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Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. Miriam starrte gegen die Decke, über die Lichtreflexe wanderten, die von den Scheinwerfern vorüberfahrender Autos erzeugt wurden. Sie war zu Bett gegangen, als das Telefon um zweiundzwanzig Uhr immer noch schwieg. Das war keine gute Idee gewesen. Sie hätte besser aufbleiben sollen, lesen, oder noch etwas fernsehen, irgendetwas tun. Aber jedes Tun wäre ihr wohl sinnlos vorgekommen. Den Zeilen eines Buches und deren Inhalt hätte sie kaum folgen können, und auf den Bildschirm würde sie ebenso abwesend geschaut haben wie auf die fahlen Scheine, die da oben dahinzogen. Denn vor allem stand ja doch der Anblick, der sich vor ihrem geistigen Auge nicht verdrängen ließ: Harald, zusammen mit einer fremden Frau! Rotblondes, über die Schultern fallendes Haar. Es hatte sie mit einem grellen unerwarteten Schmerz getroffen! So weh konnte einem das doch eigentlich nur tun, wenn man liebte? Sie war sich nicht sicher gewesen, ob es nur seine Ausstrahlungskraft war, die sie zu ihm zog, sein Lächeln, das unwiderstehlich sein konnte. Im Auftreten dieses großen blonden Mannsbildes lag etwas Sieghaftes, so, als gehöre die Welt ihm. Und er glaubte, dass auch sie ihm gehören würde, Miriam Holl. Nicht für eine Nacht. Nicht für eine kurze Beziehung. Sondern für immer. »Warum gerade ich?«, hatte sie gefragt. »Weil ich dich liebe«, hatte er geantwortet und dies mit lachendem Mund.
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2025
Miriam starrte gegen die Decke, über die Lichtreflexe wanderten, die von den Scheinwerfern vorüberfahrender Autos erzeugt wurden. Sie war zu Bett gegangen, als das Telefon um zweiundzwanzig Uhr immer noch schwieg.
Das war keine gute Idee gewesen.
Sie hätte besser aufbleiben sollen, lesen, oder noch etwas fernsehen, irgendetwas tun.
Aber jedes Tun wäre ihr wohl sinnlos vorgekommen.
Den Zeilen eines Buches und deren Inhalt hätte sie kaum folgen können, und auf den Bildschirm würde sie ebenso abwesend geschaut haben wie auf die fahlen Scheine, die da oben dahinzogen.
Denn vor allem stand ja doch der Anblick, der sich vor ihrem geistigen Auge nicht verdrängen ließ: Harald, zusammen mit einer fremden Frau!
Rotblondes, über die Schultern fallendes Haar. – Sie hatte die Arme um seinen Nacken gelegt, und sie küssten sich, dort, beim Goethe-Denkmal im Park …
Es hatte sie mit einem grellen unerwarteten Schmerz getroffen!
So weh konnte einem das doch eigentlich nur tun, wenn man liebte?
Sie war sich nicht sicher gewesen, ob es nur seine Ausstrahlungskraft war, die sie zu ihm zog, sein Lächeln, das unwiderstehlich sein konnte. Im Auftreten dieses großen blonden Mannsbildes lag etwas Sieghaftes, so, als gehöre die Welt ihm.
Und er glaubte, dass auch sie ihm gehören würde, Miriam Holl.
Nicht für eine Nacht. Nicht für eine kurze Beziehung. Sondern für immer.
»Warum gerade ich?«, hatte sie gefragt.
»Weil ich dich liebe«, hatte er geantwortet und dies mit lachendem Mund. Aber als ER sie länger ansah, war seine Miene ernster geworden, und wenn es nicht Harald gewesen wäre, hätte man denken können, dass ein – ja, ein grübelnder Ausdruck in seinen grauen Augen stand, als er hinzufügte: »Weil du anders bist. Du gibst mehr her. Dich möchte man festhalten!«
Daran mußte Miriam jetzt denken.
Sie verschränkte die Arme unter dem Kopf, horchte in sich hinein.
Aber da war doch auch Marcel!
Ihn kannte sie schon länger. Marcel Ferber war ihr ein guter Freund. Er war klug, ruhig, verständnisvoll, mit ihm konnte sie über alles reden. Sie wäre keine Frau gewesen, wenn sie nicht manchmal gespürt hätte, dass er ihr wohl mehr sein wollte als ein Freund. In solchen Momenten neigte sie sich ihm zu, empfand sie die Wärme und Vertrautheit zwischen ihnen. Doch wenn sie sich mal einen Kuss gaben, zum Abschluss gemeinsam verbrachter Stunden irgendwo, dann berührten sich ihre Lippen nur leicht, freundschaftlich eben. Es war keine geheimnisvolle Spannung zwischen ihnen, kein aufflammendes Begehren. Doch sie drohte dabei, lieber Marcel, lieber …
Miriam seufzte. Es war nicht so einfach mit der Liebe!
Mit einer jähen Bewegung warf sie sich herum. Marcel würde nicht lachendes Mundes von Liebe reden und dann fremde Frauen im Park küssen!
Sie legte sich auf ihre Schlafseite, links, mit der Hand unter der Wange. Schluss jetzt. Um halb sieben würde der Wecker klingeln!
Und jetzt klingelte das Telefon!
Instinktiv fuhr sie empor. Aber als sie die Decke zurückgeworfen hatte und die Füße auf den Boden setzte, zögerte sie. Läuten lassen, dachte sie und biss die Zähne zusammen. Aber dann ging sie doch hin, nahm den Hörer ab.
»Hallo«, sagte Harald ganz munter und vergnügt.
»Weißt du, wie spät es ist?«, fragte Miriam.
»Elf Uhr vorbei. Hast du schon geschlafen, mein Schatz?« Er tat plötzlich reuig. »Ich konnte es mir doch nicht verkneifen, dir noch eine gute Nacht zu wünschen.«
»Danke. Das wünsche ich dir auch«, gab sie kurz zurück, verabschiedend, als gäbe es weiter nichts zu sagen.
»He, Miriam, du kannst doch nicht einfach auflegen!«, rief er aus. »Oder bist du mir böse?«
Es klang so jungenhaft und unbefangen, dass heißer Groll in ihr aufstieg. »Jedenfalls möchte ich jetzt nicht weiter mit dir reden«, sagte sie schroff. »Ich brauche meinen Schlaf.«
»Na komm, den sollst du ja auch haben. Aber lass dir doch erklären, warum ich nicht früher anrufen konnte.« Er sprach jetzt immer schneller. »Als ich von meiner Tour zurück war, hatte ich doch wie üblich noch im Büro zu tun, und dann hat mich ein Kollege verschleppt, bei dem zu Hause es etwas zu feiern gab. Da konnte ich schlecht nein sagen, verstehst du.«
»Hatte der Kollege langes rotblondes Haar und trug er High-heels zu hautengen Jeans?«, fragte Miriam mit bitterer Ironie.
Es folgte ein Augenblick verblüfften Schweigens. »Ach, das ist es«, sagte Harald Droste langsam, aber er kam nicht weiter.
»Ja, das ist es! Mir kannst du nichts vormachen«, rief Miriam aus und knallte den Hörer auf.
Danach ging sie in die Küche und machte sich eine Tasse Milch warm. Hausrezept von ihrer Mama, um nach einer Aufregung einschlafen zu können …
Er sollte ihr doch gestohlen bleiben, der Harald.
*
Aber das dumme, dumme Herz klopfte doch rascher, als sie ihm am nächsten Abend vor sich sah. Sie kam pünktlich aus der Praxis des Dr. Riekert, wo sie als Arzthelferin angestellt war. Harald hatte vor dem Haus auf sie gewartet. »Guten Abend«, sagte er, und auch sie sagte: »Guten Abend.« Sie ließ es so kühl wie möglich klingen und wollte weitergehen. Aber er stellte sich ihr in den Weg. Er hielt ihr eine langstielige rote Rose entgegen, von einer schmalen Klarsichtfolie umhüllt.
»Mit der Bitte, mich anzuhören, denn hier muss ein kleines Missverständnis aufgeklärt werden«, sagte er.
»Deine Rose kannst du behalten«, erwiderte sie. »Was ich gesehen habe, hab’ ich gesehen.«
Haralds Blick senkte sich in ihre Augen. »Du bist so süß, wenn du versuchst, grimmig zu gucken«, befand er. »Gehen wir zu dir oder zu mir oder wollen wir im ›Schwanen‹ etwas essen?«
Typisch Harald. Er schlug ihre Worte einfach in den Wind.
»Harald!« Miriam guckte weiter ›grimmig‹, was immer du mir auch zu sagen hast«, begann sie, doch er fiel ihr ins Wort: »Das kann der liebe Harald dir nicht sagen, wenn wir hier auf der Straße stehenbleiben. Na komm schon«, er nahm ihren Arm, »gleich wirst du mir wieder gut sein.«
»Das denkst du dir wohl«, sagte sie störrisch.
Dennoch ging sie mit ihm. Anhören konnte sie sich ja mal, was er vorzubringen hatte.
Sie gingen in den ›Schwanen‹; das war ein gemütliches, solid-bürgerliches Restaurant ein paar Ecken weiter. Es war wie immer gut besetzt. Ein freier Zweiertisch an der Wand neben dem Aquarium war ihnen gerade recht.
Harald bestellte sich eine Halbe, bevor er zur Speisenkarte griff. Er war durstig nach einem ausgefüllten Arbeitstag. Auch Miriam nahm ein Bier, ein kleines. Hopfen beruhigt, sagte sie sich.
»Bringen wir es hinter uns«, fing er nach dem ersten tiefen Schluck an. »Du hast mich also mit Beatrix gesehen. Das kann nur im Stadtpark gewesen sein, wo ich mich kurz mit ihr getroffen hatte.«
»Ja.« Miriams Lippen waren schmal. »Am Goethe-Denkmal. Dem Treffpunkt für Verliebte. In inniger Umarmung.«
Harald lachte leicht auf. »Was tatest du denn im Stadtpark?«, lenkte er ab.
»Ich konnte die Praxis etwas früher verlassen. Es war draußen so mild und angenehm, da habe ich noch den Spaziergang gemacht.« Sie verzog den Mund ein wenig. »Dumm gelaufen, nicht wahr? Aber solche Zufälle gibt es.«
»Du hast die Situation verkannt, Miriam. Ich hatte mit dieser kapriziösen Beatrix mal eine Affäre. Wir sind nicht im Groll auseinandergegangen, sie hatte bald einen neuen Lover.
Gestern rief sie mich über Handy an, sie müsste mich unbegingt ganz dringend sprechen. Es klang ziemlich verzweifelt, und ich hab’ ja ein gutes Herz. Also trafen wir uns. Sie hatte eine Dummheit gemacht, sie brauchte Geld. Für den Mann, den sie nun angeblich wahrhaft liebte, hatte sie etwas unterschrieben, für das sie nun geradezustehen hatte. Es handelte sich um einen mäßig hohen Betrag. Ich stellte einen Scheck aus und gab ihn ihr. Daraufhin warf sie sich wild in meine Arme und küsste mich ab. Von einer innigen Umarmung konnte keine Rede sein, meine liebste Miriam! Genügt dir diese lange Erklärung?«
Miriam senkte die Lider. »Ich hatte für gestern Abend etwas vorbereitet, weil ich dachte, du würdest kommen. Warum hast du denn nicht angerufen, wenn du plötzlich etwas anderes vorhattest?«
»Ich hatte es nicht vor, es ergab sich«, warf Harald ein.
»Erst um elf Uhr nachts fiel es dir ein, dass es mich auch noch gibt …«
»Dich gibt’s immer für mich«, sagte Harald mit seinem umwerfenden Lächeln.
»Meinst du?« Miriam sah auf die Fischlein im Aquarium, die, silbrig und rotgolden, pfeilschnell zwischen den Farnen dahinschwammen.
Der Keller trat an den Tisch. Sie bestellten Hähnchen in Burgundersauce mit Patna-Reis, ein Glas Wein dazu.
»Wie war deine Fahrt?«, erkundigte sich Miriam leichthin, während sie darauf warteten. Harald war für einen Pharmakonzern Vertreter im Außendienst, jetzt drei Tage in Rheinlandpfalz gewesen.
Er trank sein Bier aus, erzählte im Plauderton, es war das Übliche, Staus auf der Autobahn und Umleitungen, die kostbare Zeit kosteten, ansonsten liefen die Geschäfte gut, jede Menge Aufträge, ja, alles okay.
Sie ließen sich dann die Mahlzeit schmecken, der schluckweise getrunkene Wein rundete sie ab.
»Jetzt bist du es wieder«, bemerkte Harald heiter und betrachtete Miriams rosig belebtes hübsches Gesicht, das von kinnlangemm braunglänzendem glattem Haar umrahmt war. Ihre Augen waren von einem helleren Goldbraun, warme Augen, schöne Augen, mit feingezeichneten Brauen darüber.
Mein Mädchen, dachte er verliebt.
»Mir war aber auch ganz scheußlich zumute, Harald«, bekannte sie. »Ich war doch so geschockt. Hättest du dich nur früher gemeldet und die Sache richtigstellen können, dann wäre ich nicht so ins Grübeln gekommen, über dich, über uns!«
»Mein armer Schatz. Ich werde mich bessern«, versprach er, und er griff nach der Rose, die er am Tisch an die Seite gelegt hatte. »Nimmst du sie jetzt an?«
Sie nahm sie, mit einem Lächeln! »Ich werde sie zu Hause gleich anschneiden und ins Wasser stellen.«
»Wir«, sagte Harald, »wir schneiden sie an und stellen sie in die Vase.«
Sie hielten sich bei den Händen, als sie in der kühlen Märzluft zur Straßenbahn gingen. Damit fuhren sie zum Komtur-Platz, wo Miriam im 1. Stock eines Apartmenthauses ihre Wohnung hatte.
*
»Und was ist mit Marcel?«, fragte Jutta Holl mit einem gütignachsichtigen Lächeln, nachdem die Tochter ihr temperamentvoll erklärt hatte, dass sie sich ihrer Liebe zu Harald Droste nun ganz sicher sei. Sie wollten zusammenziehen, sobald sie eine passende Wohnung gefunden hatten, heiraten im Sommer.
Miriam rückte an dem Kissen neben sich auf der Couch im elterlichen Wohnzimmer. Sie antwortete: »Zwischen Marcel und mir war doch nie etwas anderes als Freundschaft, da ist kein Funke übergesprungen.« Ihre Lider hoben sich, zögernd fügte sie hinzu: »Aber weißt du, Mutti, ich wünschte mir doch, Marcel könnte mir ein Freund bleiben.«
»Warum nicht«, äußerte Jutta bedächtig. »Er ist ja ein guter Bekannter unserer Familie. Ihr werdet euch nicht aus den Augen verlieren. Dein Vater schätzt ihn doch auch.«
Und sie, die Mutter, empfand insgeheim ein leises Bedauern darüber, dass es nicht Ferber war, dem Miriam angehören wollte. Dieser charaktervolle junge Mann, Gymnasiallehrer von Beruf, hatte ihre ganze Sympathie.
Den Harald Droste hatte sie nur einmal mit Miriam zusammen kurz kennen gelernt. Er war sehr selbstsicher in seinem Auftreten, sich seines guten Aussehens recht bewusst. Nicht unsympathisch, gewiss nicht, von besten Formen und einnehmend in seinem Wesen. Aber sie, die Erfahrene, fand in diesem Jungmännergesicht auch einen Zug von Leichtsinn und Verwegenheit, das es wohl für die meisten weiblichen Wesen interessant machte. Und Miriam – nun gut, sie war gerade dreiundzwanzig geworden, nicht mehr gar so blutjung – aber hatte sie sich vielleicht auch nur betören lassen? Würde sie ein dauerhaftes Glück finden an seiner Seite?
Jutta griff nach der Teekanne, die auf einem Stövchen stand, und schenkte nach. Es war Mittwochnachmittag, da hatte Miriam frei.
»Müsst ihr denn gleich ans Heiraten denken?«, fragte sie in die augenblickliche Stille hinein. »Ihr könnt ja zusammenziehen und erst einmal Ehe auf Probe machen. Das ist doch heute gang und gäbe.«
»Meinst du? Hm … ich hab’s ja auch nicht so furchtbar eilig mit dem amtlichen Siegel. Aber Harald«, Miriam lachte ein wenig, »er hat natürlich schon einige Beziehungen gehabt, schließlich ist er sechs Jahre älter als ich, und immer war es nicht das Richtige. Nicht DIE Richtige. Diese glaubt er nun in mir gefunden zu haben.« Das Lächeln um ihren jungen Mund wurde weich. »Darum möchte er mich doch festhalten.«
Juttas Blick ruhte sinnend auf dem geliebten Gesicht. »Und du, Töchterchen, sagtest vorhin, du seiest dir auch ganz sicher …«
»Ja!«, nickte Miriam, und mit einem Anflug von Übermut: »Hätte es mich sonst fast zerrissen, als ich ihn neulich mit einer anderen sah, die nur ein bisschen Hilfe von ihm brauchte?«
Jutta schwieg einen Moment, bevor sie sagte: »Dann soll es ja gut sein.«
Seinen Kinder, wenn die erwachsen waren, musste man ihren Weg gehen lassen.
Miriam stand auf. »Willst du nicht warten, bis Papa kommt?«, fragte die Mutter. Bedauernd schüttelte Miriam den Kopf. »Ich muß heute mal was bei mir zu Hause tun, meine Kittel bügeln und sonst noch so allerlei. Aber jetzt«, mit heiterer Miene spazierte sie ins Nebenzimmer, das bis vor wenigen Jahren ihr Zimmer gewesen war, bevor sie sich eine eigene kleine Wohnung genommen hatte, »jetzt will ich erst mal sehen, wie weit das neueste Werk meiner berühmten Mama gediehen ist.«
»Na, berühmt«, wiegelte Jutta mit einer Handbewegung humorig ab.
»Aber bekannt und beliebt«, betonte ihre Tochter. »Sonst hätte man nicht im Regionalfernsehen mit dir ein Interview gemacht.«
Zum Ergötzen der ganzen Familie hatte sich Jutta mit Ende Vierzig auf das Schreiben von Kriminalromanen verlegt. Früher war sie zeitweilig freie Mitarbeiterin bei einer Frauenzeitschrift gewesen, diese hatte ihren Stil und ihr Niveau geändert, Jüngere waren nachgerückt. Um nicht untätig zu blieben, allein nun mit einem Mann, der noch voll im Berufsleben stand – Christian Holl hatte ein Planungsbüro für Elektrotechnik –, hatte Jutta ihr Schreibtalent und ihren Fantasiereichtum genutzt und tatsächlich bald einen Verleger gefunden. Jutta Holls Geschichten riefen kein Grauen, keine Gänsehaut hervor, aber sie waren bis zur letzten Zeile mit Spannung zu lesen.
Dies hier war ihre Klause geworden, ihr Arbeitszimmer. Schmunzelnd betrachtete Miriam sich das Manu?skript, das bereits einen beträchtlichen Umfang hatte. »Hast du schon einen Titel dafür?«, fragte Miriam.
»Das Geheimnis des blauen Kruges«, kam es prompt zurück.
»Uiij«, machte die Tochter, »ich freu’ mich schon darauf.«
Nebenan, das war Danielas Mädchenzimmer gewesen, Miriam warf auch da noch einen Blick hinein. Ihre Schwester war acht Jahre älter als sie, von ihnen beiden hatte jede ihr eigenes Reich gehabt. Inzwischen war sie längst glücklich verheiratet, und hier fand sich Spielzeug für Kevin, Kuscheltierchen für Anettchen. Manchmal kamen ihre Kinder nämlich auch gern zu Besuch zu den Großeltern. Die Omi wusste doch so schön Geschichten zu erzählen!
»So«, Miriam schloss die Tür wieder, »jetzt spinne du weiter am Geheimnis des blauen Kruges, Mama«, sagte sie lustig. »Ich muss jetzt los. Grüß Papa schön. Bis bald!« Und tschüs und Wangenküsschen, und sie stob davon.
*
»Grüß dich, Miriam«, sagte eine vertraute Stimme neben ihr.
Marcel!
Überrascht wandte sie sich ihm zu, reichte ihm unbefangen mit einem herzlichen Lächeln die Hand. Sie hatten sich einige Wochen nicht gesehen, nur einmal telefoniert. Marcel war im Schuldienst sehr eingespannt gewesen. Es war die Zeit der Prüfungen, der Zeugnisse.
»Was studierst du hier so aufmerksam die Anzeigen?«, erkundigte er sich heiter und deutete auf das breite Schaufenster des Geschäftes BEYER IMMOBILIEN, Verkauf & Vermietung. »Suchst du eine neue Wohnung?«
»Wer weiß«, blinzelte sie. »Und du?« Sie sah auf die Einkaufstüte an seiner Hand. »Hast du noch abendliche Einkäufe gemacht?«
»Ja. Tagsüber habe ich keine Zeit und keine Gedanken dafür, und mein Kühlschrank ist leer. – Was hast du noch vor?«
Miriam zuckte die Achseln. »Nichts. Ich bummle nur so ein biss?chen in der Stadt herum. Ich mache doch gern noch einen kleinen Spaziergang, wenn in der Praxis mal wieder das Telefon nicht stillstand und das Wartezimmer voll war.«
Sie gingen ein paar Schritte weiter. Marcel überlegte. »Miriam«, begann er, »ich würde dich gerne bei mir zum Abendessen einladen. Magst du? Vorausgesetzt natürlich, dass du nicht schon verabredet bist.«
Er wusste, das da noch jemand war. Er wusste eigentlich alles von ihr. In ihrem Gesicht war ihm jeder Zug vertraut. Es hatte offene, klare Linien, die es einem Beobachter leicht machten, ihre Gedanken und Gefühle zu erraten.
»Bin ich nicht«, gab sie zurück. »Harald ist geschäftlich unterwegs, kommt erst am Wochenende wieder.«
Harald, richtig, so hieß er. Sie hatte doch dem guten alten Marcel einmal anvertraut, auf dem besten Wege zu sein, sich in einen gewissen Harald zu verlieben. Das war noch im Winter, bei einem Schneespaziergang gewesen und ganz sicher war sie sich nicht, ob sich eine enge Beziehung daraus entwickeln würde.