Das Lockenparadies - Gerhard Nattler - E-Book

Das Lockenparadies E-Book

Gerhard Nattler

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Beschreibung

Durch Zufall beobachten zwei Schüler auf dem spätabendlichen Heimweg, bei dem sie den Weg über die Schleuse nehmen, zwei Männer, die heimlich eine Rolle Draht im Schleusenbecken entsorgen. Die beiden wollen dieses Umweltvergehen anprangern. Sie leiten die Bilder an die Zeitung weiter. Berendtsen erfährt über seinen Nachbarn, den Chefredakteur der Zeitung, von diesem Vorgehen und erkennt sofort den eigentlichen Sinn der Tat und die Gefahr, in der die Schüler Benedikt und Jakob schweben.

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Seitenzahl: 370

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Gerhard Nattler

Das Lockenparadies

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

Kapitel 4.

Kapitel 5.

Kapitel 6.

Kapitel 7.

Kapitel 8.

Kapitel 9.

Kapitel 10.

Kapitel 11.

Kapitel 12.

Kapitel 13.

Kapitel 14.

Kapitel 15.

Kapitel 16.

Kapitel 17.

Kapitel 18.

Kapitel 19.

Kapitel 20.

Kapitel 21.

Kapitel 22.

Kapitel 23.

Kapitel 24.

Kapitel 25.

Kapitel 26.

Kapitel 27.

Kapitel 28.

Kapitel 29.

Kapitel 30.

Kapitel 31.

Kapitel 32.

Kapitel 33.

Kapitel 34.

Kapitel 35.

Kapitel 36.

Kapitel 37.

Kapitel 38.

Kapitel 39.

Kapitel 40.

Kapitel 41.

Kapitel 42.

Kapitel 43.

Kapitel 44.

Kapitel 45.

Kapitel 46.

Kapitel 47.

Kapitel 48.

Kapitel 49.

Kapitel 50.

Kapitel 51.

Kapitel 52.

Kapitel 53.

Kapitel 54.

Kapitel 55.

Kapitel 56.

Kapitel 57.

Kapitel 58.

Impressum neobooks

Kapitel 1.

»Guten Abend, Herr Nachbar, alles gut soweit?«, grüßte Berendtsen seinen Freund Franz Roloff, den Chefredakteur der Ruhrzeitung, der gerade seinen Wagen aus der Garage holte, um wie an jedem Abend zu dieser Uhrzeit in die Redaktion zu fahren und die neueste Ausgabe freizugeben. »Der eine hat Feierabend, der andere fängt mit Arbeit an«, lachte er.

»Arbeit sieht anders aus, Albert. Es ist Sommerflaute. Die Leute sind unterwegs, in der Stadt spielt sich nichts ab und selbst die Straftaten werden weniger. Oder werden zurzeit Morde verübt?«

»Nein. Und das ist gut so. Ich bin nicht versessen auf Morde. Wir arbeiten so gut es geht alte Fälle auf, trinken mehr Kaffee als gesund ist und irgendeiner bringt immer Kuchen mit.« Er strich sich über seinen Bauch. Er hatte zugenommen, keine Frage, aber er war im Vergleich zu Roloff ein Hemdling. Er stieß auf eine halbvolle Tüte mit Gummibärchen in seinem Sakko. Er überlegte eine Sekunde und bot seinem Nachbarn an. Der nahm sich keines, sondern hielt gleich die Hand auf. Berendtsen schüttete eine ansehnliche Menge der bunten Gummis in diese Pranke. Aber es schien ihm nicht genug zu sein, denn er griff einige mit der anderen Hand und schob sie sich in den Mund, während die andere offenblieb. Berendtsen griff sicherheitshalber zuerst selbst zu und schüttete nach. Roloff bedankte sich. Die Tüte war leer.

»Was machst du?«

»Nur über eine kleine Umweltsünde kann ich morgen berichten.« Er sprach mit vollem Mund und hatte Mühe, zu vermeiden, dass ihm Gummistückchen aus dem Mund fielen. »Ich habe lediglich einen Artikel über ›Jugendliche beobachten Umweltsünder‹«. Roloff gestikulierte, wie er sich die Schlagzeile vorstellte. »Mit einer solchen Schlagzeile kannst du keinen Leser vom Hocker reißen, aber ich habe keine bessere.«

»Was ist passiert?«

Er kaute noch immer. »Heute Nachmittag haben in der Redaktion zwei Schüler angerufen und über eine nächtliche Entsorgung einer Rolle Draht im Kanal berichtet. Sie hatten gestern Abend die Sünder auf frischer Tat beobachtet. Weil sie die Story nirgendwo loswerden konnten, denn die Schule ist wegen der Ferien geschlossen, da fiel ihnen unsere Zeitung ein. Sie hatten unsere beiden Artikel gelesen, in denen wir über die illegale Entsorgung der Altreifen berichtet hatten.«

»In der vorigen Woche und vor drei Wochen«, pflichtete Albert ihm bei.

»Genau. Sie haben deshalb beschlossen, die Sache über uns anzuprangern. Sie haben mir sogar Fotos gemailt. Vielleicht könntest du deine Kollegen mal anspitzen. Wie du sagtest, haben sie jetzt Zeit genug. Die Leute müssten zu fassen sein.«

Berendtsen sah sich die Bilder auf Roloffs Handy an. Er vergrößerte die Ansicht und hielt dem Nachbarn sein Handy vor die Nase. »Sieh dir das an!«

»Ich kenne die Bilder. Zwei Leute, die einen Draht in den Kanal werfen. Ich habe mich schon gefragt, warum sie ausgerechnet Draht entsorgen, den heute wegen der Wölfe jeder Schäfer teuer bezahlt.«

»Sie werfen nicht – sie rollen! Also …?«

»Was also?«

»Sieh doch mal genau hin! Das Teil ist recht schwer! Und schau dir die Handschuhe an. Fällt dir etwas auf? Sieh genau hin!« Berendtsen hielt ihm das Bild so nah unter die Nase, dass Roloff beinahe nichts deutlich erkennen konnte. Er fasste den Kommissar am Handgelenk und dirigierte Berendtsens Hand auf Abstand.

Franz Roloff zuckte mit seinen massiven Schultern, sodass beinahe der ohnehin angespannte Knopf an seinem Jackett abriss.

»Das sind typische graublaue Handschuhe für Stachel- und Natodraht. Ich sage dir eines: Da wird jemand entsorgt!«

Franz Roloff schluckte. Er hielt sich die Hand an die Kehle. Er bekam einen trockenen Mund.

»Ääh…«

»Du brauchst ein Bier, mein Freund. Komm mit ins Haus.«

Berendtsen ging vor. Als er eintrat, begrüßte ihn seine liebe Frau. Sie war über diesen Besuch überrascht und bemerkte eine Besorgnis im Blick ihres Mannes.

»Alle beide? Was ist passiert? Guten Abend, Franz.« Beinahe hätte sie vergessen, den Nachbarn zu begrüßen.

»Wir müssen kurz reden«, bemerkte Albert knapp, führte seinen Nachbarn ins Wohnzimmer und bot ihm Platz an. Der kannte sich aus, wählte das Sofa und pflanzte seinen mächtigen Körper genau in die Mitte. Das war eine krasse Fehlentscheidung, wie er wohl selbst feststellte, denn er hatte keine Armlehnen.

Irmgard kannte ihren Nachbarn, besorgte sogleich drei kleine Flaschen Bier, ein Glas für ihren Mann und den Seidel für Franz Roloff. Sie schenkte ein, ihrem Mann ein halbes Glas, für Franz füllte sie den Seidel bis zum Rand und stellte die zweite Flasche griffbereit daneben. Danach setzte sie sich zu ihnen mit einem Glas Wasser.

»Es sieht so aus, als seien Franz unbewusst Anhaltspunkte für ein kapitales Verbrechen zugespielt worden.«

Dann wandte er sich zu seinem Nachbarn:

»Erzähle, was genau passiert ist.«

»Als mich die Fotos erreichten mit knappem Text, habe ich mit den Jungen Rücksprache gehalten. Die beiden waren nach eigenen Angaben auf dem Heimweg von einer Fete zum Schuljahresende bei einem Klassenkameraden an der Marler Straße gewesen. Sie wohnen in Hervest-Dorsten und wählten den Weg über die Schleuse, als sie auf dieser, der Südseite des Kanals, einen sehr großen Geländewagen bemerkten, offensichtlich wohl ein Mitsubishi. Die beiden kannten sich in Sachen Auto aus. Aus dem Kofferraum luden zwei Männer eine Drahtrolle ab und warfen diese in den Kanal. Sie hielten es für ein Vergehen gegen den Umweltschutz, über den die Schule in der letzten Woche klassenübergreifend vor den Ferien eine Projektwoche durchgeführt hatte. Unsere Zeitung hatte darüber berichtet.«

»Du meinst die Sammelaktion, über die die ihr berichtet hattet? Habe ich gelesen«, stimmte Irmgard zu. Was ist daraus geworden? Ich glaube, die Aktion war ein voller Erfolg.«

»Genau. Diese Projektwoche war am Freitag zu Ende gegangen. So waren sie noch richtig im Flow und das Geschehen kam ihnen gerade recht.«

»Ich brauche die Namen der beiden. Wie alt sind sie?«

»Fünfzehn. Beide in einer Klasse.« Roloff öffnete sein Mailprogramm und leitete die E-Mail weiter.

»Sie haben sich an deine Zeitung gewandt, um mit eurer Hilfe die Sache publik zu machen. Und plötzlich scheint es so, als sei eine Leiche entsorgt worden«, erklärte Berendtsen.

»Was!? Vor den Augen der Kinder?«, erschrak sich Irmgard.

»Natürlich nicht mit Absicht«, lachte Albert, »die Männer hätten wohl lieber ohne Zeugen gearbeitet. Nun sind sie erwischt worden.« Er legte ein neues Notizbuch an, speicherte die Daten dort ab und fügte einige Stichworte bei.

»Das ist mir schon klar!«, erwiderte Irmgard unwirsch. Ich weiß auch, dass es nicht mit Absicht geschah. Ich dachte nur an die Kinder, weil sie mit ansehen mussten, wie eine Leiche entsorgt wird.«

»Entschuldige. So habe ich es nicht gemeint. Den Kindern war Gott sei Dank nicht bewusst, dass es sich um eine Leiche handelt, die dort in den Kanal gerollt wird.«

Franz wischte sich über die Lippen.

»Jetzt sage mir mal«, ergriff er das Wort, »wie kommst du auf ein Verbrechen – und speziell eine Leiche? Welche Anhaltspunkte gibt es?«

»Moment …« Er sicherte alles und schlenzte sein Handy auf den Tisch. Er nippte an seinem Bier. »Typisch für diese Art Verbrechen ist der Stacheldraht, die Rolle und das augenscheinliche Gewicht. Ich halte die Wette, dass darin eine Leiche versenkt worden ist. Tod durch erwürgen.«

Franz nahm einen Schluck, setzte ab, starrte seinen Nachbarn an und trank in zwei großen Zügen aus. Er schenkte sich nach.

Irmgard war sprachlos.

»Wie kommst du darauf?«, stotterte Franz leise, als habe er Angst, dass jemand mithörte

»In meiner Hamburger Zeit hatte ich mehrmals mit diesen Stacheldrahtmorden zu tun. Dahinter steckt die Mafia. Sie erwürgen ihre Abtrünnigen und entsorgen sie in einem Gewässer. In diesem Fall in unserem Kanal. Damit die nach einiger Zeit aufgeblähte Leiche nicht auftaucht, wird sie fest in Stacheldraht gewickelt, dessen Dornen beim Aufblähen kleine Löcher in den Körper bohren und so die Gase herauslassen. Das scheint hier offensichtlich der Fall zu sein.«

»Das funktioniert?«, fragte Irmgard.

»Hundertprozentig. Eine vielfach erprobte Methode der ‘Ndrangheta, der Mafia aus Kalabrien, also die Stiefelspitze. Und diese Leute wissen, was effektiv ist. Das kannst du mir glauben. Manchmal haben sie zusätzlich ein Gewicht angebracht. Zur Sicherheit. Aber das scheint nicht einmal erforderlich zu sein. Der Draht ist so stramm, dass die Gase den Körper nicht aufblähen können. Und wenn doch … Dafür sind dann die Stacheln.«

Albert nahm sein Bier, setzte es jedoch wieder ab und begab sich zum Teewagen. Von der unteren Ablage nahm er seinen geliebten Single Malt und goss sich eine Fingerbreite ein. Dann entschloss er sich jedoch für den Daumen als Maß. Aus einer Karaffe fügte er einige Tropfen Wasser zu. Er nippte zweimal im Stehen und setzte sich wieder. Er behielt das Glas in der Hand, stellte es jedoch auf der Lehne seines Sessels ab.

»Was soll ich jetzt machen?«, fragte der Chefredakteur. »Nehmen wir an, ich schreibe morgen diesen Artikel. Dann sind die Tage der Jungen gezählt. Ihr Leben steht auf dem Spiel.«

»Genau das ist meine Bitte. Verzichte auf die Story. Du riskierst mit einer Veröffentlichung ihr Leben.«

»Hast du eine neue Überschrift?«

»Was ist mit Wölfen? Nichts gerissen worden heute?«

»Nichts. Inzwischen auch zu abgedroschen.«

Berendtsen sah auf seine Armbanduhr. Er fischte sein Handy aus der Tasche und wählte. Im Büro nahm niemand mehr den Anruf entgegen. Er wählte die Mobilnummer seiner Sekretärin.

»Hallo Chef, ich bin bereits im Auto. Gibt’s noch etwas Wichtiges oder Dringendes?«

»Wie man’s nimmt. Ich habe gerade meinem Nachbarn, dem Chefredakteur der Ruhrzeitung die Schlagzeile vermasselt. Haben Sie eventuell eine Idee, womit man morgen die Dorstener und ihre Umgebung begeistern könnte? Ich meine … Gibt es außerhalb der Mordkommission ein bedeutendes Ereignis, das eine Schlagzeile wert ist?«

»Ich wüsste keines, aber Hallsteins Frau arbeitet doch beim Betrug. Sie hat immer etwas zu vermelden. Betrug geht immer.«

»Eine gute Idee. Ich werde sie sofort kontaktieren.«

Berendtsen fand sein Handy in der Hosentasche und wählte die Nummer seines Kollegen, Hauptkommissar Oliver Hallstein. Ohne viel zu erklären, bat er Oliver, seiner Frau das Telefon zu übergeben.

»Lisa, hallo Albert. Was kann ich für dich tun?«

»Ich brauche für die morgige Ausgabe der Ruhrzeitung noch eine Schlagzeile. Ihr vom Betrug habt doch immer etwas.«

»Ja, das haben wir in der Tat! Ganz frische Nachricht. Sozusagen noch warm. Wir haben heute die falschen Polizisten geschnappt, die seit einiger Zeit die Autofahrer abzocken. Dämlich wie sie sind, haben sie einen ehemaligen Kollegen auf seinem Heimweg auszunehmen versucht. Er hat sie gleich an Ort und Stelle festgenommen. Das war heute Nachmittag um 17 Uhr. Das ist die neueste Meldung.«

»Darf ich ihn dir ans Telefon geben? Er heißt Franz Roloff, ist mein Nachbar und der Chefredakteur der Ruhrzeitung.«

Er gab den Hörer weiter. Das Gespräch dauerte …

Franz´ Miene hellte sich spürbar auf.

»Das ist weitaus besser als Umwelt. Das interessiert alle«, lachte er, als er Albert das Telefon zurückgab. Jetzt rächte sich sein Sitzplatz ohne Armlehnen. Mehrmals rutschte er nach vorne auf die Sitzkante und nahm Schwung. Albert hatte sicherheitshalber den Tisch etwas abgezogen und reichte ihm die Hand.

Nachdem er sich kurz für die Hilfe, das Bier und die wunderbare Schlagzeile bedankt hatte, fuhr er in bester Laune zur Redaktion.

Kapitel 2.

Berendtsen kontaktierte die beiden Familien und bat darum, die Kinder sprechen zu dürfen. Er hatte all sein Fingerspitzengefühl aufgewandt und sich zunächst nur mit seinem Namen gemeldet, um die Eltern nicht zu beängstigen. Als Vater von zwei Kindern konnte er sich genau vorstellen, welchen Schrecken ein Anruf der Kriminalpolizei zu später Stunde in einer Familie auslösen konnte. Die Familien wohnten im selben Haus, was die Sache sehr vereinfachte.

Es handelte sich um ein Zweifamilienhaus. Die Außenlampe war eingeschaltet und die Hausnummer war gut zu erkennen. So hatte er das Haus bereits von weitem erkannt. Er parkte seinen Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, einige Meter von dem Eingang entfernt und ging die letzten Meter zu Fuß. Gewohnheitsmäßig fasste in seine Tasche, ließ aber doch die Bärchen stecken.

»Berendtsen, Kriminalpolizei Recklinghausen. Ich hatte angerufen.«

Er wies sich aus.

»Guten Abend, Herr Kommissar Berendtsen. Bitte treten sie ein.«

Beide Väter standen an der Wohnungstür.

»Mein Name ist Schürmann und das ist Herr Huisgen. Er wohnt oben. Bitte treten Sie ein.«

Beide Männer waren um die vierzig Jahre alt, Huisgens Stirn zeigte deutliche Geheimratsecken. Beide Leute trugen ihre Hemdsärmel aufgekrempelt.

Berendtsen betrat das Wohnzimmer, in dem die beiden Frauen sich von ihren Sesseln erhoben hatten, und den Kommissar steif begrüßten.

»Schürmann.«

»Huisgen.«

Die beiden Jungen hatten die vor wenigen Minuten noch beschworene Coolness abgelegt und gaben zurückhaltend die Hand. Sie nannten ihre Namen. Jakob Schürmann, ein dunkelblonder schlanker Junge, trug ein T-Shirt von Ronaldo, und Benedikt Huisgen, dunkle Haare, T-Shirt von Simon Terodde. Zwei Mädchen und ein kleinerer Junge blinzelten durch die angelehnte Küchentür. Die Mutter lehnte die Finger auf ihre Lippen, »Schsch« und schloss die Tür.

»Nehmen Sie Platz Herr Kommissar.« Sie wies auf einen Platz an der Stirn des Esstisches, an dem alle sieben Personen Platz hatten.

»Ich möchte mich nochmals für diese Befragung zu später Stunde entschuldigen, aber sie werden gleich einsehen, dass es wichtig ist und keine Verzögerung erlaubt.«

Berendtsen sah ihnen der Reihe nach in die Augen.

»Spielt ihr auch selbst oder seid ihr Fans?«

»Beides.«

»Ihr beiden habt Leute dabei beobachtet, die eine Rolle Draht im Kanal entsorgt haben. Ihr haben genau richtig gehandelt. Ihr haben genau beobachtet, Fotos gemacht und dieses Umweltvergehen gemeldet. Habt ihr mit anderen Leuten als denen von der Zeitung bereits darüber gesprochen?«

»Mit niemandem. Wir haben Ferien und haben heute Vormittag mit den Skateboards trainiert«, erklärte Jakob.

»Wir sind mit dem Fahrrad am Kanal entlang bis zum Treffpunkt Altstadt an der Gladbecker Straße gefahren, haben eine Cola getrunken und sind zurück. Dabei haben wir uns überlegt, dass wir einen Artikel in die Zeitung setzen möchten«, ergänzte Benedikt.

»So wie die Geschichte mit den Altreifen.«

»Die habt ihr auch geschrieben?«, fragte Berendtsen

»Nein. Die haben wir gelesen. Dadurch sind wir auf die Idee gekommen. Die Zeitung schien uns am geeignetsten zu sein für eine Information der Öffentlichkeit.«

»Die Sauerei muss angeprangert werden!« Benedikt ereiferte sich beinahe und verstärkte seine Aussage durch einen drohenden Zeigefinger.

»Recht habt ihr. Diese Sachen kann man nicht auf sich beruhen lassen«, bestätigte Berendtsen.

»Sind Sie jetzt hier, um uns zu helfen, die Kerle zu stellen?«, fragte Jakob.

»Die Kerle müssen gestellt werden. Keine Frage. Aber … die Sache ist in diesem Falle ein wenig schwieriger. Erzählt mir noch einmal genau, was ihr gesehen habt. Wie kam es, dass ihr zu so später Stunde noch an der Schleuse wart? Welchen Weg habt ihr genommen.«

Schweigen.

»Nun?«

Jakob rang sich durch.

»Wir kamen von einer Fete. Ursprünglich war angedacht, dass Jonas Meyer uns nach Hause mitnimmt. Er hat das Auto seiner Oma zur Verfügung. Wir hatten aber festgestellt, dass er zwei Flaschen Bier getrunken hatte. Da haben wir uns für den Fußmarsch entschieden.«

»Aber ihr solltet nicht so spät über die Schleuse! Wir haben mehrfach darüber gesprochen!«, herrschte ihn die Mutter an.

»Wir hatten die Wahl zwischen Pest und Cholera. Gehen wir den Weg durch die Stadt über die Kanal- und Lippebrücke und anschließend über den Lippedamm zurück bis hierher, kommen wir sehr spät nach Hause. Gehen wir über die Schleuse, sind wir einigermaßen pünktlich, riskieren aber Ärger wegen des Weges. Der Weg über die Schleuse schien uns das kleinere Übel, weil uns normalerweise niemand danach gefragt hätte.«

»Außerdem ist er viel kürzer. Wir konnten schließlich nicht ahnen, dass wir diesen Leuten begegnen. Wir gingen eher davon aus, dass die Banden, die Handys klauen, nicht an der Schleuse auf uns warten.« Jakob fühlte sich im Recht.

»Ende gut, alles gut«, kommentierte Berendtsen und unterbrach damit die Diskussion. »Auf jeden Fall habt ihr es richtig gemacht, nicht in den Wagen eures Freundes Jonas einzusteigen.« Berendtsen zeigte ihnen den anerkennenden erhobenen Daumen. »Wie ging es nun weiter?«

Benedikt rieb sich die Nase: »Gut, dass wir nicht den Fahrweg gegangen sind. Sie hätten uns erwischt.«

»Woher seid ihr gegangen? Gibt es einen zweiten Weg?«

»Wir sind den kleinen schmalen Waldweg gegangen, nur so ein Pfad. Er geht gleich zu Anfang der Straße, die an der Stadtgärtnerei vorbeiführt, direkt durch den Wald auf den Aufgang zur Schleuse zu. Eine Abkürzung. Da stand auch der Wagen.«

»Wir sahen zuerst nur die Rücklichter. Dann bremste der Wagen«, fuhr Jakob fort. »Zwei Männer stiegen aus und sahen sich um. Der Fahrer stieg wieder ein und setzte ein wenig zurück. Der zweite Mann winkte ihn ein. Dann öffneten sie die Heckklappe. Da wurden wir stutzig und ich habe mein Handy stumm und den Blitz ausgeschaltet.« Er zeigte dem Kommissar die Bilder. »Die habe ich gemacht.«

»Meinen Sie, Herr Kommissar, wir können sie damit schnappen?«

»Wo genau war die Stelle? Könnt ihr mir den genauen Ort beschreiben oder sollen wir dort hinfahren?«

»Die Stelle ist einfach zu finden«, fand Jakob. »Am Ende führt der Weg, hinauf zur Schleuse. Zu Beginn der Steigung hielt der Wagen an und setzte zehn Meter zurück. Es ist nur dort ein Zugang zum Kanal, der groß genug für Autos ist.«

»Ich denke, ich werde mir die Örtlichkeit gleich ansehen und die zuständigen Stellen informieren. Morgen im Laufe des Tages wird die Rolle Draht gehoben werden können. Ich möchte euch nur bitten, niemandem von eurer Beobachtung zu erzählen. Wenn die Bandenleute erfahren, dass wir ihnen auf der Spur sind, werden sie das Weite suchen. Dann finden wir sie nie. Solche Kerle sind ausgesprochen scheu und stets äußerst aggressiv. Zeugen haben sie nicht so gern. Versteht ihr das?«

»Klar.«

»Habt ihr beiden den Tatort inspiziert, oder seid ihr dort herumgelaufen? Ich frage euch nur wegen der Fußspuren zum Abgleich.«

»Wir sind nur einmal zu der Kaimauer gegangen, um nachzusehen, ob etwas zu erkennen wäre. War es aber nicht.«

»Es war dunkel und der Kanal führt kein klares Wasser«, pflichtete Jakob bei.

»Welche Schuhe hattet ihr an?«

Die beiden zeigten ihre Schuhe vor, die sie auch am Tag zuvor getragen hatten. Berendtsen fotografierte die Sohlen ab.

»Okay. So weit, so gut. Dann hätte ich noch eine Bitte. Würdet ihr mir die gesamten Aufnahmen zur Verfügung stellen? Es wäre sehr hilfreich, wenn bei uns die Spurensicherung einen Blick darauf werfen könnte. Die hat spezielle Apparate und Methoden, auch winzige Kleinigkeiten herauszuarbeiten.«

Versiert schoben die beiden Jungen die Bilder auf Berendtsens Handy.

»Ich habe noch eine Frage an die Eltern:«, fuhr Berendtsen fort. »Dürfen die Kameraden mir ihre Handynummern geben? Nur für Rückfragen und nur solange die Untersuchung dauert.«

Die Eltern nickten stumm. Die Jungen gaben sie frei.

»Nun habe ich noch einige Fragen zu den Leuten. Gibt es Anhaltspunkte, an denen wir sie identifizieren können? Wie groß waren sie?«

Die Jungen zuckten mit den Schultern.

»Eigentlich konnte man nicht viel erkennen. Es war schon dunkel.«

»Der Beifahrer war größer als der Fahrer. Sie stiegen beide aus und inspizierten die Stelle ganz genau. Sie liefen einige Male hin und her. Wir hatten uns hinter einem dicken Busch verschanzt. Dann stieg der Fahrer wieder ein und der Lange lotste den Wagen direkt an den Kai. Dann öffnete sich die Heckklappe. Der Fahrer hatte sie von innen bedient. Dann haben sie beide zusammen die Gummimatte herausgezogen, auf der die Rolle Draht lag«, fiel Benedikt ein.

Berendtsen verglich die Schilderung mit den Fotos. Der Junge hatte recht.

»Eine ziemlich lange Gummimatte«, meinte Berendtsen.

»So lang wie der Draht.« Benedikt zeigte sie auf dem Bild.

»Der Beifahrer hatte eine Wollmütze auf, wie sie die Leute an der Nordsee tragen. Er hatte sich an der Klappe den Kopf gestoßen und musste sich die Stelle reiben. Dazu nahm er die Mütze ab und ich habe seine Glatze schimmern sehen.« Jakob schilderte, wie der Mann die Mütze über die Ohren gezogen hatte. »Wir waren in den Osterferien auf Norderney«, vergaß er nicht zu erwähnen.

Die Glatze war auf den Bildern nicht zu erkennen.

»Gut beobachtet. Das könnte uns weiterhelfen. Hat dir der Besuch auf der Insel gefallen?«

»Es war ganz wunderschön. Ich konnte mit dem Fahrrad auf dem Strand herumfahren. Zwei neue Freundschaften habe ich auch geschlossen. Wir chatten jetzt auf WhatsApp.«

»Die Nordsee ist schön. Ich war oft da, denn ich war fünf Jahre in Hamburg beim Landeskriminalamt. Da haben meine Frau und ich oft einen Ausflug auf die Inseln unternommen«, schwärmte Berendtsen. »Was habt ihr außerdem bemerkt?« Er steckte sein Handy in die Innentasche des Sakkos.

»Als sie ins Auto stiegen und das Innenlicht eingeschaltet war, hatte ich den Eindruck, dass der Beifahrer ein Italiener hätte sein können.«

»Wie kommst du auf Italiener? Vom Aussehen her? Wie genau sah er aus?«

»Ja. So ein … ein dunklerer Typ mit dichten schwarzen Haaren, beinahe wie Wolle.«

»Wollen wir uns auf ›Südländer‹ einigen? Vielleicht Spanier oder auch Portugiese oder Grieche?«

»Ja, das stimmt. So könnte man sagen.«

»Klasse!« Berendtsen war begeistert. »Sonst noch etwas?«

Den beiden fiel nichts ein.

Könnt ihr euch erinnern, welche Klamotten sie anhatten?«

»Es war dunkel Herr Kommissar«, erinnerte ihn Jakob.

»Ich will es auch nicht so genau wissen. Ich dachte eher, ob sie normale Kleidung trugen, Hemd und Jeans oder eher Arbeitszeug wie einen Overall, so wie ihn die Männer im Baumarkt tragen.«

»Jeans und T-Shirt der eine, der Lange. Der Dicke trug Jeans und nur ein Unterhemd. Dem war offensichtlich warm.« Darin waren sich beide einig.

»Auf den Bildern sieht man sie immer von hinten. Habt ihr sie mal von vorne gesehen?«

Beide verneinten. »Sie fuhren auf dem Rückweg an uns vorbei, aber sie fuhren in die andere Richtung. Als die Innenbeleuchtung sich ausgeschaltet hatte, war im Wagen nichts mehr zu erkennen.«

Berendtsen übergab beiden Jungen seine Karte mit der üblichen Bitte, ihn gegebenenfalls zu kontaktieren und die Daten nicht weiterzugeben.

»Ach …«, erinnerte Berendtsen die Eltern an der Eingangstür, »Ich habe dort zwei Kinder im Nebenzimmer bemerkt. Wenn sie weitere Familienangehörige haben …«

»Wir sorgen dafür, dass niemand etwas verplappert.«

Kapitel 3.

Berendtsen fuhr auf seinem Heimweg über die Marler Straße, bog links ab, überquerte Rapphoffs Mühlenbach und folgte dem Hinweisschild zur Stadtgärtnerei. Er ließ sie links liegen und blieb auf dem Weg. Schließlich brachte er seinen Wagen knapp zwanzig Meter vor der Stelle, die die Jungen beschrieben hatten, zum Stehen.

Er stieg aus.

Er sah sich um so gut es ging, ohne den Platz zu betreten.

Er schaltete die Taschenlampe seines Handys ein und leuchtete kurz über die Stelle. Es waren noch Spuren des Wendemanövers zu sehen. Die Räder hatten den Sandboden aufgewühlt. Das Licht reichte nicht aus. Er ging zurück zum Wagen und holte die dicke Taschenlampe, die er immer im Handschuhfach mitführte.

Diese Leuchte reichte völlig aus, diesen Ort auszuleuchten. Es blitzte kurz auf. Er fand eine kleine Schraubenmutter und später auch die passende Blende einer Nummernschildbeleuchtung. Sie war offensichtlich beim Zuschlagen einer Heckklappe abgefallen. Er ging davon aus, dass diese von dem beschriebenen Mitsubishi stammte. Er hatte die Teile mit einer Plastiktüte aufgenommen, die er gewöhnlich ebenfalls in seinem Auto mitführte.

Er nahm sein Handy und wählte die Nummer seines Freundes Willi Schmidt, dem Chef der Spurensicherung.

»Hallo Albert«, meldete dieser sich. »Was gibt’s?«

»Einiges. Ich stehe hier am linken Ufer des Wesel-Datteln-Kanals in Richtung Wesel auf Höhe der Stadtgärtnerei. Direkt am Kai an der Seite, auf der die Schiffe auf die Einfahrt zur Schleuse warten. Hier wurde ein Rolle Stacheldraht versenkt. Ich …«

»Mafia?«, unterbrach Schmidt.

»Ich denke schon. Wir haben Fotos von den Leuten samt Fahrzeug, offensichtlich ein großer Mitsubishi. Ich denke, sie haben jemanden entsorgt. Jetzt habe ich mir kurz die Stelle angeschaut und die Abdeckung einer Nummernschildbeleuchtung samt zugehöriger Mutter gefunden.«

»Soll ich kommen?«

»Es reicht, wenn du die Kavallerie schickst. Wir sollten die Stelle genauer untersuchen. Sie werden erfolgreicher sein als ich mit meiner Funzel.«

»Wohin genau sollen sie kommen?«

Berendtsen schickte den Standort. »Ich stelle mich vorne an die Marler Straße und warte auf sie.«

»Soll ich die Taucher bestellen?«

»Wäre schön. Ich habe keine Nummer. Einen Kran solltest du ebenfalls gleich anfordern. Ich glaube, der Kanal ist dort vier Meter tief. Da kann man mit Seilwinden nicht viel anfangen.«

»Logisch. Ich bin kein Anfänger!«, lachte er.

Berendtsen benachrichtigte seine Frau:

»Alles in Ordnung. Es dauert noch. Ich bin auf der Marler Straße. Warte auf die Spusi. Mache dir keine Sorgen.«

Zur Puccinistraße war es nicht weit.

Kapitel 4.

Berendtsen war schon früh zum Präsidium unterwegs. Er hatte sich sehr auf ein ausgiebiges Frühstück mit Irmgard gefreut, denn sie hatte heute auch ihren ersten Ferientag. Er hatte sich auf das Omelett gefreut, dass für ihn zu einem ausgiebigen Frühstück gehörte. Er fühlte den Geschmack im Mund. Das Rezept hatte er einem Koch auf einer Kreuzfahrt abgeschaut. Er musste ein wenig überlegen, bis er sich an den Namen dieses freundlichen Mannes erinnerte. Er hieß Edwin und kam aus Panama. Es war ihre erste Kreuzfahrt gewesen, die sie vor Jahren noch ohne Kinder unternommen hatten. Sie war in der Dominikanischen Republik gestartet und hatte über mehrere Inseln bis nach Barbados geführt, von wo aus sie dann den Atlantik überquert hatten, um sie auf Mallorca zu beenden. Es war eine wunderbare Reise gewesen. Was ihn am meisten gefreut hatte, war, dass es bei dieser Fahrt keinen Jetlag gab, denn man war fünf Tage von Barbados aus unterwegs und konnte währenddessen die vorauseilenden Stunden leicht überwinden. Sie hatten insgesamt dreimal die Karibik durchquert. Bei der zweiten Tour hatten sie auf Einladung eines Verwandten auf deren Segelboot einen Turn über eine Woche auf der ruhigen See unternommen.

Das war jetzt schon eine Weile her. Maximilian hatte sein Studium des Maschinenbaus in Aachen abgeschlossen und Sophie stand vor dem Ende ihres Jurastudiums.

Die Zeit rennt, dachte er.

Dann hupte ein Hintermann. Die Ampel zur Autobahnauffahrt an der Marler Straße zeigte Grün. Er winkte seinem Hintermann freundlich zu und bedankte sich damit für die Erinnerung.

»Guten Morgen Albert. Was treibt dich so früh hierher. Meine Leute haben gestern Abend noch alles gesichert und aufgesammelt, was in Reichweite war und nicht ursprünglich zu dem Terrain gehört. Sogar einen Hosenknopf haben wir gefunden. Da scheint es jemand sehr eilig gehabt zu haben.«

»Könnte sein.« Albert musste über Willis Vermutung laut lachen. Dann setzte er so gut es ging seine ernste Arbeitsmiene auf und fasste Willi locker an die Schulter.

»Hast du die Bilder schon angesehen, die ich dir geschickt habe?« Berendtsen zog seinen dünnen Anorak aus und hängte ihn und sein Jackett an den Garderobenhaken. Der Morgen war frisch, das Auto kalt gewesen, weil es die ganze Nacht draußen vor der Garage gestanden hatte. Das Garagentor hatte geklemmt und sich nur halb geöffnet. Er hatte durch die Hintertür in die Garage gehen müssen, um die Arretierung zu lösen und das Tor manuell wieder zu schließen. Er musste es heute Abend anschauen. Wenn es denn nicht zu spät würde. Ein Mord brachte immer viel Arbeit mit sich. Ausgerechnet jetzt musste es sein. In der Ferienzeit.

»Nein. Ich hatte den Focus schon auf ›Nicht stören‹.« Er holte sein Handy aus seiner Jacke, die noch an dem Garderobenhaken an der Tür hing, und stellte es um.

»Hier.« Albert hatte die Bilder schon präsent.

Willi übermittelte sie auf den Desktop. »Hier können wir mehr sehen.« Er schlug das erste Bild auf schaute es kurz an und blätterte mit dem Pfeil gleich weiter.

»Was suchst du?«

Willi blätterte stumm weiter. »Das hier!« Es war das Nummernschild des Wagens.

»Leider ist nichts zu erkennen. Viel zu undeutlich.«

»Das lass nur meine Sorge sein … oder vielmehr die von Roland. Der findet immer etwas. Mit Sicherheit.«

Willi Schmidt markierte das Bild und schickte es zu Roland Schubert in die EDV mit dem Kommentar: »Gib dein Bestes!« Er blätterte weiter. Er fand noch ein Bild, auf dem das Nummernschild zur Hälfte zu sehen war. Auch das ging postwendend an Roland.

»Jetzt erzähle, was du zu so später Stunde am Kanal zu suchen hattest.«

»Spuren natürlich«, lachte Albert. »Lass uns nach oben fahren. Bei einer Tasse Kaffee erzähle ich dir die ganze Geschichte in Ruhe. Ich sage nur eins: Kommissar Zufall.«

Zuerst gingen sie in Berendtsens Büro. Er schaltete seinen Rechner ein. Während dieser hochfuhr, hängte er den Anorak an seine Garderobe. Dann setzte er sich hinter seinen Schreibtisch und wartete auf die Eingabemaske für sein Passwort. Er kramte eine neue Packung Gummibärchen aus der untersten Schreibtischschublade. Und steckte sie ein. Die restlichen aus der aktuellen Tüte schüttete er auf die Schale, die auf seinem Schreibtisch dafür bereitstand.

»Warst du gestern noch aus? Ich meine …«

»Du fragst, weil ich das Handy stumm geschaltet hatte?«

»Ja. Das machst du sonst nicht.«

»Als du anriefst, waren wir gerade auf dem Weg zum Restaurant. Wir waren mit Freunden unterwegs. Das Lokal ›Zum Alten Wachturm‹ hat wieder eröffnet. Kennst du das Lokal?«

»Nein.«

Albert gab das Passwort ein.

»Es liegt in der Hohen Mark und war lange geschlossen. Der Wirt hatte sein Alter und wollte nicht mehr. Er hatte schon vor Jahren einen Koch eingestellt, weil ihm das Stehen in der Küche schwerfiel. Als dieser gekündigt hatte, hat er vor … ich glaube … zwei Jahren, mindestens vor zwei Jahren, wenn nicht länger, das Lokal geschlossen und hatte keinen Nachfolger gefunden. Im vorigen Jahr hat sich nach einer Reihe von Interessenten jemand gefunden. Er hat es wunderbar umgebaut. Vor allem finde ich gut, dass er sich auch um die Akustik gekümmert hat. Das Lokal war voll besetzt, aber wir wurden durch die anderen Gäste in keiner Weise in unserer Unterhaltung gestört. Ich hatte ein Steak mit französischer Pfeffersauce und Rosemarie Tortellini. Beides erstklassig. Vorspeise …«

»Keine neuen Nachrichten. Wir können«, unterbrach Albert die Werbung.

»Rindercarpaccio. Wir sollten mal zusammen dort einen Abend verbringen …«

Albert schob ihn durch die Tür. Bis zum Büro der Sekretärin Uschi Bremer hatten sie nicht weit.

Willi redete wie ein Wasserfall.

»Auch die Auswahl an erstklassigen Weinen sollten wir uns mal anschauen. Ich sage dir. Rosemarie und ich haben einen Merlot getrunken. Wunderbar.«

Berendtsen hatte etwas Kraft aufzuwenden, seinen Freund Willi durch die Tür zu schieben.

»Moin Uschi. Ist der Kaffee fertig?«

»Natürlich, Chef. Guten Morgen zusammen. Beide schon so früh vor Ort? Was ist passiert? Ein Fall?«

»Einer, der es in sich haben könnte. Ich war gestern Abend noch am Kanal in Dorsten und habe Willis Leute angefordert.«

»Sie waren bis halb elf vor Ort. Sie sind dabei, aber haben noch nicht alles sortiert. Sie haben allerhand Mitbringsel eingesammelt. Ob das alles für unseren Fall relevant ist, kann ich noch nicht sagen. Sie sind bereits alle an der Arbeit.«

»Was hat sich genau abgespielt?«, fragte Uschi ungeduldig.

Berendtsen erzählte die ganze Geschichte.

»Ich habe durch Zufall gestern Abend unseren Nachbarn getroffen. Franz Roloff, den Chefredakteur der Ruhrzeitung. Ihr kennt ihn.«

»Es scheint geklappt zu haben mit der Schlagzeile. Ich habe sie in der Zeitung gelesen«, unterbrach Uschi. Sie hatte die Zeitung bereits auf dem Drucker bereitgelegt. Sie zeigte die Schlagzeile:

»Betrüger in Polizeiuniform entlarvt: Verhaftung nach gescheiterter Abzocke«

»Auf ganzer Linie. Die falschen Kollegen von der Streife, die die Autofahrer zu Kasse baten, haben es bei einem unserer Kollegen vom Betrug versucht. Das war ein fataler Fehler. Diese Geschichte war besser noch als die Geschichte mit dem Draht. Das ist ein Knaller, den er exklusiv hat!«

Sie breitete die Seite aus und las vor:

»In einer spektakulären Aktion gelang es der örtlichen Polizei, zwei Betrüger zu schnappen, die sich als Polizisten verkleidet hatten, um Autofahrer und Fußgänger abzuzocken. Ihr kriminelles Treiben fand ein jähes Ende, als sie versuchten, einen echten Polizeibeamten zu täuschen.

Die falschen Polizisten hatten in täuschend echten Uniformen agiert und Verwarnungsgelder von ahnungslosen Verkehrsteilnehmern kassiert. Doch ihr Plan, einen vermeintlichen Kollegen zu betrügen, ging nach hinten los. Der echte Polizist erkannte die Unstimmigkeiten und alarmierte seine Kollegen. Die Verhaftung erfolgte daraufhin in einer koordinierten Aktion. Bei der Durchsuchung der Wohnungen der Betrüger stieß die Polizei auf weitere gefälschte Uniformen, Strafzettel und Bargeld. Es wird angenommen, dass das Duo seit geraumer Zeit sein illegales Geschäft betrieb und dabei beträchtliche Geldsummen ergaunerte. Die örtliche Polizei warnte die Bevölkerung vor solchen Betrugsmaschen und rief dazu auf, immer die Identität von vermeintlichen Polizisten zu überprüfen und nicht mit Bargeld zu zahlen. Die beiden Betrüger erwarten nun strafrechtliche Konsequenzen für ihre Taten, darunter Amtsanmaßung, Betrug und Urkundenfälschung.«

»Du wolltest die ganze Geschichte von gestern Abend erzählen. Also …«, drängte Willi.

»Entschuldigung, dass ich unterbrochen habe.«

»Schon gut. Ist mal richtig interessant.« Willi nahm seinen Kaffee entgegen und das zugehörige Gebäck. »Kein Problem. Danke für den Kaffee.« Er nahm hinter dem Tisch Platz und probierte. »Heiß!« Er pustete. »Aber gut!«, hauchte er. Er nahm Milch und Zucker.

»Roloff beklagte sich über die mauen Zeiten im Sommer. Wie jeden Sommer. Wir kamen ins Gespräch und er zeigte mir die Bilder. Er hatte sie von zwei Schülern, die die Leute beobachtet und sich damit an die Zeitung gewandt hatten. Die beiden – und auch Roloff – gingen von einem Umweltdelikt aus. Ich habe sofort erkannt, dass es sich um Stacheldraht handelte und habe auf die ‘Ndrangheta getippt. So habe ich ihm die Schlagzeile vermasselt. Zum Glück hat Uschi die gute Idee, Lisa zu fragen. Die wusste von der Festnahme der zwei falschen Beamten.«

»Lisa? Welche Lisa?«

»Hallsteins Frau«, preschte Uschi vor. Sie füllte Kaffee nach.

»Wo bleibt er heute Morgen? Hat er sich bei Ihnen abgemeldet?«

»Nein, Chef. Aber er muss manchmal, gerade wenn es nieselig ist, die Kinder zum Kindergarten und zur Schule bringen, wie Sie wissen. Auf dem Weg vom Kindergarten bis zur Schule hat er eine dämliche Ampelschaltung, die ihn unverhältnismäßig viel Zeit kostet. Lisa musste wohl heute früh anfangen, weil doch die zwei Betrüger gefasst wurden. Das fällt in ihr Ressort.«

»Aber es sind Ferien. Heute ist der erste Ferientag«, wandte Berendtsen ein. »Das weiß ich genau. Schließlich hat meine Frau ebenfalls Ferien.«

Sie war ans Fenster gegangen und bemerkte: »Sein Parkplatz ist leer.« Sie wollte gerade zu ihrem Schreibtisch zurück, als sie bemerkte: »Da kommt er auf den Hof gefahren.« Sie wartete, bis er ausgestiegen war, dann winkte sie ihm, er sollte hochkommen.

Berendtsen sah auf die Bahnhofsuhr gegenüber Uschis Schreibtisch, die sie vor Jahren in einer Tombola gewonnen hatte.

Es war eine geraume Zeit vergangen, als er endlich in der Tür erschien.

»Guten Morgen zusammen. Ich bin etwas zu spät, aber meine Schwiegereltern sind durch einen Unfall an der Ampel Danziger Straße aufgehalten worden. Es gab nur eine Fahrspur. Sie müssen bis heute Mittag auf die Kinder aufpassen. Es sind Ferien. Aber …«, tönte er, »ihr glaubt nicht, was ich soeben durch den Flurfunk erfahren habe … Sie haben die falschen Polizisten endlich geschnappt«, strahlte er seine Neuigkeit aus.

Uschi hielt ihm schweigend die Schlagzeile entgegen.

Ein wenig enttäuscht las er den Artikel. »Woher hat die Zeitung die Nachricht so dermaßen schnell?«

Berendtsen erzählte ihm, was sich am Vorabend ereignet hatte.

Hallstein besorgte sich eine Tasse Kaffee und setzte sich.

»Donnerwetter. Das war Können, Albert, dass du so schnell geschaltet hast. Es hätte schlecht ausgehen können für die Knaben, wenn der Artikel mit ihrer Beobachtung in der Zeitung erschienen wäre. Am besten gleich mit einem Bild der beiden.«

»Das kannst du laut sagen!«, stimmt Willi Schmidt zu.

»Was ist mit Bergungsarbeiten. Sind die Taucher und die Maschinerie informiert?«, erkundigte sich Hallstein.

»Alles auf Reihe«, beruhigte Willi Schmidt. »Aber so spontan ging es nicht zu machen. Die Taucher kommen im Laufe des Vormittags, der Kran lässt bis zum späten Nachmittag auf sich warten. Er kommt vom Hafen in Wesel.«

»Ich will mich mal zu Schubert in die EDV begeben. Ich möchte bald Ergebnisse. Da ist es nicht verkehrt, denke ich, ihn ein wenig anzustoßen. Und du«, wandte er sich an Hallstein, »könntest mir einen Gefallen tun. Es gibt Fallunterlagen in Hamburg, die ein ebenso geartetes Vorgehen eines Clans an der Elbmündung beschreiben. Es sind zwei Fälle. Beide in dem Jahr, bevor ich mich habe hierher zurückversetzen lassen. Uschi wird dir behilflich sein. Und wenn du sie aufgetrieben hast, lies dich ein. Außerdem Uschi, könnten Sie, mal bei der Vermisstenstelle nachfragen. Vielleicht haben wir Glück.«

Kapitel 5.

Berendtsen traf seine ehemalige Freundin, die Kriminaldirektorin Frau Dr. Zimmermann, die Chefin der Polizei des Kreises Reckling­hausen auf dem Gang, als er sich in sein Büro begeben wollte, ehe er zu Schubert hinunterfuhr.

»Hallo Albert! Kommst du auf einen Kaffee zu mir?«, rief sie hinter ihm, als er vor seiner Tür stand und seinen Schlüssel aus der Tasche zog.

»Ja, mache ich gern. Hallo Vera! Guten Morgen, schöne Frau«, erwiderte er erschrocken und verdutzt. »Ich wollte dich sowieso gleich besuchen. Was treibt dich denn zu so früher Stunde ins Präsidium?« Er sah auf die Uhr. »Gerade acht Uhr durch. Bist du aus dem Bett gefallen?«

»Sehe ich so aus?«, fragte sie scheinbar entrüstet und tastete ihre Haare.

»Du siehst wie immer blendend aus«, beeilte sich Albert, seine Fehleinschätzung zu korrigieren und lächelte sie bewundernd an. Sie hatte sich schon damals, als sie noch »zusammen gingen«, wie es früher hieß, sehr schick gekleidet. Heute trug sie ein hellblaues, knielanges Kleid mit der passenden Jacke im gleichen Farbton und, locker um den Hals geschwungen, ein buntes Seidentuch. Dazu die teure Handtasche von Louis Vuitton, wie ihn Irmgard aufgeklärt hatte. Die hohen Absätze gaben dem Ganzen den letzten Feinschliff. Sie ging auf Albert zu. Sie drückte ihren ehemaligen Freund kurz an sich und gab ihm einen Wangenkuss.

»Danke für das Kompliment.«

Albert ließ den Schlüssel fallen.

»Mir ist gestern am späten Nachmittag nach dem Update der Rechner eingefroren und ich konnte keine Hilfe mehr bekommen. Ich musste jemanden aus der EDV anfordern. Das hat mich ein wenig geärgert. Ich habe mit Schubert gesprochen. Er hatte gestern Abend keinen Mann übrig. Die Mannschaft arbeitet mit Hochdruck an einem Betrugsfall, aber heute Morgen in aller Herrgottsfrühe wollte er jemanden schicken, der die Sache in Angriff nehmen sollte. Kommst du mit? Wir könnten eine Tasse Kaffee trinken.«

Albert bemühte sich um seinen Schlüssel. Ihre Schuhe waren blank geputzt.

Die Tür zu Veras Büro war nur angelehnt. Berendtsen hielt sie auf und ließ ihr den Vortritt.

Hinter ihrem Schreibtisch tauchte ein Mann auf. Der IT-Mitarbeiter von Schubert.

Berendtsen stellte den Mann kurz vor.

»Ich habe Sie lange nicht gesehen, Herr… Weber?«

»Das stimmt. Ludwig Weber. Guten Morgen Frau Dr. Zimmermann«, grüßte er. »Ich war drei Monate nach Bochum abgeordnet. Jetzt haben sie dort jemanden gefunden und ich darf wieder hier mit Schubert zusammenarbeiten.«

»Gefällt es Ihnen hier besser?«

»Auf jeden Fall!«, tönte er voller Überzeugung. »Wissen Sie, Herr Hauptkommissar Berendtsen, Schubert und ich sind gleich alt und verstehen uns gut. In Bochum habe ich allein gearbeitet. Zur Unterstützung gab es eine Frau, die den Umgang mit Rechnern nicht erfunden hatte, wenn ich mal so sagen darf. Das ist nichts für mich und außerdem war es langweilig.«

»Langweilig? Bei der Kripo? Das ist mir neu«, scherzte Berendtsen.

»Wissen Sie, Herr Berendtsen, in Bochum lagern sie die Analyseaufgaben nach Dortmund aus. Ihr Schwerpunkt liegt in der Forensik. Sie selbst haben auch mehrfach Detailarbeit dort ausarbeiten lassen.«

Dann wandte er sich an Vera.

»Nur noch das Backup wieder einspielen, Frau Dr. Zimmermann, dann habe ich es geschafft. Es war nicht viel Arbeit. Der Hausmeister hat mir das Büro aufgeschlossen.«

»Ich weiß. Ich habe ihn gestern Nachmittag darum gebeten, falls nötig. Er ist zuverlässig, Albert. Ich kann mich auf ihn verlassen.«

»Das weiß ich wohl.«

Sie hatte ihre Kostümjacke abgelegt und sorgfältig auf einem Bügel in den Schrank gehängt. Sie stellte die Tasche auf einen Besucherstuhl, bat Albert auf einem der anderen vier Platz zu nehmen und warf die Kaffeemaschine an. »Für dich auch?«, vergaß sie nicht zu fragen und schon tat das Mahlwerk seine Arbeit. Albert hatte zwar bei Uschi schon zwei Tassen Kaffee getrunken, aber es plauderte sich besser, wenn man gemeinsam bei einer Tasse Kaffee ein Gespräch führen konnte.

Vera setzte sich an den Kopf des Tisches. Albert hatte auf dem ersten Stuhl an der Seite Platz genommen. Er war in Veras Büro sein Stammplatz.

»Du wolltest mich besuchen? Gibt es etwas zu besprechen?«, fragte sie und servierte ihm einen Riegel kleiner Portionen mit Kaffeesahne.

Albert wies mit seinem Kinn leicht in Richtung des EDV-Mannes und brach eine Portion heraus.

»Wie geht’s Irmgard?« führte Vera das Gespräch daraufhin belanglos weiter. »Sie hat Ferien, ab heute glaube ich. Ich hatte gedacht, dass du deshalb heute später kommst. Ihr hättet in Ruhe frühstücken können. Das ist doch für dich ein Highlight. Frühstück mit Omelette.«

»Ja, das stimmt, aber es hat sich anders ergeben. Lass mich einen Schluck nehmen. Dann werde ich dir alles in Ruhe erzählen. Es gab gestern Abend noch eine handfeste Überraschung. Ich hatte mir für heute alte Akten vorgenommen, aber daraus wird wohl nichts.«

»Ein neuer Fall?«

Albert nickte, während er die Tasse mit dem heißen Kaffee vorsichtig an die Lippen führte. Als er die Tasse absetzte, empfahl sich der Techniker.

Vera bedankte sich für die spontane Hilfe.

»Es ist so«, begann Albert von neuem. »Ich habe gestern, als ich nach Hause kam, meinen Nachbarn getroffen, der über die maue Sommerzeit und wenige Schlagzeilen klagte. Er zeigte mir beim Gespräch nebenbei diese Bilder.« Wortlos schob er ihr sein Handy hin.

Sie entnahm ihre Brille einem silbernen Etui mit eingraviertem Namen, setzte sie auf, wieder ab und strich sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. Dann schob sie die Brille sorgfältig hinter die Ohren. Intensiv konzentrierte sie sich auf die Aufnahmen, wischte hin und zurück, vergrößerte Details. Ihre im Normalfall sehr glatte und gepflegte Stirn warf Falten. Die Augenbrauen rückten näher zusammen. Sie blickte ihn ernst an.

»Es handelt sich um Organisierte Kriminalität«, erkannte sie direkt.

Sie wischte weiter. »Lange haben wir in unserem Sprengel Ruhe gehabt vor diesem Gesinde. Sie waren immer da und sind immer gegenwärtig, aber sie haben sich lange bedeckt gehalten und wir hatten über geraume Zeit keine Aktivitäten zu melden.« Sie nahm ihre Brille ab, legte sie neben das Etui, dann erhob sich kurz und blickte gedankenverloren durch das Fenster über den Hof, wo verschiedene Polizeiwagen geparkt waren, auf die Straße mit viel Verkehr. Sie kippte das Fenster offen. Das Straßengeräusch war zu hören, drang aber nur gedämpft hier herauf. Die frische Morgenluft fiel in das recht warme Zimmer. Sie seufzte und drehte sich um. Sie atmete tief durch. Auch Albert genoss die angenehme zu ihm herüberfließende Luft.

»Woher hast du die Bilder, ich meine, woher hat die Ruhrzeitung diese Bilder?« Sie setzte sich wieder.

Es war reiner Zufall. Berendtsen erzählte noch einmal die ganze Geschichte.

Sie nahm ihre Brille ab und spielte damit zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann legte sie sie in das Etui und ließ es zuschnappen.

»Was müssen wir tun? Wie gehen wir das an? Ich meine, wie willst du die Sache angehen, Albert?«

»Wie ich die Sache … Ist das nicht ein Fall für das LKA und eventuell sogar für Karlsruhe? Wir müssen Meldung machen.«

Vera setzte sich wieder, überlegte und nickte kaum merklich.

»Albert«, sagte sie leise, »wir kennen uns lange und ich weiß, dass du der Beste bist in diesen Angelegenheiten. Ich habe dich lange bekniet, dass du von Hamburg aus zu uns kommst. Erinnerst du dich noch warum?«

Albert brauchte nicht zu überlegen. »Natürlich.«

»Damals hatten wir in NRW eine Flut von Straftaten in diesem Umfeld, so dass vom Innenministerium die Devise ausgegeben wurde: ›Null Toleranz gegenüber den Clans!‹. Du hattest in Hamburg gerade medienwirksam eine ganze Bande Terroristen zur Strecke gebracht. Ich habe dich in der Tagesschau gesehen bei der Pressekonferenz und sofort beschlossen, dich hierherzuholen. Du hast daraufhin hier diesen Mord an der Italienerin aufgeklärt, bei der die ganze Struktur ausgehoben worden ist. Erinnerst du dich?«

»Natürlich. Die Prostituierte. Es war gleich an meinem ersten Arbeitstag.«

Vera schwieg und sah ihm eine Weile tief in die Augen. Dann sagte sie: »Willst du es nicht noch einmal versuchen?«

»Du meinst …«

»Genau das meine ich. Ohne die Leute aus Düsseldorf. Die schwingen große Reden. Ich weiß, wovon ich rede. Wir haben es erlebt. Zusammen erlebt.«

Albert zögerte.

»Tu mir den Gefallen. Du kannst es besser. Bestimmt. Ich weiß es.«

Albert wog den Kopf hin und her. »Vera …«