Das Morgan-Komplott - Geri G - E-Book

Das Morgan-Komplott E-Book

Geri G

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Beschreibung

Das Morgan-Komplott Frankfurt, 2025. Tom Weber war neu bei Morgan Industries. Als Programmierer und Computerfachmann war er stolz darauf, für diese Firma arbeiten zu dürfen – ein Unternehmen, das als das innovativste und erfolgreichste der Welt galt. Doch nach nur wenigen Monaten machen sich erste Zweifel breit. Irgendetwas stimmte dort nicht. Tom war trotzdem davon überzeugt, dass es richtig war, die Stelle angenommen zu haben. Bis er eines Tages hinter das unglaubliche Geheimnis von Morgan Industries kommt.

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Seitenzahl: 204

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Geri G

Das Morgan-Komplott

Kapitel 1

Er wachte plötzlich auf. Hoch oben, über der Skyline von Frankfurt, lag sein geräumiges Apartment. Tom Weber konnte schon seit 2 Tagen nicht mehr richtig schlafen. Das lag höchstwahrscheinlich an seinem neuen Job. Es war stressig momentan, aber dafür stimmte die Bezahlung. Die war gut, so richtig gut. Deshalb konnte er sich die Wohnung in einem der besten Viertel der Mainmetropole überhaupt leisten. Seit 3 Monaten war er jetzt dort beschäftigt und alles passte. Passte hundertprozentig und das war auch gleichzeitig das Komische. Es war perfekt, zu perfekt, aber im Leben ist nie etwas perfekt. Genau deshalb kam er immer mehr ins Grübeln in der letzten Woche, gekoppelt mit jeder Menge Arbeit. Konnte natürlich auch sein, dass er sich unnötig zu viele Gedanken über die Firma machte. Vielleicht war er auch einfach zu skeptisch oder es lag eventuell nur an der ungewohnten, neuen Umgebung.

Tom entschied sich, erstmal aufzustehen, die negativen Gedanken beiseite zu wischen und sich einen Kaffee zu kochen. Es war einer dieser Montagmorgen, bei denen man sich das Wochenende schon wieder herbeisehnte. Draußen war es etwas bewölkt, Nieselregen benetzte die große Panorama-Fensterscheibe seines Wohnzimmers, als ob eine unsichtbare Hand gerade eine riesige Sprühflasche darauf entleert hatte. Die Bewegungssensoren im Raum aktivierten die Deckenbeleuchtung und tauchten die Küche in ein warmes Licht. Sogar die Kaffeemaschine wurde über das apartmenteigene Kommunikationssystem automatisch in Betrieb genommen. Er holte das trockene Croissant von gestern aus der Papiertüte, die noch neben dem Brotkasten lag, biss einen Happen davon ab und kaute gelangweilt darauf herum. Er brauchte dringend etwas zum Runterspülen. Einige Blätterteig-Brösel kratzten unangenehm gegen die Wand seiner Speiseröhre.

Der Kaffeeduft des Cappuccino strömte zum Glück im selben Augenblick sehr angenehm herüber und hielt den aufkommenden Hustreiz zurück. Seine neue Anschaffung hatte sich wirklich gelohnt. Der neue, schwarz-silberne Kaffee-Vollautomat war ein richtiges Profigerät und auch optisch ein Hingucker. Er platzierte ihn auf der mittigen Insel seiner ebenfalls brandneuen Einbauküche, damit auch mögliche Gäste sie gleich sehen konnten - bloß, er hatte noch keine Besucher. Aber das musste trotzdem schon sein, man gönnt sich ja sonst nichts! Das Gerät verfügte über ein eigenes Mahlwerk für die Kaffeebohnen sowie eine gleichzeitige Kaffee- und Heißwasserausgabe. Der Edelstahlbrüher im Inneren reinigte sich bei der Wartung sogar selbst. Das 10 Zoll große Farb-Touch-Display vorne zeigte die echten Produktabbildungen der einstellbaren Heißgetränke an. Es war sogar möglich, verschiedene Milchsorten in die Tasse zu geben, von fettarm über laktosefrei bis Soja.

Tom genoss das Heißgetränk gerne typisch italienisch am Morgen. Der Kaffee hatte eine wunderbare Farbe, wie er fand. In der Mitte der Tasse bildete sich soeben ein dichter Milchschaum, der von einem braunen Espressorand umgeben wurde. Klasse! So soll er sein. Toms Laune besserte sich zusehends. Sogar das Croissant schmeckte wieder und war nicht mehr ganz so trocken am Gaumen.

Jetzt fühlte er sich erstmal wach. Er konnte starten. Die neue Arbeitswoche konnte beginnen.

Eine neue Woche bei Morgan Industries.

Nachdem er sich den dunkelgrünen Pyjama zusammen mit dem letzten Rest an Müdigkeit abgestreift hatte, zog er sich an und machte sich frisch. Als Programmierer bei Morgan Industries musste er zum Glück keinen schicken Anzug tragen. Das war den Geschäftsleuten und Anwälten in der Firma vorbehalten. Er selbst hasste sowieso Anzug und Krawatte. Er pflegte stattdessen lieber einen legereren Kleidungsstil: Blaue Jeans, heller Pullover und Turnschuhe. Tom konnte sich gar nicht mehr genau erinnern, wann er zum letzten Mal einen Schlips und ein Jackett trug. Vermutlich bei der Hochzeit seiner Tante, aber genau wusste er es nicht mehr.

Mit einem leisen Ping-Geräusch öffnete sich die Aufzugtür fast unmittelbar gegenüber seines Apartments. Tom betrat den Lift, der ihn direkt in die Tiefgarage des Wohnhochhauses brachte. Er freute sich plötzlich wie ein Kind zu Weihnachten, als er den Etagenknopf betätigte, denn heute durfte er endlich den neuen Firmen-Wagen fahren. Das hätte er vorhin fast vergessen. Er war es bisher gewohnt, mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Arbeit zu fahren oder zu Fuß zu gehen, den Komfort eines Firmen-Pkws kannte er bisher nicht. Den gab´s in seiner alten Beschäftigung nicht und ein eigenes Auto konnte er sich bis dato ohnehin nicht leisten.

Die Schiebetür des Fahrstuhls öffnete sich abermals mit einem Ping und Tom war in der Tiefgarage angelangt. Ein lässiges „Guten Morgen“ warf ihm einer der Wachleute in schwarzer Uniform entgegen, der hier unten gerade seinen Kontrollgang durchführte. Tom entgegnete mit einem uninteressierten Morgengruß. Sein Augenmerk galt doch vielmehr dem neuen Wagen und er konnte es jetzt kaum noch erwarten. Nach ein paar Metern war er da: Parkebene F, Stellplatz 451. Zum Glück hatte er die Fernbedienung zum Öffnen des Wagens gestern in seiner Hosentasche belassen, als er den Luxus-Schlitten von einem Servicemitarbeiter des Autohauses entgegennehmen durfte. Und da stand das Prachtstück vor ihm: Ein roter Mercedes-Maybach, eine Kombination aus SUV und Stufenhecklimousine. Es verfügte über 4 Elektromotoren mit einer Leistung von 750 PS, mit der Schnell-Ladefunktion konnte man das Gefährt in nur 5 Minuten soweit mit Strom auftanken, dass man 100 Kilometer zusätzliche Reichweite hatte. Das Fahrzeug war eine echte Augenweide. Auf der Motorhaube thronte obligatorisch der Mercedes-Stern, unterhalb zeugten der verchromte Kühlergrill und die großformatigen Lufteinlässe von enormer Sportlichkeit. Aber nicht nur äußerlich bot der Wagen Luxus, das Konzept setzte sich im Interieur fort. Die kristallweißen Nappa-Ledersitze wurden mit einer Rautensteppung in Roségold verschönert. Die breite Mittelkonsole besaß ein Touchpad, das Lenkrad entsprechende Touch-Control-Knöpfe und das Cockpit einen Widescreen, ebenfalls mit Touch-Funktion; hinzugekommen war auf seinen Wunsch hin noch eine Sprachbedienung, damit der Fahrer nicht zu stark vom Verkehr abgelenkt wurde.

Im Grunde war das ein richtiges Angeber-Fahrzeug, eigentlich gar nicht sein Stil; zumindest der Elektroantrieb zeugte von einem gewissen Umweltgedanken und weniger von Snobismus. Toms Gedanke war dabei aber weniger auf Ökologie ausgerichtet, vielmehr darauf, mit diesem Wagen bei der Damenwelt Eindruck zu schinden. Das könnte klappen! Mit einem leichten Antippen der Griffleiste öffnete sich die Fahrertür des SUVs automatisch und die blauviolette Innenbeleuchtung sprang im gleichen Moment an. Tom musste den Augenblick noch etwas genießen, Zeit war noch genug. Er streichelte mit beiden Händen über das elegante Leder-Lenkrad und blickte sich im Fond nochmal um. Dann startete er den Wagen mit einem Knopfdruck. Kein Motorbrummen, nur ein Fiepen des Elektroantriebs war zu hören. Klasse! Die reine Optik dürfte schon ausreichen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, auch wenn der Motor dies akustisch nicht hergab. Bei dem Gedanken an Optik musste er plötzlich an sich selbst denken. „Vielleicht sollte ich mich doch mal eleganter anziehen! Aber es musste ein Stil sein, der zu mir passt.“ Er konnte sich nicht verstellen wie andere Leute. Das würde auffallen. Das lag ihm einfach nicht.

Tom fuhr aus dem Parkdeck hinaus auf die nasse Osloer Straße. Der Nieselregen hatte aufgehört. Das Bürogebäude der Firma war nur einen knappen Kilometer entfernt, in 3 Minuten müsste er dort sein. Der Verkehr war im Moment auch nicht besonders dicht. „Eigentlich bescheuert, diese kurze Strecke mit dem Auto zu fahren“. Sein Gewissen hatte sich wieder gemeldet. Aber jetzt hatte er endlich mal die Gelegenheit, sich wie einer dieser reichen Snobs zu fühlen und genau das galt es auszukosten. Solche Leute hatte er in den letzten Wochen häufiger kennengelernt. Bei diversen Treffen mit der internationalen Klientel der Firma konnte er sich ein Bild davon machen, wie diese Leute auftraten, als sie auch seiner Abteilung einen Besuch abstatteten. Und Tom Weber fand heraus: Er mochte sie nicht. Aber eine Sache war festzustellen: Diese Typen hatten immer attraktive Begleiterinnen an ihrer Seite. Ob sie nun ihre Freundin, Frau oder nur ihre Arbeitskollegin war, spielte eigentlich keine Rolle. Tom kam zu der Schlussfolgerung, dass Geld einfach sexy machte und genau das wollte er auch einmal miterleben. Geld würde nie seinen Charakter verderben, daran würde er immer festhalten. Er, der selbst aus bescheidenen Verhältnissen stammte, aus einem kleinen Kaff weit weg von der Metropole, wollte es allen zeigen. Vor allem seinen Verwandten, seinen alten Bekannten, die ihn auslachten, als er eines Tages beschloss, sein Glück in der großen Stadt zu suchen. Schließlich war er ein helles Köpfchen, ein sogenannter Digital Native, der immer schon Interesse an Computern hatte, auch gern an ihnen herumbastelte und schließlich mit dem ganzen Technologie-Zeugs aufgewachsen war. Doch seine Verwandtschaft hatte er seit seinem Einstieg bei Morgan nicht mehr gesehen, nur mit seinen Eltern gelegentlich telefoniert. Es war einfach zu viel zu tun. Vielleicht sollte er ihnen mit seinem neuen Dienstfahrzeug einen Besuch abstatten, wenn er mal frei bekam. Aber das sah momentan nicht danach aus.

Das Navigationsgerät im Widescreen des Fahrzeugs führte ihn unterdessen auf Höhe der Europa-Allee nach links auf die Hohenstaufenstraße. Von dort war es nicht mehr weit bis zur Mainzer Landstraße, auf der sich das Bürogebäude von Morgan Industries und somit sein Arbeitsplatz befanden. Gischt peitschte von der Straße und den anderen Fahrzeugen auf seine Windschutzscheibe, doch auch hier sorgten Sensoren dafür, dass die Scheibenwischer automatisch ansprangen und wieder stoppten, sobald die Nässe wieder abnahm. Das war im Großen und Ganzen schon eine tolle Technologie, die es im 21. Jahrhundert gab. Eine Technologie, die einem das Leben im Jahr 2025 sehr erleichterte. Aber das war nichts im Vergleich dazu, was Morgan Industries gerade plante und entwickelte. Die Firma hatte mehrere Tätigkeitsfelder, in der sie sich tummelte. Das wird in der Tat ein neues Zeitalter einläuten, dessen war sich Tom Weber sicher.

Ein Zeitalter neuer, fantastischer Möglichkeiten.

Er parkte den Luxus-Schlitten kurz vor dem Eingang. Er war heute tatsächlich zu früh dran und einer der Ersten. Da hatte er wohl ein falsches Zeitgefühl, obwohl die Digitalanzeige der Uhr im SUV wirklich gut abzulesen war und er sogar eine Armbanduhr trug. Aber wenn er öfter mit dem Wagen fuhr, wird sich auch das noch einstellen. Der Elektro-Mercedes verfügte wirklich über eine tolle Beschleunigung, man musste Acht geben, nicht zu sehr aufs Tempo zu drücken. Das war schon verlockend, noch dazu bei so vielen Pferdestärken, die der Antrieb besaß. Tom schob die Schuld für sein Zufrühkommen lieber dem schnellen, fahrbaren Untersatz zu. Das fühlte sich sowieso immer besser an, als dieselbige bei sich zu suchen.

Die Dame am Empfang begrüßte ihn wie immer sehr freundlich und er tat dasselbe, zumindest war die Erwiderung netter als vorhin gegenüber dem Wachmann in der Tiefgarage des Wohnhochhauses. Er fand sie sogar ein bisschen attraktiv, wenn man mal von ihrer Sekretärinnen-Brille absah, die sie immer auf halber Höhe auf dem Nasenrücken platzierte und jeden, der an ihrem Tresen vorbeiging, von unten herauf prüfend musterte. Dabei fiel ihm ein, dass er noch nicht mal ihren Namen kannte, aber das würde sich schon noch ergeben. Solange war er jetzt noch nicht in der Firma tätig, um alle der vielen Mitarbeiter im Hause gut zu kennen. Doch ein bisschen merkwürdig war das schon. Tom kam erneut ins Grübeln, als er mit dem Lift in den 2.Stock des Bürogebäudes von Morgan Industries fuhr. Er wusste nicht einmal alle Namen seiner Arbeitskollegen in seiner direkten Umgebung. Nach 3 Monaten sollte man doch zumindest das Arbeitsumfeld, in dem man tätig war, schon besser kennen. Die Leute waren hier schon ein wenig verschlossen, aber er selbst eigentlich auch. Vielleicht sollte er dahingehend mal etwas vorpreschen und sich mit den Menschen in der Software-Abteilung vertrauter machen. Das wäre doch schon mal ein gute Zielvorgabe für diese Woche.

Die Fahrstuhltür öffnete sich und Tom würde jetzt eigentlich lieber wieder vor seinem Apartment stehen, doch er stand schon im LED-Licht getränkten Büroraum und hatte es gar nicht richtig bemerkt, so gedankenversunken war er gerade gewesen. Die Umgebung hatte immer diesen leichten Plastikgeruch, der wohl typisch war für solche Lokalitäten; auch in seiner alten Software-Firma roch es so ähnlich. Es war noch relativ ruhig, wie auch nicht anders zu erwarten war, nach der rasanten Fahrt hierher. Etwa 20 Leute arbeiteten hier und jeder hatte seinen eigenen, abgetrennten Bereich mit Flachbildschirm inklusive Rechner. Tom schlurfte langsam zu seinem Arbeitsplatz, der sich zwischen hellgrauen Trennwänden etwa in der Mitte des Raumes befand. Sogar der Teppichfußboden hatte einen Grauton, der nur etwas dunkler als derjenige der Trennwände war und in regelmäßigen Abständen zierte darauf das royalblaue MI-Firmenlogo. Tom schob den Bürostuhl etwas beiseite und legte seinen kleinen Rucksack neben der Topfpflanze ab, die links neben ihm etwas Natürlichkeit in einer ansonsten steril wirkenden Umgebung versprühte; wenigstens durfte jeder Angestellte etwas Natur mitbringen. Die Yucca-Palme übertrug einen Hauch von Exotik in seine kleine Arbeitsnische. Sie hatte inzwischen eine Höhe von 1,20 Meter und steckte in einem terrakottafarbenen Plastikblumentopf. Der hellbraune Stamm verzweigte sich nach oben hin in 4 Richtungen und an den Enden bildeten sich saftige, dunkelgrüne, schwertlinienförmige Blätter. Tom sorgte regelmäßig dafür, dass es der Zimmerpflanze gut ging. Irgendwie mochte er sie mehr als Menschen und irgendwie würde er sich auch als Misanthropen bezeichnen, denn die Pflanze war sozusagen immer freundlich und bereitete ihm keine Sorgen. Solange er sie gut behandelte und er behandelte sie gut, dafür leistete er regelmäßig seinen Beitrag. Tom fühlte die trockene Erde im Topf und holte gleich die Sprühflasche mit dem kalkfreien Wasser unterhalb des Schreibtisches hervor. Yuccas kamen mit erstaunlich wenig Wasser aus, ein Umstand, den sie ihrer Herkunft aus Südamerika zu verdanken hatten.

Nach der getanen Botanikpflege wollte er gerade den Rechner anschalten, als ihm jemand von hinten auf die Schulter tippte. Tom zuckte zusammen und drehte sich einen Augenblick später um. „Mann, hast du mich erschreckt!“ „Tschuldigung, war keine Absicht.“ Niels Larsen war eigentlich immer einer der Ersten im Büro und daher von Toms frühem Erscheinen etwas überrascht. Sein Arbeitsplatz war direkt hinter dem von Tom und er hatte die komische Angewohnheit, sich gerne bei Leuten von hinten anzuschleichen. „Ich hab´ dich gar nicht reinkommen hören. Wie lange bist du denn schon hier?“ „Gerade erst, vor einer halben Minute.“ „Könntest du die Anschleicherei vielleicht mal lassen? Das nervt!“ „ Diesmal war es wirklich keine Absicht. Ich wollte dir keinen solchen Schreck einjagen.“ „Ist dir aber wieder gelungen.“ „Okay, ich werd´s in Zukunft lassen. Wieso bist du denn heute schon so früh hier?“ „Liegt wohl am neuen Firmenwagen, ein roter Mercedes-Maybach. Der hat eine Superbeschleunigung, sag´ ich dir! Ich musste schon Acht geben, nicht zu sehr auf die Tube zu drücken, sonst hätte mich womöglich noch die Polizei aufgehalten.“ „Verstehe ich, aber echt toll! Ein ähnliches Modell durfte ich auch schon fahren. Ich hab´ jetzt das aktuellste in der Firmenflotte. Mit modernster Technik, die Morgan Industries mitentwickelt hat. Eigentlich noch ein Prototyp. Der Wagen ist noch gar nicht auf dem Markt, aber ich darf ihn trotzdem schon Probe fahr´n.“ „Glückwunsch! Die Firma ist dahingehend wirklich großzügig. Da kann man nicht meckern.“ „Okay, ich lass´ dich mal in Ruhe arbeiten. Wir sehen uns dann in der Kaffeepause!“ „Geht klar.“ Niels machte als Abschiedsgruß immer diese Pistolengeste mit abgespreizten Daumen und Zeigefinger. Noch so eine merkwürdige Angewohnheit von ihm. Manchmal kam es Tom so vor, als wäre Typ nie richtig erwachsen geworden. „Na ja, egal.“ Er musste sich nun endlich um seine Arbeit kümmern. Eine neue Steuerungs-Software wurde gerade entwickelt und Tom schrieb einen Teil des Codes.

Er konnte schon stolz darauf sein, in dieser Firma eine Anstellung gefunden zu haben, auch wenn ihn so manches ins Grübeln brachte. Doch Morgan Industries war wohl eine der innovativsten Unternehmen der Welt. Die Europa-Zentrale war hier in Frankfurt, der Hauptsitz lag im australischen Sydney.

Allmählich füllte sich der Raum mit Menschen und die Plätze neben ihm waren besetzt, so wie er es gewohnt war. Zu seiner Rechten saß die einzige Frau in dieser Abteilung, seine australische Kollegin Stefanie Shaw und links arbeitete Karl Pförtner. Beide hatten ungefähr sein Alter, etwa Mitte 30, und bisher kam er ganz gut mit den zweien klar. Alle kannte er noch nicht so gut, insgesamt war die Abteilung sehr international ausgelegt. Das war wohl typisch für einen sogenannten Global Player wie Morgan Industries. Sprachlich gab es kaum Probleme, manchmal ging es eben nur auf Englisch, aber der Rest der Truppe konnte einigermaßen gut Deutsch, wie Stefanie oder sein etwas kindischer Kollege von vorhin, Niels Larsen aus Dänemark. Karl war ihm am sympathischsten, weil er sich nie aus der Ruhe bringen ließ und trotz Stress immer einen lockeren Spruch auf Lager hatte. Er war etwas dicklich und kleiner als Tom, aber erstaunlich flink, wenn es um die Nahrungsaufnahme ging. Karl war oft einer der Ersten in der Kantine unten im Erdgeschoss. Sein Wanst kam nicht von ungefähr.

Tom brauchte nach etwa 2 Stunden seine obligatorische Kaffeepause, die sein dänischer Kollege schon angedeutet hatte. Niels war in der kleinen Nebenküche vor ihm am Kaffee-Automaten, der seiner neuen Anschaffung sehr ähnlich sah. Das war ihm noch gar nicht so bewusst geworden. Überhaupt schien sich sein Lebensstil allmählich dem der Firma anzupassen, doch das konnte auch nur purer Zufall sein. Er beobachtete, wie Niels mit seinen knöcherigen Fingern Milch und Zucker in den schwarzen Kaffee beförderte. Sein Kollege war im Grunde physisch das genaue Gegenteil von Karl. Fast schon ein wenig zu hager. Mit seinen nach hinten gegelten, weißblonden Haaren, den kantigen Wangenknochen und seinem blassen Teint sah er fast aus wie eine wandelnde Leiche. Trotz seines leicht abschreckenden Erscheinungsbildes und seines kindlichen Verhaltens verstand er sich mit Niels ganz gut, fast so gut wie mit seinen beiden benachbarten Arbeitskollegen. Vielleicht lag es auch daran, dass Tom eigentlich ebenso so wenig erwachsen werden wollte, ein Umstand, den Niels aber besser zutage förderte als er es jemals könnte. Vielleicht war er sogar ein bisschen neidisch darauf, aber das würde er Niels niemals ins Gesicht sagen.

„Du, ich hab´ am Wochenende was vor. Willst du vielleicht mal mitkommen?“ Tom wurde neugierig. „Wo geht’s denn hin?“ „In den besten Nachtclub der Stadt. Das Wilson! Da gibt’s auch jede Menge Live-Musik.“ „Klingt interessant.“ In den paar Monaten seit seiner Ankunft in der Großstadt war er noch nicht oft aus. Eigentlich gar nicht so richtig - einmal im Kino und ein anderes mal in einem Restaurant und immer allein. Wurde echt mal Zeit, ein paar angesagte Nachtlokale in der Gegend kennenzulernen und vielleicht auch mal ein paar nette Mädels dazu obendrein. Den passenden Wagen zum Angeben hatte er ja schon mal. Tom rührte nachdenklich in seinem zweiten Kaffee für diesen Tag herum und sagte schließlich zu. „Okay, alles klar. Dann bis Samstag!“ „Ich hol´ dich mit meinem neuen Firmenwagen ab.“ „Prima! Du kennst ja meine Adresse.“ Niels gab ein Daumen-nach-oben und verzog sich mitsamt Kaffeetasse wieder an seinen Arbeitsplatz; wenigstens dieses Mal keine Pistolengeste! Mit Niels Wagen mitzufahren war gar keine so schlechte Idee, der Prototyp dürfte bei den Damen noch mehr Eindruck schinden, falls dessen Beschreibung über den Wagen von vorhin richtig war.

Zurück am PC dachte Tom nochmal über das kommende Wochenende nach. Er malte sich schon die tollsten Dinge aus, die passieren könnten. Schöne Location mit schönen Frauen, gute Musik und dazu reichlich Alkohol versteht sich! Eigentlich könnte er im Internet mal schauen, was alles dort über diesen Nachtclub zu finden war, doch schnell übernahm seine vernünftige Seite wieder das Kommando.

„Arbeite! Du hast noch viel zu tun.“

Seine innere Stimme hatte ja auch Recht. Er musste noch am Programm weiterschreiben und für heute Nachmittag war außerdem ein Arbeitsmeeting anberaumt, in dem die bisherigen Ergebnisse präsentiert werden sollen. Wie er das hasste! Am liebsten würde er sich hier verkriechen, in größerer Runde zu sprechen, fiel ihm ohnehin schwer. „Computer-Nerd!“

Seine innere Stimme meldete sich wieder.

Tom stellte den inzwischen leeren Kaffeebecher beiseite und gab nur ein teilnahmsloses „An“ in Richtung des ultraflachen Bildschirms ab. Die Gerätschaften hier waren fast alle mit Spracherkennung für grundlegende Befehle ausgestattet, wiederum eine Eigenentwicklung der Firma. Schade eigentlich, dass der Kaffeeautomat noch nicht über Derartiges verfügte. Der Screen selbst war nur einen halben Zentimeter dick und auch gleichzeitig der Rechner, dank der starken Miniaturisierung der Mikrochips im Inneren. Er starrte auf die kabellose, ergonomisch geformte Tastatur vor ihm, die ihn mit ihrer weißen Farbe und beigen Tasten gerade stark an das Gesicht von Niels erinnerte und in gleichem Maße an Tod; auch die kabellose Computermaus war weiß. Irgendwie müsste mal mehr Farbe in diesen Raum, das sollte er doch in dem kommenden Meeting ansprechen, mehr so am Schluss, wenn sie die wichtigen Dinge alle besprochen hatten. Schließlich war bisher bei diesen Treffen immer auch der Abteilungsleiter zugegen. Fragen kostet ja nichts!

Das Meeting am frühen Nachmittag verlief schleppender als gedacht und zog sich hin wie Kaugummi. Die neue Implementierung des Programms wird nicht so schnell vonstatten gehen wie vermutet. Seine eigenen Ausführungen hatte er sehr knapp gehalten, so konnte er in der Gruppe schnell wieder untertauchen. Alle Leute seines Arbeitsbereiches waren zugegen, Abteilungsleiter Thorsten Herberg kritzelte gerade etwas mit einem sensitiven Stift ans elektronische Whiteboard, als Tom fast schon weggedöst wäre. Die Digital-Uhr an der Wand zeigte drei viertel eins. Das Mittagessen in der Kantine fiel viel zu kurz aus und wäre vermutlich interessanter gewesen als dieses Treffen. Er betrachtete Stefanie Shaw von der Seite, die etwas schräg links vor ihm saß. Sie sah eigentlich gar nicht so übel aus, hatte braunes Haar wie er selbst, aber natürlich viel länger. Nur die Brille störte ein bisschen das Gesamtbild. Sie trug legere Kleidung wie Tom es auch gerne mochte, eine Jeans und dazu hellrosafarbene Turnschuhe. Sie wippte mit dem überkreuzten linken Bein lässig hin und her, ihr abschweifender Blick verriet Tom, dass sie gedanklich gerade ganz woanders war und absolut nicht an Herbergs Lippen klebte. „Da scheint sich noch jemand zu langweilen.“ Tom sah weiter in die Runde. Karl aß den letzten Rest seines mitgebrachten Zitronenkuchens auf, Niels putzte sich die Nase und der namenlose Typ vor ihm kratzte sich am Hintern. „Na prima!“ Das war ja ein lustiger Haufen gepaart mit Desinteresse und sprach im Moment nicht gerade für Herbergs Vortragsqualität. Er selbst schien es auch endlich zu merken und kam allmählich zum Abschluss. „So, wenn es keine Fragen mehr gibt …?“ Und Tom war sich sicher – es gab keine. Schließlich standen alle auf und begaben sich an ihre Arbeitsplätze. Er selbst traute sich nicht, die Sache „Mit-mehr-Farbe-im-Arbeitsraum“ anzusprechen. „Elender Feigling!“ Seine innere Stimme mischte sich auch diesmal ein.

Der heutige Arbeitstag neigte sich dem Ende entgegen und Tom fühlte sich hundemüde. Ein Umstand, den er gar nicht gewohnt war, denn sonst verspürte er um diese Zeit wesentlich mehr Fitness. Eine Erklärung dafür fiel im gerade nicht ein - aber doch! Es musste der Schlafmangel der letzten 2 Tage sein! Sein Gehirn schien immer häufiger Aussetzer zu produzieren. Er sah mit halb heruntergeklappten Augenlidern auf seine Armbanduhr: 17.56 Uhr. Er blickte um sich. Ein paar seiner Kollegen waren schon auf dem Nachhause-Weg, das Büro leerte sich und er selbst verspürte plötzlich auch eine gewisse Leere. Sein Blick wanderte wieder zur Uhr, von derem Äußeren er sich irgendwie Aufmunterung versprach. Es handelte sich dabei um ein klassisches Automatik-Modell aus dem Hause Junkers mit hellbraunen Lederarmband und blauem Ziffernblatt. Er hatte sich diesbezüglich bewusst gegen modernen Schnickschack entschieden, wie es respektive bei einer Smartwatch der Fall gewesen wäre. Die Uhr hatte einfach Stil und zeugte von Geschmack, das konnte in dieser Hinsicht auch die modernste Technologie nicht wettmachen.

Tom hatte genug für heute. Er musste nach Hause.

Gated Community war hier das Stichwort. Seit geraumer Zeit schossen diese abgeschlossenen Siedlungen wie Pilze aus dem Boden. Vor allem die wohlhabende Oberschicht hatte das Bedürfnis, sich immer weiter in geschützte Bereiche zurückzuziehen. Die Motive dafür waren vielfältig. Zum einen wollte man eine Abschirmung vor Kriminalität, aber auch eine Abgrenzung zu anderen sozialen Bevölkerungsgruppen oder man war unzufrieden mit staatlichen Dienstleistungen. Viele solcher Wohnkomplexe existierten in den Sunbelt-Staaten der USA und in Südamerika, genauso wie in Afrika und Osteuropa. Doch auch im übrigen Rest der Welt meldeten Statistiker steigende Zahlen dieser Siedlungsformen.

Das Wohnhochhaus des Europaviertels im Stadtteil Gallus hatte eine Höhe von 172 Metern und besaß 51 Stockwerke, inklusive Sunset-Deck und Lounge-Terrasse. Es war schon ein Privileg, hier wohnen zu dürfen. Die Eingangslobby war 6 Meter hoch und beherbergte einen hauseigenen Concierge-Service. Die Bewohner der Anlage kamen aus der ganzen Welt, reiche Leute aus den verschiedensten Regionen des Erdballs. Sein Apartment auf der 14. Ebene war noch eines der kleinsten, in der obersten Etage beispielsweise residierten Ölmagnaten und hochrangige Politiker in Luxus-Suiten. Die wenigsten ließen sich blicken und gaben etwas über sich preis, sogar das Hochhaus-Personal war zu Verschwiegenheit bezüglich der Bewohner verpflichtet worden.

Diskretion und gleichzeitige Anonymität prägten das Dasein in diesem Biotop, das Tom gerade sehr leblos vorkam, als er die Wohnungstür über den Fingerabdruck-Scan aufschloss. Müdigkeit und innere Leere konnte er immer noch nicht abschütteln, vielleicht könnte ja ein Drink seine Stimmung etwas heben. Ähnliches hatte ja heute Morgen schon geklappt, doch Alkohol war eben nicht Kaffee und wird dafür sorgen, dass er hoffentlich eine Nacht lang wieder gut schlief. Seine Minibar