Cade Chandra 6: Jäger der Apokalypse - Hanns Kneifel - E-Book

Cade Chandra 6: Jäger der Apokalypse E-Book

Hanns Kneifel

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Beschreibung

Cade Chandra, der Retter des Imperiums, löst seinen letzten großen Fall. Dem Imperium droht die Apokalypse. Ein weißer Mond, der sich als steinernes Raumschiff entpuppt, nähert sich auf Kollisionskurs, und aus einer seltsamen Dunkelwolke tauchen furchterregende schwarze Sternenkrieger auf. Das Imperium scheint zwischen die Fronten eines galaktischen Krieges zu geraten. Keine Frage, wer die Rettung bringen muss: Cade Chandra, seines Zeichens General und Agent, soll den schwarzen Kriegern auf die Spur kommen – und den Untergang aller menschlichen Kolonien verhindern.

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CADE CHANDRA

BAND 6

© Copyright Erben Hanns Kneifel

© Copyright 2016 der eBook-Ausgabe bei Verlag Peter Hopf, Petershagen

www.verlag-peter-hopf.de

© Cover: Thomas Knip

ISBN ePub 978-3-86305-215-7

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Alle Rechte vorbehalten

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis
JÄGER DER APOKALYPSE
1 – Jäger der Apokalypse
2 – Cades erste Rede vor den Imperiumsräten
3 – Ismael P. Vonsagraves-Pyms galaktisches Geheimnis
4 – Das DENEB, das Floß und Cades Traumteam
5 – Mega-Ameisen in Aktion
6 – Rätsel des sonnenarmen Alls
7 – Planetoforming, Pseudowunder und erster Kontakt
8 – Mehrlinge, Implinge und Aliens
9 – Die Dialoge im Riesenmond
10 – Ein Planet finaler Erklärungen

Hanns Kneifel

CADE CHANDRA

1 – Jäger der Apokalypse

Der gedrungene Rumpf der L'ART DU VOYAGE schüttelte sich nur kurz, als sie ins Gefüge des dreidimensionalen Raumes zurückglitt. Ismael Perseus Vonsagraves-Pym registrierte jedes einzelne der überlauten und scharfen Geräusche und erkannte, ohne darüber nachzudenken, dass sein Schiff völlig in Ordnung war. Die Bildschirme zeigten, was Ismael erwartet hatte: pulveriges Grau und stumpfes, lichtschluckendes Schwarz. Unregelmäßig verteilte diffuse Lichtnester – Sonnen unterschiedlicher Klassen und Farben – waren identisch mit den Markierungen der Ortungsgeräte. In Abständen von genau 720 Minuten verließ das alte, zuverlässige Schiff den Hyperraum.

»Dunst, Nebel und üble Finsternis.« Ismael lauschte auf klickende, sirrende und dumpf dröhnende Laute aus allen Teilen des gedrungenen Rumpfes. »Was hab ich sonst erwartet?«

Ein Energiefeld vor dem Bug schirmte die Hülle der VOYAGE vor Staub und kleinen Partikeln ab. Ismaels Hände lagen um die Griffe der kantigen Baukastenelemente, von denen der Steuerstand umgeben war; die Muskeln traten hart hervor und verrieten die innere Spannung. Ismael drang in unbekanntes galaktisches Gebiet vor und flog die VOYAGE, eigentlich ein Zweimannschiff, wieder einmal allein. Deswegen war der Widerhall jedes Geräusches ein Mittel von vielen gegen Raumkoller, klaustrophobische Anfälle und Wahnsinn. Kaum ein anderer Raumfahrer kannte die. Gefahren eines derartigen Alleinfluges besser; Ismael war entschlossen, mit gesundem Verstand zurückzukommen. Er setzte die Lautstärke der stark rhythmischen Musik – ebenfalls ein belebendes Element – herauf und murmelte:

»Und darüber hinaus, beim Zentrum der Einsamkeit, endlich, mit dem größten Erfolg meines Lebens!«

Der Kubus aus farbiger Energie, ein Ausschnitt der wenig hilfreichen Sternkarte, veränderte sich in langen Abständen.

Der Teil des summenden Bordrechners, der die Holografie projizierte, war im linken Teil des Steuerstandes eingebaut. Jede Information der Ortung wurde verwendet und gespeichert. Zumindest, sagte sich der Späher-Prospektor, brachte er einwandfreie Sternkarten aus der Dunkelwolke zurück – wenn er den Flug überlebte.

Mit halber Lichtgeschwindigkeit fegte die L'ART DU VOYAGE geradeaus, dem Schwarzen Loch im Zentrum der Galaxis entgegen. Der stellarmathematische – völlig unbekannte! – Mittelpunkt, achtzehntausend Lichtjahre entfernt, war nicht das Ziel Ismaels; er sah seine Chance im Versuch, Planetensysteme jenseits der trennenden Dunkelwolken oder innerhalb dieser Zone für das Imperium zu entdecken und die gefahrlosen Flugrouten zu diesen Welten. Natürlich träumte er vom Fund des Jahrzehnts: ein Planet, schön, reich an wilder Natur und wertvollen Bodenschätzen, unbesiedelt, ohne gefährliche Spezimen, im Licht einer gelben Sonne – die Imperiumsbehörden machten jeden Entdecker zum reichen Mann.

Minutenlang sah Ismael zu, wie innerhalb der Entfernungsmarken sich die Informationen konzentrierten und die Sternkarten verbesserten. Energetische Wirbel weit hinter dem Heck der VOYAGE zeichneten deren Weg nach; immer wieder dachte Ismael an Charontes, den schweigenden Totenfährmann im Nebel, der gierig Licht und Geräusche einsog. Die Ziffern des Chronometers wechselten langsam. Ismael ging zur Kombüse und bereitete einen Imbiss. Während er darauf wartete, arbeitete er eine Viertelstunde lang an den Trainingsgeräten, bis er schweißnass war. Er schlang das Essen herunter, zapfte eine Erfrischung und verrührte einen Vitaminwürfel darin, und ständig warf er lange Blicke auf die Kontrollen.

Als er, geduscht, rasiert und massiert, in blütenweißer Bordkombi und barfuß in den Aufenthaltsraum zurückkam, hatte sich etwas verändert. Er bemerkte es nicht sofort; in dem Raum, der nicht viel mehr war als ein breiteres, weniger hochtechnisch ausgestattetes Stück Schiffskorridor, blitzte auch der winzigste Winkel vor keimfreier Sauberkeit. Sein Blick fiel auf die sieben Monitore, die im Steuerstand den uneingeschränkten Ausblick im 210°-Winkel erlaubten.

»Schrecken der Galaxis!« Seine Stimme wurde heiser. »Ich bin durch! Wir haben den verfluchten Staub hinter uns, Schiff!«

Wenn das stimmte, konnte er sich zum Abendessen mit einer Dose Weißwein belohnen. Mit sechs Schritten war er am Pilotensessel, umklammerte die Lehne und drehte langsam den Kopf. Jede Sekunde erkannte er vor sich weitere Einzelheiten und hatte Schwierigkeiten, das Gesamtbild richtig zu deuten.

Klickend schaltete die Künstliche Intelligenz, die KI, auf die neuen Distanzen um; auch die Färbung des Hologramms hatte sich verändert. Ohne hinzusehen, schaltete Ismael Mikrophone ein, Lautsprecher aus, setzte den Sauerstoffanteil der Atemluft herauf und räusperte sich.

»Späher-Prospektor Ismael Perseus Vonsagraves-Pym an Bord der L'ART DU VOYAGE, am fünfundzwanzigsten März, Nullsieben Uhr vierunddreißig Generalzeit. Ich habe einen Bereich entdeckt, der einmalig sein dürfte. Die Schwierigkeiten liegen darin, ihn richtig zu schildern. Also … es ist, als wäre die VOYAGE durch eine gigantische Blase gestoßen, durch einen Ballon, der, wie die Ortung zeigt, tatsächlich absolut perfekte Kugelform hat. Die Ausdehnung ist noch nicht ermittelt, beträgt aber mehr als fünfzehn Lichtjahre Durchmesser. Die Vorstellung erreicht schwindelnde Größenordnungen; in einem Durchmesser von fünfzig Lichtjahren kennen wir im offenen Kugelsternhaufen der Plejaden etwa vierhundert Sonnen! Ich sehe: Sonnenwind und Lichtdruck haben den Innenraum der Hohlkugel vom Staub befreit und ihn an alle Innenflächen gedrückt. Wie ein alter, sehr blinder Spiegel zeigen die Innenflächen einen Teil des Lichtspektrums von mindestens zwanzig Sonnen, die in gehörigem Abstand voneinander stehen. Es ist noch zu früh, die genaue Ausdehnung und die Menge der Sonnen ermitteln zu können, zu früh auch, Gestirne systematisch anzufliegen und nach Planeten zu suchen. Ich kann nur wenige Stichproben machen. Eine seltsame Art kosmisches Dunkel herrscht hier; die fernen Spiegel der Innenwand ändern nichts daran. Etwas mythisch das Ganze. Ein weiterer Eindruck: Rasch werden sich hier unter Raumfahrern erste Krankheitsbilder diffuser Orientierungslosigkeit zeigen.«

Ismael machte eine Pause, betrachtete die lautlosen Veränderungen des neuen Sternenkarten-Holos und übertrug die Koordinaten einer gelben Sonne, rund vier Lichtjahre von der Innenschale und der VOYAGE entfernt, mit großer Sorgfalt in den Autopiloten. Er hob den Kopf; fast fassungslos blickte er in der riesigen Hohlkugel herum, verstört und unsicher, als ob er nicht wirklich davon überzeugt sei, was er sah. Obwohl reine Neugierde, mühsam kontrolliert durch wissenschaftlich nüchterne Vorsicht, seine Finger zittern ließ, zwang sich Ismael zur Ruhe. Abwarten! Langsam! Nichts Übereiltes tun!

»Verdammt!«, rief er. »Bin ich auf einem Entdeckungsflug oder auf der Flucht?«

Er ging betont langsam zu einer der vier Laderaum-Überlebensschleusen, öffnete das Schott bedächtig und sah sich den Vorderflächen gestapelter Vorratswürfel gegenüber. Im Notfall überlebte er in diesem Raum drei Normmonate lang. Er öffnete eine Klappe der meist leeren Schrankelemente, nahm drei mit Multiband miteinander verbundene Würfel heraus und verschloss das Vorratsfach mit jener Sorgfalt, die zu seiner zweiten Natur an Bord geworden war; sein besseres Ich ging mit allen Dingen weitaus sorgloser um. Er trennte die Würfel, schraubte einen auf und leerte einen halben Liter moussierenden, nebelfarbenen Wein in einen prunkvoll gearbeiteten Pokal aus durchsichtigem Kunststoff.

»Was immer du entdeckt hast, Ismael«, sagte er laut und hob das Gefäß den Sonnen entgegen, »es ist einmalig. Vielleicht bringt es dich um, aber das hat vor dir noch keiner gesehen.«

Er bedauerte jetzt, keinen Gesprächspartner zu haben. Seit er aus der Imperiumsflotte ausgetreten war, flog er allein. Männer wie Horatio DuRoy oder Joi Scavalder hätten ihm auf die Schultern geschlagen und mit viel Wein auf diesen historischen Augenblick angestoßen. Oder dieser andere Typ, den sie mit Pseudolepra oder Psoriasis stellaris ausgesetzt hatten … Chandra? Richtig: Cade Chandra. Ismael nahm einen tiefen Schluck, stellte den Pokal zwischen Sumlog und Krängungsmesser und schob die Fahrthebel langsam vor. Hinter ihm ächzte, rumpelte und jaulte der Antrieb. Kurze Vibrationen zerrissen den Spiegel des Weines im Pokal, die VOYAGE beschleunigte und richtete die stumpfe Nase auf die bewusste gelbe Sonne. Ismael holte tief Luft. Es klang wie ein Seufzer.

»Pilot an Bordtagebuch«, sagte er. »Ich nehme Kurs auf den gelben Stern voraus. Hauptreihenast, G 0-Typ. Berichte wieder aus dem Sonnenorbit, oder wenn ich einen verdammten Planeten gefunden habe.«

Er zwang sich, geduldig zu warten, trank den herb prickelnden Wein in winzigen Schlucken und konnte sich nicht satt sehen an dem kosmischen Wunder dort draußen. Je tiefer er in die Hohlkugel vordrang – mittlerweile befand er sich noch immer dicht an der Innenwandung, trotz der Sekundengeschwindigkeit von fast zweihunderttausend Kilometern –, desto geheimnisvoller, mystischer und schöner kam ihm der Weltraum vor. Er brummte:

»Das bildest du dir nur ein, Vonsagraves-Pym. Wahrscheinlich hörst du bald den Gesang der Sirenen und zerschellst zwischen Kannibalen, feuerspeienden Zwergen oder den satanischen Brüdern der Gryphons.«

Er fragte den Computer ab und zuckte zusammen: Seit dem Start nahe Lambda Elf, wo der überaus prächtige Stern Suhail Hasdrubal den Himmel beherrschte, hatten sie mehr als vierhundertzehn Lichtjahre zurückgelegt – er und die wackere L'ART DU VOYAGE! In Gedanken konstruierte er ein gleichschenkliges Dreieck, dessen Eckpunkte, nicht auf Bogensekunden genau, die Sonne Lambda Elf, die Beta-Eridanis-Zentralregion um Morach-Center und … der Innenrand dieser Hohlkugel darstellten. Ismael pfiff durch die Zähne.

»Verdammt will ich sein, wenn das nicht etwas zu bedeuten hat. Was? Mehr als eine stellarometrische Figur. Ich glaube, mir täte ein langer, tiefer Schlaf gut.«

Er bereitete sich und das Schiff auf den nächsten Sprung vor, rechnete jede Einzelheit dreimal durch und programmierte den Vorgang, der ihn in eine ungefährliche Sonnenumlaufbahn bringen sollte. Eine Stunde danach gab es das gewohnte Lärminferno im hinteren Teil des Schiffes, und jeder einzelne Laut war richtig und klang gut, gesund und technisch sauber.

»Wie hat Commander DuRoy immer gepredigt? Nur ein ausgeruhter Raumfahrer ist ein guter Raumfahrer. Kann er haben«, murmelte Ismael, füllte eine geringe Menge Wein in den Pokal und leerte ihn, während er die Schlafkoje aufräumte, die Atemluft mit einem milden ätherischen Schlafmittel anreicherte und sich ausstreckte. Die akustische Kulisse zuverlässig arbeitender Schaltungen begleitete ihn in tiefen Schlaf. Er wachte auf und war völlig sicher, weder von Gryphons noch Sirenen geträumt zu haben.

Cade Chandra kam gähnend in die Steuerkanzel der CAPSIZAL, blinzelte in die verschiedenfarbigen Skalen, Anzeigen, Uhren und Monitoren und lehnte sich gegen die Kopfstütze des Pilotensitzes. Das Schiff lag exakt auf Kurs, und sämtliche angezeigten Werte bewegten sich in beruhigenden Bereichen. Cade tappte auf bloßen Sohlen in die Pantry und braute sich einen dreifach starken Kholk; ein exotisches Getränk, das irdischem Mocca sehr nahe kam. Sorgfältig verrührte er Zucker und Sahne hinein und fügte einige Tropfen Naqnaq hinzu. Der Geruch des edlen Alkohols zog zu den Gittern der Umwälzanlage.

»Verdammter weißer Mond«, brummte Cade. »Seit der Beinahekollision haben wir beide Alpträume. Und alles wegen der Legenden dieser makabren Welt namens Inferru.«

Er trank den Kholk mit winzigen Schlucken. Der knielange Bademantel, schneeweiß mit dezenter Goldstickerei, war ein Geschenk des Psammarch Habaqoc Jezirah Tshan aus der Oase Xaymaqqa. Cade Chandra und Amourea Gonavard dachten häufiger an Pharlevinc, den dritten Planeten ihrer exotischen Einsätze, als ihnen lieb war. Cade hockte sich auf die Kante des Terminalsessels, aktivierte den Optischen Computer, und als sich der schwarze, dreidimensionale Achaierhelm manifestierte, in dessen Innerem die Eule ihm ein riesiges Auge zuwandte, schaltete Amourea in der Doppelkabine das Musikprogramm ein. Morgenaktive Musik Singh Boncards schwebte durch den heruntergekühlten Aufenthaltsraum in der Schiffsmitte.

»Guten Morgen.« Cade unterdrückte ein Frösteln. »Hoffentlich gilt es für vierundzwanzig Stunden.«

Er sprach leise ins Mikrophon des Schiffscomputers: »Sämtliche Daten und Verknüpfungen, die unter den Stichworten wie folgt gespeichert sind, auf den Hauptmonitor: Khalakwolt oder Ghada Kag, Zweitausendein Islands, Pharlevinc, Narontene Vier und Inferru.«

»Schon wieder? War doch erst gestern dran!«, krächzte die holografische Eule, das Wappentier Pallas Athenes, der Göttin der Klugheit. Sie blinzelte, hob kokett einen Flügel und verschwand. Amourea kam in den Aufenthaltsraum; hinreißend braungebrannt von Wüsten und Inseln Lu Inferrus. Auch sie gähnte.

»Wieder Alpträume, Geliebter?« Amou lächelte; Cade zuckte mit den Schultern und bereitete schweigend neuen Kholk.

»Nicht gerade Alpträume.« Langsam wechselten Bilder und Schriftblöcke auf dem vier Quadratmeter großen Bildschirm.

»Zugegebenermaßen verfüge ich nicht über einen Funken Hell- oder Weitsicht, aber ich sage dir genau, was zwischen jetzt und dem Zeitpunkt der Landung auf Morach-Center passieren wird.«

»Ich höre. Etwa ein Überfall der schrecklichen, sagenhaften Gryphons?« Sie ordnete eine blauschwarze Haarsträhne.

»Nein. Uns wird bald ein Hyperraumfunkspruch von Commander Vance DuRoy erreichen, der sich noch mit der Einführung von Plastikgeld, Demokratie und freier Marktwirtschaft a la Imperium beschäftigt, und zwar auf dem Planeten, den wir vor einer Handvoll Tagen verlassen haben, Prinzessin.«

»Erwartest du das tatsächlich, General Chandra?«

»Tatsächlich und ernsthaft rechne ich damit.«

»Und weiter?«

»Weiter rechne ich mit der Möglichkeit, dass dieser schöne Mond, ein riesiges Raumschiff, auf dem Weg nach Inferru schon gelandet ist oder im Meer schwimmt. Ich habe einen absolut unbeweisbaren Verdacht: Der Insasse des weißen Mondraumschiffes und das gewaltige Monument des Ufergebirges sind ein und dieselbe Sache.«

Amous strahlendblaue Augen wurden plötzlich stumpf. Sie sank in den Kopilotensitz, drehte ihn herum und flüsterte: »Cade Chandras Cosmischer Codex! Nimm stets das Schlimmste an und richte dich danach!«

»Wird noch schlimmer, Prinzessin. Der Schwarze Sternenkrieger, der aussieht, als sei er aus zweieinhalb Dutzend Widerwärtigkeiten geklont, der Kerl aus dem Silikattempel unserer Tonmasken-Freunde, scheint zu den kosmischen Gegenspielern der Weißer-Mond-Leute zu gehören. Und zwar seit Urzeiten.«

Er machte eine Pause, lief wie ein gefangener Geopard hin und her, zurrte den Knoten des weichen Mantels straff und hob in prophetisch-dramatischer Geste die Hand.

»Inzwischen sind die Informationen« – er deutete auf den Bildschirm, wo fünf unterschiedlich strukturierte Planeten langsam rotierten – »über jene Welten zum Imperiums-Rat vorgedrungen. Wir wissen, dass die Einsichten der Räte eine Ewigkeit bis zur Diskussionsreife dauern.«

Innerhalb des Achaierhelms erschien wieder Athenes nächtlicher Mäusejäger und strahlte aus dem rechten Auge flackernde Signalblitze. Auch in der Frontplatte des Funkschrankes blinkten aufgeregt einige Farbfelder. Weder Amou noch Cade blickten in diese Richtungen.

»Aber wenn sie einmal eine Information intellektuell bewältigt haben, lassen sie die gesamte Maschinerie des Imperiums und hauptsächlich der Flotte anlaufen, weil sie sich auf jeden einzelnen Mann, bis hinunter zum Laderaumpolierer, verlassen können«, sagte Amourea und dachte an mögliche Erfolge ihrer Stellvertreterin, die eigentlich auf Cades Märtyrersessel saß und versuchte, Entscheidungslinien zu verkürzen.

»Unter anderem dank meiner Rationalisierungsarbeiten; mittlerweile sitzen auf drei von fünf Posten die richtigen Frauen und Männer – man wird nie wieder Urlaubsplaneten verwechseln, wie mit uns geschehen.«

»Ich weiß es, du mein Held im Kampf gegen die saumselige Administration. Was wolltest du sagen?«

»Ich verlor den Faden und finde ihn gleich wieder.« Cade drehte den Kopf und näherte sich zögernd der Terminalnische.

»Dass wir oder ich in Kürze dem Rat das Große Planetare Rätsel werden vorlegen müssen. Thema: Vergessene Welten. Und sie werden's auch nicht schaffen, die Bedeutung herauszufinden, weil sie die profunden Kernaussagen dessen, was wir am eigenen geschundenen Leib erfahren haben, nicht verknüpfen und deuten können.«

Er machte fünf lange Schritte. Beim dritten krächzte die Eule, die ständig die Farbe des Gefieders wechselte:

»Kontakt! Kontakt! Dringendes Hyperfunkgespräch für General Chandra. Ist jemand gleichen Ranges an Bord?«

Cade kippte einige Schalter und wartete, bis der Monitor ein brauchbares Bild aufbaute. Er wurde endgültig wach, als er Walentym Akkay erkannte, den Sekretär des Rates des Imperiums. Akkay musterte ihn mit wortloser, eindrucksvoller Missbilligung.

»General Cade Chandra an Bord der CAPSIZAL?«

»Bei der Arbeit, Sir«, sagte Cade und salutierte übertrieben martialisch. »Was verschafft mir die Ehre, das Vergnügen und die Seltsamkeit Ihres Funkanrufes, Sekretär?«

Die wenigen Male, die Cade mit Akkay gesprochen hatte, waren Cade in Erinnerung geblieben; der Sekretär, ein wahrhaft passabler Mann, bewegte sich wie eine Steinskulptur mit Scharnieren. Jetzt verhielt er sich, als fehle den Scharnieren der Schmierstoff.

»Der Rat, dessen Sprecher zu sein ich die Ehre habe, bittet Sie und Prinzessin Gonavard, den Kurs Ihres Schiffes ändern zu wollen. Sie werden in der Region Algol erwartet, auf dem Ratsplaneten Hammur Abi Drei. Es eilt; die Räte versammeln sich bereits. Man bittet Sie beide, nicht zu säumen. Das Imperium, vertreten durch die Herren und Damen Ratschaften, ist überaus begierig, den Bericht des größten Fachmannes für Xenosoziologie zu hören, um daraus die Notwendigkeiten des zukünftigen Handelns ableiten zu können. Commander DuRoy ist ebenfalls eingeladen. Sollten Sie für Ihren Vortrag den einen oder anderen Ihrer kostspieligen Freunde benötigen, sagen Sie es mir: man wird sie pünktlich eingeflogen haben.«

Beim Wort »Freunde« hatte sich eine Augenbraue bis fast zum Haaransatz hinaufgekrümmt. Cade bemühte sich, seinen ernsthaften Gesichtsausdrück zu behalten. Er sagte:

»Wir kommen sofort. Zusätzliche Vergnügungen, Euer Durchtriebenheit?«

Akkay verzog keinen Muskel und senkte seine Stimme um eine halbe Oktave. Sein Ausdruck wechselte; er schien zu leiden und sagte halblaut, unterbrochen durch vielfarbig flirrende interstellare Störungslinien: »Es ist ernst, General. Seit Commander DuRoys Flottenwissenschaftler den mehr als mumifizierten Körper des sogenannten Schwarzen Sternenkriegers oder -kämpfers untersuchen, nimmt das Unbehagen zu. Wann dürfen wir Sie und Prinzessin Gonavard erwarten?«

Cade antwortete nach einem sekundenlangen Zögern:

»Etwa in sechsundneunzig Imperiumsnorm-Stunden. Zufrieden?«

»Geeignete Verkehrsmittel werden am Raumhafen auf Sie warten, General Chandra und Prinzessin Gonavard.«

Er gestattete sich die Andeutung eines privaten Lächelns und schloss: »Ich entsinne mich ungern, aber lebhaft an unseren Abend in Morach-Center. Ich denke, das Imperium wird ein frisches Bier oder deren zwei erübrigen können.«

»Wenn es der Stabilität des Sternen- und Planetenreiches dient.« Cade hob grüßend die Rechte. »Wir ändern in ein paar Sekunden den Kurs, Akkay. Alles klar?«

»Nichts ist klar, General. Jeder ist in Sorge um unser aller Wohlergehen.«

»So ist es recht«, sagte Cade und grinste mit dämonischer Zufriedenheit. »Endlich kommt Leben in euren behäbigen Laden. Stell das Bier kalt und halt den Rotwein warm. Die Prinzessin und ich kommen in Eilmärschen. Ende?«

»Ende. Danke, General.«

In einem Wirbel galaktostatischer Felder verschwand sein Konterfei vom Schirm. Cade schaltete ab, drehte den Sessel und breitete die Arme aus.

»Was habe ich gesagt, Geliebte? Sie fühlen sich unsicher und bedroht, und schon jagt eine Konferenz die nächste.« Er holte tief Luft, zuckte mit den Schultern und blickte die Bilder auf dem Schirm an, als sähe er ein angreifendes Rennmammut. »Ändern wir also den Kurs. Jadar wird sich fragen, wo seine Stammgäste bleiben.«

Er rief aus dem Speicher die Koordinaten von Algol/Hammur Abi III ab, programmierte den Autopiloten neu und drückte nach der dritten Kontrolle einen breiten Schalter. Die CAPSIZAL änderte lautlos und unmerkbar den Kurs und jagte auf das neue Ziel zu. Cade brummte: »Den Vortrag brauche ich nicht vorzubereiten; was ich weiß, weiß ich. Aber vielleicht bringe ich die Formel oder etwas ähnlich Erhellendes zustande. Ich weiß es nicht – hilfst du mir, Prinzessin?«

Amourea setzte sich auf seinen Schoß, fuhr durch sein weißgrau gewordenes kurzes Haar und strich mit dem Zeigefinger seine linke Augenbraue glatt. »Natürlich, Jäger, helfe ich dir. Aber ich weiß es auch nicht. Allerdings« – sie lächelte verhalten und packte die Aufschläge seines Mantels – »habe ich zumindest eine halbwegs brauchbare Idee, wie wir es versuchen könnten.

Aber von der Idee bis zu einer verständlichen Erklärung, die auch sachlich richtig ist, klaffen kosmische Abgründe. Wir sollten nicht vergessen, dass es um das Wohl und Wehe eines Imperiums aus vielen Sonnen und Planeten geht. Was bedeuten in diesem Rahmen fünf Vergessene Planeten, Liebster?«

Er senkte den Kopf und erwiderte in tiefem Ernst:

»Sehr viel, Amou. Fast alles. Denn auf ihnen verbirgt sich irgendwie der Schlüssel einer Erkenntnis, die das Imperium im ungünstigsten Fall zersprengen und in Jahrhunderte der Agonie, Gewalttätigkeit und in einen tödlichen Krieg mit einem anderen Sternenvolk, einer anderen Rasse stürzen kann, deren Denken uns völlig fremd ist und bleibt.«

Amou seufzte, löste sich von ihm und sagte leise, aber in unüberhörbarem Ernst:

»Du, Storzia Grur, Jadar Kastor und Horze lo Venosta – ihr werdet sicherlich die Gefahr im Imperium abwenden können.«

Sie lachte nervös. »Ohne euch schmeicheln zu wollen.«

Cade erwiderte gleichermaßen sachlich und leise:

»Du glaubst es, ich glaube es zu wissen, viele andere verlassen sich auf uns – leider. Ich weiß, wie tüchtig ich bin. Aber die Last des Imperiums auf meinen Schultern, Amou? Nein. Das schaffe ich nicht. Ich tue, was ich kann, manchmal ein wenig mehr, aber ich habe keine Rezepte, einen Feind zu besiegen, den niemand kennt, über den bald jeder reden wird und von dem nicht feststeht, ob er sich der Imperiumsplaneten bemächtigen will.« Er beruhigte sich nur mühsam und sagte leiser, beherrschter: »Kaltes Blut, Jäger! Ein Schritt nach dem anderen. Wir haben knapp vier Tage für uns herausgeschunden, Amou. Abgesehen davon, dass ich dich liebe wie am vierten Tag unserer Bekanntschaft auf Khalakwolt – vielleicht kollidiert die brave CAPSIZAL mit dem Stein der Weisen.«

Amourea lächelte ihn an.

»Wer, Cade Chandra, sollte es schaffen, wenn nicht wir? Ich glaube fest daran, wirklich! Und wenn wir alles wissen; wirst du wieder mit deinem und meinem besten Freund, dem ehebrecherischen Storzia, losziehen und die Schwarzen Sternenkrieger oder sonst jemanden in Stücke hauen.«

Cade stand auf, blickte zu Boden, auf den Monitor und schließlich in ihre leuchtenden Augen. »Darauf, Herrin meines Herzens, wird es wohl wieder hinauslaufen.« Er müsste sich eingestehen, dass er sich trotz aller Widrigkeiten, Verletzungsrisiken und Todesgefahren unbändig darauf freute. »Ja. Aber bis zu diesem Tag bleibt uns beiden noch viel Zeit. Genießen wir sie. Oder versuchen wir es wenigstens ernsthaft, Prinzessin.«

Er verließ den Aufenthaltsraum, blieb eine halbe Stunde in der Hygienezelle und kam in Bordkleidung und aufdringlich nach abstrus teurem Aftershave riechend zurück. Er setzte sich gegenüber dem Maximonitor, zog eine Tastatur heran und begann schweigend und in tiefster, ausschließlicher Konzentration zu arbeiten.

Es kann Zufall sein, schrieb Cade, aber zwischen Morach-Center und drei Sonnen der Beta-Eridanis-Region beziehungsweise der Kleinen Magellanschen Wolke spannt sich eine gerade Linie. Diese, im folgenden Korridor genannte Gerade führt vorbei an einer typischen Dunkelnebelzone, die sich in gehöriger Entfernung vom Korridor vor den Sonnenballungen des zentrumsnahen galaktischen Raumes befindet. Auf dieser Geraden sind, wie Perlen in großem Abstand auf einer gespannten Schnur, neun Sonnen aufgereiht. Vier dieser Sterne sind planetenlos beziehungsweise ohne Planeten, auf denen höher entwickeltes Leben festgestellt wurde. Fünf Sonnen – (siehe Anhang: Koordinaten und stellarphysikalische Beschreibung) sind Zentren planetarer Systeme; jeweils ein Planet ist von den späten Nachfahren eines galaktischen Krieges bewohnt, in den wiederum, vor etwa dreitausendsechshundert Jahren, Terra-Abkömmlinge verwickelt worden waren. Es gibt verschiedene Varianten hierüber, deren jede mit einem hohen Grad von Spekulation behaftet ist: Fremde Sternenvölker griffen die frühen Terra-Kolonien an, Kolonisten griffen die Planeten einer anderen Rasse an, oder die Kolonisten führten untereinander aufwendige bewaffnete Auseinandersetzungen. In jedem Fall landeten Flüchtlingsschiffe auf mindestens fünf, wahrscheinlich weitaus mehr Planeten. Fünf dieser Welten waren oder sind jetzt bekannt und unterschiedlich gut erforscht.

Sehr genaue Oberflächenkarten liegen vor. Rückfragen der Imperiumsflotte und anderer Behörden in den Archiven der Erde ergaben unbefriedigende Aufklärung über jenen Zeitraum vor mehr als dreieinhalb Jahrtausenden.

Commander Vance DuRoy und General Chandra, Vortragender, sind sich über einige Thesen einig, ohne sie bisher schlüssig beweisen zu können. Aus Ruinen, Bauwerken, Geoglyphen, Riten, Sagen und anderen Relikten lässt sich definitiv schließen, dass vor den Notlandungen der Flüchtlingsschiffe andere, mehr oder weniger ›humanoide‹ Wesen diese Welten bewohnten. Ihre Kultur und Zivilisation dürfte so hoch gewesen sein wie die der meisten alten Imperiumswelten heute.

Sie schufen auf fast allen Planeten große plastische Kunstwerke von vorwiegend kryptischer Bedeutung; Beweise hierfür im Laufe des Vertrags. Cade Chandra, Prinzessin Gonavard und Storzia Grur haben auf diesen fünf Welten die galaktopolitischen Eingriffe des Imperiums vorbereitet. Die These, die zugegebenermaßen auf tönernen, legenden- und sagenhaften Überlegungen schwankt, lautet also:

Aus relikthaften Hinweisen der fünf Welten, miteinander durch eine noch zu findende/zu entwickelnde Formel zu kombinieren und zu berechnen, lässt sich ein Punkt; eine Zone oder ein praktikables Denkmodell herausfinden, das erstens den galaktischen Wohnort einer oder mehrerer mächtiger Sternenvölker beschreibt, zweitens eine Gefährdung des imperialen Status quo bedeuten kann oder aber drittens dazu führen könnte, einen positiven Kontakt mit jenen noch zu findenden fremden zu entwickeln. Der Anschein, dass ein Teil der Aliens deutlichen Kriegerstatus hat, wurde auf der am weitesten von Morach-Center entfernten Welt, Inferru, besonders evident. Die Reihenfolge der besiedelten Planeten in Richtung Magellansche Wolke lautet:

1. Ghada Kag oder Khalakwolt

2. Zweitausendein Islands

3. Pharlevinc

4. Narontene Vier

5. Lu Inferru

Cade löste die Finger von den Tastaturen und richtete den Oberkörper auf. Amourea lehnte an seinem Sessel und klopfte gönnerhaft auf seine Schulter. Cade sagte leise:

»Einverstanden mit dieser Synopsis, die ich eigentlich mehr zur Sammlung unserer eigenen Gedanken und Vorstellungen formuliert habe. Liebste?«

»O Jäger der Mysterien! Treffender hätte es niemand gekonnt.«

Die Bilder auf dem Holomonitor schienen plötzlich eine größere Bedeutung bekommen zu haben. Cade knurrte: »Quatsch! Ich bin kein Dichter.«

»Aber einer der Profis, die an Ort und Stelle waren und sich monatelang mit diesen Zeichen und der eigenen konstruktiven Phantasie beschäftigten.«

»Stimmt auch wieder.«

»Und was hast du mit den anderen Informationen vor?«

»Ich baue meinen Vortrag so gut wie möglich auf.« Cade spreizte die Finger und schien ins holografische Bild hineingreifen zu wollen. »Hier habe ich Zeit, Ruhe, Informationen und deine förderliche Nähe. Zuerst erinnern wir uns an die exotische Planetenoberfläche …«

Khalakwolt, schrieb Cade, schaltete mehrere Speicherdateien dazu und stellte eine Art Multimediaschau zusammen. Sie enthielt: die Ringkrater des Planeten, die Erklärung dafür, die Bahnen des fälschlich so genannten Spica-Fomalhâut-Asteroidenschwarmes, der periodisch aus der oben erwähnten Dunkelwolke hervordrang, aus Stilelementen der Steinernen Stadt, die sich mit jenen deckten, die zur Weißen Mauer Pharlevincs gehörten. Der Computer schrieb und zeichnete die Bahnelemente und -ellipsen bis hinein zu jener hypothetischen zweiten Oortschen Wolke, benannt nach dem Terra-Niederländer Jan Hendrik Oort, der damals in jenem Weltraumabschnitt dafür einen Durchmesser von zwei mal zehn hoch dreizehn Ormil/Kilometer ermittelt hatte, jenseits der Dunkelnebel.

Cade hatte während des Fluges bereits einfache künstliche galaktische Umwelten konstruieren lassen und sich in einem kurzen Virtuelle-Realitäts-Trip darinnen bewegt; er fügte diese Ausarbeitungen hinzu und unterlegte den ›ersten Akt‹ mit Texten, von drei verschiedenen Vocodern gesprochen, und mit Musik von Peter Gray und Singh Boncard. Dann ließ er ausgelaugt die Arme sinken.

»Pause«, sagte er. »Je mehr ich mich als Computerkomponist beschäftige, desto größer wird meine Überzeugung. Der weiße Mond kommt erst zum Schluss ins Bild.«

»Verstanden. Und wenn du recht hast mit der These vom Sternenkrieger – wie wird man dich nennen? Jäger des Unwahrscheinlichen, des Absurden und Unglaublichen?«

»Hoffentlich nicht« – er grinste unbehaglich – »Jäger der Apokalypse.«

Am späten Nachmittag, Schiffszeit, hörte Cade einen weiteren Text ab und nickte zufrieden. Seine Stimme sagte: »Auf den fünf Vergessenen Planeten sind selbst die Angaben der Längenmaße identisch; obwohl sie den metrischen Angaben der Erde entsprechen. Das Orr, ein Millimeter, das Orra, Zentimeter, ein Orhun-Meter, ein Ormil ein Kilometer. Die Formel, mit der auf Narontene die Vollkommene Kugel Dherra ausgedrückt wird, ist hingegen die altbekannte Gleichung Vi ist pi mal d hoch drei … und so weiter. Diese Koinzidenz ist schwerlich als zufällig abzutun.«

»Und nun erinnern wir uns an die Wasserwelt …«

2001 Islands: Cade Chandra ließ noch einmal durchrechnen, nach wie vielen Jahren sich die Tage wiederholten, während denen der Hohlspiegel-Mondkrater mit fokussierten Sonnenstrahlen Inselland verbrannte und Meerwasser verdampfte, mit höchster Wirkung in jener Nacht, in der die mächtige Ebbe das Cryansed-Heiligtum freigab; beides fand in derselben Zeitspanne statt. Zu dieser Stunde deutete die Gerade, die durch Löcher und Kerben der Zielsteine führte, in Cades astronomischem Modell ebenfalls zu den Dunkelwolken, also auch dorthin, woher die Asteroiden kamen: auf einen Einschnitt aus dünnerem Staub und gasleerem Weltraum, durch den das Licht vieler Sonnen funkelte. In seinem Rücken flüsterte Amourea:

»Ich möchte dich jetzt mit Champagner, einigen Häppchen und meiner zärtlichen Gegenwart korrumpieren, Jäger Cade. Ja? Auch morgen liefert dein Käuzchen noch kluge Informationen.« Sie klingelte leise mit den Gläsern. Cade massierte seine Augenhöhlen und gab einige Befehle.

Die Funktionslichter flackerten nicht mehr, der Monitor leerte sich, das Holo schrumpfte zu einem Nichts zusammen. Cade versank im Wohnraum in einem tiefen Sessel und sah den Perlen zu, die an der Champagneroberfläche platzten wie Träume von einer überraschenden Lösung der Probleme. Pharlevinc: Mit großem Aufwand und unermüdlichem Fleiß, obwohl die Suche sie in grünes, fruchtbares und wasserreiches Land geführt hatte, waren von den Wüstenbewohnern Pharlevincs im Licht der Sonne Black Velvet unzählige Bruchstücke zusammengetragen und durchnummeriert worden; die Imperiumscomputer hatten daraus eine lange, hohe Mauer monströser Ausmaße zusammengefügt, die aus ineinandergefügten Bildhauerwerken bestand. Gruppen aus Personen, Kämpfenden, Fabeltieren, seltsamen Fahrzeugen und Raumschiffen, ineinander verknäuelt und verknotet, erzählten Geschichten von Frieden, Kampf, Tod und Verwüstung. Cade integrierte das Hologramm in seine computerisierte VR-Ausarbeitung und hatte die klar erkannten Querverbindungen gezogen.

Bestimmte Gestalten dieses riesigen Frieses oder Durchdringungsreliefs sind identisch mit jenen, die auf Lu Inferru verehrt werden. Die fensterartigen Durchlässe zeigen in Abständen von siebenmal sieben Stunden die Ausblicke auf fremde Planetenlandschaften. Die Analyse ergab, dass es sich um Ghada Kag, Zweitausendein Islands, Narontene und Lu Inferru handelt. Das Fenster am Ende des Korridors des Psammarchen Habaqoc wechselt die Bilder in schnellerer Folge; alle sieben Stunden. Auch dies ein nicht wegdiskutierbarer Beweis für eine Verbindung, die mindestens fünf Planeten umfasst.

Cade lehnte sich zurück und ließ das bisher entwickelte Multimedia-Vortragsprogramm mit dreifacher Geschwindigkeit durchlaufen, stoppte und korrigierte es mehrmals und blinzelte; seine Augen brannten und tränten. Er atmete tief durch und schaltete die Anlage ab.

Später summte ein durchdringendes Signal durch alle Räume der CAPSIZAL. Sie raste auf den letzten Orientierungspunkt im Normalraum zu. Amourea sah auf das Chronometer: noch dreiundzwanzig Minuten. Sie hob die Hand und nickte Cade zu.

»Ich kontrolliere den Kurs«, sagte sie leise. »Je mehr ich davon höre, sehe und miterlebe, desto sicherer können wir sein. Meinst du, dass Shanohyr mit der ANGULARITEE auf seinem Flug in die Magellansche Wolke etwas herausfindet?«

»Das bewegt sich im Bereich der experimentellen Wahrsagerei«, murmelte Cade. »Später, wenn wir zusammen die Reise durch die Virtuelle Realität machen, wirst du erkennen, was ich weiß und denke. Darüber hinaus gestehe ich absolute Inkompetenz ein.«

Narontene: Planet der Sonne Ust Saramantis, wenige Lichtjahre nahe der RR-Lyrae-Veränderlichen Omikron Pharaonis vierter sog. Vergessener Planet, fügt sich schlüssig ins Muster der Zusammenhänge: Zwar verehren die Bewohner in der Vollkommenen Kugel eine ferne, nie gekannte Erde, aber gleichzeitig – durch deutliche Hinweise auf Bilder im Pharlevinc-Relief und die Choreographie der Maskentänzer Lu Inferrus – versinnbildlicht die Kugel eine gleichartige Zone in den Dunkelwolken oder, vom benutzten Bezugssystem des Korridors aus betrachtet, jenseits der Gas- und Nebelmassen.

Wir, die Pioniere auf Narontene und ich als ihr Sprecher, sind davon überzeugt, dass die galaktische Heimat der gesuchten Fremden, oder fremder Sternenvölker, in einem kugeligen Sektor dort und nirgendwo anders zu suchen ist.

Cade ließ die entsprechenden Bilder erstellen, stellte Querverbindungen her und arbeitete diese Sequenz aus. Die galaktischen Räte waren schwer zu beeindrucken und noch schwerer zu überzeugen. Er musste sie überzeugen, denn nur so erhielten die effiziente Flotte, Horatio DuRoy und er genügend Spielraum. Er duschte lange heiß und kalt und begann tief in der Nacht, Schiffszeit, als Amou ruhig schlief, die Erlebnisse, Erkenntnisse und Informationen zu verarbeiten, die mit Lu Inferru zusammenhingen, dem Planeten der Mysterien.

Lu Inferru: Planet der Sonne Kitaroo Zwei oder Lambda Elf, nahe des herrlichen Sterns Suhail Hamilcar, trug zu Cades optisch-akustischer Überzeugungsarbeit nicht nur das berggroße Abbild des sogenannten Gryphons, eines Leoniden bei, sondern zusätzlich die wissenschaftlich unanfechtbaren Untersuchungsergebnisse am Körper und der Bewaffnung des mit so vielen t'puoy behafteten Schwarzen Sternenkriegers, der angeblich Sacoonder-Fafnir hieß. Hinzu kamen Kreise, Ellipsen und Tangenten der Tänzer, deren kugelige Tonmasken Monde, Planeten und Sonnen symbolisierten.

»Und schließlich der riesige Strom; mit dem Hauptarm und den abzweigenden Flüssen, Bächen und Rinnsalen ist er die grafische Struktur eines Farns, also eines M. Barnsley-Fractals, das in der Bronzezeit der Computer noch mit vier F-Programmierformeln aufgebaut wurde.«

Cade rief die vier Formeln ab, die in mehreren Klammern viele X und Y und Multiplikationszeichen enthielten. Der Rechner schrieb sie in antiken Ziffern; ein Lindwurm affiner Transformation wurde Teil der VR-Elemente.

Die Reduzierung dieses riesigen Fractals zu einem Programmier- oder Ausführungsbefehl, also die Rückrechnung ergibt keine Kurzformel« – Cade spürte die Ungeduld, die ihm den Schluss seiner erschöpfenden Bemühungen signalisierte – »die brauchbar wäre. Der Bordcomputer der GOLDEN LEGEND warf eine Gleichung aus, die zu keiner Zahl und, keiner unserer Thesen passte. Wir müssen uns also mit den bisher genügend erforschten Einzelheiten abfinden, bis irgendjemand vom Blitz der Erkenntnis getroffen wird. In diesem Fall zeigt sich, dass das Glück zwar nicht blind, aber bisweilen stark kurzsichtig ist. Das, meine Damen und Herren Räte, ist der Stand der Dinge.

Ein letztes Mal kontrollierte Cade die langen Sequenzen, fügte die Bilder und die mehr oder weniger zutreffenden Kursberechnungen jenes riesigen weißen Flugkörpers hinzu, der die Flugbahn der CAPSIZAL vor wenigen Tagen gekreuzt hatte und hielt das Bild an. Er sah wieder die Oberfläche des Weißen Mondes im Sternenlicht, die vertieften und erhabenen Ecken und labyrinthischen Mäander, dachte sich sein Teil über sagenhafte Gryphons und überspielte schließlich die gesamte Darstellung in die Speicher eines tragbaren Datenträgers und verschloss ihn im Safe der CAPSIZAL. Er las die Instrumente ab, nahm einige Schaltungen vor und ging in die stille, kühle Schlafkabine. Amou richtete sich auf; ihre Augen waren im gedämpften Licht wie geäderte Turmaline. Sie lächelte und flüsterte: »Du bist fertig, Cade? Ich seh's dir an, dass du den Stein der Weisen noch nicht gefunden hast.«

Er streckte sich aus und zog sie an seine Schulter.

»Habe ihn am Schluss auch nicht mehr gesucht. Irgendwann wird irgendjemand ihn irgendwo finden. Ja. Fertig. Fünfunddreißig Stunden vor der Landung auf Hammur Abi Drei. In elf Stunden werden wir geweckt, Amou.«

»Genug Zeit, Jäger, für etliche Zärtlichkeiten und den tiefen Schlaf derer, die sich nichts vorzuwerfen haben.«

Cade drosselte die Stärke der Raumbeleuchtung und versuchte sich zu entspannen. Es schien ihm fast zu gelingen; als er die zarten Finger Amoureas auf seiner Haut spürte und ihr Parfüm roch, besann er sich gern und rasch eines Besseren.