Der Fisch - Gerhard Nattler - E-Book

Der Fisch E-Book

Gerhard Nattler

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Beschreibung

Die gewaltige Detonation einer Bombe erschüttert den Schrebergarten. Schnell ist klar: Was zunächst wie ein Unfall aussieht, war ein professionell geplanter Mord. Obwohl das Opfer schnell identifiziert werden kann, beißt sich Kommissar Berendsen an dem Fall die Zähne aus. Denn seine Nachforschungen führen tief in eine chinesische Organisation, deren Zugang in der Bar Macau liegt. Und deren Mitglieder tun alles dafür, dass die Ermittlungen bereits im Keim erstickt werden.

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Seitenzahl: 336

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Gerhard Nattler

Der Fisch

Kommissar Berendtsen

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

Kapitel 4.

Kapitel 5.

Kapitel 6.

Kapitel 7.

Kapitel 8.

Kapitel 9.

Kapitel 10.

Kapitel 11.

Kapitel 12.

Kapitel 13.

Kapitel 14.

Kapitel 15.

Kapitel 16.

Kapitel 17.

Kapitel 18.

Kapitel 19.

Kapitel 20.

Kapitel 21.

Kapitel 22.

Kapitel 23.

Kapitel 24.

Kapitel 25.

Kapitel 26.

Kapitel 27.

Kapitel 28.

Kapitel 29.

Kapitel 30.

Kapitel 31.

Kapitel 32.

Kapitel 33.

Kapitel 34.

Kapitel 35.

Kapitel 36.

Kapitel 37.

Kapitel 38.

Kapitel 39.

Kapitel 40.

Kapitel 41.

Kapitel 42.

Kapitel 43.

Impressum neobooks

Kapitel 1.

Gerhard Nattler

KOMMISSAR BERENDTSENUND DER FISCHKrimi

ImpressumTexte: © Copyright by Gerhard Nattler

Umschlag: © shutterstock.com / Olga Polonska

Gestaltung: Katharina Erhardt

Verlag: Verm.-Ges. b. R.

Lessingstr. 1

45896 Gelsenkirchen

Druck: epubli, ein Service der

Neopubli GmbH, Berlin

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

­­Der Halliburton Trolley rollte, von feingliedriger Damen­hand sanft geführt, beinahe lautlos über den Marmor­boden auf die Rezeption des Hilton Düsseldorf zu. Zielsicher steuerte sie den abseits gelegenen Schalter für Honors Mitglieder an, der wie gewöhnlich nicht frequentiert war. Wortlos präsentierte sie dem Concierge ihre VIP-Karte aus dem Wallet des iPhones. Er begrüßte sie mit einem »Herzlich willkommen, Frau Strasser. Wir freuen uns über Ihre Diamond Mitgliedschaft.« Er sprach mit leicht britischem Akzent. »Sie haben bereits für eine Nacht reserviert, wie ich sehe. Hätten Sie eine Kreditkarte für uns?«

Sie hielt ihre iWatch an das Lesegerät.

Nach einem Blick auf ihre Buchung fragte er: »Hatten Sie einen angenehmen Flug?«. Eine Antwort blieb aus. Stattdessen taxierte sie die Empfangshalle. Behände huschten die Finger des jungen Herrn im dunklen Anzug über die Tastatur. Einen Moment später schob er die ausgefüllte Anmeldung vor und legte einen schwarzen Kugelschreiber parat.

„Wir bieten Ihnen ein kostenloses Upgrade mit Zugang zur Executive Lounge. Ich hoffe, es ist Ihnen recht.«

Sie nickte unmerklich, während sie unterschrieb, ohne die feinen Lederhandschuhe abzustreifen.

Der Concierge erklärte mit wenigen Worten die Einrichtungen des Hotels, händigte die Zimmerkarte mit dem Hinweis »Zimmer achtzig einundzwanzig. Wenn Sie aus dem Fahrstuhl kommen, links den Gang entlang« aus und nickte gleichzeitig einem Boy für das Gepäck, den sie jedoch mit einem freundlichen Lächeln und einer minimalen Geste ablehnte.

»Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt, Frau Strasser.« Nebenbei ließ er ein üppig dimensioniertes Tip in seiner Billetttasche verschwinden.

»Vielen Dank, Herr Fuller«, erwiderte sie nach einem Blick auf sein goldenes Namensschild. Sie bewegte sich in Richtung Fahrstuhl. Der junge Concierge sah ihr nach. Sie trug blaue Nikes zur Levis und eine hellblaue Bluse. Eine schwarze Umhängetasche schaukelte über ihrer Hüfte. Das goldene Dreieck PRADA MILANO stach ihm ins Auge, als ihr roter Anorak, den sie wie einen Poncho über den Schultern hängen hatte, den Blick darauf einen Augenblick freigab. Die dunklen Haare reichten ihr in leichten Wellen bis auf die Schulter. Der linke Aufzug stand bereit. Der junge Mann hielt einen Blick in ihren Datenstamm für angebracht. Beatrice Strasser war Deutsche mit der Heimatadresse in Dorsten und sah von hinten deutlich jünger aus als die ausgewiesenen zweiundvierzig Jahre, fand er. »Von vorn ebenfalls«, gab er zu, als sie sich im Fahrstuhl drehte und ihm ein freundliches Lächeln schenkte.

Nach einer kurzen Dusche ließ sie sich in einem Badetuch auf dem Chaiselongue nieder und wählte eine Nummer aus den Kurznotizen ihres iPhones. Sie ließ einmal durchschellen, dann brach sie ab. Wenig später kam die anonyme Antwort. Nach zweimaligem Summen verstummt das iPhone. Sie löschte den Anruf und die Notiz.

Den Koffer hievte sie aufs Bett und stellte die Zahlenkombination ein, um die Reißverschlüsse aufziehen zu können. Sie entnahm die Garderobe, die sie anzuziehen gedachte, und legte sie auf dem Bett bereit. Von den darunterliegenden Bündeln mit Scheinen zu einhundert und zweihundert Euro entfernte sie die Banderolen. Diese verbarg sie in einem Seitenfach des Koffers. Die Banknoten verschwanden in der Handtasche. Im Koffer suchte sie nach einem kleinen Kosmetiktäschchen, prüfte mit einem Blick den Inhalt und brachte es ins Badezimmer. Ihre getragene Kleidung verstaute sie im Koffer und verschloss mit der PIN.

Vor dem Ankleiden lackierte sie einen Fingernagel neu, der ihr im Flugzeug abgesplittert war. Sie warf einen Blick auf die entfernten Flughafengebäude und beobachtete den kaum hörbaren Verkehr tief unten auf der rege befahrenen Straße, bis der Lack getrocknet war.

Eine Stunde später beobachtete der junge Concierge, wie sie frisch gestylt in einem blauen Kleid und eleganten Boots aus dem Aufzug trat. Ihre Handtasche unter dem Arm und mit dezentem, aber teurem Schmuck um Hals und Handgelenk schritt sie durch die Empfangshalle und verschwand durch die Drehtür. Der Portier winkte nach einem Taxi. Er öffnete für sie die hintere Wagentür und gab dem Fahrer Anweisung.

»Sie wollte auf die Kö«, erfuhr der Concierge.

Zurück auf dem Zimmer griff sie zu ihrem Handy und wählte einen vertrauten Mitarbeiter an, ihren Chauffeur. Er hatte bereits ihren Vater gefahren und kannte sie von Kindesbeinen an.

»Ja bitte?«

»Hier ist Beatrice. Ich habe versucht, meinen Bruder zu erreichen. Er meldet sich nicht. Weißt du, wo er ist?«

»Er hat sich mir gegenüber nicht geäußert.«

»Okay. Wie läuft’s?«

»Die Oxygene wird in Kürze anlegen. Sie ist bereits durch die Schleuse. Aber …«

»Was ›aber‹?«

»Hier erscheinen einige unbekannte Leute. Auffallend unaufgeregt. Es riecht nach Bullshit. Sollen wir abbrechen?«

»Auf keinen Fall. Sie werden nichts finden. Vertraue mir!«

»Sind Sie sicher?« Korrekt wie der Mann war, siezte er Beatrice seit ihrem achtzehnten Lebensjahr. Sie hatte ihn wiederholt gebeten, sie weiter zu duzen, aber er bestand auf dem ›Sie‹ und redete sie auch mit Chefin an. Die beiden mochten sich.

»Ganz sicher! Macht keine Dummheiten. Kein Widerstand. Wenn sie genug gesehen haben, melde dich.«

»Wissen Sie zufällig, um welchen Container es sich handelt?«

»Fünf, eins, Strich, dreifünfundsechzig. Werde nicht nervös. Lasst die Waffe am besten im Auto.«

»Sie sind zuhause im Tresor. Edwin hat keine ausgegeben. Sie sind sicher, Chefin …?«

»Beruhige dich. Ist Edwin vor Ort?«

»Edwin ist nicht hier. Er wird auch nicht mehr kommen, denke ich.«

»Dann sei zufrieden und beruhige dich. Wenn er nicht am Hafen ist, kommt auch keine Ware.«

»Stimmt … Okay, Beatrice. Ich vertraue Ihnen. Eine Frage noch: Haben Sie sich zurückgemeldet? Ich sollte Sie erinnern.«

»Ja, danke. Den Rückruf habe ich ebenfalls umgehend erhalten.«

Beatrice Strasser begab sich an einen Ecktisch hinten in der Hotelbar. Sie überflog die Karte und bestellte eine Currywurst mit Pommes frites und ein Alt. Sie hatte sich während des ganzen Fluges darauf gefreut. Sie genoss es. Zwischendurch sah sie mehrmals auf ihre Uhr. Als sie nach weiteren Wünschen gefragt wurde, bestellte sie ein Glas Merlot und ein gemischtes Eis, weil Tiramisu nicht im Angebot war. Die Auswahl der Aromen überließ sie dem Keeper. Die Uhr zeigte inzwischen zehn Uhr, als endlich die Bestätigung kam, dass die Fahndung nichts ergeben hatte.

»Es war eine Blamage sondergleichen, Chefin. Woher hatten Sie die Informationen? Inzwischen haben die ersten Wagen das Hafengelände verlassen. Der Zoll untersucht weiterhin die Container, aber unsere Kiste ist längst im Lagerhaus. Ich habe Bescheid gegeben, den Behälter abzuholen.«

»Richtig. Was sagt Mike?«

»Er war nicht dabei. War auch nicht nötig. Das Schiff war früh dran. Wir hatten ihn informiert, aber er konnte nicht abkommen. Er hatte einiges zu erledigen.«

»Weißt du, wo er war?«

»Ich glaube, er hat Entgelt für die Waren eingetrieben.«

»Wann holst du mich ab? Ich bin im Hilton.«

»Ich kann sofort los. Bin in einer Dreiviertelstunde am Eingang. Warten Sie in der Halle?«

»Ich habe bereits eingecheckt. Morgen nach dem Frühstück reicht mir. Halb elf?«

»Geht klar, Chefin. Bin zehn dreißig vor Ort.«

»Bis dann.«

Fuller bekam sie nur mehr aus den Augenwinkeln zu Gesicht. Er war beschäftigt. Sie hatte das Quick Check-out bevorzugt und die Zimmerkarte bei einem Kollegen zurückgegeben. Der Portier half ihr mit dem Koffer und den noblen Einkaufstaschen mehrerer bekannter Designerläden, denen sie offensichtlich gestern einen Besuch abgestattet hatte. Sie besprach sich mit dem Chauffeur. Als der Portier alles im Kofferraum des Siebener BMW verstaut hatte, ließ der Chauffeur die Dame hinter dem Beifahrersitz Platz nehmen. Er lehnte leise die Tür an, die sich mit einem kleinen Summton selbst zuzog. Beinahe unsichtbar steckte er dem Portier einen Schein zu als Aufmerksamkeit für die Hilfe.

Kapitel 2.

Es waren zwei Stunden nach Mitternacht, als Oliver Hallstein seinen Chef, Kommissar Berendtsen, aus dem Bett schellte. Das Handy lag auf dem Nachttisch. Es gab keine Ruhe. Berendtsen brauchte einige Sekunden, sich zu sortieren.

»Sag mal, weißt du, wie spät es ist? Bist du wahnsinnig?«, entfuhr es ihm. Die Frage tat ihm sogleich leid, denn Berendtsen wusste, dass Hallstein ihn nicht zum eigenen Vergnügen aus dem Schlaf riss.

»Das glaube ich nicht, Chef. Es gibt ein Problem. In Dorsten ist in einer Laube einer Schrebergartenanlage die Gasflasche explodiert. Die Feuerwehr wurde gerufen und stellte bald fest, dass es sich um einen Bombenanschlag gehandelt haben muss. Sie haben Spuren eines Zünders gefunden. Also ist es ein Fall für uns. Soll ich dich abholen?«

»Wie ich höre, bist du bereits vor Ort? Es hört sich nach viel Betrieb an.«

»So ist es, Albert. Ich bin seit einer Viertelstunde hier. Ich kann nichts unternehmen. Die Roten haben alles in Beschlag. Der Brand ist immer noch nicht vollständig gelöscht. Ein Nachbar hat die Feuerwehr und den Notarzt informiert.«

»Du brauchst mich nicht abzuholen. Ich kenne die Lauben. Es ist von hier aus nicht weit.« Er sah aus dem Küchenfenster den erhellten Himmel, nicht unähnlich dem über der EON-Flamme in Gelsenkirchen-Hassel, die er von Zeit zu Zeit aus seinem Garten beobachten konnte. Er benötigte samt Dusche und einem Schluck Kaffee, den seine Frau Irmgard ihm schnell in der Espressomaschine zubereitet hatte, fünfzehn Minuten bis auf die Brücke, von der aus er schon die Flamme erkennen konnte. Zwei Polizeiwagen waren ebenfalls vor Ort. In der Einfahrt zum Parkplatz der Anlage schaltete er sein Blaulicht ein, das in diesem Wagen bereits hinter dem Kühlergrill und neben den Scheinwerfern installiert war. So wussten die Herumstehenden gleich Bescheid und leiteten den Wagen durch das Gewimmel von Zuschauern zu der Hütte oder dem, was davon übrig war. Nicht eine Wand stand mehr. Den Bewohner hatten sie bereits geborgen. Er hatte drei Meter außerhalb der Hütte gelegen. Die Roten, wie die Polizei die Feuerwehrleute nannte, waren dank zweier Hydranten alsbald in der Lage, die letzten Glutreste zu ersticken. Eine Plastikfußmatte und das Linoleum qualmten fürchterlich.

»Irgendwelche Infos?«, sprach Berendtsen den erstbesten Mann an. Dieser verwies ihn an den Einsatzleiter. Die beiden kannten sich.

Der Mann öffnete sein Visier. »Guten Abend, Herr Berendtsen. Man kann schon besser einen guten Morgen wünschen. Also … die Sache ist die: Die Propangasflasche ist explodiert. Das steht fest. Aber es steht auch fest, dass sie nicht selbständig explodiert ist. Sie wurde ferngezündet. Wir haben das hier gefunden.«

Berendtsen besah sich eine wenige Zentimeter große Platine, an der eine kleine Antenne festgebacken war.

»Durch die Hitze?«, fragte er den Einsatzleiter

»Auf jeden Fall. Wir haben die restlichen Bruchstücke ebenfalls sichergestellt. Auch größere. Es war offensichtlich eine Fernzündung über ein Funkgerät, sehr klein, aber es hat gereicht.«

»Als Kind hatte ich auch so eins. Es waren zwei Kugelschreiber, mit denen mein Freund und ich miteinander sprechen konnten. Ich habe es zu Weihnachten bekommen. War zu der Zeit, als die ersten Spionagefilme im Kino auftauchten. Sie waren teurer als heute die Mobiltelefone. Sie reichten gerade von einem Zimmer zum anderen.«

»Es gab einen Toten. Der liegt dort drüben auf der Trage unter der Plane. Ein Nachbar hat ihn gefunden. Er war anscheinend nicht in seiner Laube, als es geknallt hat, aber auch nicht weit genug davon entfernt. Es hat ihn erwischt. Der Nachbar glaubt, er habe noch etwas sagen wollen.«

»Wo finde ich den Mann?«

»Er ist nebenan in seinem Garten. Er wartet auf Sie. Soll ich Sie hinbringen?«

»Den finde ich auch so.«

Berendtsen suchte und fand Hallstein. Sie gingen zusammen. Er suchte seine Taschen ab, aber er musste feststellen, dass er die Tüte mit den Gummibärchen zuhause hatte liegenlassen. Hallstein wusste, was fehlte. Er zog eine Minitüte Bärchen aus der Tasche.

»Bitte sehr.«

»Seit wann bist du Selbstversorger?«

»Ich war in der vorigen Woche mit den Kindern zur Vorsorge und zum Impfen. Weil sie so brav gewesen sind, durften sie sich eine Tüte nehmen. Allerdings musste ich sie vor dem Essen einstecken. Hinterher haben sie es vergessen. Heute Nacht habe ich sie in der Jackentasche wiedergefunden.«

Sie teilten brüderlich.

»Sind deine Kinder geweckt worden? Wer hat dich angerufen?«

»Feil hat mich kontaktiert. Er und Frank waren nach dem Notruf hierher beordert worden. Es war sehr schnell klar, dass es kein Unfall war. Da hat er mich – Gott sei Dank, der Mann hat mitgedacht – auf dem Handy angerufen. So sind nur meine Frau und ich geweckt worden. Ich war im Tiefschlaf. Musste mich erst einmal sortieren, bis ich gemerkt hatte, dass mein Handy klingelte.«

Der Nachbar, Walter Niesser, saß auf einem Hocker in der Tür. Mit einer Flasche Doppelkorn aus Raesfeld in der einen und einem Fuhrmannspinnchen in der anderen Hand. Seine Frau Renate hinter ihm nahm gerade den letzten Schluck aus ihrem kleineren Glas. Sie hatten Jacken über ihre Schlafanzüge geworfen. Er bevorzugte Karos, sie Streifen. Die Füße steckten in Filzpantoffeln.

»Sie haben die Feuerwehr benachrichtigt?«

»Und den Notarzt.« Er leerte sein Glas. »Ich habe den Knall gehört. Nicht nur ich. Die anderen kamen auch zusammen. Es war eine fürchterliche Hitze. Wegen der qualmenden Dachpappe konnte ich kaum etwas erkennen. Das Spalier und manche Bretter sind bis auf meine Scholle und an die Gartentür geflogen. Das Fenster an der Seite ist zersplittert. Wenn Sie sich das einmal ansehen wollen.«

»Dafür ist später noch Zeit«, wandte Berendtsen ein, aber der Mann war bereits unterwegs. Das Licht, das aus den beiden Vorderfenstern drang, war eben ausreichend, die schmalen Natursteinplatten zu erleuchten, die für den Weg zur Abfalltonne angelegt waren.

Hallstein schoss zwei Fotos zu seiner Beruhigung. Berendtsen sah sich um. Zwanzig Meter trotz Hecke.

»Dann hörte ich durch das Brandgetöse jemanden jammern und stöhnen. Ich fand ihn zwei Meter von der Tür entfernt in der Nähe von Willis Hecke, der Nachbar auf der anderen Seite. Als ich mich über ihn beugte, versuchte er, mir etwas zu sagen. Es klang wie: ›Baumarkt‹. Er zog mich am Arm und stöhnte zweimal ›Baumarkt‹. Dann klammerte er sich an mich, röchelte kurz und … das war’s. Diesen letzten Blick werde ich nie vergessen, Herr …« Er goss sich und seiner Frau nach.

Berendtsen wies sich aus und stellte sich vor.

»Hauptkommissar Berendtsen, Kriminalpolizei Recklinghausen. Mein Kollege Kommissar Hallstein.« Er steckte seine Karte wieder ein. »›Baumarkt‹ hat er gesagt?«

»So hat es geklungen. Sicher bin ich nicht. Ich konnte ihn schlecht verstehen. Das Getöse durch die Flammen war enorm. Er konnte nur mit Mühe sehr leise sprechen. Manni und ich haben ihn vom Brandherd weggezogen. Dann hat es noch einmal fürchterlich geknallt. Als wäre ein Benzinkanister explodiert. Die Flammen loderten nochmals mächtig auf. Als die Feuerwehr die Löscharbeiten im Griff hatte, hat der Sani nur noch seinen Tod feststellen können.«

Er goss sich und seiner Frau, die ihm ihr Glas hinhielt, nach.

»Auch einen?«

Mit einem freundlichen »Im Dienst« lehnten sie ab.

»Sie haben ihn vom Brandherd weggezogen. Wo hat er gelegen, als sie gekommen sind?«

»Er war zwei Meter von der Tür entfernt. Wir haben ihn bis an die Stellte gezogen, wo die Feuerwehr die Markierung aufgestellt hat. Wir haben befürchtet, dass er sonst völlig verbrennt. Beim zweiten Knall ist allerdings eine Spanplatte auf ihn geflogen. Ich glaube, es ist von ihm nicht viel übrig.«

»Kennen Sie den Toten?«, setzte Hallstein das Gespräch fort.

»Natürlich. Mike heißt er. Nachnamen weiß ich nicht. Er hat ihn mir genannt, als er einzog, aber wir sprechen uns hier alle mit Vornamen an.«

»Wo ist Manni jetzt?«

»Er kommt gerade durch das Tor.«

Niesser übernahm das Gespräch und stellte die Herren vor.

»Die Hauptkommissare Berendtsen und Hallstein … Herr Maranowski. Sie möchten wissen, wie Mike mit Hausnamen hieß.«

»Manfred Maranowski, angenehm. Ich weiß auch nur, dass er Mike heißt.«

»Haben Sie eventuell verstanden, was der Tote hat mitteilen wollen?«, fragte Berendtsen

»Ich kann dazu nichts sagen. Walter hat sich über ihn gebeugt. Ich habe nichts gehört. Ich habe wohl gesehen, dass er die Lippen bewegte. Angst hat er gehabt und Piene.«

»Haben Sie in den letzten Tagen oder Stunden irgendetwas beobachtet, was uns in diesem Fall weiterhelfen könnte?

»Nein. Nichts.« Beide schüttelten den Kopf.

Frau Niesser hatte ein zweites Fuhrmannspinnchen aufgetrieben. Manni nahm dankend an, nickte in die Runde, trank aus und zeigte das leere Glas vor. Dabei stellte er fest, dass die Kommissare nicht tranken.

Sie goss allen nochmals ein.

»Unbekannte Spaziergänger? Fahrradfahrer? Vielleicht jemand, der von dort oben an der Straße Fotos geschossen hat?«, präzisierte Hallstein.

Beide hatten nichts bemerkt. Freunde, die ihn besucht hatten, kannten sie auch keine.

Berendtsen bedankte sich für die Hilfe und bat die beiden, sich zur Verfügung zu halten. Hallstein notierte sich ihre Daten.

Berendtsen rieb sich die Arme. »Kalt ohne Feuer.« Dann fragte er: »Sag mal, Oliver, hast du etwas über den Toten erfahren?«

»Nein, aber der Platzwart ist unterwegs. Er hat mit Sicherheit ein Verzeichnis.«

»Kann mal jemand die Gaffer zurückdrängen?«, schrie einer der Feuerwehrleute. Die beiden Streifenpolizisten Joachim Frank und Robert Feil, die dabei waren, die Personalien der Zuschauer aufzunehmen, fühlten sich sofort angesprochen und drängten die Menge ohne Probleme zurück. Anschließend fuhren sie mit ihrer Tätigkeit fort. Eine Person wies sich als Reporter der Ruhrzeitung aus. Berendtsen kannte Herrn Leying aus früheren Begegnungen und gab Anweisung, ihn durchzulassen. Dieser bedankte sich und grüßte von Franz Roloff, dem Inhaber der Zeitung und Berendtsens Nachbar in der Puccinistraße in Dorsten.

»Hat man Sie hinzugezogen, Herr Berendtsen? Vermutet man Fremdeinwirkung?«

»Sie wissen, Herr Leying, ich kann und darf zu diesem Zeitpunkt keine Auskunft geben. Sie könnten allerdings für mich einige zusätzliche Fotos von den Zuschauern ringsum schießen. Um diese Leute kümmert sich die Spurensicherung nicht. Nicht für die Ausgabe! Ich verlasse mich auf Sie!«

»Gerne, Herr Hauptkommissar. Sie werden es nicht bereuen.«

»Geben Sie ihr Bestes! Ihr Allerbestes!«, empfahl Berendtsen. Er kannte den Mann, der stets seine Zusagen eingehalten hatte.

Alsbald kamen die Ameisen, wie er die Spurensicherung nannte. Heute in der Nacht hatte Willi Schmidt lediglich vier junge Leute mitgebracht. Die Feuerwehrleute brauchten einige Minuten, um ihr Gerät abzuziehen. Daraufhin bahnten sie sich den Weg rückwärts durch die abziehende Menge und hielten erst, als sie vor dem Gartentor standen. Sie waren mit dem kleinen Wagen da.

»Hallo Willi«, grüßte Berendtsen seinen Freund Willi Schmidt, den Chef der Spurensicherung. »Schon so früh auf den Beinen?«, ulkte er.

Die Mitarbeiter waren ausgeschwärmt und steckten kleine Tafeln mit Zahlen an markanten Punkten in die Erde. Die Eins steckte neben der Markierung der Feuerwehr.

Willi schoss einige Fotos mit einer Kamera, an der ein mächtiges Blitzlicht montiert war. Dann standen die Scheinwerfer. Willi gab die Kamera an den Fotografen der Spurensicherung.

»Was sollen wir machen, Albert? Haben wir eine Wahl? Hast du schon Interviews geführt? Weißt du schon, was passiert ist? Genau passiert ist, meine ich?«

»Viele Fragen auf einmal. Ich weiß nicht einmal, wie er heißt. Wir warten auf den Platzwart.«

Willi schickte einen der vier Leute, die er mitgebracht hatte, vor. Er sollte sich überzeugen, dass keine Glut mehr auszumachen und Zutritt möglich war. Der Mann setzte eine ABC-Maske auf und machte sich mit einem Analysegerät an die Arbeit.

»Einsturzgefährdung besteht offensichtlich nicht«, witzelte Willi Schmidt.

»Keine giftigen Gase auszumachen.« Der Mann nahm die Gasmaske ab. »War nicht unbedingt zu erwarten. Es ist offensichtlich eine Menge Dachpappe, Styropor und Farbe verbrannt. Der leichte Wind hat alles vertrieben. Bloß gut, dass nicht so ein Sturm geht wie vorgestern. Der hätte das Feuer vorangetrieben. Dann Adieu Waldfrieden.« Er winkte seinen Kollegen zu. »Wir können rein!«

Die Kofferraumklappe hob sich und die Leute packten ihre Utensilien aus. Jeder wusste, was er zu tun hatte. Drei Leute sahen sich im Garten um, der vierte beschäftigte sich mit der Leiche. Willi und Albert standen zusammen und besahen sich das Schlachtfeld.

»Wer kommt auf die Idee, einen Bombenanschlag in einem Schrebergarten zu verüben? Nichts anderes war es.« Willi rieb sich mit dem Ärmel über die Stirn. Ein Rest der Hitze war noch immer zu spüren.

»Sieh mal in seinen Hosentaschen nach!«, rief er dem Kollegen an der Leiche zu.

»Bereits geschehen. Nichts.«

Berendtsen lieh sich von einem Feuerwehrmann die Taschenlampe und suchte das Areal um den Toten ab. Er fand ein Smartphone. Er stülpte eine Plastiktüre darüber, packte es ein und gab es Willi.

»Gut, Albert. Danke.«

»Guten Morgen, die Herren.«

Berendtsen sah auf die Uhr. Halb vier.

»Ich bin der Platzwart. Heinz Drache. Ich habe sein Datenblatt mitgebracht.« Er hielt dem Kommissar die Mappe hin.

Berendtsen stutzte. Besah sich den Mann.

»Sie heißen nicht nur wie der bekannte Schauspieler, sie haben auch die gleiche Bürstenfrisur.«

»Nicht wahr?«, lachte der Platzwart.

»Wunderbar!« Berendtsen hatte die Seite überflogen. »Michael Hartmann, gemeldet in Bottrop. Vierunddreißig Jahre. Was macht ein solch junger Kerl hier mit einem Schrebergarten? Sie haben doch andere Interessen in dem Alter.« Er zeigte Willi den Eintrag.

Die Antwort wusste Hallstein. »Er wohnte hier ständig, sagt Niesser. »Eingezogen ist er am 1. Oktober. Auch im Januar und Februar, als es so kalt war.«

»Was macht er dann mit einer Adresse in Bottrop. Hat er sich mal darüber ausgelassen, ob es eine Wohnung, ein Apartment oder gar ein Haus ist?«, fragte Berendtsen den Platzwart.

»Nein.«

»Ruf mal im Präsidium an, Oliver. Vielleicht bekommt die Nachtschicht etwas über den Mann heraus.«

Die Spusi sammelte reichlich Material, aber Willi bezweifelte, dass etwas davon zu gebrauchen war. Alles war mehr oder minder verkohlt. Er präsentierte Albert seine magere Ausbeute: Ladegeräte, die ursprünglich weiß waren, bis auf das Metall abgebrannte Kopfhörer und eine Lampe mit Qi Ladestation. In der Wanne der Mitarbeiter sah es nicht anders aus.

Berendtsen sah, dass bei Niesser noch Licht brannte. Er ging hinüber und klopfte an.

»Entschuldigen Sie bitte, Herr Niesser. Ich habe noch eine Frage: Ist Herr Hartmann, so lautet der Nachname Ihres Nachbarn, regelmäßig einer Beschäftigung nachgegangen?«

»Er hat gearbeitet, aber nicht zu so regelmäßigen Schichten, wie wir Alten es kennen. Manchmal war er schon früh unterwegs, manchmal spät, manche Tage war er gar nicht weg. Dann wiederum bekam man ihn mehrere Tage nicht zu Gesicht. Er hat dann erzählt, dass er für die Firma zwei oder drei Tage unterwegs sein müsste und bat uns, auf sein Anwesen ein Auge zu werfen. Hinterher gab es immer eine Flasche Korn zum Dank. Es gab niemals etwas Ungewöhnliches. Computer und Internetanschluss hat er sich angeschafft. Er hat viel geschrieben.«

»Danke. Und entschuldigen Sie die abermalige Störung.«

»Macht gar nichts, Herr Kommissar. Wir beide können sowieso nicht schlafen. Wir sitzen am Tisch und reagieren uns ab.« Er prostete Berendtsen symbolisch zu und führte die Hand zum Mund.

»Kommt dort der Leichenwagen?«

Berendtsen nickte.

»Ich werde ihm die Durchfahrt freimachen«, beschloss er und bewegte sich auf die Einfahrt zu.

Kapitel 3.

»Hallo Beatrice«, wurde sie von ihrem Bruder Kris begrüßt, der ihr die Wagentür aufhielt. »Willkommen zuhause im schönen Wulfen! Wie war der Ausflug?«

Kris war neun Jahre älter als sie und stammte von der ersten Frau ihres Vaters. Von ihr hatte er die asiatischen Gesichtszüge geerbt. Vater hatte Phuong in Shanghai im Manhattan kennengelernt. Er hatte sie immer in diesem exklusiven Nachtclub besucht, wenn er in der Stadt war. Sie hatte ihn zu Banketts und Empfängen begleitet und war sogar zuweilen mit ihm im Land umhergereist, wenn es darum ging, neue Bekanntschaften aufzutun. Sie erklärte ihm die Benimm- und Tafelsitten, weil es ihm wichtig schien, bei einem Zusammentreffen um die Gepflogenheiten vorher zu wissen und sie nicht erst durch die Einheimischen kennenzulernen. Außerdem hatte sie ihn über die Leute informiert und in die chinesischen Sitten und Gebräuche eingeführt. So erklärte er seinen Erfolg in diesem Land. »Man muss diese Leute und ihre Lebensweise kennen und mitmachen. So erreicht man ihren inneren Zirkel. Dann folgen die Geschäfte mit Handschlag«, hatte er ihr immer eingetrichtert. Seit sie zwanzig war, musste sie mit. Anfangs war es ihr zuwider. Die Hygiene im Landesinnern und das Essen waren sehr gewöhnungsbedürftig. Er hatte nie darüber gesprochen, aber wie ein Geschäftsfreund, mit dem sie einige Nächte dort hatte verbringen dürfen, ihr unbeabsichtigt verraten hatte, musste er eine ordentliche Summe als Ausgleich zahlen, um sie auszulösen und mit nach Deutschland nehmen zu können. Das wäre unter normalen Umständen nicht möglich gewesen, aber Li war sein Freund gewesen. Hier in Deutschland hatten sie geheiratet. Ein Jahr später wurde Kris geboren.

Der Chauffeur nahm den Koffer und die edlen Tragetaschen aus dem Wagen und stellte alles vor die Haustür.

»Ausflug? Es war anstrengend. Die Hitze war nicht das Problem, diese unheimliche Schwüle machte mir zu schaffen. Mit dem Erreichten bin ich zufrieden. Ja, ich möchte fast sagen, es war ein Erfolg.«

»Komm zuerst einmal herein.« Kris schnappte sich den Koffer. Beatrice nahm die Tragetaschen.

»Was hast du erreicht?« Er besorgte ihr einen Gin Tonic. Das regte immer ihren Kreislauf an.

»Raphael hat mir seine neuen Pläne unterbreitet. Ich habe ihm Vollmachten für das Geschäft in Benin übertragen und ihn zum Geschäftsführer befördert. Er hat neue Märkte aufgetan. Vor allem hat er unsere Lagerkapazitäten drastisch erweitern können. Wir können ab sofort so viele Autos liefern, wie wir auftreiben können. Er hat Platz für hunderttausend Autos, sagt er. Wir sind kurz umhergefahren. Es ist ein riesiger Platz. Das ganze Areal scheint mir größer als ein Quadratkilometer. Halb voll, schätze ich. Danke für den Drink.« Sie zog mächtig an beiden Strohhalmen. Mit dem Glas in der Hand lehnte sie sich in das Sofa zurück. Sie streifte die Schuhe ab, stützte sich mit dem freien Ellenbogen auf der Lehne ab und ließ die Füße gekreuzt auf der Tischplatte ruhen.

»Erzähle! Um welche neuen Absatzmärkte handelt es sich?«

»Er hat Kontakte mit Gebrauchtwagenzentralen in den Nachbarstaaten aufgenommen. Nur wenige bleiben in Benin. Viel geht inzwischen nach Burkina Faso, Togo und Ghana. Die meisten finden den Weg in den Niger. Das Land ist gut entwickelt, die Einwohnerzahl am höchsten und dementsprechend gibt es dort das meiste Kapital. Die Leute dort suchen nicht nur gebrauchte Fahrzeuge. Für Neuwagen hat Raphael ein eigenes Areal geschaffen.«

»Wir können Neuwagen liefern?«

»Wir können so viele Wagen liefern, wie wir auftreiben können. In Kenia und Tansania stehen die Leute auf chinesische Autos von FAW aus Changchun. Wir sollten uns dem Trend anschließen und diese Autos auch nach Cotonou liefern lassen. Von dort aus können wir den Markt aufrollen.«

»Ginge das nicht besser von Nigeria aus? Von Calabar zum Beispiel?«

»Dort gibt es auch mehrere große Häfen, die ebenfalls Schiffe mit reichlich Tiefgang vertragen können, aber dort gibt es nicht das Hinterland mit den riesigen Parkplätzen.«

»Dann sollten wir versuchen, ihren Hunger zu stillen und unsere Beziehungen zu FAW ausbauen.«

»Alles schon in trockenen Tüchern. Ich habe mit der Firma telefoniert. Sie erwarten mich in einigen Wochen. Ein genauer Termin hängt von den Bedingungen ab, die wir per Video aushandeln. Wenn alles steht, fahre ich hin.«

»Unsere Nissan und Toyota vertreten wir weiter?«

»Natürlich!«

»Wo ist der neue Sitz der afrikanischen Niederlassung?«

»In Cotonou an der alten Stelle am Rande der Stadt. Das neue Gelände grenzt direkt an das alte. Wir können es zu einer Einheit zusammenlegen. Es gab dort bisher eine Brennerei für Lehmziegel, die im vorigen Jahr abgerissen worden ist. Nach einem Gespräch mit dem Bürgermeister hat dieser sich dafür eingesetzt, dass Raphael für uns das Gelände günstig erwerben konnte.«

»Er scheint dort gute Beziehungen aufgebaut zu haben.«

»Davon kannst du ausgehen. Er hat bei meiner Ankunft einen Empfang arrangiert, bei dem Leute von Rang und Namen anwesend waren. Offiziell als Eröffnungsfeier für die Erweiterung des Geschäfts.«

»Der Gebrauchtwagenhandel bleibt an Ort und Stelle wie er ist?«

»Genau wie immer. Der Lieferkette startet weiterhin in Rotterdam oder Zeebrugge. Dann geht es per Schiff nach Cotonou. Die Wechselstube im Libanon ist geblieben. Wir wickeln die Deals über den bewährten Agenten ab. Er überweiset die Beträge an die BCB, Beirut Commercial Bank. Diese Schiene arbeitet reibungslos, wie mir Raphael bestätigt hat. Auch die Übermittlung des Codes bleibt, wie sie war. Von diesem Zeitpunkt an bestimmen wir, wohin das Geld geht, zum Beispiel nach China oder Kolumbien. Der Rest landet auf unserem Konto in Luxemburg.«

»Damit ist es sauber.« Kris strahlte und zeigte seinen erhobenen Daumen. Dann kann unser Fond wieder zuschlagen.

Sie nickte zufrieden, während sie an den Strohhalmen zog. »Die Kosten der Transaktion bleiben gleich, auch wenn die Beträge durch die Geschäftserweiterung deutlich höher werden. Es gibt auch keinen Grund für eine Erhöhung, denn die Arbeit bleibt die gleiche. Im Moment ist Beirut ein gutes Pflaster für unsere Geschäfte. Seit die Lagerhalle im Hafen explodiert ist, sind die Behörden nicht so gefragt. Man hat im Moment gute Möglichkeiten, die Bekanntschaft von einflussreichen Leuten zu machen und Firmen zu unterstützen, die in diesen unruhigen Zeiten Geld brauchen. Wir haben schon eine Anfrage einer Versicherung, die beinahe alles in der Stadt versichert hat. Sie braucht jetzt Geld.«

»Wollen Sie ein Darlehn oder …?«

»Ich denke, mit ein wenig Verhandeln könnte man wenigstens dreißig Prozent übernehmen. Aber, lieber Bruder, noch ist nicht die Zeit, sich zu freuen. Gottes Mühlen mahlen langsam.«

»Ich müsste auch mal runterfahren nach Cotonou. Ich war nie dort und kenne den Mann nicht, habe ihn noch nie gesehen. Ich weiß nur, dass er Raphael heißt und Nanas Bruder ist.«

»Vertrauenswürdiger Gentleman. Pechschwarze Haare, knapp zwei Meter, groß, recht gutaussehend, sehr höflich, trug sogar einen Anzug trotz der Schwüle. Er hat sich vor drei Wochen einen Range Rover zugelegt. Schönes Auto. Er hat mich um den Platz fahren lassen.« Sie lachte. »Mehr hat er mir wohl nicht zugetraut. Sie haben es dort unten nicht so mit dem Können der Frauen, jedenfalls nicht beim Autofahren.«

»Dann sollten wir sehen, dass wir die Autos heranschaffen!«

Beatrice schob den Koffer in ihr Zimmer. Kris verzog sich ins Arbeitszimmer. Sie blieb in der Tür stehen.

»Ich habe gestern versucht, dich anzurufen. Du hast dich nicht gemeldet!«, rief sie ihrem Bruder zu. »Zurückgerufen hast du auch nicht.«

»Ich war bei Mike in der Sauna. Handy hatte ich sicherheitshalber im Auto gelassen. Ich bin kurz auf der Liege eingeschlafen. Erst als ich zuhause war, habe ich deinen Anruf bemerkt.«

Sie besuchte ihn im Arbeitszimmer.

»Gestern Abend ist alles gut gelaufen?«, fragte sie.

»Wie ich gehört habe, ist alles glattgegangen. Wieso haben wir von dem Polizeieinsatz nichts gewusst? Hätte vielleicht Ärger geben können.«

»Ich habe es mit Edwin abgesprochen. Er hat seit einigen Monaten einige Leute der Reihe nach gezielt mit der Falschinformation geimpft, dass sich in einem Container Ware befindet, auf die die Bullen scharf sind. Jetzt bin ich gespannt, wer das den Bullen gesteckt hat.«

»Meinst du, wir haben eine Ratte bei uns im System?«

»Nach diesem gezielten Polizeieinsatz ist es doch wahrscheinlich.«

»Wer ist es?«

»Ich weiß es noch nicht, aber ich denke, Mike kann uns dabei weiterhelfen. Wo steckt er eigentlich?«

Keine Antwort. Achselzucken. Kris starrte auf seinen Bildschirm, sah aber nicht hin. Er dachte an die Folgen, die eine Ratte haben würde. Sie mussten sofort reagieren.

Zurück in ihrem Zimmer packte Beatrice den Koffer aus und verstaute die Garderobe im Kleiderschrank. Dann begab sie sich in die Küche.

»Gibt’s nichts zu essen?«

»Ich habe nichts vorbereitet. Ich dachte, du kämst erst später. Sollen wir etwas bestellen oder sollen wir in ein Restaurant?«

»Restaurants habe ich in der letzten Woche genug gesehen. Haben wir noch Quiche Lorraine in der Truhe oder etwas anderes, das schnell fertig ist?«

»Gute Idee. Bin schon unterwegs.«

Während sie den Tisch deckte, war er auch schon mit vier Torteletts zurück. Er schob sie in den Backofen.

»Wie war es in Düsseldorf. Bist du erfolgreich gewesen?«

»Kann man so sagen. Ich habe eine Patek Philippe Nautilus. Was sagst du? Wäre das nichts für dich?« Sie kannte ihren Bruder. Er konnte an keinem Uhrenladen vorübergehen, ohne einen Blick in die teure Ecke zu werfen. Sie hielt sie ihm unter die Nase. »Außerdem habe ich eine für Ladies und eine Rolex Day Date. Außerdem drei Jaeger-LeCoultre.«

Er bewunderte die Uhren. Die Patek interessierte ihn am meisten. »Du konntest sie sofort mitnehmen?«

»Ich hatte sie vor Monaten dort bestellt. Ich war insgesamt in neun Uhrenläden. Sie kennen mich bereits als gute Kundin und deshalb machen sie manche Dinge möglich, die ein besonderes Engagement erfordern. Außerdem habe ich eine Patek mit ewigem Kalender bestellt und angezahlt. Sie wird in einem Jahr geliefert.« Sie heftete die Quittung zu den anderen in einen Ordner im Tresor.

»Wohin gehen sie?«

»Sie gehen allesamt nach China. Mit den Uhren, die wir schon haben, dem hochkarätigen neuen Schmuck und den beiden Bildern der Auktion haben die Waren einen Gesamtwert von fünfundzwanzig Millionen Euro. Damit haben wir nicht nur den Ausgleich geschafft, sondern sind etwas im Vorteil. Aber die Geschäfte ziehen jetzt hoffentlich an. Dann sind wir bald wieder pari.«

Kapitel 4.

Berendtsen fuhr gleichzeitig mit Hallstein um zehn Uhr auf dem Parkplatz des Präsidiums in Recklinghausen vor. Sie hatten sich zwei Morgenstunden gegönnt als Ausgleich für den nächtlichen Einsatz im Schrebergarten.

»Guten Morgen, Albert.«

»Hallo Oliver, hast du noch etwas Schlaf gefunden? Ich habe den Rest der Nacht wachgelegen. Gegen halb sechs bin ich dann eingeschlafen uns erst wach geworden, als Irmgard schon zur Schule war.«

»Dann sollten wir bei Uschi einen Kaffee trinken.« Es war bekannt, dass Uschi Bremer, Berendtsens Sekretärin, einen hervorragenden Kaffee kochte. Er galt als der beste im Präsidium.

»Einen Moment!« Berendtsen ging zurück zum Wagen und holte seine belegten Brötchen vom Rücksitz.

»Moin Uschi, ist der Kaffee fertig?«, fragte Berendtsen schmunzelnd.

»Steht bereits alles auf dem Tisch. Bedienen Sie sich, Chef. Ich habe schon gehört. Heute Nacht gab es einen Einsatz in einem Schrebergarten?«

»Zwei Uhr. Ich habe Albert aus dem Tiefschlaf gerissen. Nicht wahr, Albert?«

»Schlimm! Es hat einen jungen Mann erwischt. Eine ganze Gartenlaube ist abgebrannt. Gasexplosion. Offensichtlich herbeigeführt durch Fernzündung. Das ist die Einschätzung der Feuerwehr. Willi hat die Vermutung bestätigt. Ich werde für den Brandstifter wegen der unwirtlichen Zeit auf zwei Jahre Haft zusätzlich plädieren.«

Die Kommissare nahmen Platz.

Berendtsen spürte seinen Rücken. Er hatte sich offensichtlich in der Nacht verkühlt, sich erkältet und heute Morgen einen solchen Hustenanfall erlebt, dass er sich einen Hexenschuss zugezogen hatte. Mit leichten Dehnübungen hatte er das Schlimmste verhindern können. Das Außenthermometer seines Autos hatte sich auf dem Rückweg mit einem Ping gemeldet: ein Grad. Er hätte seinen Trenchcoat mitnehmen sollen. Irmgard hatte ihn hingehängt und ihn ermahnt. Dennoch hatte er den Mantel vergessen. Er ärgerte sich über seine Gedankenlosigkeit.

Hallstein hatte schon gefrühstückt, aber er aß noch ein Brötchen, um seinen Kollegen nicht zu enttäuschen. »Ich habe dir meine Jacke angeboten. Du hast sie ausgeschlagen, Albert. Nachts ist es oft noch sehr frisch, auch wenn es tagsüber an die achtzehn Grad geht.«

»Du hast recht, Oliver. Ich hätte sie überziehen sollen. Aber die Glut und die Flammen verbreiteten eine solche Hitze, da habe ich an meinen Rücken gar nicht gedacht.« Er trank einen Schluck. »Was hätte mir die Jacke letztendlich gebracht? Dann wärst jetzt du krank und ich hätte die Arbeit allein am Hals.« Er schaute seinen Kollegen vorsichtig an, aber der hatte die Ironie verstanden.

»Haben die Kollegen etwas über das Opfer herausgefunden, diesen Michael?«, fragte Berendtsen, während er mehrmals über den sehr heißen Kaffee blies und einen Schluck riskierte.

»Die Nachtschicht hat nichts herausgefunden«, erklärte Uschi. »Ich habe heute in der Früh bei den Einwohnermeldeämtern von Dorsten und Bottrop nach Hartmann gefragt – nichts, was auf unseren Mann passt. Seine Handynummer haben wir noch nicht. Herr Schubert ist dabei, die SIM-Karte zu identifizieren. Sie sei in Anbetracht der Umstände gut erhalten, meint er. Dann gibt es noch ein Ladekabel mit einem Mini-USB, das nicht zu seinem Handy oder seinen anderen Geräten passt. Ein Laptop, älteres Modell, konnte auch geborgen werden. Der ist allerdings kaum mehr zu verwerten. Er hofft, dass vielleicht die Festplatte noch etwas hergibt. Frau Günther ist zum Schrebergarten und befragt nochmals die Leute, deren Personalien Frank und Feil gestern genommen haben. Die Pathologie ist gerade erst mit dem Opfer angefangen. Vor elf Uhr brauchen Sie nicht fragen, meine Herren.«

»Wo sind Frank und Feil?« Berendtsen drückte seine Nasenflügel zusammen, um ein Niesen zu vermeiden. Er fühlte mit der Hand über die Stirn. Fieber hatte er nicht, fühlte sich aber schlapp.

»Zuhause, Chef. Sie haben Nachtschicht, wie sie wissen sollten. Sie haben sie heute Nacht selbst getroffen. Die beiden haben die ganze Woche Spätschicht.«

Berendtsen tippte sich an die Stirn. »Natürlich. Entschuldigung.«

Sie goss Kaffee nach und servierte Gebäck.

Berendtsen versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken. Es misslang. »Bist du nicht müde, Oliver?«

»Es geht. Mit zwei Kindern hat man Übung darin, sich die Nacht um die Ohren zu schlagen.«

Heiterkeit und Verständnis.

Berendtsen reckte sich mühsam. »Haben Sie ein Ibu für mich, Uschi?«

Sie hatte.

Berendtsen sah auf die Uhr. Uschi legte ihm die Tageszeitung hin. Der Anschlag war nicht aufgeführt. Das würde gegen Mittag erst auf der Homepage und morgen in den Nachrichten vom Kreis stehen.

Berendtsens Handy meldete sich mit der Melodie ›Up To Date‹ vom aktuellen Sportstudio. Frau Dr. Rother, die Pathologin suchte ihn.

»Guten Morgen, Frau Dr. Rother.«

»Wenn Sie Lust auf Ergebnisse haben, Herr Berendtsen, kommen Sie vorbei. Versprechen Sie sich nicht zu viel«, beugte sie gleich einer Enttäuschung vor.

»Wir sind unterwegs. Komm mit, Oliver. Die Rother hat Ergebnisse.«

Einen Moment brauchten die beiden doch noch, um den Rest Kaffee zu trinken und die beiden letzten Plätzchen zu verteilen.

Auf dem Flur zog Berendtsen geschwind ein Päckchen Taschentücher hervor und schnäuzte intensiv seine Nase.

»Verkühlt heute Nacht?«, fragte Hallstein.

»Vermutlich. Hoffentlich kommt die Erkältung nicht durch.«

Ehe die Kommissare an die Tür der Pathologie klopften, griff jeder noch einmal in die Tüte mit den Gummibärchen.

»Sicherheitshalber?«, lachte Hallstein. Er mochte den Geruch in diesen Räumen nicht.

»Was gibt’s Gutes, Frau Dr. Rother?«, begrüßte sie Berendtsen.

Sie deckte das Leichentuch bis zur Schulter auf.

»Dieser junge Mann wurde von einem Metallstück am Kopf getroffen. Er hat noch kurz gelebt, wie wir auch von dem Zeugen wissen, aber lange kann es nicht gewesen sein. Vielleicht fünf bis sechs Minuten. Die Spusi hat ein rotes Stückchen der Propangasflasche in der Laube gefunden, die zu dem Einschlag passt. Er wurde mit solcher Wucht getroffen, dass es ein Loch in die Schädeldecke geschlagen hat. Durch die Gewalt der Explosion wurde er wohl aus der Laube herausgeschleudert. Vielleicht hat er es auch geschafft, aus eigener Kraft die Laube zu verlassen. Das müssen Schmidt und seine Mitarbeiter herausfinden.« Die Pathologin stocherte mit einer Pinzette, die sie aus der aufgenähten Brusttasche zwischen den Kugelschreibern und einem Spatel herausgefummelt hatte, mehrmals in das Loch der Schädeldecke hinein. »Mich wundert, dass er überhaupt noch etwas gesagt hat. Der Mann war in einer außerordentlich guten Verfassung. Muskulös, durchtrainiert, ein Meter Fünfundachtzig. Zähne leider ok. So konnten wir anhand des Gebisses keinen Hinweis bekommen. Er war noch nie beim Zahnarzt. Außer zum Nachsehen vielleicht. Es wird keine Unterlagen geben, geschweige denn ein Röntgenbild. So kann ich leider bei der Identität nicht weiterhelfen. Schuhgröße vierundvierzig. Nichts Auffälliges. Nur seine Leber hat er nicht geschont.«

»Er hat gesoffen?« Berendtsen war erstaunt.

»Nicht exzessiv, aber doch regelmäßig. Außerdem scheint er ab und an einem Trip nicht abgeneigt gewesen zu sein. Im Blut habe ich nichts gefunden, in den kurz geschnittenen Haaren auch nicht, aber die Nase zeigt innen Veränderungen auf, die auf das Schnupfen von Kokain und das Rauchen von Crack hindeuten, was auch an den Augenbrauen festzustellen ist.« Sie fuhr mit ihrer Pinzette über die spärlichen äußeren Haare der Brauen. »In jüngster Vergangenheit hat sich nicht viel abgespielt, aber bis vor einem, vielleicht anderthalb Jahren, scheint er Drogen konsumiert zu haben. Und zwar nicht zu wenig. Wahrscheinlich wollte er einen Neuanfang und hat sich deshalb die Haare kurz schneiden lassen und angefangen zu trainieren.«

»Damit es dort nichts mehr nachzuweisen gibt?«