Ein tödlicher Plan - Gerhard Nattler - E-Book

Ein tödlicher Plan E-Book

Gerhard Nattler

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Beschreibung

Die Prostituierte Maria Weiß meldet den Tod einer ihrer drei Kolleginnen, die in ihren Wohnwagen an der B225 ihrem Gewerbe nachgehen. Kommissar Berendtsen ermittelt. Der Verdacht fällt zunächst auf seinen Kollegen Oliver Hallstein, doch bald stellt sich heraus, dass Maria und ihre drei Kolleginnen aus der Szene aussteigen wollten, sehr zum Missfallen ihres Managers Andreas Wallbaum. Im Zuge der Untersuchungen stößt Berendtsen auf organisiertes Verbrechen großen Ausmaßes.

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Seitenzahl: 292

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Gerhard Nattler

Ein tödlicher Plan

Ein Krimi aus dem VEST Recklinghausen

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Inhalt

Mittwoch 01. August

Donnerstag 02. August

Freitag 03. August

Samstag 04. August

Montag 06. August

Dienstag 07. August

Mittwoch 08. August

Donnerstag 09. August

Freitag 10. August

Samstag 11. August

Montag 13. August

Dienstag 12. August

Dienstag 12. August

Dienstag 12. August

Mittwoch 13. August

Donnerstag 14. August

Donnerstag 14. August

Donnerstag 14. August

Freitag 15. August

Samstag 16. August

Montag 18. August

Montag 18. August

Dienstag 19. August

Dienstag 19. August

Dienstag 19. August

Mittwoch 20. August

Mittwoch 20. August

Impressum neobooks

Inhalt

Gerhard Nattler

KOMMISSAR BERENDTSENEIN TÖDLICHER PLANKrimi

aus dem VEST Recklinghausen

ImpressumTexte: © Copyright by Gerhard Nattler

Umschlag: © iStock.com/Slavica

Gestaltung: Josephine Altmeyer

Verlag: Verm.-Ges. b. R.

Lessingstr. 1

45896 Gelsenkirchen

Druck: epubli, ein Service der

Neopubli GmbH, Berlin

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

Mittwoch 01. August

Das verschwommene Aufblitzen des Blaulichts war trotz des Regens auf der B 225 weithin zu sehen. Es verunsicherte die Fahrer auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle. Sie drosselten ihre Geschwindigkeit und verloren wertvolle Zeit. Morgens hatte man es immer eilig. Von einem Unfall war jedoch weit und breit nichts zu sehen. Diejenigen, die vor der Ampel zu warten hatten, konnten erkennen, dass ein Streifenwagen die Einfahrt zu einem Parkplatz blockierte, der durch Bäume und Sträucher von der Fahrbahn kaum einzusehen war. Ursprünglich sollte dieses Areal an der Auffahrt zur A 52 den Fahrgemeinschaften als Treffpunkt dienen. Inzwischen standen dort jedoch drei Wohnwagen und ein Wohnmobil. Jeder wusste, dass sie nicht abgestellt waren, weil sie bis zum nächsten Urlaub nicht benötigt würden. Sie waren mehrere Stunden am Tag »in Betrieb«, wie die Leute die Geschäfte nannten, die dort geführt wurden. Besondere Geschäfte, bei denen die Kunden Freier hießen.

Die beiden Beamten vor Ort hatten die Situation sofort erkannt. Es handelte sich offensichtlich um ein Tötungsdelikt. Polizeimeister Robert Feil sperrte den Parkplatz weiträumig ab. Die erste Rolle des rot-weißen Absperrbandes mit der Aufschrift »Polizei« hatte er bereits abgewickelt, als sein Kollege Achim Frank immer noch verzweifelt versuchte, in Recklinghausen jemanden von der Abteilung für diese Art Verbrechen zu erreichen. Mehrmals hatte er neu gewählt. Gefühlte hundert Mal hatte er jetzt durchschellen lassen. Dann meldete sich die Zentrale.

»Polizeidienststelle Recklinghausen …« Weiter kam die Arme nicht.

»Verdammter Mist!« fluchte er in sein Handy. »Wo sind die denn alle. Ich versuche hier seit zwanzig Minuten jemanden an die Strippe zu kriegen. Nichts! Ist heute Betriebsausflug? Habe ich vielleicht etwas nicht mitbekommen?«

»Nun beruhigen Sie sich erst einmal. Bitte! Sie sprechen mit Marlene Brüggemann. Bitte nennen Sie mir Ihren Namen und den Grund ihres Anrufs.«

Achim Frank nahm sich zehn Sekunden Zeit, atmete tief durch, reckte sich und versuchte, einen ruhigen Eindruck zu machen. Zunächst stelle er sich vor. Dann berichtete er, wie er es gelernt hatte. »Ich befinde mich zwischen Marl und Dorsten auf dem Parkplatz an der B 225, Kreuzung Hervester Straße, in der Nähe der Auffahrt zur A 52. Aufgrund eines Notrufes sind Polizeimeister Robert Feil und ich hier vor Ort und finden eine weibliche Leiche. Es besteht dringender Verdacht auf ein Gewaltverbrechen. Wir haben den Tatort abgesperrt und versuchen die Kriminalpolizei zu erreichen. Also – wo sind die Leute?«

»Ich verbinde. Einen Moment.«

Frank stellte den Lautsprecher an, drückte das Mikrofon seines Handys auf seine Lederjacke und rief seinem Kollegen zu: »Sie verbindet. Bin gespannt, ob sie … Ja? Hallo? Ich bin noch da … ok, ich warte. Bis dann.« An seinen Kollegen gewandt: »Die scheinen wirklich auf einem Betriebsfest zu sein. Auf dem Büro meldet sich keiner. Hast du darüber etwas erfahren? In meinen Nachrichten stand nichts. Bestimmt hat wieder jemand Geburtstag. Es ist zum … ja …? Ich warte.« Er legte auf und suchte nach seinem Kollegen. »Robert …!?«

Der saß im Wagen und wartete. Von den Kommentaren seines Freundes und Kollegen hatte er nichts mitbekommen. Er spiele auf seinem Handy Autorennen.

»Sauwetter!«, war der einzige Kommentar, den Feil abgab, als Frank in seinen Wagen stieg. Er wandte sich keinen Augenblick von seinem Spiel ab. Er drehte und wendete sein Handy engagiert hin und her.

»Sie rufen zurück.« Er nahm einen Schluck Kaffee aus seiner Thermoskanne.

»Hmmm …«. Feil hatte andere Probleme.

In Recklinghausen war zwar kein Betriebsfest, aber es wurde ein neuer Kollege begrüßt, Albert Berendtsen. Neu war dieser Herr nur für die jüngeren Kollegen. Die Alten kannten ihn noch aus der Zeit, als er in Recklinghausen seine Laufbahn begonnen und drei Jahre später beendet hatte, um nach Hamburg zu gehen. Damals hatten sie hier in demselben Konferenzraum gestanden und seine Beförderung zum Kriminal-Kommissar und die damit verbundene Versetzung gefeiert. Heute hatte er eine neue Aufgabe in seinem alten Revier angetreten. Er war in Hamburg für das Resort »Bandenkriminalität« zuständig gewesen. Diese Erfahrung sollte er nun mit den Kollegen in Nordrhein-Westfalen teilen. Die neue Landesregierung hatte den einschlägigen Clans den Kampf angesagt. So hatte sich die Leitende Kriminaldirektorin Frau Dr. Vera Zimmermann ihres alten Schulfreunds erinnert und persönlich in Hamburg angerufen, um ihn zur Mitarbeit zu überreden. Sie waren zusammen in Telgte auf die Polizeischule gegangen und sie waren sogar ein Liebespaar gewesen. Ihre Wege hatten sich getrennt, als Vera ihr Jura-Studium in Münster aufnahm und er seine Anstellung in Recklinghausen. Zuerst hatten sie sich noch an Wochenenden getroffen, aber mit der Zeit aus den Augen verloren.

Der Sekt war eingeschenkt, die Gläser erhoben und die Chefin wollte gerade zur Begrüßung anheben, als es an der Tür klopfte und Marlene Brüggemann unaufgefordert mit ihrem Kopf durch den Türspalt lugte.

»Ich bitte vielmals um Entschuldigung wegen der Störung, aber ein ungehaltener Polizeiobermeister Achim Frank versucht verzweifelt die Abteilung für Tötungsdelikte zu erreichen. Es gibt eine weibliche Leiche auf dem Parkplatz an der B 225 nahe der Autobahnauffahrt. Dreißig Jahre alt. Es scheint eilig zu sein, denn es regnet heftig am Tatort. Wenn die SpuSi nicht bald käme, seien alle Spuren verwischt.«

Damit war die Feier beendet, ehe sie begonnen hatte. Die Kriminaldirektorin bedauerte die Unterbrechung mit einem schmerzlichen Blick auf ihr volles Glas.

»Geben Sie bitte Herrn Frank Bescheid. Die Leute sind unterwegs.« An die Kollegen und Kolleginnen, denen der neue Mitarbeiter vorgestellt werden sollte, gewandt: »Meine Damen und Herren, Sie haben es mitbekommen. Es gibt Arbeit.«

Die Mitarbeiter des Innendienstes nahmen ihre Gläser mit, die anderen stellten sie zurück auf das Tablett, auf dem die Flaschen standen.

Albert Berendtsen und sein ihm zugeteilter Mitarbeiter, Kriminalkommissar Oliver Hallstein, blieben, um den Einsatz zu besprechen.

»Was ist mit dir, Albert? Möchtest du den Fall übernehmen? Oder willst du dich am ersten Tag noch schonen und dich zunächst mit den Gegebenheiten vertraut machen?« Vera fasste ihn an der Schulter, an derselben Stelle, an der sie ihn früher immer gestreichelt hatte. Ob sie auch daran dachte?

»Ich würde gerne mitmachen. Es würde mich freuen, wenn Kollege Hallstein mich einweist. Learning by doing, sozusagen. Wenn es recht ist.«

Hallstein war in den Augen Berendtsens kein junger Spund mehr. Mit seinen dreiunddreißig Jahren machte er auf ihn bereits einen erfahrenen Eindruck, nicht nur, weil er sich zutraute, den Fall selbst zu übernehmen. Er hatte schon schwere Verbrechen bearbeitet, wie er in früheren Telefongesprächen von Vera erfahren hatte, allerdings kein Tötungsdelikt. Schneidig sah er aus. Groß, kräftig, »vernünftig angezogen« mit Jeans und Jackett, weißem Hemd. Eine dicke Automatik-Uhr blinkte unter seinen Manschetten hervor. Berendtsen erkannte mit einem Blick die Marke, denn er selbst war begeisterter Liebhaber teurer Chronometer. Er hatte inzwischen vier solcher teuren Uhren. Zwei hatte er von seinem Vater geerbt, eine hatte ihm seine Frau geschenkt, nachdem er mit einem »kleinen Streifschuss«, wie er die Wunde genannt hatte, aus einem gefährlichen Einsatz im Hafen gekommen war. »… damit du weißt, was es geschlagen hat«, hatte sie ihm mit auf den Weg gegeben. Aber keine war von solchem Kaliber. Der Wert lag – wenn sie echt war - was er glaubte –, mindestens im fünfstelligen Bereich.

»Ich kann heute auch ohne Sie anfangen. Ich berichte Ihnen und ab morgen arbeiten wir dann gemeinsam«, schlug Hallstein vor. Er kam damit nicht durch, denn Vera überließ Albert die Entscheidung.

»Natürlich, hast du freie Hand. Ich zeige dir kurz dein Büro, wo du die Tasche abstellen kannst. Dann stürze dich in die Ermittlungen.«

»Ich habe wirklich kein Problem damit, zunächst allein den Tatort zu besuchen. Viele Zeugen wird es nicht geben. Die Autofahrer sind unterwegs und die Mädchen noch nicht da. Die SpuSi hält sowieso immer alle von der Arbeit ab.«

Eine halbe Stunde später trafen Albert Berendtsen und sein Kollege Oliver Hallstein am Tatort ein. Der Regen hatte gottlob aufgehört und war in ein leichtes Nieseln übergegangen, aber er hatte inzwischen ganze Arbeit geleistet, was die Vernichtung der Spuren auf dem Untergrund betraf. Dieser bestand teils aus Pflastersteintextur mit Gras zwischen den Blöcken, teils aus Schotter. Der Rest war Lehm. Der Wagen des Opferst stand in diesem Fall an der ungünstigsten Stelle bis zur Felge im Wasser.

Berendtsen stellte sich den Streifenbeamten vor. Kollege Hallstein war bereits bekannt.

Berendtsen schoss einige Fotos und skizzierte den Parkplatz auf seinem Minipad, während Frank berichtete: »Der Notruf kam um 8:37 Uhr. Wir waren acht Minuten später vor Ort und trafen Frau Maria Ritter, ausgewiesen durch Personalausweis und Arbeitserlaubnis, an der Einfahrt zum Parkplatz an, wo sie uns erwartete. Sie hatte die Tote gefunden und auch identifiziert als Irina Barami, Recklinghausen, gebürtig aus Breslau.«

In diesem Augenblick erschien die Spurensicherung und schottete den näheren Tatort ab. Selbst die Kommissare hatten keine Möglichkeit, die Tote in Augenschein zu nehmen. »… wegen des Drecks, den sonst alle in den Wagen tragen.«

Berendtsen klopfte an die Tür des Wohnwagens der Zeugin. Frau Ritter - der Kommissar schätze sie flüchtig auf fünfunddreißig Jahre -, öffnete in Arbeitskleidung, wie Berendtsen sie auch aus Hamburg kannte. Dieses Gewerbe unterschied sich regional kaum hinsichtlich des Outfits. Sie trug ein leuchtend rotes, kurzes Jäckchen, Kunstleder, über einer dünnen, leicht durchnässten und aus diesem Grunde beinahe durchsichtigen weißen Bluse, die in einem engen schwarzen Lederrock steckte, der auch als breiter Gürtel hätte durchgehen können. Rote Strümpfe. Zwei gelbe Gummistiefelchen stellte sie diskret beiseite und fischte dabei gewandt einen zum Oberteil passenden roten Handschuh mit langem Ärmel vom Boden und ließ ihn in einer Schublade verschwinden. Sie bat den Kommissar, der sich vorschriftsmäßig ausgewiesen und vorgestellt hatte, in ihr Gemach. Er wollte gerade seinen Kollegen vorstellen, als er Streit hörte. Hallstein hatte gegen den Willen der Spurensicherung den Tatort betreten. Diese hatte ihn handgreiflich herausgezerrt, so dass er mit einem Fuß in eine Pfütze getreten und beim Versuch, den Tritt im letzten Moment zu ändern, mit dem anderen in verwässerten Hundekot getreten war.

»Scheiße, verdammte! Ihr Arschlöcher! Seht euch das an!« Er fluchte wie ein Besenbinder bis Berendtsen ihn durch eine dämpfende Handbewegung zur Mäßigung anhielt. Hallstein wischte sich mit einem nassen Farnbüschel, den er in der Nähe zu fassen bekam, die Schuhe sauber. Den Rest wusch er vorsichtig in einer Pfütze ab. Sein neuer Vorgesetzter ließ sich die Schuhe vorzeigen, ehe sie den Wagen betraten. »Wer nicht hören will …«, kommentierte er. Die Schuhe stellten sie unaufgefordert auf der Stufe im Wagen ab.

Der linke Teil des Wagens war durch einen goldenen Vorhang abgeteilt. Dort brannte kein Licht und es war entsprechend dunkel. High Heels lugten hervor. Die Kommissare nahmen rechts in der Sitzecke Platz. Es duftete nach frischem Kaffee. Der Tisch, um den sich die drei Personen verteilten, wurde durch eine Deckenleuchte erhellt, wie sie in anderen Wohnwagen auch Standard waren. Die dicken Vorhänge an den Fenstern waren zugezogen. Blickdicht. Hallstein zog sie etwas beiseite, um einen Blick auf den anderen Wagen zu haben, in dem die Spurensicherung ihre Aufgabe wahrnahm.

Frau Ritter erwies sich als angenehme Gastgeberin. Sie bot eine Auswahl an alkoholfreien Getränken an, dann setzte sie Kaffee vor. Eine Karaffe Wasser und Gläser standen auf dem Tisch bereit. Zucker, Milch, Orangensaft, eben alles, was den frühen Morgen angenehm machte. Berendtsen hatte in Hamburg schon viele Bekanntschaften in dieser Richtung gemacht, aber Maria hatte Klasse. Sie sah gut aus, sprach gepflegtes Deutsch und benahm sich in keiner Weise frivol, wie er in Hamburg diese Mädchen kennengelernt hatte. Dabei bewegte sie sich mit einer natürlichen Eleganz, die ihn anmachte, wie er sich eingestehen musste. Er lächelte sie unabsichtlich an, was sie erwiderte. »Sie hat ihre Businessbemalung bereits aufgelegt«, stellte er fest. Ihre mandelförmigen braunen Augen, die ihn an Sophia Loren erinnerten und deren Größe durch die konturierten Augenbrauen hervorgehoben wurde, schauten ihn verheißungsvoll an. Die feine Linie eines Kajalstiftes unterstrich die Fülle ihrer violett glänzenden Lippen.

Er nahm einen Schluck Kaffee mit Milch und Zucker, setzte seine Untersuchungsmine auf und befragte die Zeugin.

»Frau Ritter, was haben Sie gesehen?«

»Maria. Nennen Sie mich Maria. - Also …« Sie blickte aus dem Fenster hinüber zu den weiß verkleideten Leuten der SpuSi. Die Kommissare warteten. Maria wischte sich vorsichtig eine Träne aus dem Augenwinkel, vergeblich bemüht, ihr Makeup nicht zu verwischen.

»Sie kannten sich gut?«, vermutete Berendtsen.

»Wir waren Freundinnen. Wir kennen uns schon … ich weiß nicht wie lange. Wir arbeiten hier seit Monaten Wagen an Wagen. Wir haben auch schon zusammengearbeitet. Manchmal sind wir gemeinsam ausgegangen.«

Der Kommissar nickte auffordernd.

»Ich habe heute Morgen um Viertel vor acht den Wagen aufgeschlossen. Irinas Wagen stand da wie immer. Sie fuhr abends mit ihrem Wohnmobil nach Hause und kam morgens um zehn Uhr zurück. Manchmal blieb sie über Nacht. So war es wohl auch von gestern auf heute. Der Wagen stand in einer Pfütze und es gab keine Reifenspuren. Das ist mir aufgefallen. Ich komme donnerstags häufig so früh, weil ich dann einen Gast auf Termin bediene. Als ich den Kunden später zur Tür begleitet habe, stellte ich fest, dass die Tür an diesem Wagen offenstand. Ich ging hinüber und wollte sie schließen, als ich auf Widerstand gestoßen bin. Der Läufer hatte sich mit einigen Fransen in der Zarge verklemmt. Er war verrutscht. Als ich die Tür ganz geöffnet habe, sah ich sie auf dem Bett liegen. Ich habe zunächst gedacht, sie schläft. Das passte allerdings nicht zu der Lage. Sie lag mit dem Kopf am Fußende. Als ich an ihren Fuß gefasst habe, dachte ich mir, dass sie tot ist. Auch habe ich zu dem Zeitpunkt erst das Blut unter ihrem Kopf gesehen. Ich bin in meinen Wagen und habe die 110 gewählt. Die Beamten waren sehr schnell hier.«

»Also halb neun? Um diese Zeit haben Sie Ihren Gast verabschiedet?«

»Ja.«

Haben Sie irgendetwas gehört? Einen Schrei, Hilferufe?« Hallstein drängte sich vor.

»Blödsinn! Wenn ich irgendetwas gehört hätte, … meinen Sie, ich wäre nicht eingeschritten?«

»Haben Sie eine Vermutung, was geschehen sein könnte? Haben sie vielleicht eine Person gesehen, einen Wagen?«, fragte Hallstein weiter.

»Waren andere Mädchen hier?«, wollte Berendtsen wissen.

»Ich war allein. Mit dem Freier.«

»Kennen Sie den Namen des Mannes?« Die Beamten wechselten sich ab.

Sie lachte. »Cäsar. Ich sollte ihn Cäsar nennen. Er war der Herrscher.« Sie lachte. »So dominant war er gar nicht. Eher ein friedlicher Herr.« Sie sah wieder zu den weißen Anzügen hinüber.

»Welchen Wagen fuhr er? Kennen Sie die Nummer? Lassen Sie sich nicht alles aus der Nase ziehen. Sie sind die wichtigste Zeugin. Wenn Sie erfahren wollen, wer Ihre Freundin getötet hat, müssen Sie den Mund aufmachen. Die Zeit rennt!« Hallstein trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte.

»Ein Kombi, schwarz. Die Nummer kenne ich nicht. Er parkt seinen Wagen immer außerhalb des Geländes und kommt zu Fuß. Ich glaube, die mittleren Buchstaben sind CS … Das habe ich einmal durch Zufall gesehen. Ich habe es behalten, weil es mich immer an Cäsar erinnert.« Sie schmunzelte, blickte aber weiterhin aus dem Fenster.

Auf Drängen der Beamten berichtete sie vom Tagesablauf.

»Ich komme immer morgens halb zehn hierher. Ich ziehe mich um, mache mich zurecht und dann bin ich ab zehn Uhr, manchmal halb elf, unter der Brücke. Viktoria Weiss, Vicky nennt sie sich, die Kollegin in dem rosa bemalten Wagen, ist dann immer schon da. Ihr Manager bringt sie früher, da er noch zwei andere Mädchen unter Vertrag hat. Die fährt er nach Bottrop. Heute allerdings ist sie nicht hier. Das wundert mich. Die Dritte in unserem Bund ist Tina, Tina Glissow. Sie kommt mit dem eigenen Wagen.« Sie blickte suchend aus dem Seitenfenster. »Sie ist heute allerdings auch noch nicht da. Sie arbeitet wie ich nach eigenen Regeln und auf eigene Rechnung. Wir sind insgesamt vier … also jetzt noch drei. Wir passen gegenseitig auf uns auf. Bisher ist nie etwas passiert. Von vier bis sechs haben wir Stoßzeit. Um diese Zeit kommen die Männer von der Montage zurück. Sie haben es nicht eilig, nach Hause zu kommen. Sie nehmen sich noch etwas Zeit für uns. Alle Mädchen sind zu dieser Zeit hier auf dem Platz. Gegen achtzehn Uhr dreißig machen wir Feierabend. Wer danach noch kommt, weil noch einige Fahrgemeinschaften durch Stau oder Überstunden aufgehalten wurden, ist zu müde für eine Unterhaltung und macht sich auf den Heimweg. Einmal hat einer bei Irina übernachtet. Der hatte Stress zuhause. Ich war auch eingeladen. Er hat für uns drei das Abendessen besorgt. Ich bin dann gefahren und sie haben sich einen schönen Abend gemacht.«

»Sie arbeiten voll durch? Keine Pause?« Berendtsen schien die Neugier gepackt zu haben.

»Mittags treffen wir uns in dem kleinen Restaurant bei den Geschäften am großen Parkplatz hier in der Nähe. Ludwig kocht gut. Und er ist sehr freundlich zu uns. Leider revanchiert er sich nicht mit einem Besuch. Auf Wunsch liefert er an den Wagen.«

»Donnerwetter!« Berendtsen staunte. »Noch eine Frage: warum hat das Aufpassen heute nicht so funktioniert, wie es sollte?«

Maria überlegte kurz. »Ich weiß es nicht. Wir waren noch nicht angefangen. Der normale Geschäftsbetrieb war noch nicht angelaufen. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass Irina schon Besuch hatte. Vielleicht hatte auch wieder jemand übernachtet. Einen fremden Wagen habe ich jedenfalls nicht gesehen. Die Wagen der Monteure sind uns allen bekannt.«

»Könnte es sein, dass es Streit mit einem Kunden gegeben hat, weil er nicht bezahlen wollte oder mit dem Angebot unzufrieden war? Kommt so etwas vor?« Berendtsen wollte es genau wissen.

»Selten. Bezahlt wird im Voraus. Unzufrieden verlässt hier keiner den Platz.« Sie blickte wieder aus dem Fenster. »Sie hat außerdem keinen Freier gehabt. Die Gardinen sind nicht zugezogen. Es war auch kein Licht an. Ich glaube …« Sie weinte. »Ich glaube, jemand hat sie absichtlich umgebracht. Jemand, der genau wusste, dass sie so früh am Morgen immer allein ist. Er hat jedoch nicht gewusst, dass ich donnerstags oft früher komme. Es war reiner Zufall, dass ich den Mann nicht gesehen habe.«

»Gehen Sie von einem Mann als Täter aus?«, wurde Berendtsen stutzig.

»Nein. Ich habe nur allgemein ›jemanden‹ gemeint.«

»Und Sie haben nichts gehört? Kein Motorengeräusch vielleicht?« Hallstein nervte.

»Hören Sie mal hin, mein lieber Herr Kommissar. Hören Sie jetzt Motorengeräusch? … Nun?«

»Von der Straße natürlich.«

»Jetzt stellen Sie sich vor, Sie sind bei der Arbeit. In unserem Beruf geht das nicht immer geräuschlos zu, wie Sie sich vorstellen können. Wenn ich überhaupt einen Wagen höre, glauben Sie, ich unterscheide dann, ob ein Wagen auf der Straße fährt oder auf dem Platz? Außerdem muss sich unsereins völlig auf die Arbeit konzentrieren. Wir gehen auf unsere Kunden ein. Sie fordern uns. Wir müssen ihnen das geben, was sie zuhause vermissen. Das herauszubekommen, mein Lieber, ist oft nicht leicht. Dumme Fragen stellen können wir dabei nicht, so wie Sie … Entschuldigung.«

»Angenommen.«

Es klopfte an der Tür. Die Leute von der Spurensicherung hatten ihre Arbeit beendet. Die Kommissare konnten den Tatort inspizieren.

»Sie sind heute den ganzen Tag hier zu erreichen?«, wollte Hallstein wissen.

»Sie sind ein lustiger Kerl. Was soll ich hier? Wie Sie festgestellt haben sollten, ist hier alles abgesperrt. Auf Veranlassung Ihrer eigenen Leute!«

»Wie können wir Sie erreichen?«

Sie öffnete eine – wie die Beamten sehen konnten – wohl aufgeräumte Schublade und überreichte den Herren ihre sehr elegante, professionell gestaltete Visitenkarte.

Maria Bernardi, Escort-Service mit Niveau, Deutsch, Italienisch, Englisch, Düsseldorf. Keine Adresse. Mobilfunk.

»Sie hat’s drauf«, dachte Berendtsen. Jetzt wusste er, warum sie so gepflegt sprach und dementsprechend souverän auftrat.

Die Kommissare suchten eine Möglichkeit, einigermaßen trockenen Fußes auf die andere Seite des Platzes zu kommen. Dabei fiel Berendtsen ein silberner Mercedes SL neueren Baujahres mit Essener Kennzeichen auf.

Die Spurensicherung zeigte ihm den Tatort. Es bedurfte keiner großen Erklärung. Die Sachlage war eindeutig, wie die Pathologin erklärte. Eine Tatwaffe in dem Sinne gab es nicht.

»Die Tatzeit schätze ich auf gestern Abend zwischen achtzehn Uhr dreißig und neunzehn Uhr. Sie wurde geschlagen. Er war Rechtshänder, der ihr die Ohrfeige verpasst hat. Eine schallende Ohrfeige kann ich Ihnen sagen. Der Kiefer ist ausgerenkt. Ich gehe wegen der Heftigkeit des Schlages von einem Mann aus. Anschließend ist sie hier auf die Kante gefallen. Das war der Anfang ihres Endes. Sie war nicht sofort tot. Er hat sie aufs Bett gelegt. Statt die 112 zu wählen hat er die Flucht vorgezogen.«

»Vielleicht ist er nicht davon ausgegangen, dass der Schlag sie umbringen könnte. Ein kräftiger Kerl schlägt manchmal etwas heftiger zu als er vorhatte.«

»Möglich …«

»Sonst noch etwas?«

»Jede Menge DNA und Fingerabdrücke verschiedener Personen und Zeiträume. Das ist schön, aber aufwendig. Solange wir keinen Vergleich haben, können wir natürlich nichts zuordnen …«

»Ich weiß. Wie alt ist sie geworden?«

»Um die dreißig. Ich kann die Mädchen nicht gut schätzen, wenn sie auf ›jung‹ machen. Den Umsatz von L’Oréal hat sie voll unterstützt.«

Berendtsen bedankte sich.

»Herr Berendtsen, haben Sie einen Augenblick?« Ein Weißkittel hatte ein Anliegen.

»Bitte gerne.«

»Es gibt einen Haufen Dreck und Fingerabdrücke von ihrem Kollegen. Wir brauchen seine Schuhe und DNA, damit wir differenzieren können. Am liebsten auch seine Kleidung. Fasern haben wir auch sichergestellt.«

»Ich sorge dafür.«

»Am besten sofort. Jetzt ist alles noch frisch. Wenn wir sie erst morgen bekommen, dann sind sie schon wieder anders, weil er sich zuhause auf dem Sofa lang gemacht hat«, murmelte einer.

Berendtsen winkte seinen Mitarbeiter heran. »Sie haben es gehört, Hallstein. Also …«

»Also was?«

»Hose runter, Jacke aus!«

Hallstein glotzte ungläubig.

»Hemd auch?«, wandte er sich verlegen an eben den Mitarbeiter.

Der besah sich die Ärmel. »Nein.«

Dem Kommissar blieb nichts anderes übrig. In Boxershorts und Oberhemd verschwand er auf der Stelle in seinem Dienstwagen. Berendtsen ging ihm nach und brachte dem Mann die verlangten Schuhe.

»Darf ich?«, fragte er höflich und betrat den Wagen, ohne die Antwort abzuwarten. Der Wagen unterschied sich nicht wesentlich von dem anderen. Die Sitzecke war die gleiche. Der Vorhang war rot, von der SpuSi an der Decke festgemacht. Er war ein wenig von der Einrichtung überrascht. Kein Plüsch, kein Nippes und auch kein orientalisches Parfüm. Alles eingerichtet wie ein modernes Schlafzimmer eines Wohnmobils, das man für den Urlaub benutzt. Er hätte gerne die Matratze gefühlt, aber das kam ihm in Anbetracht der Leiche pietätlos vor. Die intime, überwiegend rote Beleuchtung war so, wie er es aus Hamburg kannte und auch hier erwartet hatte. Das gehörte wohl zu diesem Geschäft dazu. Die Leiche wies keine besonderen Spuren auf, wie ihm die Pathologin schon gemeldet hatte. In den Schränken des Wagens fand sich alles, was für eine gute Behandlung notwendig war. Darunter auch verschiedene Packungen unterschiedlicher Präservative zu je dreißig Stück. Zwei davon waren ungeöffnet in der Tüte einer Apotheke aus Dorsten. Einige Packungen Einmaltaschentücher waren wohl eine kostenlose Zugabe. Ganz vorschriftsmäßig neutral eingepackt und mit einem Etikett versiegelt, das inzwischen aufgebrochen war. Außerdem fand er eine Packung Paracetamol und eine Flasche Sterillium zur Desinfektion. Er notierte sich den Namen und die Anschrift der Apotheke. Dabei fiel ihm das Datum der Zustellung auf. Gestern.

»Wo ist das Handy der Toten?«, fragte er, weiter in den Schubladen nachsehend. »Haben Sie einen Laptop gefunden oder ähnliches? iPad oder so?«

Keiner hatte etwas gesehen.

»Was ist mit ihrem Ausweis? Papiere? Fotos? Führerschein?«

»Nichts.«

»Gar nichts?«

»Tabletten. Verschiedene angebrochene Medikamente, teils alte und schon verfallene Medikamente. Unter der Matratze eine kleine Menge gelber, einzeln eingesiegelter Pillen. Die müssen noch analysiert werden.«

»Ein kleiner Anhaltspunkt. Die anderen beiden Wagen sind unbesetzt?«

»Niemand hat sich gemeldet. Wir denken, die Inhaberinnen haben den Einsatz gesehen und sind vorübergefahren«, vermuteten die Leute von der SpuSi.

Berendtsen gab seinem Kollegen im Auto einen Wink, dass er nochmals mit Maria sprechen wollte. Hallstein konnte ihn allerdings nicht sehen, weil die Scheiben des Wagens durch die feuchte Luft beschlagen waren. Mit einem weiten Satz sprang er über eine Pfütze. Voller Stolz drehte er sich zur Spusi um. Leider hatten sie diesen waghalsigen Sprung nicht gesehen. Er klopfte bei Maria.

»Kennen Sie das Umfeld ihrer Freundin? Können wir jemanden benachrichtigen? Hat sie Eltern? Brüder? Irgendwelche Verwandte?«

»Die Brüder sind unterwegs. Leider weiß ich nicht, wo sie sich aufhalten. Ich habe schon versucht, sie anzurufen, aber sie melden sich nicht. Ich habe ihnen eine Nachricht hinterlassen, aber sie haben noch nicht zurückgerufen. Andere Bekannte und Verwandte kenne ich nicht.«

»Hat sie sonst Angehörige? Was ist mit den Eltern?«

»Keine Ahnung. Ich glaube, ihre Mutter wohnt in Polen. Den Vater hat sie nie erwähnt.«

»Wo hat sie gewohnt? Wissen Sie das?

»Die Adresse kenne ich nicht, aber ich habe sie mehrmals nach Hause gebracht. Es ist die Straße von Marl nach Recklinghausen. Da geht ein Weg rechts ab und am Ende finden Sie ein altes Haus mit grünen, rot umrandeten Blendläden. Da hat sie gewohnt.«

»Ganz allein? Ein ganzes Haus?«

»Ja, soweit ich weiß. Klein ist es nicht. Die obere Etage wird von den Brüdern benutzt.«

»Sie wird nicht einsam gewesen sein. Es sollte doch Bekannte oder Freunde geben. Haben Sie niemals jemanden gesehen?«

»Tut mir leid. Wir waren manchmal aus. Wie ich schon erwähnte, über Privates haben wir nie gesprochen. Manchmal hat sie von ihren Eltern und Zuhause geplaudert. Der Vater ist im vorigen Jahr gestorben.«

»Eine letzte Frage. Haben Sie beobachtet, ob an den Wohnwagen der anderen Kolleginnen Weiss und Glissow früher Nummernschilder angebracht waren?«

»Die Schilder sind nicht zu sehen, denn die Wagen stehen mit der Rückseite zur Hecke. Mir ist nichts aufgefallen. Haben sie keine?«

Berendtsen wandte sich zum Gehen, drehte noch einmal um.

»Eines noch …« Er trat einen Schritt näher. »Wo waren Sie gestern Abend so gegen zwanzig bis zweiundzwanzig Uhr?«

»Warum?«

»Nun …?«

»Zuhause. Wo sonst? Ich bin wie immer um sieben Uhr heim.«

»Kann das jemand bezeugen?«

»Nein. Ich war allein und habe meine Wohnung aufgeräumt. Anschließend war ich in der Blauen Lagune … so gegen Zehn war ich dort.«

»Wo?«

»Sie sollten mich einmal in meinem Lokal besuchen, Herr Kommissar. Es ist wunderschön dort. Die Mädchen sind sehr zuvorkommend.«

»Ihr Alibi können sicher viele Leute bestätigen.«

»Vor allem meine Angestellten.«

»Werde mich bei Gelegenheit einmal bei Ihnen sehen lassen. Geben sie mir die Adresse?«

Sie gab ihm einen Flyer der »Blauen Lagune« in Essen, den sie aus einer Schublade hervorholte und erklärte ihm den Weg.

»Danke vielmals.« Berendtsen steckte den Prospekt in seine Innentasche. »Um eines möchte ich Sie noch bitten. Könnten Sie mich in den nächsten Tagen einmal im Präsidium besuchen, um ein Protokoll zu erstellen und danach zu unterschreiben?«

»Wann haben Sie gedacht?«

»Rufen Sie meine Sekretärin an. Sie vergibt die Termine.« Berendtsen überreichte ihr seine Visitenkarte. »Noch eines: die Kollegen werden sich an sie wenden wegen der Fingerabdrücke und der DNA zum Abgleich. Sie sind auch in dem Wagen gewesen.« Er bedankte sich für die Zusammenarbeit, tippte zum Gruß an seine Stirn und sprang auf Zehenspitzen leichtfüßig über kleine Pfützen hinweg zu dem schwarzen BMW, in dem Hallstein auf ihn wartete. Er ließ seinen Kollegen auf den Beifahrersitz hinüberrutschen. »Ich denke, ich fahre jetzt zu Ihrer Wohnung und Sie ziehen sich an. Ich warte im Wagen. Er drückte den Startknopf und schaltete das Gebläse ein. »Wohin?«. Die beiden Beamten, die ihn in Empfang genommen hatten, ließen ihn unter der Bande hindurch. Sie waren dabei, an verschiedenen Stellen Schilder aufzustellen.

»TATORT – ZUTRITT POLIZEILICH VERBOTEN. POLIZEIDIREKTION RECKLINGHAUSEN«.

Berendtsen ließ das Fenster herunter und winkte Frank zu sich.

»Bitte sorgen Sie dafür, dass alle Kennzeichen der Wagen notiert werden, die hier auf dem Parkplatz stehen. Vielleicht erfahren Sie heute Abend oder morgen mehr von den Leuten, die jetzt unterwegs sind. Soweit wie möglich alle Ausweise anschauen und die Namen notieren. Haben Sie ein Smartphone? … Fein … Dann fotografieren Sie alle Ausweise oder, wenn möglich, scannen Sie ein.«

Frank blickte verwundert auf Hallstein in Unterhose, fand es auf Grund der Mine seines Kollegen allerdings nicht angebracht, sich dazu zu äußern.

»Wird gemacht, Hauptkommissar Berendtsen.«

Der Kommissar war erstaunt, dass Frank sich seinen Namen in so kurzer Zeit gemerkt hatte. Allerdings konnte er feststellen, dass der Beamte von dieser Anweisung nicht gerade begeistert war.

»Ich denke, bis morgen können sie mir die Namen und Adressen der Fahrer besorgen. Geben Sie sie Frau Bremer. Sie möchte sie auf meinen Schreibtisch legen.«

»Selbstverständlich. Geht in Ordnung.«

Donnerstag 02. August

Berendtsen saß schon früh in seinem neuen Büro. Er beschäftigte sich mit seinem neuen Arbeitsplatz. Zufrieden strich er mit der Hand über das glatte Holz. Der Schreibtisch war größer als sein alter in Hamburg, die Schubladen waren anders angeordnet, aber nicht schlechter. Zuerst machte er sich ans Werk, eine Lade auszusuchen, die er für sein Laster brauchen würde. Die oberste, flache Lade war nicht geeignet. Die brauchte er für seine Kugelschreiber, Bleistifte, Anspitzer und alles, was man so braucht, um Skizzen und Notizen zu machen. Früher! Jetzt hatte er einen neuen Touchpen, mit dem er auf seinem Smartphone oder dem kleinen Minipad, das er bei Ermittlungen immer bei sich trug, zeichnen konnte. Für ihn eine wunderbare Erfindung. Die Entscheidung fiel zugunsten der untersten Schublade. Er verstaute eine alte mit Gummibärchen oder ähnlichem Kleinzeug aus kaubaren Gummidrops und Lakritzen gefüllte Zigarilloschachtel, die er von seinen früheren Rauchgewohnheiten in sein jetziges Leben herübergerettet hatte. Erst danach packte er seine Aktentasche und einen Plastikbeutel aus. Er stellte das Bild seiner Frau zu allererst direkt in sein Blickfeld neben das Telefon. Dazu musste der Bildschirm ein wenig verrückt werden. Die Bilder seiner beiden Kinder kamen links und rechts daneben, ein Familienfoto aus dem letzten Wanderurlaub stellte er auf die andere Seite. Die alte Schreibtischunterlage aus grünem Leder passte perfekt. Er hatte sie in Hamburg entsorgen wollen, weil sie an manchen Stellen reichlich mit Schreibspuren bekritzelt war. Jetzt freute er sich, dass er sie hatte. Sie war immer nützlich, wenn kurzfristig eine Notiz zu verbergen war. Eine kleine Wetterstation mit Zeitfunktionen und Vorhersage, ein Ladegerät fürs Handy und eines für den Laptop wurden auf die rechte Seite positioniert. Er drehte sich einige Male auf seinem neuen Sessel, probierte die Neige- und Ruheposition und war stolz, jetzt einen Sessel zu besitzen, der eines Leitenden Hauptkommissars würdig war. Er erschrak leicht, als das Telefon schellte, gerade in dem Moment, in dem er es anfasste, um es zu verrücken. Er musste darüber lächeln. Dann nahm er ab.

»Berendtsen.«

»Hallo Albert. Hier ist Vera. Hast du Lust auf einen Kaffee? Ich habe genug davon. Milch und Zucker auch.«

Wenige Minuten später saß er im Büro seiner Chefin am Couchtisch bei Kaffee und Gebäck.

»Wie gefällt dir dein neues Büro?«

»Alles bestens. Vielen Dank für die Sitzecke und die Yukka Palme. Sie gefällt mir gut, habe sie allerdings noch nicht gegossen. Unwillkürlich griff er in seine Tasche.

»Magst du Gummibärchen?«

»Gerne, danke.« Sie nahm eines. »Wie geht es dir und Irmgard? Habt ihr euch in Dorsten schon eingelebt? Wie war noch die Adresse? Irgendein Musiker?«

»Ein Komponist. Puccinistraße 11, Stadtsfeld nennt sich dieser Stadtteil. Alle Straßen sind nach Komponisten benannt. Sehr ruhig, sehr freundliche Leute. Gut. Es gefällt uns gut dort. Alles da. Supermarkt, Autowaschanlage, Friseur, Apotheke, Arzt, Massage. Das einzige, was fehlt, ist eine Eisdiele. Irmgard und ich gehen gerne Eis essen. Andererseits kann man wunderbar spazieren gehen. Direkt vor der Haustür fangen Rad- und Spazierwege an. Erste Kontakte zu den nächsten Nachbarn haben wir auch schon geknüpft. Wir sind schon drei Wochen Dorstener. Die Zeit rennt.«

Sie unterhielten sich über ihre Ehegatten, den Nachwuchs und viele Dinge, die man von Leuten wissen möchte, die man früher gut gekannt und dann aus den Augen verloren hat. Albert erzählte von seinen beiden Kindern, Maximilian war inzwischen zweiundzwanzig, studierte in Aachen Maschinenbau. »Im Moment hat er Semesterferien, hat allerdings viel zu tun, weil er sich auf zwei Klausuren vorbereiten muss, die Ende August anfallen. Diese Woche verbringt er zuhause. Er lernt fleißig. Muss ich sagen. Früher war das anders.« Sophie war gerade neunzehn geworden. Sie hatte im Mai ihr Abitur bestanden und wollte Jura studieren. Sie wollte nach Münster. Ursprünglich wollte sie in Hamburg bleiben, aber jetzt war Münster am nächsten, wenn man nicht in Bochum bleiben wollte. Sie hatte auf einer Klassenfahrt von Hamburg aus dem Rathaus in Münster einen Besuch abgestattet, um den Ort zu besuchen, an dem der Westfälische Frieden geschlossen worden war. Die Stadt hatte es ihr angetan. Der Prinzipalmarkt mit den alten Fassaden und den Lauben hatte es ihr angetan. Vera hatte keine Kinder. Zuerst wollten sie keine, wegen der Karriere, dann wurde ihr Wunsch nicht erfüllt. Sie bedauerte heute, es nicht anders entschieden zu haben.

»Warum hast du dich damals für Hamburg entschieden?«

»Es wurde dort ein Kriminal-Kommissar gesucht. Hier in Recklinghausen hätte ich noch lange warten müssen. Es war keine Planstelle frei. Jetzt ist es anders. Jetzt ist hier in Recklinghausen die Stelle frei geworden und ich hätte in Hamburg noch warten müssen. Außerdem hat mich das Angebot aus meiner Heimat gereizt. Du hast mir am Telefon erzählt, dass mein Vorgänger erschossen worden ist? Was war da los?«

»Es war ein Einsatz gegen diese Clans, Großfamilien, wie wir sie hier nennen. Wir in NRW arbeiten jetzt nach dem Motto ›keine straffreien Räume und keine Rücksicht auf Bandenkriminalität‹. Wir haben in Zusammenarbeit mit Hamm eine Bande festgenommen, die von Oberhausen über Gelsenkirchen bis nach Hamm eine Mafia aufgebaut hat, die ihresgleichen sucht. Es handelte sich um Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, sprich Drogen, Apothekeneinbrüche und dergleichen, und Autodiebstähle. Dabei ist Kollege May angeschossen worden, lag drei Monate im Koma und ist dann leider den Verletzungen erlegen. Es tut mir leid. Das Unangenehme in der Angelegenheit war, dass ich selbst seiner Frau die Nachricht von der Verletzung überbringen musste. Die Ärzte im Knappschafts­krankenhaus haben alles versucht. Es ist grausig, wenn man einen Kollegen verliert, mit dem man lange und intensiv zusammengearbeitet hat. Das kann ich dir sagen.«

»Wie bist du ausgerechnet auf mich gekommen? Ich meine, du hast dich davor über Jahre nicht gemeldet.«

»Das stimmt nicht. Du selbst hast dich nicht gemeldet. Ich habe dir damals auf den Anrufbeantworter gesprochen, dass du mich noch einmal anrufen solltest. Wir hatten uns lange nicht gesehen. Erst hatte ich die Hausarbeiten zu schreiben, dann warst du auf Trip in … wo?«

»Neuseeland. Rucksacktourismus. Ein halbes Jahr. Wie soll ich da den AB abhören? Als ich dann endlich zurück war, hattest du deinen Klaus. Du hast ihn geheiratet, stimmt’s? Du heißt Zimmermann.«