Mami 1729 – Familienroman - Gisela Reutling - E-Book

Mami 1729 – Familienroman E-Book

Gisela Reutling

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Beschreibung

Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese einzigartige Romanreihe ist der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe. "Warum muß ich denn jetzt weg, Mami, wo wir gerade so schön spielen", beklagte sich Florian, "und wo der Kasper seinen Freund Kalli doch erst noch suchen muß. Wenn der den nun nicht findet?" "Das nächste Mal wird er weitersuchen und ihn dann ganz bestimmt finden", tröstete Julia ihr Söhnchen, das ganz im Spiel aufgegangen war. "Wann ist das nächste Mal?" wollte Florian wissen. "Bald, mein Liebling", sagte Julia mit enger Kehle. Sie strich ihm das verwuschelte Blondhaar zurecht. "Hörst du, der Papa hupt schon zum zweiten Mal. Nun komm, sei lieb." Der Anorak hing an der Garderobe. Sie griff danach und zog ihn Florian an. Kurz und heftig drückte sie ihn an sich, küßte ihn mit bebenden Lippen auf die Wangen und die Stirn. Dann führte sie ihn die Treppe hinab. Der kleine Junge ging betont langsam. "Mach nicht so ein betrübtes Gesicht, Florian. Sonst denkt dein Vater noch, du hättest es nicht schön bei mir gehabt." Sie legten doch alles zu ihren Ungunsten aus. Florian sah mit seinen tiefblauen Augen zu ihr empor. "Doch, es war wieder so schön, Mami!" Vor dem Haus stand Alexanders langgestreckter cremeweißer Wagen, einer von der Luxusklasse, die Aufsehen erregten. Er stieß die Tür auf. "Na endlich, Sohnemann!"

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Der Kampf um das Sorgerecht

Roman von Gisela Reutling 

»Warum muß ich denn jetzt weg, Mami, wo wir gerade so schön spielen«, beklagte sich Florian, »und wo der Kasper seinen Freund Kalli doch erst noch suchen muß. Wenn der den nun nicht findet?«

»Das nächste Mal wird er weitersuchen und ihn dann ganz bestimmt finden«, tröstete Julia ihr Söhnchen, das ganz im Spiel aufgegangen war.

»Wann ist das nächste Mal?« wollte Florian wissen.

»Bald, mein Liebling«, sagte Julia mit enger Kehle. Sie strich ihm das verwuschelte Blondhaar zurecht. »Hörst du, der Papa hupt schon zum zweiten Mal. Nun komm, sei lieb.«

Der Anorak hing an der Garderobe. Sie griff danach und zog ihn Florian an. Kurz und heftig drückte sie ihn an sich, küßte ihn mit bebenden Lippen auf die Wangen und die Stirn. Dann führte sie ihn die Treppe hinab. Der kleine Junge ging betont langsam.

»Mach nicht so ein betrübtes Gesicht, Florian. Sonst denkt dein Vater noch, du hättest es nicht schön bei mir gehabt.«

Sie legten doch alles zu ihren Ungunsten aus.

Florian sah mit seinen tiefblauen Augen zu ihr empor. »Doch, es war wieder so schön, Mami!«

Vor dem Haus stand Alexanders langgestreckter cremeweißer Wagen, einer von der Luxusklasse, die Aufsehen erregten. Er stieß die Tür auf.

»Na endlich, Sohnemann!«

Für seine Ex-Frau hatte er nur ein steifes Nicken, ein kurzes »Guten Abend«, bei dem er kaum die Lippen bewegte.

Florians Miene hatte sich schlagartig aufgehellt.

»Papi, Papi, was wir alles gemacht haben! Bei den Pferden waren wir, und ganz viele Schafe haben wir gesehen!«

Mehr von dem hörte Julia nicht, was Florian seinem Vater übersprudelnd zu erzählen hatte, während er zu ihm in den Wagen kletterte. Sie hatte sich abgewandt und ging zurück ins Haus.

Oben, in ihrer Wohnung, ließ sie sich in den Sessel sinken. Wie still es nun wieder war! Blicklos starrte sie auf die buntbemalte Kulisse des Kasperle-Theaters, auf der rittlings noch der Kasper saß. Daß es doch immer so weh tat, wenn sie ihr Kind gehen lassen mußte!

Aber wo gab es eine Mutter, der es anders ergehen würde.

Mit einem schweren Aufseufzer barg Julia den Kopf in den Händen.

Der Ring um die Brust blieb.

Ihre Gedanken gingen zurück. Sie sah auf die Trümmer ihres Lebens…

Dabei hatte alles so gut angefangen. Das ganz große Glück glaubte sie gefunden zu haben, als Alexander Rodenbach sie zur Frau nahm. Der blonde Märchenprinz. Der Mann, von dem man nur träumen konnte.

Einundzwanzig war sie gewesen, unbeschwert und phantasievoll, zu jung, um schönen Schein von Realität unterscheiden zu können.

Ihr künstlerisches Talent, wenn man es denn so nennen konnte, war schon früh zum Ausdruck gekommen. Noch in der Schule, auf dem Weg zum Abitur, hatte sie eine Geschichte für den Kinderfunk geschrieben, die bei dem Wettbewerb den 1. Preis gewonnen hatte. Dadurch war man auf sie aufmerksam geworden. Ermutigt hatte sie freudig weitergeschrieben, Szenen und Drehbücher für den Jugendfunk waren dazukommen.

Trotz dieses hübschen Erfolges nahm sie es mehr als Hobby. Sie wollte Literatur und Kunstgeschichte studieren. Aber dann lernte sie Alexander kennen und damit die Liebe, die himmelhochjauchzende, und alle Berufswünsche waren vergessen.

Er war für mich, so dachte Julia jetzt bitter, im wahrsten Sinne des Wortes der Herrlichste von allen.

Daß es keinerlei Gemeinsamkeiten zwischen ihnen gab, sie gewissermaßen mit zweierlei Zungen redeten, das merkte sie erst später, als die erste stürmische Leidenschaft verglüht war. Da wurde ihr allmählich kalt neben diesem Mann, der nur dem Mammon nachjagte und für die schönen Dinge des Lebens, wie sie sie verstand, nur ein überlegenes und nachsichtiges Lächeln hatte. Schließlich lächelte er auch nicht mehr darüber.

»Laß mich zufrieden mit Bach und Mozart«, sagte er ungeduldig und nahm ihr schroff die Platte aus der Hand, die sie auflegen wollte.

Herrisch zeigte er sich, und er behandelte seine junge Frau auch vor anderen oft genug wie ein törichtes kleines Mädchen. Das demütigte sie und ließ sie verstummen, so daß sie sich manchmal wirklich so vorkam.

Neuen Mut faßte Julia, als sie schwanger wurde. Ein Kind würde sie verbinden, wenn sie sonst wenig verband. Sie schrieb wieder reizende Kindergeschichten, die auch veröffentlicht wurden, fand zu der Beschwingtheit zurück, die doch ein Teil ihres Wesens war.

»Was mußt du an der Schreibmaschine sitzen«, murrte Alexander. »Das bringt doch nichts ein.«

»Laß mich doch«, lachte sie. »Du verkaufst Autos, und ich schreibe Geschichten.«

Schließlich brachte sie einen gesunden Jungen zur Welt.

Oft war es ja so, daß für die Frau nach der Geburt eines Kindes der Ehemann nur noch die zweite Geige spielte. Bei ihnen war es genau umgekehrt. Alexander war ein so stolzer Vater, daß neben seinem Sohn ihm die Mutter kaum noch wichtig erschien. Auch seine Familie, die Eltern Rodenbach in ihrer großen Villa, vergötterten den Kleinen förmlich und beanspruchten ihn oft genug für sich.

Julia wußte wohl, daß die Schwiegertochter, die Schwägerin für die reichen Rodenbachs mehr oder weniger nur eine Randerscheinung war. Sicher hätten sie sich eine andere Frau für den blendend aussehenden Alexander gewünscht. Nicht so ein zartes junges Ding, das in großer Gesellschaft eher befangen wirkte.

Es hatte ihr nichts ausgemacht, solange Alexander sie liebte.

Aber liebte er sie denn noch? Oder hatte das Schneewittchen, wie er sie früher zärtlich nannte, seinen Reiz bereits für ihn verloren?

»Liebst du mich eigentlich noch?« hatte sie ihn gefragt, als seine kühle Gleichgültigkeit immer deutlicher wurde, seine Umarmungen ihr kein Glück mehr spendeten, weil die Flamme erloschen war.

»Man kann nicht ewig im Honigmond sein«, war seine nichtssagende Antwort gewesen.

Sie mußte sich damit abfinden, auch wenn es schmerzte. Aber auch bei ihm war ja schon eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Es war eben nur ein kurzes rauschhaftes Liebesglück gewesen. Und wenn es zwischen Eheleuten nicht mehr stimmte, vermochte auch ein Kind nichts daran zu ändern.

Ihr blieb das Mutterglück, zu sehen, wie Florian sich zu einem herzigen Bübchen entwickelte. Ihr Florian! Nun, freilich gehört er ihr nicht allein. Der Kleine verteilte seine Liebe zwischen ihr und dem Papa, zu dem er bewundernd aufblickte. So sollte es auch sein.

Von Trennung sprach Alexander zum ersten Mal, als Florian knapp drei Jahre alt war. Da waren sie kaum fünf Jahre verheiratet.

Alles Blut floß Julia vom Herzen. »Du willst dich scheiden lassen?« fragte sie tonlos. »Was habe ich denn falsch gemacht?«

»Du hast nichts falsch gemacht. Aber schau, wir haben doch schon lange erkannt, daß wir im Grunde nicht zusammenpassen. Daraus kann keiner dem anderen einen Vorwurf machen. Es ist dann nur besser, wenn jeder seinen Weg geht.«

»Ist da schon eine andere Frau, die besser zu dir paßt als ich?« fragte sie mit enger Stimme.

»Nein«, antwortete er ungeduldig.

Daß dies eine Lüge war, stellte sich erst später heraus.

»Und dein Sohn«, würgte sie hervor, »denkst du gar nicht an Florian? Er hängt an dir nicht weniger als an mir, seiner Mutter.«

»Da wird sich eine Regelung finden lassen«, behauptete Alexander, mit einem Blick auf sie, der sie erschrecken ließ. »Ich ziehe wieder in mein Elternhaus, der Südteil steht ja leer. Du wolltest da ja nicht mit hinein.«

Nein, sie hatte nicht in engstem Kontakt mit Menschen wohnen wollen, die ihr nicht besonders gewogen waren. 

»Ich überlasse dir diese Eigentumswohnung«, fuhr er fort, »und ich werde auch ausreichend für dich sorgen.«

Es war typisch für Julia, der materielle Werte so wenig bedeuteten, daß sie mit schmalen Lippen erwiderte: »Du kannst dein vieles Geld behalten. Darauf kann ich auch verzichten.«

Auf alles konnte sie verzichten, auch auf diesen Mann, dem sie nichts mehr galt. Nur auf Florian konnte sie nicht verzichten.

Daß es dennoch soweit kam, war für alle, die zu ihr standen, völlig unfaßbar.

Alexander war eiskalt entschlossen, Florian in seine Obhut zu bekommen. Dafür scheute er vor nichts zurück. Er wurde für Julia ein Feind, der sie niederrang. Zusammen mit seiner Familie, die ihren Namen und ihren Einfluß in die Waagschale warfen. Und er hatte den besseren Anwalt im Prozeß. Den besten und gerissensten, den es derzeit gab.

Die nette jüngere Anwältin, die Julia sich genommen hatte, wurde von ihm niedergeredet.

Es war die Hölle gewesen.

Natürlich wurde auch der kleine Junge gefragt, und natürlich war er viel zu verstört und zu verwirrt von dem ganzen Geschehen, als daß er es irgendwie beeinflussen konnte.

»Wo willst du bleiben, Alexander, bei deinem Vater oder bei deiner Mutter?«

»Bei beiden«, brachte das zitternde Stimmchen nur immer hervor.

Schließlich wertete das Gericht die wirtschaftliche und familiäre Sicherheit der Rodenbachs als Pluspunkt für das Kind.

Der Vater Alexander Rodenbach bekam das Sorgerecht für Florian.

Für Julia war es, als würde ihr das Herz aus dem Leib gerissen.

Nie, bis ans Ende ihres Lebens nicht, würde sie die triumphierenden Mienen vergessen, mit denen er und sein Anwalt sich die Hände schüttelten.

Wie habe ich das nur durchgestanden, fragte sich Julia und krümmte sich in ihrem breiten Sessel. Wie stehe ich es weiterhin durch, meinen Florian an drei Wochenenden im Monat zu haben.

Seit einem halben Jahr ging das nun so. Sein Vater fand diese Regelung sogar noch großzügig.

Julia hatte, nach anfänglicher großer Verwirrung, die Umstellung erstaunlich verkraftet. Er war kein besonders sensibles Kind. In dieser Beziehung kam er mehr auf seinen Vater. Schon immer war er gern in dem großen Haus gewesen, wo er viel Bewegungsfreiheit hatte und ihm nichts verwehrt wurde. Er hatte nun ein Kindermädchen, die Annick, die zweisprachig war und manchmal mit ihm französisch sprach. Das lernte er spielend und fand es sehr lustig.

Freilich legte es sich immer wie ein Schatten über ihn, wenn er von seiner Mama wieder fort mußte. Aber das war nur eine Wolke, die vorüberzog, denn da war ja nun wieder der Papa, und schon war alles gut.

So ein kleiner Junge vermochte auch noch nicht weiterzudenken. Das machte er sich nicht klar, daß es nun so für immer bleiben sollte.

Für immer!

Eine wilde Auflehnung erfaßte Julia, einer Stichflamme gleich, die rasch in sich zusammensank. Sie wußte, daß sie nichts würde ändern können. Sie hatte gekämpft, so wie es nur in ihren Kräften stand. Sie war besiegt worden.

Müde erhob sich Julia, als das Telefon läutete. Wer wollte etwas von ihr? Man sollte sie doch in Ruhe lassen.

Ihre Kusine Anette war am Apparat. »Du, kann ich mal bei dir vorbeikommen?« fragte die muntere Stimme. »Ich hätte was ganz Wichtiges mit dir zu besprechen. Oder paßt es jetzt nicht? Du klingst so matt?«

»Komm nur«, sagte Julia.

Nur hier in Grübeleien zu versinken hatte ja doch keinen Sinn, hielt sie sich vor.

Zwanzig Minuten später war Anette da. Julia war noch dabei, das Kasperltheater abzuräumen.

»Ach, war heute wieder euer Wochenende…« Mitleidvoll sah Anette ihre Kusine an. Wie blaß sie war, und so dünn! Ein Leichtgewicht war Julia immer gewesen, aber doch bezaubernd hübsch von Gestalt und Ansehen, mit den 

dunklen Haaren, zu denen die großen veilchenblauen Augen einen aparten Gegensatz im feingeschnittenen Gesicht bildeten.

Jetzt sah sie geradezu verhärmt aus, die Arme.

»Was gibt es denn, Anette?« fragte Julia ablenkend und setzte sich zu ihr.

»Ja, große Neuigkeiten!« Die Miene des Mädchens hellte sich wieder auf. »Stell dir vor, das hat geklappt, daß ich für ein dreiviertel Jahr an diese Universität nach Florida gehen kann, bevor ich dann hier mein Staatsexamen mache.«

»Gratuliere! Das freut mich für dich«, sagte Julia mit Wärme.

»Ich habe schon alle Papiere zusammen«, fuhr Anette angeregt fort, »und ich könnte auch gleich losfliegen. Wenn du mir einen großen Gefallen tun würdest, Julia? Du hast doch jetzt soviel Zeit –« Sie stockte.

»Ja, die habe ich«, sagte Julia und senkte die Lider.

»Entschuldige, das war nicht sehr taktvoll.«

»Macht nichts. Du hast ja recht. Also, was kann ich für dich tun?«

»Es geht um meine Wohnung, die Pflanzen, die Post, es müßte jemand danach sehen. Die ich kenne, sind alle nicht besonders zuverlässig, und ich wüßte auch niemand, dem ich den Schlüssel lieber anvertrauen würde als dir. Ich will 

dir damit nur nicht lästig fallen.«

»Du brauchst gar nicht so viele Worte machen, Anette. Selbstverständlich werde ich mich darum kümmern.«

»Du bist ein Engel.« Anette lächelte dankbar, und dann begann sie zu schwärmen von dem, was sie erwartete, nämlich die Wärme und Sonne Floridas. Neues Erleben in einer ihr noch fremden Welt, ein interessantes Studium dazu, das sie in dem gewählten Fach weiterbringen würde.

»So, jetzt habe ich lange genug geredet«, meinte sie schließlich. »Ich werde schon mal anfangen, meinen Kram zusammenzupacken. Hab’ mir schon einen neuen Koffer gekauft.« Sie strahlte über ihr ganzes frischwangiges Gesicht. 

Julia erhob sich ebenfalls.

»Was sagt denn dein Freund Curt zu der bevorstehenden Trennung?«

»Er findet das gut. Das heißt, es ist natürlich eine lange Zeit, aber sie ist doch wichtig für mich. Und wenn das unsere Beziehung nicht aushält, dann ist sie sowieso nichts wert. Curt ist ja auch noch nicht fertig mit seinem Studium. Das muß erst mal alles klar sein, bevor wir an später denken«, schloß sie sachlich.

Julia nickte vor sich hin. Im Vorbeigehen sah Anette die Schreibmaschine. Sie deutete darauf. »Hast du etwas in Arbeit?«

»Wenig. Wie soll man so produktiv sein…« Sie verstummte.

Anette umarmte ihre Kusine spontan. »Das wird schon wieder«, versicherte sie. »Du bist doch so begabt.«

Es waren nur Worte, die auch nicht helfen konnten.

Anette macht es richtig, dachte Julia, als sie wieder allein war. Sie war gescheit und tüchtig, sie würde einen modernen Frauenberuf ergreifen und immer festen Boden unter den Füßen haben. Anders als ihre Kusine, die alles für einen Mann aufgegeben hatte, auch sich selbst, und nun mit leeren Händen stand.

*

»Warum warst du eigentlich so versessen darauf, den Jungen für dich zu haben?« fragte Jennifer und brannte sich eine Zigarette an, bevor Alexander ihr Feuer geben konnte.

»Komische Frage. Florian ist mein Sohn. Er soll in unserer Familie hineinwachsen und sich an einen großzügigen Lebensstil gewöhnen, nicht nur das Hätschelkind seiner Mutter sein.«

»Hm.« Die blonde Frau sah einem sich kräuselnden Rauchwölkchen nach. »Und was sagt die Mutter dazu?«

Alexander zuckte die Achseln. »Sie muß sich damit abfinden. Warum fragst du danach?«

»Weil ich glaube, daß du nicht danach gefragt hast.« Sie sagte es mit einem halben Lächeln und eher obenhin.

»Ich konnte mich mit Sentimentalitäten nicht aufhalten, wo  es um meinen Sohn ging, Jennifer.« Er verzog den Mund ein wenig. »Ich habe Möhring als Anwalt gehabt. Vielleicht sagt dir das etwas.«

»Ah, diesen scharfzüngigen Rechtsanwalt, der schon manchen aufsehenerregenden Prozeß geführt hat. Da wundert es mich nicht.«

»Es braucht dich auch nicht zu wundern. Meine Ex-Frau kann Florian oft genug sehen. Nun kann sie wieder in ihrer Traum- und Phantasiewelt aufgehen. Sie erfindet doch kleine Hörspiele für den Kinderfunk.« Es klang abschätzend.

Jennifer rauchte schweigend. »Dann ist ja nun alles geregelt«, sagte sie schließlich und drückte ihre Zigarette aus.

»Ja. Unserer Heirat steht nun nichts mehr im Wege.«

»Nun mal langsam, mein Lieber. Ich muß mich erst mal um die Firma kümmern, nachdem ich so lange abwesend war.«

»Du warst aber auch viel zu lange weg, Jennifer. So war das nicht vorgesehen. Wenn wir nicht beinahe täglich telefoniert hätten, wäre ich wohl verzweifelt.«

»Du und verzweifelt!« lachte sie auf und warf ihre lockige Haarflut zurück. Dann wurde sie wieder ernst. »Es gab wirklich dort genug zu tun für mich, Alexander. Wir konnten unsere Geschäftsbeziehungen mit Kanada ganz schön ausbauen. So etwas braucht seine Zeit.«