Das Schimmern der Träume - Töchter der Freiheit - Noa C. Walker - E-Book

Das Schimmern der Träume - Töchter der Freiheit E-Book

Noa C. Walker

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Beschreibung

Amerika, 1861: Obwohl ihr heimlicher Verlobter David Williams in den Krieg gezogen ist, bleibt die Nordstaatlerin Annie Braun auf der Plantage seiner Eltern in South Carolina. Sie fühlt sich für die Familie Williams und die Sklaven auf Birch Island verantwortlich. Doch immer wieder bringt ihr Engagement die junge Lehrerin in gefährliche Situationen. So auch als eines Tages ein unheimlicher Fremder auftaucht, der Annie auflauert und nichts Gutes im Sinn zu haben scheint. Und dann muss sie sich noch mit Davids Schwester Victoria herumschlagen, die ihr Steine in den Weg legt, wo sie nur kann.

In Washington City beherbergt die Südstaatlerin Susanna Belle weiterhin Frauen und Kinder in Not. Dabei gerät sie in unheilvolle Gefahren - nicht zuletzt, da sich unter ihren Schützlingen eine Rebellenspionin befindet. Zugleich fürchtet sie um das Leben ihres Ehemanns, der sich als Reporter der Nord-Armee angeschlossen hat.

"Das Schimmern der Träume" ist der dritte Band einer emotionalen, mehrbändigen Familiensaga rund um den amerikanischen Bürgerkrieg, in der sich abgrundtiefer Hass, ein gnadenloser Krieg und unmenschliche Ungerechtigkeiten mit der großen Liebe, tiefgehender Freundschaft und den kleinen Freuden des Lebens die Hand reichen.

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Begeisterte 5-Sterne-Rezensionen für Band 1 & 2:

"Spannende, abwechslungsreiche Sudstaaten-Saga - toller Auftakt!"

"Wunderschöne Geschichte!"

"Ein Roman, der zu Herzen geht, spannend und ereignisreich ist sowie humorvolle Dialoge enthält."

"Ein wundervoller Roman, der einen Teil der amerikanischen Geschichte beleuchtet."

"Großartige, bildgewaltige Fortsetzung der Südstaatensaga."

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Seitenzahl: 583

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Personenregister

12. September – 29. Oktober 1861

Eins

29. Oktober – 23. Dezember 1861

Zwei

23. Dezember – 25. Dezember 1861

Drei

31. Dezember 1861 – 12. März 1862

Vier

19. März – 01. April 1862

Fünf

01. April – 29. April 1862

Sechs

29. April – 07. Mai 1862

Sieben

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

 

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Über dieses Buch

Amerika, 1861: Obwohl ihr heimlicher Verlobter David Williams in den Krieg gezogen ist, bleibt die Nordstaatlerin Annie Braun auf der Plantage seiner Eltern in South Carolina. Sie fühlt sich für die Familie Williams und die Sklaven auf Birch Island verantwortlich. Doch immer wieder bringt ihr Engagement die junge Lehrerin in gefährliche Situationen. So auch als eines Tages ein unheimlicher Fremder auftaucht, der Annie auflauert und nichts Gutes im Sinn zu haben scheint. Und dann muss sie sich noch mit Davids Schwester Victoria herumschlagen, die ihr Steine in den Weg legt, wo sie nur kann.

In Washington City beherbergt die Südstaatlerin Susanna Belle weiterhin Frauen und Kinder in Not. Dabei gerät sie in unheilvolle Gefahren – nicht zuletzt, da sich unter ihren Schützlingen eine Rebellenspionin befindet. Zugleich fürchtet sie um das Leben ihres Ehemanns, der dich als Reporter der Nord-Armee angeschlossen hat.

»Das Schimmern der Träume« ist der dritte Band einer emotionalen, mehrbändigen Familiensaga rund um den amerikanischen Bürgerkrieg, in der sich abgrundtiefer Hass, ein gnadenloser Krieg und unmenschliche Ungerechtigkeiten mit der großen Liebe, tiefgehender Freundschaft und den kleinen Freuden des Lebens die Hand reichen.

NOA C. WALKER

DasSchimmernder Träume

Töchter der Freiheit

Personenregister

Albert und Nathan Jackson:

Susanna Belles jüngere Brüder

Alexander White:

Arzt in Washington City

Alice Williams:

Matriarchin der Familie, die Großmutter

Amber Willrose:

Ehefrau des Schneiders, South Carolina

Amos:

Sklavenjunge, Annies Schüler

Amy und Myra Porter:

Schutzbefohlene bei Susanna Belle

Andrew, Artus und Everett Nells:

Cousins von Victorias Ehemann aus Missouri

Andrew Settrick:

Mariannas große Liebe aus Charleston

Barlow:

Lieutenant der Konföderiertenarmee – Intendantur

Benjamin:

»Butler«, höchster Haussklave

Bessy:

Sklavin, Victorias »Mammy«

Edgar Blywether:

Ehemann von Madelyn

Robert »Bobby« Williams:

jüngster Spross von Richard, Annies Schüler

Roland Brady:

Sklavenhändler

Brent Crady:

Nachbarsohn von Birch Island

Carry Schmidt:

Lehrerin in Winchester und Ehefrau von Arthur, Mutter von Carsten und Carol

Carsten und Carol Schmidt:

Geschwister aus Winchester, Virginia

Joe Cobb:

Feldchirurg, Kollege von David

Crystal:

Annies »Mädchen«, Orleans Enkelin

Daisy:

Sechzehnjähriges »Findelkind« aus Washington City

Daniel Simpson:

Soldat der Konföderiertenarmee

Danny Loftin:

Ehemaliger Verlobter von Jennifer aus New York

Garry:

Sklave auf Birch Island, Stallmeister und Pferdewirt

Ines Donaton:

Susanna Belles »unwillige« Schutzbefohlene

Jennifer Tanner:

Schwester von Marcus, Cousine von Annie

Jerome:

Sklave, 2. Pferdewirt

Joshua Lane:

Pressezeichner, Freund von Marcus

Lovely Lockheart:

Lieutenant der Konföderiertenarmee

Lorena:

Freigelassene Sklavin, Dienstmädchen bei Susanna Belle und Marcus, Washington City

Madelyn Blywether:

Freundin von Susanna Belle, Washington City

Marcus Tanner, »Marc«:

Annies Cousin, Jennifers Bruder, Ehemann von Susanna Belle

Marianna Williams:

Tochter von Richard, ehemals Annies Schülerin

Marigold:

Sklavin, Amme von Ken (Tochter: Luna)

Mae:

Sklavin, Küchenchefin auf Birch Island

Greg Meadow:

Verwalter von Birch Island

Megan Tast:

Ehefrau von Brian, Farmerin, Hebamme

Melissa-Love:

Sklavenmädchen, Annies Schülerin

Mike Randows:

Arzt in kleiner Stadt, South Carolina

Miles:

Chirurg der Konföderiertenarmee

Mose:

Sklavenjunge von Peacock Plantation, »Bursche« der Jackson-Söhne

Orlean »Granny«:

früher Davids »Mammy«, Crystals Großmutter

Paul Drane:

Pinkerton-Detektiv, Freund von Marcus

Peel und Pearl:

Sklavenmädchen, später hinzugekommene Schülerinnen von Annie

Pennington:

Gemischtwarenhändler in kleiner Stadt, South Carolina

Darrel McPherson:

Angestellter bei den Tanners

Philipp Alley:

Sophias Ehemann, Farmer in Kansas

Raven:

Sklave, Stallbursche und Kutscher

Rebecca Sue Williams:

Richards Schwiegertochter

Richard Williams:

Witwer, Plantageneigentümer und Politiker

Rose Giddings:

Cousine von Richards verstorbener Ehefrau

Ruben:

Sklavenjunge, Annies Schüler

Sadie Ann:

Sklavin, »Mädchen« von Alice

Sammy:

Sklave, Vorarbeiter auf Birch Island

Seraphina Buckley:

Jennifers Freundin aus New York. Mutter von: Frank und Charles

Shrubby:

Sklavenjunge, Annies Schüler

Sol:

Sklavenmädchen, Annies Schülerin

Sophia Alley:

(mit Joseph, Samuel und Cindy (Annily)), Annies Schwester in Kansas

Sounders:

Chirurg der Konföderiertenarmee

Susanna Belle Tanner:

geborene Jackson aus S.C., Ehefrau von Marcus

Symphony Barry:

geb. Weddington, Nachbarin von Birch Island

Tamara »Tammy« Green:

Nachbarin und Freundin von Susanna Belle, Washington City

Valerie Giddings:

Roses Tochter aus Richmond

Victoria Nells:

Ältere Tochter der Williams

Walter Walker:

Soldat der Konföderiertenarmee, Patient von David

William Giddings:

Sohn von Rose, aus Richmond stammend

12. September – 29. Oktober 1861

Eins

~South Carolina~

David war fort! Die Welt schien für einige Sekunden den Atem anzuhalten. Schließlich setzte das Lied der Birkenblätter wieder ein, untermalt vom Zwitschern der Vögel. David war tatsächlich in diesen unsäglichen Bruderkrieg gezogen.

Annie blickte hinauf in den nahezu wolkenlosen Himmel. Sie schloss ihre hellblauen Augen und wünschte sich, sie wäre eine Schwalbe und könnte dem geliebten Mann folgen. Die Einundzwanzigjährige rief sich zur Vernunft und sah die Birkenallee entlang zum herrschaftlichen weißen Haus mit seinen beiden rundum verlaufenden Veranden und den grünen Fensterläden.

Zu ihrer Angst, dass David nicht zurückkehren könnte, gesellte sich die Frage, ob es für sie – als Frau aus dem Norden – wirklich weise gewesen war, hier im Süden auszuharren. Schon vor dem Krieg hatte es Angriffe auf Nordstaatler gegeben. Mit jedem weiteren Toten konnte sich der Hass in den Herzen der hier lebenden Menschen vervielfältigen. Und gegen sie richten.

Sie verließ die mit weißen Kieselsteinen und Muschelkalk ausgelegte Allee, indem sie zwischen den Birken hindurch auf die gewellte Parkwiese trat. An den vereinzelt wachsenden Laubbäumen vorbeigehend, erreichte sie das Teichufer. Unter dem schützenden Dach der weit herabhängenden Zweige setzte sie sich und umschloss ihre Knie mit den Armen. Der Wind kräuselte die Wasseroberfläche und zauberte unzählige goldene Sterne darauf.

Annies Blick ruhte auf dem weißen Pavillon, der auf einem Hügel am gegenüberliegenden Ufer thronte. Sie musste sich entscheiden, wie sie die Zeit verbringen wollte, in der sich David Williams, der Sohn des Plantagenbesitzers, in der Ferne aufhielt. Sie könnte diese mit Traurigkeit und Angst füllen oder jeden Tag hoffnungsfroh und dankbar annehmen, der sie seiner Rückkehr näher brachte. Es lag an ihr, wie sie den Trennungsschmerz ihrer jungen Liebe meisterte.

Ihr Vater, der Farmer, hatte sie gelehrt, dass ein Leben in Dankbarkeit ein erfüllteres war und manche Sorge leichter machte. Also erhob sie sich entschlossen und ging auf das Plantagenhaus zu.

Bobby, der seinem älteren Bruder David nicht nur wegen der braunen Locken und dunklen Augen ähnelte, kam ihr entgegen. Annie lächelte ihren achtjährigen Schüler an. Es gab auf diesem abgeschiedenen Grundstück in South Carolina viele Menschen, die sie liebte und um die sie sich kümmern konnte. Vermutlich würde ihr nicht einmal die Zeit für Grübeleien und Traurigkeit bleiben. »Warum hast du es denn so eilig, Bobby?«

Der Junge zog ein Telegramm aus der Brusttasche seines weißen Hemdes. »Es kommt aus Kansas, Miss Annie. Von Ihrer Schwester. Verraten Sie mir, was drinsteht?«

Bobbys Grinsen spülte Schmerz in ihr Herz. David verstand es, ebenso frech zu lächeln. Um sich abzulenken, sagte sie gleich darauf: »Sophia schreibt, dass ich wieder Tante werde.«

»Ist das alles?«

»Ob das alles ist? Das ist doch wunderbar! Ebenso schön ist es, dass das Telegramm trotz all der Unruhen durchgekommen ist.«

Bobby zog entschuldigend die Schultern hoch. Er hatte jetzt selbst einen Neffen, und dieser erschien ihm offenbar furchtbar langweilig, da der fast ausschließlich schlief. Was Annie verschwiegen hatte, war Sophias Mitteilung, dass ihr Bruder Samuel aufbrechen wollte, um Annie aus dem rebellischen Süden nach Kansas zu holen.

Nach dem gemeinsamen Abendessen nur wenige Stunden später blieb Annie bei Tisch sitzen. Während sich Richard Williams eine Pfeife anzündete – was ihm trotz des Fehlens eines Arms geschickt gelang –, spielte Annie unruhig mit den Fransen des Tischtuchs.

»Sie haben heute ein Telegramm aus Kansas erhalten. Hoffentlich enthielt es keine schlechten Nachrichten?«, sprach Richard sie an.

»Nein, das nicht«, beeilte sich Annie, zu versichern. Sie sah den misstrauischen Blick des Mannes. David hatte ihr gesagt, dass sein Vater wohl etwas von ihrer Beziehung ahnte. Dachte dieser, sie wollte Birch Island verlassen, kaum dass David fort war? »Ich sollte meiner Schwester dringend antworten.«

Richard nickte, da er offenbar ihr Problem erkannte, zu einem Telegrafenamt zu gelangen. »Ich fahre morgen ohnehin in die Stadt und kann Ihr Telegramm aufgeben.«

»Sie reisen bald wieder nach Richmond?«, äußerte Annie ihre Vermutung.

»In ein paar Tagen. Doch ich werde bald zurück sein, um mit dem Kommissionär zu verhandeln, wie wir die Ernte sicher nach Charleston und durch die Blockade bringen.« Richard nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife. »Keine Sorge, Miss Braun. Ich nehme mir neben der Politik genug Zeit für meine Plantage. Schließlich möchte ich Ihren zarten Schultern nicht die ganze Verantwortung auferlegen.« In seinen Augen tanzte jener Schalk, der den Williams-Männern so zu eigen war. Sogar Kenneth, der verstorbene älteste Sohn, hatte diesen besessen, wenngleich Annie von ihm vielmehr mit Misstrauen und Hohn überschüttet worden war.

»Schreiben Sie nieder, was ich Ihrer Verwandtschaft nach Kansas drahten lassen soll.«

Annie zögerte. Eigentlich hatte sie Sophia von David erzählen wollen, doch diese Nachricht war nun wirklich nicht geeignet, dass Richard sie aufgab. Immerhin hielten David und Annie ihre Liebe geheim. Also beschloss sie, dem Telegramm einen ausführlichen Brief folgen zu lassen. »Danke, Mr Williams, das ist sehr freundlich.« Sie erhob sich, ging hinüber in die Bibliothek und schrieb, dass sie Birch Island nicht verlassen wollte. Wieder zurück, reichte sie Richard das Blatt Papier, der einen kurzen Blick darauf warf. War es Erleichterung, die sie in seinem Gesicht lesen konnte?

Der große breitschultrige Mann steckte das Papier in seine Westentasche und wünschte ihr eine gute Nacht. Annie folgte ihm zur Tür und beobachtete, wie er vom Atrium die geschwungene Treppe hinauf zur rundum verlaufenden Galerie des oberen Stockwerks ging. Benjamin, der alte dunkelhäutige Butler, folgte ihm und löschte alle Wandleuchter bis auf einen. Eine nahezu greifbare Stille senkte sich über das herrschaftliche Haus und den Landstrich. Die Männer des Districtes waren fast alle in ihr Abenteuer Krieg gezogen. Mit ihnen waren die Fröhlichkeit, Ausgelassenheit und Geschäftigkeit der Abendstunden verschwunden.

Langsam ging Annie über den hellen Marmorboden des geräumigen Atriums, vorbei an den gemütlichen Sitzecken unter Palmen und eleganten runden Säulen, die die Galerie stützten. Das Weinen eines Babys war zu hören, dann Marigolds leises Wiegenlied. Annie lauschte der Melodie der Amme und kam nicht darum herum, an Kenneth zu denken. Er war bei der ersten großen Schlacht dieses Krieges gefallen, ohne seinen Sohn je gesehen zu haben.

Nachdem Annie zur Galerie hinaufgestiegen war, nahm sie die steilen Stufen unters Dach und huschte den Flur entlang, um ihr Mädchen, die Sklavin Crystal, nicht zu wecken. Sie tastete nach dem Türknauf ihres Mansardenzimmers, dabei klackerte es leise zu ihren Füßen. Hatte sie mit dem Schuh etwas gegen die Türschwelle gekickt?

Annie öffnete die Tür. Mondlicht flutete durch das Fenster und half ihr, die Öllampe und die Sicherheitsstreichhölzer auf ihrem Tisch zu finden. Eine helle Flamme schoss hervor, die Annie unwillkürlich mit dem Oberkörper zurückweichen ließ. Obwohl ihre Brandwunden längst verheilt waren, hielt sich ihr Respekt vor Feuer hartnäckig. Sie schob den Glastrichter hoch, zündete die Lampe an und drehte den Docht höher. Zurück bei der Tür, hielt sie nach jenem Gegenstand Ausschau. Das matte Schimmern aus einer der Bodenritzen ließ sie niederknien. Sie angelte mit dem Zeigefinger einen im flackernden Licht aufglühenden goldenen Ring hervor.

Ihre Hand zitterte. Der Ring war ohne Stein oder Verzierungen – da auch David ohne Tand und Eitelkeiten auskam – und in seiner Schlichtheit wunderschön. Ein Lächeln umspielte Annies Lippen, als sie Davids Geschenk eingehend betrachtete; sie streifte den Ring jedoch nicht über ihren Finger. Sie konnte das Zeichen ihrer Liebe nicht tragen. Deshalb holte sie hellbraunes Garn aus dem Nähkasten und drehte dieses zu einer Kordel, auf die sie den Ring fädelte. Sie legte sich die selbstgemachte Kette um den Hals und trat vor den Standspiegel in der Ecke ihrer Dachkammer.

Nachdem sie das goldene Schimmern betrachtet und dabei ein Gebet für den geliebten Mann gesprochen hatte, ließ sie das Schmuckstück in den hochgeschlossenen Halsausschnitt ihrer Bluse gleiten. So konnte niemand den Ring sehen, und sie trug diesen dennoch bei sich – nahe an ihrem Herzen –, in der Hoffnung, dass David wohlbehalten zurückkehren und ihn ihr an den Finger stecken konnte.

~Nahe Washington City~

Das Wasser des Potomac floss aufgewühlt durch das Flussbett. Möwen kreisten am Himmel und stießen heisere Schreie aus, als wollten sie gegen die lauten Befehle der Offiziere angehen, die ihre Regimenter über das weite Feld scheuchten. Lagerfeuerrauch kringelte sich zwischen den kegelförmigen Sibley-Zelten hindurch, hinauf in den nahezu wolkenlosen Himmel.

Oberhalb einer Anhöhe, an den breiten Stamm eines Ahornbaumes gelehnt, der seiner großen und muskulösen Statur gerecht wurde, stand Marcus Tanner, Annies Cousin, und blickte auf die Soldaten. Er biss in einen Apfel und wandte seinen Blick einem Uniformierten zu, der den Hügel heraufkam. Als der Neuankömmling den Kopf hob, erkannte Marcus – der als Kriegsberichterstatter arbeitete – Joshua Lane, einen begabten Zeichner. Grüßend hob Marcus die Hand. Joshua erwiderte die Geste und machte sich sofort daran, einen exerzierenden Truppenteil auf Papier zu bannen.

»Ich habe gesehen, dass der Herausgeber meiner Zeitung einige deiner Zeichnungen gekauft hat«, begann Marcus eine Unterhaltung. Da er stand, Joshua aber auf einer überirdisch verlaufenden Wurzel saß, konnte er ihm über die Schulter sehen.

»Ja, und falls du unter einem Pseudonym schreibst, sind diese gemeinsam mit deinen Berichten erschienen.«

Marcus ließ sich ebenfalls nieder. Es störte ihn nicht, dass Joshua hinter sein Geheimnis gekommen war. Von dem Dreißigjährigen ging keine Gefahr für ihn, seine Frau und deren Schutzbefohlene aus.

»Dieser George McClellan mag für einen Generalmajor ja sehr jung sein und auch etwas eigen, doch er bildet die Männer da unten zu einer anständigen Armee aus«, murmelte Joshua vor sich hin.

Marcus musterte den neuen Oberbefehlshaber der bei Washington City stationierten Nordarmee. Er posierte vor einem der Zelte für einen Fotografen. Seine rechte Hand steckte im Waffenrock, die linke war auf den Säbel gestützt, um sich in einer Haltung ablichten zu lassen, wie sie einst Napoleon Bonaparte innegehabt hatte.

»Er lässt professionell ausbilden, ist als guter Organisator bekannt und fiel durch seine technischen Leistungen bereits im Mexicokrieg auf«, erläuterte Marcus, während Joshua mit wenigen Strichen den Potomac zeichnete, ehe er sich den davor marschierenden Truppen zuwandte.

»Er war schon in Mexico?«

»McClellan verließ West Point achtzehnhundertsechsundvierzig, da er die Militärakademie aufgrund einer Sondergenehmigung zwei Jahre vor Erreichen des Mindestalters besuchen durfte.«

»Ein Günstling aus reichem Hause?«

Marcus winkte ab, bis ihm einfiel, dass der Zeichnende dies nicht sehen konnte. »Er stammt aus einer angesehenen Familie in Philadelphia und besuchte nur die besten Privatschulen. Er schloss West Point als Zweitbester seiner Klasse ab.«

»Du warst einige Jahre später in West Point. Wie hast du abgeschlossen?«

»Mittelmäßig. Ich schoss nicht gerne, und beim Reiten streiften entweder meine Zehen den Boden, oder ich blieb mit dem Kopf in einer Astgabel hängen.«

Die nächste Reihe blauer Soldaten wurde etwas schief, und der Zeichner legte Papier und Stift beiseite. »Tanner, du ruinierst meine Arbeit.« Joshua lachte gutmütig und erhob sich. Mehrere Reiter näherten sich der riesigen Zeltstadt.

»McClellans Militärpolizei war wieder fleißig«, sagte Joshua. »Langsam dürften sie alle Drückeberger gefunden und die abhandengekommenen Offiziere in den Washingtoner Bars aufgespürt haben.«

»Er hat einen Prüfungsausschuss ins Leben gerufen. Einige der in ihren Augen unfähigen Offiziere werden nun ausgesiebt.«

»Dieser Little Mac ist wohl der fähigste Offizier für die Potomac-Armee«, äußerte sich Joshua mit hörbarer Begeisterung in der Stimme.

Marcus rieb sich nachdenklich das kantige Kinn. »Warten wir es ab.«

»Warum so skeptisch? Alle anderen Presseleute loben ihn in den Himmel.«

»Mir gefällt es nicht, dass McClellan und Winfield Scott bereits aneinandergeraten sind. Sogar Präsident Lincoln startete einen Vermittlungsversuch.«

»Vielleicht wird es Zeit, dass der alte Oberbefehlshaber den Platz für einen Jüngeren räumt. Er ist inzwischen so fett und alt, dass er nicht einmal mehr auf ein Pferd kommt.«

»Und wen schlägst du vor?«

»McClellan!«, lautete Joshuas prompte Antwort.

Ein Soldat, der Feldpost verteilte, wurde von unzähligen Soldaten umlagert. Dies erinnerte Marcus daran, dass er einen Brief von seiner Schwester Jennifer mit sich herumtrug, den Susanna Belle sicherlich gern lesen wollte. »Ich muss los, meine Frau wartet vermutlich schon.«

»Schön für dich. Meine Mutter ist heute auf einer Beerdigung und wird über Nacht wegbleiben. Das heißt für mich: Selbstversorgung.«

Marcus kniff für einen Moment die Augen zusammen und überlegte, ob er Joshua zu den vielen Frauen in seinem Haus mitnehmen konnte. Vielleicht wäre das sogar gut, dann könnte er ihm den Sinn hinter seinem Pseudonym erklären und ihn bitten, dieses Geheimnis für sich zu behalten.

»Was hältst du von einem Abendessen bei Tanners?«

»Darauf habe ich gehofft.« Joshua feixte, raffte seine Malutensilien zusammen und folgte dem Hünen fröhlich pfeifend den Hügel hinunter.

Wenig später betraten die beiden Männer das kleine rote Backsteinhaus. Das durchdringende Geschrei eines Babys schlug ihnen entgegen.

»Du hast Kinder?«, fragte Joshua prompt.

»Nein, das ist Susan, die Tochter einer Freundin meiner Frau.« Marcus trat in das leere Wohnzimmer und hob das schreiende Mädchen aus der Wiege, dieses beruhigte sich sofort. Suchend blickte Marcus in die angrenzende Küche, die jedoch ebenfalls verwaist war.

»Hoffentlich habe ich dir mit dem Essen nicht zu viel versprochen.«

»Du machst das gut mit der Kleinen.«

In diesem Moment kamen seine Frau Susanna Belle und die Mutter des Babys, Madelyn Blywether, die Wendeltreppe herunter. Marcus stellte die Anwesenden vor. Susanna Belle, eine zierliche schwarzhaarige Südstaatenschönheit, begrüßte den unerwarteten Gast mit dem ihr eigenen Südstaatencharme und bat ihn, im Salon Platz zu nehmen.

Während Madelyn, die einige Jahre älter als Susanna Belle war, mit ihrer Tochter nach oben ging, folgte Marcus seiner Frau in die Küche. Diese machte sich daran, eine Mahlzeit vorzubereiten und erzählte dabei, dass sie nun eine weitere Frau und ihr Kind vor ihrem prügelnden Ehemann in Sicherheit wusste.

Madelyn war die erste Frau gewesen, die im Tanner-Haus Zuflucht gefunden hatte. Sie war geblieben, weil sie sich hier vor dem Zugriff ihres Ehemanns sicher fühlte und Susanna Belle bei ihrer verantwortungsvollen Aufgabe unterstützen wollte. Die beiden waren inzwischen enge Freundinnen.

Marcus kehrte in den Salon zurück, wo Joshua es sich in einem Sessel bequem gemacht hatte. »Ich bin wohl unpassend gekommen?«

»Keine Angst, Susanna Belle bereitet bereits ein Essen vor.«

»Deine Frau hast du aber nicht aus New York mitgebracht?«

»Habe ich das jemals gesagt?«

»Nein, aber du hast mir auch nicht widersprochen, als ich sie vor einiger Zeit eine Nordstaatenlady nannte.«

»Ich hielt das nicht für nötig. Aber ja, sie stammt aus South Carolina.«

»Dann hast du während der Schlacht um Bull Run Bekannte von ihr, vielleicht sogar Familie beobachtet?«

»Vermutlich.« Marcus setzte sich Joshua gegenüber.

»Gehört sie zu Rose O’Neal Greenhows Damen?«

Marcus lachte kurz auf. »Wenn dem so wäre, würde ich es dir sicherlich nicht auf die Nase binden.«

Sein Gegenüber nickte grinsend. Rose Greenhow, die Dame, die dem Konföderiertengeneral Beauregard die Aufmarschpläne des Nordens bei der Schlacht um Bull Run verraten hatte, war in den letzten Tagen verhaftet worden, sollte aber, so lauteten die Gerüchte, demnächst wieder freigelassen werden.

»Jedenfalls bist du zu beneiden. Deine Frau ist eine Schönheit.«

»Ja, das ist sie«, sagte Marcus voller Stolz und Zuneigung, was das Lächeln auf dem Gesicht des Künstlers vertiefte.

Madelyn trat zögernd ein, und die beiden Männer erhoben sich.

»Ich habe leider Ihren Nachnamen nicht verstanden«, merkte Joshua an, kaum dass sie sich alle gesetzt hatten. Marcus hatte diesen allerdings zu Madelyns Schutz bewusst verschwiegen.

»Das ist … nennen Sie mich einfach Madelyn.«

»Anhand Ihrer Aussprache nehme ich an, dass Sie nicht aus dem Süden stammen?«

»Nein, ich stamme ursprünglich aus New Jersey.«

»Dann sind Sie bei Mrs Tanner zu Besuch?«

Madelyn zögerte mit der Antwort und wurde von Susanna Belle gerettet, die mit dampfenden Tellern den Raum betrat.

Joshua lobte das doch recht einfache Gericht, und Susanna Belle strahlte über das ganze Gesicht. Immerhin stand sie noch keine zwei Jahre in ihrer eigenen Küche. Davor hatte eine Schar von Sklaven ihr jeden Handgriff abgenommen.

Madelyn war während der Mahlzeit sehr still geblieben und half ihr nun, das Geschirr in die Küche zu tragen. Plötzlich klopfte es laut an die Küchentür. Susanna Belle überwand schnell ihren Schrecken, ging zur Tür und fragte: »Wer ist da?«

»Dr. White.«

Sie öffnete und legte warnend einen Finger an ihre Lippen. Dr. Alexander Whites helles Haar war zerzaust, was zu seinem stets etwas nachlässigen Kleidungsstil passte.

»Marcus hat einen Gast«, raunte Susanna Belle.

Der Arzt nickte verstehend und sagte leise: »Ich bringe Ihnen heute keine Frau, aber schlechte Nachrichten.«

»Was ist geschehen?« Madelyn gesellte sich zu ihrer Freundin an die Tür.

»War heute Mrs Victors Ehemann bei Ihnen?«

»Hier bei uns? Nein. Aber Mrs Victor und ihr Sohn haben uns heute verlassen. Sie wollte zum Bahnhof und zu Verwandten fahren.« Eine ungute Vorahnung befiel Susanna Belle. Sie ergriff Madelyns Hand, die den Arzt prüfend anschaute.

»Hafenarbeiter haben vor etwa einer Stunde die Leiche von Mrs Victor aus dem Wasser gezogen. Ich wurde hinzugerufen. Es sieht so aus, als sei sie geschlagen und gewürgt worden.« Reaktionsschnell sprang der Arzt nach vorn und fing die schwankende Madelyn auf. Er hob sie hoch, trug sie zu einem Küchenstuhl und ließ sie nur widerwillig los – zumindest hatte Susanna Belle diesen Eindruck.

»Was ist mit Charles?«, murmelte Madelyn, sichtlich aufgewühlt vor Sorge um das Schicksal des Babys.

»Ich weiß es nicht.« Der Arzt beließ es dabei und verabschiedete sich gewohnt hastig.

Ein heftiger Schmerz brannte in Susanna Belles Brust, und es gelang ihr kaum, die Tränen zurückzuhalten. Die nachfolgende Erkenntnis hatte Panik im Gepäck: Hatte einer der Ehemänner ihr Haus als Zufluchtsstätte enttarnt? Was würde dann mit den Frauen geschehen, die sich hier verbargen? Ob sie Madelyn nicht doch besser nach New York zu Marcus’ Familie schicken sollte? Und lag der kleine Charles ebenfalls im Potomac oder war er bei seinem gewalttätigen Vater?

Sonnenstrahlen kitzelten Susanna Belles Gesicht. Sie, Marcus mit Susan im Arm, Madelyn und ihre quirlige sechzehnjährige Nachbarin Tammy Green saßen im Garten und überlegten, ob Madelyn und ihre Tochter sicherheitshalber nach New York ziehen sollten.

Susanna Belle wandte sich um, als sie eine Kutsche vor ihrem Grundstück halten hörte. »Erwartest du jemanden?«, fragte sie ihren Mann.

Dieser schüttelte den Kopf, trat aber an das rustikale Gartentor, über das er, dank seiner Körpergröße, hinwegsehen konnte. Susanna Belle bemerkte, wie ihr Mann zusammenzuckte. Umso mehr erstaunten sie seine Worte: »Liebe Ehefrau, ich hatte völlig vergessen, dass Jennifer geschrieben hat. Ich wollte eine Gelegenheit abwarten, um den Brief mit dir gemeinsam zu lesen.«

»Und?«, hakte sie nach.

Der große Mann lehnte sich gegen das derbe Holz des Gartentores. »Sie ist gerade aus der Kutsche gestiegen.«

Susanna Belle warf ihm einen belustigten Blick zu und erhob sich. Prüfend sah sie an ihrer für eine Jackson-Tochter ungewöhnlich einfachen Garderobe hinunter, strich den Rock glatt und trat ebenfalls zum Gartentor. »Dann können wir sie ja persönlich fragen, ob sie zwei neue Mitglieder im klein gewordenen Kreis ihrer Familie aufnehmen möchte.« Sie ließ Marcus stehen und eilte ihrer Schwägerin mit einem strahlenden Lächeln entgegen.

»Ist das dieselbe stolze Südstaatenschönheit in dem weißen Traum aus Atlas, die meinen Bruder geheiratet hat?«

»Das ist sie!«, bestätigte Susanna Belle kichernd. Sie mochte die blonde Frau mit den leicht abstehenden Ohren, die einen ebenso lockeren Umgangston pflegte wie Marcus.

»Du bist noch immer eine Schönheit, wenngleich etwas weniger aufwendig verpackt.« Jennifer begrüßte sie mit einem Wangenküsschen.

»Ich freue mich, dass du uns besuchen kommst.«

»Um ehrlich zu sein, hätte ich jemanden am Bahnhof erwartet.«

»Das klärst du besser mit deinem Bruder. Der trägt nämlich seit Tagen einen ungeöffneten Brief spazieren.«

Jennifer schmunzelte. »Ist er so verliebt oder zu sehr beschäftigt?«

»Beides!«, sagte Marcus und schlang seine muskulösen Arme um seine Schwester.

»Ist Annie bei euch eingetroffen?«

Susanna Belle hob ruckartig den Kopf. »Wollte sie denn kommen?« Träumerisch blickte sie ihre Schwägerin an. Wie glücklich könnte sie sich schätzen, wenn dem so wäre. Annie konnte ihr sicher vom Ergehen ihrer Familie erzählen. Der Krieg hatte leider jeden Kontakt zu Peacock-Plantation zerschlagen.

»Ehrlich gesagt, war das nur eine vage Hoffnung meiner Eltern. Wir haben so lange nichts von Annie gehört. Dafür erreichte uns ein Brief von Sophia, in dem sie schreibt, dass Samuel gleich nach der Ernte losreiten will, um seine und Sophias Schwester dort unten herauszuholen.«

»Sie wird das nicht wollen«, sagte Susanna Belle nachdenklich.

»Aber warum denn nicht? Es herrscht Krieg zwischen Nord und Süd. Und jeder dort unten hört ihren Nordstaatendialekt.«

»Wegen David«, lautete Susanna Belles knappe Antwort.

»Also doch!« Für einen Moment erhellte ein amüsiertes Lächeln das Gesicht der New Yorkerin. »Weißt du Näheres über die beiden?«

»Nein, leider nicht.«

Sie betraten den Garten, und Susanna Belle stellte ihrer Schwägerin Madelyn und Tammy vor. Letztere verriet, dass sie das Gespräch gehört hatte, indem sie mit schmachtendem Tonfall sagte: »Diesem berüchtigten David Williams bin ich ja mal begegnet, als er eine Nacht hier verbracht hat. Aber auf diese ominöse Miss Annie wäre ich schon neugierig.«

»Du glaubst gar nicht, wie gern ich sie dir vorstellen würde«, meinte Susanna Belle. »Wenn sie doch nur kommen würde.«

»Ob David inzwischen ebenfalls in die Armee eingetreten ist?«, überlegte Jennifer laut.

»David?« Nachdenklich blickte Marcus seine Frau an, die zweifelnd den Kopf wiegte.

»Er war von klein auf ein Unruhestifter und eckte ständig mit seinen Ansichten an. Er weigerte sich, eine der Militärakademien zu besuchen, und ging stattdessen zum Medizinstudium an die Universität von Pennsylvania. Medizin! Seine Großmutter Alice und auch sein Vater waren entsetzt.« Susanna Belle lächelte in Erinnerung an ihre Kindheit und Jugend im Süden des nun geteilten Landes. »Wenn er sich tatsächlich der Rebellenarmee angeschlossen hat, dann wohl als Feldarzt.«

Inzwischen hatte der schwarze Kutscher zwei große Koffer auf die Treppe vor dem Haus gestellt und stand abwartend da. Marcus bezahlte ihn und trug das Gepäck hinein und die Wendeltreppe hinauf. Die Frauen machten es sich im Salon bequem.

»Nachdem mein Bruder es nicht für nötig hielt, meinen Brief zu lesen, bin ich nun in der etwas peinlichen Situation, erst einmal erklären zu müssen, warum ich hier bin.«

»Du bist hier herzlich willkommen«, beeilte sich Susanna Belle zu sagen.

»Danke. In dem Brief habe ich darum gebeten, mir bis vor zwei Tagen zu telegrafieren, falls ihr mich nicht für etwa ein halbes Jahr bei euch aufnehmen könnt. Nachdem ich nichts hörte, bin ich in Begleitung einer Freundin und deren Familie angereist.«

»Es braucht dir nicht peinlich zu sein, eher meinem Mann!« Susanna Belle warf dem eben Eintretenden einen belustigten Blick zu.

»Natürlich kannst du bleiben, Schwesterherz. Diese Südstaatendame hier kennt Gäste, die nie mehr abreisen.«

»Ich nehme keiner Frau den Platz weg?«

»Derzeit haben wir keine Schutzsuchende hier. Aber sag: Was führt dich hierher?«

»Eine sinnvolle Beschäftigung. Denn es kommen kaum noch entflohene Sklaven zu uns.«

»Vorsicht, Jenny, Tammy hat zwar einen feinen Bostoner Akzent, doch sie ist in Maryland geboren. Im Haus ihres Vaters arbeiten Sklaven.«

»Verstehe ich das richtig? Sie schmuggeln Sklaven in den Norden?«, hakte Tammy prompt nach.

»Wie gesagt, seit Kriegsausbruch nimmt die Zahl der Flüchtenden ab.«

»Die bleiben alle bei unserem guten Generalmajor Benjamin Butler auf dem winzigen virginischen Flecken hängen, der unter Kontrolle des Nordens steht. Fort Monroe«, vermutete Marcus.

Tammy winkte mit einer heftigen Handbewegung ab. Sie wollte das brisante Thema offensichtlich nicht wechseln. »Sie haben Sklaven nach Canada gebracht?«

»Ja, und falls dies an Ihrem –«

»Lassen wir das doch!« Jennifers herausfordernde Stimme war für Susanna Belle Grund genug, das Gespräch zu unterbrechen. »Erzähl lieber, warum du nach Washington gekommen bist.«

»Ich wollte nur sagen, dass mir die ganze Familie Tanner sehr imponiert. Dagegen ist mein Dasein unbedeutend und langweilig. Und dabei halten sich die Greens für überaus wichtig.« Tammy lächelte Jennifer versöhnlich zu, und diese nickte mit dem Kopf in ihre Richtung.

Dann nahm sie den von Marcus eingebrachten Einwand auf. »Butler stellte zuerst die Frage nach dem Status der geflüchteten Sklaven, die sich nun bei den verschiedenen Nordarmeen aufhalten. Er hat sie zu Arbeiten herangezogen und wollte von Kriegsminister Cameron wissen, ob die Männer, Frauen und Kinder nun Eigentum der Armee sind oder doch frei. Deshalb bin ich hier. Wir wollen, dass diese Menschen nicht länger als irgendjemandes Eigentum behandelt, sondern als freie Bürger der Vereinigten Staaten angesehen werden.« Jennifer holte kurz Luft, ehe sie fortfuhr: »Wir möchten, dass die Schwarzen gegen die Unterdrücker ihrer Familien im Süden kämpfen dürfen.«

»Sklavensoldaten?« Tammy schüttelte ungläubig den Kopf.

»Sie würden unter enormem Einsatz für ein ehrsames Ziel kämpfen!«, schlussfolgerte Jennifer herausfordernd.

»Aber was ist jetzt mit diesem Butler und seinen zugelaufenen Sklaven, mit denen er nicht weiß, was er tun soll?«, hakte Tammy unbeeindruckt nach.

»Die diesbezüglich getroffene Entscheidung ist leider … schwammig. Butler darf nur jene Schwarzen, die er Konterbande – kriegswichtige Schmugglerware – nennt, als befreit betrachten, die unmittelbar in den bewaffneten Streitkräften des Südens beschäftigt sind.«

Diesmal verhinderte die weinende Susan eine Diskussion. »Darüber reden wir noch«, rief Madelyn über ihre Schulter zurück.

»Bestimmt«, erwiderte Jennifer, und Susanna Belle warf ihrem Mann einen besorgten Blick zu. Das Zusammenleben mit der Abolitionistin Jennifer und ihrer jugendlichen Südstaaten-Freundin Tammy könnte für Spannungen sorgen.

Marcus beugte sich vor und raunte: »Uns stehen aufregende Monate bevor, auch ohne dass McClellan sich endlich in Bewegung setzt.«

»Das befürchte ich ebenfalls. In unserem Haus werden einige Schlachten stattfinden. Da können sich die Soldaten getrost in ihr Winterlager zurückziehen.«

~South Carolina~

Annie saß an einem der Salontische, den Kopf schwer in ihre Hände gestützt. Sie beobachtete durch die bodentiefen Fenster, wie die Sklaven Baumwollballen auf die Buckboards wuchteten. Das leise Klappern aus dem Speiseraum vermischte sich mit dem durchdringenden Schreien der beiden Babys. Bobbys Füße scharrten unruhig über den wertvollen Intarsienboden, eine Schreibfeder kratzte auf Papier.

Annie nahm all diese Geräusche nur nebenbei wahr. Anders als Richard gesagt hatte, war er nicht zur Ernte auf Birch Island gekommen, und so waren von Benjamin, dem Pferdewirt Garry und von Sammy, seines Zeichens Vorarbeiter, eine Menge Fragen an Annie herangetragen worden. Dank der fleißigen Arbeiter waren die Felder abgeerntet und die Güter zum Abtransport bereit.

Annie, die von Richard schon vor Wochen die Verantwortung über Birch Island übertragen bekommen hatte, jedoch immer gehofft hatte, dies niemals offenlegen zu müssen, fühlte sich überfordert. Sie hatte keine Ahnung, wie sie weiter verfahren sollte.

Ein Kommissionär, der die Ernteerträge abholen wollte, war nie erschienen, und sie wusste nichts über die Absprachen zwischen den Pflanzern und etwaigen Blockadebrechern, damit zumindest die wertvolle Baumwolle ihren Weg nach England fand. Wenn die großen Plantagen ihre Waren nicht verkaufen konnten, würden diese unweigerlich in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Das wusste der Norden, weshalb dieser die Seeblockade so undurchlässig wie möglich hielt.

Am Vortag hatte wieder einmal Brent, der jüngste Spross der Cradys, vorbeigeschaut, und Annie hatte den Heimwehr-Soldaten gebeten, für sie ein Telegramm an Richard aufzugeben. Sicherlich gab es in Richmond, der neuen Konföderiertenhauptstadt, viel zu tun, vor allem weil es im Kriegsministerium Umwälzungen gegeben hatte. Kriegsminister Leroy Walker war Mitte September von Judah Benjamin abgelöst worden. Doch Annie wusste, dass Richard seine geliebte Plantage nicht vernachlässigt wissen wollte, zumal sie das Zuhause seiner Familie war.

Plötzlich wurde Annie gewahr, dass sie schon mehrmals ihren Namen gehört hatte. Fragend wandte sie sich zu ihrem Schüler Bobby um.

»Machen Sie sich Sorgen, weil Pa eigentlich kommen wollte?«

»Das stimmt. Niemand weiß, wohin die Ernte verschifft werden soll.«

»Sie müssten das doch wissen.«

»Wie kommst du denn darauf?« Annie fand es schmeichelhaft, wie viel Wissen der Junge ihr zutraute.

»Pa hat Sie damit beauftragt, hier alles in die Hand zu nehmen.«

Erschrocken blickte Annie über ihre Schulter, doch ihr Schüler und sie waren allein. »Wie kommst du denn darauf?«

»Das erzählen unsere Leute. Sie sagen, ich sei zu jung, und ansonsten besitze keiner die Fähigkeit, die Plantage zu führen.«

Umgehend legte Annie ihre Hand auf die seine. »Bobby, du musst mir versprechen, darüber Stillschweigen zu bewahren. Deinem Vater und mir wäre es nicht recht, wenn deine Großmutter oder Rebecca Sue davon erfahren.«

»Weil sie eigentlich die Verantwortung tragen müssten, es aber nicht können?«

»Unter anderem, ja. Außerdem bin ich für viele hier im District die feindliche Nordstaatlerin. Wenn es sich herumspricht, könnte das deinen Vater und mich in Schwierigkeiten bringen.«

Bobby blickte zu den Arbeitern. »Wenn Pa nicht bald kommt, müssen Sie entscheiden, was mit der Ernte geschehen soll. Crystal kann die Unterlagen für Sie finden«, schlug er vor.

»Ich denke, das wird nicht nötig sein. Dein Vater erhält bald ein Telegramm von mir und wird entweder rasch antworten oder anreisen.«

»Mir gefällt der Krieg nicht mehr. Alle Männer sind weg, und ich muss ausschließlich mit Frauen zusammenwohnen. Es ist so langweilig.«

Annie lächelte erleichtert. Der Junge hatte seine eigenen Probleme und würde nicht lange über die ihren nachgrübeln. »Erst gestern warst du den ganzen Nachmittag mit Albert und Nathan von Peacock-Plantation unterwegs, und nun ist dir schon wieder langweilig? Vielleicht sollte ich dir mehr Schulaufgaben geben.«

Bobby winkte erschrocken ab, und Annie erhob sich schmunzelnd. Noch immer schrie auf der Veranda ein Baby. Sie trat hinaus in den warmen Sonnenschein und nahm das schwarze Mädchen aus dem Weidenkorb, das sich daraufhin schnell beruhigte.

Marigold stillte vermutlich Ken, den Sohn von Rebecca Sue und ihrem verstorbenen Ehemann, da dieser stets Vorrang vor dem Baby der Amme hatte. Dieses saugte nun an Annies Zeigefinger, während sie überwachte, was Bobby schrieb. Dabei wanderten ihre Gedanken zu ihren beiden mittlerweile zweijährigen Neffen Samuel und Joseph, die sie noch nie im Arm hatte halten dürfen.

»Miss Annie? Ist David feige?«

Bei der Nennung dieses Namens durchlief ein sehnsüchtiger Schauer ihren Körper. »Warum soll dein Bruder feige sein?«

»Weil er nicht als Soldat in den Krieg gezogen ist, wie all die anderen, sondern nur als Arzt.« Bobby klang verunsichert.

»Findest du deinen Bruder deshalb feige?«

»Ich … weiß es nicht. Nathan und Albert sagten, es sei Feigheit, wenn man in einer Uniform steckt, aber nicht kämpft.«

Annie verscheuchte eine fette Stubenfliege vor dem Gesicht des Babys, bevor sie antwortete: »Du weißt doch, dass Kenneth in der Schlacht von Manassas verletzt wurde?«

»Ja, er ist nicht gleich gestorben, sondern war verletzt«, bekräftigte Bobby.

»Jetzt stell dir vor, ein Arzt in Uniform hätte versucht, ihm das Leben zu retten. Vielleicht wäre es ihm gelungen, vielleicht wäre Kenneth dennoch gestorben. Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass es damals keine Ärzte beim Schlachtfeld gab. Aber denkst du, wenn es sie gegeben hätte, wären diese feige gewesen?«

»Nein! Schließlich hätten sie doch unter Beschuss versucht, Kenneths Leben zu retten!«

Annie lauschte, wie Bobby seine Erkenntnis verarbeitete: »Ich habe Albert und Nathan gesagt, wie wichtig Ärzte sind. Aber sie haben immer weiter über David gespottet.«

Zu sehen, wie gedemütigt sich Bobby fühlte, der seinen älteren Bruder verehrte, war schrecklich. Es schmerzte Annie auch um Davids willen, der in seiner Heimat einmal mehr weder verstanden wurde noch Anerkennung erfuhr.

»Albert und Nathan sind meine Freunde, und ich möchte nicht, dass sie über David spotten.«

»Beim nächsten Mal frage sie doch, ob es nicht beruhigend für sie ist, von Ärzten zu wissen, die sich um ihren Bruder Jordan kümmern würden, falls er je verletzt sein sollte. Wenn sie daraufhin weiterspotten, dann lass sie. Entweder sind sie deiner Freundschaft nicht wert oder schlicht nicht so weitsichtig wie du.« Annie übergab Luna der Amme, die sich überschwänglich bedankte.

Im Atrium waren Schritte zu hören. Gleich darauf trat Richard ein und begrüßte seinen Sohn. Während der Junge Richard von unzähligen nebensächlichen Begebenheiten erzählte, blickte dieser fragend zu Annie. Sie lächelte erleichtert und erhob sich. Nachdem Richard sich eine Weile mit Bobby unterhalten hatte, trat er näher und bedachte sie mit einem entschuldigenden Lächeln. »Ich hoffe, ich habe Ihnen während meiner Abwesenheit nicht zu viel zugemutet?«

»Sie kommen genau rechtzeitig, nun, da Sammy alle Felder hat abernten lassen. Vermutlich haben Sie mein Telegramm nicht mehr erhalten?«

»Sie waren in der Stadt und haben ein Telegramm aufgegeben?« Sein Tonfall klang vorwurfsvoll.

»Nicht ich persönlich. Mr Brent Crady war so freundlich, es für mich aufzugeben. Sein Vater und er schauen regelmäßig hier vorbei.«

»Es war mir leider nicht möglich, Richmond früher zu verlassen.« Der Mann rieb über seinen Armstumpf und setzte sich auf Bobbys Stuhl. »Ich bleibe nur zwei Tage, dann muss ich zurück.«

»Wenn nur die Baumwolle und der Reis bis dahin verladen sind.«

»Der Reis wird in den nächsten Tagen abgeholt. Er kommt in die Lagerbestände unserer Armee. Die Baumwolle wird Birch Island nicht verlassen.«

»Sie waren deswegen doch eigens in Charleston!«, begehrte Annie auf. »Es kommen noch Blockadebrecher durch, sodass Sie zumindest einen Teil davon nach England verschiffen könnten.«

Ein belustigtes Lächeln umspielte die Lippen des Großgrundbesitzers. »Ja, ich habe in Charleston zwei Blockadebrecher verdingt. Wendige Schiffe, die sich durch die Maschen der Unionsflotte schmuggeln können. Ihre Mannschaften bringen bereits Waffen und Munition ins Land und sollten nun meine Baumwolle nach London bringen.«

»Sollten?«

»Die Regierung in Richmond hat ein Baumwollembargo beschlossen. Sie will England zu einer Anerkennung der Konföderation zwingen, indem sie die für ihre Industrie wichtige Baumwolle zurückhält.«

»Ein Baumwollembargo? Sind Sie sicher, dass die Engländer und Franzosen sich damit zwingen lassen?«

»Einen Versuch ist es wert, Miss Braun. Vielleicht bekommen wir so die Anerkennung als eigenständiges Land und erzwingen eine Beendigung der Seeblockade. Die Föderation wird sich zähen Verhandlungen gegenübersehen, um nicht auch noch einen Krieg gegen Europa führen zu müssen.«

Annie spielte mit der Schreibfeder und hüllte sich in Schweigen.

»Nein, ich bin mir nicht sicher«, gab Richard schließlich grimmig zu. Er erhob sich, holte eine seiner Pfeifen vom Kaminsims und wechselte das Thema. »Haben die Damen etwas von meiner Tochter Victoria gehört?«

»Nein, leider nicht. Auch von Dr. Williams kam keine Nachricht.«

»Newton hat sich, auf Drängen von Victoria, ebenfalls zum Militärdienst gemeldet. David war bisher in Richmond und wird demnächst einer Armee zugeteilt. Es sind gerade Umgestaltungen der Wehrbereiche im Gespräch.«

»Eine Folge der ständigen Schuldzuweisungen, wer es denn nun versäumt hat, die Nordarmee bis nach Washington City hineinzuverfolgen?«

Richard, der sich die Pfeife hatte anzünden wollen, löschte das Streichholz durch eine hastige Handbewegung. »Die Kommandierenden Joe Johnston und Pierre Beauregard haben ihre Kompetenzstreitigkeiten noch immer nicht beilegen können. Nun lädt Präsident Davis, der ohnehin nicht gut mit Beauregard zurechtkommt, jenes Versäumnis vor den Toren von Washington auf dessen Schultern ab.«

»Es ist also unruhig in Richmond?«

»Mir ist es zu ruhig, Miss Braun. Die Armee hat sich seit der Schlacht von Manassas noch kaum bewegt. Wir ruhen uns auf den Lorbeeren des eindeutigen Sieges aus. Und das gefällt mir nicht. Ich habe in den vergangenen Wochen weitere Rekrutierungen und eine verbesserte Ausbildung der neuen Soldaten vorgeschlagen. Kaum jemand in Richmond scheint davon Notiz zu nehmen, dass der Norden am anderen Ufer des Potomac eine gewaltige Armee aufbaut. Zudem herrscht massiver Waffen- und Munitionsmangel, von Pferden, Zelten, Schuhen und Uniformen ganz zu schweigen.«

Annie schwieg. Sie und Richard hatten derlei Schwierigkeiten vorausgesehen, doch durch die Blockade vor den Häfen der Konföderation steigerte sich zusätzlich der Mangel an kriegswichtigem Material. Der Hausherr, dessen schwarzes Haar deutlich mehr Grau aufwies als noch vor Wochen, erhob sich und stellte sich in die offene Verandatür, den Blick nach draußen gewandt. »Ich wüsste David gern hier auf Birch Island. Natürlich verstehe ich seine Motivation, zur Armee zu gehen, doch mir gefällt es nicht, dass die Plantage ohne männlichen Schutz dasteht.«

Nach Richards erneutem Themenwechsel musterte Annie seinen gebeugten Rücken. Sie konnte für ihn und David nur hoffen, dass er dieses Anliegen seinem Sohn gegenüber entweder verschwiegen oder auf feinfühligere Weise angesprochen hatte. Die beiden redeten häufig aneinander vorbei und fühlten sich dabei angegriffen.

»Ich habe einen alten Bekannten aus dem Mexicokrieg angeschrieben und ihn gebeten, auf Birch Island zu kommen. Er soll als Verwalter fungieren.«

Annie trat zu dem Hausherrn, damit sie sich leiser unterhalten konnten. War dies ihre Chance, die schwer auf ihr lastende Verantwortung abzugeben, ohne dass je ein Williams oder Nachbar erfahren musste, dass sie diese einmal innegehabt hatte?

»Ihnen, Miss Braun, die Verantwortung für meine Familie und damit auch über die Plantage anzubefehlen ist außergewöhnlich, ja. Aber die Lage, in der wir uns befinden, noch viel mehr. Ich bitte Sie also, selbst wenn Greg Meadow eine führungsstarke Persönlichkeit ist, weiterhin die von mir an Sie übertragenen Befugnisse wahrzunehmen.«

Hilflos hob Annie die Hände.

»Miss Braun.« Richard seufzte und deutete auf einen der Verandastühle. Annie ließ sich auf dem weißen Möbel nieder. »Durch Meadow müssen Sie anstehende Entscheidungen nicht öffentlich durchsetzen, und dies war doch ihr Bestreben, nicht wahr? Meadow kennt die Abläufe einer großen Anpflanzung nur aus der Theorie, weshalb er auf Sie hören wird. Zudem ist ein weißer Mann anwesend, der sowohl die Leute als auch eventuell umherstreifendes Gesindel in Schach halten kann.«

Das, was Richard sagte, hörte sich für Annie an, als wollte er ihr weiterhin die Leitung überlassen, und das behagte ihr überhaupt nicht. Sie setzte zum Sprechen an, doch er kam ihr erneut zuvor. »Ich vertraue Ihnen so sehr, dass ich Ihnen das Wohlergehen meiner Familie und das Birch Islands anvertraue, und Sie wollen dieses Vertrauen zurückweisen?«

Da die Missverständnisse zwischen David und Richard zumeist entstanden, weil die beiden schnell in eine Abwehrhaltung verfielen, atmete sie tief durch und sagte, so ruhig es ihr möglich war: »Ihr Vertrauen ehrt mich. Jedes Ihrer Familienmitglieder liegt mir am Herzen, ebenso die Plantage. Dennoch halte ich es weiterhin für unangebracht, ausgerechnet mir die Verantwortung zu überlassen.«

»Die Entscheidung, was ich für angebracht erachte und was nicht, dürfen Sie getrost mir überlassen. Meinen Sie nicht auch?«, fragte Richard mit jenem spöttischen Unterton in der Stimme, den sie von David kannte. »Sie leben seit zweieinhalb Jahren auf Birch Island, und ich denke, Sie recht gut zu kennen. Meine Einschätzung Ihres Charakters ließ mich Ihnen, nicht Rebecca Sue oder meiner Mutter, die Entscheidungsbefugnis übertragen. Ich benötige jemanden, der die Plantage und die darauf lebenden Menschen wertschätzt und zugleich über ein weitreichendes Wissen und einen gesunden Menschenverstand verfügt. Dass Sie nun zufällig eine Frau sind, dazu aus dem Norden und sehr jung, mag in den Augen meiner Nachbarn ein Hinderungsgrund sein, nicht jedoch in meinen. Sie haben mich eines Besseren belehrt.«

Annie stieß ein leises Schnauben aus. Offenbar hatte sie sich zu viel eingebracht …

»Um Sie, wie es jetzt während der Ernte geschehen ist, nicht gänzlich allein zu lassen, möchte ich Ihnen meinen früheren Adjutanten Meadow an die Seite stellen. Er kennt jedoch weder meine Familie noch die Plantage und deren Umfeld.« Richard lief inzwischen auf der weiß gekalkten Holzveranda auf und ab.

»Wenn es Ihnen so wichtig ist …«, Annie wusste, dass sie kläglich klang, und dies rief bei Richard jene senkrechte Stirnfalte hervor, die er an alle seine Söhne vererbt hatte.

»Meadow wird die Plantage leiten, benötigt für jede relevante Entscheidung jedoch Ihre Zustimmung. So kann ich mir sicher sein, dass auf Birch Island nichts geschieht, was nicht gründlich durchdacht und von zwei nüchtern denkenden Personen einstimmig beschlossen wurde.« Richard blieb vor Annie stehen, und nun war es an ihm, sie bittend anzusehen. »Ich kann Sie nicht dazu zwingen, Miss Braun. Letztlich ist es Ihre Entscheidung. Diese hängt vermutlich damit zusammen, ob Sie Birch Island weiterhin als Ihr Zuhause ansehen.«

Annie biss sich auf die Unterlippe. Richard bezeichnete seine geliebte Plantage als ihr Zuhause. Für sie, die sie seit der Kindheit keinen Ort mehr als Heimat empfunden hatte, barg dies ein großes emotionales Gewicht. Also sagte sie spontan: »Einverstanden, aber, Mr Williams …«

Mit ihrem Einwand wischte sie das vorherige erleichterte Lächeln wieder aus seinem Gesicht.

»Wir verbleiben weiterhin so, dass Ihre Familie nichts von der mir übertragenen Verantwortung erfährt.« Sie erhob sich und streckte ihm ihre rechte Hand hin. Er nahm sie in seine linke und drückte fest zu.

»Ich danke Ihnen, Miss Braun. Wissen Sie, ob sich Crystal im Haus aufhält? Ich habe Arbeit für sie.«

»Ich werde sie zu Ihnen schicken. Sie wollen derweil sicher Ihre Familie begrüßen?«

Der Mann nickte und trat von der Veranda ins Haus.

An diesem Abend senkte sich die Dunkelheit früh über das Land. Die ersten Kerzen wurden angezündet, Kamine mit Holz bestückt und diese entflammt. Ein kühler Wind blähte die Gardinen, und die Hausbediensteten schlossen die Verandatüren. Wenig später trat Benjamin in den Salon, wo Annie in einer Zeitung blätterte.

»Ein Telegramm für den Mista.«

»Gib es mir bitte, ich werde sehen, ob ich Mr Williams finde.«

Benjamin reichte Annie das Papier und schritt kopfschüttelnd davon.

»Warum schüttelst du den Kopf?«, rief sie ihm nach.

»Haben Sie die Feuer nicht gesehen, Missi?«

»Die Feuer?« Alarmiert eilte sie zu den Verandatüren, gefolgt von Bobby. Sie riss eine der Türen auf, und beißender Rauch drang ihr in die Nase. Entlang der Felder flackerten mehrere große Brände.

»Bobby, lauf bitte hinüber zum Arbeitszimmer deines Vaters, und sieh nach, ob du ihn dort finden kannst.« Annie hob den Rocksaum, verließ eilig die Veranda und rannte über die Wiese auf den hellen Feuerschein zu. Bei den Remisen traf sie auf einige grimmig dreinblickende Schwarze. Voller Schreck erkannte Annie, dass die noch nicht verladenen Baumwollballen lichterloh brannten. »Was ist dort los, Sammy?«, wandte sie sich an den kräftig gebauten Vorarbeiter.

»Der Mista verbrennt die Ernte.« In seinen Augen flackerte unterdrückte Wut mit dem Feuer um die Wette.

Sie versuchte zu erklären, was Richard zu dieser ebenso verzweifelten wie sinnlosen Tat trieb: »Die Regierung hat einen Ausfuhrstopp für Baumwolle festgelegt. Es tut mir leid, Sammy. Ihr habt so schwer dafür gearbeitet.« Annie musste hilflos mit ansehen, wie die Männer sich abwandten und in Richtung Schwarzensiedlung davongingen. Sie näherte sich den Feuern, dabei rief sie den Pflanzer mehrmals beim Namen, der jedoch reglos in die züngelnden Flammen starrte, die die wertvolle Baumwolle auffraßen.

Als Annie sah, wie er auf den nächsten Stapel Baumwolle zuging, ergriff sie ihn beim Arm. Der Mann stieß sie grob beiseite. Sie stolperte rücklings in Richtung eines der funkenspeienden Feuer. Die Fackel fiel augenblicklich zu Boden, und Richard riss sie mit erstaunlich viel Kraft aus der Gefahrenzone. Sein wütender Blick traf sie, dann hob er hastig die Fackel auf und trat die kleinen Flammen im Gras aus. »Haben Sie sich verletzt?«, fragte er, nachdem ihm dies gelungen war.

»Nein, es ist alles in Ordnung.« Sie straffte ihre Schultern und trat dichter zu ihm. »Muss das sein, Mr Williams?« Annie deutete mit der Hand auf die Schwarzen, die stehen geblieben waren. »Sie haben sich monatelang für diese Ernte abgemüht und müssen nun zusehen, wie sie in Flammen aufgeht.«

Ihr Gesprächspartner blickte nicht zu der Gruppe Männer hinüber, sondern ausschließlich sie an. Dann warf er die Fackel in die bereits brennende Baumwolle. Seine dunklen Augen funkelten herausfordernd, sodass Annie sich abwenden musste. Zu sehr erinnerte sie der Anblick an David. Diese Erinnerung zog ein großes Band der Einsamkeit hinter sich her, und Annie befürchtete, dass sie ihre Gefühle nicht verbergen konnte.

»Ich kann die Baumwolle lagern, bis sie verrottet, oder auf ein Schiff laden und über Bord werfen.«

»Das wäre … unsinnig«, gab Annie zu und streckte ihm das Telegramm hin, das er sofort las.

»Eine Nachricht aus Richmond. Dort ist ein Brief aus Übersee für mich angekommen. Mein Sekretär teilt mir mit, dass die Lagerhäuser in England mit der Baumwolle vom Vorjahr überfüllt sind. Der Lieferstopp wird England zwar treffen, jedoch lange nicht in dem Maße, wie wir uns dies erhofft haben. Das Baumwollembargo bringt der Konföderation keine schnellere Anerkennung.« Richard ließ das Papier in die Flammen fallen.

»Was werden Sie jetzt tun?«

»Diese Nachricht an die Regierung weitergeben und einmal mehr an Birch Island denken, indem ich die Baumwolle nach Charleston verschiffe und damit die beiden Blockadebrecher-Schiffe fülle.« Im Davongehen rief er einem der Schwarzen zu, darauf achtzugeben, dass die Feuer nicht auf die benachbarten Ballen übergriffen.

Mit der Hitze und dem Zischen und Knacken der Feuer im Rücken stand Annie da und sah auf das Herrenhaus. In diesem zuckenden, unwirklichen Licht offenbarte es eine völlig neue Anfälligkeit für die Stürme des Lebens.

Drei Tage später war der Brandgeruch über der Plantage endlich vom Wind davongetragen worden. Annie klappte das Unterrichtsbuch zu und lehnte sich in ihren Stuhl zurück. »Genug für heute, Bobby.«

Erleichtert seufzte der Junge auf. Wenn Crystal nicht anwesend war, bekam er die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Lehrerin ab, und das empfand er offensichtlich als anstrengend. Gemeinsam verließen sie den kleinen Unterrichtsraum und traten vom Flur ins Atrium. Zwei Gepäckstücke standen vor jenen Stufen, die den Raum in ganzer Länge vom tiefergelegenen Vestibül trennten. Richard gab Benjamin soeben letzte Anweisungen, Alice und Rebecca Sue warteten bei einer der Sitzgruppen.

»Pa geht schon wieder?« Bobby gesellte sich zu seiner Großmutter und der Schwägerin, während Annie im Hintergrund blieb. Noch ehe sich der Hausherr von seiner Familie verabschiedete, kam er zu ihr.

»Greg Meadow hat sich leider verspätet. Sollte die Intendantur den Reis vor seinem Eintreffen abholen, schicken Sie nach Crystal. Sie weiß, wo die Papiere zur Unterzeichnung liegen.«

Annie nickte verstehend.

»Die Armee wird zudem einige Pferde mitnehmen. Kontrollieren Sie bitte gemeinsam mit Garry, dass nur die von mir freigegebenen Tiere eingezogen werden.«

»Wann kommen Sie wieder?«

»Vermutlich zu Weihnachten.« Er musterte Annie prüfend. »Nun sehen Sie mich nicht so ängstlich an. Sobald Meadow eingetroffen ist, können Sie einen Großteil der Ihnen übertragenen Aufgaben abgeben.« Richard reichte ihr zum Abschied die Hand, und Annie legte ihre hinein.

»Ich danke Ihnen für das mir entgegengebrachte Vertrauen, Mr Williams.«

»Ich habe Ihnen zu danken. Ich werde immer in Ihrer Schuld stehen.«

»Vielleicht werde ich die eines Tages einfordern«, erwiderte sie keck, was ihm eines seiner seltenen Lächeln entlockte.

Annie sah zu, wie er sich von seiner Familie verabschiedete. Sie konnte einem eigentümlich wehmütigen Gefühl in ihrem Inneren wenig entgegensetzen, obwohl sie nicht einmal sagen konnte, worauf es sich gründete.

Ein kräftiger Herbstwind rüttelte an den Bäumen und fegte die bunt verfärbten Blätter davon. Annie lauschte auf das Klopfen eines Spechtes, während sie das ebenholzschwarze Gesicht des kleinen Mädchens in ihren Armen betrachtete. Sie saß in einem Schaukelstuhl auf der Veranda und summte ein Wiegenlied für Luna.

Pferdetritte mischten sich in die Geräuschkulisse. Annie sah auf und beobachtete, wie zwei Reiter von der Allee über die sanften Hügel direkt auf sie zuritten. Mit der freien Hand beschattete sie ihre Augen gegen die tief stehende Sonne. Der Größere trug eine Südstaatenuniform und nickte ihr freundlich lächelnd zu, während sein Partner in Zivil sie vielmehr irritiert musterte.

»Guten Abend, kann ich Ihnen helfen?« Annie blieb sitzen, da sie das Sklavenmädchen nicht wecken wollte.

Der Zivilist sprang ab, schlang den Zügel nachlässig um die oberste Stange der Verandabrüstung und stapfte die Stufen herauf. Unangenehm berührt sah Annie zu, wie er sich ohne eine entsprechende Einladung auf einen Stuhl setzte.

»Birch Island ist schöner und größer, als ich es mir vorgestellt hatte«, sagte er. »Ach, übrigens: Richard Williams hat mich beauftragt, hier nach dem Rechten zu sehen. Sie können mir sicher sagen, wo ich eine Miss Braun finde?«

Ehe sie antworten konnte, beugte sich der Mann vor und flüsterte vertraulich: »Ich bin so gespannt auf die alte jungfräuliche Lehrerin, die bisher das Regiment über das Anwesen innehatte.«

Der Uniformierte räusperte sich, wurde jedoch durch eine abwehrende Handbewegung seines Begleiters zum Schweigen gebracht. »Mein Name ist Greg Meadow. Und Sie sind …?«

»Die alte jungfräuliche Lehrerin. Anna Braun.«

Annie, mehr belustigt als aufgebracht, war froh, dass in diesem Augenblick Marigold auf die Veranda trat. Sie gab ihr das Baby, stand auf und wandte sich dem Soldaten auf seinem Pferd zu. »Sie kommen von der Intendantur?«

»Begleitschutz sozusagen, Miss Braun. Die Wagen treffen morgen ein. Wir hoffen, dass das Verladen der Reissäcke und die Übergabe der Pferde zügig abgewickelt werden.«

»Das dürfte kein Problem sein. Die Arbeiter haben die Säcke bereitgestellt, die Papiere liegen vor. Wenn Sie mir bitte folgen würden. Ich bringe Sie zu Benjamin, der Ihnen Ihr Zimmer für die Nacht zeigen wird.«

»Herzlichen Dank, Miss Braun.« Der Kavallerist salutierte.

Garry, der die Reiter ebenfalls gehört haben musste, trat herzu und führte die Pferde in Richtung Stall. Annie freute sich über den reibungslosen Ablauf. Meadows respektloses Auftreten hatte in ihr den Wunsch geweckt, ihm zu beweisen, dass sie bisher alles im Griff gehabt hatte. »Kommen Sie, Mr Meadow? Oder möchten Sie gern hier draußen übernachten?«

Meadow sprang unverzüglich auf. »Sie sind nicht aus dem Süden, nicht wahr?«

»Richtig«, erwiderte Annie und sah ihm offen ins Gesicht. Es war besser, diese Schlacht sofort auszutragen. Der Mann war einige Jahre jünger als Richard und wirkte auf den ersten Blick ungepflegt, wobei Annie das der weiten Anreise zuschreiben mochte. Sein schwarzes Haar war kurz geschnitten, der struppige Oberlippenbart hing weit über die Mundwinkel hinaus und endete in Höhe des kantigen Kinnes.

»Sie waren mit Mr Williams im Mexicokrieg?«, fragte sie, in dem Versuch, das Eis zu brechen.

»Er war mein Vorgesetzter, ein scharf denkender, energischer Offizier. Tat mir sehr leid, als er damals seinen Arm verlor.«

»Ich freue mich, dass Sie hier sind, Mr Meadow.« Annie meinte es ehrlich, immerhin sollte Meadow ihr einen Großteil der Verantwortung abnehmen.

»Dann vergeben Sie mir mein unhöfliches Verhalten von vorhin?«

Annie nickte und übergab die beiden Männer an Benjamin.

Am nächsten Vormittag sahen Annie, Bobby und die blonde Südstaatendame Rebecca Sue den Verladearbeiten zu. Die Arbeiter hievten die reisgefüllten Säcke auf einen der vielen Planwagen, die an diesem Morgen auf Birch-Island-Plantation eingetroffen waren. Am Ende der Kolonne tummelte sich eine große Anzahl Pferde. Annie erkannte darunter einige der exzellenten Zuchttiere von Peacock-Plantation, dem Anwesen der Familie ihrer Freundin Susanna Belle. Als sie Jordans Lieblingstier erblickte, das er nicht einmal zu seiner Kavallerieeinheit mitgenommen hatte – vermutlich, weil er es als zu wertvoll erachtete –, zuckte sie betroffen zusammen.

Laute Stimmen und das Wiehern eines Pferdes ließen die Soldaten und die drei Zuschauer herumfahren. Nur die Schwarzen arbeiteten weiter, als hätten sie nichts bemerkt. Garry kam über die Wiese und führte den grauen Hengst, Richards ganzen Stolz, mit sich.

»Storm!«, flüsterte Bobby.

»Ich gehe nachsehen, was beim Stall los ist«, rief Annie über die Schulter zurück, da sie bereits unterwegs dorthin war. Den Rock weit nach oben gerafft, lief sie dem Stallmeister entgegen, dessen dunkle Augen wütend funkelten. »Was ist mit Storm, Garry?«

»Haben Sie die Liste gesehen, Missi? Steht Storm darauf?«, fragte er und klang diesmal kein bisschen unterwürfig.

Annie nahm das nahezu erleichtert zur Kenntnis und zog ihm den ledernen Führstrick aus der Hand. »Ich kümmere mich darum.« Sie führte das Pferd zurück zu den Nebengebäuden. Mehrere Uniformierte drehten sich verwundert um, ebenso Meadow, der ein Blatt Papier in Händen hielt. Vermutlich die von Richard verfasste Liste über die abzugebenden Pferde. Ein kurzer Blick von Annie genügte, um festzustellen, dass ein Großteil der bereits herausgeführten Tiere einst Kenneth gehört hatte. Einige von Richards Stuten waren darunter und nur zwei von Davids Pferden. Wie es aussah, hatte Richard große Rücksicht auf seinen Sohn genommen.

»Gibt es irgendwelche Probleme?«, fragte Annie.

»Der Bursche hier ist nicht sonderlich kooperativ, Miss Braun.« Meadow deutete grimmig auf Garry und wollte nach Storms Halfter greifen.

»Garry macht nie Schwierigkeiten«, stellte Annie richtig. Sie wusste genau, dass Storm nicht auf der Liste stand. »Dass Sie Storm aus seinem Verschlag geholt haben, ist sicher nur ein Versehen, nicht wahr?«

»Keineswegs.« Meadow warf ihr einen herablassenden Blick zu.

»Sind Sie des Lesens mächtig, Mr Meadow?«

»Selbstverständlich!«

»Dann richten Sie sich nach Mr Williams Aufstellung.«

Er überflog das Blatt Papier. »Wo liegt das Problem, Miss Braun?«, hakte er nach.

»Storm steht nicht darauf.«

»Ist das Storm? Warum bringt der dumme Kerl ihn her?«

Annie unterdrückte eine unbeherrschte Erwiderung. Sie wollte sich nicht gleich am ersten Tag mit dem Verwalter anlegen oder Ärger für Garry heraufbeschwören. Gelassener, als sie sich fühlte, winkte sie den Stallmeister herbei und bat ihn, Storm zurückzuführen. »Fehlt noch ein Pferd?«, fragte sie an den Uniformierten gewandt.

»Zwei, um genau zu sein.«

Wortlos nahm Annie die Liste und ging diese durch. Die letzten beiden Stuten von Kenneth fehlten.

»Ich hole sie, einen Moment bitte.« Annie drückte das Papier zurück in Meadows Hände und betrat den Stall. Dieser war erfüllt von unruhig scharrenden Pferdehufen, dazwischen vernahm sie die Stimmen von Garry und Jerome.

»Garry, was ist mit den beiden Stuten von Master Kenneth?«

»Raven holt die eine, die andere ist trächtig. Das wird der Mista nicht gewusst haben.«

Annie drehte sich um und ging auf den Türflügel zu. Kurz vor dem hereinfallenden Lichtschein blieb sie stehen. Was sollte sie wegen der trächtigen Stute machen?

»Sie haben recht, Miss Braun stammt nicht aus dem Süden«, vernahm sie Meadows Stimme.

»Warum lassen Sie sich von ihr herumschubsen?«, fragte Barlow, der Intendantur-Offizier.

»Natürlich ist auch mein Bestreben, dass unsere Kavallerie die besten Pferde erhält. Doch durch die bestehende Liste sind mir die Hände gebunden.«

Annie holte tief Luft und trat in den gleißenden Sonnenschein hinaus.

»Nun, Miss Braun? Wo sind die fehlenden Pferde?«, fragte Meadow.

»Raven bringt eine Stute, die andere kann Birch Island Ihnen leider nicht aushändigen. Sie ist trächtig.«

»Dann nehmen wir ein anderes Pferd.« Barlow klang unnachgiebig.

Entschieden schüttelte Annie den Kopf. »Wir haben die Anweisung, nur die auf der Liste angegebenen Tiere abzugeben.«

»Mir wurden vierzehn Tiere zugesagt, und ich werde die Plantage mit genau vierzehn Pferden verlassen.«

»Ich fürchte, Sie haben mich nicht verstanden. Wir dürfen kein Pferd abgeben, das nicht auf der Liste steht. Nehmen Sie meinetwegen die tragende Stute mit.«

»Mit ihr kann ich nichts anfangen.« Barlow hatte seine Handschuhe ausgezogen und schlug sich damit in die Handfläche. »Ob Ihrem Arbeitgeber dieses eigenmächtige Handeln gefallen wird, Miss Braun aus dem Norden?«, versuchte er sie einzuschüchtern.

Annie wich seinem Blick nicht aus, deutete auf Meadow und entgegnete: »Wir befolgen die schriftliche Anordnung des Eigentümers. Am besten, Sie reiten in die Stadt und telegrafieren an Mr Williams ins Kriegsministerium. Wenn er zurückdrahten lässt, dass Birch Island eines der anderen Pferde herausgeben soll, werden wir dies tun.«

Nach einem langen, nicht eben freundlichen Blick nahm er sowohl die Papiere als auch das von seinem Adjutanten bereitgehaltene Schreibutensil und setzte seine Unterschrift unter die vorbereiteten Unterlagen. Erleichtert sah Annie zu, wie die Uniformierten davongingen.

»Sie sind eisern, Miss Braun«, spottete Meadow.

»Und Sie halten sich bitte ab sofort an Mr Williams Anweisungen. Ich habe keine Lust, irgendwelche Irrtümer aus dem Weg räumen zu müssen.«

Achselzuckend ließ Meadow sie stehen. Seine gleichgültige Reaktion auf ihre berechtigte Bitte bereitete ihr Sorgen hinsichtlich ihrer gemeinsam zu treffenden Entscheidungen.

»Was war denn da drüben los?«, erkundigte sich Rebecca Sue, als Annie zurück auf dem birkengesäumten Rondell war.

»Nur eine Verwechslung.« Annie winkte ab und sah erleichtert zu, wie der Tross Birch Island verließ.

Beim gemeinsamen Dinner zeigte sich Meadow von seiner charmanten Seite und erzählte lustige Begebenheiten aus seinem ruhelosen Leben. Direkt danach verabschiedete er sich, da er die umliegenden Plantagen aufsuchen wollte.

Annie, die gehofft hatte, mit ihm ein Gespräch über die anfallenden Aufgaben zu führen, bereitete den nächsten Unterrichtstag vor. Es war kurz vor Mitternacht, als sie durch ein lautes Geräusch aufschreckte. Sie trat in die Bibliothekstür und hörte Benjamin von seiner Kammer beim Vestibül zur Pforte eilen und die Tür öffnen. Meadow begrüßte den Butler nahezu überschwänglich und begann dann lauthals zu singen. Er taumelte an Annie vorbei, ohne sie wahrzunehmen, und verschwand durch den Torbogen im unteren Flur, wo sein Zimmer lag.

Betroffen lehnte sie sich mit der Stirn an den Türrahmen und lauschte dem Krach, den der Mann verursachte. Sie und der von Richard eingesetzte Verwalter hatten alles andere als einen guten Start.