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Dieses E-Book entspricht ca. 216 Taschenbuchseiten ... Dahlias Lover Marc wird von einem ominösen Zirkel entführt, der in einem abgelegenen Schloss SM-Gesellschaften abhält. Um ihn zu retten, begibt Dahlia sich selbst in die Hände der Entführer. Dabei gerät sie in einen Strudel von Lust und Schmerz, Dominanz und Unterwerfung. Ob mit sexy Gefährtin Elodie, Chefin Cheryn oder anderen Spielpartnern - schon bald will sie ihre Höhepunkte nicht mehr missen. Je tiefer sie in die Verstrickungen des Zirkels eintaucht, desto geiler werden ihre Erlebnisse. Doch dann nehmen die Ereignisse eine ungeahnte Wendung. Wird Dahlia Marc trotz erschütternder Enthüllungen, Demütigungen und Zweifel zurückbekommen? Diese Ausgabe ist vollständig, unzensiert und enthält keine gekürzten erotischen Szenen.
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Seitenzahl: 273
Veröffentlichungsjahr: 2025
Impressum:
Das Schloss der Lust und Schmerzen | Erotischer SM-Roman
von Cory Wiseman
Musik, Literatur und Fotografie begleiten Cory Wiseman seit ihrer Kindheit.Sie ist ausgebildete Sängerin und Pianistin, steht regelmäßig auf großen und kleinen Bühnen, singt soulige Balladen ebenso gern wie klassische Lieder.Ihre zweite Leidenschaft gilt dem Schreiben von erotischen Geschichten und Fantasyromanen. Inspiration und innere Ausgeglichenheit holt sie sich in der Natur, durchstreift als moderne Elfe mit der Kamera in der Hand die Wälder. Sie genießt Sex, wenn er von Gefühlen und fantasievollen Bildern begleitet wird. Denn ihrer Ansicht nach können Worte ebensolche Lust auslösen wie Berührungen.
Lektorat: Claudia Rees
Originalausgabe
© 2025 by blue panther books, Hamburg
All rights reserved
Cover: © YouraPechkin @ depositphotos.com © foto200 @ depositphotos.com
Umschlaggestaltung: MT Design
ISBN 9783759000491
www.blue-panther-books.de
Kapitel 1
Im Konzerthaus stand die Luft. Obwohl Dahlia luftig bekleidet war, schwitzte sie am Rücken und zwischen den Schenkeln. Im Stillen dankte sie Marc, weil er zwei Logenplätze gebucht hatte und sie keine nach Schweiß riechenden Nachbarn ertragen musste. Im Moment saß nur sie in dem Abteil. Ihr Lover verspätete sich und die beiden hinteren Plätze schienen nicht besetzt zu sein.
Die Vorstellung lief seit zwanzig Minuten. Das Orchester spielte eine spätromantische Symphonie, die Dahlia nicht kannte. Der Dirigent spornte die Streicher und Bläser mit weit ausladenden Bewegungen zu Höchstleistungen an, doch Dahlia dachte unentwegt an Marc. Er hatte die letzte Nachricht vor mehr als einer Stunde geschickt. Wieder warf sie einen Blick auf das Smartphone, die verdammte App zeigte nach wie vor dasselbe:
»Wurde aufgehalten. Komm so bald wie möglich nach. Sorry!«
Sie fragte sich, warum sie so angespannt war. Jeder konnte sich einmal verspäten. Und es gab hundert mögliche Gründe, warum Marc keine weitere Nachricht schrieb. Sagte ihr Kopf. Ihr Bauch hingegen jagte in regelmäßigen Wellen Unbehagen durch ihren Körper und ihr Herz schlug gegen den Rhythmus der Musik. Geistesabwesend zupfte sie an den Haaren, bis ihr die eigene Unruhe auf die Nerven fiel.
Sie war seit fast einem Jahr mit Marc liiert und er hatte sich bisher als ebenso zuverlässig wie aufmerksam erwiesen. Doch vor einer Woche musste irgendetwas geschehen sein. Keine Besuche mehr, keine Anrufe. Nur nichtssagende Textnachrichten, die ihre Fragen ignorierten. Das passte einfach nicht zu ihm!
Deshalb hatte sie sich wie verrückt über seine Einladung zum Konzert gefreut. Er wusste, was ihr klassische Musik bedeutete und wie gern sie Pianistin geworden wäre. Trotzdem hatte er bislang kein Interesse an solchen Veranstaltungen gezeigt.
Umso überraschter war sie gewesen, als sie heute, nachdem sie aus der Uni gekommen war, ihre Wohnung betreten hatte. Auf dem Tisch lagen ein Strauß dunkelroter Rosen, die einen göttlichen Duft verströmten, das Konzertticket und ein schlichtes Kärtchen mit einem Herz um ihre Initialen. Daneben schwarze, sündhaft teure Kleidungsstücke: eine Seidenbluse, ein dazu passender knielanger Rock, Spitzendessous sowie hauchdünne, halterlose Strümpfe. High Heels von Christian Louboutin rundeten ihre neue Ausstattung ab. Louboutins! Die allein kosteten mehr als ihr gesamtes Monatsbudget.
Und das ohne besonderen Anlass. Dahlia wunderte sich, wie Marc diese Geschenke finanziert hatte. Er studierte an derselben Universität wie sie und verfügte ihres Wissens über kein eigenes Einkommen. Vielleicht hatten ihm seine Eltern unter die Arme gegriffen. Marc sprach ungern von ihnen und pflegte wenig Kontakt, was sie befremdlich fand. Er hatte aber beiläufig erwähnt, dass sie exklusive Immobilien besaßen. Dahlia war lächelnd in die neuen Sachen geschlüpft, um erstaunt festzustellen, wie perfekt alles saß. Sogar mit den Schuhen kam sie zurecht, obwohl sie noch nie so extrem hohe Absätze getragen hatte. Den ganzen Nachmittag sehnte sie den gemeinsamen Abend herbei, den sie richtig ausleben konnten. Heute war Donnerstag und vor ihnen lag ein langes Wochenende. Zwischendurch hatte sie an den Rosen geschnuppert und sich vorgestellt, wie sie die Musik an der Seite ihres Liebsten genießen würde. Jetzt war mehr als eine halbe Stunde verstrichen und von Marc keine Spur.
Der Applaus des Publikums riss Dahlia aus ihren Gedanken. Anstandshalber klatschte sie ein paarmal in die Hände und fragte sich, was sie hier eigentlich suchte. Sie hatte für Marc hübsch sein wollen und die schwarzen Klamotten angezogen, obwohl es ihr nicht leichtfiel, so sexy gekleidet auszugehen. Aber sie hatte sich seine bewundernden Blicke vorgestellt, wenn er sie darin sähe. Insgeheim hatte sie überlegt, was er nach dem Konzert mit ihr anstellen würde, und ein aufregendes Prickeln im Bauch gespürt. Sie hatte mehr Lippenstift aufgetragen als sonst und einen dunklen Lidschatten, um ihre braunen Augen zu betonen, deren bernsteinfarbene Sprenkel Marc so faszinierten.
Ein weiterer Blick aufs Display: nichts Neues. Die Musiker auf der Bühne bereiteten sich auf das nächste Stück vor. Das Cellokonzert von Dvořák stand auf dem Programm, eines von Dahlias Lieblingswerken, aber die Freude darauf war ihr vergangen. Ein Hoffnungsschimmer flammte auf, als sie das Knarren der Logentür hörte. Erwartungsfroh drehte sie sich um. Anstelle von Marc trat ein dunkelhaariges Paar um die vierzig herein und beanspruchte die beiden Sitze hinter ihr.
Der Mann musterte sie mit einem unverschämten Blick, als ob er sie in Gedanken auszöge. Ihre Wangen bekamen das übliche Eigenleben und liefen dunkelrot an. Wie sie das hasste! Hastig drehte sie sich um und schaute nach vorne auf die Bühne. Um sich abzulenken, wickelte sie eine ihrer kastanienfarbenen Locken um den Finger. Die Cellistin trat auf und Dahlia hielt die Luft an. Die junge Frau in der blutroten, bodenlangen Robe hätte ihre Doppelgängerin sein können. Allerdings bewegte sie sich mit einer Souveränität, zu der Dahlia niemals fähig gewesen wäre. Mit der rechten Hand trug sie Instrument und Bogen, die linke raffte den Stoff ihres Kleides nach oben. Sie verbeugte sich, lächelte dem Dirigenten zu und setzte sich auf den bereitgestellten Hocker. Um das Cello zwischen ihren Schenkeln platzieren zu können, zog sie die Robe hinauf, sodass ihre rotbestrumpften Beine bis über die Knie sichtbar wurden. Eine mäkelnde Stimme in Dahlias Kopf stellte fest, wie unschicklich es war, andere Frauen reizvoll zu finden. Sie wischte diesen Gedanken durch ein Kopfschütteln beiseite und fragte sich, wie virtuos eine so blutjunge Musikerin ihr Instrument wohl beherrschte.
Während das Orchester die Einleitung spielte, saß die Cellistin reglos und schien völlig in der Musik zu versinken. Auch Dahlia schaffte es erstmals an diesem Abend, sich zu entspannen, verdrängte Marc und ihren Frust.
Der Einsatz ihrer Doppelgängerin nahte. Dahlias Herz klopfte, als ob sie im nächsten Augenblick den Bogen heben und über die Saiten des Instruments striche. Mit dem ersten Ton des Cellos kam Leben in die Musikerin. Explosionsartig entlud sich die Spannung, die sich während des Orchesterparts aufgebaut hatte, in ihrem Spiel. Sie führte den Bogen kraftvoll, wie Dahlia es ihren schlanken Armen nicht zugetraut hätte. Körper und Seele schienen mit dem Cello zu verschmelzen. Dahlia wusste, wie lange man üben und sich mit dem Stück auseinandersetzen musste, um eine solche Perfektion zu erreichen.
Während des Spiels rutschte das Kleid weiter hinauf und entblößte den Spitzenrand eines Strumpfs. Die langen, braunen Haare fielen in wirren Strähnen über Schultern und Brüste. Unbewusst strich sich Dahlia die eigenen Locken aus dem Gesicht. Sie ließ sich von der Leidenschaft der Solistin mitreißen, ihrer Musikalität und Sinnlichkeit.
Bis zu dem Moment, als sie einen Atemhauch in ihren Haaren spürte und den Duft eines edlen Parfums wahrnahm. Irritiert lehnte sie sich nach vorne und fragte sich, weshalb ihr das Paar so nahe rückte. Plötzlich spürte sie eine Hand im Nacken, die zu ihrem Ohr glitt. Das ging eindeutig zu weit! Empört drehte sie den Kopf zur Seite. Im selben Augenblick legte sich eine zweite Hand fest um ihren Hals und drückte auf die Kehle.
»Bleib ruhig!«
Obwohl die Frau flüsterte, versetzte ihre Stimme Dahlia lähmende Nadelstiche. Ihr Herz spielte einen Trommelwirbel in der Brust, der bis in die Schläfen dröhnte.
»Gehorche und dir wird nichts geschehen.«
Der Griff um ihren Hals lockerte sich und Dahlia sank erleichtert in den Sitz. Ein Finger strich über ihre trockenen, heißen Lippen.
»Gefällt dir die Cellistin, Dahlia?«, hauchte es in ihr rechtes Ohr.
Was zum Teufel! Woher kannte die Frau ihren Namen?
»Sie ist umwerfend, nicht wahr? Und sieht dir so ähnlich … «
Sibirische Kälte kroch Dahlias Rücken hinauf, biss sich in ihrem Nacken fest und ließ ihre Hände zittern. Beruhigend strich ihr die Unbekannte über die Wange.
»Du fragst dich, wo Marc bleibt, nicht wahr?«, sagte sie. »Nun … Er ist in unserer Gewalt. Weshalb du meine Anweisungen ohne Widerspruch befolgen wirst!«
Dahlias Herzschlag stockte. Marc war gefangen? Was zur Hölle …?
»Beantworte meine Fragen mit einem Nicken oder Kopfschütteln. Jeder Ungehorsam hat Folgen, für dich … und Marc.«
Die feinen Haare auf ihren Armen stellten sich auf. Was wollten diese Leute von ihnen? Schlagartig erkannte sie: Weder die Einladung zum Konzert noch die Geschenke stammten von Marc. Vermutlich hatten seine Entführer auch alle Nachrichten der letzten Tage geschrieben.
Ein Kuss in ihren Nacken schreckte sie auf.
»Hast du die Seidendessous angezogen?«
Unwillkürlich nickte sie. Ihr wurde bewusst, wie ungehörig die Frage war, und ihre Wangen glühten auf.
»Zeig es mir!«
Jetzt brannte ihr ganzes Gesicht. Empört schüttelte sie den Kopf. Der Druck auf ihre Kehle verstärkte sich, bis ihr übel wurde. Gleichzeitig kniffen sie zwei Finger in die Wange, als wäre sie ein ungezogenes Mädchen.
»Gehorche, Dahlia!«, zischte der Mann auf ihrer linken Seite.
Ein einzelner Schweißtropfen lief aus ihrer Achselhöhle den Arm hinunter. Sie roch ihre eigene Angst.
»Öffne deine Bluse!«
Die Stimme der Frau ließ keinen Widerstand zu. Mit zitternden Fingern löste Dahlia drei Knöpfe, bis ihre Brustwarzen durch den transparenten Stoff des Büstenhalters schimmerten. Schützend legte sie einen Arm darüber.
»Ich sagte: Öffne deine Bluse … ganz!«
Wie unter Hypnose bewegten sich Dahlias Hände zu den beiden übrig gebliebenen Knöpfen. Sie rang nach Luft, wodurch sich ihr Busen heftig hob und senkte.
»Gut. Braves Mädchen.«
Mit angehaltenem Atem beobachtete Dahlia, wie langgliedrige Finger zu ihrem Dekolleté wanderten und den Stoff des Büstenhalters nach unten schoben. Quälend langsam strichen schwarzlackierte Fingernägel über die Knospen, die sich gegen ihren Willen aufrichteten und kirschrot färbten. Dahlia schloss die Augen und bekämpfte das unerwünschte Gefühl der Lust.
»Zieh deinen Rock hoch!«, befahl die Frau.
»Was?«, stieß Dahlia hervor.
Der Mann presste seine Hand auf ihren Mund.
»Möchtest du schuld daran sein, wenn Marc gefoltert wird?«, sagte die Frau.
Dahlias Augen füllten sich mit Tränen. Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. Endlich lockerte der Mann seinen erbarmungslosen Griff, und sie atmete tief durch.
»Hoch mit dem Rock!«, sagte die Frau betont langsam und kniff Dahlia in die Brustwarzen.
Sie unterdrückte einen Aufschrei, nur ein gepresstes Stöhnen quälte sich aus ihrer Kehle. Widerwillig packte sie den Saum ihres Rockes und zog ihn die Oberschenkel hinauf. Hektisch schaute sich Dahlia um, glücklicherweise konzentrierten sich die Konzertbesucher in ihrer Nähe auf die Bühne.
»Weiter, bis über den Po!«
Dahlia hob sich kurz aus dem Sessel und legte die schwarze Seide ihres Höschens frei. Ihre Wangen glühten.
»Braves Täubchen«, raunte der Mann. Er klang belustigt.
Dahlia stiegen Tränen in die Augen. Die Blicke ihrer Peiniger brannten auf ihrer nackten Haut. Noch nie war sie so gedemütigt worden. Überraschenderweise nahm die Frau ihre Hände von Dahlias Brüsten, deren Spitzen schmerzhaft pochten.
»Vor dem Konzerthaus wartet eine Limousine auf dich«, sagte die Unbekannte. »Folge uns in fünf Minuten. Falls du etwas Unüberlegtes tust, wirst du Marc nie wiedersehen!«
Ihre Peiniger standen auf und verließen die Loge. Dahlia sackte in sich zusammen. Sie atmete tief ein und aus, schloss hastig ihre Bluse und zerrte den Rock nach unten.
Was um alles in der Welt sollte sie tun? Wenn sie in diesen Wagen stieg, war sie den Entführern ausgeliefert. Aber Marc im Stich lassen? Sie sah sein Bild vor sich, sein jungenhaftes Lächeln, das ebenso liebevolle wie bestimmende Glitzern in seinen Augen.
Energisch wischte sie die Tränen von ihren Wangen, nahm ihre Handtasche und stand auf. Mit zittrigen Beinen schritt sie durch das Foyer nach draußen. Verbarg hinter einer steinernen Maske, wie verzweifelt sie war.
Kapitel 2
Dahlia trat aus dem Konzerthaus und erspähte sofort die silberne Limousine, die nicht weit vom Eingang entfernt parkte. Ein ihr abgewandter Mann in Uniform lehnte an der Fahrertür und rauchte eine Zigarette. Da das Konzert noch mindestens eine halbe Stunde dauern würde, waren kaum Menschen auf der Straße zu sehen. Der laue Maiwind blies ihr um die Nase und trug ihr den Großstadtmief zu, in der abendlichen Rushhour ein alltägliches Geschehen.
Sie blieb stehen, unschlüssig, wie sie sich verhalten sollte. Ihre Sorge um Marc wuchs mit jedem Augenblick, doch wie konnte sie ihm helfen, ohne selbst in Gefahr zu geraten? Sie hatte niemanden außer ihn, den sie anrufen oder um Rat fragen konnte. Ihre Eltern reisten seit Monaten in der Weltgeschichte herum und waren im Moment nicht erreichbar. Ihre Kollegen an der Uni sah sie eher als gute Bekannte, die sie mit einer so haarsträubenden Geschichte nicht behelligen wollte.
In diesem Moment drehte sich der Chauffeur um, musterte sie von den Haaren bis hinunter zu den Louboutins und winkte sie anschließend zu sich.
Mechanisch ging Dahlia zum Auto. Ihr Herz wummerte, als hätte sie fünf Tassen Espresso getrunken. Der Fahrer grüßte sie und öffnete die Tür zum Fond des Wagens, der mindestens zwei Meter länger war als jede herkömmliche Limousine.
»Steig ein!«, ertönte eine herrische Stimme aus dem Inneren des Fahrzeugs.
Umständlich kletterte sie in die Luxuskutsche und ließ sich in die Polsterung fallen. Neben ihr saß der Mann aus dem Konzertsaal, von der Frau war nichts zu sehen. Eine Maske bedeckte jetzt den größten Teil seines Gesichts. Doch der akkurat gestutzte dunkelhaarige Bart, durch den sich ein paar graue Strähnen zogen, und der im Stil der 1920er geschnittene Anzug ließen keine Zweifel offen. Der schwarze Samt der Maske lag wie eine zweite Haut über Stirn und Wangen, nur die Nase, die Dahlia an einen Falkenschnabel erinnerte, stach hervor. Mund und Augen blieben frei. Der Unbekannte nickte ihr zu und gab dem Chauffeur ein Zeichen.
Das Auto fuhr los und Dahlia klammerte sich an die Vorderkante des Ledersitzes. Es roch unangenehm nach Zigaretten oder Zigarren. Sie blinzelte mehrmals, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Ihre Entscheidung war gefallen, es gab kein Zurück mehr. Der Mann jagte ihr Angst ein, sie spürte seine forschenden Blicke und schaute irritiert zur Seite. Durch die getönten Scheiben beobachtete Dahlia, wie sie das Stadtzentrum hinter sich ließen. Draußen zogen Häuserreihen vorbei, die mit ihren stattlichen Fassaden und gepflegten Vorgärten zum Nobelviertel gehörten. Sie versuchte, sich ein paar Details einzuprägen, wie die Leuchtschrift eines Restaurants oder das Hinweisschild für ein Autohaus.
»Dahlia, dreh dich zu mir!«
Der gebieterische Ton ihres Begleiters weckte ihren Widerstand. Sie wandte sich um und sah ihm herausfordernd in die nachtdunklen Augen.
»Was wollen Sie von mir? Warum halten Sie Marc gefangen?«
Bevor sie zurückweichen konnte, packte er ihr Kinn und zog ihren Kopf näher zu sich.
»Sprich nie mehr, wenn es dir nicht gestattet ist!«, herrschte er sie an. »Du wirst Antworten erhalten, wenn wir es für richtig halten.«
Dahlia schossen Tränen in die Augen. Seine Finger pressten ihre Wangen wie eine Schraubzwinge zusammen. Er tat ihr weh, aber sie wagte keine Widerrede. Stattdessen senkte sie den Blick und starrte auf seine schwarze Anzugjacke, deren Schnitt ihr seltsam vertraut erschien.
»Demut steht dir besser zu Gesicht, mein Täubchen«, sagte er, löste den eisernen Griff und strich ihr sanft über die Wange.
Seine Stimme bekam eine Klangfarbe, die sie insgeheim berührte, obwohl sie die Worte verletzten. Noch nie hatte sie jemand ein Täubchen genannt! Falls irgendein Kerl so anmaßend gewesen wäre, hätte sie ihm ihre Raubvogelkrallen gezeigt. Doch diesem hintergründigen Mann gegenüber fühlte sie sich wie gelähmt.
»Ich bin übrigens Romero.« Er legte den Kopf zur Seite, seine Augen verengten sich. »Du bist noch schöner, als ich erwartet hatte.«
Woher kannte er sie? Der Blick, mit dem er sie musterte, schien sie zu durchdringen. Sie bohrte ihre Fingernägel in die Oberschenkel, bis es schmerzte.
»Du fragst dich, wie ich darauf komme?«
Dahlia fragte sich eher, ob er Gedanken lesen konnte. Sie hob den Kopf und legte eine Hand auf die Wange, die noch von seinem brutalen Griff brannte. Etwas an ihm kam ihr bekannt vor, als spielte dieser Teil in ihrem Leben eine bedeutsame Rolle.
»Ich habe Bilder von dir gesehen«, setzte er fort. »Informationen eingeholt.«
Er lächelte, was sie mehr beunruhigte als sein Sarkasmus. Auch sein Blick änderte sich, wühlte ihr Innerstes auf. Instinktiv legte sie eine Hand vor die Brust, als müsse sie sich vor einem Übergriff schützen.
»Solange du gehorsam bist, hast du nichts zu befürchten.«
Wieder fühlte sie sich durchschaut. Sie ertappte sich dabei, wie sie mit ihren Locken spielte, sie über die rechte Schulter schob und an den Spitzen zupfte.
»Du verhältst dich wie eine Jungfrau«, meinte er kopfschüttelnd. »Hat Marc dir in dem einen Jahr nichts beigebracht?«
Sie starrte ihn entgeistert an. Dieser mysteriöse Mann redete mit ihr, als wüsste er über sie und ihr Leben Bescheid. In ihrem Kopf spielten die Gedanken Pingpong. Obwohl er ihr eine Frage gestellt hatte, schien er keine Antwort zu erwarten.
»Hast du Cheryns Hände auf deinen Nippeln genossen?«
Sie hielt den Atem an. Ihre Wangen, die an der frischen Luft eine normale Farbe angenommen hatten, gefielen sich wieder als reife Tomaten. Cheryn war wohl die Frau im Konzertsaal gewesen, die sich in nichts aufgelöst hatte. Da ihr die Situation zu entgleiten drohte, rückte sie eine Handbreit nach links, weg von Romero, und hielt ihre Handtasche schützend vor die Brust.
»Komm näher, Dahlia!«
Seine Augen unter der Maske funkelten sie begierig an. Hastig senkte sie den Kopf, starrte auf den penibel gereinigten Boden und rührte sich nicht vom Fleck.
»Ich sagte, du sollst näherrücken!«
Als sie auch diesen Befehl ignorierte, packte er sie an den Schultern und zog sie zu sich. Das Temperament und die Kraft, die er dabei an den Tag legte, erinnerten sie an die schrecklichen Momente, in denen sie ihr Vater in der Kindheit übers Knie gelegt hatte, um ihr den Hintern zu versohlen. Sie versteifte sich und begann unkontrolliert zu zittern.
»Solche Angst, Täubchen?«, stichelte er. »Fürchtest du, ich greife dir zwischen die Beine?«
Sie schaute ihn entsetzt an. Keiner hatte je so mit ihr gesprochen. Das Schlimmste war, wie ihr Schoß auf seine Worte reagierte. Die Scham über die aufkeimende Lust ließ auch ihre Ohren glühen.
»Oder willst du lieber meinen Schwanz?«
Bevor sie ihren Schock überwunden hatte, packte er ihre linke Hand und legte sie auf die Schwellung an seinem Schritt.
»Fühlt sich gut an, wie?«
Sie versuchte, ihm die Hand zu entwinden, aber seine Finger hielten sie mit eisernem Griff fest.
»Du solltest ihn mal in deinem Mund spüren!«
Dahlias Herzschlag setzte aus. Ihr Hals wurde eng, aber sie würgte ihre Angst hinunter.
»So was … mach ich nicht!«
»Tatsache? Gar nicht?« Er schaute sie spöttisch lächelnd an.
»Nicht mit … Fremden.«
Sie zupfte an ihren Haaren, bis es schmerzte.
»Hm … wie alt bist du, Dahlia?«, fragte er.
»Zweiundzwanzig«, erwiderte sie.
»Und du hast wirklich noch nie einem Jungen aus Spaß einen geblasen?«, ätzte er. »Was ist nur los mit dir?«
Dahlia fühlte sich furchtbar gedemütigt. Obwohl sie dagegen ankämpfte, liefen ihr Tränen über die Wangen. Warum stellte ihr dieser fürchterliche Mensch solche Fragen?
»Was hat Marc mit dir in den letzten Monaten angestellt? Erzähl es mir!«
»Das geht Sie überhaupt nichts an!«, fauchte sie.
»Und ob mich das etwas angeht. Hat er dich in den Hintern gefickt? Dich gezüchtigt, wenn du ungehorsam warst?«
In welchen Wahnsinn war sie da hineingeschlittert? Marc hatte sie immer wertschätzend behandelt, war nie grob zu ihr gewesen. Außerdem hatte dieser Irre kein Recht, so mit ihr zu reden. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und ließ ihren Tränen freien Lauf.
»Ach, hör doch auf zu flennen!«, herrschte er sie an. »Bis jetzt bin ich dir nicht mal an die Wäsche gegangen.«
Dahlia versuchte, sich zu beruhigen, aber sie war völlig durcheinander. Was sie in den letzten Stunden erlebt hatte, war einfach zu viel gewesen.
»Schau, Dahlia.« Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Du bist doch kein Kind mehr.«
Sie hob ihren Kopf, schaute ihn durch einen Dunst aus Tränen an. Worauf wollte der Mistkerl hinaus?
»Hast du wirklich von nichts eine Ahnung?«
»Ich … weiß nicht, wovon Sie reden«, schnaubte sie. »Lassen Sie mich doch einfach in Ruhe!«
Er schüttelte den Kopf.
»Ebenso trotzig wie … egal«, entgegnete er. »Cheryn wird dir das schon austreiben!«
Dahlia, die sich mittlerweile halbwegs gefasst hatte, schaute ihn ungläubig an.
»Ich will aber …«
»Halt jetzt besser deine Klappe, bevor ich die Geduld verliere«, fiel er ihr ins Wort.
Seine Hand rutschte von ihrer Schulter nach unten, umfing ihre linke Brust.
»Stehst du eher auf sanft?« Er drückte ihre Rundung mit erstaunlicher Raffinesse. »Oder magst du … eine härtere Gangart?«
Er presste ihren Busen zusammen. Sie keuchte vor Schmerz.
»Das werden wir herausfinden, Dahlia.«
Bevor sie protestieren konnte, ließ er von ihr ab und rückte ein Stück zur Seite. Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend. Dahlia war erleichtert, weil er sie nicht weiter bedrängte. Was er mit ihr angestellt hatte, war schlimm genug gewesen. Sie setzte sich zu ihrem Fenster und schaute hinaus. Sie fuhren durch einen dichten Wald, wo sie durch die einsetzende Dämmerung keinerlei Orientierungspunkte fand.
Nach einigen Minuten absoluter Stille reichte ihr Romero ein Feuchttuch, das er einer Box unter dem Vordersitz entnahm.
»Richte deine Haare«, wies er sie an. »Und wisch die Tränen ab!«
Dahlia öffnete ihre Handtasche, holte den Handspiegel heraus und betrachtete ihr Gesicht. Auf ihren Wangen zeigten sich Flecken, unter den Augen hatte sie tiefe Schatten und verronnene Wimperntusche. Soweit möglich, brachte sie ihr Aussehen in Ordnung und versuchte, sich zu beruhigen.
Der Wagen hielt an. Durch das Fenster erspähte Dahlia ein prunkvolles Gebäude, umgeben von einem gepflegten Park.
Die Tür neben ihr öffnete sich.
»Steig aus!«, befahl Romero.
Da sie nicht sofort reagierte, packte der Chauffeur ihren Arm und zog sie unsanft aus dem Wagen. Fast wäre sie hingefallen, aber der feste Griff des Mannes hielt sie auf den Beinen. In der Zwischenzeit hatte auch Romero das Auto verlassen. Er trat zu Dahlia, legte einen Arm um ihre Taille und dirigierte sie zu einer breiten Steintreppe. Altertümliche Skulpturen säumten den Weg, ihrem Wissen nach Satyrn und Nymphen in offenherzigen Posen. Das Klappern ihrer Absätze zerriss die Stille. Das vor ihr liegende Schloss, von unzähligen Lichtkegeln beleuchtet, schien der Landsitz eines Adeligen aus dem siebzehnten Jahrhundert gewesen zu sein. Die Sträucher waren zu exakten geometrischen Formen geschnitten, die Blumenbeete entlang des Weges eine wahre Pracht. Sie roch den Duft von Flieder und einer fremdartigen Blüte, die sie nicht einordnen konnte.
Romero führte sie die Stufen hinauf zu einem massiven Tor, dessen Flügel einladend offen standen. Im Eingangsbereich war es düster, bis auf zwei Wandlampen brannte kein Licht. Sie gingen durch einen nahezu leeren, allein durch seine Höhe beeindruckenden Vorraum, dem ein ewig langer Flur folgte. An den Wänden sah Dahlia Gemälde aus unterschiedlichen Stilepochen, ausnahmslos erotischer Natur. Ihr Begleiter führte sie an einem Dutzend Türen vorbei, bis sie Musik und Stimmen vernahm, die mit jedem Schritt lauter wurden. Schließlich öffnete er eine Flügeltür zu einem taghell erleuchteten Saal.
Kapitel 3
Als Dahlia durch die offene Tür trat, wandten sich ihr die maskierten Gesichter von etwa dreißig Personen zu. Die Männer waren in dunkle Anzüge gekleidet, die dem ihres Begleiters ähnelten. Die Damen trugen Designerroben, die nur das Notwendigste bedeckten und Beine, Rücken, in einigen Fällen sogar den Bauch zeigten. Marc war nirgendwo zu sehen, was Dahlia auch nicht erwartet hatte. Trotzdem war sie enttäuscht und fühlte sich im Stich gelassen.
Romero dauerte ihr Zaudern wohl zu lange, er packte sie am Arm und zog sie mit sich in den Saal. Eine hochgewachsene Frau mit tiefschwarzen Haaren steuerte auf sie zu und ergriff ihre Hand.
»Willkommen im Zirkel, Dahlia.«
Die tief timbrierte Stimme sandte einen Schauer an ihrer Wirbelsäule hinab. Der Tonfall, die Aussprache ihres Namens und der Duft des Parfums ließen keinen Zweifel offen: Sie stand vor Cheryn, der Unbekannten aus dem Konzertsaal. Die Hausherrin, die sie zielstrebig zu einer Sitzgruppe in der Mitte des Raumes dirigierte, hatte eine beängstigende Ausstrahlung. Dahlia schätzte ihr Alter auf annähernd vierzig, doch ihr Körper, der in eine hochgeschlossene silberne Robe gehüllt war, hatte die Spannkraft einer Dreißigjährigen. Sie trug als Einzige unter den Anwesenden keine Maske. Sie war stark geschminkt und ihre Gesichtszüge deuteten auf vorderasiatische Wurzeln hin. Wie sie es aus der Stadt in das Schloss geschafft hatte, um hier als perfekt gestylte Gastgeberin auftreten zu können, stellte für Dahlia ein Rätsel dar. Vielleicht hatte Romero den Chauffeur angewiesen, einen Umweg zu fahren.
Ein Paar, unwesentlich älter als sie, hatte es sich auf einem der Sofas bequem gemacht. Die locker sitzende, dunkelblaue Robe bedeckte kaum die Brüste der Frau, zudem war der Rock bis zu den Oberschenkeln geschlitzt. Silberblondes, glattes Haar fiel auf ihre bloßen Schultern.
Ihre Begleiter drückten sie mit sanfter Gewalt auf das benachbarte Sofa und nahmen rechts und links von ihr Platz. Als sie die Beine übereinanderschlagen und den Rock tiefer ziehen wollte, legte ihr Cheryn eine Hand auf das Knie.
»Entspann dich«, forderte sie. »Und versuch nicht, deine Reize zu verbergen.«
Dahlias Ohren brannten. Cheryn schob ihren Rock weit hinauf und strich über ihre Schenkel. Nach allem, was sie an diesem Tag bereits erlebt hatte, fehlte ihr die Kraft, sich gegen diesen neuerlichen Übergriff zu wehren. Sie seufzte resignierend, lehnte sich zurück und beschränkte sich darauf, ihre Beine fest zusammenzupressen. Wenigstens ließ Romero sie in Ruhe, der auf der linken Seite lümmelte und gelangweilt über seinen Bart strich.
Das Paar auf dem Nachbarsofa musterte sie neugierig. Der Mann zwinkerte Dahlia zu, schob eine Hand in die Robe seiner Begleiterin und legte sie um ihre linke Brust. Sie stöhnte deutlich hörbar auf und bog den Rücken genießerisch durch. Ohne Skrupel zog er den Stoff ihres Kleides eine Handbreit nach unten, wodurch eine steif emporragende Knospe entblößt wurde. Seine Dame schien das nicht im Geringsten zu stören. Dahlia bemerkte, wie lüstern ihre Augen hinter der Maske funkelten. Er beugte sich hinab und strich mit der Zunge über die rosige Spitze.
Irritiert wandte Dahlia den Blick zur Seite und erspähte ein asiatisches Serviermädchen mit einem Tablett voller Getränke. Sie steuerte auf Dahlia zu und vollbrachte das Kunststück, sich auf fernöstliche Art zu verbeugen, während sie ein voll beladenes Tablett balancierte.
»Etwas zu trinken?«, fragte sie mit einem kaum hörbaren Akzent.
Dahlia wählte einen Orangencocktail und trank sofort das halbe Glas leer. Das Getränk schmeckte köstlich und prickelte auf ihrer Zunge. Sie sah sich um. Der Saal war riesig, es hätten dreimal so viele Gäste Platz gefunden. Dahlia saß in der Nähe eines zylindrischen Podests in der Raummitte, das im Gegensatz zu den darum angeordneten Sitzgruppen unbeleuchtet war. Sie roch Räucherstäbchen und hörte, wie jemand auf einem Klavier klimperte. Sie fragte sich, wie es Marc gerade erging und wo er festgehalten wurde.
In diesem Moment erreichte die Hand auf ihrem Schenkel den Streifen nackter Haut oberhalb des Strumpfes. Reflexartig zuckte Dahlia zusammen und drückte die Beine noch fester aneinander. Wie Cheryn sie berührte, sanft und doch mit einem deutlich spürbaren Druck, erzeugte ein wohliges Kribbeln in ihrem Bauch. Sie schloss die Augen. Durch den plötzlichen Genuss des Alkohols war ihr Kopf wie in Watte gepackt. Dass Cheryn zu einem so intimen Teil ihres Körpers vordrang, war ungeheuerlich und aufregend zugleich. Als die Finger ihr Spiel beendeten, war Dahlia erleichtert und empfand gleichzeitig ein vages Gefühl von Verlust.
Cheryn erhob sich, stieg über drei Stufen auf das Podest und hob ihre Hände. Ein auf sie gerichteter Scheinwerfer flammte auf.
»Liebe Freunde des Zirkels!«
Ihre Altstimme drang bis in die letzten Winkel des Raumes.
»Heute ist ein außergewöhnlicher Tag für unsere Gemeinschaft. Ich darf zwei Attraktionen ankündigen. Zum einen die ebenso bezaubernde wie scheue Dahlia.«
Sie zuckte zusammen, als Cheryn ihren Namen nannte, und zog unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern.
»Welche Geheimnisse wird sie uns enthüllen? Was wird ihr offenbart werden?« Um Cheryns Lippen spielte ein anzügliches Lächeln.
Dahlias Herzschlag setzte aus. Was um Himmels willen hatte diese Frau mit ihr vor? Am liebsten hätte sie sich in eine Maus verwandelt und wäre unter das Sofa gekrabbelt! Das Pärchen auf dem Nachbarsofa betrachtete sie mit neu erwachtem Interesse und die blonde Frau prostete ihr augenzwinkernd zu. Auch Dahlia setzte ihr Glas an die Lippen, dankbar, sich zumindest hinter dem Getränk verstecken zu können. Der Mix aus Alkohol und Fruchtsaft erzeugte ein wohliges Gefühl in ihrem Körper.
»Doch bevor das Spiel mit Dahlia beginnt, dürfen wir uns auf ein aufregendes Ritual freuen«, setzte Cheryn ihre Rede fort. »Unser langjähriges Mitglied Dorian hat vor einem Jahr seine Nichte Elodie in den Zirkel eingeführt. Heute, an ihrem Geburtstag, tritt sie ihm als Initiandin bei.«
Dahlia fiel fast das Glas aus der Hand. Ihr Onkel? Welcher abartige Haufen hatte sich in diesem Schloss versammelt? Sie schüttelte den Kopf und schaute zu Romero, der belustigt grinste.
»Liebe Freunde«, rief Cheryn, »erfreut euch an der jugendlichen Schönheit von Elodie, die von ihrer Patin Sonya zur Zeremonie geleitet wird.«
Nach diesen Worten stieg sie vom Podest und blieb in dessen Nähe stehen. Dahlia warf ihr einen versteckten Blick zu. Sie konnte die hochgewachsene Gestalt nicht einordnen, die weibliche und männliche Attribute in perfekter Harmonie vereinte. Ihr Haar floss in schwarzen Wellen über eher breite Schultern, die schmalen Hüften und schwach ausgeprägten Brüste ließen Cheryn androgyn erscheinen.
»Cheryn ist die Meisterin des Zirkels«, erklärte ihr Romero, der näher an Dahlia herangerückt war.
Eine Meisterin? War sie etwa in einer Sekte gelandet? Dahlia runzelte die Stirn.
»Und ich, mein Täubchen … bin der Zuchtmeister.«
Dahlia zuckte zusammen, als hätte er sie bereits geschlagen. Sie sah ihn fassungslos an, worauf er mit einem amüsierten Grinsen reagierte. Der Mann war ihr unheimlich! Sie rückte wieder von ihm ab, was Romero mit einem leisen Lachen zur Kenntnis nahm. Er schob einen Arm auf die Lehne des Sofas, wodurch seine Hand über ihrer rechten Schulter lag.
Der Pianist, der wohl in einem versteckten Winkel des Raumes saß, spielte ein paar dröhnende Akkorde, die in eine feierlich klingende Melodie überleiteten. Durch einen unsichtbaren Mechanismus öffnete sich auf der dem Eingang gegenüberliegenden Seite des Raumes eine Flügeltür. Ein in weißen Chiffon gehülltes Mädchen trat herein, begleitet von einer attraktiven Frau um die vierzig.
Von der Initiandin war wenig zu sehen, da die Schleier nicht nur ihren Körper, sondern auch das Gesicht bedeckten. Mit feierlichen Schritten trat Elodie auf das Podest zu, in den Händen eine brennende Kerze. Sie war barfuß, Dahlia sah außer den kunstvoll um sie drapierten Stoffen keinerlei Kleidung. Das Szenario fesselte Dahlia und sie hielt unbewusst den Atem an.
Cheryn nickte dem Mädchen hoheitsvoll zu.
»Elodie, du hast dich entschlossen, unserem Zirkel beizutreten. Tust du dies aus freien Stücken?«
Hinter dem Schleier war ein kaum hörbares »Ja« zu vernehmen.
»Sprich lauter!«, forderte Cheryn sie auf. »Nimmst du die Gesetze des Zirkels an?«
»Ja, Meisterin!«, antwortete Elodie mit kräftigerer Stimme.
»Wirst du dich allen Herausforderungen unterwerfen?«
»Ja.«
»Dann reiche Sonya die Kerze. Als Zeichen dafür, dass du dich dem Feuer in dir und um dich auslieferst.«
Mit demütig gesenktem Kopf kam Elodie dem Befehl nach.
»Strecke mir deine Hände entgegen, um die Fesseln des Zirkels zu empfangen!«
Elodie hob ihre Arme. Cheryn legte ihr weiße Lederbänder mit Metallschellen um die Handgelenke. Danach befestigte sie eine breite Schärpe um die Mitte des Mädchens, bückte sich nach unten und schlang Lederbänder um beide Fußgelenke. Sie nahm Elodies Hand und führte sie auf das Podest. Ein weiterer Lichtkegel flammte auf und beleuchtete ein Gerüst, das Dahlia entfernt an einen Galgen erinnerte. Bei diesem Anblick lief ihr ein eisiger Schauer über den Rücken. Hastig trank sie einen Schluck von ihrem Cocktail.
Auf der Plattform zog Cheryn transparente Schnüre durch die Manschetten an Elodies Handgelenken, die Dahlia kaum sehen konnte, obwohl sie keine zehn Schritte von der Bühne entfernt saß. Cheryn trat an ein Steuerpult und hantierte daran herum. Elodies Arme wurden emporgezogen, bis sie den Boden nur noch mit den Zehenspitzen berührte.
»Sonya, walte deines Amtes als Patin!«, rief Cheryn. »Enthülle Elodies Gesicht, damit wir uns an ihrer Hingabe erfreuen können.«
Sonya trat hinter ihren Schützling, ergriff den obersten Schleier und entfernte ihn. Dahlia riss die Augen auf. Das Mädchen sah aus wie eine Fünfzehnjährige! Romero beugte sich zu Dahlias Ohr.
»Keine Angst, Täubchen. Die Kleine ist älter, als sie aussieht. Kindesmissbrauch steht nicht auf Cheryns Agenda.«
Elodie war kaum geschminkt, hatte aquamarinblaue Kulleraugen, eine Stupsnase und einen Schmollmund. Durch die gestreckte Haltung fielen ihr die hellblonden Haare wie ein Fächer aus Strohhalmen auf die Schultern.
»Wer möchte von Elodies Lippen kosten?«
Eine Dunkelhaarige nahe dem Podest hob den Arm. Cheryn nickte ihr zu, woraufhin die Frau zur Bühne trat. Sie nahm Elodies Gesicht in beide Hände und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss.
Dahlia vermeinte, ein Knistern zu hören, das in der Luft vibrierte und sich von einer Sitzgruppe zur nächsten fortpflanzte. Endlich lösten sich die Lippen und die Frau lächelte Elodie zu.
