Der Bronzehändler - Hanns Kneifel - E-Book

Der Bronzehändler E-Book

Hanns Kneifel

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Beschreibung

Ägypten um 1900 v. Chr., unter der 12. Dynastie: Amenemhet, der alte Pharao ist gestorben, sein Sohn Chakaura übernimmt die Herrschaft mit dem ehrgeizigen Plan, die Gaufürsten, die sich gegen den Verstorbenen aufgelehnt haben, zu unterwerfen. Dazu braucht Chakaura eine gut ausgerüstete Streitmacht, das heißt Bronze für die Waffen. Der kretische Kapitän Jehoumilq und sein Ziehsohn Karidon, ein ehemaliger Sklave, werden die Spione Chakauras. Dessen Schwester erwählt sich Karidon als Geliebten. Jehoumilq und Karidon segeln nilaufwärts nach Nubien und Kusch, nach Norden ins Mittelmeer. Sie erkunden die Gebiete der Eingeborenen, decken eine Verschwörung der Priester und Gaufürsten gegen den neuen Pharao auf, transportieren Edelsteine und Mädchen für den Harem des Herrschers und Bronze, immer wieder Bronze. Jahre später: Die beiden Bronzehändler sind reich und angesehen. Sie ziehen sich nach Kreta zurück. Vor allem Karidon hat sich viele Neider geschaffen und ist mehrmals nur knapp Mordanschlägen entgangen. Doch es gibt eine neue Spur zu den Zinnlagern, die er seit Jahren vergeblich sucht. Über Sizilien wird er weit nach Westen segeln, dorthin, wo sich die Meere treffen …

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DER

BRONZEHÄNDLER

 

Das Buch

Ägypten um 1900 v. Chr., unter der 12. Dynastie: Amenemhet, der alte Pharao ist gestorben, sein Sohn Chakaura übernimmt die Herrschaft mit dem ehrgeizigen Plan, die Gaufürsten, die sich gegen den Verstorbenen aufgelehnt haben, zu unterwerfen. Dazu braucht Chakaura eine gut ausgerüstete Streitmacht, das heißt Bronze für die Waffen.

Der kretische Kapitän Jehoumilq und sein Ziehsohn Karidon, ein ehemaliger Sklave, werden die Spione Chakauras. Dessen Schwester erwählt sich Karidon als Geliebten. Jehoumilq und Karidon segeln nilaufwärts nach Nubien und Kusch, nach Norden ins Mittelmeer. Sie erkunden die Gebiete der Eingeborenen, decken eine Verschwörung der Priester und Gaufürsten gegen den neuen Pharao auf, transportieren Edelsteine und Mädchen für den Harem des Herrschers und Bronze, immer wieder Bronze.

Jahre später: Die beiden Bronzehändler sind reich und angesehen. Sie ziehen sich nach Kreta zurück. Vor allem Karidon hat sich viele Neider geschaffen und ist mehrmals nur knapp Mordanschlägen entgangen. Doch es gibt eine neue Spur zu den Zinnlagern, die er seit Jahren vergeblich sucht. Über Sizilien wird er weit nach Westen segeln, dorthin, wo sich die Meere treffen …

 

Der Autor

Hanns Kneifel (1936-2012), begann seine schriftstellerische Laufbahn mit Science-Fiction, verfasste dann eine Reihe Jugendbücher, Hörspiele und Sachbücher. Er bleibt vor allem als Autor zahlreicher farbenprächtiger historischer Romane in Erinnerung.

Impressum

© Copyright Erben Hanns Kneifel

© Copyright 2017 der eBook-Ausgabe bei Verlag Peter Hopf, Petershagen

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: Thomas Knip, nach einem Gemälde von Jacob Jacobs

E-Book-Konvertierung: Die Autoren-Manufaktur

ISBN ePub 978-3-86305-244-7

www.verlag-peter-hopf.de

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Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

Das Buch

Der Autor

Impressum

Der Bronzehändler

Im Zeichen Thots und Imhoteps

1. Tod am Kap Thirr

2. Itch-Taui im Frühling

3. Zwischen Inseln und Ländern

4. Wrack, Bronze und Traum

5. Prinzessin Tama-Hathor-Merit

6. Die Höhle der Erinnerungen

7. Land des schmelzenden Sandes

8. An den Stromschnellen

9. Jenseits der Südgrenze

10. Die Ruinen von Wawat

11. Pfeile aus dem Schilf

12. Im Weihrauch des Tempelopfers

13. Kanal und Kupferhäfen

14. Fürst Anatnetish

15. Das Auge der Morgenröte

16. Auf Bronzekurs

17. Auf dem Strom

18. Sternenerz

19. Schmied des Himmelsmetalls

20. Die Nacht der Welse

21. Stille, Träume und Aufbruch

22. Die Pfeile der Maat

23. Jehoumilqs Sklavinnen

24. Die Doppelaxt

 

HANNS KNEIFEL

Der Bronzehändler

 

Roman

 

 

»Lob und Preis dir, Hapi, aus schwarzer Erde geströmt, Tameri zu nähren. Geschaffen von Re, tränkst du Fluren, sättigst Herden und wässerst die Wüste, fern der Wasser mit deinem Himmelstau.

Cheper, der Gott, liebt dich; sein Korn bereichert die Werkstatt des Ptah. Über Fische und Vögel herrschst du, lässt sprossen Gerste und Korn, bereitest die Feste der Tempel. Bist träge du, schwinden Atem und Leben; der Götter Speise wird karg, und zahllos sterben die Rômet.

Aber wenn tönend dein Wasser schwillt, jubelt das Land. Jeder lacht, denn du spendest Speisen und wohlige Sattheit. Süß ist dein Duft; du schenkst Gräser den Herden und Opfertiere himmlischen und irdischen Göttern, füllst Speicher und Kornkammern, nie vergisst du der Armen.

Bäume gedeihen durch dich, deine Macht zimmert die Schiffe; die Kinder sind fröhlich, und alle grüßen als Herrscher dich, wenn beide Lande du, der Maat gehorchend, mit deinem Glanz überstrahlst.

Wer bekümmert war, ist jetzund froh: du feuchtest die Felder, speiend gibst du dem einen Kraft und Liebe dem andern.«

 

(Hapi-Lobpreisung, zur Zeit des Ersten Amenemhet)

 

 

»Du, der als Gott erschienst, hör auf das, was ich dir sage: auf dass du königlich herrschest und die Lande regierst und ein Übermaß an Wohlsein erhältst. Halt dich fern von Untergebenen, jenem Gesindel, deren Schrecken keine Beachtung verdient. Nähere dich ihnen nicht in deiner Einsamkeit, füll nicht dein Herz mit einem Bruder, kenne keinen Freund, schaff dir keine Vertrauten – denn alles ist trostlos und eitel.«

 

(Der Erste Amenemhet an seinen Sohn Senwosret;

1991-1962 v. Chr.)

 

 

»Ich habe die letzte Festung im trostlosen Süden erreicht und meine Grenze errichtet, weil ich weiter hapiauf zog als meine Väter. Ich habe mein Erbe vermehrt. Jeder meiner Vertrauten, der die Grenze hält, die ich festigte, wird von mir geehrt und ›Sohn‹ genannt, nicht aber jener, der sie verfallen lässt und nicht kämpfen will.

Ich, Chakaura, habe befohlen, prächtige Säulen aufzustellen an meiner Südgrenze; damit ihr hier ausharren und für die Reichsgrenze kämpfen sollt.

Ich erbeutete die Frauen der Nehesi, nahm ihre Männer, zog an ihre Brunnen und schlug ihre Rinder. Ich riss ihr Getreide aus und legte Feuer daran. So wahr mein Vater lebt; ich sage die Wahrheit. Ich habe Säulen meißeln lassen an der Grenze, damit ihr an ihr ausharren und für sie kämpfen sollt.«

 

(Inschrift des Dritten Chakaura, 1878-1841 v. Chr., einer

Stele bei Heh, »Chakaura ist mächtig« [Semna West]

im Jahr 16, Mond Athyr.)

 

 

Im Zeichen Thots und Imhoteps

 

Die Löwenaugen der Göttin, der Falkenblick des Kriegsgottes Month und das Starren Ptahs aus der Höhe der doppelt mannsgroßen Steinstatuen trafen den Boten und die Sklaven, als sie aus dem Schatten der Tempelmauern und Palmenkronen traten. Obwohl die Sonne in den Mittag stieg, fühlte Dschai-Anpuhotep einen Hauch von Kälte. Sein Schritt stockte; Schweiß sickerte unter der Perücke in den Nacken. Der Weg führte zwischen den goldstarrenden Schutzgöttern des Herrschers beider Lande hindurch zu einer Terrasse und deren säulengestütztem Eingang. Die Luft war getränkt vom Weihrauchduft und den Ausstrahlungen der Göttlichkeiten. Zwischen den Säulen blieb Dschai-Anpuhotep stehen und bedeutete den Sklaven, zu warten. Ein keckerndes Äffchen aus Punt kletterte an der Statue hinauf, die dünne Bronzekette klirrte am Stein. Die Sklaven stellten große Krüge auf den Sandsteinplatten ab.

Auf der Terrasse standen, unter dem Sonnensegel, eine geflochtene Liege und ein niedriger Tisch. Der Bote näherte sich dem Eingang und wartete, bis seine Augen nicht mehr brannten. Er ging hinein, verbeugte sich und blickte ins runzlige Gesicht des Priesters. »Du bist Merire-Hatchetef, nicht wahr? Man hat mir den Weg beschrieben«, sagte er. »Ich komme von Cha-Osen-Ra, dem Vertrauten des Tatji Ikhernofret.«

Das Licht im unordentlichen Raum war durch Leinenfenster gemildert, und es herrschte mäßige Kühle. Der Priester saß an einer Holzplatte auf Mauersockeln; in zahlreichen Nischen standen und lagen Krüge voller Schreibrollen.

»Ich bin der Tempelschreiber, richtig. Was will Cha-Osen-Ra von mir? Doch nicht etwa einen Rat?«

Merire-Hatchetef winkte Dschai-Anpuhotep näher und kniff die Augen zusammen. Vor ihm standen Wasserkrüglein, ein Becher voller Binsengriffel und gefüllte Tuscheschalen; die Ecken der halb beschriebenen Shafadurolle waren mit Steinwürfelchen beschwert.

»Draußen warten Sklaven«, sagte der Bote leise und schüttelte den Kopf. »Prinzessin Hathor-Iunit und Ikhernofret haben viele Schriftrollen in den Räumen der jungen Halbschwester gefunden.«

»Tama-Hathor-Merit?« Der Priester richtete den Blick aus großen Augen auf Dschai und lächelte. Die Blicke und die Bewegungen der dünnen Finger zeigten, dass der Verstand des Priesters keineswegs so hinfällig war wie der schmale Körper. »Die schöne junge Frau konnte schreiben? Erstaunlich. Weißt du, was sie geschrieben hat?«

Dschai-Anpuhotep zuckte mit den Schultern. Der Brustschmuck klirrte leise. »Ikhernofret und Cha-Osen-Ra bitten dich, die Worte zu lesen. Tamahat, so nannte sie Karidon, hat viel über ihn geschrieben. Die Jahre des Goldhorus sind mit den Fahrten der Bronzehändler schicksalhaft verbunden, sagen Ikhernofret und sein Djadjad. Du füllst viele Rollen über den Großen Chakaura und die guten Jahre des Hapilandes. Vielleicht, sagt Ikhernofret, erhellt die eine oder andere Rolle das Geschehen jener Jahre und macht es den Nachfolgenden besser begreifbar.«

»Sind es viele Rollen?«

»Zwölf solch großer Krüge voll.« Dschai-Anpuhotep deutete auf gemauerte Bänke, überquellende Nischen und Körbe auf dem glänzenden Boden. »Du schreibst selbst, mein Vater?«

»Das meiste. Wenn meine Augen müde werden, hilft mir ein junger Schreiber. Lass die Krüge hereinbringen. Stellt sie dort ab.« Merire wies mit dem Binsengriffel auf eine Steinbank. »Du bist rechtzeitig gekommen. Ihr habt die Shafadurollen früh genug gefunden – noch berichte ich vom Jahr Eins des Goldhorus.«

Dschai-Anpuhotep ging in die Hitze hinaus, winkte den Sklaven und wartete, bis sie den Raum wieder verlassen hatten. Der Priester stemmte sich an der Tischkante hoch und folgte dem Boten auf die Terrasse. Bienen und metallisch leuchtende Fliegen summten in den Weinranken an der Mauer. Das Äffchen hockte auf dem Widderkopf, fraß einen Granatapfel und drehte den Männern das Hinterteil zu.

»Dort hinten, wo Rauch aufsteigt, ist die Küche. Schick einen Sklaven hin; sie sollen kaltes Bier und Wasser und Tücher bringen. Ich danke dir – sag Tatji Ikhernofret, der älter und lederzäher ist als ich, er möge mich besuchen. Wenn es seine kostbare Zeit erlaubt.«

Dschai-Anpuhotep verbeugte sich, legte die Hand auf die Brust; Merire-Hatchetef nickte und verzog die schmalen Lippen. Er sah hinter Dschai her, blickte zum Kanal, zur palmengesäumten Dammstraße und zum neuen Teil des Palasts, dann streckte er sich auf der Liege aus. Er verschränkte die Arme im Nacken und genoss die Hitze, die seine Haut durchdrang und die Knochen wärmte. Nachdem Priesterschüler Wasser, Tücher und Bier gebracht hatten, ging er ins kühle Zimmerchen, blieb unschlüssig vor den wiedergefundenen Binsenmarkrollen stehen und zog, die Schultern zuckend, eine Rolle heraus. Er lehnte sich im knarzenden Stuhl zurück und begann zu lesen; als er den rot geschriebenen Anfang des vierten Kapitelchens erreicht hatte, überzog ein Lächeln ferner Erinnerungen sein Gesicht.

 

ICH, MERIRE-HATCHETEF, Priester des Ptah, Month und der Sachmet zu Itch-Taui, der das Geheime im Tempel und im Palast kennt, bester Schreiber zwischen den Stromschnellen und dem Großen Grünen, bin vom Herrscher berufen worden, alles niederzuschreiben auf sonnengebleichten Shafadurollen, was sich in der langen Zeit zutrug, über deren bronzenen Jahren der glänzende Name des dritten Chakaura strahlt. Chakauras Vater, der nun in der Sonnenbarke segelt, führte mit seinem prächtigen Goldhorus-Namen die beiden Lande der Rômet zu neuer Größe und Macht, wie es seit Ewigkeiten vor ihm nur wenige Gottherrscher vermochten. Ich schreibe selbst mit zwei Fingern:

Nachdem ich nun zurückgekehrt bin in den kühlen, sicheren Schutz des Großen Tempels, habe ich lange zu den Göttern der Schreibkunst gebetet: Thot in seiner Erscheinung als Pavian und Imhotep als Schreiber blicken aus Mauernischen auf mein Tun. Die rote und schwarze Tusche in den Schälchen, fein angerieben und gemischt, enthält in jedem Tröpfchen – wie meine Erinnerungen, Gefühle und Gedanken – Asche und Schweiß, Goldstaub und Sand, Wasser, Bier und Wein; vermischt und blasig gerührt ist sie mit fernen Echos nächtelanger Gespräche. Der Tau der Wehmut und des Lachens schlugen sich in den Schälchen nieder und das Blut vieler Verwundeter und Toter. Vermengt ist die Tusche mit dem Staub vieler Namen, durch Leid und Lächeln geseiht, Wehgeschrei und Worte fremder Sprachen, funkelnd durch Sternenschein und Mondlicht, durchdrungen vom Glanz der Sonne, Rê-Harachtes Gestirn, und sämig gerührt durch das, was ich weiß und woran ich mich erinnere. Ohne Unrast schreibe ich in der Stille meiner Wohnung über Götter, Menschen und Jahre.

 

Merire-Hatchetef fuhr über seinen kahlen Schädel, zog die Rolle behutsam auseinander und trug sie hinaus ins letzte Sonnenlicht. Er hielt sie dicht vor die Augen und las blinzelnd, was Prinzessin Tama-Hathor-Merit geschrieben hatte; er murmelte:

 

»Im milden, weihrauchdurchzogenen Licht deines vierten Jahrzehnts, Priesterschreiber, tut es gut, sich zu erinnern, zu lesen, was die jungen Leute über die wunderbaren Jahre dachten, was sie fühlten. Ach, schönste Tamahat; auch du bist Asche und Staub im Land der Lebenden, und vielleicht begegnet deine Sternenbarke dem Schiff deines Geliebten.« Er kicherte und ließ das rechte Ende des Blattes los. Es drehte sich knisternd nach links zur Rolle zusammen. »Deinem grünäugigen Geliebten meinem Freund, der auch eine gute Handvoll Jahre älter geworden ist.« Das Äffchen kreischte und entleerte wässrigbraunen Darminhalt über die Statue. Merire-Hatchetef senkte den Kopf und murmelte: »O Prinzessin. Es ist schön, was du über ihn schriebst.«

Seine Stimme sank zu einem Murmeln herab, als er weiterlas. »Wenn es wirklich eine Zeit der Wunder werden soll, so ist das Wunder für mich groß und schön. Ein Teil der Macht, die mein göttlicher Bruder mit dem Thronnamen Chakaura in den Händen hält, strömt auch zu mir und durch mich zu anderen Menschen und Dingen. Niemals habe ich einen Mann länger und schärferen Blicks angesehen als den elternlosen Karidon mit den leuchtenden grünen Augen. Er ist schön, obwohl er kein Rômet ist. Stärke, Kraft und Zärtlichkeit sprechen aus jeder Bewegung. Sein Lachen ist der Bruder seiner Kraft. Sein helles braunes Haar ist weich und kurz, seine Wangen glatt und nicht mit struppigen Bart bedeckt wie jene seines polternden Ziehvaters; Klugheit der Rede und Schreibkunst lernte er zusammen mit den Gefährten meines Halbbruders, des Großen Senwosret-Chakaura. Karidon, der mehr fremde Länder und Menschen kennt als wir Rômet, scheint lange zu denken, bevor er spricht, aber seine Küsse und die Erfahrung seiner schlanken Finger erregen mich mehr und tiefer als je ein Mann zuvor. Ich ließ meine Macht sprechen und befahl ihn in den Palast, auf mein Lager; nun zeige ich ihm, was er nie mit anderen Frauen erleben wird. In der Leidenschaft ist er ebenso unermüdlich wie in Stunden des Sturms am Ruder des Schiffes; seine Erzählungen zaubern fremde Inseln in die Langeweile des Palastes und dienen Chakaura dazu, alles über die Feinde jenseits der Grenzen zu erfahren. Wie seine Geschichten, sein Lächeln und der Geruch seines starken Körpers – nach Keftis Sänden, nach dem Schweiß des Schiffes, nach Bilge und langen Nächten auf See, unter den Sternen – füllt sein Begehren, mächtig wie der Apisstier immer und immer wieder mich und meine Nächte aus. Er liebt mich; wenn er von seiner verlorenen, mühsam erstickten Freundschaft erzählt, dunkeln seine Augen wie das Wasser des Großen Grünen im sonnenlosen Sturm: Mein Halbbruder Chakaura, den wir als Jungen Senwosret riefen, ist jener Freund, der nicht Freund sein darf, weil er Gott sein wird. Ich will ihn mit meiner Leidenschaft trösten, den Grünäugigen; mein Herz ist mit Freude gesättigt, wenn wir zusammen sind, es ist wie Wein, seiner Stimme zu lauschen. Ich lebe, weil ich dich und alles, was du aus fremden Ländern berichtest, höre und sehe – was Chakaura nicht darf, ich will und kann es tun; alles.«

 

Fünfzehn große Öllampen standen entlang der Tischkanten. Ihre Flammen brannten ruhig und grell. Merire-Hatchetef schrieb so sorgfältig wie stets im letzten Jahrzehnt.

 

Nicht nur das, was ich sah, erlebte und verstand, schreibe ich selbst mit zwei Fingern, sondern auch manches, was mir von Händlern und Freunden, Kriegern und Kush-Sklaven erzählt wurde. Ich habe ihr Vertrauen. Wie es wirklich war, erfuhr und beurteilte jeder anders. Aber mit mir sprachen sie alle, viel später mit ruhigen Worten, jenseits der heißen Erregung der Geschehnisse, denn je älter der Mensch wird, desto genauer erinnert er sich an die Erlebnisse in seiner Jugend, und desto klarer wird seine Rede. Um mich herum, in Mauernischen meiner Tempelkammer, stehen Tonkrüge voller Shafadurollen; mit weißen, roten, grünen oder blauen Bändern, meist einmal, oft zwei oder drei Mal umwunden; manche noch gesiegelt. Nun erst weiß ich, wie ich die Einteilung zu treffen habe, denn alles hängt zusammen: das neue, starke Metall und dessen Händler, der junge Goldhorus Cheperi, der dritte Chakaura also, und dessen unbeugsamer Wille, das Gold von Punt, Kush und Wawat und das wenige kostbare Erz der Sterne.

Von den Grenzen des Hapilandes schrieben meine Freunde mir Briefe; noch mehr schrieb ich an sie, aber viele Schreiben gingen verloren. Göttliche Gesetze, Machtwille und die Pflicht, Wissen zu sammeln für den Herrscher, jugendliche Kraft und der Drang, reich zu werden an Gold und Einfluss, dies trieb die Männer durch zwei Jahrzehnte; durch Stürme, Kämpfe und Sand- und Wasser-Wüsten. Was ich über die Jahre Eins bis Zwanzig weiß, bis zum größten Triumph des Goldhorus über die elenden Nehesi, weiß ich vor den Freunden und Männern unter seinem Thron; vieles über diese Männer, was sie fühlten und ersehnten, wie sie handelten, was sie umhertrieb, was sie glaubten und wem sie die Treue hielten, weiß ich von ihren Frauen.

 

So beginne ich die Geschichte des Goldhorus, indem ich die seines Freundes Karidon schreibe, der darunter litt, dass Senwosret-Chakaura nicht sein Freund sein durfte, nach dem Willen der Götter; Ptah, Sachmet und Month mögen, wie Thot und Imhotep, mein Tun gnädig betrachten.

 

 

1. Tod am Kap Thirr

 

Dunkelgrün, riesig und mit kochender Gischt gefleckt, rauschte die Woge heran, schlug wie ein Fels gegen das Schiff, riss an den Ruderschäften und prellte die Pinne aus Karidons Fäusten. Das Wasser stieg steuerbords am Heck hoch, bildete eine blasige grüne Wand und brach über Karidon, Jehoumilq und Holx-Amr zusammen. Die Flut, die gegen Hüften und Schultern gischtete, riss die Männer von den Füßen, traf Köpfe und Nacken mit schmerzhaften Schlägen, blendete Karidon und schwemmte über die Planken. Salzwasser biss in den aufgeplatzten Lippen und beim würgenden Atemholen im Rachen. Ehe Karidon den nassen Holzschaft wieder packen konnte, traf ihn der herumwirbelnde Hebel in den Magen. Sein Schrei ging im Heulen des Windes und im Dröhnen des Schiffsrumpfes unter. Die Taue, mit denen er sich festgebunden hatte, schürften die Haut über dem Gürtel auf, die Marter des Salzwassers in den Wunden trieb ihm die Tränen in die Augen. Keuchend holte er Luft.

Jehoumilq und Holx-Amr stemmten sich gegen den Pinnenschaft des Backbordruders. Holx würgte wieder blasigen Schleim hervor, der über sein Kinn lief. Kapitän Jehoumilq zeigte auf den jungen Ruderer, der sich am Mast festklammerte, und brüllte gegen das Mahlen des Nordwinds an:

»Lass los, Rebid! Hinunter mit dir. Die nächste Welle bringt dich um!«

Die Horus der Brandung kämpfte nordöstlich von Kap Thirr gegen Sturm und schweren Seegang. Die blaugrüne Welle, durch die weite Dünungswoge verstärkt, hob das Heck, schüttelte den Rumpf, zerrte und riss an Segel und Mast und schmetterte die bronzeverstärkten Blöcke des Tauwerks klirrend gegeneinander. Der Steuermann würgte und hustete; sein Körper zuckte, aber er ließ die Pinne nicht los und taumelte nur in den Haltetauen. Der Bug der Horus tauchte tief ein, hob sich; weißschäumende Bäche liefen über die hochgezogenen Lukenränder in den Bauch des Schiffes. Rebideka angelte mit der rechten Hand nach einem Tau, das wie eine Peitschenschnur über Deck wirbelte. Jehoumilq drehte den Kopf nach rechts und starrte Karidon an. Obwohl unablässig Gischt, Schauer und Brecher von rechts und links die Männer trafen, schwitzten sie. Jehoumilqs schwarzbehaarter Oberkörper dampfte.

»Das war die erste … Welle«, schrie er und keuchte. »Wenn uns die dritte nicht umbringt, schaffen wir’s bis an irgendeinen verfluchten Strand!«

Vier Stunden zuvor, kurz nach der neunten Stunde, war der Messes aus Nordost über das Meer von Kefti hergefallen. Der kalte Festlandswind türmte riesige Wogen auf, und obwohl die Mannschaft beide Seiten des Segels zur Mitte geklappt und festgezurrt, die Segelfläche um fast zwei Drittel verkleinert hatte, jagte das Schiff ächzend, mit dem Sturm im Heck, durch die Schaumkronen, legte weit nach Steuerbord über, bis die Enden der unteren Rah die Flanken der Wellen furchten. Karidon stand, ebenso wie Holx-Amr, dessen Gesicht fahlgrau war und der sich das Herz aus dem Leibe spie, seit drei Stunden am Ruder. Er sah sich um; der Klumpen der Furcht im Magen wurde größer. Er spreizte die Beine, stemmte sich in die Haltetaue und schrie:

»Achtung! Die zweite Welle! Rebideka …!«

Eine Woge, die von innen heraus zu kochen schien, traf das Schiff, als es endlich den Bug gehoben und sich auf einen Wogenkamm hinaufgequält hatte, in der Mitte des Hecks. Der harte, krachende Schlag erschütterte Deck und Planken. Ein zischender Wasserfall traf die Steuermänner, teilte sich, drückte das Heck unter Wasser, schwemmte an den Seiten der Bordwand zum Mast und flutete gischtend zurück. Plötzliche Helligkeit blendete ihn, schien Jehoumilqs Worte Lügen zu strafen: In den grauen, tiefhängenden Wolken hatte sich ein gezackter Spalt gebildet.

Eine breite Bahn Sonnenlicht schob sich über das Meer und zeigte eine glitzernde Fläche scheinbar niedriger Wellen, von denen der Sturm Schaum und Tropfen waagrecht wegriss; eine endlose Reihe graugrüner Kämme und messerscharfer Kanten, die, wenn Karidon blinzelte, grau wie gemeißelter Schiefer aussahen, mit Lichtfunken auf den Gischtkämmen. Die Pausen zwischen den Brechern, dem schauerlichen Ächzen und Knirschen der Planken und den kalten Wassergüssen waren so kurz, dass jedes Denken unmöglich war.

Der winselnde Messes brachte eisige Luft mit sich; der sonnenhelle Fleck auf dem Meer huschte von Nordost nach Südwest und zeigte, zwei oder drei Atemzüge lang, die Klippen vor Kap Thirr, einen Teil der Inselküste und rechts neben dem Bug die drei Inseln; gischtende Brandung schien Karq, Mynder und Shorph zu verschlingen. Das freundliche Sonnenlicht und die Hoffnungen auf das Abklingen des Sturms nördlich des Kaps erloschen im selben Atemzug; eine steile, fast schwarze Wellenwand raste mit überhängender Spitze heran, als die Horus fast waagrecht durch zischende und prasselnde Wellenkämme schnitt.

»Cabul!« Jehoumilqs heisere Stimme hallte übers Deck, als im Zischen und Jaulen des Sturms eine trügerische Pause eintrat. »Die dritte Welle! Schöpft, Männer! Das Wasser muss aus dem Schiff! Bet zu deinen Göttern, Nedji! Jetzt bringt uns dieses Hurenmeer um …«

Plötzlich fiel Dunkelheit über das Schiff. Das ohrenbetäubende Heulen schnitt jedes Wort ab und erstickte mit lähmender Furcht jeden Gedanken. Wieder versuchte Karidon sich an der Pinne festzuhalten, stemmte die Fußsohlen auf die Planken und lehnte sich in den Haltetauen zurück. Die Horus hob ihre vordere Hälfte aus dem Wasser und schien schneller zu werden. Karidon blickte kurz über die Schulter, duckte sich und schloss die Augen, als die Todeswoge nur noch vier Schritt vom Heck entfernt war. Ihr oberer Teil fegte waagrecht mit vernichtender Wucht vom Heck zum Bug, riss einen Teil der geschnitzten Lotosblüte im Rücken der drei Steuermänner ab und schmetterte ihn gegen Jehoumilqs Schulter. Der Kapitän schrie und fluchte, schüttelte sich und richtete sich wieder auf. Der Wogenkamm gischtete an den Seiten des Rumpfes hoch, beide Wasserwände berührten sich in der Höhe des Mastes, und die Woge lief unter dem Schiff hindurch und hob den langen Rumpf einige Atemzüge lang über Wellen und Gischt, riss, schlug und rüttelte am Bug und ließ die Horus ins Wellental fallen. Karidon knickte in den Knien ein, seine Hände glitten von der Pinne ab, er fiel nach vorn. Das nasse Holz schlug in seine Achseln; er schrie auf. Der Hieb gegen seine Brust hatte ihm den Atem aus den Lungen gepresst; er röchelte, taumelte und stemmte sich, ohne zu denken und zu fühlen, wieder in die Höhe.

»Sie … hat … uns … nicht … umgebracht«, brüllte Jehoumilq. »Mehr nach Backbord, Kari!«

Karidon blickte nach links. Das Gemisch aus Schweiß und Salzwasser rann durch die Brauen in seine Augen. Holx spie noch immer; seltsamerweise stand er aufrechter als der Kapitän und zog an der Ruderpinne. Die Besatzung im Kielraum schöpfte seit zwei, drei Stunden ununterbrochen; dennoch lag die Horus viel zu tief im Wasser. Karidon holte tief Luft. Als er sich umdrehte, glaubte er zu sehen, dass sich das Meer ein wenig beruhigt hatte. Er misstraute, obwohl er nur noch auf ein Ende des mörderischen Seeganges hoffte, dieser Änderung und sah einige Augenblicke lang nach rechts und links Wassergüsse aus den Luken über die Bordwände spritzen.

»Sei verflucht, Großes Grünes.« Holx-Amr hatte seine Stimme halbwegs wiedergefunden. Er röchelte und wischte sich Speichel und Schleim vom Kinn. »Mir ist so übel wie noch nie. Bei Ptah und Month! Warum muss ich das Schiff von diesem wahnsinnigen Jehoumilq steuern?«

»Weil du nichts Besseres kannst, du kotzende Landmaus.« Jehoumilq schien nicht an die Gefahren zu denken. »Und weil du uns nach Kefti bringen willst.«

Ein gischtender Hagel beendete Jehoumilqs Gebrüll. Karidon schwankte; ihm war schlecht. Schmerz tobte unter der Schädeldecke. Seine Lippen schmerzten, der Mund war ausgedörrt, die Augen tränten unaufhörlich. Er ahnte die Klippen, Untiefen und die schrundigen Felswände westlich des Kaps bis zum Strand und glaubte, unter seinen Sohlen zu fühlen, wie Strömung und Sturm das lecke Schiff zur Küste trieben, obwohl er sich ebenso wie Holx und Jehoumilq gegen den Druck des Doppelruders stemmte. Das triefende Segel war seit vier Stunden unverändert prall, der Messes peitschte das Schiff vorwärts, die Höhe der Wellen hatte kaum abgenommen, aber noch war kein Tau gerissen. Ein Omen? Obwohl er sicher war, dass die Horus mitsamt ihrer dreizehnköpfigen Mannschaft niemals die Bucht von Mulal erreichen würde, obwohl er mit anderen Schiffen zwischen der Hapimündung, Gubla und Kefti gesegelt war, ahnte er, dass diese Fahrt im Schiffbruch endete. Das Ausbleiben der Folge mörderischer Wellen und Grundseen in Ufernähe war trügerisch; selbst wenn der Messes nachließ, sogen Wellen und Strömung das Schiff aus Men-nefer, dessen Planken nur zusammengeknotet waren, auf die Felsen zu.

Das Sturmgeheul schien tatsächlich leiser geworden zu sein, denn Karidon hörte das keuchende Würgen des Steuermannes ebenso deutlich wie Jehoumilqs Flüche. Die Krämpfe in seinen Schultern und Oberarmen ließen nach, die Muskeln begannen zu schmerzen. Ununterbrochen schöpfte die Mannschaft Wasser aus der Bilge. Ein gespenstischer Vorgang: Karidon sah gelegentlich einen Kopf oder die Schultern und hoffte, dass die Männer, die zwischen den Planken und Spanten inmitten der Ladung ohne Halt umhergeschleudert wurden, genügend Wasser aus dem Schiff hinausschöpften; es war zu viel, sie würden es nicht schaffen. Karidon war sicher: Die Horus der Brandung ging unter, weit vor der Bucht von Mulal.

»Das Schlimmste ist vorüber«, brüllte Jehoumilq. »Wir schaffen’s noch bis zum Ufer.«

»Vielleicht in Stücken, und wenn wir schwimmen«, schrie jemand aus dem Kielraum. Karidon und Holx-Amr zuckten zusammen, als vom Bug her fast gleichzeitig Knarren und helles Plätschern erklangen. Sie brauchten sich weder mit Worten noch mit entsetzten Blicken zu verständigen. Sie wussten: zwischen den Planken drang Wasser ein. Karidon holte tief Luft und hob den Kopf. Über dem Meer war es ein wenig heller geworden; von Westen brachen durch Wolkenlöcher rötliche Lichtstrahlen über die gezackten Uferhänge und flirrten über die Schaumkämme. Der Sturm hatte die Horus südlich der drei Felseilande vorbeigedrängt. Hinter tief treibendem Uferdunst verbargen sich die steilen Küstenabschnitte ebenso wie die Buchten von Gnos und die Gebirge des Inselinneren.

Idris stemmte sich aus der Luke und kippte einen Ledereimer Wasser über die Bordwand. Er klammerte sich neben Rebideka am Handlauf an und stierte erschöpft Karidon an.

»Da unten schwimmt alles. Lange machen wir’s nicht mehr, Kapitän.«

Jehoumilq blickte ins Leere. Er schien zu rechnen und zu planen. Er nahm eine Hand von der Pinne und wischte über sein Gesicht. Langsam drehte er den Kopf, blickte nach Westen, blinzelte in die grauen Wolken, die über den Himmel jagten, und spuckte röchelnd aus.

»Der Hurenmesses ist vorbei.« Der Kapitän schnäuzte sich und schleuderte den Auswurf über Bord. Larreto kam an Deck und blickte sich um, als sähe er zum ersten Mal ein Schiff. Jehoumilq schrie: »Schaffen wir’s noch bis an Land? Wie sieht’s unten aus?«

»Nach Schiffsuntergang, Jehou!«, rief Larreto. »Wir machen’s nicht mehr lange.«

Unentwegt schöpften die Männer und schütteten den Inhalt der Gefäße über Bord. Die Geräusche der Wellen, des Windes und des Schiffes waren so misstönend und laut, dass die Ruderer sich nur schreiend unterhalten konnten. Auf den Zedernplanken zeichneten sich weiße Muster schlangenförmig ablaufenden Wassers ab. Jehoumilq drehte sich so weit herum, wie es die Knoten in den Haltetauen erlaubten, starrte schweigend auf das Meer hinter dem Heck und rammte Holx-Amr den Ellbogen in die Seite. Der Steuermann nickte. Jehoumilq löste leise fluchend die wulstigen Knoten der Tauschlingen, die sich wegen der ruckhaften Belastungen und der Nässe nur schwer öffnen ließen, hielt sich am zersplitterten Heckzierrat fest und wischte mit dem Handballen das Wasser aus den Augen.

»Schlagt das Segel auseinander!« Er kratzte sich zwischen den Beinen. »Die anderen, in der Bilge, versuchen, mehr Wasser aus dem Schiff zu schöpfen. Ich bring die Horus an den nächsten Strand. Los! Wir müssen den Wind ausnutzen. Verfluchter Neumondsturm!«

Holx-Amr, der die Backbordpinne handhabte, hatte aufgehört, sich zu erbrechen. Sein Gesicht rötete sich. Er schwankte, an die Pinne geklammert, und schien, während er steuerte, langsam einzuschlafen. Er war völlig erschöpft und riss immer wieder den Kopf in den Nacken. Jehoumilq tappte auf Rebideka zu.

»Sechs Mann zum Mast!«, rief er. »Karidon! Hilf ihnen. Bevor dieses Floß auseinanderbricht, müssen wir am Ufer sein. Wir haben ein ptahverdammtes Vermögen an Bord. Mein Vermögen, und deines, Kari!«

Saigoos, Ptah-Netjerimaat, Jehoumilq und Mlaisso, der Riese aus Kush, schwankten entlang der Bordwände in die Richtung des Mastes, bemühten sich, die Knoten an den Säumen des Segels aufzuziehen, und Rebideka kletterte vorsichtig zur oberen Rah hinauf. Der durch die Nässe starre Stoff des Segels wurde mit aller Kraft auseinandergezerrt. Karidon und Holx warteten auf eine ruhig schwingende Dünungswoge und lenkten das vollgeschlagene Schiff, das den Rudern kaum gehorchte, aus dem Wind. Die glitschigen Flechtschnüre wurden um die Enden der Zedernholzrahen gewickelt und festgeknotet; als das breite Rahsegel in ganzer Breite ausgespannt war und in nassen Falten hin und her schwang, brachten die Steuermänner die Horus wieder in den Wind. Fluchend schöpfte die andere Hälfte der Mannschaft; ein großer Teil der Ladung schwamm unterhalb der Decksplanken.

Die Horus wurde schneller. Der Himmel leerte sich; die Wolken lösten sich auf, und jede weitere Bö vertrieb die Kälte des Messes. Weißschäumende Brandung wurde deutlicher, ebenso schräg ansteigende Felsen, helle, von Schatten zerrissene Hänge und, zwischen säulenartigen Ecken, kleine Sandstrände. Jetzt halfen Wind und Strömung, schoben das Schiff neben den Riffen in jene Richtung, von der sich die Seefahrer Rettung versprachen. Jehoumilq schwankte zum Bug, beugte sich weit vor und starrte die Ufer an. Er drehte sich um, hob die Arme und brüllte:

»Karidon! Halt auf die fünf Zedern zu.«

»Ich kann sie sehen, Kapitän!« Vor drei Jahren hatte Karidon an diesem Strand gebadet. Er erinnerte sich an die halbmondförmige Fläche, zu der man lange und mühsam hinabsteigen musste. Wenn es ihnen gelang, das Schiff dort auf Sand zu setzen, war die Ladung gerettet; die Mannschaft schöpfte mit verdoppeltem Eifer. Der Kapitän wuchtete zwei Lukenplatten in die Höhe, ließ sich in den Laderaum fallen und packte einen ledernen Eimer, der zwischen Krügen und Ballen schwamm. Seine Stimme klang hohl, als er die Mannschaft anfeuerte. Holx-Amrs Augen waren gerötet, als ob sie bluteten, die Haut des Gesichts geschwollen; er spuckte auf Deck und sagte stockend:

»Ich bin halbtot. Vor lauter Angst kann ich nicht mal pissen. Wie gehen wir’s an, dort am Strand?«

Karidon hatte zugesehen und mitgeholfen, wie das achtundvierzig Ellen lange Flussschiff abgedichtet, wie die Planken gegeneinander verzurrt worden waren. Schiffe, die nur den Hapistrom aufwärts und abwärts fuhren, taugten nicht für das Nördliche Meer. Er brauchte sich nicht vorzustellen, wie es unter der Wasserlinie aussah: er wusste es. Die Horus war nur noch für eine Fahrt von Kefti nach Men-nefer zu gebrauchen, bei spiegelglattem Meer und nach einer gründlichen Überholung in Mnis, Mulal oder Arni. Er zuckte mit den Schultern und hob den Arm. »Mit der größten Uferwelle einfach auf den Strand, Holx. Die Pinnen loslassen. Und kurz vorher die Rahleinen durchhacken. Chet, Ka und Ib der Horus, ihr Körper, die Lebenskraft und das Herz sind restlos dahin.«

»Das gilt auch für mein Ka und Ib. Einverstanden. Runter von der Rah, Rebideka!«

Karidon duckte sich, spähte unter der Rah und seitlich des Bugs zum Strand und visierte die Zedern an. Windschliff hatte ihre Kronen verformt; die Bäume sahen aus wie seltsame Pfahlbauten mit schrägem, grünem Dach.

Das Schiff füllte sich trotz der Schöpfarbeit immer mehr mit Wasser. Unter einer Felswand und deren gezackter Oberkante, die sich scharf gegen den Abendhimmel abhob, sah Karidon den hellen Strand und den Wall des Treibguts. Der Sturm hatte Algenblätter und Holz zwischen heruntergebrochene Felstrümmer geworfen.

Karidon schätzte die Zeit, die ihnen noch blieb, und sagte leise: »Halt. Noch nicht losschneiden. Es gibt einen furchtbaren Ruck, Holx.«

»Weiß ich längst. Ich will nur die Knoten lockern.«

Karidon holte tief Luft. Ihn schwindelte, bunte Muster wirbelten vor den Augen. Er schrie: »Jehou! Kapitän! Noch hundert Atemzüge! Hört auf zu schöpfen, haltet euch fest.«

»Ich hab’s verstanden, Söhnchen. Runter vom Mast, Rebideka!«

Unter Deck klapperten losgerissene Krüge. Wasser plätscherte, die Männer fluchten, ein Ruderer schrie schmerzerfüllt auf, dann schien jeder etwas gefunden zu haben, an dem er sich festhalten konnte. Karidon zog die bronzene Doppelaxt aus der Halterung an der Bordwand und sah, dass Holx sein Beil schon in der Hand hielt. Beide starrten die Wellen an, drehten die Köpfe und warteten auf den Kamm einer auslaufenden Dünungswoge. Ein paar Herzschläge lang war das Wasser trügerisch ruhig, dann toste eine Grundwelle aufwärts, hob und schüttelte das Schiff, der Mast knirschte, und Rebideka verlor den Halt. Er rutschte von der unteren Rah, kippte nach rechts und packte ein Tau.

Wasser füllte Karidons Ohren; er sah nur den Schrecken in Rebidekas Gesicht, den weit aufgerissenen Mund, die entsetzten Augen, als das Tau aus seiner Hand glitt und er schwer auf die Planken schlug. Die Welle ließ seinen Körper kreiseln, er kam schwankend auf die Füße und prallte mit dem Rücken gegen die Bordwand. Karidon glaubte das Knacken der Knochen spüren zu können. Quälend langsam, wie es schien, langte ein Dreieck aus Wasser herauf, in einem verirrten Sonnenstrahl jadegrün leuchtend, bedeckte Kopf und Schultern Rebidekas und riss ihn über Bord. Wassertröpfchen und Luftblasen bildeten einen Wirbel im Sog hinter dem Segel, der Körper prallte zwischen zwei Klippen, die Arme und Beine schlenkerten, und Blut breitete sich im Wasser aus. Zweimal glaubte Karidon, der sich so weit über Bord beugte, wie es die Taue zuließen, in Strudeln und Wellenflanken braune Haut zu entdecken, aber Wellen und Strömung sogen den Körper in die Tiefe. Die Kraft des Sturms brach, wenn ein Menschenopfer dargebracht wurde; jeder Seemann wusste es. Jehoumilq hatte Karidon die Ausgeburt schwarzer Dämonenfurcht ungebildeter Ruderer ausgeredet.

Das Heck hob sich im Wellental, dann der Bug, und als der vollgeschlagene Schiffskörper träge vom Wellenkamm hochgestemmt wurde, schrie Karidon: »Jetzt!«

Die Beile fuhren fast gleichzeitig herunter und trafen die dicken Rahtaue, die sich schräg zur Oberkante der Bordwand spannten. Karidon musste zweimal zuschlagen; die Taue schnellten in Schleifen und Kreisen durch die Luft, versprühten Tropfen und hämmerten ins Segel, das breite Falten schlug. Die Welle brach sich kurz vor dem Strand, und die Horus wurde fünfzehn, zwanzig Schritte weit auf den Sand geschmettert, rutschte knirschend und mit krachendem Kiel über Geröll und Treibholz.

Am Bug wölbte sich das Deck, noch ehe der Schiffskörper zur Ruhe gekommen war und anfing, sich schwer zur Seite zu legen. Die Enden der Steuerruder kippten in die Höhe, die Pinnen krachten auf die Heckplanken, Karidon und Holx-Amr wurden nach vorn geschleudert. Der Mast schwankte wild, das Deck brach und spie eine Masse graues Wasser zwischen den Planken aus. Gleichzeitig bogen sich Planken splitternd nach außen; ein Gemenge aus Wasser und Teilen der Ladung wurde aus den Seiten des Wracks gespült. Die Dünungswoge flutete zurück, rüttelte an der Horus und zerrte Krüge, Truhen und Lederhäute mit sich. Karidon hackte das Haltetau durch, richtete sich auf und löste die Schlingen um seine Hüften. Ein handbreiter Streifen Haut rund um seinen Körper begann zu bluten.

»Hier sind wir, Kefti«, murmelte Karidon. »In Stücken, aber lebend.«

Kapitän Jehoumilq war als erster an Deck und schrie: »Sucht nach Rebideka! Eine letzte Anstrengung, Männer! Sammelt die verfluchte Ladung zusammen!« Er sprang in den Sand und blieb liegen; die Erleichterung lahmte ihn fast. Karidon fühlte nur einen stechenden Augenblick lang Trauer über den Tod des Ruderers; seine Finger und Knie begannen zu schlottern. Er machte zwei Schritte, fiel halb über die Bordwand und schloss die Augen. Die Stille dröhnte und summte in seinen Ohren; er zwang sich, die Schmerzen zu unterdrücken und ruhig zu atmen. Er vergaß, nachdem sich das Schiff langsam, mit schrecklichem Geräusch nach Steuerbord neigte und sich dabei splitternd verformte, eine Zeitlang seine Umgebung. Jemand berührte seine Schulter; er richtete sich auf und blickte in das braune Gesicht des Freundes. Was hätten sie tun können, um den jungen Ruderer aus Gubla zu retten? Ptah-Netjerimaat hielt einen Krug in den Händen. Seine Finger zitterten, er setzte zweimal zum Sprechen an.

»Bier, Kari. Trink. Der alte Meeresgott hat uns geholfen. Das Große Grüne hat uns vernichten wollen, wie den Jungen, nicht wahr?«

»Rebideka hat’s umgebracht. Er war schon halb tot, ehe er über Bord gerissen wurde.«

Karidon trank in kleinen Schlucken das bittere Bier mitsamt den Schrotkörnern. Er spülte den Mund aus, spuckte in den Sand und traf Idris, der schwere Henkelkrüge aufs Trockene zerrte. Er merkte es nicht. Karidon leerte den Krug zur Hälfte und hörte, während im Takt des Herzschlags sich die Schmerzen über seinen Körper ausbreiteten, die raue Stimme Jehoumilqs.

»Die Riffe haben ihm das Genick gebrochen. Früher hätt ich gesagt: das Wasser muss aus dem Schiff.« Die Stimme klang ungewohnt; als wäre der Kapitän nahe daran, zu weinen. »Jetzt sag ich: der Rest der Horus muss aus dem Wasser. Bringst du noch ein Feuer zuwege, Hesqe?«

»Ich versuch’s«, rief Hesqemari vom Heck, bis zu den Knien im Wasser, in dem Krüge und Binsenblätterballen schwammen. »Von der Glut ist nichts mehr da. Alles ersoffen.«

Holx-Amr war im Winkel zwischen Deck und Heckwand zusammengesackt und lehnte daran, als wären Arme und Beine gebrochen. Ptah und Karidon schleppten sich hinüber und halfen; Karidon setzte den Krug an Holx’ Mund. Der Steuermann öffnete die Augen, trank gierig und verschluckte sich. Er hustete, holte keuchend Luft und packte den Krug. Bier lief aus den Mundwinkeln auf seine Oberschenkel.

»Ich bin tot«, murmelte er. »Ich hab’s bloß noch nicht gemerkt. Habt ihr Rebid gefunden?«

Er hielt den Krug an die Brust gepresst und starrte seine Zehen an. Ptah-Netjerimaat und Karidon rutschten über das schräge Deck und kletterten in den Sand hinunter. Aus einem vier Ellen langen Loch reichten Sagarqa und Mlaisso Teile der Ladung hinaus. Bis zum obersten, trockenen Teil des Strandes hatte sich eine Kette gebildet; Krüge, Ballen, Kästen und triefende Ledersäcke gingen von Hand zu Hand. Ptah und Karidon halfen, treibende Krüge aufzufischen und in Sicherheit zu bringen. Die Bordwände der Horus waren unter der Wasserlinie nur noch ein Gitter aus Planken und Fugen unterschiedlicher Breite. An drei Stellen waren große Löcher aufgebrochen; überall sah man zerrissene Schnüre der Befestigung, losgerissene, erdpechgetränkte Leinenstreifen und Spreißel, die der Koch fürs Feuer einsammelte. Auf dem Meer spiegelte rötliches Sonnenlicht. Kadran kletterte vom Felsen herunter und rief:

»Ich hab nichts von Rebid sehen können.«

Die Bucht lag schon im tiefen Schatten. Hinter dem zusammengedrehten Wall des Treibguts versuchte Hesqemari Feuer zu machen. Karidon fühlte, während er Krüge durch den Sand zerrte, wie jeder Muskel, die Kopfhaut unter den salzverkrusteten Haaren, zahllose Beulen, Schnitte, Abschürfungen und Risse schmerzten. Abwechselnd schwitzte und fror er. Jehoumilq stapfte hin und her, tauchte hinter dem Heck auf die andere Seite und schleuderte zwei Taubündel und einen Sack über die Treibholzbarriere.

»Cabul!« Er spuckte aus. »Widerwärtig! Ekelhaft!«

Graue Rauchwölkchen zogen aus dem Inneren eines Kegels aus feuchtem Holz in die Höhe. Erdpechtropfen schmorten summend.

»So. Es hat wohl wenig Sinn, jetzt loszugehen und Hilfe zu suchen.« Der Kapitän stemmte die Fäuste in die Seiten und blickte zum Wrack. »Wir leben; wahrscheinlich ist nicht die ganze Ladung ruiniert. Der arme Rebideka. Ich hab’s ihm ein Dutzend Mal gesagt.«

»Sehen wir zu«, sagte Holx-Amr und ließ die Äxte vor Karidons Zehen in den Sand fallen, »dass wir essen und schlafen. Dein Entschluss, Kapitän, ein neues Schiff bauen zu lassen, steht wohl endgültig fest?«

»Bei allen Göttern, die uns vernichten wollten, und bei den wenigen, die uns geholfen haben – mein erster Gang in Gubla führt uns zu Mulkar und Sibon.« Jehoumilq sah zum Feuer. Kleine Flammen leckten am salzigen Treibholz hoch. »Obwohl ich nicht weiß, wie ich’s bezahlen kann. Hapischiffe! Gut zum Rudern auf dem Strom. Ich hab’s tausendmal gesagt. Aber auf den dicken Jehoumilq hört ja keiner von euch Rômet!«

Er starrte Ptah und Hesqemari anklagend an. Beide zuckten mit den Schultern. Holx ließ den leeren Krug fallen, stolperte zur Felswand und stützte sich mit der Hand ab, während er sein Wasser abschlug und erleichtert stöhnte. Karidon nickte Ptah zu, und nach einer Weile hatte er zwischen wenigen festgezurrten Wasserkrügen, Leinenballen, aus denen Seewasser rann, und losgerissenen Kupferbarren den großen Lederbeutel gefunden, der seine Habseligkeiten enthielt. Er zwang sich, trotz der Schmerzen und der Erschöpfung, den Verschluss aus dem Krug zu ziehen und Wasser in einen Kupferkessel zu schöpfen. Saigoos schleppte einen zweiten Kessel zum Feuer, und Larreto kramte nach Essens Vorräten. Kadran zerhackte mit Karidons Doppelaxt armdicke Treibholzäste.

Im Licht der rußenden Flammen wusch sich Karidon, verteilte Öl auf der Haut und hängte die Tücher, nachdem er sie in Süßwasser eingeweicht und ausgewrungen hatte, auf die Enden der Treibholzäste. Erschöpft hockte die Mannschaft auf Truhen, im Sand oder auf Felsblöcken, starrte in die Flammen oder zum Wrack, selbst Jehoumilq saß schweigend da; er schien zu schlafen. Der Himmel, vom Sturm leergefegt, zeigte Sterne und Mond im kühlen, klaren Leuchten. Erst als Becher klapperten und der Geruch des Kräutersuds, mit Honig gesüßt und mit Wein gemischt, zusammen mit Rauch und Funken an der Felswand hochwirbelte, kam Leben in die junge Mannschaft. Ptah schleppte den nächsten Kochkessel voll Wasser vom Wrack.

»Für die Suppe, Hesqe. Und dann reichlich heißes Wasser für Schurze und Tücher.«

Es gab kein trockenes Stück Stoff. Flüchtig wusch sich ein Mann nach dem anderen, leerte seinen Becher, ging zum Wrack und starrte die geborstenen Planken an; schließlich stolperte Idris zum Ende des Strandes, schaufelte mit den Händen flache Mulden in den Sand und streckte sich auf der feuchten Decke aus.

 

Karidon ließ Öl in seine Handfläche tropfen und massierte es vorsichtig zwischen die Zehen und auf Schienbeine und Knie. Zwischen den dürren Gewächsen des Felshanges lärmten Zikaden durch die Nacht; ganz schwach war das Plätschern der Quelle zu hören. Die Männer schliefen, nur Jehoumilq und Ptah-Netjerimaat saßen am Feuer, das zu einem schwärzlichen Gluthaufen heruntergebrannt war.

»Die zweite Hälfte in diesem seltsamen Jahr des Umschwunges hat schlecht angefangen.« Der Kapitän füllte die Becher mit Gubla-Wein und sah zum Schiffsbug, der im roten Licht wie eine riesige Bronzeklinge schimmerte. Jehoumilq schien Enttäuschung und Zorn zu unterdrücken; er sprach leise. »Der alte Senwosret oder Sashemu-Taui – für mich ist er der große alte Kupfermann – wird bald in die Chons-Barke steigen. Vermutlich ist wirklich sein Sohn der nächste Herrscher in Itch-Taui. Niemand kennt ihn – außer Karidon –, niemand weiß, was er vorhat, was er ändern will.« Er ächzte. »Die vielen Gaufürsten: einer schlimmer und machtgieriger als der andere. Bis auf den guten alten Parennefer und noch ein paar andere. Die Bronze ist auf Alashia schon wieder teurer geworden. Vom wenigen Anna-Metall ganz zu schweigen. Wenn die Leute in Arni die Horus zusammenflicken, wenn wir ein neues Schiff bestellten – nachher müssen wir betteln gehen, Freunde.«

»Ganz so schlimm wird’s wohl nicht, Käpten.« Karidon nippte am Wein. »Der zweite Senwosret, unser Bronzemann, hat uns bisher reich entlohnt. Wir haben heute nicht mal einen Metallbarren verloren.«

»Ich glaube an die Macht meiner Götter«, sagte Ptah. »Abergläubisch bin ich nicht. Aber dass die Horus einen solchen Sturm nicht übersteht, hat jeder gewusst.«

»Ich hab nicht davon gesprochen, dass wir verhungern müssen. Gehst du morgen nach Arni, Hilfe holen? Mit wem?«

»Wahrscheinlich mit mir. Ich schwör euch, dass es uns in einem halben Jahr besser gehen wird als vorher.« Ptahs schmaler Kopf schob sich in den Bereich des flackernden Lichtscheins. Schweiß färbte sein kurzes Haar schwarz. »Weil, das weiß in Men-nefer fast jeder, die Götter den dritten Chakaura im Per-Ao sehen wollen, im Großen Haus. Wir kennen den Hapistrom bis zur Stromschnelle; uns kann er ebenso vertrauen, wie’s sein Vater tat. Wenn wir nicht am Handel reich werden, Jehou, dann als Vertraute des Chakaura.«

»Sein Vater Senwosret schwor in unserer Gegenwart, dass sein Land unabhängig werden soll vom fremden Silber, Gold, Kupfer und Nechoschet-Metall. Bei Gold, Kupfer und Silber hat er es beinahe geschafft gehabt.« Karidon ließ Sand durch die Finger rieseln. »Wahrscheinlich ändert sich für uns Händler nichts. Ihr werdet vier Tage oder länger warten müssen, Jehou.«

»Wenn ihr überhaupt ein Schiff in Arni findet.« Jehoumilq gähnte. »Ihr braucht drei Tage, bis ihr dort seid. Was diese habgierigen Handelskapitäne für unsere Rettung verlangen werden – es macht uns arm, Kari.«

»Besser bettelarm als ertrunken.« Karidon leerte seinen Becher und stand mühsam auf. »Denk an den armen Rebideka.«

»Der hat keine Sorgen mehr mit Gold oder Bronze.«

Er legte sich in den trockenen Sand. Als er spät nach Mitternacht fröstelnd aufwachte, schob er ein paar Kloben in die Glut, holte seinen feuchten Mantel, der modrig roch, und wickelte ihn um sich.

 

 

2. Itch-Taui im Frühling

 

Der neue Herrscher genoss das Ende der ruhigen Stunde und öffnete träge die Augen: Sonnenglast schien das Land rings um die Stadt zu schmelzen. Aus der Weite der auftrocknenden Weiden und Felder waberte heiße Luft aufwärts und ließ Dattelpalmen, Tamarisken, Schilf und Binsen schwanken, als wehe der Vorbote eines Fünfzigstundensturms. Aus dem Garten des Frauenhauses kam Musik; Rasseln, Harfen und Doppelflöten. Handtrommeln zwängten die zerfasernden Klänge in kurze Takte. Tausende Rômet warteten nach der Rückkehr von den Begräbniszeremonien noch immer in den Häusern zwischen Stichkanälen und großen Teichen mit weißen Steinrändern, in denen Lotosblüten und blaue Seerosen schwammen. Viele Menschen, die Itch-Taui, die Stadt Gottkönig Amenenhets abseits der sumpfigen Scha-Resi-Seeoase, zum ersten Mal besucht hatten, saßen im gesprenkelten Schatten großer Rizinusstauden, Granatapfelbäumen und Palmen. Viele hofften auf eine Zeitenwende im Hapiland, und nicht wenige glaubten fest an die Entschlossenheit des Thronfolgers. Dutzende Barken und Schiffe hatten an den Kanalkanten festgemacht. Noch roch die Luft nach der Asche von Opferfeuern. Die ersten Gruppen hatten Itch-Taui schon verlassen; überall wehten farbige Tücher von den Masten der Tempelfassaden. Über hellgrünen Schösslingen des Überschwemmungsgebiets schwirrten Fliegenschwärme, Wolken tanzender Mücken, Libellen und kleine Vögel. Ein Zug Soldaten, die Sokar-Nachtmin zusammengerufen hatte, marschierte zu den Wohnstätten am Lagerhaus; in ihrem Gleichschritt knirschte der Sand. Über dem Schilf kreiste ein Taubenschwarm. Tausend Hütten und weiße Vierecke von Sonnensegeln bildeten einen Ring um die hellbraunen Mauern. Hinter dem Palmenhain glitzerte das reglose Wasser des Kanals zum Mu-Wer-See.

Chakaura hockte, die Arme um die Knie geschlungen, auf dem Palastdach im schattigen Winkel zweier Mauern, deren Oberfläche Schultern und Rücken kühlten. Der dumpfe Gesang der Priester schien die Palastmauern zu erschüttern. Vater Senwosret, der zweite Träger dieses Königsnamens, hatte den Aufgang des Atumgestirns nicht mehr erlebt; im Sternenlicht, vor sieben Siebentagen, hatten Ba und Ka den Chet-Körper verlassen. Chakaura stützte sich auf die Brüstung und sagte leise, als spräche er zu einem lebenden Wesen, nicht zum Steinabbild des Vaters: »Seit Jahren habe ich mich darauf vorbereitet. Tausend Schritte sind zu gehen, einer nach dem anderen. Zehn Schritte sind erst geplant; auch Geduld ist ein Teil der Maat, der göttlichen Weltordnung.«

Chakaura schob das gefaltete Kopftuch zurück, stand auf und blickte über die Kante der Brüstung in die Richtung des Sonnenunterganges. Der alte Löwe im Palastgarten brüllte zweimal. In der Halle warteten die Vertrauten auf seine Entscheidungen, die das Land im Lauf vieler Jahre verändern würden. Er war der mächtigste Mann des Landes. Ihm gehorchte man, weil es göttliches Gesetz war; sein gehauchtes Wort war Befehl. Die Thronfolge hatte ihn über jeden Sterblichen weit hinausgehoben.

Ein Sandalenträger hastete die Treppe herauf, warf sich auf die Knie und sagte: »Geliebter des Horus. Herr Ikhernofret schickt mich. Alle mächtigen Männer, die du gerufen hast, sind versammelt.«

»Sie sollen in der weißen Halle meines Vaters warten. Ich bin gleich bei ihnen.«

Der Diener berührte den Boden mit der Stirn und lief treppab. Chakaura blieb auf der obersten Stufe stehen und streckte seinen Rücken. Alle Menschen Kêmets und Deshrets richteten ihre Augen auf ihn, für den eine Zeit leichten Lebens ohne Verantwortung endete. Keine Jagden im Schilf mehr. Freunde? – sie waren Ameisen und Cheperkäfer vor seinen Zehen. Keine trunkenen Gespräche unter Männern, mit denen er Lesen und Schreiben gelernt hatte. Mutter, Schwestern, Frauen, Dienerinnen, Sklaven und titelsüchtige Würdenträger lauerten im Palast, jeden seiner Schritte beobachtend. Zwei Dutzend mächtige Gegner hockten in den Gauen entlang des Stroms. Der grünäugige Fremde, der ihn aus dem Schlammwasser gezogen hatte, der Junge, mit dem er im Binsenboot gejagt und ihn den Gebrauch des Bogens gelehrt hatte? Er schüttelte den Kopf, lächelte und ging hinunter in den Palast, in dem es wie in einem Bienenkorb summte.

Das Land Tameri wartete auf seine Entscheidungen. Je mehr Menschen ihm gehorchten – eigentlich musste ihm jeder Rômet gehorchen –, desto einsamer wurde er. Vor vier Jahren hatte er zum ersten Mal zu verstehen begonnen, woran das Land krankte. Er wusste, was zu tun war: eintausend entschiedene Schritte waren zu gehen, von denen jeder ein Kampf gegen morastig-zähe Macht bedeutete, entstanden aus Gewohnheitsrechten, die sein Vater geduldet hatte, weil er alt und schwach war. Chakaura wusste: viele Männer warteten auf den Augenblick, an dem er seine Stärke oder Schwäche offenbarte.

Er atmete tief, legte die Hände an die Oberschenkel und dachte daran, dass aus seinem Mund die Götter sprachen. Ein letzter Blick: Noch hatte der Windmond nicht begonnen; die Barken waren nach der Bestattungszeremonie vom Westufer des Hapi zurückgekehrt, auf den Bodenplatten raschelten welke fahlblaue und rostrote Blüten. Soldaten umstanden schweigend in unregelmäßigem Viereck den Palast.

Chakaura trat zwischen geblähten Leinenvorhängen in einen Gang, hob den Arm, deutete mit dem Zeigefinger auf einen Wachposten und sagte: »Sorg dafür, dass jeder Raum und jeder Korridor um den weißen Saal leer ist.«

Der Palastgardist senkte den Kopf und legte die rechte Hand auf den schwarzledernen Brustgurt. Chakaura ging auf die Eingangssäulen der Halle zu, berührte das kühle Djam-Weißgold des Horusfalken inmitten seines Brustschmucks und sah hinter dünnen Vorhängen ein Dutzend Gestalten. Sie warteten vor dem Podest aus Suenet-Granit. Im Irrgarten zahlloser Mauern und Pfeiler ging Chakaura einmal um das Geviert des Saales. Alle Räume waren verlassen. In achtungsvollem Abstand sah er die gekreuzten Ledergurte über den Rücken der Wachen.

 

»Djetamun-Hesire. Nördlich der ewigen Totenmale meines Urgroßvaters und meines Großvaters, des zweiten Amenemhet, also hapiabwärts des weißen Sehedhu-Steinzeltes, sollst du alle Baumeister zusammenrufen.« Chakaura saß reglos auf dem geschnitzten, vergoldeten Sessel, seine Hände lagen auf den Löwenköpfen der Armlehnen. »Du sollst am Westufer des Stroms, auf den Wüstenbergen, ein schwarzes Bauwerk aus Lehmziegeln errichten lassen, südlich von Men-nefer und in angemessener Größe und Prächtigkeit.«

Der Oberste Medech aller Baumeister nickte langsam, kreuzte die Unterarme über der Brust und schien dem Echo von Chakauras Worten zu lauschen.

»Die Männer, König beider Lande, die das herrliche Totenmal deines Vaters so gut gebaut haben«, sagte er und suchte die Blicke des Herrschers, »werden noch im zweiten Mond des Jahresdrittels Peret anfangen. Die Lastschiffe mit Granit von Suenet haben erst im nächsten Paophi genug Wasser unter dem Kiel.«

»Ich weiß, dass es immer so war, seit Ewigkeiten, und es werden dann genügend Schiffe und Steinmetze bereitstehen, Baumeister Djetamun.«

Chakaura beugte sich vor, stützte den Ellbogen aufs Knie und umfasste sein Kinn. Seine Stimme blieb gelassen, aber jeder im Raum fühlte die Ungeduld und Unruhe des Neunzehnjährigen.

»Wenn die Schreiber mit ihrer Arbeit beginnen, wird jede wichtige Niederschrift mit dem Jahr Eins des dritten Chakaura beginnen. Was ich euch sage, darf noch nicht bekannt werden. Wachen sorgen dafür, dass uns niemand zuhört. Nicht jeder von euch, meine Getreuen, muss alle Befehle kennen. Ich will den zweiten und dritten Schritt nicht vor dem ersten tun. Fang damit an, Djetamun-Hesire, den besten Platz zu suchen.«

Der Baumeister stand auf, verbeugte sich tief und verließ rückwärtsgehend den Saal. Chakaura blickte ihm nach und hob den Kopf.

»Tatji Ikhernofret. Du sollst zuverlässige Boten zu Sennedjem im Zwei-Zepter-Gau, zu Nikaure im Hasengau und Pinednefer im Sepat der Gazelle schicken. Lass Schreiben abfassen: die Fürsten sollen das Gesetz achten und binnen zehn Tagen vor meinen Füßen liegen. Das werden sie schwerlich tun; also wirst du, Sokar-Nachtmin, deine besten Soldaten zuerst gegen Nikaure und dann gegen Sennedjem und Pinednefer führen.«

»Meine Boten sind ebenso zuverlässig wie meine Späher und Lauscher, Herr.« Ikhernofret zeigte seine Handflächen. Die Ringe blinkten matt. »Es wird geschehen.«

»Ich habe dreitausend gute Männer, aber zu wenig Waffen aus harter Bronze, Starker Stier!« Heerführer Sokar-Nachtmin wechselte mit dem Tatji, der rechten Hand Chakauras, einen Blick; in seinem braunen Gesicht arbeiteten die Muskeln. Im Ibisgau zweigten Kanäle und der schiffbare Nebenlauf des Hapi ab, die in den vorderen Naretbaum-Gau, zum See und nach Itch-Taui führten; Nikaure beherrschte die Ufer, Schleusen und Stichkanäle und konnte Schiffe überfallen oder anhalten. Chakaura stand auf und ging auf dem Podium hin und her.

»In Men-nefer erwarten Ikhernofrets Djadjad-Vertraute die Händler aus Kefti und Alashia mit viel Nechoschet-Metall. Jehoumilq und Karidon haben’s geschworen! Bronze soll vom Jahr Eins meiner Regierung an das Hapiland beherrschen.«

Er blickte den jungen Feldherrn mit der strenggeflochtenen Perücke an. Nachtmins kehliges Lachen durchbrach die erwartungsvolle Stille. Chakaura deutete mit drei Fingern auf Nachtmins Brust.

»Vielleicht ist auch die Horus der Brandung bald in Men-nefer. Die Kapitäne und Karidon haben versprochen, die Ladung nach Itch-Taui zu bringen. Deine Soldaten sollen die Horus aufhalten, bis der Ibisgau wieder auf den Pfad der Gesetze zurückgekehrt ist. Im Übrigen erfährt Ikhernofret alles durch seine Späher.«

»So ist es, junger siegreicher Stier.« Ikhernofret verbeugte sich tief. Sein Gesicht zeigte ein kaltes Lächeln. »Oder fast alles.«

Chakaura blieb vor den Räten stehen, den zuverlässigen Helfern des Tatjis Ikhernofret, denen schon sein Vater am meisten vertraut hatte; auch von ihnen zählte keiner mehr als dreißig Sommer.

»Man soll achtgeben auf das tüchtige Dutzend an Bord der zerschrammten Horus, denn die Männer, die für meinen Vater nach Punt gefahren sind, genießen mein Vertrauen, seit mich Karidon aus dem Kanal gezogen hat.«

Die Räte neigten schweigend ihre Köpfe. Sokar-Nachtmin hakte die Daumen in den Gürtel; sein rundes Gesicht mit den hohen Wangenknochen strahlte. Er lächelte grimmig.

»Der Horusfalke der beiden Lande fliegt wieder. Du hast Wichtiges mit ihnen vor, Herr, nachdem sie viel Nechoschet-Metall ausgeladen haben?«

»Seit der erste Gottkönig Amenemhet, Seheteb-ib-Rê, anfing, Itch-Taui zu bauen und das Scha-Resi-Land zu erschließen, seit wir die Festungen jenseits der Hapifälle bauten, haben wir Grund, gegen die Nehesi im elenden Kusch und im Land Wawat zu kämpfen. Bis auf Nefer-Herenptah, den zuverlässigen Fürsten von Ta-Seti, sind am Oberlauf fast alle Gaufürsten vom Gesetz abgefallen. Wie man weiß, ist Karidon nicht nur dein Freund, Sokar-Nachtmin, sondern auch der Nefer-Herenptahs und Cher-tihoteps, den Obersten Spähern und Lauschern im Süden, den Herren der Hapischnellen.«

»Beim Glied des Apis!« Der Heerführer hob den Arm mit geballter Faust. »Deine Erinnerung ist klar, Herrscher. Alles wird getan, dass die Horus unbeschädigt im Palasthafen anlegt.«

»Ich rechne damit.« Chakaura stieg vom Podest und blieb vor Ikhernofret stehen. Er legte die Hand auf die Schulter des Tatji und sagte drängend, wie vor innerer Glut brennend:

»Morgen will ich mit deinen Schreibern sprechen. Schafft Pije-Ipi, den Obersten Verwalter von Millionen Zahlen und Wörtern, in den Saal der Schriftrollen. Ein verborgener Schritt nach dem anderen: zuerst die Stadt und die Umgebung Itch-Tauis bis zum Wüstenrand, dann hinüber nach Men-nefer und in den Hasengau. Die Hapiüberschwemmung war elf Ellen hoch; zwischen Suenet und Pi-Uto und Saj wird es gute Ernten geben. Erst wenn ich dieses Stück Land gesäubert habe wie mit einem Rechen, wage ich den zweiten Schritt. Bevor die Boten nicht zurück sind und die Zeit verstrichen ist, sollst du deine Truppen üben lassen, mit den besten Waffen aus meinen Lagerhäusern. Aber sag ihnen nichts über das Ziel, Sokar-Nachtmin!«

Nachtmin schlug wieder die Faust gegen den Lederpanzer. Die Kupferplättchen klirrten.

»So wird es geschehen, Herr!«

Chakauras Blick ging zwischen Nachtmin und Ikhernofret und durch die Zwischenräume kalkweißer schlanker Säulen hindurch zum Park hinaus. Frischgeschorene Schafe weideten im tiefgrünen Gras, ein heiliger weißer Ibis stelzte pickend an einer Hecke entlang. Chakaura blieb neben dem Tisch stehen, wies auf Krüge und Becher und sagte:

»Kaltes, bitteres Henket. Trinkt.« Er nestelte am schweren Brustschmuck und fuhr leiser, fast stockend fort: »Seit ich am Morgen, nachdem Vater in die Götterwelt einging, das Land allein beherrsche, haben die Götter und der Brauch in beiden Landen zwischen dem Horus im Palast und den Freunden seiner Kindheit und Jugend hohe Mauern aufgerichtet.« Er wartete, bis ihm Ikhernofret, der Älteste im Raum, den ersten Becher reichte. »Die Mauern sind nicht undurchdringlich. Wenn ihr kniet, dann nicht vor dem Schüler und Jäger Senwosret im Binsenboot, sondern vor dem Gottkönig im Großen Haus Per-Ao. So war es seit Meni-Narmer und Netjerichet, aber ich werd’s bisweilen, zur rechten Stunde, für meine wenigen Freunde ändern.«

Er nahm einen tiefen Schluck; Ikhernofret hob den Becher und murmelte:

»Die Götter haben dich mit Weisheit überschüttet, ganz zweifellos. Und bald wird es das ganze Volk erkannt haben.«

Die Männer versammelten sich in einem offenen Kreis um den Herrscher. Einige Atemzüge lang glaubte Sokar-Nachtmin das gleiche Gefühl zu erleben wie im Kreis seiner Unterführer am Lagerfeuer bei Bier und Braten in der Wüste unter den Sternen, wie auf einer sicheren Insel aus Licht und Waffen; als Chakaura wieder in seinem Sessel saß, löste sich der kurze Augenblick der Vertraulichkeit auf. Sokar-Nachtmin begegnete Ikhernofrets Blick und war sicher die wichtigste Stunde im Jahr Eins miterlebt zu haben. Er leerte den Becher und spuckte Dattelkerne in die hohle Hand.

 

Eine Säulenreihe und die Stämme des Palmenhains zerteilten die frühe Abendsonne in rote und schwarze Streifen. Nacheinander schwirrten Entenschwärme ins Schilf des Kanals und wasserten raschelnd, plätschernd und quakend. Chakaura blieb auf der Plattform am Ende der Rampe stehen und blickte auf die Schiffe im Palasthafen. Hathor-Iunit legte von hinten ihre rechte Hand auf seine Schulter und deutete auf einen Lotsen, der im Bug schlief, die Faust unter dem Schurz.

»Dein erster Tag voll Arbeit. Zufrieden, Bruder, mit der Auswahl derer, die deine Befehle ausführen?« Sie kitzelte ihn am Ohr. Er zuckte zurück und setzte sich auf die breite Brüstung. Mutter Nofret streckte den Arm aus und bedeutete den Dienerinnen, am Fuß der Rampe stehenzubleiben. Heißer Wind und das Keckem einiger Füchse kam von den Dünen der Westlichen Wüste, wieder schrie der Löwe. Das kehlige Grollen klang müde, altersschwach; es war an der Zeit, einige junge Löwenmännchen zu fangen. Tama-Hathor-Merit ringelte eine Haarsträhne um einen Finger und zog sie durch die Zähne. »Einige kennst du aus dem Lebenshaus. Ihr habt alle im Per-Ankh gelernt und euch im Schilf geprügelt. Ikhernofret, ich hab’s deinem Vater und dir hundertmal gesagt, gibt sein Leben für dich.« Nofret, Chakauras Mutter, sprach undeutlich; die Golddrähte der Zähne schienen sich gelockert zu haben. Aber jedes Wort und jede Geste strahlten die Würde des Alters und der Macht aus. Tama-Hathor-Merit kicherte.

»Mutter!« Chakaura hob die Hände. »Seit mehr als fünf Jahren war ich dabei, wenn Vaters Späher und Lauscher ihm und Ikhernofret berichteten. Der neue Horus vertraut nur denen, auf denen auch die schärfsten Augen mit Wohlgefallen ruhen. Der Kreis derjenigen, die Vater als ›Einziger Gefährte‹ oder ›Bekannter des Herrschers‹ bezeichnete, hat sich schon am Morgen nach seinem Tod mehr als halbiert.«

Nofrets Perücke verrutschte. Die Königinmutter zog sie herunter und nahm Chakauras Hände.

»Ich kann’s nicht oft genug wiederholen, König meines Herzens: sprich mit den Schönen deines Frauenhauses über Blüten, Brüste und Gemächt, aber nicht über deine Gedanken. Ich bin nur eine faltenreiche Witwe, aber ich weiß, dass Weiber, die nicht hart arbeiten müssen, von Wein, Gerüchten und Geschwätz leben.«

Chakaura berührte die rotgefärbten Handflächen der Greisin mit den Lippen und verschränkte die Unterarme vor der Brust. Sein Blick huschte zwischen seiner Mutter und seinen Schwestern hin und her wie die Zunge einer Eidechse.

»Ich bin Chakaura, ihr Frauen, und nicht Pije-Ipi, das närrische Ungeheuer. Von den vierundsiebzig Mädchen und Frauen habe ich siebenmal sieben mit Gold, Wein, Leinen und ihrem Schmuck entlassen und trefflich verheiratet: mit dem Obersten Sandalenträger, den Wedelfächlern, einem Dutzend Soldaten-Unterführern. Fünf sind unterwegs zu den Herren der Festungen. Der Verwalter der Lagerhäuser ebenso wie der Aufseher der Kornspeicher und die sechs Obersten Schreiber – sie alle beschlafen die königlichen Frauen und senken ihren Samen in Leidenschaftlichkeit und, an der Göttlichkeit des alten Herrschers teilhaftig, in die Schöße seiner einstigen Kleinen Königinnen.« Er grinste breit. »Drei haben sich bereit erklärt, die seltsamen Lüste Pije-Ipis zu ertragen; gegen ein späteres gutes Auskommen, versteht sich – sie sollen es haben, denn bis dahin haben sie’s mit viel Schweiß, Übelkeit und Tränen verdient.«

»Mich schaudert’s«, sagte Hathor-Iunit ernst. »Das Regieren hast du schneller gelernt als das Schwimmen, Brüderchen.«

»Wie jeder Rômet: Schwimmen kann ich noch immer nicht besonders gut.« Chakaura schlug nach einer Mücke. »Es ist still geworden im Frauenhaus. Heute Nacht warten nur noch fünfundzwanzig junge Frauen auf mich, eine ist schöner und gieriger als die nächste.«