Das Logbuch der Silberkugel - Hanns Kneifel - E-Book

Das Logbuch der Silberkugel E-Book

Hanns Kneifel

0,0

Beschreibung

Zwei Romane in einem Band Das Logbuch der Silberkugel Auf einem abgelegenen Planeten verrottet ein Raumschiff, das für die Bewohner nicht mehr ist als ein Relikt der Vergangenheit. Bis eines Tages ein junger Geschichtsstudent durch einen Zufall an Bord das Logbuch entdeckt und damit die bewegte Geschichte seiner eigenen Rasse erfährt, die ihn durch die Jahrtausende und drei Sternensysteme führt. Dieser Roman erschien 1962 als Terra 234. Attentat im Hyperraum Wer ist noch ein echter Mensch? Wer ist bereits eine androidische Kopie? Der berühmte Dirigent Sean Cooper wird zu einem geheimen Treffen eingeladen, bei dem ihm eröffnet wird, dass Androiden dabei sind, unerkannt die Herrschaft über die Menschheit zu übernehmen. Und kein anderer außer ihm habe solch eine gute Gelegenheit, den Gegenschlag gegen diese Verschwörung einzuleiten – mit einem Attentat im Hyperraum … Dieser Roman erschien 1964 als Terra 333.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 281

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

HANNS KNEIFEL

Das Logbuch der Silberkugel

 

HOPF Autorenkollektion

 

Inhalt

Impressum

Vorwort

DAS LOGBUCH DER SILBERKUGEL

1.

2.

3.

4.

5.

ATTENTAT IM HYPERRAUM

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

 

Impressum

 

Originalausgabe Oktober 2020

Text © Hanns Kneifel

Copyright © 2020 der E-Book-Ausgabe by Verlag Peter Hopf, Minden

 

Covergestaltung: etage eins, Jörg Jaroschewitz

Titelillustration @ dewaardimar, @ ppl1958 / de.depositphotos.com

Korrektorat: Thomas Knip

 

ISBN ePub 978-3-86305-373-4

 

www.verlag-peter-hopf.com

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

 

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.

 

 

Vorwort

 

Im Spätsommer 2011 erhielt ich einen Anruf, mit dem ich meinen Lebtag nicht gerechnet hätte.

Am anderen Ende war Hanns Kneifel. Marc A. Herren, der damals noch als PERRY RHODAN-Autor aktiv war, habe mich empfohlen.

Hanns Kneifel wollte die Science-Fiction-Romane wie auch die historischen Romane, an denen er die Rechte wieder hatte, für die Zukunft aufbereiten und sie als E-Book neu veröffentlicht sehen. Und ob ich mir vorstellen könne, dass seine Romane in meinem E-Book-Verlag erscheinen.

Ich denke, ich habe am Telefon aus Freude und Begeisterung noch schneller gesprochen als sonst und habe zusammen mit ihm noch im ersten Gespräch ein Konzept erarbeitet, wie wir die Herausgabe umsetzen können.

Eines war für ihn wichtig: er wollte alle seine Romane, gerade die älteren, noch einmal gründlich durchgehen und sorgsam und behutsam überarbeiten.

Die nächsten Monate habe ich die Taschenbücher und Heftromane eingescannt, in Form gebracht und ihm dann zur Bearbeitung zugeschickt. Von ihm kamen dann die Dateien bearbeitet zurück. Teils waren es nur kleine Änderungen, teils hatte er ganze Passagen ergänzt.

In dieser produktiven Zeit haben wir viel miteinander telefoniert oder Mails ausgetauscht. Er wollte im Sommer 2012 nach Berlin kommen, und wir hatten einen gemeinsamen Besuch auf der Museumsinsel geplant, ebenso wie ein Glas Rotwein am Gendarmenmarkt.

Daraus wurde dann nichts mehr. Ich hatte ihm seinen historischen Fantasy-Roman ›Sindbad – Der Gesandte des Kalifen‹ Mitte Februar 2012 zur Bearbeitung zugeschickt – und dann nichts mehr von ihm gehört.

Zuerst habe ich mir nichts dabei gedacht, dass er nicht antwortete. Er war durch seine Arbeit zeitlich stark eingespannt. Als ich nach zwei Wochen immer noch nichts von ihm gehört habe, habe ich begonnen, mir Sorgen zu machen.

Und dann kam Anfang März an einem Abend eine Mitteilung der Ehefrau von Hanns Kneifel. Er war am Tag zuvor verstorben.

Ich habe es überhaupt nicht fassen können. In unseren Gesprächen war bei ihm noch immer diese jugendliche Neugier zu spüren, dieser lebendige Impuls, Geschichten zu erzählen, zu fabulieren und an neuen Ideen rumzuspinnen.

Und nun war er nicht mehr da.

Wir hatten die meisten der Romane bearbeiten können, die er mir zugesandt hatte. Darunter fast alle historischen Romane wie auch die großen SF-Zyklen wie ›Cade Chandra‹, ›Die Interstellaren Freihändler‹ oder auch ›Das zweite Imperium der Menschheit‹.

Nachdem ich meinen Verlag 2015 aufgegeben habe, habe ich Peter Hopf gefragt, ob er die Romane nicht in seinem Verlag weiterführen möchte. Er war sofort Feuer und Flamme für den Vorschlag, und so haben sie nun alle hier ihr neues Zuhause gefunden.

Es gab aber noch mehrere Science-Fiction-Heftromane, die unbearbeitet geblieben waren und auch bei mir nicht mehr erschienen sind. Diese haben wir nun für die AUTORENKOLLEKTION ausgesucht, so für diesen Band ›Attentat im Hyperraum‹, erschienen 1964 als TERRA 333, und ›Das Logbuch der Silberkugel‹, erschienen 1962 als TERRA 234.

Es sind Geschichten in ihrer ursprünglichen, klassischen Fassung, die nur minimal hinsichtlich Rechtschreibung und Form bearbeitet werden – und damit wie geschaffen sind für diese Taschenbuch-Edition.

Ich denke, Hanns Kneifel hätte sich sehr darüber gefreut, seine Romane noch einmal in so einer hochwertigen und liebevoll gestalteten Aufmachung zu sehen.

Sei es, dass sie Fans erreichen, die ihn von früher noch kennen – oder auch eine ganz neue Generation von Leser*innen, die die bunten und wild fabulierten Geschichten, in denen er voller Verve ganze Welten mit Leben erfüllte, nun zum ersten Mal für sich entdecken!

 

 

Thomas Knip / Thomas Newton,

im Juli 2020

 

HANNS KNEIFEL

 

 

 

 

Dieser Roman wurde nach einer Idee von Günter M. Schelwokat geschrieben.

 

 

 

1.

 

Tiefer Purpur einer verlöschenden Sonne tauchte die Landschaft in merkwürdiges Licht. Die fernen Brücken und Bauten Sarkais schienen unwirklich, wie in einem Traum. Das Grün der Rasenflächen, der Büsche und der vielen Bäume war verwischt und gebrochen. Der große Wasserfall jenseits der Schlucht leuchtete intensiv. Es begann die Zeit, in der die dreißigstündige Nacht über Sarkai lag und alles Leben sich zurückzog.

Eine Kette großer Wasservögel flog über das Flachdach meines Hauses, und eine Minute später hörte ich das Wasser des kleinen Baches aufspritzen. Irgendwo schrie ein Tier voll Furcht. In der Stadt wurden die ersten Lichter angezündet. Sie rissen aus den rötlichgrauen Häuserblöcken kleine Vierecke und zeigten die breiten Straßen. Einige Lastfahrzeuge surrten über die Plattformen und verschwanden in der Weite der Landschaft rings um die Stadt. Sie fuhren Material und Maschinen in die öden Steppen, die sich jenseits des Äquatorgürtels zum Nordpol erstreckten und in denen der Sturm herrschte, der mit Milliarden winziger Sandkörner bisher jede Erforschung unmöglich gemacht hatte. »Und wir wissen noch so wenig!«, murmelte ich.

Sie fuhren und schwammen bis zu den Inseln in den flachen Meeren, auf denen noch die Urformen der Fauna und Flora herrschten, und die Männer in den Glaskabinen bauten dort Forschungsstationen.

Carnok ‒ dieser große, reiche Planet mit der kleinen Bevölkerung ist ungeheuer reich. Er ist reicher als die anderen, die von den irdischen Händlern besucht wurden. Er dreht sich als vierter um die große Sonne, und seine Lufthülle färbt die Strahlen der Sonne rot. Wir kennen dieses Licht nie anders als mit diesem seltsamen optischen Effekt.

Ich stand auf der weiten Terrasse meines Hauses und sah auf die Landschaft. Jeden Abend packt mich die unheimliche Stimmung des Sonnenuntergangs aufs Neue. Jetzt, da sich meine Gedanken stärker denn je mit der bevorstehenden Prüfung beschäftigen, bin ich für solche Eindrücke besonders empfänglich. Ich weiß nicht, woher unsere Rasse kommt. Unsere Vorgeschichte ist ein Nebel aus Halbwahrheiten und Sagen. Ich möchte auf alle meine Fragen Antwort bekommen, aber keiner meiner Lehrer kann sie mir geben. Wir haben zu viel vergessen in diesen langen Jahren der Entwicklung, die noch längst nicht abgeschlossen ist. Diese Jahre werden uns lange verfolgen, denn in uns sind noch alle ungeordneten Merkmale einer suchenden jungen Rasse, die viel kennt, aber immer noch nicht genügend, um klar zu sehen.

Wir suchen immer noch.

Unsere Kultur ist mühsam aus den kleinen Neuanfängen herausgearbeitet worden. Aber wenn wir erst Männer von irdischen Universitäten haben, dann können wir beruhigt sein. Die Erde ist unser großes Vorbild. Sie wird uns helfen, wo sie kann.

Mein Haus ist klein und besteht aus einem einzigen Raum. Es liegt größtenteils unter der Erde, und nur die Terrasse und die Treppe, die zum Bach hinunterführt, zeigen, dass hier jemand wohnt. Diese Abgeschlossenheit ist eines unserer typischen Merkmale, aber mir verhalf sie zu einem ruhigen und konzentrierten Studium.

Die Innenausstattung ist einfach, aber zweckmäßig und entbehrt nicht einer gewissen Gemütlichkeit. Ein kleines Heizgerät für die kalte Jahreszeit, eine Liege, auf der etwaige Besucher Platz finden und auf der ich schlafe, ein Nachrichtengerät und ein offener Herd. Auf dem Boden liegen aneinandergenäht die Felle meiner Jagdtiere, die ich in den letzten Jahren geschossen habe, und einige eingebaute Schränke nehmen die Vorräte auf. Der Schreibtisch ist eine große Platte auf Holzfüßen, und in einem Regal liegen die unzähligen Rollen meiner Aufzeichnungen und stehen einige Bücher, die ich auf einem terranischen Handelsschiff eingetauscht habe und die mir ermöglichten, Sprache und Schrift der Erde zu lernen und viele der dort herrschenden Lebensgewohnheiten kennenzulernen. »Es wird Zeit, wieder mit der Arbeit anzufangen!«, sagte ich laut.

Die Nacht kam, und sie fiel mit dem lautlosen und blitzschnellen Übergang, der in der Tropenzone charakteristisch ist. In Sarkai flammten die Lichter auf. Eine Viertelmillion Carnoks lebten verstreut in diesem Tal. Nur wenn die große Sirene heulte, dann versammelten sie sich auf dem großen Platz vor dem Tempel. Der Wasserfall wurde von einer Reihe Scheinwerfer angestrahlt, und die ewige Wolke aus Wasserdampf leuchtete in kristallischem Weiß. Irgendwo raste ein schwerer Erztransporter über die Leitschienen der Hochstraße. Seine Lichter wurden von der Nacht verschluckt.

Ich trat ins Haus zurück und schloss die runde Tür zwischen der nächtlichen Kühle und mir. Das Nachrichtengerät wurde eingeschaltet, und das Gesicht der Sprecherin verdichtete sich auf dem Schirm. Auch das Fernsehen hatten wir von der Erde eingehandelt.

Ich betrachtete das Gesicht des Mädchens. Als Antlitz eines Menschen wäre es ungeheuer missgestaltet gewesen, denn es hatte ein spitzes Kinn und einen winzigen Mund. Die weit auseinanderstehenden Augen mit den waagerechten Schlitzpupillen und die kleine Nase waren nicht menschlich, ebenso die Kappe langen Haares, das die Löcher der Gehöröffnungen verdeckte und am Hals in ein seidenweiches Fell überging, das den gesamten Körper bedeckte. Die Arme verfügten über drei Gelenke und sieben Finger auf einer Hand, die mit langen, scharfen Krallen aus stahlhartem Horn versehen waren.

Das Mädchen trug die leichte Lederkleidung, die hier überall anzutreffen ist. Es war so angenehm anzusehen, wie nur eine Angehörige unserer Rasse. Der aufrechte Gang, der Besitz eines ähnlichen Hirns und der Stoffwechsel sind die einzigen Ähnlichkeiten, die uns mit Terra und ihren Kolonialplaneten verbinden.

Ich schaltete den Sender aus und nahm eine der vielen Rollen aus einem Fach. Ich wiederholte zum hundertsten Male ein besonders schwieriges Stück der terranischen Grammatik. Langsam rutschte das Pergament unter der Lupe vorwärts. Draußen bewegte der Wind die Blätter der Kugelbäume und ließ Schleier von wogendem Gras entstehen. Er kräuselte die Oberfläche des Sees, der sich unterhalb meiner Terrasse im Bach aufgestaut hatte. Ich lernte lange, und als ich müde zu werden begann, nahm ich mein Essen ein.

Es bestand aus dem letzten Stück des kalten Bratens und Brot. Der Braten war das Ergebnis meiner Jagd vor einer Woche. Wir mussten unser Essen teilweise selbst herstellen oder erjagen, denn noch hatten wir keine entsprechende maschinelle Möglichkeit, die dazu gereicht hätte, die Viertelmillion zu versorgen. Alles war noch locker und unzusammenhängend ‒ wir waren jung.

Was sind zwei Jahrtausende?

Aber es war viel geschehen in diesen Jahren. Meine Rollen, die jeden Abschnitt der Geschichte intensiv behandelten, zeigten viele Einzelschicksale, die für das Wachsen der Carnoks entscheidend gewesen waren; es gab wenig planetare Geschichte ‒ keine Zusammenhänge großen Formats.

»Eines Tages werde ich das Buch meines Volkes schreiben, und es wird sehr umfangreich werden«, sagte ich zu mir.

Morgen musste ich versuchen, ein Stück Wild zu erlegen, musste ich früh aufstehen und hinaus vor die Grenzen der Stadt reiten. Das Wild zog sich vor dem Arbeitslärm und den vielen fremden Wesen immer weiter zurück. Die Jagdgründe waren jetzt schon mindestens zwanzig Tregs entfernt. Ich löschte das Licht und legte mich hin. Bald schlief ich ein.

Die ersten Strahlen der Sonne ‒ silberne Dolche, die hinter der Stadt hervorschossen aus dem Dunst der Nacht ‒ weckten mich.

Ich lief die Stufen zum Wasser hinunter und sprang hinein. Sekunden später schwamm ich in langen Stößen und erfrischte mich. Der letzte Rest Müdigkeit wurde aus meinem Körper getrieben. Nach dem kurzen Frühstück schlüpfte ich in das leichte Gewand der Jäger. Feine Stiefel mit Fellfutter, dünnes Wildleder mit langen Fransen und die Jacke mit den Taschen für Munition, Schlingen und Messer. Ich nahm die einzige Waffe des Hauses ‒ ein langläufiges Elektronengewehr irdischen Fabrikats, das mein Vater gegen ein kleines Vermögen an Pelzen eingetauscht hatte ‒ aus dem Schrank und sah sie flüchtig durch. Die Waffe war in Ordnung; ich konnte aufbrechen. Meine Nerven spannten sich. Ich freute mich auf die Schnelligkeit der Jagd, die meine ganze Fähigkeit erforderte.

Ich ließ die Tür offen ‒ eine geschlossene Tür während einer kurzen Abwesenheit stellte in Sarkai eine Beleidigung dar, die nur der Tod löschen konnte. Ich ging um den Winkel des Hauses herum und betrat den Stall, in dem mein Loper stand. Er war ein Männchen und wild. Seine Gerissenheit und Tücke überstieg die normalen Merkmale seiner Artgenossen um ein Vielfaches. Nur einen Herren erkannte er an, und das war ich. Nur musste man ihm von Zeit zu Zeit beweisen, wer hier die Zügel führte. Er hatte die Vorteile und die Nachteile eines Rassetieres ‒ Höchstleistungen und Launen.

Ich hatte ihn auf einer Versteigerung für wenige Kredite erstanden, weil sich keiner meiner Freunde an ihn herantraute. Aber als Sohn eines Jägers wusste ich, was diese Tiere brauchten. Sie gehorchten nur dann, wenn man sie restlos unter Kontrolle hatte.

Sein Anblick konnte zunächst erschrecken. Aber die Muskelstränge, die unter der glatten Haut der vier schlanken Beine arbeiteten, konnten dem Loper eine beachtliche Geschwindigkeit verleihen. Die blitzenden Fangzähne des lang gestreckten Kopfes waren gefährlich scharf. Ich war lange nicht mehr geritten, und der Loper war ausgeruht und voller Unruhe. Er würde, sobald ich eine Sekunde lang unaufmerksam war und ihm Gelegenheit dazu gab, sogar seinen eigenen Herrn anfallen. Ich zog an dem Lederriemen, der seinen Kopf mit einem Balken verband, und presste seinen Unterkiefer flach auf das Holz. Beißen konnte Grinn ‒ so hatte ich ihn genannt ‒ nicht mehr. Dann schob ich die Eisenstangen zwischen dem Gitter des Vorschlages durch und brachte die Füße in eine Lage, in der er sie nicht mehr bewegen konnte, schnallte in aller Ruhe den hochgestützten Sattel um, befestigte die Steigbügel und schraubte die Sporen in meine Stiefel. Das Schwierige war, ihm die Zügel anzulegen. Ich musste heute den Doppelzügel gebrauchen, denn sonst biss er auf die Trense und ging durch. Mit der scharfen Kandare konnte ich ihn im Zaume halten. Endlich konnte ich das Gewehr in die Lederhülle stecken und das Lederband lösen. Die vordere Tür klappte herunter, und ich schwang mich in den Sattel. Mit einem Riesensatz stürmte Grinn ins Freie und preschte durch die Büsche. Das war jedes Mal sein erster Trick, um mich loszuwerden.

Aber nach fünf Tregs hatte ich ihn mithilfe der Sporen und des Zügels, der ihm den Kopf auf den Hals bog, unter Kontrolle gebracht.

Ich ritt langsam weiter. Meine Augen, die von meinem Vater gelernt hatten, wie man auf flüchtendes Wild aufmerksam wird ‒ durchforschten den Niederwald. Hier wagte sich noch manchmal ein kleines Tier her, aber ich musste noch weiterreiten, um zum Schuss zu kommen. Fünf Tregs weiter draußen, als bereits der Hochwald begann, sah ich ein Rudel Auhnas. Ich prüfte den Wind und suchte mein Opfer aus, einen fetten, jungen Bock.

Schließlich musste ich eine gewisse Zeit von seinem Fleisch leben. Grinn setzte über einen breiten Graben und stand dann still, während ich das Gewehr aus der Hülle zog und entsicherte. Die Jagd mit dem Bogen, wie sie noch bis vor einigen Jahrzehnten gehalten wurde, war ein entschieden mühsameres, aber interessanteres Geschäft.

Gut gedrillt, stand Grinn wie ein Denkmal. Dann, als ich ihm mit den Schenkeln einen Befehl gab, brüllte er auf. Einen Moment war das Rudel erstarrt, dann löste es sich in panischer Angst auf. Ich hatte, noch ehe sie sprangen, geschossen. Aber mein Bock war nicht getroffen und raste in einem beachtlichen Tempo durch die Büsche davon. Ich repetierte und ließ die Zügel los. Grinn fuhr auf und galoppierte in einer flachen Kurve dem Bock nach. In uns waren die Instinkte erwacht: in ihm die seiner Rasse als Raubtiere der Wälder, und in mir die einer alten Jägerfamilie. Wir fieberten dem Ende der Hetzjagd entgegen. Der Bock war außerhalb der Sicht, aber seine Spur verrieten die federnden Büsche und die Abdrücke im taufeuchten Gras. Der Ritt wurde schneller; Grinn holte das Letzte aus sich heraus. Wir übersprangen breite Gräben, schossen durch das Unterholz, das unter der Wucht von Grinns schwerem Körper zusammenbrach, und ich stand in den Bügeln, wenn er über kleine Lichtungen hetzte. Das hellbraune Fell des Bockes tauchte auf, ich brachte mein Gewehr in eine günstige Position. Wir mussten uns wieder der Stadt nähern, denn wir hatten bis jetzt einen großen Bogen geschlagen. Der Wald wurde spärlicher, und ich schoss einmal. Wieder verfehlte ich das flüchtende Tier, und Grinn lief erneut an. Ich stieß ihm die Sporen in die Flanken und gab den Zügel frei. Jetzt war es an mir, meine Künste zu zeigen. Kaum einer meiner Freunde konnte sich auf einem Loper halten, wenn er frei und in dem typischen geschmeidigen Galopp der Raubtiere dahinraste.

Die Grasfläche wurde wieder durch ein kleines Wäldchen abgelöst, und wir verloren an Geschwindigkeit. Grinn sprang im Zickzack durch die Stämme, und an einen Schuss war nicht zu denken. Der Wald stand isoliert da, und rings um ihn dehnte sich eine Grasfläche aus. Der Hügel vor uns trug die Reste eines Schiffes, unseres planetaren Denkmals. Ich riss den Loper herum, und wir beschrieben einen großen Kreis um den Wald. Nirgends war der Bock zu sehen.

Ich schloss den Kreis einer vollkommenen Umrundung des kleinen Wäldchens ab und hatte gesehen, was ich wissen wollte: Keine Spur führte unter den Bäumen und zwischen den verschlungenen Büschen wieder heraus ‒ das Tier musste noch dort drin stecken. Ich ritt langsam von der Rückseite hinein und hielt das Gewehr so, dass ich jederzeit schießen konnte. Aber ich vernahm kein Geräusch, nicht das Brechen der Sträucher, durch die sich der flüchtende Bock einen Weg bahnen musste. Der Loper brummte widerwillig auf, als ich ihn in einen kleinen verwaschenen Pfad drängte, und er stutzte und schüttelte sich. Ich stieß ihm die Sporen hinein und riss an der Kandare. Da entschloss er sich, langsam weiterzutraben. Der Pfad, überhangen von dünnen Lianen, mündete in einer kleinen Senke, die feucht und morastig war. Hier zeichneten sich die Spuren des Bockes wie gestochen ab.

Langsam und immer langsamer ging Grinn voran. Ich musste alle meine Künste anwenden, um ihn vorwärtszubringen. Schließlich entdeckte ich die Ursache seiner Ängstlichkeit: Die Spuren verloren sich in einer Höhle.

Es war ein Eingang, der aus gemauerten Quadern bestand und aus einem Felsenstück, das den oberen Abschluss des Portals bildete. Kühle, ungesund riechende Luft schlug mir entgegen. Ich hielt an und kramte in der Satteltasche. Eine kleine Fackel und das Feuerbesteck zog ich heraus ‒ knisternd begann eine helle Flamme zu brennen. Mit aller Kraft zwang ich den Loper in die Höhle hinein. Der Schein der Fackel wurde von der stumpfen Oberfläche der verfugten Steingänge aufgesogen. In den Ritzen nahe des Eingangs wuchs noch kümmerliches Moos. Ich hatte den Lauf der Waffe in der Armbeuge und war bereit, jeden Augenblick abzudrücken. Nach weiteren Schritten sahen mir zwei Augen entgegen, in denen sich die Fackel spiegelte.

Ich erledigte den Bock. Das Fauchen der Waffe hallte in dem Gewölbe.

Der Loper scheute und stieg hoch. Ich zwang ihn vorwärts und in einem Satz über das tote Tier. Das letzte Stück des geraden Ganges legten wir nur im Scheine des Lichts zurück, der viereckige Eingang ließ sich nur in der Ferne ahnen, als ich mich umwandte. Der metallische Geruch der knisternden, kalten Fackel machte das Tier nervös.

Dann ‒ mit der Plötzlichkeit überraschender Ereignisse ‒ war der Gang zu Ende. Das Licht spiegelte sich in einer glänzenden Tür. Grinn scheute vor seinem Spiegelbild, und ich erkannte meine angespannten Züge in der glatten Platte. Die Tür war viereckig, flach, und bot nur in der Mitte einen Berührungspunkt, eine Klinke, die in einer Vertiefung lag. Ich dirigierte den Loper vorwärts, er machte eine halbe Drehung, und seine Flanken pressten meinen Fuß an das eisige Metall.

Ich beugte mich aus dem Sattel und versuchte, die Klinke zu drehen. Sie ließ sich nicht bewegen, und die Erkenntnis dessen, was ich hier entdeckt hatte, überwältigte mich.

Nun wusste ich mehr!

Hier ‒ über uns ‒ stand das Schiff. Es war unser nationales Heiligtum, die Arche unseres Glaubens. Sein Unterteil war unter dem Hügel verborgen, und die Tür stellte durch den Gang die einzig mögliche Verbindung mit der Außenwelt her. Man musste den Gang gemauert haben, als man dieses Denkmal baute. An hohen Festtagen übernahm eine Batterie von Scheinwerfern in verschiedenen Farben die Beleuchtung des Kolosses. Dann, im Laufe zweier Jahrtausende, vergaßen wir diesen Gang. Nicht eine einzige Notiz hatte sich in den Geschichtsrollen wiedergefunden. Ich konnte diese Behauptung aufstellen, denn jede geschriebene Zeile unserer Geschichte hatte ich gelesen. Weder ich noch meine Lehrer wussten von dieser Tür und diesem Gang. Mein Gefühl sagte mir, dass ich mein Thema für die Beendigung meines Studiums gefunden hatte.

Ich wandte den Loper herum. Wir verließen den Ort. Ich würde die Tür öffnen, die seit nahezu zweitausend Sonnenumläufen geschlossen gewesen war.

 

*

Den toten Bock und mein Gewehr hinter meinem Sattel, ritt ich zu meinem Haus zurück. Der Loper wurde versorgt, und bald drehte sich der Bock über dem Feuer. Ich holte aus der Ecke des Schrankes eine Tonkanne, deren Öffnung mit duftendem Wachs verschlossen war, und ließ den Wein in die Porzellanschale fließen. Eine Stunde später hatte ich gegessen und suchte in meiner Behausung nach Geräten und Werkzeugen, mit denen ich am nächsten Tag versuchen würde, in das Schiff einzudringen und die Geheimnisse, falls es welche gab, zu entschleiern.

Gegen Abend hatte ich alles zusammen. Einen Flaschenzug, Ölkanne und trockene Lappen, zwei Batterielampen und einen kleinen Vorrat von Fackeln, Werkzeugen und Haken und eine lange Strickleiter. Ich packte in die beiden Fellsäcke mehr ein, als ich wahrscheinlich brauchen würde, aber man konnte nie vor Überraschungen sicher sein.

Jedenfalls konnte ich am nächsten Tag aufbrechen und versuchen, den Eingang des Raumschiffes aufzubrechen. Ich wusste, dass ich unter Umständen dort eine Menge von Maschinen und Erkenntnissen finden konnte, die uns helfen würden, allen Dingen mehr Verständnis entgegenzubringen. Ich legte mich an diesem Abend früher hin ‒ jedenfalls war ich wieder beim ersten Sonnenstrahl wach und ritt mit meiner Last und einem größeren Essensvorrat los, dem kleinen Wald entgegen.

Die Sonne spiegelte sich in dem Metall der Schiffswände, als ich näher kam.

 

*

Trotz der Kälte begann ich zu schwitzen. Ich hatte die beiden Lampen angeschaltet und ihre Lichtkegel auf die Tür gerichtet. Dann hatte ich warmes Öl in die Ritzen geschüttet, die sich entlang der Tür zogen. Mit einer Lampe hatte ich das Metall erhitzt und schließlich heißes Öl durch das Loch des Schlosses geschüttet. Jetzt war ich daran, den Flaschenzug aufzustellen. Zu diesem Zwecke trieb ich einige lange Haken in die Wand und befestigte eiserne Ringe daran. Dort vertäute ich das eine Ende des Zuges, das andere hakte ich an der mühsam heruntergedrückten Klinke ein. Dann legte ich das Seil in die Rollen und begann zu ziehen. Die Seile spannten sich, und langsam zog ich die Tür auf. Knarrend ließ sie sich bewegen, ich musste meine gesamte Kraft einsetzen. Ich zog so lange, bis sie in einem rechten Winkel von der Schiffswand wegstand. Lockeres Erdreich begann zu rieseln und fiel mir in den Nacken. Dann hatte ich es geschafft.

Ich löste den Flaschenzug von den Haken und der Klinke, schaltete eine Lampe aus und steckte das schwere Jagdmesser ein. Mir schauerte ein kühler Luftzug entgegen, der mit seinem Raunen und Flüstern die Ereignisse vergangener Jahrhunderte zu tragen schien. Meine Krallen bogen sich um den Griff des Messers zusammen, und die Fellhaare sträubten sich. Dann war ich im Inneren, und der Lichtkegel tanzte aufgeregt vor mir her. Er glitt über Gegenstände, mit deren Formen und Funktionen ich mich in der folgenden Zeit erst vertraut machen musste.

Ich begann zu frieren.

Hinter mir drang warme Luft ein. Ihre Feuchtigkeit schlug sich auf den glatten Flächen nieder und trübte sie. Ich wusste nicht viel über Schiffe, die durch den Weltraum flogen, aber die Grundbegriffe ihres Aussehens und ihrer Anlagen waren mir nicht fremd. Hier in den Raum der Luftschleuse schien ein Aufzug zu münden, der früher in die oberen Räume gefahren war. Ich riss seine schmale Tür auf, und vor mir, unter einer Knopfleiste, sprang ein winziges Lämpchen an. Ich konnte die Bezeichnungen lesen, sie waren in der Sprache Terras abgefasst.

Steuerkabine, Wohndeck, Navigatorraum, Funkbude.

Ich versuchte, mir die Bedeutung dieser Begriffe klarzumachen. Die Pupillen meiner Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Dann drückte ich den ersten Knopf. Langsam zog der Lift in die Höhe, gleichzeitig ertönte ein leichtes Summen. Die Batterien des Schiffes mussten eine Meisterleistung der irdischen Technik gewesen sein. Nach zwanzig Jahrhunderten hatten ihre Isolierung und ihre Stärke noch den gespeicherten Strom aufbewahrt. Der Lift hielt in einer kleinen Kabine. Ich öffnete die Tür. Neben ihr waren wieder Leisten angebracht. Hier schien jedes Stückchen Metall alte Tradition und Erlebnisse zu enthalten. Es war sozusagen geschichtlicher Boden. Wieder erhellte sich eine runde Platte in der Decke, als ich den betreffenden Schalter betätigt hatte.

Nacheinander probierte ich alle Knöpfe und Schalter aus, die ich sah. Außer denen, die direkt zu der Steuerung des Schiffes zu gehören schienen, brachten sie alle Arten von Geräten zum Laufen oder Leuchten, von denen ich keines verstand. In einer Schrankrückwand entdeckte ich ein Schema, das die einzelnen Räume und Maschinenaggregate des Schiffes zeigte und in das Metall eingelassen war. Außerdem befanden sich in den einzelnen Fächern der Schränke noch Instrumente und Geräte, deren Verwendungszweck ich ebenfalls nicht erraten konnte; aber eines Tages würde ich alles verstehen.

Mit Mühe erkannte ich die Zusammenhänge zwischen den Batterien und ihrem Ladegerät. Es war ein einfacher Motor mit Flüssigkeitsantrieb, der durch ein Brennstoffaggregat angetrieben wurde. Ich fuhr mit dem Lift in den Maschinenraum und sah, dass noch sehr viel Brennstoff vorhanden war.

Mit einigen Handgriffen hatte ich die einfache Maschine angeworfen und den Generator angeschlossen. Er produzierte Strom und lud die Batterien auf.

Ich sah mich beim Scheine neu aufgeflammter Lampen ‒ die seit zweitausend Jahren nicht geleuchtet hatten ‒ im Maschinenraum um und stieß auf die undurchdringlich scheinende Mauer aus Ignoranz und Verständnislosigkeit, die mich von dieser Technik trennte. Ich fuhr wieder in den Steuerraum zurück und ließ mich in einen der drei Sessel fallen. Er schien zu kurz für meine Größe. Die Menschen Terras waren kleiner als wir.

Nacheinander nahm ich die verschiedenen Instrumente vor und versuchte, sie zu enträtseln. Ich schaffte es.

Stunde um Stunde verging. Bald nahm die Helligkeit in der Kabine ab. Die Sonne Carnoks verschwand unter dem Horizont. Ich schaltete wieder die Kabinenbeleuchtung an.

 

*

Tage und Tage vergingen.

Ich vernachlässigte meine Vorlesungen und vergaß, auf die Jagd zu gehen. Nur mein Reittier, das versorgt werden musste, und der Hunger vermochten mich aus dem Schiff zu treiben. Längst waren die Zeiger der Batterieuhren wieder auf den Höchstmarken, und der Motor schwieg wieder. Ich hatte Zeit und Energie genug, um mich meiner Aufgabe widmen zu können.

Ich kehrte in mein Haus zurück und fand es unverändert. Nur ein Freund war da gewesen und hatte eine Nachricht hinterlassen. Ich rief ihn an, und er erklärte sich bereit, meinen Grinn zu versorgen und mir diese Pflicht abzunehmen. Dann ging ich wieder in das Schiff und versenkte mich in die Maschinen des Steuerraums, versuchte, ihre Funktionen zu bestimmen und zu ergründen, wozu sie einst den Männern gedient hatten, die mit diesem Schiff durch das All geflogen waren.

Nach dreißig Tagen hatte ich erreicht, was ich mir vorgenommen hatte.

Alle Instrumente, die nicht der Steuerung des Schiffes gedient und die, durch deren Lautsprecher und Mikrofone sich die einzelnen Decks und Räume miteinander verständigt hatten, waren mir in ihrer Funktion klar. Ich konnte nun an das Ding herangehen, das ich hier gesehen hatte.

Es war ein abgerundeter Kasten, der an der Unterseite eines großen Tisches befestigt war und dessen Seitenwände aus hochpolierten Stahlplatten bestanden. Einige Schrauben hielten die Platten an einem Gerüst fest. Ich entfernte sie vorsichtig und sah in ein unglaubliches, technisches Gewirr von Spulen, Drähten und anderen Teilen, deren Sinn ich nicht begriff. Ich begnügte mich damit, die Leitungen nachzusehen und die Schaltungsblöcke zu putzen, hier einen wackelnden Kontakt zu festigen und dort eine kleine Feder neu zu justieren.

Dann drückte ich versuchsweise auf einen der Knöpfe, die in einer verdeckten Versenkung am Oberteil der Maschinerie angebracht waren, und unten begann sich eine große Spule zu drehen. Sie zog ein breites Band durch einige Schlitze, und ich hörte verworrene Geräusche aus irgendeinem Lautsprecher. Ich stoppte die Bewegung und ließ die Spule zurücklaufen.

 

*

Ich war bereit …

Um meine Stirn lag ein metallener Reifen, den ich in der Lade gefunden hatte. Ich hatte nach langem Probieren den richtigen Sitz herausgefunden und lehnte mich bequem in dem Sessel zurück. Die Finger lagen auf den Knöpfen der Schaltung.

Es schien sich hier um irgendein Nachrichtengerät zu handeln, eine Art Logbuch dieses Schiffes. Wie würden die Eintragungen aussehen? Ich drückte den ersten Knopf.

Zu meinen Füßen summten verborgene Motoren, und ich hörte gleichzeitig mit Bildern, die sich im Innern meines Kopfes projizierten, Worte, die ich verstand ‒ Worte meiner eigenen Sprache.

Ich hielt die Spule an. Alles erlosch.

Ich war verwirrt in einem Maße, das mich unfähig machte, meine Gedanken zu ordnen. Die Sprache, die ich gehört hatte, schien viel älter als unsere, aber der Grundstock war unverkennbar der Gleiche. Einer meiner Ahnen hatte hier gesprochen. Gleichzeitig waren starke Gedankenimpulse in mein Hirn eingedrungen und hatten Bilder erzeugt, die mich in den Mittelpunkt eines fremden Geschehens versetzten. Ich schaltete wieder ein, begierig, mehr zu erfahren. Weit unter mir schlief die Stadt Sarkai, und vor mir lag das gewaltige ›Buch‹, in dem ein Abschnitt dieser alten vergessenen Geschichte aufgeschrieben war. Der Inhalt dieses ›Buches‹ würde mir helfen, Antworten auf meine drängenden Fragen zu bekommen.

Ich spürte den kalten Hauch, der aus dieser kleinen Ewigkeit herwehte; ein Schauder des Unbegreiflichen spannte meine Muskeln, und das Haar sträubte sich. Die schweren Spulen begannen zu rotieren, und in meinem Hirn zeichneten sich Bilder von erregender Farbigkeit ab, von seltener Pracht. Schwer verständliche Worte ertönten, wurden von anderen und von mir gesprochen. Die Handlung begann. Ich lag entspannt hier in diesem weichen Sessel, sah und hörte, handelte und sprach ‒ war der Mittelpunkt des Geschehens.

Ich war ein Held.

Die Geschichte entrollte sich …

 

 

2.

 

SARDON VON SARGAYN

 

Der Riesenpalast war in Felsen geschnitten worden. Seit zweitausend Jahren hauste hier das Geschlecht der Verwalter des Rechts. Sie bewegten sich, nachdem sie von allen Bewohnern Sargayns gewählt worden waren, hier in dieser Pracht und starben inmitten der schweigenden Steinwände. Der Saal des Gerichts war eine dunkle Halbkugel mit schwarzen Wänden und kristallenen Toren, an denen die Wachen postiert waren. Sie trugen die tödlichen Waffen und die schwarzen Mäntel des Herrschers, und ihre Augen bohrten sich in das Dunkel der Saalmitte.

Einige Lichter erhellten einen kleinen Kreis. Sie hingen an dicken Kabeln von der Decke herunter und gaben nur nach unten Helligkeit ab. Innerhalb des weißen Ringes waren der erhöhte Stuhl des Autarchen und die Sitze seiner Berater; um diese herum und um den aufrechten, kleineren Mann, der unter den Augen des Autarchen stand, schloss sich ein zweiter Kreis von Wachen.

Es war die Elite des Planeten Sargayn, die hier Dienst tat. Sie würden nach einigen Tagen als Offiziere die Schiffe der planetaren Flotte befehligen. Jetzt aber konzentrierte sich ihr Interesse auf die Vorgänge innerhalb der Lichtkegel. Sie wagten kaum zu atmen.

Der Autarch, dessen silbergraues Fell unter den Falten eines schweren Stoffes hervorsah, blickte auf den Mann, der es gewagt hatte, die Gesetze Sargayns nach seiner eigenen Auffassung auszulegen. Ein großer Stein an einem der acht Finger der Rechten blitzte einen kurzen Moment auf. Der Mann hielt den abwägenden Blick des Autarchen aus, er sah zum Stuhl hoch und begann zu sprechen. Er sprach nicht laut, aber jedes seiner Worte wurde mit Nachdruck gesprochen und war innerhalb des Riesensaales verständlich.

»Ich weiß, Sardon, dass es Gesetz und Recht geben muss. Ich weiß es, und alle meine Vorgänger wussten es ebenfalls. Aber die Gesetze sind gemacht worden, ehe noch die ersten Riesenstädte auf der Kruste des Planeten zu wuchern begannen. Sie wurden gemacht, damit jeder Mensch hier ruhig und ungestört leben kann.

Wir beide wissen, dass vieles nicht mehr den Anforderungen entspricht, deshalb wagte ich, meine Ansicht laut zu verkünden. Ich habe das Recht deswegen nicht in unwürdiger Weise gebrochen oder mit Füßen getreten, wie dieser Hauptmann« ‒ Shann wies mit seiner Hand auf eine der schweigenden Wachen ‒ »behauptet hat. Ich wehre mich gegen diese Unterstellung.«

Der Autarch schwieg immer noch. Er wusste, dass Shann einer seiner besten Männer war. Er hatte die Gewalt über eine dieser unzähligen Städte, deren Grenzen schon teilweise zusammenliefen und deren Bauten fast den gesamten Planeten bedeckten. Sardon schlug in einer verzweifelten Geste die Klauen seiner Hände in die Polster der Armlehnen. In dem geschnitzten Holz waren kleine Knöpfe angebracht, die mit einem einzigen Kontakt die Waffen des Autarchen auslösen konnten.

Das, was heute hier gesagt worden war, hatte sich Sardon schon über hundert Male anhören müssen. Er war der Argumentation müde geworden. Er hatte nichts mehr zu sagen, nachdem der Bürgermeister gesprochen hatte. Shann würde sich jedes Wort überlegt haben, und er kannte die Buchstaben des Rechts genauso gut wie der Autarch selbst.

Noch drei Tage, so überlegte Sardon, dann startet die Flotte. Dann werde ich als Sieger zurückkehren und meinem Volk einen eroberten, menschenleeren Planeten als Trophäe mitbringen. Er runzelte den Pelz über seinen großen Augen. Sie waren schwarz und hatten waagerechte Schlitzpupillen, an deren Rändern kleine weiße Funken flimmerten.

Shann sprach weiter:

»Hinter dir, Autarch, sitzen andere Männer, die ebenso gut über das Gesetz Bescheid wissen, wie wir beide. Sie werden auch nicht sagen können, dass ich unwürdig gehandelt habe, als ich mich weigerte, dem Großen Plan zuzustimmen und an ihm mitzuarbeiten. Ich kann, und das werde ich auch tun, mit meiner Sippe und allen anderen, die gewillt sind, diesen Planeten verlassen. Aber es ist hier so, dass du die Macht verkörperst.