Das Lied des Quarktiers - Jasper Fforde - E-Book

Das Lied des Quarktiers E-Book

Jasper Fforde

4,3
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Fortsetzung von DIE LETZTE DRACHENTÖTERIN.

Jennifer Strange, 16, immer noch alleinige Managerin der Zauberagentur Kazam, muss sich mit so einigen Problemen herumschlagen: Nach seiner Niederlage sinnt Zauberer Shandar auf Rache, die Konkurrenzagentur iMagic fordert sie zum Wettkampf heraus und King Snodd hat sich ausgerechnet mit deren Chef verbündet. Als dann auch noch Lady Magoon in Stein verwandelt wird, ist das Chaos perfekt. Doch Jennifer gibt nicht kampflos auf - und bekommt unerwartet Hilfe von einem verloren geglaubten Freund ...


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 327

Bewertungen
4,3 (18 Bewertungen)
10
3
5
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

CoverÜber den AutorTitelImpressumWidmungZitatSo ist der StandAuf der Suche nachverlorenen DingenNegative EnergieZambini-TowersZauberer MoobinDer DibblehackVersteinertQuarktier und ZenobiaKing Snodds Nichtsnutziger BruderKing Snodd IV.Zambini-TowersEichen versetzenDie Botschaft des KönigsDie Intrige beginntMutter ZenobiaBoo und die QuarktiereDer High North TowerUnterwegs mit über Mach 1,02TrollvaniaZurück in den Zambini-TowersVor dem WettkampfBrückenbauDie WallungDrohende VerschmelzungEndlich MittagessenDer Allgewaltige BlixNachwehenDas Ende der Geschichte

Über den Autor

Jasper Fforde, geboren 1961, schrieb seine Bücher lange Jahre neben der Arbeit als Kameramann. Nach diversen Buchveröffentlichungen war sein Roman Die letzte Drachentöterin (2015 bei ONE erschienen) sein erster Ausflug ins Jugendbuch. Das Lied des Quarktiers ist nun die Fortsetzung dieser Geschichte.

JasperFforde

Das Lied des Quarktiers

Übersetzung aus dem Englischen vonKatharina Schmidt und Barbara Neeb

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Titel der englischen Originalausgabe:

»The song of the quarkbeast«

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2011 by Jasper Fforde

All rights reserved including the rights of reproduction

in whole or in part in any form

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titelgestaltung: Sarah Borchert, Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von Motiven von © Thinkstock: -Panya- | flas100

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7325-2292-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Für Maggy und Stu, in Dankbarkeit für so viele Freundlichkeiten,

»Für jedes Quarktier gibt es ein genaues Gegenstück,das Antiquarktier.«

Auf der Suche nachverlorenen Dingen

Der Rolls-Royce war eine dieser exklusiven sechsrädrigen Phantom Zwölfzylinder-Stretchlimousinen. Er war so groß wie eine Yacht, doppelt so luxuriös und so makellos lackiert, dass es aussah, als schwebte eine schwarz glänzende Wolke in der Luft. Der Chauffeur öffnete den rückwärtigen Wagenschlag, und eine gut gekleidete junge Frau stieg aus. Sie war kaum älter als ich, entstammte aber einer Welt, die von der Kindheit eines Findelkinds meilenweit entfernt war – einer Welt voller Privilegien, Geld und einem gewissen Anspruch. Eigentlich hätte ich sie auf Anhieb hassen müssen, aber das tat ich nicht.

Ich beneidete sie.

»Miss Strange?«, fragte sie, während sie mit ausgestreckter Hand selbstbewusst auf mich zukam. »Miss Shard freut sich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Von wem redet sie?«, flüsterte Tiger mir zu.

»Ich denke, von sich selbst«, zischte ich zurück und begrüßte sie mit einem breiten Lächeln. »Guten Morgen, Miss Shard, vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Ich bin Jennifer Strange.«

Das war also unser Kunde. Eigentlich sah sie gar nicht alt genug aus, um etwas so unauffindbar verloren zu haben, dass man uns deswegen zu Hilfe rufen musste, aber man konnte nie wissen.

»Sie dürfen Ann zu Miss Shard sagen«, sagte sie entgegenkommend. »Man hat Ihre jüngsten, vielfältigen Glanztaten auf dem Gebiet der Zauberei mit geradezu aufgeregter Spannung verfolgt.«

Sie drückte sich in Langsprech aus, der formellen Ausdrucksweise der Oberschicht, anscheinend war sie nicht allzu vertraut mit Kurzsprech, der Umgangssprache in den Ununited Kingdoms.

»Wie bitte?«

»Es war eine einzigartige Darbietung genialer Verwegenheit«, erwiderte sie.

»Ist das gut?«, fragte ich etwas verunsichert zurück.

»Aber selbstverständlich«, gab sie zurück. »Wir haben Ihr tollkühnes Wagestück mit dem allergrößten Interesse verfolgt.«

»Wir?«

»Ich und mein Klient. Ein Gentleman von einer gewissen Bildung, Position und Haltung.«

Offensichtlich bezog sie sich auf jemanden aus dem Adel. Traditionell ließen Mitglieder des Königshauses in den Ununited Kingdoms andere Menschen fast alles für sie erledigen; nur die völlig verarmten unter ihnen machten etwas selbst. Angeblich hatte King Wozzle von Snowdonia, als er des Essens überdrüssig geworden war, auch das jemand anderem übertragen. Nach dem darauf folgenden unvermeidlichen Gewichtsverlust und Tod war ihm sein Bruder auf den Thron gefolgt.

»Ich verstehe kein Wort von dem, was sie sagt«, zischte Tiger mir zu.

»Tiger«, sagte ich in dem Bemühen, ihn schnell abzuwürgen, bevor er es sich mit der Dame noch verscherzte, »warum holst du nicht schon mal Dennis und Lady Mawgoon?«

»Waren sie von verschlagenem Wesen?«, fragte Miss Shard mit einem höflichen Lächeln.

»Waren sie was?«

»Die Drachen7«, erklärte sie, »waren sie … unerfreulich?«

»Eigentlich nicht«, erwiderte ich vorsichtig. Fast jeder wollte etwas über die Drachen wissen, doch ich erzählte nur wenig. Diskretion ging diesen Wesen über alles. So sagte ich nichts weiter, und sie verstand den Wink.

»Ich beuge mich Ihrer diesbezüglichen Umsichtigkeit«, entgegnete sie und neigte den Kopf leicht.

»O-kay«, sagte ich etwas zögerlich, da ich sie wieder nicht so ganz verstand.

Inzwischen war Tiger mit Full Price und Lady Mawgon zurückgekehrt, Perkins mit seinen »Observierungs«-Fähigkeiten bildete das Schlusslicht. Ich stellte sie einander vor, und Miss Shard sagte, wie »äußerst freudvoll« und »erquickend« es doch sei, sie bei diesem »feierlichen Anlass« kennenzulernen, und im Gegenzug reichten sie ihr die Hände, blieben allerdings zurückhaltend. Es macht sich bezahlt, wenn man etwas Distanz zu Kunden wahrt, besonders zu solchen, die zu viele lange Wörter benutzen.

»Was sollen wir für Sie finden?«, fragte Lady Mawgoon, die immer gern rasch zur Sache kam.

»Es handelt sich um einen Ring, der der Mutter meines Klienten gehört hat«, sagte sie. »Er hätte sein Anliegen gern persönlich hinterbracht, aber er ist leider verhindert, er rekreiert sich momentan.«

»War er deswegen schon beim Arzt?«, fragte Tiger.

»Weswegen?«

»Na, weil er sich rekreieren muss. Klingt ziemlich schmerzhaft.«

Sie starrte ihn einen Augenblick verständnislos an.

»Das bedeutet, dass er im Urlaub ist.«

»Oh.«

»Ich entschuldige mich für die Unwissenheit des Personals«, übernahm Lady Mawgon und schleuderte einen bösen Blick in Richtung Tiger, »aber zu unserem Bedauern benötigt Kazam Findelkinder zur Aufrechterhaltung des Betriebs. Personal kann dieser Tage so anspruchsvoll sein mit seinen Forderungen nach lächerlichem Luxus wie Essen, Schuhen, Lohn … und menschlicher Würde.«

»Ach, machen Sie sich deswegen keine Gedanken«, sagte Miss Shard freundlich, »Findelkinder können manchmal erfrischend direkt sein.«

»Um was für einen Ring handelt es sich?«, fragte ich, weil mir dieses ganze Gequatsche über Findelkinder etwas unangenehm war.

»Nichts Besonderes«, fuhr Miss Shard fort, »er ist aus Gold, unscheinbar, so groß wie ein Herrenring. Mein Kunde möchte ihn seiner Mutter liebend gern zu ihrem siebzigsten Geburtstag zurückgeben.«

»Kein Problem«, merkte Full Price an. »Haben Sie etwas dabei, das vielleicht einmal mit diesem Ring Kontakt hatte?«

»Also zum Beispiel die Mutter Ihres Klienten?«, fragte Tiger und grinste frech.

»Bitte sehr«, erwiderte Miss Shard unbeeindruckt und zog einen Ring aus ihrer Tasche. »Diesen Ring trug sie an ihrem Mittelfinger, und er rieb sich immer an dem verlorenen Exemplar. Man kann sogar noch Spuren davon erkennen, sehen Sie.«

Lady Mawgon nahm den Ring und fixierte ihn einen Moment äußerst konzentriert, ehe sie ihre Finger fest darumschloss, leise etwas vor sich hin murmelte und dann ihre Faust wieder öffnete. Der Ring schwebte nun etwa einen Zoll über ihrer Handfläche und drehte sich langsam um sich selbst. Sie gab ihn an Full Price weiter, der ihn erst ins Licht hielt und ihn sich dann in den Mund steckte. Dort ließ er ihn kurz gegen seine Füllungen klickern, ehe er ihn herunterschluckte.

»Das war natürlich Absicht«, sagte er, aber es klang nicht wirklich überzeugend.

»Ach wirklich?«, fragte Miss Shard skeptisch, die sich mit Sicherheit gerade fragte, wie und in welchem Zustand sie ihren Ring zurückbekommen würde.

»Nur keine Sorge«, sagte Full Price fröhlich, »es ist erstaunlich, wie wirksam Putzmittel heutzutage sind.«

»Warum wollten Sie uns ausgerechnet hier treffen?«, wollte Lady Mawgon wissen, die so glücklicherweise das Thema wechselte.

Das war eine gute Frage. Wir befanden uns auf einem durchschnittlichen Rastplatz an der Ross-Hereford-Landstraße in der Nähe eines Dorfes namens Harewood End.

»Dies ist der Ort des Verlustes«, erwiderte Miss Shard. »Sie hatte den Ring noch am Finger, als sie hier ausstieg, und als sie von hier fortfuhr, hatte sie ihn nicht mehr.«

Lady Mawgon sah mich an, dann unsere Kundin und zuletzt Dennis. Sie sog witternd die Luft ein, murmelte wieder etwas, und dann wirkte sie kurz sehr nachdenklich.

»Er ist immer noch in der Nähe«, sagte sie, »aber dieser Ring möchte nicht gefunden werden. Stimmen Sie mir zu, Mr Price?«

»Gewiss«, sagte er und rieb seine Finger gegeneinander, als wolle er die Beschaffenheit der Luft überprüfen.

»Wie können Sie das wissen?«, fragte Miss Shard.

»Er ging vor zweiunddreißig Jahren, zehn Monaten und neun Tagen verloren«, meinte Lady Mawgon bedächtig. »Stimmt das?«

Miss Shard starrte sie an. Offensichtlich stimmte es, und das Ganze war wirklich beeindruckend. Lady Mawgon hatte den Nachhall der Erinnerung aufgenommen, die menschliche Gefühle selbst in dem trägsten Gegenstand hinterlassen können.

»Etwas, das verlorengehen möchte, tut dies aus einem guten Grund«, fügte Full Price hinzu. »Warum schenkt Ihr Kunde seiner Mutter nicht lieber ein paar Pralinen?«

»Oder Blumen?«, schlug Lady Mawgon vor. »Wir können Ihnen nicht helfen. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.«

Sie wandte sich zum Gehen.

»Wir zahlen Ihnen eintausend Moolah8.«

Lady Mawgon blieb abrupt stehen. Eintausend Moolah waren richtig viel Geld.

»Eintausend?«

»Mein Kunde neigt zu Spendabilität, wenn es um seine Mutter geht.«

Lady Mawgon sah erst Full Price an, dann mich.

»Fünftausend«, sagte sie dann.

»Fünftausend?«, wiederholte unsere Kundin. »Um einen Ring zu finden?«

»Ein Ring, der nicht gefunden werden möchte«, entgegnete Lady Mawgon, »ist ein Ring, der nicht gefunden werden sollte. Der Preis entspricht dem Risiko.«

Miss Shard blickte von einem zum anderen.

»Einverstanden«, sagte sie schließlich, »ich werde hier warten, bis Sie Ihre Suche beendet haben. Aber ohne Fund kein Geld. Auch kein Ausfallhonorar.«

»Üblicherweise verlangen wir eine Pauschale allein für unseren Einsatz …«, begann ich, doch Lady Mawgon schnitt mir das Wort ab.

»Einverstanden«, sagte sie und verzerrte ihr Gesicht zu einer Grimasse, die wohl ein Lächeln darstellen sollte.

Miss Shard schüttelte uns wieder der Reihe nach die Hände, stieg in ihren Rolls-Royce, und ein paar Sekunden später fuhr die Limousine ein Stück weiter zum Imbisswagen am Straßenrand. Wenn es um Schinkensandwichs ging, zählten keine Klassenunterschiede.

»Bei allem Respekt, Ma’am«, sagte ich und wandte mich Lady Mawgon zu, »wenn sich herumspricht, dass wir unsere Kunden ausnehmen, wird das Kazams Ruf beschädigen. Und außerdem finde ich es unprofessionell.«

»Ach, können die Bürger dieses Landes uns etwa noch mehr hassen als jetzt?«, fragte sie verächtlich, und das mit einiger Berechtigung, denn trotz unserer Bemühungen beäugte die breite Öffentlichkeit das Zaubereigeschäft mit großem Misstrauen. »Und, was noch wichtiger ist«, fuhr Lady Mawgon fort, »ich habe unsere Kontoauszüge gesehen. Wie lange sollen wir Ihrer Meinung nach unsere Talente noch praktisch gratis zur Verfügung stellen? Außerdem sitzt sie in einem Phantom Achtzylinder. Die hat Moolah bis zum Abwinken.«

»Es ist ein Phantom Zwölfzylinder«, korrigierte Tiger leise, der als Junge den Unterschied genau kannte.

»Wollen wir jetzt endlich loslegen?«, fragte Full Price. »Ich muss in einer Stunde ein Walross transportieren, und wenn ich zu spät komme, fängt David ohne mich an.«

»Je früher, desto besser«, sagte Lady Mawgon und entließ Tiger und mich mit einer Handbewegung, damit Full und sie sich besprechen konnten. Ich lehnte mich wie Tiger gegen den VW, atmete ein paarmal tief durch und beobachtete die beiden bei ihrer Besprechung.

»Ich habe einmal mein Gepäck verloren«, sagte Tiger abwesend, er schien auch etwas zum Thema »Verlorene Dinge« beitragen zu wollen. »Bei einem Ausflug des Waisenhauses zu den Stahlhütten von Port Talbot.«

»Wie war’s?«, fragte ich, froh über die Ablenkung, außerdem war ich selbst noch nie im Herzstück der Industrie der Ununited Kingdoms gewesen.

»Rot, mit Laufrollen und einer Innentasche für die Toilettenartikel.«

»Ich meinte Port Talbot.«

»Oh. Heiß und sehr laut.«

»Die Dampfhämmer?«

»Die Dampfhämmer waren schon okay. Es war das Gesinge.«

Wir beobachteten, wie Perkins um Lady Mawgon und Price herumschlich, weil er unauffällig feststellen wollte, wie es voranging.

»Bekommt Perkins heute seine Lizenz, was meinst du?«

»Hoffentlich. Wir brauchen ihn bei dem Brückenjob. Wenn der in die Hose geht, stehen wir alle ganz schön blöd da.«

»Und noch dazu live im Fernsehen.«

»Erinner mich bloß nicht daran.«

Unsere Sorgen wegen Perkins waren nur zu berechtigt, wenn man bedenkt, dass wir die Lizenz ausschließlich von dem Menschen erhalten konnten, der noch schwachsinniger und korrupter war als unser glorreicher King Snodd – seinem nichtsnutzigen Bruder, denn der war Minister für Infernalische Angelegenheiten. Mit diesem nicht gerade schmeichelhaften Begriff wurde das Amt für alle die Zauberei betreffenden Dinge bezeichnet.

»Sie haben ihn geschluckt«, hörten wir Lady Mawgon verärgert fragen. »Warum in drei Snorffs Namen haben Sie das getan?«

Sie meinte wohl den Ring, und da es darauf keine Antwort gab, zuckte Full Price nur schwach mit den Schultern. Ich ging zu ihnen und stellte mich darauf ein, gegebenenfalls zu vermitteln. Lady Mawgon streckte ihre Hand aus.

»Geben Sie ihn her, Dennis.«

Full Price blickte verärgert, aber er wusste, dass er besser nichts mehr sagte. Er schloss die Augen und holte tief Luft, dann zog er eine Reihe merkwürdiger Grimassen und seufzte dazu empört, bevor er seine Ärmel hochkrempelte. Wir konnten sehen, wie der Ring unter seiner Haut den Unterarm entlangglitt, und dabei schwitzte und stöhnte Price vor Anstrengung. Ich hatte so etwas schon ein paarmal gesehen, zuletzt beim Extrahieren einer Kugel, die nach einem verunglückten Schuss gefährlich nahe am Rückgrat des Patienten gelandet war.

»Aua!«, jammerte Full Price, als die ringförmige Erhebung über seinen Handrücken glitt. »Aah, aua, AUTSCH!«

Der Ring wanderte unter der noch enger sitzenden Haut seines Fingers entlang, rollte dann um seine Fingerspitze, und nach wildem Fluchen gelang es Full Price endlich, ihn unter seinem Nagelbett auszustoßen.

»Das ist so eklig!«, sagte Tiger.

»Stimmt genau«, erwiderte Perkins, »aber irgendwie kann man trotzdem nicht wegschauen, oder?«

»Bitte sehr«, sagte Full Price, wischte den Ring ab und überreichte ihn Lady Mawgon. »Sind Sie nun zufrieden?«

Aber Lady Mawgon war bereits mit anderen Dingen beschäftigt. Sie nahm den Ring, murmelte etwas und gab ihn an Dennis zurück, der ihn fest in seiner Faust einschloss.

»Ich mag nicht, wie sich das anfühlt«, sagte er. »Etwas Schlimmes ist passiert.«

»Ganz meine Meinung«, antwortete Lady Mawgon und holte ein Kristallfläschchen mit einem silbernen Stopfen hervor. Wir traten zurück, damit sie in Ruhe arbeiten konnten, und Perkins, der nun vollkommen verwirrt von dem war, was da vor sich ging, gesellte sich zu uns.

»Sie werden versuchen, das Gedächtnis wiederzubeleben«, sagte ich.

»Gold hat ein Gedächtnis?«

»Alles hat ein Gedächtnis. Das von Gold ist ziemlich langweilig – es wurde ausgebuddelt, zertrümmert, in den Hochofen geschickt, mit dem Hammer platt gemacht –, zum Gähnen! Nein, wir suchen nach einer stärkeren Erinnerung als der, die in dem Gold selbst steckt – nämlich die der Person, die den Ring daraus trug.«

»Man kann die eigene Erinnerung auf leblose Gegenstände übertragen?«

»Aber sicher. Und je mehr man für etwas empfindet, desto länger werden diese Gefühle daran haftenbleiben. Einige Leute denken ja, dass Dinge wie Schmuck, Gemälde oder Oldtimer eine Seele haben, aber soweit wir wissen, trifft das nicht zu – das sind nur die Erinnerungen der Menschen, die mit ihnen zu tun hatten. Je mehr etwas geliebt, geschätzt und bewundert wurde, desto stärker ist die Erinnerung und umso besser können wir darin lesen.«

»Und das Kristallfläschchen?«

»Sieh hin und lerne!«

Lady Mawgon tat einen Tropfen auf den Ring, den Full Price in der Hand hielt, und einen Moment später hatte der sich in einen kleinen Hund verwandelt, der aussah wie ein Foxterrier, auf dem Boden saß und fröhlich mit dem Schwanz wedelte. Er glitzerte leicht, woraus man schließen konnte, dass er nicht real war, und er schien aus massivem Gold zu sein.

»Braver Hund«, sagte Lady Mawgon, »los, finde ihn!«

Der kleine Erinnerungshund9 kläffte einmal leise auf, dann hüpfte er fröhlich los und schnüffelte mal hier, mal dort am Boden, als ob er sich zu erinnern versuchte, wo der Ring vielleicht gelandet sein könnte. Lady Mawgon und Full Price folgten dem Foxterrier weg von der Straße, öffneten ein Tor für ihn und jagten das Tier dann über ein Feld, sehr zur Freude von einigen Kühen. Mawgon und Full Price blieben gelegentlich stehen, wenn der Erinnerungshund eine Pause einlegte, um kurz nachzudenken oder sich mit der Hinterpfote am Ohr zu kratzen, dann folgten sie ihm wieder, sobald er in eine andere Richtung davonjagte. Mehrmals lief er auf der eigenen Spur zurück, während er versuchte, die Witterung der Erinnerung aufzunehmen, und die ganze Zeit über hielt Lady Mawgon ihren Zeigefinger beständig auf ihn gerichtet. Einmal dachte der Hund offenbar kurz, sein Schwanz wäre die Beute, und schnappte danach, aber dann erkannte er seinen Irrtum und setzte die Suche fort.

»Was wohl damit passiert sein mag?«, fragte Tiger, während wir den Zauberern und dem Hund über das Feld folgten, dann über einen Zaun und eine kleinere Straße hinein in ein Wäldchen.

»Was soll womit passiert sein?«

»Mit meinem Gepäck«, antwortete Tiger, der sein Koffertrauma immer noch nicht überwunden zu haben schien. »Zum Glück war der Koffer leer. Ich hatte nämlich gar nichts. Eigentlich war er das Einzige, was ich je besessen habe. Darin wurde ich gefunden.«

Kaum etwas zu besitzen oder auch in einem roten Koffer mit Laufrollen und einer Innentasche für Toilettenartikel gefunden zu werden war nicht ungewöhnlich, wenn man Tigers Findelkindhintergrund berücksichtigte. Er war auf den Stufen der Schwesternschaft Unserer Lieben Frau des Hummers ausgesetzt worden, genau wie ich, und dann an die Zaubereiagentur Kazam bis zu seinem achtzehnten Geburtstag als Kontraktarbeiter verkauft worden. Ich hatte noch zwei Jahre vor mir, bevor ich die Staatsbürgerschaft beantragen konnte, Tiger noch sechs. Wir beklagten uns nicht, so lief es eben. Infolge der schrecklich verheerenden und ärgerlich häufigen Trollkriege gab es jede Menge Waisen, und Hotels, Fast-Food-Ketten und Wäschereien konnten die Findelkinder als billige Arbeitskräfte gut gebrauchen. Von den dreiundzwanzig Königreichen, Herzogtümern, sozialistischen Kollektiven, Aktiengesellschaften und maroden Potentaten, aus denen sich die Ununited Kingdoms zusammensetzten, hatten nur drei den Handel mit Findelkindern geächtet. Zu unserem Pech zählte das Reich von King Snodd nicht dazu.