Wenn Mami und Papi streiten - Gisela Reutling - E-Book

Wenn Mami und Papi streiten E-Book

Gisela Reutling

5,0

Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Noch nie in ihrem Leben hatte Karin sich so beherrschen müssen wie an diesem Tag. Es kann nicht sein, dachte sie, oder vielmehr, es wurde in ihr gedacht, qualvoll und unaufhaltsam. Es kann nicht sein, weil es nicht sein darf. Gleichzeitig wußte sie genau, daß Dr. Höllinger ihr die Wahrheit gesagt hatte. Er hätte niemals leichtfertig eine solche Diagnose gestellt. Sie hoffte, daß die Kinder ihr nicht anmerken würden, wie schwer es ihr heute fiel, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Von zehn bis elf ließ sie eine Klassenarbeit schreiben, mit der Überschrift: »Mein schönes Ferienerlebnis.« Eifrig beugten sich die blonden, braunen und dunkelhaarigen Köpfe über die Hefte, und für eine Weile herrschte tiefe Stille im Raum. Karin machte einige Eintragungen ins Klassenbuch, dann legte sie es in die Pultschublade zurück. Das schönste Ferienerlebnis! Für sie war jeder Tag mit Horst ein Erlebnis gewesen. Drei Wochen Glück. Der Himmel war hoch und leuchtend, die Augusthitze stand flimmernd über den silbrigen Schaumreihen des Meeres, und wenn Horst sie küßte, dann gab es nichts mehr außer ihm, sogar der Himmel war fort und das Meer und das Brausen der Brandung. Für eine Sekunde schloß Karin die Augen, so deutlich sah sie plötzlich das vertraute, geliebte Gesicht vor sich. Wie sollte sie es nur ertragen, auf ihn zu verzichten? Und doch würde es keinen anderen Weg geben. Sie riß sich zusammen und schob ihren Stuhl zurück. Langsam ging sie zwischen den Reihen der Schulbänke hindurch, nickte dort einer Schülerin aufmunternd zu, beantwortete hier eine Frage nach der Rechtschreibung eines Wortes. In der vorletzten Reihe saß der kleine Rolf Schöllermann; er kaute an seinem Federhalter und hatte noch keine Zeile zu Papier gebracht.

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Mami Bestseller – 16 –

Wenn Mami und Papi streiten

...müssen wir zusammenhalten

Gisela Reutling

Noch nie in ihrem Leben hatte Karin sich so beherrschen müssen wie an diesem Tag.

Es kann nicht sein, dachte sie, oder vielmehr, es wurde in ihr gedacht, qualvoll und unaufhaltsam. Es kann nicht sein, weil es nicht sein darf. Gleichzeitig wußte sie genau, daß Dr. Höllinger ihr die Wahrheit gesagt hatte. Er hätte niemals leichtfertig eine solche Diagnose gestellt.

Sie hoffte, daß die Kinder ihr nicht anmerken würden, wie schwer es ihr heute fiel, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Von zehn bis elf ließ sie eine Klassenarbeit schreiben, mit der Überschrift: »Mein schönes Ferienerlebnis.« Eifrig beugten sich die blonden, braunen und dunkelhaarigen Köpfe über die Hefte, und für eine Weile herrschte tiefe Stille im Raum.

Karin machte einige Eintragungen ins Klassenbuch, dann legte sie es in die Pultschublade zurück.

Das schönste Ferienerlebnis! Für sie war jeder Tag mit Horst ein Erlebnis gewesen. Drei Wochen Glück. Der Himmel war hoch und leuchtend, die Augusthitze stand flimmernd über den silbrigen Schaumreihen des Meeres, und wenn Horst sie küßte, dann gab es nichts mehr außer ihm, sogar der Himmel war fort und das Meer und das Brausen der Brandung.

Für eine Sekunde schloß Karin die Augen, so deutlich sah sie plötzlich das vertraute, geliebte Gesicht vor sich. Seine dunkelbraunen Augen und sein jungenhaftes Lächeln…

Wie sollte sie es nur ertragen, auf ihn zu verzichten? Und doch würde es keinen anderen Weg geben.

Sie riß sich zusammen und schob ihren Stuhl zurück. Langsam ging sie zwischen den Reihen der Schulbänke hindurch, nickte dort einer Schülerin aufmunternd zu, beantwortete hier eine Frage nach der Rechtschreibung eines Wortes. In der vorletzten Reihe saß der kleine Rolf Schöllermann; er kaute an seinem Federhalter und hatte noch keine Zeile zu Papier gebracht.

»Na, Rolf«, sagte Karin und beugte sich zu ihm, »fällt dir denn gar nichts ein?«

Trotzig schüttelte der Junge den Kopf. »Ich war doch nicht weg«, antwortete er. »Die anderen sind ja auch alle verreist, die wissen was. Aber ich nicht.«

Karin wußte, daß Rolf in kärglichen Verhältnissen aufwuchs, der Vater war lange krank gewesen und konnte nicht zur Arbeit gehen. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. »Man muß nicht fortfahren, um in den Ferien etwas zu erleben, Rolf«, redete sie ihm mit leiser sanfter Stimme zu. »Vielleicht warst du mal im Zoo oder in dem neuen Freibad. Du kannst doch schon so gut schwimmen!«

»Nö, war ich nicht«, kam es mürrisch zurück. Doch dann hob Rolf seinen Blick zu der jungen Lehrerin auf. »Ich hab’ ein Kätzchen gefunden, das darf ich behalten, hat meine Mutter gesagt.«

»Na siehst du!« Erfreut lächelte Karin ihm zu. »Was hast du ihm denn für einen Namen gegeben?«

Das blasse Bubengesicht hatte sich aufgehellt. »Pussi. Gefällt der Ihnen?«

»Sehr«, nickte Karin. »Und schreib mal auf, wie das mit Pussi war, wo du sie gefunden hast und so weiter. Das wird bestimmt ein schöner Aufsatz!«

Sie ging zurück zu ihrem Pult, und als sie wieder zu Rolf hinüberschaute, sah sie ihn mit roten Wangen seine Buchstaben malen. Die Kinder… Sie mochten sie alle, auch wenn sie manchmal ungezogen waren und die große Klasse nur schwer zu bändigen war. Aber wenn man den Lehrberuf ergriff, mußte man die Liebe zu den Kindern im Herzen haben.

Auch Horst liebte Kinder. »Am liebsten möchte ich zwei Jungen und ein Mädchen«, hatte er einmal scherzend geäußert, als sie Zukunftspläne machten. Lachend hatte sie ihm zugestimmt. Auch sie wollte gern zwei Jungen und ein Mädchen haben!

Die grausame Wahrheit, die Dr. Höllinger ihr gesagt hatte, diese Wahrheit zerstörte alle Wünsche und Pläne.

Karin atmete auf, als das Klassenzimmer sich leerte und das Trappeln von Kinderfüßen, das Schwatzen und Zurufen in den Gängen sich mehr und mehr entfernte. Mit einer Pedanterie, die ihr sonst fremd war, ordnete sie die Schreibutensilien auf dem Lehrerpult, und erst als das große Schulgebäude wie ausgestorben lag, machte auch sie Anstalten, nach Hause zu gehen. Sie wollte keinem ihrer Kollegen begegnen, sie wollte jetzt nichts als allein sein.

Aber dann, als sie in ihrer kleinen Wohnung war, hatte sie das Gefühl, die Decke würde ihr auf den Kopf fallen. Sie ging in ihrem Wohnzimmer auf und ab, sie fuhr sich mit den Händen durch das Haar und wußte, daß sie niemals in ihrem Leben so unglücklich, verzweifelt und ohne Trost gewesen war.

Es war ja bisher auch alles immer glattgegangen. Behütet war sie aufgewachsen, sie hatte studiert und ihr Examen mit Auszeichnung bestanden. Vor einem dreiviertel Jahr hatte sie, knapp vierundzwanzigjährig, ihre erste Stelle angetreten, und kurz darauf hatte sie Horst Reitter kennengelernt. Sie erinnerte sich daran, als sei es erst gewesen…

Er hatte neben ihr im Theater gesessen, ein gutaussehender junger Mann mit einem schmalen intelligenten Gesicht. Sie hatte ihn zuerst kaum wahrgenommen, ihre Gedanken waren auf das Stück konzentriert, das sie sehen wollte. Ein berühmter Schauspieler würde darin als Gast die Hauptrolle spielen. Karin ging gern ins Theater, zumal sie in dieser Stadt noch keinen Bekanntenkreis hatte und dies ihre einzige Abwechslung war.

Als ihr das Programmheft herunterfiel, bückte ihr Sitznachbar sich schnell danach und gab es ihr mit einem netten Lächeln zurück. Es war eigenartig, aber sie mußte, während oben auf der Bühne ein dramatisches Geschehen ablief, mehr als einmal an dieses ungemein sympathische Lächeln denken.

In der Pause wechselten sie einige Worte miteinander über das Schauspiel und die Darsteller, und Karin fand das Urteil des Unbekannten klug und treffsicher. Er schien viel davon zu verstehen.

Nach der Vorstellung ergab es sich wie von selbst, daß sie zusammen den Zuschauerraum verließen. An der Garderobe herrschte das übliche Gedränge, und dieser nette, höfliche junge Mann erbot sich, ihr den Mantel zu holen. Sie gab ihm ihre Garderobenmarke, und während sie wartete, hatte sie, ohne daß es ihr bewußt wurde, ein kleines selbstvergessenes Lächeln um den Mund.

Er kam zurück, er half ihr in den Mantel, und er fragte sie, ob er sie nach Hause bringen dürfte oder ob sie mit einem eigenen Wagen da sei.

»Ich habe keinen Wagen«, antwortete Karin in ihrer ungezwungenen, natürlichen Art. Sie hatte nichts dagegen, daß er sie nach Hause fuhr. Verlieb dich nicht, Karin! rief sie sich selbst zu, als sie neben ihm in seinem Wagen Platz nahm. Aber sie fühlte sich viel zu beschwingt, um sich ernsthaft gegen dieses erste aufkeimende Gefühl wehren zu wollen.

Er nannte ihr seinen Namen und dann sagte er: »Ich würde Sie furchtbar gern noch auf ein Glas Wein einladen, aber leider habe ich nicht mehr viel Zeit.« Er streifte sie mit einem raschen Seitenblick. »Würden Sie meine Einladung annehmen?« fügte er fragend hinzu.

»Vielleicht«, antwortete sie leichthin, als nähme sie seine Worte nicht ganz ernst. Sie fand es ein bißchen merkwürdig, daß jemand abends um halb elf eilig irgendwohin mußte.

»Vielleicht«, wiederholte er und wiegte scherzhaft den Kopf. »Leider kenne ich Sie noch nicht gut genug, um zu wissen, ob das Ja oder Nein bedeutet. Aber das werde ich schon noch herausfinden…«

Er hielt vor dem Haus an, in dem sie wohnte. Mit dem Auto waren es nur ein paar Minuten gewesen. »Eine Zigarette könnten wir aber noch zusammen rauchen, ja?« meinte er und zog ein Päckchen aus seiner Manteltasche. »Wenn ich zehn Minuten später in die Redaktion komme, macht’s auch nichts.«

»Ach, Sie haben noch Dienst?« entfuhr es Karin.

»Ja, ich bin Redakteur bei der Allgemeinen Zeitung. Ich schreibe unter anderem für die Seite Kulturspiegel, und ich will meinen Artikel über die heutige Aufführung noch verfassen.« Er hielt Karin die Zigaretten hin, und als diese dankend ablehnte, brannte er sich selbst eine an. Danach erkundigte er sich: »Darf man fragen, was Sie tun?«

»Ich bin Lehrerin«, antwortete Karin und öffnete ihre Handtasche, um den Hausschlüssel herauszunehmen.

Verblüfft sah Horst Reitter sie an. Dann seufzte er tief auf. »Warum hab’ ich nie so eine reizende junge Lehrerin gehabt? Bei mir waren es immer alte Schachteln.«

Karin lachte hellauf.

»Das glaub’ ich Ihnen nicht! Aber wenn man dreizehn ist, dann kommt einem eine Dreißigjährige schon alt vor.«

»Meinen Sie?« Er suchte ihren Blick, und dann lächelte er ein belustigtes Lächeln, mit einem kleinen Schuß Zärtlichkeit darin. »Also, Fräulein Lehrerin, wann sehen wir uns wieder, darf ich Sie anrufen?«

»Ich habe kein Telefon«, gab Karin zurück. »Vielleicht müssen Sie mal wieder eine Kritik schreiben, und ich bin dann zufällig auch im Theater.« Sie erwiderte sein Lächeln flüchtig und reichte ihm die Hand. »Gute Nacht, Herr Reitter, schönen Dank fürs Heimbringen.«

»Auf den Zufall verlasse ich mich lieber nicht!« rief er ihr nach – und ein paar Tage später hatte er einfach vor ihrer Tür gestanden.

Ja, so hatte es angefangen… Und allmählich war daraus eine große Liebe erwachsen. Sie hatten beide nicht gewußt, daß es etwas so Wundervolles wirklich geben könnte. Natürlich war Horst schon manches Mal verliebt gewesen, schließlich war er bereits neunundzwanzig Jahre alt, und auch Karin hatte während ihrer Studienzeit einige Flirts gehabt, die jedoch keinen tieferen Eindruck hinterließen. Überhaupt war alles, was vor ihrem Kennenlernen lag, so ferngerückt, als hätten sie da noch nicht wirklich gelebt.

Der gemeinsam verbrachte Urlaub war der Höhepunkt ihres Glücks gewesen. Horst hatte sie gefragt, ob sie seine Frau werden wollte, und natürlich hatte sie ja gesagt, denn ihr Herz hatte ihm die Antwort längst gegeben.

Aber sie konnte doch nicht seine Frau werden, unter diesen Umständen nicht!

Wäre ich nur nicht zu Dr. Höllinger gegangen, fuhr es Karin durch den Sinn, als sie sich an ihren Schreibsekretär setzte, um sich auf das Pensum des morgigen Tages vorzubereiten. Es war nur eine kleine Unpäßlichkeit, weswegen sie ihn konsultiert hatte. Aber der gewissenhafte Gynäkologe hatte sie bei dieser Gelegenheit gründlich untersucht, und heute morgen um Viertel vor neun hatte er ihr den Befund mit schonenden Worten mitgeteilt. So behutsam er seine Worte auch wählte, es traf sie wie Peitschenhiebe. Er sagte ihr, daß sie keine Kinder bekommen konnte.

Aufstöhnend barg Karin das Gesicht in ihren Händen. Natürlich war es Unsinn zu denken, es wäre besser gewesen, sie hätte das jetzt nicht erfahren. Sie hätten doch auf ein Kind gewartet, Jahr um Jahr… Aber es wären dennoch schöne Jahre gewesen, weil wir zueinander gehörten, so schrie es in ihrem Herzen.

Wenn sie Horst nun nichts davon sagte! Dann würden sie Ende des Jahres heiraten, wie sie es vorhatten, sie würden sich lieben und glücklich sein. Aber konnte sie das, konnte sie mit einer Lüge in die Ehe gehen? Denn auch Schweigen konnte Lüge und Schuld sein. Sie stellte sich vor, wie Horst, wenn sie eine passende Wohnung gefunden hatten, fröhlich zu ihr sagte: »Und das wird das Kinderzimmer, Liebste!« Später, so hatte er ihr schon erzählt, wollte er bauen, denn Kinder brauchten schließlich Platz – und einen Garten, worin sie spielen konnten.

Karin wußte, daß sie es nicht durchhalten würde. Von jeher war ihr jede Heuchelei zuwider gewesen. Nun sollte sie dem liebsten Menschen, den sie auf der Welt hatte, ständig eine Komödie vorspielen? Niemals, dachte Karin schaudernd, niemals könnte ich das, ich müßte ja vor Scham vergehen.

Sie ließ die Hände sinken und las eine Zeile in dem aufgeschlagenen Buch, das vor ihr lag: Die Pflanzenwelt des Jurazeitalters bestand aus Farnen, Farnpalmen und Nadelhölzern…

Sie las diese Zeile viele Male, ohne sie aufzunehmen. Rastlos irrten ihre Gedanken weiter.

Es gab noch einen anderen Weg: mit Horst in Ruhe darüber zu reden. Aber das eine schien ihr so unmöglich wie das andere. Er würde sie, grundanständig, wie er war, nicht im Stich lassen. Dann hatte sie ganz allein sich den Vorwurf zu machen, daß sie ihn um etwas sehr Wichtiges und sehr Schönes in seinem Leben gebracht hatte: um den Sohn, den er sich wünschte. Wenn sie dann auch nur den Schatten einer Traurigkeit in seinen Augen las, würde sie sich schuldig fühlen. Und das müßte schließlich zu einer Entfremdung führen, unter der sie beide leiden würden.

Also blieb ihr doch nichts weiter als der Verzicht. Ja, sie mußte auf Horst verzichten, und zwar sofort. Ein scharfer Schnitt, der sie voneinander trennte, wie bei einer Operation. Karin biß die Zähne zusammen. Es würde eine Operation ohne Betäubung sein…

Sie holte das Schreibpapier aus der Schublade und begann zu schreiben:

Lieber Horst.

Du weißt, daß ich nicht leichtfertig bin. Wenn ich Dir jetzt schreibe, daß ich Dich nicht heiraten kann, dann habe ich wichtige Gründe dafür…

Karin hielt inne. Natürlich würde Horst sie nach diesen Gründen fragen. Glaubte sie wirklich, sie könnte ihn mit ein paar nichtssagenden Zeilen abspeisen, nach allem, was zwischen ihnen gewesen war?

Sie zerriß das Blatt und warf es in den Papierkorb. Dann saß sie wieder da, stumpf und reglos, und sie wußte einfach nicht weiter.

*

»Die Zimmermann hat Krach geschlagen, weil man ihr das Feuilleton über ›Die Frau von Vierzig‹ auf die Hälfte gestrichen hat«, erzählte Julia Törbing, und dabei hatte sie ein kleines schadenfrohes Funkeln in den Augen. Der Zimmermann gönnte sie den Ärger!

Sie ging so dicht an Horst vorbei, daß ihr heftiges Parfüm ihn streifte, dann setzte sie sich ihm gegenüber auf einen Stuhl, schlug die schlanken Beine übereinander, die der kurze Rock weitgehend freiließ, und zündete sich mit zufriedenem Gesicht eine Zigarette an.

Mit leicht gerunzelten Brauen blickte Horst auf die Redaktionssekretärin. Er war mitten in der Arbeit, und darin wurde er nicht gern gestört. »Erstens heißt es nicht die Zimmermann«, begann er gereizt, doch da kam er bei Julia Törbing schlecht an.

»Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?« fiel sie ihm ins Wort. »Ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist, das solltest du wissen, Schatz.«

Horst zuckte zusammen. Er konnte es nicht leiden, wenn sie ihn Schatz nannte, obwohl es überhaupt nichts zu bedeuten hatte, denn so titulierte sie viele Leute. Julia war etwas exaltiert, aber sie war tüchtig, das mußte man ihr lassen, und deshalb wollte es auch keiner mit ihr verderben. Sein Fehler war, daß er irgendwann, als sie in der Redaktion gefeiert hatten, in Sektlaune Brüderschaft mit ihr getrunken und sie geküßt hatte. Das war nun sicher schon ein Jahr her, aber sie leitete davon immer noch gewisse Rechte ab. Ob Julia wirklich in ihn verliebt war, wie ein Kollege neulich behauptet hatte, wagte er nicht zu beurteilen. Er hoffte, daß es nicht der Fall sei.

Sie hatte ihn mit zusammengekniffenen Augen beobachtet, während sie ihre Zigarette rauchte. »Was ist eigentlich los mit dir?« fragte sie ihn jetzt unverblümt.

»Was soll denn mit mir los sein«, murmelte er und warf den Schreibstift in die Schale, weil er nichts taugte. Er suchte nach einem neuen und fand keinen.

Julia Törbing stand auf, öffnete einen Rollschrank und legte mit honigsüßem Lächeln einen neuen Stift vor ihn hin. »Hast du vielleicht Liebeskummer?« erkundigte sie sich anzüglich.

»Danke«, sagte Horst, das galt ihrer Hilfsbereitschaft. Ihre Frage überhörte er. »Julia, in einer halben Stunde ist Redaktionskonferenz, bis dahin muß ich den Fahnenabzug korrigiert haben.«

»Ich geh’ ja schon«, sagte sie beleidigt und verschwand hüftschwingend. Sie war tadellos gewachsen und wußte bei jeder Gelegenheit ihre Reize ins rechte Licht zu setzen.

Als Horst wieder allein war, machte er das Fenster auf, dann setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch. Merkten es die anderen bereits, daß seine Stimmung nicht gerade rosig war? Liebeskummer! Er verspürte einen nervösen Lachreiz in der Kehle. Auf was für Gedanken diese Julia kam! Er machte sich wieder über seine Korrektur her. Aber zwischen den Zeilen stand plötzlich ungerufen Karins Gesicht. Wenn er nur wüßte, was mit ihr los war! Seit einiger Zeit war sie verändert. Sie gab sich kühl und distanziert, und manchmal fragte er sich, ob das noch dieselbe Karin war, die er liebte. Ihr Lachen, ihre Zärtlichkeit, ihr fröhliches, ungekünsteltes, warmherziges Wesen – wo war all das geblieben? Dazwischen gab es Momente, in denen sie mit fast verzweifelter Heftigkeit seine Küsse erwiderte. Wenn er sie dann in einem dieser selten gewordenen Augenblicke inniger Vertrautheit fragte, ob irgend etwas sie bekümmerte, verschloß sie sich von einer Sekunde zur anderen vor ihm.

Nein, er wurde wirklich nicht mehr klug aus ihr. Manchmal hatte er das beklemmende Gefühl, daß ihr überhaupt nicht mehr allzuviel an einem Beisammensein mit ihm lag. Sie schützte dieses und jenes vor, um ihn am Kommen zu hindern – und meist waren es nur durchsichtige Ausreden. Zeigte es sich erst jetzt, daß sie Launen hatte? Es war kein angenehmer Gedanke, eine launische Frau zu heiraten. Und er hatte doch geglaubt, sie durch und durch zu kennen…

Nach der Redaktionskonferenz hatte er ein paar Stunden frei. Lustlos aß er eine Kleinigkeit, dann bummelte er durch die Straßen, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Vor der Auslage eines neueröffneten, auf ungewöhnliche Art dekorierten Schmuckwarengeschäftes blieb er stehen. Was diese Leute sich so alles einfallen ließen! Sein Blick blieb an den Trauringen hängen, die vorn im Schaufenster lagen. Ein Paar war dabei, das ihm besonders gut gefiel. Er betrachtete es lange, und er geriet unversehens in eine weiche sehnsüchtige Stimmung.

Er hatte nie einen Ring getragen, weil es nach seiner Meinung nicht zu einem richtigen Mann paßte, sich mit Schmuck zu behängen. Aber plötzlich wußte er, daß er diesen Ring gern tragen würde, wenn er seine Verbundenheit mit Karin verkörperte. Worauf wartete er eigentlich noch? Er wollte zu Karin, seiner Karin, aber vorher wollte er die Ringe kaufen. Er war ein Dummkopf gewesen, daß er das nicht schon längst getan hatte. Die gezwungenen Worte zwischen ihnen, Enttäuschung, Zweifel, das war doch alles Unsinn. Sie liebten sich, sie gehörten zusammen, er würde es ihr jetzt auch durch diese äußere Geste beweisen. Vielleicht hatte sie überhaupt schon darauf gewartet, Frauen waren in gewissen Dingen empfindlich.