Das schlanke, blasse Mädchen - Erdmann Graeser - E-Book

Das schlanke, blasse Mädchen E-Book

Erdmann Graeser

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Beschreibung

Für den jungen Detlev ist das Leben kein Zuckerschlecken. Seine Mutter ist tot, sein gelehrter Vater, Dr. Jensen, interessiert sich vor allem für den "assyrischen Volkscharakter"; er lässt Detlev nicht zur Schule gehen, sondern zu Hause lernen, wobei er unter der eisernen Knute seiner höchst strengen, kompromisslosen Tante Klara steht. Dann sind da auch noch seine stets unglückliche Tante Rele, die ebenfalls sehr unter Tante Klara leidet und ihr keinen Widerstand zu leisten wagt, sowie sein strebsamer Bruder Anton, der Detlev auch keine Hilfe ist. Als Detlev einmal alle Sicherungen durchbrennen, er sich in seiner Verzweiflung körperlich gegen die rigiden Erziehungsmethoden von Tante Klara wehrt und dann von zu Hause wegrennt, in der Überzeugung nie mehr zurückkehren zu können, kommt ihm ausgerechnet sein reicher Großvater zur Hilfe, auf dessen Erbe er doch heimlich hofft. Da begreift er, dass Großvater ihn schützen wird, und zwischen den beiden entsteht eine immer engere Freundschaft. Mit Tante Wiedebusch werden die Dinge nun etwas freudvoller, und da ist auch die junge Gretel, zu der Detlev eine innige Beziehung entwickelt. Nur, die kleine Gretel ist krank, und sie wird immer kränker ... Bei Tante Wiedebusch stößt er auch auf das Bild von der Märchenprinzessin, dass ihn so unendlich fasziniert, und als nun neue Hausbewohner einziehen und Detlev dem fremden Mädchen begegnet, glaubt er, das Bild von der Märchenprinzessin sei lebendig geworden. Zunehmend vernarrt er sich in die junge Edith und glaubt, in ihr endlich sein Glück finden zu können ... Mit "Das schlanke blasse Mädchen" hat Erdmann Graeser einen anrührenden, ganz eigenen Kindheits- und Adoleszenzroman geschrieben, der jeden Leser unweigerlich in seinen Bann ziehen muss!-

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Erdmann Graeser

Das schlanke, blasse Mädchen

Roman

Saga

Das schlanke, blasse Mädchen

© 1902 Erdmann Graeser

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711592502

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

I.

1.

Unter der weissgetünchten, niedrigen Stubendecke kreisen die Fliegen — schläfrig tickt die Uhr — draussen brütet die Mittagssonne.

Tante Reles Kopf sinkt in regelmässigen Zwischenräumen vornüber, und Detlev schwebt in Sorge, dass sie sich mit dem Strickzeug in die Augen stechen werde.

Aber er sagt nichts — denn Tante Klara ist da! Tante Klara sitzt auf dem glatten, harten Ledersofa und fängt ab und zu eine Fliege, die sie dann mit der flachen Hand auf der Tischplatte totschlägt. Denn sie hasst die Fliegen, die sie „Ungeziefer“ nennt.

Da kommt wieder eine angesegelt — zielt — setzt sich auf Tante Klaras Tituskopf und zwitschert in dem Haargewirr. Tante wird blass vor Aerger — blickt, als wäre der daran schuld — nach Detlev, dann nach Tante Rele. Doch Detlev sitzt wie angepicht über seinem Lehrbuch, und Schwester Rele wird in ihrer Schlaftrunkenheit gleich vom Stuhle stürzen. Da reckt Fräulein Klara mit tiefem Atemzuge den Hals nach dem Spiegelchen, äugt in die Höhe und schlägt sich mit Wucht auf die Frisur.

Fröhlich steigt die Fliege nach der Stubendecke empor, und Tante Klara klemmt die schmerzenden Fingerspitzen zwischen die Kniee, mit einem Gesicht, als wolle sie eine Flasche aufkorken.

Detlev weiss, dass er jetzt für die Fliege büssen muss, deshalb scheint er plötzlich von seiner Lektion überwältigt, hält sich die Augen zu und spricht das Gelernte lautlos nach der Decke hinauf. Aber Tante Klara lässt sich nicht täuschen, ein böser Zug kommt um die Lippen, — sie steht auf und tritt zu Detlev, der sein Buch mit beiden Händen umklammert.

„Nun — gieb nur her, Junge! Wie weit bist du?“

Der Junge zeigt irgendwohin, denn es ist ja gleichgültig, was er bezeichnet, da er nichts kann.

„Und wie weit hat dir der Papa aufgegeben?“ Detlev zeigt die durch einen Nägeldruck kenntlich gemachte Stelle. „So lernst du bis dahin“ — sagt Tante Klara — eine neue Stelle mit ihrem scharfen Fingernagel einkerbend. „Du hast noch eine Stunde Zeit!“

Detlev hütet sich, auch nur tiefer zu atmen, da er weiss, dass die Portion sonst gleich verdoppelt wird. Aber als sich Tante Klara nun abwendet, betrachtet er die grosse, knochige Gestalt mit ganz eignen Blicken. Es liegt — für ein Kind umso verwunderlicher — etwas Stolzes und Ueberlegenes darin, eine überraschend scharfe Beurteilung — nichts von Trotz oder Erbitterung. — —

Inzwischen sitzt die Fliege auf der gestickten Schlummerrolle, wirbelt schadenfroh die Vorderbeine umeinander und beobachtet Tante Klara. Die geht auf und ab, dröhnenden Schrittes, da sie wegen ihrer ewig kalten Füsse Sommer und Winter eine Art Stulpenstiefel mit Pelzbesatz trägt.

Detlev, der nur zu gut weiss, wie argwöhnisch Tante Klara sein Gesicht belauert, müht sich jämmerlich, mit seiner Aufgabe weiterzukommen. Doch — da macht die gestiefelte Dame plötzlich Kehrt und geht hinaus. Auf der Treppe wird ihr Schritt lautlos — wie eine Katze, so vorsichtig und behende, gleitet sie hinunter. Und so gelingt es ihr wirklich, Jette, das bucklige Hausinventar, wieder dabei zu erwischen, als es sich gerade an den saftigsten Stücken des Kalbsbraten delektiert und hin und wieder einen Schluck der abgeschöpften Bouillon schlürft.

„Aha!“ und Tante Klara springt aus dem dunklen Flur auf die Entsetzte los.

Jettes grauer Kopf zittert vor Schreck so stark, dass der klägliche Haarknoten sich löst und die Rattenschwänze nach allen Richtungen starren. „Jottachjott — ick hab’ man bloss jekost’t“ — sagt sie wimmernd.

Tante Klara hält ihr die geballte Hand unter die Nase und treibt Jette bis in die äusserste Küchenecke. „Duuu —!“ sagt sie — „’rein, Tisch zurecht machen, ich pass’ jetzt hier auf!“

Jette sieht sie noch eine Weile stier an, wischt sich dann die fettigen Finger am Kopf ab — an den sie überhaupt alles schmiert — und verschwindet. — — —

Oben — im ersten Stock — haben Tante Rele und Detlev sich erlaubt, die Haltung ihrer Beine zu wechseln. Nun blicken sie sich beide an wie zwei Ziehhunde, die ihre Karre nicht weiterbekommen können, und dann beschäftigt sich Tante Rele mit ihrer Warze. Sie hat eine — ein erbsengrosses Ding unter dem rechten Ohr — geschmückt mit drei Haaren, die hart und steif wie Drahtstifte sind. Detlev meint, sie gäben bei einer Berührung Töne von sich, so metallisch erscheinen sie ihm. Wie Tante Rele jetzt darauf klimpert, ist es auch, als lausche sie wohlgefällig einer leisen Musik.

Detlev vergleicht inzwischen kummervoll das, was er angeblich schon gelernt hat — erkenntlich daran, dass es gelb und fleckig aussieht — und das, was er noch lernen soll — weiss, rein und sehr lang.

Und Tante Rele fängt nun auch wieder an und misst einen halbfertigen Strumpf — der, soweit Detlev denken kann, nie länger geworden ist — an einem wirklich ganz fertigen. „Ach ja — ja!“ seufzt sie leise dabei.

Endlich schlägt die Uhr und in demselben Augenblick sinken Tante Reles und Detlevs Hände schlaff auf den Tisch. „Geh — Dettchen, sieh nach, ob Grossvater schon da ist — es ist ja Mittwoch!“

Als Detlev vor die Hausthür tritt, biegt der Alte gerade um die Ecke, den Cylinder wegen der Hitze in der Hand. Zeitweilig fährt er wild mit der Hand empor, als wolle er sich alle Haare ausraufen — fährt dann aber immer wieder rasch zurück — denn er hat nur noch ein paar, und die sitzen in den Nasenlöchern, der Schädel ist blitzblank.

Wie der Alte Detlev erblickt, leuchtet es in dem faltigen, bartlosen Komödiantengesicht auf. „Ja — ja, Koujon, da bin ich,“ sagt er, munter wie ein Jüngling seinen Elfenbeinkrückstock schwingend und greift mit seiner beringten, welken Hand in Detlevs langes Haar. „Allons!“ und im Weiterschreiten summt er ein lustiges Liedchen.

Im Esszimmer wird Grossvater jedoch sofort still und mürrisch. Die beiden Tanten und Anton, Detlevs älterer Bruder, sind schon da, nur Papa fehlt noch — wie immer.

Jette wird abgeschickt, ihn zu holen. Das ist keine leichte Aufgabe, denn Dr. Jensen beschäftigt sich — seit er die Schulthätigkeit aufgegeben — mit der wichtigen Untersuchung über den assyrischen Volkscharakter, von dem er, den Gegnern zum Trotz, beweisen will, dass er ein durchaus kriegerischer gewesen sei. Das nimmt den Herrn Doktor so in Anspruch, dass er der Nahrung nicht mehr bedarf. Seitdem man ihn aber neulich zu früh an den gedeckten Tisch gerufen, ist ihm Essen und Trinken zuwider geworden. Jette muss ihn deshalb — damit er nicht verhungert — so lange peinigen, bis er nachgiebt. Doch hat sie sich vorher eine Deckung zu suchen — da Dr. Jensen die üble Angewohnheit besitzt, wie einst in der Schule, mit Büchern zu werfen. —

Als die hagere Gestalt heute erscheint, ist der Mund in dem wächsernen Gesicht so fest zusammengekniffen, als werde er keinen einzigen Bissen zu sich nehmen, und die Augen sehen misstrauisch hinter der goldenen Brille hervor. Wie er dann nachher widerwillig im Essen stochert, fragt sich Grossvater — wie oft schon — was dieser Mann wohl Bezauberndes an sich gehabt, dass seine „Fleure belle“ gerade diesen begehrt. Diesen pedantischen Schlucker, mit dem Anhang der beiden altjungferlichen Schwestern, den hatte das reiche, verwöhnte Kind ertrotzt. Und das merkwürdigste: diese Ehe war glücklich geworden, sehr glücklich sogar!

Grossvater versteht es noch heute nicht — aber, warum sich damit quälen, die arme, wilde „Fleure belle“ hat sich rasch zu Tode geflattert, die Jahre sind vergangen, man ist ruhig geworden, so — und jetzt steht das Mittagsbrot hier — lasst uns essen, ehe es kalt geworden! Und der Alte hat solchen Appetit, dass er nicht einmal wartet, bis Tante Rele ihr stilles Tischgebet beendet hat.

Schweigsam und feierlich geht es zu, Detlev denkt, es sei eine Henkersmahlzeit. Denn — so gut auch das Essen — alle thun, als wenn sie Seegras und Kieselsteine schlucken.

Endlich ist man fertig und Doktor Jensen erhebt sich eilig, um wieder zu seinem assyrischen Volkscharakter zu kommen. Ehe er aber verschwindet, findet er doch noch Zeit, zu sagen: „Detlev — pünktlich drei Uhr oben sein, du hast deine Präparation zu machen!“

2.

Detlev besucht keine Schule — sein Vater unterrichtet ihn. Damit es nach allen Regeln der Pädagogik geschieht, hat Herr Doktor Jensen einen Stundenplan entworfen, der — fein säuberlich auf Karton geklebt — neben einem der vielen Bücherschränke hängt und jeder Tagesstunde ihre Bestimmung verkündet.

Detlev hat ihn sich in der ersten Zeit stets voll ehrfürchtiger Bewunderung angesehen und — wie der Kanadier — darüber gestaunt, dass es wirklich möglich sei, die langen, prächtigen Sommertage, an denen die Wolken aus fernen Ländern gesegelt kommen, einzufangen und auf das Papier zu bannen, zwischen die dicken Abteilungstriche des Stundenplanes, der dem Gitterfenster eines Gefängnisses gleicht. Doktor Jensen hat das Kunststück wirklich fertig gebracht und Detlev bestaunt daher auch gebührend seinen Vater.

Noch grösser aber wurde damals sein Erstaunen, als sich Tante Klara eines Tages an das Studium des wunderbaren Stundenplanes machte und — unter dem Vorwande, dass der Papa wegen des assyrischen Volkscharakters nicht die nötige Zeit habe — sich eigenmächtig mit der Ueberwachung von Detlevs Arbeiten betraute. Und es giebt nichts, was Tante Klara seitdem eifriger betreibt, denn sie thut es, wie Detlev meint, mit einer gewissen Wollust. — —

Der Nachmittag ist gekommen, und Anton und Detlev sitzen in dem gemeinsamen Arbeitszimmer, das sich neben der Studierstube des Vaters befindet. Und wenn diese einer grossen, dumpfen Gruft ähnelt, so ist das Arbeitszimmer eine kleine und noch dumpfere Gruft.

Anton — ein dürrer Knabe mit starren Augen — hockt schweigsam über seinen Büchern, denn er nimmt es sehr gewissenhaft mit der Arbeit. Er hat den heissen Wunsch, möglichst schnell so gelehrt zu werden, wie der Vater und dazu — sagt er — gehören „Vorsätze und Grundsätze!“ Deshalb kann ihm die Siedehitze heute nichts anhaben, er lernt, obwohl er so sehr schwitzt, dass sich sein kurzes Haar symmetrisch zu kleinen, nassen Büscheln ordnet, die ihm ein igelhaftes Aussehen geben.

Der Geruch des alten, stockfleckigen Papieres von all’ den vielen Büchern mischt sich mit der schwülen Luft, die durchs Fenster hereinkommt. Es ist so heiss, dass sich alle Bande frommer Scheu lösen; Grossvater — ganz überwältigt — ist nicht wie sonst sofort nach der Vorstadt in sein Häuschen zurückgekehrt, sondern hat es sich auf dem Sofa bequem gemacht — in beinahe adamitischem Kostüm — zu Jettes grösstem Gaudium. Und selbst Tante Klara hat den Gedanken erwogen, ob es ihr schädlich wäre, wenn sie die Pelzstiefel ein paar Stunden ablegte! —

Zeitweilig hebt Anton seinen von Hitze und Gelehrsamkeit überwältigten Schädel, und dann sieht Detlev das jugendlich-alte, entgeisterte Gesicht seines Bruders, wie es ihn einen Augenblick anstiert, dann wieder hinter den aufgeschichteten Büchern verschwindet und nur die Stacheln übrig bleiben, einer Dornenhecke gleich, die ihn gegen jede Versuchung der Aussenwelt schützt.

Und wie Detlev so dasitzt — schwindlig und müde — denkt er an all’ die Tage, die er hier ebenso verbracht — schwindlig und müde; zur Sommerzeit, wenn draussen die grossen weissen Wolken regungslos am Himmel stehen und die Spatzen auf der Dachkante zwitschern; und dann wieder im Winter, wenn die Scheiben dick zugefroren sind, wenn vom Feuerloch des braunen, unförmlichen Kachelofens ein breiter, roter Schein auf der Diele zittert, und ringsum tiefe Stille herrscht, dass man alle Uhren im Hause ticken hört.

Wie undenklich lang schon erscheint Detlev diese Zeit! Sie ist vergangen und hat ihm nichts gebracht, und doch weiss er, dass ihn inzwischen irgendwo „Etwas“ erwartet hat und noch erwartet. Er braucht nur hinauszulaufen in den schweigenden Wald, dann wird es ihm entgegenkommen, hinter einem Baumstamm wird es hervortreten oder sich plötzlich vom Boden erheben und vor ihm stehen — so, wie es manchmal im Traume geschieht.

Da schlägt die Uhr — die Stunde der Erlösung ist gekommen. Mit tiefem Atemzug schleicht er hinaus, während Anton sich eine Extraarbeit leistet.

Tante Rele, zu der Detlev geht, ist nicht nur seine Leidensgefährtin, sondern überhaupt so unglücklich, wie ein Mensch nur sein kann. Tante Klara verbittert ihr ja das Lieben, aber Tante Rele verbittert es sich selber noch viel gründlicher durch den Reichtum ihrer Empfindungen, der sich seit ihrer Mädchenzeit aufgespeichert und sie jetzt manchmal zu überwältigen droht.

„O, Dettchen“ — pflegt sie dann zu sagen — „im Hinblick auf die vergangene Zeit“, und dann geht sie jedesmal an ihr Bett, macht sich dort eine Weile geheimnisvoll zu schaffen und bringt oft ein Gläschen überaus süssen Liqueurs zum Vorschein.

„Da — trink’, Dettchen trink’, und möge es dir bekommen, dass du nicht auch so unglücklich wirst wie deine arme Tante, die in ihrem Leben nichts gehabt hat als Bitternis.“

Und während Detlev dann andächtig trinkt — in kleinen Schlucken, die er so lange als möglich im Munde behält — sitzt Tante Rele und schluchzt in ihr Taschentuch. Ist sie dann aber noch ein paarmal an ihr Bett gegangen, wird sie fideler, bis dann jäh wieder der Umschlag kommt, und sie sich noch elender und trauriger fühlt, als vorher. Dann geht sie weinend nach ihrer Kommode und kramt unter ihren Andenken, von denen sie ein ganzes Museum besitzt. Wenn der Anfall sehr schlimm ist, holt sie ein gesticktes Täschchen vor, in dem sich die Photographie einer Leutnantsuniform befindet. Der Kopf, der einstmals dazu gehört, ist von all’ den Thränen und Küssen, die das Bild befeuchtet, wie wegradiert. —

Als Detlev heute zu Tante Rele kommt, sieht sie vergnügt und getröstet aus — selbst die Drahtstifte ihrer Warze haben den Anschein der Biegsamkeit.

„Nun, Dettchen, das ist schön! Komm’, wir setzen uns hierher und erzählen uns was!“ Damit nimmt sie den fertigen und den halbfertigen Strumpf vom Stuhl, legt die Quälgeister aufs Bett und rückt die Sitze ans offene Fenster. „Ist Grossvater noch da?“

„Ich weiss nicht! Tante Rele — warum ist er denn immer so verdriesslich, wenn er zu uns kommt, sagt Detlev, seinen Kopf an die Brust der Tante legend.

„Dett“ — sagt sie, den Knaben an sich drückend und unablässig mit der Hand durch sein langes Haar fahrend, „würde es dir gefallen, wenn du solch’ fremde Sippschaft, wie wir es ihm doch eigentlich sind, immerfort unterstützen solltest? Als deine Mama noch lebte, hat er es ja gern gethan — aber jetzt —!“

„Und ich möchte nur eins wissen,“ sagt Tante Rele, während sie Detlev loslässt und nachdenklich auf ihrer Warze musiziert, „nur eins möchte ich wirklich wissen, wem Grossvater ’mal all das viele Geld hinterlassen wird? Er kann’s doch nicht mit ins Grab nehmen! Was hat der Mann aufgespeichert in seinem Hause — wie viel Geld steckt in den Sammlungen, schon allein in den vielen Bildern!“