Liebe hat einen Namen - Gisela Reutling - E-Book

Liebe hat einen Namen E-Book

Gisela Reutling

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. Sie hatten im China-Restaurant zu Abend gegessen, nun saßen sie entspannt auf der Dachterrasse bei einem Glas Wein. Unten schimmerten die Lichter der Stadt, über ihnen die Sterne. Nadja seufzte zufrieden. Die Sendung war gut gelaufen, die sie moderierte. Sie konnte ihren freien Abend genießen. »Gut haben wir's, nicht wahr?« Keine Frage, eine Feststellung. »Ja«, sagte Clemens und dachte, heute muß es sein. »Weißt du, daß du der einzige Mann bist, der mich noch nie genervt hat?« Nadja verschränkte die Arme hinterm Kopf. »Du klammerst nicht, bist nicht launisch und hast noch nie versucht, mir irgend was an- oder abzugewöhnen…« Sie lebten seit drei Jahren unter einem Dach. Nadja in der exclusiven Penthouse-Wohnung im 12. Stock, Clemens fünf Etagen tiefer. Es war ein Zusammenleben ohne Ecken und Kanten. Nie würden sie Druck aufeinander ausüben. Keine bohrenden Fragen, keine Eifersüchteleien, nichts, was andere Partnerschaften früher oder später scheitern ließ. Ein angenehmes Leben, um das mancher sie bendeidete. Wenn einer von ihnen gestreßt war, weil alles nicht so lief, wie es sollte – was bei ihrer beider Berufe nicht selten vorkam –, zog er sich in seine eigenen vier Wände zurück und machte die Sache ab, ohne den anderen zu belasten.

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Mami – 2032 –

Liebe hat einen Namen

Benjamin gewinnt Nadjas Herz im Sturm

Gisela Reutling

Sie hatten im China-Restaurant zu Abend gegessen, nun saßen sie entspannt auf der Dachterrasse bei einem Glas Wein. Unten schimmerten die Lichter der Stadt, über ihnen die Sterne.

Nadja seufzte zufrieden. Die Sendung war gut gelaufen, die sie moderierte. Sie konnte ihren freien Abend genießen.

»Gut haben wir’s, nicht wahr?« Keine Frage, eine Feststellung.

»Ja«, sagte Clemens und dachte, heute muß es sein.

»Weißt du, daß du der einzige Mann bist, der mich noch nie genervt hat?« Nadja verschränkte die Arme hinterm Kopf. »Du klammerst nicht, bist nicht launisch und hast noch nie versucht, mir irgend was an- oder abzugewöhnen…«

Sie lebten seit drei Jahren unter einem Dach. Nadja in der exclusiven Penthouse-Wohnung im 12. Stock, Clemens fünf Etagen tiefer. Es war ein Zusammenleben ohne Ecken und Kanten. Nie würden sie Druck aufeinander ausüben. Keine bohrenden Fragen, keine Eifersüchteleien, nichts, was andere Partnerschaften früher oder später scheitern ließ.

Ein angenehmes Leben, um das mancher sie bendeidete. Wenn einer von ihnen gestreßt war, weil alles nicht so lief, wie es sollte – was bei ihrer beider Berufe nicht selten vorkam –, zog er sich in seine eigenen vier Wände zurück und machte die Sache ab, ohne den anderen zu belasten. Clemens konnte morgens muffeln, und Nadja um halb sieben Gymnastik treiben oder im Park nach Herzenslust joggen.

»Heute morgen bin ich dem alten Herrn mit seinem Hund begegnet«, bemerkte sie in leichtem, heiterem Plauderton. »Na, Frolleinchen, wieder so früh auf den Beinen, winkte er mir zu. Er ist sicher schon neunzig, und sein Hund wahrscheinlich nicht viel jünger, wenn man es nach Hundejahren berechnet.« Nadja lachte und nahm einen Schluck aus ihrem Glas, über dessen Rand hinweg sie Clemens ansah. Jetzt erst fiel es ihr auf, daß er noch nicht viel gesagt hatte, seit sie hier saßen. Er war doch sonst nicht so einsilbig. – »Müde?« fragte sie.

Clemens straffte sich. »Ich muß dir etwas sagen, Nadja…«

»Ich höre!« Sie neigte nur den Kopf ein wenig, ihre Miene blieb unbefangen und heiter.

»Es handelt sich um meine Sekretärin Birgit Peters…« Wiederum stockte er, ließ den Blick ziellos schweifen. Wann wäre es ihm, dem erfolgreichen Rechtsanwalt Dr. Clemens Lansing je passiert, daß ihm die Worte nicht flüssig über die Lippen kamen! Aber hier saß er ja auch nicht vor einem Klienten oder stand vor Gericht, sondern ihm gegenüber war die Frau, mit der er seit Jahren sein Leben teilte.

Nadja zog die Augenbrauen hoch. »Sag nur, daß sie wieder einen sorgfältig mißglückten Selbstmordversuch unternommen hat!« entfuhr es ihr in beinahe scherzhaftem Ton.

Wobei das natürlich nicht zum Scherzen gewesen war, damals vor einem Jahr. Aber sie war überzeugt, daß es Birgit Peters nicht ernst damit war. Sie wollte bestimmt nicht sterben, sondern nur ihre Umwelt in einen heillosen Schrecken versetzen, vor allem wahrscheinlich dem Mann, der sie verlassen hatte. Auch wenn er sich nach Amerika abgesetzt hatte, würde man es ihm zugetragen haben.

»Nein«, sprach Clemens langsam, »das hat sie nicht. Sie erwartet ein Kind.« Er beugte sich vor und nahm eine Zigarette aus dem Kästchen, das auf dem Tisch stand und ließ das Feuerzeug aufschnappen.

»Ah ja«, kam es mäßig interessiert zurück. Nadja wunderte es ein wenig, daß es ziemlich bedeutungsvoll geklungen hatte. Aber es fiel ihr ein, daß Clemens dann mal eine Zeitlang auf seine tüchtige und gut eingearbeitete Sekretärin würde verzichten müssen.

»Wann kommt es denn?« erkundigte sie sich angelegentlich.

»In drei Monaten.« Der Mann nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette und blies den Rauch von sich, bevor er hinzufügte: »Das Kind ist von mir.«

Nadjas Lider zuckten. Sie war es gewohnt, rasch und präzise zu denken. Aber das mußte sie erst in sich einsinken lassen: DAS KIND IST VON MIR. Ihr Mund verzog sich andeutungsweise zu einem spöttischen Lächeln.

»Der Chef und seine Sekretärin – was für eine banale Geschichte.«

»Wenn du so willst? Es ist keine tiefergehende Beziehung. Daß eine schwache Stunde Folgen haben könnte, daran hätte ich nie gedacht.«

»Du wolltest sie nur trösten.« Nadjas Stimme troff von Sarkasmus. »Sie wird es darauf angelegt haben.«

»Das glaube ich nicht.« Clemens schüttelte den Kopf. »Sie wollte die Schwangerschaft abbrechen. Ich war dagegen. Aber damit habe ich natürlich nun auch eine gewisse Verantwortung übernommen.«

»Natürlich. – Und was weiter?«

»Weiter nichts.« Er drückte seine Zigarette aus. »Du solltest es nur wissen, der Fairness halber. Du bist eine moderne, großzügig denkende Frau. Es muß sich deshalb zwischen uns nichts ändern.«

Nadja heftete ihren Blick auf sein männliches, scharfgeschnittenes Gesicht. »Erstaunlich«, sagte sie.

»Was ist erstaunlich?«

»Wie cool du es nimmst!«

Er hob die Schultern. »Ich kann nicht sagen, daß es mich zutiefst berührt. Ärgerlich wäre es nur, wenn du diese Angelegenheit überbewerten würdest. Du stehst doch weit über einer Birgit Peters, so sehr ich sie als Arbeitskraft auch schätze.«

»Vielen Dank«, sagte Nadja trocken. Sie nahm den Schal, den sie hinter sich auf die Lehne gelegt hatte, und hüllte sich hinein. Ein Nachtwind war aufgekommen, er wehte über die Terrasse, die das Flachdach des Hochhauses einnahm. Auch Clemens griff nach seiner leichten Jacke.

»Ja, es ist spät geworden. Ich habe morgen früh um neun meinen ersten Klienten.« Aufstehend, beugte er sich leicht vor und hauchte ihr einen Kuß auf die Wange. »Bleib sitzen, ich finde allein hinaus. Gute Nacht, Nadja.«

In einem Gefühl seltsamer Betäubung blieb Nadja zurück. Daß es sie doch so getroffen hatte…

O ja, man war modern und großzügig. Einer ließ dem anderen seine Freiheit. Aber das bedeutete doch nicht, daß man einander untreu war!

Treue. Das war auch so ein altmodisches Wort. ICH BIN DIR TREU. Man hätte es lächerlich gefunden, dies zu schwören. Klang es nicht wie aus einer Seifenoper, über die man als Intellektuelle sowieso erhaben war?

Doch irgend etwas daran stimmte nicht.

Warum hätte sie sonst nicht achselzuckend darüber hinweggehen können, daß Clemens mit seiner Sekretärin geschlafen hatte.

Warum?

Weil sie ihn liebte!

Weil sie – Freiraum hin oder her – das normale Empfinden jeder Frau hatte, für den geliebten Mann die einzige sein zu wollen, die er umarmte. Das war wohl seit Menschengedenken so, und sie, Nadja Korff, machte dabei keine Ausnahme. Diese Erkenntnis erschütterte sie einigermaßen.

Nadja stand auf, sie trat an die Brüstung, zog den Schal enger um sich.

Von Liebe war zwischen Clemens und ihr nur selten die Rede. Sie waren ein Paar, sie traten in der Öffentlichkeit gemeinsam auf, gehörten für die Gesellschaft zusammen. Wozu sich mit Worten beteuern, was wie zu einer abgegriffenen Münze geworden war, handelte doch kein Lied, kein Schlager, keine Unterhaltungssendung im Fernsehen von einem anderen Thema als dem von Liebe.

Der Gedanke an eine Heirat lag ihnen fern. Sie brauchten keinen Siegel vom Standesamt. Ehe, das bedeutete aneinandergekettet zu sein. Jeder dritte wurde sowieso geschieden, wer wußte das besser als der Anwalt Clemens Lansing. Ebenso hatte sie es vor Augen, in der Fernsehwelt.

Kinder wollten sie nicht.

Familie, Kinder, das hieß weitgehend Verzicht auf ein Eigenleben. Eine Horrorvorstellung!

Ihre Mutter war da freilich anderer Meinung.

»Was ihr jungen Frauen euch nur denkt. Karriere, frei sein, das erscheint euch als das Erstrebenswerteste. Als ob es nicht die natürlichste Bestimmung der Frau ist, Mutter zu sein.«

»Laß gut sein, Mama. Es gibt genug Frauen, die Kinder haben wollen. Ein bißchen stolz bist du ja doch auf deine Töchter, auch wenn sie dir noch nicht die ersehnten Enkelkinder gebracht haben.«

Nadja spielte damit auch auf ihre Schwester Vanessa an, die mit achtundzwanzig Jahren die jüngste Kreuzfahrt-Direktorin war und dreihundert Tage im Jahr auf dem Traumschiff KALYPSO fuhr.

Und sie, die um vier Jahre ältere, Nadja Korff?

Nach ihrem Studium Politik, Anglistik und Geschichte hatte sie bei einer Tageszeitung volontiert. Sie hatte fest vor, eine ernsthafte Journalistin zu werden. An das Fernsehen dachte sie dabei nicht. Die letzte Ausbildungsstation ihres Volontariats aber war eine dortige, sogenannte bimediale Redaktion. Der Chef überredete sie zu einer Probemoderation. Dabei fiel sie so nachdrücklich auf, daß man ihr anbot, eine Fernsehsendung mit einleitenden und verbindenden Worten zu versehen.

Zu ihrem eigenen Erstaunen hatte ihr das großen Spaß gemacht, es war prickelnd und spannungsvoll gewesen.

Danach wollte man sie nicht mehr gehen lassen. Ihr Aufstieg begann.

Seit drei Jahren hatte sie eine eigene Sendung im Vorabendprogramm. Ein Magazin, das eine hohe Einschaltquote hatte. Sie präsentierte es, wie es das Thema verlangte, sachlich und klar formuliert. Nur bei der An- und Absage zeigte sie ein kleines Mienenspiel…

Wie hatte eine Boulevardzeitung einmal geschrieben?

›Ihr Lächeln koche Pflastersteine weich.‹ Sie hatte sich darüber nur amüsieren können.

Nun, die Fernseher waren nicht geschmolzen. Aber man sagte ihr einen besonderen Charme nach. Na schön. Welche Frau hörte das nicht gern.

Sie war ehrgeizig und bemüht, ihre Sache so gut wie möglich zu machen. Aber ihr sogenannter ›Charme‹ half ihr jetzt auch nicht, Clemens’ Eröffnung auf die leichte Schulter zu nehmen.

Wenn es nur ein flüchtiges Abenteuer gewesen wäre! Aber er hatte sie doch Tag um Tag um sich, und sie trug ein Kind von ihm!

Seltsam zu denken, daß Clemens Vater wurde.

Wie konnte er annehmen, daß sich in seinem Leben deswegen nichts wesentlich ändern würde? Daß sich zwischen ihnen nichts ändern würde?

Nadjas Brust hob sich in einem tiefen Seufzer.

Sie wußte es nicht. Sie wußte nichts mehr. Sie war auf einmal nur noch müde, von allem Hin und Her ihrer Gedanken.

Drunten die Stadt war ruhig geworden zur mitternächtlichen Stunde. Es gab keine Lichterketten von Autos mehr in den breiten Straßen, manche zuckende Leuchtreklame war erloschen.

Nadja wandte sich ab. Im Vorbeigehen nahm sie die Gläser mit hinein, dann machte sie sich für die Nacht fertig. Sie sank in ihr Bett, und Minuten später umfing sie der Schlaf.

*

Vanessa war wieder da!

Zu Beginn des Herbstes hatte sie ihren zweimonatigen Heimaturlaub genommen. Ihre Ankunft war wie alljährlich froh begrüßt worden von der Familie, hatte man doch sonst wenig genug voneinander, mußte sich mit freilich langen und ausführlichen Gesprächen von überallher aus weiter Ferne begnügen.

Auch Vanessa freute sich.

Für die junge Frau, deren Zuhause die Welt war, war ihr ›richtiges‹ Zuhause immer noch ihr Zimmer in der elterlichen Villa.

Sie hatte erst den kleinsten Teil ihrer Sachen ausgepackt, als es sie danach verlangte, ihre Schwester auf dem Bildschirm zu sehen. Trotz modernster Technik war der Sender nicht überall zu empfangen, zudem sie zu dieser Stunde anderes zu tun hatte, als vor dem Fernseher zu sitzen, denn dann galt es, sich für das Captain’s Dinner feinzumachen, je nach Zeitverschiebung.

»Hey, wie schick Nadja wieder aussieht in ihrem Designer-Outfit!« rief Vanessa aus, als die Anmoderation kam.

»Ohne englische Wörter geht wohl gar nichts mehr«, äußerte ihre Mutter mißbilligend. »Muß man unsere schöne deutsche Sprache so verwässern.«

»Also gut, edle Klamotten«, verbesserte sich Vanessa augenzwinkend. Auch das wüde ihr nicht ganz passen. Sie war herzenslieb, aber sie hatte ihre eigenen Ansichten, die ›Frau Professor‹. So nannte sie Lena nämlich nach dreißig Jahren immer noch. Es war ihr nicht auszureden, obwohl doch nur der Hausherr Anspruch auf diesen Titel hatte.

Lena, die Haushälterin, war eigentlich schon im Rentenalter, aber sie gehörte einfach dazu, und ans Aufhören dachte die Geschäftige noch lange nicht.

»Tolles Weib, meine Schwester«, befand Vanessa nach der Sendung, die sie aufmerksam verfolgt hatte, »und superklug. Wie sie das so jeden Abend hinkriegt – Hut ab.«

»Nun, du bist ja auch nicht gerade ein Gänseblümchen neben ihr«, meinte Leonard Korff, Professor für Kunstgeschichte. Wohlgefällig betrachtete er seine Jüngste, die ihn an Länge fast einen halben Kopf überragte.

Zuerst war es ihm gar nicht so recht gewesen, daß der Weg seiner beiden Mädchen doch in ziemlich ausgefallene Berufe geführt hatte. Aber wie sollte er jetzt nicht stolz darauf sein, daß sie es so weit gebracht hatten!

Das Abendessen hatte Lena mit besonderer Sorgfalt zubereitet. Mit gerührtem Lächeln sah sie zu, wie es der Heimgekommenen schmeckte. Der Himmel mochte wissen, was es auf einem Schiff an Mahlzeiten gab!

Daß die KALYPSO ein Luxus-Liner war und bis hin zu den erlesensten Köstlichkeiten alles bot, was Chefköche nur aufzubieten hatten – das wollte der braven Frau einfach nicht in den Kopf.

Es wurde ein gemütlicher Abend, dieser erste zu Hause, bei einer ausgesucht guten Flasche Wein und von Lena gebackenen Knabberplätzchen.

»Was hast du nun alles vor in deinem Urlaub?« erkundigte sich der Vater.

»Erstmal lege ich mich aufs Sofa und stelle mich tot, nach neun Monaten knochenhartem Job«, kam die prompte Antwort.

»Ich denke, es ist ein Traumschiff, auf dem du fährst. So nennt man es doch?« sagte Leonard Korff nekkend.

»Ein Traum insofern, als wir in einer Traumwelt isoliert leben«, gab Vanessa nüchtern zurück. »Aber 550 Passagiere bei Laune zu halten, das ist kein Acht-Stunden-Tag, kann ich euch versichern!« Sie dehnte sich im breiten Sessel und streckte die Arme von sich. »Ich möchte trotzdem mit keinem tauschen!« fügte sie hinzu.

»Und du wirst bald genug wieder vom Sofa hochkommen«, schmunzelte der Professor, der seine Tochter kannte.

»Nur zu bald«, warf seine Frau Cornelia ein.

»Klar, daß ich nach und nach alle meine Freunde abklappern werde.« Vanessa wurde ernst. »Das muß schon sein, Mama. Sonst stelle ich eines Tages fest, daß ich überall auf der Welt Bekannte habe, aber in der Heimat keine Bindungen mehr.«

»Und die Bindungen an Bord?« fragte Korff mit einem hintergründigen Lächeln. Ihre Blicke trafen sich, sekundenlang.

»Das werde ich euch gerade auf die Nase binden!« sagte sie dann übermütig und machte eine Kopfbewegung. »Immerhin hat mir der eine oder andere schon einen Heiratsantrag gemacht. Aber ich bin doch mit der KALYPSO verheiratet.«

»Hm, und wie lange noch?«

»Solange es mir Spaß macht, Papa.«

»Ja, ja«, seufzte Cornelia. Ihren Wunsch nach einem Enkelchen würde sie sich wohl auf unbestimmte Zeit an den Mond schreiben können.

*

Am nächsten Abend holte Vanessa ihre Schwester am Funkhaus ab.

Nadja kam mit dem Redakteur Andreas Schneider, einem ihrer engeren Mitarbeiter, ungefähr im gleichen Alter wie sie.

»Ja, wen sehe ich denn da«, sagte der Mann im roten Polo-Pullover, die Jacke lässig über die Schulter gehängt, als er die hochgewachsene blonde junge Frau erblickte.

Nadja beschleunigte schon ihre Schritte, die beiden fielen sich um den Hals, es gab mehr als zwei Wangenküßchen rechts und links zur Begrüßung.

»Meinen Kollegen kennst du ja«, sagte Nadja mit einer Handbewegung zu Schneider hin, der langsam herbeigetreten war.

»Klar kennen wir uns, von einer Superparty voriges Jahr«, lachte Vanessa.

»Großartig sehen Sie aus, Vanessa!« Sie schüttelten sich die Hände. »Daß Sie auch mal wieder im heimatlichen Hafen gelandet sind, muß begossen werden.« Unternehmungslustig sah der Mann sich um. »Wo trinken wir einen Schluck darauf?«

»Du wolltest doch Tennisspielen gehen«, erinnerte Nadja.

»Ach was«, winkte Schneider ab. »Wenn ich mal die Gelegenheit habe, gleich mit zwei schönen Frauen auszugehen…«

»Geschenkt«, unterbrach ihn Nadja. Man arbeitete sehr konzentriert und sachlich zusammen, für Schmeicheleien blieb da kein Raum. Außerdem wußte sie schon, daß es bei ›einem Schluck‹ nicht bleiben, sondern der Abend darüber hingehen würde. So war er nämlich, der Andreas. In der Freizeit ein amüsanter Gesellschafter, der aber kein Ende fand.

»Geh du in deinen Club«, redete sie ihm zu. »Ich möchte meine Schwester heute für mich allein haben. Es ist unser erster Abend nach einem Jahr.«

»Jetzt ist aber einer enttäuscht«, bedauerte Vanessa.