »Diese Welt ist die einzige und beste, die wir haben.« So gelesen und formuliert, zeigt die These von der Materialität deutlicher ihre Stoßrichtung an – sie zeigt, auf welche praktischen Konsequenzen sie abzielt. Während bei ihrer erkenntnistheoretischen Fassung kaum klar ist, welchen Unterschied im Handeln es jemals ausmachen soll, wenn es sich so verhält, wie die These behauptet, wird das bei ihrer ethischen Fassung sofort deutlich: Leute, die davon ausgehen, dass das die einzige Welt ist, die sie haben, werden sich in dieser Welt anders verhalten als zum Beispiel solche, die auf eine andere, bessere Welt spekulieren.

Der Satz »Diese Welt ist die beste, die wir haben« bedeutet natürlich nicht, dass diese Welt in Ordnung wäre. Er sagt nicht, wie Leibniz behauptete, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben. Er sagt nur, dass wir keine andere Welt haben, und dass folglich, wenn es überhaupt ein gutes Leben gibt, dieses gute Leben sich hier und jetzt abspielen muss. Die Frage Wolf Biermanns, »Gibt es ein Leben vor dem Tod?« – das ist die Frage des Materialismus.

Die Komödie vertritt diese Position, indem sie von der Annahme ausgeht, dass alles, was großartig ist, auch von dieser Welt ist. Darum herrscht in der Komödie das Paradigma des Gelingens:[2] Die unwahrscheinlichsten Vorhaben und gewagtesten Hochstapeleien führen zum Erfolg; die Liebespaare – oder auch die Dreiecksbeziehungen und andere polygone Verhältnisse, welche die Komödie mindestens ebenso großartig findet – kommen am Ende zusammen; es gibt ein Happy End, wie merkwürdig oder fremd das gegenüber den sogenannten guten Sitten auch erscheinen mag; nichts – oder jedenfalls kein Gebot guter Sitten – kann dieses Happy End verhindern, denn schließlich, wie Billy Wilders Held aus Some Like It Hot am Ende sagt: »Nobody is perfect.«

In der Tragödie dagegen herrscht bekanntlich das Prinzip des Scheiterns: Ihre vordergründige Traurigkeit entwickelt die Tragödie aus der Annahme, dass nichts, was großartig ist, von dieser Welt sein kann und dass alles wahrhaft Großartige eben darum in dieser Welt scheitern muss. Damit insinuiert die Tragödie klarerweise auch den Umkehrschluss, nämlich dass alles, was scheitert, großartig wäre – und das macht ihre Traurigkeit zu einer nur vordergründigen: Denn immerhin kann man sich dann einreden, dass man beim Zusehen, wie etwas schiefging, etwas Großartiges gesehen hätte. Das kann erklären, weshalb Leute sich freiwillig Tragödien ansehen – der damit verbundene Lustgewinn wäre also begreiflich gemacht und das libido-ökonomische Paradoxon, auf das Sigmund Freud in diesem Zusammenhang hingewiesen hat, gelöst.[3]

Wenn die Komödie vom Gelingen des Großartigen handelt, während die Tragödie dessen notwendiges Scheitern postuliert, so zeigt sich daran ein religionsgeschichtlicher Hintergrund: Der »Geist der Komödie« entspricht einer heidnischen Weltauffassung. Denn es ist eine heidnische Auffassung der Welt, die vom Gelingen des Großartigen ausgeht. Dort ist es möglich, dass das Großartigste, das Göttliche bzw. Heilige, sichtbar wird und sich nicht nur höchstens einmal, sondern immer wieder, und an vielen Orten, zeigt – wobei es sich übrigens auch lachend zeigen kann: denn bei den Heiden haben die Götter Humor.[4] In der heidnischen Weltauffassung ist es folglich auch problemlos denkbar, dass dieses Göttliche dargestellt werden kann – Olympiasieger oder Hetären konnten darum einem Praxiteles als geeignete Vorbilder für seine Statuen des Apollon oder der Aphrodite Modell stehen. Das Göttliche kann eben deshalb erscheinen, weil Erscheinen in dieser Welt nicht als Makel, Abstrich oder Verlust aufgefasst wird. Denn diese Welt wird in der heidnischen Auffassung eben selbst als großartig begriffen. Die heidnische Grundstimmung angesichts dieser Welt ist deshalb, wie Nietzsche gezeigt hat, die einer exzessiven Dankbarkeit:

»Das, was an der Religiosität der alten Griechen staunen macht, ist die unbändige Fülle von Dankbarkeit, welche sie ausströmt: – es ist eine sehr vornehme Art Mensch, welche so vor der Natur und vor dem Leben steht! – Später, als der Pöbel in Griechenland zum Übergewicht kommt, überwuchert die Furcht auch in der Religion; und das Christentum bereitete sich vor. –« (Nietzsche [1886]: 59)

Es ist die heidnische Auffassung der Welt, die lehrt, diese Welt als großartig zu begreifen und sie dankbar als das Beste zu schätzen, was wir haben. Die heidnische Weltauffassung ist darum der Welt zugewandt, oder »physisch«; ihre Haltung ist diejenige, aus der der philosophische Materialismus gelernt hat.

Furcht oder Abscheu angesichts der »Schlechtigkeit der Welt« hingegen, das Gefühl, in einem »Jammertal« zu leben, auf eine bessere oder wahrere, ideale Welt hinter dieser erscheinenden Welt zu hoffen – dies sind die Kennzeichen einer weltabgewandten, metaphysischen Auffassung; charakteristisch für Religionen wie das Christentum, die davon ausgehen, dass die erscheinende Welt mangelhaft sei und dass das Göttliche darum nicht (bzw. nur in Ausnahmefällen) erscheinen und auch in seiner Göttlichkeit nicht adäquat dargestellt werden könne. Wenn diese Welt so schlecht ist, dann kann das wahrhaft Große oder Gute in dieser Welt nur scheitern – und konsequenterweise ist der Gott einer solchen Weltauffassung dann keine gefeierte Diva, kein Olympiasieger, sondern ein tragischer Verlierer, den man selten lachen sieht, und er hat seinen großen Auftritt nicht in einer Siegerehrung, sondern in der Todesstrafe.

Sadness for Fighters?

Interessant erscheint vor diesem Hintergrund die Frage, welche der beiden Weltanschauungen – unabhängig davon, welche wahrer sein mag – geeigneter erscheint, ihre Vertreter zur Militanz zu befähigen.[5] Wer ist wohl eher bereit, engagiert zu kämpfen: die Materialisten der Komödie oder die Tragiker? Die Physiker oder die Metaphysiker? Die Bejahenden des Lebens oder die Verneiner der Welt? – In der Antike sollen die Heiden – so behauptet es jedenfalls der frühchristliche Schriftsteller Tertullian – darüber erstaunt gewesen sein, mit welcher mutigen Todesverachtung die Christen an ihrer religiösen Überzeugung festgehalten haben. Nur wer diese Welt und dieses Leben nicht für alles nimmt, könne so unerschrocken dem Leid und dem Tod begegnen.[6] Dieselbe Überlegung taucht in der Philosophie der Gegenwart wieder auf – zum Beispiel wenn Slavoj Žižek, um den postmodernen apolitischen Zynismus zu bekämpfen, das Christentum für den Materialismus in Anspruch nimmt und meint, nur dieses könne zu einer wahrhaft asketischen, militanten Haltung anleiten (s. Žižek 2004). Und haben nicht erst vor kurzem die Verfechter des islamischen Fundamentalismus mit demselben Argument der westlichen Kultur höhnisch deren angebliche Dekadenz und Wehrlosigkeit vorgeworfen (»Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod«)?[7]

Allerdings sind die Metaphysiker nicht die Einzigen, die der Militanz und sogar der Todesverachtung im Kampf fähig sind. Es ist eine irrige, idealistische Annahme, dass Menschen, die das Leben lieben, eben deshalb nicht imstande wären, es aufs Spiel zu setzen.[8] Man muss nicht etwas jenseits des Lebens im Blick haben, um dieses Leben zu riskieren. Es kann vielmehr schon genügen, dass dieses Leben, das doch nach materialistischer Auffassung das beste ist, was wir haben, in seiner aktuellen Form als unerträglich erscheint. In diesem Sinn heißt es in dem Gedicht »Resolution der Kommunarden« von Bertolt Brecht:

»In Erwägung daß ihr uns dann eben

Mit Gewehren und Kanonen droht

Haben wir beschlossen, nunmehr schlechtes Leben

Mehr zu fürchten als den Tod.«[9]

Darin besteht der massivste und verlässlichste Antrieb einer materialistischen Kampfbereitschaft: in der Furcht vor schlechtem Leben in dieser besten Welt, die wir haben. Diese Furcht lässt selbst die Todesfurcht klein werden. Wenn also die Materialisten den Metaphysikern in der Fähigkeit zur Todesverachtung nicht nachstehen, so haben sie ihnen andererseits vielleicht noch etwas voraus – nämlich ein Bild dessen, was sie erreichen wollen. Dieses Bild hingegen scheint den tragisch gesinnten Metaphysikern zu fehlen: Sie können kaum angeben, was für sie eigentlich ein Erfolg wäre. Sie haben keine Idee davon, wie die Welt nach ihrem Sieg aussehen sollte und wie sie darin leben wollen. In dem regelmäßigen Scheitern ihrer Hoffnungen verrät sich darum eine Hoffnung auf das Scheitern.[10] Ihre Todesverachtung ist in Wahrheit eine Verachtung des Lebens.

Dementsprechend sind die militanten Tragiker, die zwar kämpfen, aber sich keinen wünschenswerten Zustand dieser Welt vorstellen können, die Zwillinge jener politisch abstinenten Postmodernen, die meinen, dass es auf der Welt nichts gibt, wofür es sich ernsthaft zu kämpfen lohnt. Es besteht eine grundlegende Komplizenschaft zwischen metaphysischer Askese und Spaßkultur. Darauf hat bereits der Kulturtheoretiker Johan Huizinga hingewiesen, als er betonte, dass die vermeintlich hedonistische Idee, es gäbe keine Wahrheit und die ganze Welt sei bloß Spiel beziehungsweise Theater (oder – wie die Dekonstruktivisten meinen: Literatur), zugleich die Ausgangsannahme der finstersten asketischen christlichen Metaphysiker ist.[11] Denn die grundlegende metaphysische Operation besteht darin, Wahrheit und Freiheit anderswo anzusiedeln als auf der Welt und im Glück. Alle Spielarten der Metaphysik (das heißt: des philosophischen Idealismus) beruhen auf der Annahme einer solchen Spaltung. Sie unterscheiden sich lediglich untereinander durch die Präferenz, die sie einer der beiden Seiten zuerkennen (z.B. für die Freiheit und gegen das Glück; oder für das Glück und gegen die Wahrheit etc.).

Für die Theorie der Komödie lässt sich daraus die Schlussfolgerung gewinnen, dass die postmoderne Spaßkultur, die alles ins Lächerliche oder ins Dekonstruktiv-Ungewisse ziehen will, keineswegs, wie sie selbst oft glaubhaft machen möchte, eine Verbündete der Komödie ist. Vielmehr ist diese Spaßkultur metaphysisch. Sie steht damit der Tragödie nahe und ist eine philosophische Hauptgegnerin des Materialismus, den die Komödie behauptet. Daraus wird verständlich, weshalb eine Epoche, die den Spaß so sehr auf ihre Fahnen geschrieben hat wie die Postmoderne, im Vergleich zu den von ihr selbst als viel ernsthafter eingestuften Perioden der 60er und 70er Jahre in Film und Theater so verschwindend wenig gute Komödien hervorgebracht hat.

Für die politische Theorie lässt sich die Konsequenz ziehen, dass Christentum und militante Askese keine geeigneten Gegenmittel zu postmoderner Beliebigkeit und spaßkulturellem Hedonismus sein können. Anstatt deren Gegenteil zu sein, ist die christliche Askese nur ihr seitenverkehrtes Spiegelbild – ihr »epistemologisches Double« im Sinn Gaston Bachelards.[12] Mit der Spaßkultur wirklich zu brechen bedeutet darum auch, mit dem tragischen Paradigma der christlichen Weltauffassung zu brechen. Daraus erklärt es sich, weshalb Slavoj Žižek seine ersten emphatischen, aber nicht ohne Humor vorgetragenen philosophischen Parteinahmen für das Christentum später stark relativiert und präzisiert hat.[13]

The Awful Truth?

Aus der von der Komödie vertretenen materialistischen These, dass diese Welt die einzige und beste ist, die wir haben, und dass alles Großartige, wenn überhaupt, dann nur auf dieser Welt großartig sein kann, folgt schließlich auch eine erkenntnistheoretische Position. Wie jeder echte Materialismus unterhält die Komödie ein unproblematisches Verhältnis zur Wahrheit.[14] Die Komödie lehrt, man kann die Wahrheit erkennen. Das zeigt sich zum Beispiel schon an den einfachsten Formen der Verwechslungskomödie: Dort ist zu sehen, wie jemand eine andere Person, etwa aufgrund eines Kostüms, für eine dritte Person hält – und damit wird den Zuschauern in elementarer, hellsichtiger Weise das gesamte Prinzip des Theaters selbst vor Augen geführt. Die Komödie ist voll von solchen selbstreflexiven Momenten und Verfremdungseffekten, und gerade diese Erkenntnisse sind in der Komödie das Amüsante und erzeugen die für sie charakteristische Lust.[15]

Das ist besonders deutlich im 18. Jahrhundert an den extrem selbstreflexiven und eben darin dem Prinzip der Komödie verpflichteten Romanen Lawrence Sternes und Denis Diderots zu sehen; aber ebenso, auf aktueller alltagskultureller Ebene, an der erstaunlichen, ihr Genre thematisierenden Selbstreflexivität von Horrorkomödien wie Scream (bzw. deren Nachfolgern Scream 2 und Scream 3). Dort kann man so beachtliche Sätze hören wie zum Beispiel: »Bitte sag jetzt nicht, du kommst gleich wieder, denn immer wenn im Horrorfilm jemand so etwas sagt, wird er gleich darauf umgebracht.«