Ein Brüderchen für Laura - Gisela Reutling - E-Book

Ein Brüderchen für Laura E-Book

Gisela Reutling

5,0

Beschreibung

Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Buchstäblich ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese wirklich einzigartige Romanreihe ist generell der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe. »Hier ist schon Geburtstagspost für dich, Laura!« Vera wedelte ihrem Töchterchen, das gerade aus der Schule kam, mit einem Brief und einer Karte entgegen. Eigentlich war der große Tag ja erst morgen, aber sollte sie ruhig schon heute eine Freude haben. »Ja, von wem denn?« fragte Laura neugierig und streifte den Ranzen von den Schultern. Sie griff zuerst nach der Karte von Bärbel, mit dem bunten Blumenstrauß darauf. Auf der Rückseite stand mit sorgfältig gemalten Buchstaben: Ich gratuliere Dir herzlich zum Geburtstag. Hier ist es sehr schön. Viele Grüße, Deine Freundin Bärbel. Über den Zusatz Purzel läßt auch grüßen, mußte Laura lachen. Der Purzel! Der Spitz-Pudel-Dackel-Hund, wie Bärbels Vater den drolligen Mischling scherzhaft nannte. Die beiden Mädchen führten ihn oft zusammen spazieren. Jetzt war Bärbel mit ihren Eltern zum Opa gefahren, der an seinem siebzigsten Geburtstag die ganze Familie um sich haben wollte. Dafür war sie sogar zwei Tage aus der Schule genommen worden. Mit einem Feiertag dazwischen und dem Wochenende machte das fünf Tage in dem schönen Schwarzwaldort, wo die Großeltern wohnten. Na ja, Laura sah es schon ein, daß ein siebzigster viel mehr war als ein achter Geburtstag. »Aber schade ist es doch, daß sie nicht dabeisein kann, wenn wir morgen feiern«, meinte sie, als sie die Karte aus der Hand legte. Schließlich war Bärbel Schuler ihre allerbeste Freundin.

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Mami Classic – 2 –

Ein Brüderchen für Laura

Gisela Reutling

»Hier ist schon Geburtstagspost für dich, Laura!«

Vera wedelte ihrem Töchterchen, das gerade aus der Schule kam, mit einem Brief und einer Karte entgegen. Eigentlich war der große Tag ja erst morgen, aber sollte sie ruhig schon heute eine Freude haben.

»Ja, von wem denn?« fragte Laura neugierig und streifte den Ranzen von den Schultern. Sie griff zuerst nach der Karte von Bärbel, mit dem bunten Blumenstrauß darauf. Auf der Rückseite stand mit sorgfältig gemalten Buchstaben: Ich gratuliere Dir herzlich zum Geburtstag. Hier ist es sehr schön. Viele Grüße, Deine Freundin Bärbel. Über den Zusatz Purzel läßt auch grüßen, mußte Laura lachen.

Der Purzel! Der Spitz-Pudel-Dackel-Hund, wie Bärbels Vater den drolligen Mischling scherzhaft nannte. Die beiden Mädchen führten ihn oft zusammen spazieren. Jetzt war Bärbel mit ihren Eltern zum Opa gefahren, der an seinem siebzigsten Geburtstag die ganze Familie um sich haben wollte. Dafür war sie sogar zwei Tage aus der Schule genommen worden. Mit einem Feiertag dazwischen und dem Wochenende machte das fünf Tage in dem schönen Schwarzwaldort, wo die Großeltern wohnten.

Na ja, Laura sah es schon ein, daß ein siebzigster viel mehr war als ein achter Geburtstag. »Aber schade ist es doch, daß sie nicht dabeisein kann, wenn wir morgen feiern«, meinte sie, als sie die Karte aus der Hand legte. Schließlich war Bärbel Schuler ihre allerbeste Freundin.

»Claus und Katrin kommen doch und auch ein paar Kinder aus deiner Klasse, da wirst du genug beschäftigt sein«, tröstete Vera ihre Kleine, während sie sich weiter mit den Vorbereitungen für das Mittagessen beschäftigte. »Nun lies erst mal noch deinen Brief.«

Der war von der Oma, Veras Mutter Ingrid Droste. Sie wohnte in Hannover, wo sie die Apotheke ihres verstorbenen Mannes weiterführte. Sie hatte schon immer mitgearbeitet, seit ihre beiden Töchter Vera und Jenny erwachsen waren. In ihrem Beruf fand sie eine Aufgabe, die sie jung erhielt mit ihren immerhin schon dreiundsechzig Jahren.

Laura hatte sich auf die Küchenbank gesetzt und las mit lauter Stimme vor, was die Oma ihr schrieb. Gute und herzliche Wünsche waren es für das neue Lebensjahr des Kindes. Ein Päckchen sollte auch noch kommen. Aus Zeitgründen war das noch nicht fertiggemacht, deshalb schickte sie den Brief voraus. »Das hat die Oma aber schön geschrieben«, freute sich Laura und strich über das Briefblatt. »Vielleicht kommt das Päckchen ja auch noch morgen. Was da wohl drin sein wird?«

»Wenn nicht, wird dein Geburtstagstisch auch nicht leer sein«, lächelte Vera verheißungsvoll.

»O Mami!« Laura errötete. »Ich will doch gar keine Geschenke von dir und Papa. Ich hab’ doch schon alles, was ich mir nur wünschen kann.«

Vera spülte den Schnittlauch und die Petersilie ab, die zuletzt über die Frühlingssuppe kommen sollten. »Hm, ich weiß schon noch etwas, das du nicht hast. Laß dich überraschen.«

Über Lauras feingeschnittenes Gesichtchen huschte ein spitzbübischer Ausdruck. »Mit was für einem Buchstaben fängt das denn an?«

»Nein, nein, verraten wird nix«, lachte Vera und stellte das Brettchen mit den Kräutern auf den Tisch. Da haschte Laura nach ihrer Hand und schmiegte ihre Wange hinein.

»Du bist so lieb«, hauchte sie und wollte ihre Hand gar nicht mehr loslassen. Mit leiser Rührung strich Vera über das weiche braune Haar. Immer wieder fand Laura solche kleinen zärtlichen Gesten. Sie war für alles so dankbar und achtete hoch, was für andere Kinder selbstverständlich war. Dieses Kind vergaß eben nicht, wie arm und verlassen es einst im Karolinen-Haus gewesen war, eines von vielen Waisen, die dort von der Sozialfürsorge lebten.

»Ich hab’ dich lieb«, betonte Vera, bevor sie sich abwandte. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Eine Viertelstunde würde es mindestens noch dauern, bis ihr Mann zum Mittagessen kam. Als Filialleiter verließ er immer als letzter nach seinen Angestellten die Bank.

Sie deckte den Tisch in der Eßecke im großen Wohnzimmer. Die Tür zur Terrasse war halb geöffnet, an der Brüstung blühten die frischgepflanzten roten Geranien in den Kästen, und im Vorgarten leuchtete es bunt von den Beeten. Mußte man an einem so schönen Maientag nicht von Herzen froh sein?

Na, wollte Laura ihr denn heute gar nicht helfen? Sie war doch sonst immer so eifrig. Aber nein, Laura saß noch auf ihrem Platz,

sie hatte die Ellenbogen aufgestützt und das Kinn in die Hände gelegt.

»Was machst du denn für ein tiefsinniges Gesicht?« fragte Vera neckend.

Es dauerte noch einen Moment, bis es mit Überwindung kam: »Eigentlich könnte mir meine Mutter ja auch mal schreiben.«

Vera hielt mitten in der Bewegung inne. Nie, in diesem ganzen Jahr nicht, hatte Laura ihre Mutter jemals erwähnt. Über deren Besuch war ein Stillschweigen gebreitet worden, als hätte es ihn nie gegeben. Es war wohl besser so gewesen. Um so mehr trafen sie jetzt diese Worte.

»Denkst du doch noch manchmal an sie?« fragte Vera mit enger Stimme und strich sich das Haar an der Schläfe zurück.

»Och… nein… Es fiel mir nur grad so ein…« Zögernd und stockend brachte Laura es hervor. Dann hob sie den Blick. »Glaubst du denn, daß sie noch manchmal an mich denkt, Mami?«

Vera schluckte hart. »Das glaube ich sicher. Aber dann denkt sie auch, daß du es hier viel besser hast, als du es bei ihr jemals haben könntest.«

»Hallihalloh, hier kommt einer, der großen Hunger hat!« klang es gutgelaunt von der Diele her. Der Hausherr war gekommen. Erleichtert seufzte Vera auf und ging ihrem Mann entgegen. Auch Laura kam angelaufen. Ihre Miene hatte sich von einer Sekunde zur anderen entspannt.

»Ich hab’ schon Geburtstagspost gekriegt, Papa!« verkündete sie ihm.

»Ja, ja, große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus«, schmunzelte Edgar Gerstner.

Vera sagte: »Wir können auch gleich essen. Nimm schon mal den Nachtisch aus dem Kühlschrank, Laura, damit er nachher nicht so kalt ist.« Das Kind gehorchte eilends. Was ihm eben noch, sonderbar genug, durch den Sinn gegangen war, hatte sich wieder verflüchtigt.

Erst am Abend, als Laura schon mit einem Lächeln auf den Lippen ihrem Geburtstag entgegenschlief, sprach Vera mit ihrem Mann darüber.

Edgar hatte den Fernseher abgestellt und sah ihr zu, wie sie aus breitem Band eine riesige rote glänzende Schleife fertigte. Die sollte die Lenkstange des funkelnagelneuen Fahrrads schmücken, das vorläufig noch ganz hinten in der Garage stand.

»Da wird sie ja morgen früh Augen machen«, meinte Edgar. »Sie war doch immer ganz glücklich, wenn sie sich Bärbels Rad mal ausleihen und eine Runde damit fahren durfte. Aber gesagt hat sie nie etwas, daß sie selber gern eins hätte.«

»Das würde sie auch nie tun. Dafür ist unsere Laura zu bescheiden.«

Vera blickte auf. »Stell dir vor, Edgar, heute hat sie plötzlich von ihrer Mutter gesprochen!«

»Ach ja?« entfuhr es ihm erstaunt. »Wie ist sie denn darauf gekommen?«

Ungewiß hob Vera die Schultern. »Wohl durch die Post, die sie bekommen hat. Da sagte sie auf einmal, ihre Mutter könnte ihr ja auch mal schreiben.

»Was sollte sie ihr denn schreiben?« murmelte der Mann, sich abwendend, »für Alice Pavel existiert ihre Tochter doch nicht mehr.«

»O Edgar, nein, so solltest du das nicht sehen.« Veras Stimme bebte ein wenig. »Sie hat darauf verzichtet –«

»Für Geld«, fiel er ihr mit einiger Härte ins Wort.

»Damals, ja, aus einer großen Notlage heraus«, verteidigte Vera die andere. »Aber als sie vor einem Jahr von hier ging, war ihr das Herz schwer genug, das kannst du mir glauben.«

»Nun gut. Doch sie blieb für Laura eben eine Fremde. Hat es dich nicht auch gewundert, als sie heute davon anfing?«

»Es hat mir einen Stich gegeben«, gab Vera zu. »Laura ist schon so sehr unser Kind geworden, daß ich manchmal vergesse, daß wir nur ihre Pflegeeltern sind.«

»Die Laura sich selber ausgewählt hat«, vollendete er mit dem Anflug eines Lächelns.

»So war es«, nickte Vera, und sie lächelte ebenfalls still in sich hinein. Die Schleife war unter ihren geschickten Händen zu einem Prachtexemplar geworden, sie legte sie zu den anderen Geschenken, einem T-Shirt, einer Märchenkassette und neuen Buntstiften für die Schule, die sie schon in hübsches Geschenkpapier verpackt hatte. Edgar schenkte auch für sie nun ein Glas Rotwein ein, zum Nachttrunk, wie sie das nannten.

In dieser Stunde erinnerten sie sich, wie das gewesen war vor zwei Jahren, als das fremde Kind um ihr Haus strich und immer wieder zu ihnen, dem Ehepaar Gerstner, hinsah, das da im Frühlingssonnenschein auf seiner Terrasse saß. Dies war mehrmals geschehen, bis sie es zu sich riefen. Es erzählte von Mutter und Vater und von Geschwistern, aber alles das entsprang nur einer Traumwelt, die es sich ausgedacht hatte. In Wirklichkeit war es dem Waisenhaus entwischt. Aber das hatten sie erst später erfahren.

»Was sie sich da nur zusammengeflunkert hatte«, bemerkte Edgar kopfschüttelnd. »Gott sei Dank hat sie später nie mehr gelogen.«

»Sie hatte es nicht mehr nötig, sich in Phantasien zu flüchten«, sagte Vera sinnend und nahm einen Schluck aus ihrem Glas.

Eines Tages war eine Fürsorgerin gekommen, die die Ausreißerin endlich aufgespürt und sie erzürnt mit sich fortgezerrt hatte. Vera hatte das arme kleine Ding von Herzen leid getan. Sie hatte es öfter aus dem großen, düsteren Haus voller Kinder zu sich geholt und mehr und mehr liebgewonnen. Mütterliche Gefühle, wie sie in jeder Frau schlummerten, waren in ihr erwacht. Eigene Kinder schienen ihn versagt zu bleiben. Die Jahre gingen dahin, sie hatten die Hoffnung darauf aufgegeben. Was also lag näher, als Laura Pavel als ihr Pflegekind zu sich zu nehmen. Ein Kind, dessen Herkunft unbekannt war und das keinen Menschen mehr auf der Welt hatte.

Aber darin sollten Vera und Edgar Gerstner sich irren…

Vor einem Jahr, genauer gesagt einen Tag nach Lauras Geburtstag, war Alice Pavel gekommen, Lauras Mutter, die sie geboren hatte, aber nie ihre Mutter sein durfte. Aus Rumänien kam sie, wo es den Menschen vielfach am Notwendigsten fehlte. Auch Alice hatte seinerzeit zu den Ärmsten im Lande gehört. Sie wollte aus dem Elend heraus. Sie wollte studieren, Ärztin wollte sie werden, anderen helfen. Die geistigen Gaben dazu hatte sie.

Eine flüchtige Affäre, die nicht ohne Folgen blieb, schien zunächst alle Zukunftspläne zunichte zu machen. Die unerfahrene Siebzehnjährige war verzweifelt. Was sollte sie mit einem Kind, wovon es ernähren und kleiden!

Ein Arzt von zweifelhaftem Ruf, der einer Organisation angehörte, die Babys heimlich und für viel Geld in den reichen Westen schaffte, nahm ihr die Sorge ab. Aber um welchen Preis! Sie sollte ihr Kind nie wiedersehen, nie erfahren, was aus ihm geworden war.

Vera schauderte es jetzt noch, als sie daran dachte, wie Alice Pavel vor ihr gesessen und mit schleppender Stimme diese Lebensbeichte abgelegt hatte. War sie zu verdammen? Vielleicht. Sie, Vera, hatte es indessen nicht gewagt, den Stab über sie zu brechen.

»Edgar, wenn Frau Pavel ihr Kind ganz aus ihrem Leben gestrichen hätte«, nahm Vera nach einer Pause den Gesprächsfaden wieder auf, »dann hätte sie sich doch nicht größte Mühe gegeben, Lauras Spur zu finden. Ich glaube es ihr auch, daß sie diesen Dr. Manescu, der das dunkle Geschäft getätigt hat, in all den Jahren immer wieder angefleht hat, ihr einen Hinweis zu geben. Aber der hat doch geschwiegen bis zuletzt!«

»Ich denke, sie hat nur für ihr Studium gelebt, das sie sich dank der finanziellen Zuwendung ermöglichen konnte«, warf er etwas sarkastisch ein. Er konnte nun einmal kein Mitgefühl für diese Frau aufbringen.

»Das eine schließt doch das andere nicht aus, Edgar«, nahm Vera jene wiederum in Schutz. »Daß sie nun besessen war, ihr Ziel zu erreichen, kann man ihr nicht verdenken. Und das sollte wohl so sein, daß dieser Mann im Krankenhaus ihr Patient wurde und kurz vor seinem Tod das Geheimnis lüftete.«

»Da wollte er wohl noch sein Gewissen erleichtern«, sagte Edgar.

»Ich glaube nicht, daß jemand, der einen schwunghaften Baby-Handel betreibt, ein Gewissen hat«, äußerte Vera bitter. »Aber nun konnte ihm ja nichts mehr passieren von seiner Mafia, die sonst sicher kein Erbarmen kennt, wenn einer redet. Und du weißt ja, wie wenig sich mit den endlich preisgegebenen Namen unserer Stadt und der Matthaus anfangen ließ, auf welchen Umwegen Frau Pavel schließlich zu uns fand.«

»Ja«, nachdenklich drehte Edgar sein Glas in der Hand, »das ist schon mehr als sonderbar, daß sich ein Paar für viel Geld ein Kind aus Rumänien besorgt, dieses nach zwei Jahre in einem Kinderheim abgibt und spurlos verschwindet. Wenn sie wenigstens weiter dafür gesorgt hätten, nachdem sie einmal die Verantwortung übernommen hatten.«

»Dann wäre man ihnen ja auf die Spur gekommen, wenn weitere Zahlungen für dieses private Heim eingegangen wären«, folgte Vera ganz richtig. »So blieb nichts als dieses traurige Karolinen-Haus für Laura.«

»Wenn man bedenkt«, sagte Edgar, »daß sie vier Jahre dort unter mehr oder weniger asozialen Kindern verbringen mußte, kann man nur dankbar sein, daß sie sich dann noch so gut entwickelt hat. Was für ein dünner Spatz war sie doch damals, und jetzt ist sie ein richtig niedliches Mädchen geworden.« Es lag geradezu väterlicher Stolz in seinen Worten.

»Ja.« Vera lächelte ein wenig. Doch dieses Lächeln erlosch gleich wieder, sie sah auf ihre Hände. »Wir möchten sie auch nicht mehr hergeben, nicht wahr, Edgar«, sagte sie leise.

»Derartige Gedanken brauchen wir gar nicht zu hegen, Vera. Daß Laura heute zufällig die Mutter mal erwähnt hat, ist doch kein Grund, die alten Geschichten wieder aufzuwärmen.« Er unterdrückte ein Gähnen. »Gehen wir schlafen. Du wirst morgen genug zu tun haben, wenn die Kinderschar kommt.«

»Das ist ja erst nachmittags. Aber Vorbereitungen habe ich schon zu treffen, damit auch alles richtig schön wird«, sagte Vera und erhob sich, um den Tisch abzuräumen.

Richtig schön wurde es dann auch, mit einer Geburtstagstorte, auf der acht Kerzen ausgepustet werden mußten, mit fröhlichen, lachenden Kinderstimmen. Laura war außer sich vor Freude über das neue Fahrrad und daß sie nun selber eines besaß! Als ihre kleinen Gäste gekommen waren, insgesamt acht an der Zahl, mußten sie es alle sehr bewundern.

Veras Schwester Jenny hatte ihre Kinder mit dem Wagen hergebracht, mußte sich aber bald wieder verabschieden, weil sie ihrem Mann in seinem großen Kunstsalon zur Hand gehen wollte, wo neue Exponate eingetroffen waren.

»Tschüs, mein Schatz«, sagte sie und küßte das Geburtstagskind auf beide Wangen. »Paß ein bißchen auf Claus auf, daß er sich nicht den Magen verdirbt, weil er zuviel ißt von deiner feinen Torte.«

»Eijeijei«, machte ihr zehnjähriger Sohn mit einem Lausbubenlächeln, das über sein ganzes rundwangiges Gesicht ging, »du gönnst mir aber auch gar nichts, Mama.«

»Mach ich, Tante Jenny«, versprach Laura verschmitzt, »und Gruß auch an Onkel Dieter.«

Sie waren für Laura längst »Onkel« und »Tante« geworden, wie die Pflegeeltern Mama und Papa. Man hatte sich daran gewöhnt, daß dieses Kind zur Familie gehörte. Insgeheim freute sich Vera auch immer wieder, daß Claus und seine Schwester Katrin Laura akzeptierten, als wäre sie wirklich eine Kusine von ihnen. Katrin, die bald vierzehn wurde, hatte anfangs auf das »Waisenkind« hinabgesehen und sich über seine Dürftigkeit mokiert. Es war ihr nicht recht gewesen, daß ein fremdes Kind einen Platz im Hause ihres Onkels Edgar einnehmen sollte. Aber das hatte sich dann doch geändert. Lauras sanftem Liebreiz konnte auch Katrin nicht lange wiederstehen.

Lächelnd sah Vera zu, wie ihre Nichte, als die älteste in der Schar, mit lautem Gesang, in den alle einstimmten, eine Polonäse durch den Garten anführte. Was für ein Spaß war das!

Aber war es nicht eigenartig – bei allem Trubel, aller Ausgelassenheit stand vor Veras geistigem Auge, für einen Moment nur, das Bild einer blassen dunkelhaarigen Frau, weit fort, wie durch ein umgekehrtes Opernglas, aber doch scharf umrissen.

Es war Alice Pavel, die sie dort sah. Die Frau, die Laura vor acht Jahren in einem fremden Land unter Schmerzen geboren hatte.

Vera wischte sich über die Augen, und das Bild war weg.

*

Frühling, Sommer… In dieser schönsten Zeit des Jahres konnte es keinen noch so flüchtigen Schatten mehr geben, der die Gemüter verdunkelte.